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Fünftes Bild

Beim Heurigen. Mit Schrammelmusik und Blütenregen. Große weinselige Stimmung – und mittendrunter drin der Zauberkönig, Mathilde und Erich.

Alles  singt: 

Da draußen in der Wachau
Die Donau fließt so blau,
Steht einsam ein Winzerhaus,
Da schaut mein Mädel heraus.
Hat Lippen rot wie Blut
Und küssen kanns so gut,
Die Augen sind veilchenblau
Vom Mädel in der Wachau.

Es wird ein Wein sein,
Und wir werden nimmer sein.
Es wird schöne Mädeln geben,
Und wir werden nimmer leben – –

Jetzt wirds einen Augenblick totenstill beim Heurigen – – aber dann singt wieder alles mit verdreifachter Kraft.

Drum gehn wir gern nach Nußdorf naus,
Da gibts a Hetz, a Gstanz,
Da hörn wir ferme Tanz,
Da laß ma fesche Jodler naus
Und gengan in der Fruah
Mitn Schwomma zhaus, mitn Schwomma zhaus!

Begeisterung; Applaus; zwischen den Tischen wird getanzt – – alles ist nun schon ziemlich benebelt.

Zauberkönig Bravo, bravissimo! Heut bin ich wieder der Alte! Da capo, da capo! Er greift einem vorübertanzenden Mädchen auf die Brüste.

Der Kavalier des Mädchens  schlägt ihm auf die Hand: Hand von der Putten!

Das Mädchen Das sind doch meine Putten!

Erich Onkel Zauberkönig! Ich gestatte mir hiemit auf den famosen Wiener Heurigen und nicht zu guter Letzt auf dein ganz Spezielles einen exorbitanten Salamander zu reiben – – Heil, heil, heil! Er reibt ihn und verschüttet seinen ganzen Wein.

Mathilde Hojhoj, junger Mann! Nicht so stürmisch! Meiner Seel, jetzt hat er mich ganz bespritzt!

Erich Noch ein Wein! Noch ein Wein, Ober! Der Salamander steigt, Ehrensache! Ober!

Zauberkönig Hat er dich naßgemacht? Armes Waserl!

Mathilde Durch und durch – bis auf die Haut.

Zauberkönig Bis auf deine Haut – –

Mathilde Bist du a schon narrisch?

Erich Ehrensache, Ehrensache! Noch lebt das alte Preußen! Stillgestanden! Er knallt die Haken zusammen und steht still.

Zauberkönig Was hat er denn?

Mathilde Das bin ich schon gewöhnt. Wenn er sich bsoffen hat, dann kommandiert er sich immer selber.

Zauberkönig Wie lang daß der so still stehen kann – Stramm! Sehr stramm! Respekt! Es geht wieder aufwärts mit uns! Er fällt unter den Tisch.

Mathilde Jesus Maria!

Zauberkönig Der Stuhl ist zerbrochen – – einen anderen Stuhl, Herr Ober! He, einen anderen Stuhl!! Er singt mit der Musik. Ach, ich hab sie ja nur auf die Schulter geküßt – – und schon hab ich den Patsch verspürt mit dem Fächer ins Gesicht – –

Der Ober  bringt nun eine Riesenportion Salami.

Mathilde Salami, Erich! Salami!

Erich Batallion! Rührt Euch! Antreten zum Essen fassen!

Er langt mit der Hand in die Schüssel und frißt exorbitant.

Zauberkönig Wie der frißt!

Mathilde Gesegnete Mahlzeit!

Zauberkönig Friß nicht so gierig!

Mathilde Er zahlts ja nicht!

Zauberkönig Und singen kann er auch nicht!

Pause.

Mathilde  zu Erich: Warum singst du eigentlich nicht?

Erich  mit vollem Munde: Weil ich doch an meinem chronischen Rachenkatarrh leide!

Mathilde Das kommt vom vielen Rauchen!

