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Siebentes Bild

Draußen in der Wachau. Ein Häuschen am Fuße einer Burgruine. Die Tochter hängt die Wäsche auf, die Mutter schält Erdäpfel und die Großmutter sitzt in der Sonne vor einem kleinen Tischerl und stimmt ihre Zither. Und in der Nähe fließt die schöne blaue Donau.

Alfred  kommt – er sieht sich suchend um und grüßt die Tochter.

Die Tochter  grüßt zurück, läßt ihre Wäsche im Stich und nähert sich ihm: Wollen der Herr vielleicht auf den Turm?

Alfred Auf was für einen Turm?

Die Tochter Auf unsern Turm – – Nämlich dem Besteiger bietet sich droben eine prächtige Fernsicht und eine instruktive Rundsicht – – Wenn der Herr wollen, werd ich den Herrn führen.

Alfred  lächelt weltmännisch: Was kostet das?

Die Tochter Zwanzig Groschen. Stille.

Alfred Wem gehört denn diese Ruine?

Die Tochter Dem Staat. Wir verwalten sie nur – – aber in der Nacht möcht ich nicht um alles hinauf, denn dann kommen die Gespenster und erschrecken die Leut.

Alfred Was für Gespenster?

Die Tochter Na so eine Art Ritter Blaubart, der wo seine Gemahlinnen im Bett mit der Schaufel erschlagen hat.

Alfred  lächelt wieder weltmännisch: Das liegt aber nicht an uns armen Männern – –

Die Tochter Nanana – –

Die Mutter  ruft: Julie! Was möcht denn der Herr?

Die Tochter Er möcht auf unsern Turm hinauf!

Die Mutter Das ist etwas anderes! – –

Alfred  zur Tochter: Ich hab zwar eigentlich nicht gemocht, aber in Anbetracht einer solchen charmanten Führung – – Er folgt der Tochter in die Ruine.

Die Großmutter Frieda!

Die Mutter Ja Mama?

Die Großmutter Mir gefällt die Julie nicht mehr.

Die Mutter Mein Gott, mir auch nicht – –

Die Großmutter Eine feine Tochter hast du da – – Frech und faul! Ganz der Herr Papa!

Die Mutter So laß doch den Mann in Ruh! Jetzt liegt er schon zehn Jahr unter der Erden und gibst ihm noch immer keine Ruh!

Die Großmutter Wer hat ihn denn so früh unter die Erden gebracht? Ich vielleicht? Oder der liebe Alkohol? Deine ganze Mitgift hat er versoffen!

Die Mutter Jetzt will ich aber nichts mehr hören, ich will nicht!

Die Großmutter Halts Maul! Sie spielt auf ihrer Zither den Doppeladlermarsch. 

Die Tochter  erscheint nun mit Alfred auf der Spitze des Turmes.

Alfred  lauscht: Wer spielt denn da so fesch?

Die Tochter Das ist die Großmutter.

Alfred Großmutter? Resolut! Resolut!

Die Tochter Mit mir traut sie sich ja nicht anzubandeln, ich laß mir nämlich nichts gefallen. Brav sein, bittschön Stille.

Alfred Sie spielt aber sehr musikalisch.

Die Tochter Sie spielt nur dann, wenn sie eine schlechte Laune hat.

Alfred Was ist ihr denn übers Leberl gekrochen?

Die Tochter Ein tragischer Unglücksfall. Gestern.

Alfred  lächelt: Sehr tragisch?

Die Tochter Geh reden wir von was anderem! Nein, nicht so – –

Die Großmutter  beendet nun ihren Marsch: Frieda! Hast du ihr schon den Brief geschrieben?

Die Mutter Nein.

Die Großmutter Soll ich ihn vielleicht schreiben?

Die Mutter Ich schreib ihn schon, ich schreib ihn schon – – Herrgott, ist das alles entsetzlich! Sie wird uns noch Vorwürf machen, daß wir nicht aufgepaßt haben – –

Die Großmutter Wir? Du! Du, willst du wohl sagen!

Die Mutter Was kann denn ich dafür?

Die Großmutter Wars vielleicht meine Idee, ein Kind in Kost zu nehmen?! Nein, das war deine Idee – – weil du etwas kleines Liebes um dich hast haben wollen, hast du gesagt! Hast du gesagt! Ich war immer dagegen. Mit sowas hat man nur Scherereien! Wegen der lumpigen fünfzehn Schilling im Monat – –

Die Mutter Gut. Bin ich wieder schuld. Gut. Am End bin ich dann vielleicht auch daran schuld, daß der Bubi gestern in die Donau gefallen ist – – bin ich daran schuld, daß er ertrunken ist?!

