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Zweites Bild

Am nächsten Sonntag im Wiener Wald. Auf einer Lichtung am Ufer der schönen blauen Donau.

Der Zauberkönig und Marianne, Oskar, Mathilde, Alfred, einige entfernte Verwandte, unter ihnen Erich aus Kassel in Preußen, und kleine weißgekleidete häßliche Kinder machen einen gemeinsamen Ausflug.

Jetzt bilden sie gerade eine malerische Gruppe, denn sie wollen von Oskar fotografiert werden, der sich noch mit seinem Stativ beschäftigt – dann stellt er sich selbst in Positur neben Marianne, maßen er ja mit einem Selbstauslöser arbeitet. Und nachdem dieser tadellos funktionierte, gerät die Gruppe in Bewegung.

Zauberkönig Halt! Da capo! Ich glaub, ich hab gewackelt!

Oskar Aber Papa! Zauberkönig Sicher ist sicher!

Erste Tante Ach ja!

Zweite Tante Das war doch ewig schad!

Zauberkönig Also da capo, da capo!

Oskar Also gut! Er beschäftigt sich wieder mit seinem Apparat – und wieder funktioniert der Selbstauslöser tadellos.

Zauberkönig Ich danke!

Die Gruppe  löst sich allmählich auf.

Erste Tante Lieber Herr Oskar, ich hätt ein großes Verlangen – geh möchtens nichtmal die Kinderl allein abfotografieren, die sind doch heut so herzig –

Oskar Aber mit Vergnügen! Er gruppiert die Kinder und küßt die Kleinste. 

Zweite Tante  zu Marianne: Nein mit welcher Liebe er das arrangiert – Na wenn das kein braver Familienvater wird! Ein Kindernarr, ein Kindernarr! Unberufen!

Sie umarmt Marianne und gibt ihr einen Kuß.

Mathilde  zu Alfred: Also das ist der Chimborasso.

Alfred Was für ein Chimborasso?

Mathilde Daß du dich nämlich diesen Herrschaften hier anschließt, wo du doch weißt, daß ich dabei bin – nach all dem, was zwischen uns passiert ist.

Alfred Was ist denn passiert? Wir sind auseinander. Und noch dazu als gute Kameraden.

Mathilde Nein, du bist halt keine Frau – sonst würdest du meine Gefühle anders respektieren.

Alfred Was für Gefühle? Noch immer?

Mathilde Als Frau vergißt man nicht so leicht. Es bleibt immer etwas in einem drinnen, wenn du auch ein großer Gauner bist.

Alfred Ich bitte dich, werde vernünftig.

Mathilde  plötzlich gehässig: Das würde dir so passen!

Stille.

Alfred Darf sich der Gauner jetzt empfehlen?

Mathilde Wer hat ihn denn hier eingeladen?

Alfred Sag ich nicht.

Mathilde Man kann sichs ja lebhaft vorstellen, nicht?

Alfred  zündet sich eine Zigarette an.

Mathilde Wo hat man dich denn kennen gelernt? In der Puppenklinik?

Alfred Halts Maul.

Zauberkönig  nähert sich Alfred mit Erich: Was höre ich? Die Herrschaften kennen sich noch nicht? Also darf ich bekannt machen: das ist mein Neffe Erich, der Sohn meines Schwippschwagers aus zweiter Ehe – und das ist Herr Zentner. Stimmts?

Alfred Gewiß.

Zauberkönig Herr von Zentner!

Erich  mit Brotbeutel und Feldflasche am Gürtel: Sehr erfreut!

Zauberkönig Erich ist ein Student. Aus Dessau.

Erich Aus Kassel, Onkel.

Zauberkönig Kassel oder Dessau – das verwechsle ich immer! Er zieht sich zurück.

Alfred  zu Mathilde: Ihr kennt euch schon?

Mathilde Oh schon seit Ewigkeiten!

Erich Ich hatte erst unlängst das Vergnügen. Wir hatten uns über das Burgtheater unterhalten und über den vermeintlichen Siegeszug des Tonfilms.