Erich  brüllt sie an: Schon wieder?!

Rittmeister  taucht auf; mit einem Papierhütchen und in gehobener Stimmung: Küßdiehand, schöne Frau Mathilde! A das ist aber ein angenehmer Zufall! Habe die Ehre, Herr Zauberkönig!

Zauberkönig Prost, Herr Rittmeister! Entschuldigens mich nur einen Moment, wo ist denn da das Häusl?

Rittmeister Gleich dort drüben – – neben dem Büffet.

Zauberkönig ab ins Häusl.

Mathilde Darf ich Ihnen etwas von meiner Salami, Herr Rittmeister? Erich bleibt der Brocken im Munde stecken; er fixiert gehässig den Rittmeister.

Rittmeister Zu gütig, küßdiehand! Danke nein, ich kann unmöglich mehr – – Er steckt sich zwei dicke Scheiben in den Mund. Ich hab heut nämlich schon zweimal genachtmahlt, weil ich Besuch hab – – ich sitz dort hinten in der Gesellschaft. Ein Jugendfreund meines in Sibirien vermißten Bruders – – ein Amerikaner.

Mathilde Also ein Mister!

Rittmeister Aber ein geborener Wiener! Zwanzig Jahr war der jetzt drüben in den Staaten, nun ist er zum erstenmal wieder auf unserem Kontinent. Wie wir heut Vormittag durch die Hofburg gefahren sind, da sind ihm die Tränen in den Augen gestanden – – Er ist ein Selfmademan. Selbst ist der Mann!

Mathilde Oh Sie Schlimmer!

Rittmeister Ja. Und jetzt zeig ich ihm sein Wien – – schon den zweiten Tag – – wir kommen aus dem Schwips schon gar nicht mehr raus – –

Mathilde Stille Wasser sind tief.

Rittmeister Nicht nur in Amerika.

Erich  scharf: Tatsächlich?

Pause.

Mathilde Kennen sich die Herren schon?

Rittmeister Vom Sehen aus – –

Erich Sie sind Österreicher? Fesch, aber feig!

Mathilde Erich!

Rittmeister Was hat er gesagt?

Erich Ich habe gesagt, daß die Österreicher im Krieg schlappe Kerle waren und wenn wir Preußen nicht gewesen wären – –

Rittmeister  fällt ihm ins Wort: Dann hätten wir überhaupt keinen Krieg gehabt!

Erich Und Sarajewo? Und Bosnien-Herzegowina?

Rittmeister Was wissen denn Sie schon vom Weltkrieg, Sie Grünschnabel?! Was Sie in der Schul gelernt haben und sonst nichts!

Erich Ist immer noch besser als alten Jüdinnen das Bridgespiel beizubringen!

Mathilde Erich!

Rittmeister Ist immer noch besser, als sich von alten Trafikantinnen aushalten zu lassen!

Mathilde Herr Rittmeister!

Rittmeister Pardon! Das war jetzt ein Fauxpas! Ein Lapsus linguae – – Er küßt ihre Hand. Bedauerlich, sehr bedauerlich! Aber dieser grüne Mensch da hat in seinem ganzen Leben noch keine fünf Groschen selbständig verdient!

Erich Herr!

Mathilde Nur kein Duell, um Gottes Willen!

Erich Satisfaktionsfähig wären Sie ja.

Rittmeister Wollen Sie vors Ehrengericht?

Mathilde Ruhe, die Leut schaun ja schon!

Erich Ich laß mich doch nicht beleidigen!

Rittmeister Mich kann man gar nicht beleidigen! Sie nicht!

Mathilde Aber ich bitt euch! Beim Heurigen!

Rittmeister Ich laß mir doch von diesem Preußen keine solchen Sachen sagen. Wo waren denn Ihre Hohenzollern, als unsere Habsburger schon römisch-deutsche Kaiser waren?! Draußen im Wald!

Erich Jetzt ist es ganz aus.