Die Großmutter  schweigt boshaft und spielt auf ihrer Zither leise den Donauwellenwalzer.

Die Mutter  sieht ihr haßerfüllt zu: Altes Luder – Wütend ab mit ihren Erdäpfeln in das Häuschen.

Alfred Unsere Donau ist halt doch was Schönes. Wie die so dahinfließt – – das ist schon sehr schön.

Die Tochter Ich wollt, ich wär in Wien!

Alfred Und ich wollt, ich könnt immer heraußen sein – – so still vor mich hinleben, in so einem Häuschen, und nichts mehr hören – –

Die Tochter Was kann man denn hier heraußen schon werden?

Alfred Und was bin ich in Wien geworden?

Die Tochter Ich wüßt schon, was ich machen tät in Wien! Ich käm schon durch!

Alfred Auch Sie würden ihnen nicht entrinnen – –

Die Tochter Wem?

Alfred Den Männern.

Die Tochter Na das würd ich aber schon selber in die Hand nehmen!

Alfred Resolut! Resolut! Ganz die liebe Großmama! Pause.

Die Tochter Was möchten Sie eigentlich hier heraußen, Sie schöner Mann aus Wien?

Alfred eigentlich such ich hier ein bestimmtes Haus. Das Haus Nummer siebzehn.

Die Tochter Nummer siebzehn?

Die Großmutter  hört nun auf zu spielen und strickt.

Alfred Ja. Dort ist nämlich ein kleines Kinderl in Pflege. Ein Bubi. Und davon bin ich der Herr Papa – – Was schauns mich denn so geistesabwesend an?

Die Tochter  langsam: Sie sind der Papa?

Alfred  lächelt: Derselbe.

Die Tochter Der Papa von dem Bubi?

Alfred Trauns mir denn das nicht zu? Oder habens schon von mir gehört, weil Sie mich so spaßig fixieren? Hat vielleicht die Mama von dem Bubi sehr über mich geschimpft? Wir haben uns nämlich entzweit – –

Die Tochter Nein, das ist entsetzlich – –

Alfred Was habens denn?

Stille.

Die Tochter Nein, das bring ich nicht heraus – – das bring ich nicht heraus – –

Alfred Schauns mich an.

Die Tochter  schaut ihn an: Ich kann Sie nicht anschaun – –

Alfred Aber ich seh mich doch in Ihren Augen – –

Die Tochter Herr! Wir da unten, wir sind ja das Haus Nummer siebzehn – – und es ist ein fürchterliches Unglück passiert – – gestern – –

Alfred Was?

Die Tochter Mit dem Bubi, Herr – – mit Ihrem Bubi – – Er hat bei der Donau gespielt und ist hineingefallen – –

Alfred Tot?!

Die Tochter Ja. Ertrunken – – Stille.

Alfred In der Donau.

Die Tochter Und er war doch so herzig, unser Bubi – –

Sie weint.

Alfred  schließt sie in seine Arme: Nicht weinen, nicht weinen – –

Die Tochter Ich kenne Sie nicht, Herr – – aber Sie sind sicher kein schlechter Mensch – – daß Sie nämlich als der eigene Vater mich eigentlich Fremde noch trösten – –

Stille.

Alfred Wie groß war er denn schon, der Bubi?

Die Tochter So groß – –

Stille.

Alfred Und die Mutter? Ist sie schon unterrichtet?

Die Tochter Nein, wir traun uns ja gar nicht, ihr zu schreiben – – wir haben doch das Kind alle so gern gehabt! Nur die Großmutter hat das gleich geahnt – – sie war immer dagegen, daß wir ein Kind in Pflege nehmen – – Jetzt triumphiert sie natürlich.

Stille. 

Alfred In die Donau, in unsere schöne blaue Donau –

Die Tochter Sehens, da kommen die Fischer, die den Bubi suchen – –

Die Fischer  mit langen Stöcken und Haken, kommen und sprechen mit der Mutter, die wieder aus dem Häuschen getreten ist; die Großmutter horcht.

Die Tochter Möchtens nicht hinunter?

Alfred Mein. Jetzt möcht ich allein sein – –

Die Tochter Über uns webt das Schicksal Knoten in unser Leben – –

Alfred Ich bin viel allein.

Die Tochter Ich auch.

Die Fischer  gehen nun wieder.

Die Mutter Sie haben noch immer nichts gefunden.

Die Großmutter Kann man sich ja denken!

Die Mutter Was du dir so alles denkst – –

Die Großmutter Gottseidank! Stille.

Die Großmutter Vielleicht ist es ihr gar nicht so entsetzlich – – ich meine jetzt deine Fräulein Mariann – – Man kennt ja diese Sorte Fräuleins – – vielleicht wird das Fräulein sogar zufrieden sein, daß sie es los hat – –

Die Mutter Mama! Bist du daneben?!