Alfred Interessant! Er verbeugt sich korrekt und zieht sich zurück; jetzt läßt eine Tante ihren Reisegrammophon singen: »Wie eiskalt ist dies Händchen«.

Erich  lauscht: Boheme. Göttlicher Puccini!

Marianne  nun neben Alfred; sie lauscht: Wie eiskalt ist dies Händchen –

Alfred Das ist Boheme.

Marianne Puccini.

Mathilde  zu Erich: Was kennen Sie denn für Operetten?

Erich Aber das hat doch mit Kunst nichts zu tun!

Mathilde  Geh, wie könnens denn nur so was sagen!

Erich Kennen Sie die Brüder Karamasow?

Mathilde Nein.

Erich Das ist Kunst.

Marianne  zu Alfred: Ich wollte mal rhythmische Gymnastik studieren und dann hab ich von einem eigenen Institut geträumt, aber meine Verwandtschaft hat keinen Sinn für sowas. Papa sagt immer, die finanzielle Unabhängigkeit der Frau vom Mann ist der letzte Schritt zum Bolschewismus.

Alfred Ich bin kein Politiker, aber glauben Sie mir: auch die finanzielle Abhängigkeit des Mannes von der Frau führt zu nichts Gutem. Das sind halt so Naturgesetze.

Marianne Das glaub ich nicht.

Oskar  fotografiert nun den Zauberkönig allein, und zwar in verschiedenen Posen; das Reisegrammophon hat ausgesungen.

Alfred Fotografiert er gern, der Herr Bräutigam?

Marianne Das tut er leidenschaftlich. Wir kennen uns schon seit acht Jahren.

Alfred Wie alt waren Sie denn damals? Pardon, das war jetzt nur eine automatische Reaktion!

Marianne Ich war damals vierzehn!

Alfred Pardon!

Marianne Er ist nämlich ein Jugendfreund von mir. Weil wir Nachbarskinder sind.

Alfred Und wenn Sie jetzt keine Nachbarskinder gewesen wären?

Marianne Wie meinen Sie das?

Alfred Ich meine, daß das halt alles Naturgesetze sind. Und Schicksal.

Stille.

Marianne Schicksal, ja. Eigentlich ist das nämlich gar nicht das, was man halt so Liebe nennt, vielleicht von seiner Seite aus, aber ansonsten – – Sie starrt Alfred plötzlich an. Nein, was sag ich da, jetzt kenn ich Sie ja noch kaum – – mein Gott, wie Sie das alles aus einem herausziehen – –

Alfred Ich will gar nichts aus Ihnen herausziehen. Im Gegenteil.

Stille.

Marianne Können Sie hypnotisieren?

Oskar  zu Alfred: Pardon! Zu Marianne. Darf ich bitten?

Er reicht ihr den Arm und geleitet sie unter eine schöne alte Baumgruppe, wo sich die ganze Gesellschaft bereits zum Picknick gelagert hat.

Alfred  folgt Oskar und Marianne und läßt sich ebenfalls nieder.

Zauberkönig Über was haben wir denn gerade geplauscht?

Erste Tante Über die Seelenwanderung.

Zweite Tante Was ist denn das für eine Geschicht mit der Seelenwanderung?

Erich Das ist buddhistische Religionsphilosophie. Die Buddhisten behaupten, daß die Seele eines verstorbenen Menschen in ein Tier hineinfährt – zum Beispiel in einen Elefanten.

Zauberkönig Verrückt!

Erich Oder in eine Schlange.

Erste Tante Pfui!

Erich Wieso pfui? Das sind doch nur unsere kleinlichen menschlichen Vorurteile! So laßt uns doch mal die geheime Schönheit der Spinnen, Käfer und Tausendfüßler –

Zweite Tante  unterbricht ihn: Also nur nicht unappetitlich, bittschön!

Erste Tante Mir ist schon übel –

Zauberkönig Mir kann heut nichts den Appetit verderben! Solche Würmer gibts gar nicht!