Rittmeister Da habens zwanzig Groschen und lassen Sie sich mal den Schopf abschneiden, Sie Kakadu!

Der Mister  kommt; er ist besoffen: Oh, lieber guter Freund – – was seh ich da? Gesellschaft? Freunde? Stell mich vor, bitte – – Du lieber guter Freund – – Er umarmt den Rittmeister. 

Erich Ich geh – –

Mathilde Setz dich! Wenn du schon meine Salami frißt, dann kannst du mir auch entgegenkommen – – und halts Maul, sonst schmier ich dir eine – –

Rittmeister Wo steckt denn unser Zauberkönig? Er wird doch nicht ins Häusl gfallen sein – –

Zauberkönig  erscheint: Da bin ich! Ist dir das ein enges Häusl gewesen! Wer ist denn das?

Rittmeister Das ist mein lieber Mister aus Amerika!

Der Mister Amerika! New York! Chikago und Sing-Sing! – – Äußerlich ja, aber da drinnen klopft noch das alte biedere treue goldene Wiener Herz, das ewige Wien – – und die Wachau – – und die Burgen an der blauen Donau – – Er summt mit mit der Musik. Donau so blau, so blau, so blau – –

Alle  summen mit und wiegen sich auf den Sitzgelegenheiten.

Der Mister Meine Herrschaften! Es hat sich vieles verändert in der letzten Zeit, Stürme und Windhosen sind über die Erde gebraust, Erdbeben und Tornados und ich hab ganz von unten anfangen müssen, aber hier bin ich zhaus, hier kenn ich mich aus, hier gefällt es mir, hier möcht ich sterben! Oh, du mein lieber altösterreichischer Herrgott aus Mariazeil!

Er singt.

Mein Muatterl war a Wienerin, drum hab i Wien so gern
Sie wars, die mit dem Leben mir die Lieb hat gegeben
Zu meinem anzigen goldenen Wean!

Alles  natürlich ohne Erich, singt:

Wien, Wien, nur Du allein
Sollst stets die Stadt meiner Träume sein,
Dort, wo ich glücklich und selig bin
Ist Wien, ist Wien, mein Wien!

Der Mister Wien soll leben! Die Heimat! Und die schönen Wiener Frauen! Und der Heimatgedanke! Und wir Wiener sollen leben – – alle, alle!

Alle  außer Erich: Hoch! Hoch! Hoch!

Allgemeines Saufen.

Mathilde Erich! Sauf!

Erich Nein! Ehrensache!

Mathilde Soll ich denn noch Salami bestellen?

Erich Diese Randbemerkung ehrt Ihre niedrige Gesinnung, Gnädigste!

Mathilde Bleib!

Erich Stillgestanden! Ganze Abteilung – – kehrt!

Mathilde Halt!

Erich Abteilung – – marsch! Ab.

Mathilde Herstellt Euch! Herstellt Euch!

Zauberkönig So laß doch den Bsoffenen! Eine Verwandtschaft hab ich!

Mathilde Ich werd ihn wohl ganz lassen – – ich sehs schon direkt kommen – –

Zauberkönig Na du als stattliche Person – – Dich hätt ich heiraten sollen, mit dir hätt ich ein ganz anderes Kind gekriegt – –

Mathilde Red nicht immer von Irene! Ich hab sie nie ausstehen können!

Der Mister Wer ist Irene?

Zauberkönig Irene war meine Frau.

Der Mister Oh pardon!

Zauberkönig Oh bitte – – und warum soll ich denn nicht auf die Iren schimpfen? Bloß weil sie schon tot ist?! Mir hat sie das ganze Leben verpatzt!

Mathilde Du bist ein dämonischer Mensch!

Zauberkönig  singt:

Mir ist mei Alte gstorbn
Drum ist mirs Herz so schwer
A so a gute Seel krieg ich not mehr,
Muß so viel wana
Das glaubt mir kana,
Daß ich mich kränk
Wann ich an mei Alte denk! Hallo!