Die Großmutter Was fällt dir ein, du Mistvieh?!

Die Mutter Was fällt dir ein, du Ungeheuer?! Das Fräulein ist doch auch nur eine Mutter, genau wie du!!

Die Großmutter  kreischt: Vergleich mich nicht mit ihr! Ich hab mein Kind in Ehren geboren oder bist du ein unehelicher Schlampen?! Wo kein Segen von oben dabei ist, das endet nicht gut und soll es auch nicht! Wo kämen wir denn da hin?! Sie spielt wieder ihren Doppeladlermarsch.

Die Mutter Spiel nicht! So hör doch auf!!

Die Großmutter Gut! Aber dann wird jetzt hier endlich geschrieben – – und wenn du zu feig dazu bist, dann diktier ich dir! Sie erhebt sich. Setz dich her! Hier hast du Papier und Bleistift – – ich habs schon vorbereitet.

Die Mutter Ungeheuer – –

Die Großmutter Kusch! Setz dich! Schreib! Freu dich, daß ich dir hilf!

Die Mutter  setzt sich.

Die Großmutter  geht gebeugt auf und ab und diktiert: Wertes Fräulein! – – jawohl: Fräulein! – – Leider müssen wir Ihnen eine für Sie recht traurige Mitteilung machen. Gott der Allmächtige hat es mit seinem unerforschlichen Willen so gewollt, daß Sie, wertes Fräulein, kein Kind mehr haben sollen. Das Kind hat gestern in den Donauauen gespielt und ist beim Spielen in die Donau gefallen – – Punkt. Aber trösten Sie sich, Gott der Allmächtige liebt die unschuldigen Kinder. Punkt. Mich und meine Familie trifft wirklich keine Schuld. Neuer Absatz. Ich spreche Ihnen, wertes Fräulein, auch im Namen meiner lieben Mutter und meiner Tochter, unser innigstes Beileid aus, Schluß. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihre Frieda so und so –

Marianne  kommt mit Zauberkönig, Mathilde und Oskar, denen sie etwas vorausgeeilt ist: Guten Tag, liebe Frau Kreutler! Küßdiehand, Großmutter! Jetzt war ich aber lang nicht mehr da, ich bin ja nur froh, daß ich euch wiederseh – – Das ist mein Vater!

Zauberkönig  grüßt.

Die Mutter  starrt ihn an.

Marianne  wird es plötzlich unheimlich: Was habt ihr denn – – ?

Die Großmutter  reicht ihr den Brief. 

Marianne  nimmt ihr mechanisch den Brief ab und sieht sich scheu um; bange: Wo ist der Bubi? Wo ist denn der Bubi?

Die Großmutter Lesen, bitte. Lesen – –

Marianne  liest den Brief.

Zauberkönig Na wo ist denn der Bucibubi? Bubi! Bucibubi! Er hält ein Kinderspielzeug in der Hand, an dem Glöckchen befestigt sind und läutet damit. Der Opapa ist da! Der Opapa!

Marianne  läßt den Brief fallen.

Stille.

Zauberkönig  plötzlich ängstlich: Mariann! Ist denn was passiert?

Mathilde  hat den Brief aufgehoben und gelesen; jetzt schreit sie: Maria! Tot ist er! Hin ist er, der Bucibubi! Tot!!

Zauberkönig  wankt – läßt das Kinderspielzeug fallen und hält die Hand vors Gesicht.

Stille.

Die Großmutter  hebt neugierig das Kinderspielzeug auf und läutet damit.

Marianne  beobachtet sie – – stürzt sich plötzlich heiser brüllend auf sie und will sie mit der Zither erschlagen.

Oskar  drückt ihr die Kehle zu.

Marianne  röchelt und läßt die Zither fallen.

Stille.

Die Großmutter  leise: Du Luder. Du Bestie. Du Zuchthäuslerin – – Mich? Mich möchtst du erschlagen, mich?

Die Mutter  schreit die Großmutter plötzlich an:  Jetzt schau aber, daß du ins Haus kommst! Marsch! Marsch!

Die Großmutter  geht langsam auf die Mutter zu: Dir tat es ja schon lange passen, wenn ich schon unter der Erden wär – – nicht? Aber ich geh halt noch nicht, ich geh noch nicht – – Da! Sie gibt der Mutter eine Ohrfeige. Verfaulen sollt ihr alle, die ihr mir den Tod wünscht! Ab in das Häuschen.

Stille

Die Mutter  schluchzt: Na, das sollst du mir büßen – – Ihr nach.