Mathilde Jetzt aber Schluß!

Zauberkönig  erhebt sich und klopft mit dem Messer an sein Glas:  Meine lieben Freunde! Zu guter Letzt war es ja schon ein öffentliches Geheimnis, daß meine liebe Tochter Mariann einen Blick auf meinen lieben Oskar geworfen hat –

Mathilde Bravo!

Zauberkönig Silentium, gleich bin ich fertig, und nun haben wir uns hier versammelt, das heißt: ich hab Euch alle eingeladen, um einen wichtigen Abschnitt im Leben zweier blühender Menschenkinder einfach, aber würdig in einem kleinen, aber auserwählten Kreise zu feiern. Es tut mir nur heut in der Seele weh, daß Gott der Allmächtige es meiner unvergeßlichen Gemahlin, der Mariann ihrer lieben Mutterl selig, nicht vergönnt hat, diesen Freudentag ihres einzigen Kindes mitzuerleben. Ich weiß es aber ganz genau, sie steht jetzt sicher hinter einem Stern droben in der Ewigkeit und schaut hier auf uns herab. Und erhebt ihr Glas – – er erhebt sein Glas – – um ein aus dem Herzen kommendes Hoch auf das glückliche nunmehr und hiermit offiziell verlobte Paar – – das junge Paar, Oskar und Marianne, es lebe hoch! Hoch! Hoch!

Alle Hoch! Hoch! Hoch!

Ida  jenes magere herzige Mäderl, das seinerzeit Havlitscheks Blutwurst beanstandet hatte, tritt nun weißgekleidet mit einem Blumenstrauß vor das verlobte Paar und rezitiert mit einem Sprachfehler:

Die Liebe ist ein Edelstein,
Sie brennt jahraus, sie brennt jahrein
Und kann sich nicht verzehren,
Sie brennt, solang noch Himmelslicht
In eines Menschen Aug sich bricht,
Um drin sich zu verklären.

Alle Bravo! Hoch! Gott wie herzig!

Ida  überreicht Marianne den Blumenstrauß mit einem Knix.

Alle  streicheln nun Ida und gratulieren dem verlobten Paar in aufgeräumtester Stimmung; das Reisegrammophon spielt nun den Hochzeitsmarsch und der Zauberkönig küßt Marianne auf die Stirne und Oskar auf den Mund; dann wischt er sich die Tränen aus den Augen und dann legt er sich in seine Hängematte.

Erich  mit einer Feldflasche: Oskar und Marianne! Ich gestatte mir nun aus dieser Feldflasche auf Euer ganz Spezielles zu trinken! Glück und Gesundheit und viele brave deutsche Kinder! Heil!

Mathilde  angeheitert: Nur keine Neger! Heil!

Erich Verzeihen, gnädige Frau, aber über diesen Punkt vertrage ich keine frivolen Späße! Dieser Punkt ist mir heilig, Sie kennen meine Stellung zum Rassenproblem.

Mathilde Ein problematischer Mensch – – Halt! So bleibens doch da, Sie komplizierter Mann, Sie – –

Erich Kompliziert. Wie meinen Sie das?

Mathilde Interessant – –

Erich Wieso?

Mathilde Ja glaubens denn, daß ich die Juden mag? Sie großes Kind – – Sie hängt sich ein in das große Kind und schleift es fort; man lagert sich nun im Wald und die kleinen Kindlein spielen und stören.

Oskar  singt zur Laute:

Sei gepriesen, du lauschige Nacht,
Hast zwei Herzen so glücklich gemacht
Und die Rosen im folgenden Jahr
Sahn ein Paar am Altar!
Auch der Klapperstorch blieb nicht lang aus,
Brachte klappernd den Segen ins Haus.
Und entschwand auch der liebliche Mai,
In der Jugend erblüht er neu!

Er spielt das Lied nochmal, singt aber nicht mehr, sondern summt nur; auch alle anderen summen mit, außer Alfred und Marianne.

Alfred  nähert sich nämlich Marianne: Darf man noch einmal gratulieren?