Der Mister  schnellt empor: Hallo! Hallo! Wenn mich nicht alles täuscht, so fängt es jetzt an zu regnen! Aber wir lassen uns vom Wetter nichts dreinreden! Heut wird noch gebummelt und wenns Schusterbuben regnen sollte! Wir lassen und lassen uns das nicht gefallen! Er droht mit dem Zeigefinger nach dem Himmel.  Oh du regnerischer Himmelvater du! Darf ich euch alle einladen? Alle, alle!!

Alle Bravo, bravo!!

Der Mister Also auf! Vorwärts! Mir nach!

Mathilde Wohin?

Der Mister Irgendwohin! Wo wir einen Plafond über uns haben! Wo wir nicht so direkt unterm Himmel sitzen! Auf ins Moulin-bleu!

Starker Applaus.

Rittmeister Halt! Nicht ins Moulin-bleu, liebe Leutl! Dann schon eher ins Maxim!

Und wieder wird es einen Augenblick totenstill.

Zauberkönig Warum denn ins Maxim?

Rittmeister Weil es dort ganz besondere Überraschungen geben wird.

Zauberkönig Was für Überraschungen?

Rittmeister Pikante. Sehr pikante – –

Stille.

Zauberkönig Also auf ins Maxim!

Alle Ins Maxim!

Sie marschieren mit aufgespannten Regenschirmen und singen:

Vindobona, du herrliche Stadt
Die so reizende Anlagen hat,
Dir ghört stets nur unser Sinn
Ja zu dir ziagst uns hin,
San ma von dir oft fern
Denkn ma do ans liebe Wean,
Denn du bleibst die Perle von Österreich
Dir is gar ka Stadt net gleich!

Die Mizzi und der Jean
Gehn miteinander drahn
Wir sind ja nicht aus Stroh,
Sind jung und lebensfroh
Net immer Schokoladi
Heut gehen wir zum »Brady«
Oder zum »Maxim«
Heut sind wir einmal schlimm!

Jetzt trink ma noch a Flascherl Wein, Hollodero!
Es muß ja not das letzte sein, Hollodero!
Und ist das gar, gibts ka Geniern, Hollodero!
So tun wir noch mal repetiern, aber noch mal repetiern!

Gong. – Die Bühne verwandelt sich nun ins »Maxim« mit einer Bar und Separees; im Hintergrunde eine Cabaretbühne mit breiter Rampe – Alles schließt die Regenschirme und nimmt nun Platz an den Tischen, und zwar in aufgeräumtester Stimmung.

Der Conferencier  tritt vor den Vorhang: Meine Sehrverehrten! Meine Herrschaften! Entzückende Damen und noch entzückendere Herren!

Mathilde Oho!

Gelächter.

Der Conferencier Ich begrüße Sie auf das allerherzlichste im Namen meiner Direktion! Schon Johann Wolfgang von Goethe, der Dichterfürst, sagt in seinem Meisterwerk, unserem unsterblichen Faust: Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen! In diesem Sinne, meine Sehrverehrten: Nummer auf Nummer! Das ist Tradition bei uns im Maxim! Und nun aber erst die nächste Attraktion! Bitte treten Sie mit mir ein in den Himmel der Erinnerung! Ab.

Musiktusch; Applaus; Vorhang hoch; Bühnenbild: Schönbrunn – und mit dem Hoch- und Deutschmeistermarsch marschiert eine Abteilung Mädchen auf die Bühne, und von der Bühne hinab in den Zuschauerraum und wieder retour; bekleidet sind sie mit Büstenhaltern, Schwimmhosen aus Spitzen, Stiefeln und friderizianischen Helmen – – die Anführerin trägt einen Säbel, die anderen Gewehre, mit ihrem schrillen Sopran dirigiert die Anführerin durch Kommandorufe das Ballett: »Rechts um! Links um! Hab acht! Legt an! Feuer! Zum Sturm – – arsch-arsch! Kehrt euch! Rumpfbeuge! Angetreten! Präsentiert das Gewehr!« – Sie schreitet die Front ab, frenetischer Beifall des Publikums – – dann kommandiert sie wieder: »Kompanie – arsch!« – – und die Mädchen marschieren singend: »Wir sind vom ka und ka Infanterie Regiment, Hoch und Deutschmeister Nummero vier, aber stier!« – – Vorhang; rasende Begeisterung im Publikum. – Musik spielt nun den Radetzkymarsch.