Zauberkönig  nimmt langsam die Hand vom Gesicht: Der zweite Schlaganfall, der zweite Schlaganfall – – nein nein nein, lieber Gott, laß mich noch da, lieber Gott – – Er bekreuzigt sich. Vater unser, der du bist im Himmel – – groß bist du und gerecht – – nicht wahr, du bist gerecht? Laß mich noch, laß mich noch – – – – – Oh, du bist gerecht, oh du bist gerecht! Er richtet sich seine Krawatte und geht langsam ab.

Marianne Ich hab mal Gott gefragt, was er mit mir vor hat – – Er hat es mir aber nicht gesagt, sonst wär ich nämlich nicht mehr da – – – – – Er hat mir überhaupt nichts gesagt – – Er hat mich überraschen wollen – – Pfui!

Oskar Marianne! Hadere nie mit Gott!

Marianne Pfui! Pfui! Sie spuckt aus.

Stille

Oskar Mariann. Gott weiß, was er tut, glaub mir das.

Marianne Bubi! Wo bist du denn jetzt? Wo?

Oskar Im Paradies.

Marianne So quäl mich doch nicht – –

Oskar Ich bin doch kein Sadist! Ich möcht dich doch nur trösten – – Dein Leben liegt doch noch vor dir. Du stehst doch erst am Anfang – – Gott gibt und Gott nimmt – –

Marianne Mir hat er nur genommen, nur genommen – –

Oskar Gott ist die Liebe, Mariann – – und wen Er liebt, den schlägt Er – –

Marianne Mich prügelt er wie einen Hund!

Oskar Auch das! Wenn es nämlich sein muß.

Stille. 

Oskar Mariann. Ich hab dir mal gesagt, daß ich es dir nie wünsch, daß du das durchmachen sollst, was du mir angetan hast – – und trotzdem hat dir Gott Menschen gelassen – – die dich trotzdem lieben – – – – – und jetzt, nachdem sich alles so eingerenkt hat – – – – – Ich hab dir mal gesagt, Mariann, du wirst meiner Liebe nicht entgehn – –

Marianne Ich kann nicht mehr. Jetzt kann ich nicht mehr – –

Oskar Dann komm – – Er stützt sie, gibt ihr einen Kuß auf den Mund und ab mit ihr.

Alfred  kommt mit der Tochter vom Turm herab.

Mathilde  sieht der Tochter nach: Wo kommst du her?

Alfred Vom Turm.

Mathilde Was war das für ein Turm?

Alfred Sei doch nicht so geschmacklos – – Stille.

Mathilde Pardon! Mein herzlichstes Beileid.

Alfred Danke. Stille.

Alfred  zieht Geldscheine aus seiner Hosentasche: Da. Jetzt hab ich gestern noch telegrafisch gesetzt und hab in Maisons-Laffitte gewonnen – – und heut wollt ich meinem Sohne vierundachtzig Schilling bringen – –

Mathilde Wir werden ihm einen schönen Grabstein setzen. Vielleicht ein knieendes Englein.

Alfred Ich bin sehr traurig. Wirklich. Ich hab jetzt grad so gedacht – – so ohne Kinder hört man eigentlich auf. Man setzt sich nicht fort und stirbt aus. Schade.

Nun wird es finster und ein großes Streichorchester spielt die »Geschichten aus dem Wiener Wald« – und die Szene verändert sich zum Schlußtableau: in einem kitschigen Barocksaal wird Oskar und Mariannes Hochzeit gefeiert: Einzug, Solotanz des Brautpaares und allgemeiner Tanz; unter den Hochzeitsgästen bemerkt man Mathilde, Alfred, Erich, den Rittmeister, die erste und die zweite Tante nebst der ganzen Verwandtschaft, Havlitschek im Sonntagsstaat, den Beichtvater, die Großmutter, Mutter und Tochter, Emma und die gnädige Frau, den Conferencier mit Damen vom Ballett und den dazugehörigen Kavalieren; es ist überhaupt alles da, ja selbst der Mister fehlt nicht – – Er überreicht der Braut einen prächtigen Strauß weißer Lilien; und allen voran natürlich der Zauberkönig. – – – – – – – Dann fällt der Vorhang.

Rittmeister  tritt vor den Vorhang: Meine Damen und Herren! Leider Gottes sind anläßlich der heutigen Hochzeit eine derartige Anzahl von Hochzeitsgratulationen eingetroffen, daß sich Oskar und Marianne, unser junges Paar, außerstande sehen, einem Jeden separat zu danken. Ich habe nun den ehrenvollen Auftrag, Ihnen, meine Sehrverehrten, im Namen unserer Jungvermählten für all die liebenswürdigen Glückwünsche von ganzem Herzen zu danken! Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren!

Ende


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