Marianne  schließt die Augen.

Alfred  küßt lange ihre Hand.

Oskar  hatte den Vorgang beobachtet. Übergab seine Laute der zweiten Tante, schlich sich heran und steht nun neben Marianne.

Alfred  korrekt: Ich gratuliere!

Oskar Danke.

Alfred  verbeugt sich korrekt und will ab.

Oskar  sieht ihm nach: Er beneidet mich um dich – – ein geschmackloser Mensch. Wer ist denn das überhaupt?

Marianne Ein Kunde.

Oskar Schon lang?

Marianne Gestern war er da und wir sind ins Gespräch gekommen, nicht lang, und dann hab ich ihn gerufen. Er hat sich ein Gesellschaftsspiel gekauft.

Mathilde  schrill: Was soll das Pfand in meiner Hand?

Erich Das soll dreimal Muh schreien!

Mathilde Das ist die Tante Henriett, die Tante Henriett!

Erste Tante  stellt sich in Positur und schreit: Muh! Muh! Muh!

Großes Gelächter.

Mathilde Und was soll das Pfand in meiner Hand?

Zauberkönig Das soll dreimal Mäh schreien!

Mathilde Das bist du selber!

Zauberkönig Mäh! Mäh! Mäh!

Brüllendes Gelächter.

Mathilde Und was soll das Pfand in meiner Hand?

Zweite Tante Der soll etwas demonstrieren!

Erich Was denn?

Zweite Tante Was er kann!

Mathilde Oskar! Hast du gehört, Oskar? Du sollst uns etwas demonstrieren!

Erich Was du willst!

Zauberkönig Was du kannst!

Stille.

Oskar Meine Damen und Herren, ich werde Ihnen etwas sehr Nützliches demonstrieren, nämlich ich hab mich mit der japanischen Selbstverteidigungsmethode beschäftigt. Mit dem sogenannten Jiu-Jitsu. Und nun passens bitte auf, wie man seinen Gegner spielend kampfunfähig machen kann. – – Er stürzt sich plötzlich auf Marianne und demonstriert an ihr seine Griffe.

Marianne  stürzt zu Boden: Au! Au! Au – –

Erste Tante Nein dieser Rohling!

Zauberkönig Bravo! Bravissimo!

Oskar  zur ersten Tante: Aber ich hab doch den Griff nur markiert, sonst hätt ich ihr doch das Rückgrat verletzt!

Erste Tante Das auch noch!

Zauberkönig  klopft Oskar auf die Schulter: Sehr geschickt! Sehr einleuchtend!

Zweite Tante  hilft Marianne beim Aufstehen: Ein so zartes Frauerl – – Haben wir denn noch ein Pfand?

Mathilde Leider! Schluß. Aus!

Zauberkönig Dann hätt ich ein Projekt! Jetzt gehen wir alle baden! Hinein in die kühle Flut! Ich schwitz eh schon wie ein geselchter Aff!

Erich Eine ausgezeichnete Idee!

Mathilde Aber wo sollen sich denn die Damen entkleiden?

Zauberkönig Nichts leichter als das! Die Damen rechts, die Herren links! Also auf Wiedersehen in unserer schönen blauen Donau!

Jetzt spielt das Reisegrammophon den Walzer »An der schönen blauen Donau«, und die Damen verschwinden rechts, die Herren links – – Mathilde und Alfred sind die letzten.

Mathilde Alfred!

Alfred Bitte?

Mathilde  trällert die Walzermelodie nach und zieht sich ihre Bluse aus.

Alfred Nun?

Mathilde  wirft ihm eine Kußhand zu.

Alfred Adieu!

Mathilde Moment! Gefällt dem Herrn Baron das Fräulein Braut?

Alfred  fixiert sie – geht dann rasch auf sie zu und hält knapp vor ihr: Hauch mich an.

Mathilde Wie komm ich dazu!

Alfred Hauch mich an!

Mathilde  haucht ihn an.

Alfred Du Alkoholistin.