Zauberkönig  zum Rittmeister: Aber was redens denn da, Herr? Also das steht doch schon felsenfest, daß wir Menschen mit der Tierwelt verwandt sind!

Rittmeister Das ist Auffassungssache!

Zauberkönig Oder glaubens denn gar noch an Adam und Eva?

Rittmeister Wer weiß!

Der Mister  zu Mathilde: Du Wildkatz!

Zauberkönig Wildkatz! Oder gar ein Leopard!

Mathilde Prost Zauberkönig!

Zauberkönig Der Herr Rittmeister sind ein Fabelwesen und du hast was von einem Känguruh an dir und der Mister ist ein japanischer Affenpintscher!

Der Mister  lacht keineswegs: Fabelhafter Witz, fabelhafter Witz!

Zauberkönig Na und ich?!

Mathilde Ein Hirsch! Ein alter Hirsch! Prost alter Hirsch!

Brüllendes Gelächter – – nun klingelt das Tischtelefon – –

Stille.

Zauberkönig  am Apparat: Ja hallo – – Wie? Wer spricht? Mausi? – – Mausi kenn ich nicht, wie? – – Ach so! Jaja, das bin ich schon, ich bin schon dein Onkel – – Was soll ich? A du Schweinderl, du herziges – – Wo? An der Bar? Im grünen Kleid? – – Was? Du bist noch eine Jungfrau? Und das soll dir dein Onkel glauben? Na ich werd da mal nachkontrollieren – – Bussi, Bussi – – – – – Er hängt ein und leert sein Glas Schampus, den der Mister hat auffahren lassen.

Mathilde Trink nicht soviel, Leopold!

Zauberkönig Du kannst mir jetzt auf den Hut steigen! Er erhebt sich.  Für uns alte Leut ist ja der Alkohol noch die einzige Lebensfreud! Wo ist die Bar?

Mathilde Was für eine Bar?

Zauberkönig Wo ist die Bar, Kruzitürken?!

Rittmeister Ich werd Sie hinführen – –

Zauberkönig Ich find schon selber hin – – ich brauch keinen Kerzenhalter! Kommens, führens mich! Er läßt sich vom Rittmeister an die Bar führen, wo ihn bereits zwei Mädchen erwarten – die eine im grünen Kleid nimmt ihn gleich herzlichst in Empfang; auch der Rittmeister bleibt an der Bar.

Der Mister  zu Mathilde: Was ist der Herr eigentlich?

Mathilde Ein Zauberkönig.

Der Mister Ach!

Mathilde Ja. Sonst ist er ja ein seltener Mensch, bescheiden und anständig, der echte Bürger vom alten Schlag – Diese Sorte stirbt nämlich aus.

Der Mister Leider!

Mathilde Heut ist er ja leider besoffen – –

Der Mister Wie Sie das wieder sagen! Was für ein Charme! Bei uns in Amerika ist halt alles brutaler.

Pause.

Mathilde Was wiegen Sie?

Der Mister Zweihundertachtzehn Pfund.

Mathilde Oh Gott!

Der Mister Darf ich ganz offen sein?

Mathilde Man bittet darum.

Der Mister Ich bin kompliziert.

Mathilde Wieso?

Der Mister Ich bin nämlich innerlich tot. Ich kann halt nurmehr mit den Prostituierten was anfangen – das kommt von den vielen Enttäuschungen, die ich schon hinter mir hab.

Mathilde Jetzt sowas. Eine so zarte Seele in so einem mächtigen Körper – –

Der Mister Ich hab den Saturn als Planeten.

Mathilde Ja, diese Planeten! Da hängt man damit zusammen und kann gar nichts dafür!

Gong.

Der Conferencier  tritt vor den Vorhang: Meine Sehrverehrten! Und abermals gibts eine herrliche Nummer! Was soll ich viele Worte machen, urteilen Sie selbst über unsere sensationellen, von ersten Künstlern entworfenen hochkünstlerischen lebendigen Aktplastiken! Als erstes: Donaunixen! Darf ich bitten, Herr Kapellmeister!

Die Kapelle spielt nun den Walzer »An der schönen blauen Donau« und es wird stockfinster im Zuschauerraum, dann teilt sich der Vorhang und man sieht drei halbnackte Mädchen, deren Beine in Schwanzflossen stecken – – Eine hält eine Leier in der Hand – – alle sind malerisch gruppiert vor einem schwarzen Vorhang im grünen Scheinwerferlicht; von der Bar her hört man des Zauberkönigs Stimme: »Nackete Weiber, sehr richtig!« – – der Vorhang schließt sich, starker Applaus. Gong.

Der Conferencier  erscheint wieder vor dem Vorhang: Das zweite Bild: unser Zeppelin!

Bravorufe.

Der Conferencier Darf ich bitten, Herr Kapellmeister! Und nun ertönt der »Fridericus rex« – und auf der Bühne stehen drei nackte Mädchen – – die Erste hält einen Propeller in den Händen, die Zweite einen Globus und die Dritte einen kleinen Zeppelin – – das Publikum rast vor Beifall, schnellt von den Sitzen in die Höhe und singt die erste Strophe des Deutschlandliedes, worauf es sich wieder beruhigt. Gong.

Der Conferencier  wieder vor dem Vorhang: Und nun, meine Sehrverehrten, das dritte Bild: Die Jagd nach dem Glück!

Totenstille.

Der Conferencier Darf ich bitten, Herr Kapellmeister – – Die »Träumerei« von Schumann erklingt und der Vorhang teilt sich zum dritten Male – – eine Gruppe nackter Mädchen, die sich gegenseitig niedertreten, versucht einer goldenen Kugel nachzurennen, auf welcher das Glück auf einem Beine steht – – das Glück ist ebenfalls unbekleidet und heißt Marianne.

Mathilde  schreit gellend auf im finsteren Zuschauerräume: Marianne! Jesus Maria Josef! Marianne!!

Marianne  erschrickt auf ihrer Kugel, zittert, kann das Gleichgewicht nicht mehr halten, muß herab und starrt, geblendet vom Scheinwerfer, in den dunklen Zuschauerraum.

Der Mister Was denn los?

Mathilde  außer sich: Marianne, Marianne, Marianne!

Der Mister  wird wütend: Brüll nicht! Bist denn plemplem!

Mathilde Marianne!

Der Mister Kusch! Da hast du deine Marianne! Er boxt ihr in die Brust.

Mathilde  schreit.

Große Unruhe im Publikum; Rufe: »Licht! Licht!«

Der Conferencier  stürzt auf die Bühne: Vorhang! Was ist denn los?! Licht! Vorhang! Licht!

Der Vorhang fällt vor der starr in den Zuschauerraum glotzenden Marianne, die übrigen Mädchen sind bereits unruhig ab – – und nun wird es licht im Zuschauerraum, und wieder für einen Augenblick totenstill; alles starrt auf Mathilde, die mit dem Gesicht auf dem Tisch liegt, hysterisch und besoffen, weint und schluchzt.

Zauberkönig  steht an der Bar und hält die Hand auf sein Herz.