Mathilde Das ist doch nur ein Schwips, den ich da hab, du Vegetarianer! Der Mensch denkt und Gott lenkt. Man feiert doch nicht alle Tag Verlobung – – und Entlobung, du Schweinehund – –

Alfred Einen anderen Ton, wenn ich bitten darf!

Mathilde Daß du mich nicht anrührst, daß du mich nicht anrührst – –

Alfred Toll! Als hätt ich dich schon jemals angerührt.

Mathilde Und am siebzehnten März?

Stille.

Alfred Wie du dir alles merkst – –

Mathilde Alles. Das Gute und das Böse – – Sie hält sich plötzlich die Bluse vor. Geh! Ich möcht mich jetzt ausziehen!

Alfred Als hätt ich dich nicht schon so gesehen – –

Mathilde  kreischt: Schau mich nicht so an! Geh! Geh!

Alfred Hysterische Kuh – – Ab nach links.

Mathilde  allein, sieht ihm nach: Luder. Mistvieh. Drecksau. Bestie. Sie zieht sich aus.

Zauberkönig  taucht in Schwimmanzug hinter dem Busch auf und sieht zu. 

Mathilde  hat nun nur mehr das Hemd, Schlüpfer und Strümpfe an; sie entdeckt den Zauberkönig: Jesus Maria Josef! Oh du Hallodri! Mir scheint gar, du bist ein Voyeur – –

Zauberkönig Ich bin doch nicht pervers. Zieh dich nur ruhig weiter aus.

Mathilde Nein, ich hab doch noch mein Schamgefühl.

Zauberkönig Geh in der heutigen Zeit!

Mathilde Aber ich hab halt so eine verflixte Phantasie – – Sie trippelt hinter einen Busch.

Zauberkönig  läßt sich vor dem Busch nieder, entdeckt Mathildens Korsett, nimmt es an sich und riecht daran: Mit oder ohne Phantasie – – diese heutige Zeit ist eine verkehrte Welt! Ohne Treu, ohne Glauben, ohne sittliche Grundsätze. Alles wackelt, nichts steht mehr fest. Reif für die Sintflut – – Er legt das Korsett wieder beiseite, denn es duftet nicht gerade überwältigend. Ich bin nur froh, daß ich die Mariann angebracht hab, eine Fleischhauerei ist immer noch solid – –

Mathildens Stimme Na und die Trafikantinnen?

Zauberkönig Auch! Rauchen und fressen werden die Leut immer – – aber zaubern? Wenn ich mich so mit der Zukunft beschäftig, da wirds mir manchmal ganz pessimistisch. Ich habs ja überhaupt nicht leicht gehabt in meinem Leben, ich muß ja nur an meine Frau selig denken – – diese ewige Schererei mit den Spezialärzten – –

Mathilde  erscheint nun im Badetrikot; sie beschäftigt sich mit dem Schulterknöpfchen: An was ist sie denn eigentlich gestorben?

Zauberkönig  stiert auf ihren Busen: An der Brust.

Mathilde Doch nicht Krebs?

Zauberkönig Doch. Krebs.

Mathilde Ach, die Ärmste.

Zauberkönig Ich war auch nicht zu beneiden. Man hat ihr die linke Brust wegoperiert – – sie ist überhaupt nie gesund gewesen, aber ihre Eltern haben mir das verheimlicht – – Wenn ich dich daneben anschau: stattlich, also direkt königlich – – Eine königliche Person!

Mathilde  macht nun Rumpfbeugen: Was wißt ihr Mannsbilder schon von der Tragödie des Weibes? Wenn wir uns nicht so herrichten und pflegen täten – –

Zauberkönig  unterbricht sie: Glaubst du, ich muß mich nicht pflegen?

Mathilde Das schon. Aber bei einem Herrn sieht man doch in erster Linie auf das Innere – – Sie macht nun in rhythmischer Gymnastik.

Zauberkönig  sieht ihr zu und macht dann Kniebeugen.

Mathilde Hach, jetzt bin ich aber müd! Sie wirft sich neben ihn hin.

Zauberkönig Der sterbende Schwan. Er nimmt neben ihr Platz.

Stille.

Mathilde Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?

Zauberkönig Auf der Alm gibts keine Sünd!

Mathilde tut es: Die Erd ist nämlich noch hart – – heuer war der Winter lang.

Stille.

Mathilde  leise: Du. Gehts dir auch so? Wenn die Sonne auf meine Haut scheint, wirds mir immer so weißnichtwie – –

Zauberkönig Wie? Sags nur.

Stille.

Mathilde Du hast doch zuvor mit meinem Korselett gespielt?

Stille.

Zauberkönig Na und?

Mathilde Na und?

Zauberkönig  wirft sich plötzlich über sie und küßt sie.

Mathilde Gott, was für ein Temperament – – das hätt ich dir gar nicht zugetraut – – Du schlimmer Mensch, du – –

Zauberkönig Bin ich sehr schlimm?

Mathilde Ja – – Nein, du! Halt, da kommt wer! Sie kugeln auseinander.

Erich  kommt in Badehose mit einem Luftdruckgewehr: Verzeihung, Onkel! Du wirst es doch gestatten, wenn ich es mir jetzt gestatte hier zu schießen?

Zauberkönig Was willst du?

Erich Schießen.

Zauberkönig Du willst hier schießen?

Erich Nach der Scheibe auf jener Buche dort. Übermorgen steigt nämlich das monatliche Preisschießen unseres akademischen Wehrverbandes und da möchte ich es mir nur gestatten, mich etwas einzuschießen. Also darf ich?

Mathilde Natürlich!

Zauberkönig Natürlich? Zu Mathilde; er erhebt sich. Natürlich! Wehrverband! Sehr natürlich! Nur das Schießen nicht verlernen – Ich geh mich jetzt abkühlen! In unsere schöne blaue Donau! Für sich. Hängts euch auf. Ab.

Erich  ladet, zielt und schießt.

Mathilde  sieht ihm zu; nach dem dritten Schuß: Pardon, wenn ich Sie molestiere – – was studieren Sie eigentlich?

Erich Jus. Drittes Semester. Er zielt. Arbeitsrecht. Schuß.

Mathilde Arbeitsrecht. Ist denn das nicht recht langweilig?

Erich  ladet: Ich habe Aussicht, dereinst als Syndikus mein Unterkommen zu finden. Er zielt. In der Industrie.

Schuß.

Mathilde Und wie gefällt Ihnen unsere Wiener Stadt?

Erich Herrliches Barock.

Mathilde Und die süßen Wiener Maderln?

Erich Offen gesagt: Ich kann mit jungen Mädchen nichts anfangen. Ich war nämlich schon mal verlobt und hatte nur bittere Enttäuschungen, weil Käthe eben zu jung war, um meinem Ich Verständnis entgegenbringen zu können. Bei jungen Mädchen verschwendet man seine Gefühle an die falsche Adresse. Dann schon lieber eine reifere Frau, die einem auch etwas geben kann.

Schuß.

Mathilde Wo wohnen Sie denn?

Erich Ich möchte gerne ausziehen.

Mathilde Ich hätt ein möbliertes Zimmer.

Erich Preiswert?

Mathilde Geschenkt.

Erich Das träfe sich ja famos! Schuß.

Mathilde Herr Syndikus – – geh lassens mich auch mal schießen – –

Erich Mit Vergnügen!

Mathilde Ganz meinerseits. Sie nimmt ihm das Gewehr ab. Waren Sie noch Soldat?

Erich Leider nein – – ich bin doch Jahrgang 1911.

Mathilde 1911 – – Sie zielt lange.

Erich  kommandiert: Stillgestanden! Achtung! Feuer!

Mathilde  schießt nicht – – langsam läßt sie das Gewehr sinken und sieht ihn ernst an.

Erich Was denn los?

Mathilde Au! Sie krümmt sich plötzlich und wimmert. Ich hab so Stechen –

Stille.

Erich Kann ich Ihnen behilflich sein?

Mathilde  reicht ihm das Gewehr zurück: Da habens Ihr Gewehr. Kommens! Ziehn wir uns lieber an! Sie packt ihn am Arm und ab mit ihm.

Alfred  in Bademantel und Strohhut; begegnet ihnen und grüßt sarkastisch.

Nun ist die Sonne untergegangen, es dämmert und in der Ferne spielt das Reisegrammophon den Frühlingsstimmen-Walzer von Johann Strauß.

Marianne  steigt aus der schönen blauen Donau und erkennt Alfred.

Stille.

Alfred Ich wußte es, daß Sie hier landen werden.

Marianne Woher wußten Sie das?

Alfred Ich wußte es.

Stille.

Marianne Die Donau ist weich wie Samt – –

Alfred Wie Samt.

Marianne Heut möcht ich weit fort – Heut könnt man im Freien übernachten.

Alfred Leicht.

Marianne Ach, wir armen Kulturmenschen! Was haben wir von unserer Natur!

Alfred Was haben wir aus unserer Natur gemacht? Eine Zwangsjacke. Keiner darf, wie er will.

Marianne Und keiner will, wie er darf.

Stille.

Alfred Und keiner darf, wie er kann.

Marianne Und keiner kann, wie er soll –

Alfred  umarmt sie mit großer Gebärde und sie wehrt sich mit keiner Faser – ein langer Kuß.

Marianne  haucht: Ich habs gewußt, ich habs gewußt –

Alfred Ich auch.

Marianne Liebst du mich, wie du solltest –?

Alfred Das hab ich im Gefühl.

Marianne Ich auch – Und abermals ein langer Kuß.

Alfred Komm, setzen wir uns. Sie setzen sich.

Stille.

Marianne Ich bin nur froh, daß du nicht dumm bist – ich bin nämlich von lauter dummen Menschen umgeben. Auch Papa ist kein Kirchenlicht – und manchmal glaube ich sogar, er will sich durch mich an meinem armen Mutterl selig rächen. Die war nämlich sehr eigensinnig.

Alfred Du denkst zuviel.

Marianne Jetzt gehts mir gut. Jetzt möcht ich singen. Immer, wenn ich traurig bin, möcht ich singen – Sie summt und verstummt wieder. Warum sagst du kein Wort?

Stille.

Alfred Liebst du mich?

Marianne Sehr.

Alfred So wie du solltest? Ich meine, ob du mich vernünftig liebst?

Marianne Vernünftig?

Alfred Ich meine, ob du keine Unüberlegtheiten machen wirst – denn dafür könnt ich keine Verantwortung übernehmen.

Marianne Oh Mann grübl doch nicht – – grübl nicht, schau die Sterne – die werden noch droben hängen, wenn wir drunten liegen –

Alfred Ich laß mich verbrennen.

Marianne Ich auch – Du, oh du – Du – –

Stille.

Marianne Du – – wie der Blitz hast du in mich eingeschlagen und hast mich gehalten – jetzt weiß ich es aber ganz genau.

Alfred Was?

Marianne Daß ich ihn nicht heiraten werde –

Alfred Mariann!

Marianne Was hast du denn?

Stille.

Alfred Ich hab kein Geld.

Marianne Oh warum sprichst du jetzt davon?!

Alfred Weil das meine primitivste Pflicht ist! Noch nie in meinem Leben hab ich eine Verlobung zerstört und zwar prinzipiell! Lieben ja, aber dadurch zwei Menschen auseinanderbringen – nein! Dazu fehlt mir das moralische Recht! Prinzipiell!

Stille.

Marianne Ich hab mich nicht getäuscht, du bist ein feiner Mensch. Jetzt fühl ich mich doppelt zu dir gehörig – Ich paß nicht zu Oskar und basta!

Es ist inzwischen finster geworden und nun steigen in der Nähe Raketen.

Alfred Raketen. Deine Verlobungsraketen.

Marianne Unsere Verlobungsraketen.

Alfred Sie werden dich suchen.

Marianne Sie sollen uns finden – Bleib mir, du, dich hat mir der Himmel gesandt, mein Schutzengel –

Jetzt gibt es bengalisches Licht – blau, grün, gelb, rot – und beleuchtet Alfred und Marianne; und den Zauberkönig, der knapp vor ihnen steht mit der Hand auf dem Herz. 

Marianne  schreit unterdrückt auf. Stille.

Alfred  geht auf den Zauberkönig zu: Herr Zauberkönig –

Zauberkönig  unterbricht ihn: Schweigen Sie! Mir brauchen Sie nichts zu erklären, ich hab ja alles gehört – na, das ist ja ein gediegener Skandal! Am Verlobungstag –! Nacket herumliegen! Küßdiehand! Mariann! Zieh dich an! Daß nur der Oskar nicht kommt – Jesus Maria und ein Stückerl Josef!

Alfred Ich trag natürlich sämtliche Konsequenzen, wenn es sein muß.

Zauberkönig Sie haben da gar nichts zu tragen! Sie haben sich aus dem Staube zu machen, Sie Herr! Diese Verlobung darf nicht platzen, auch aus moralischen Gründen nicht! Daß mir keine Seele was erfährt, Sie Halunk – Ehrenwort!

Alfred Ehrenwort!

Marianne Nein!!

Zauberkönig  unterdrückt: Brüll nicht! Bist du daneben? Zieh dich an, aber marsch-marsch! Du Badhur!

Oskar  erscheint und überblickt die Situation:  Marianne! Marianne!

Zauberkönig Krach in die Melon!

Stille.

Alfred Das Fräulein Braut haben bis jetzt geschwommen.

Marianne Lüg nicht! So lüg doch nicht! Nein, ich bin nicht geschwommen, ich mag nicht mehr! Ich laß mich von euch nicht mehr tyrannisieren. Jetzt bricht der Sklave seine Fessel – da! Sie wirft Oskar den Verlobungsring ins Gesicht. Ich laß mir mein Leben nicht verhunzen, das ist mein Leben! Gott hat mir im letzten Moment diesen Mann da zugeführt – Nein, ich heirat dich nicht, ich heirat dich nicht, ich heirat dich nicht!! Meinetwegen soll unsere Puppenklinik verrecken, eher heut als morgen!

Zauberkönig Das einzige Kind! Das werd ich mir merken!

Stille; während zuvor Marianne geschrien hat, sind auch die übrigen Ausflügler erschienen und horchen interessiert und schadenfroh zu.

Oskar  tritt zu Marianne: Mariann. Ich wünsch dir nie, daß du das durchmachen sollst, was jetzt in mir vorgeht – und ich werde dich auch noch weiter lieben, du entgehst mir nicht – und ich danke dir für alles. Ab. Stille.

Zauberkönig  zu Alfred: Was sind Sie denn überhaupt?

Alfred Ich?

Mathilde Nichts. Nichts ist er.

Zauberkönig Ein Nichts. Das auch noch. Ich habe keine Tochter mehr! Ab mit den Ausflüglern – Alfred und Marianne bleiben allein zurück; jetzt scheint der Mond.

Alfred Ich bitte dich um Verzeihung.

Marianne  reicht ihm die Hand.

Alfred Daß ich dich nämlich nicht hab haben wollen – – dafür trägt aber nur mein Verantwortungsgefühl die Verantwortung. Ich bin deiner Liebe nicht wert, ich kann dir keine Existenz bieten, ich bin überhaupt kein Mensch –

Marianne Mich kann nichts erschüttern. Laß mich aus dir einen Menschen machen – du machst mich so groß und weit –

Alfred Und du erhöhst mich. Ich werd ganz klein vor dir in seelischer Hinsicht.

Marianne Und ich geh direkt aus mir heraus und schau mir nach – jetzt, siehst du, jetzt bin ich schon ganz weit fort von mir – ganz dort hinten, ich kann mich kaum mehr sehen – – – – Von dir möcht ich ein Kind haben – –

Ende des zweiten Bildes.


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