Mathilde  wimmert: Die Mariann – – die Mariann – – die liebe kleine Mariann – – oh, oh, oh – – ich hab sie ja schon gekannt, wie sie noch fünf Jahr alt war, meine Herren!

Der Conferencier Von wem redet sie da?

Der Mister Keine Ahnung!

Der Conferencier Hysterisch?

Der Mister Epileptisch!

Eine gemütliche Stimme So werfts es doch naus, die bsoffene Bestie!

Mathilde Ich bin nicht besoffen, meine Herren! Ich bin das nicht – – nein, nein, nein! Sie schnellt empor und will hinaus laufen, stolpert aber über ihre eigenen Füße, stürzt und reißt einen Tisch um – – jetzt hat sie sich blutig geschlagen. Nein, das halt ich nicht aus, ich bin doch nicht aus Holz, das halt ich nicht aus, das halt ich nicht aus! Sie rast brüllend nachhaus.

Alle  außer dem Zauberkönig sehen ihr perplex nach. Stille, dann: Gong.

Der Conferencier  springt auf einen Stuhl: Meine Sehrverehrten! Damen und Herren! Das war nun der Schluß unseres offiziellen Programms – und nun beginnt in der Bar der inoffizielle Teil! Man hört aus der Bar die Tanzmusik. Im Namen meiner Direktion danke ich Ihnen für den zahlreichen Besuch und wünsche Ihnen eine recht gute Nacht! Auf Wiedersehen, meine Herrschaften!

Die Herrschaften  räumen allmählich das Lokal.

Zauberkönig Herr Rittmeister –

Rittmeister Bitte?

Zauberkönig Also deshalb wollten Sie nicht ins Moulin-bleu, sondern hier – – Das waren also Ihre bewußten pikanten Überraschungen, ich hab ja gleich so eine komische Aversion gehabt – – so eine Ahnung, daß mir nichts Gutes bevorsteht – –

Rittmeister Ich wußte es, daß das Fräulein Mariann hier auftritt – – ich war nämlich schon öfters da – – erst gestern wieder – – und ich kann es halt nicht mehr länger mitansehen! Ihr steinernes Herz – –

Zauberkönig Mischen Sie sich nicht in wildfremde Familienangelegenheiten, Sie Soldat!

Rittmeister Meine menschliche Pflicht – –

Zauberkönig  unterbricht ihn: Was ist das?

Rittmeister Sie sind kein Mensch!

Zauberkönig Also das hör ich gern! Schon sehr gern! Was soll ich denn schon sein, wenn ich kein Mensch bin, Sie?! Vielleicht ein Vieh?! Das tat Ihnen so passen! Aber ich bin kein Vieh und hab auch keine Tochter, bitt ich mir aus!!

Rittmeister Jetzt hab ich hier nichts mehr verloren. Er verbeugt sich steif und ab.

Zauberkönig Und ich werd mir vielleicht noch was holen! Ich bin in einer Untergangsstimmung, Herr Mister! Jetzt möcht ich Ansichtskarten schreiben, damit die Leut vor Neid zerplatzen, wenn sie durch mich selbst erfahren, wie gut daß es mir geht!

Der Mister Ansichtskarten! Glänzende Idee! Das ist eine Idee! Ansichtskarten, Ansichtskarten! Er kauft einer Verkäuferin gleich einen ganzen Stoß ab, setzt sich dann abseits an einen Tisch und schreibt – – nun ist er allein mit dem Zauberkönig; aus der Bar tönt Tanzmusik.

Marianne  kommt langsam in einem Bademantel und bleibt vor dem Zauberkönig stehen.

Zauberkönig  starrt sie an, betrachtet sie von oben bis unten – dreht ihr den Rücken zu.

Pause.

Marianne Warum hast du meine Briefe nicht gelesen? Ich hab dir drei Briefe geschrieben. Aber du hast sie nicht aufgemacht und hast sie zurückgehen lassen.

Pause.

Ich hab dir geschrieben, daß er mich verlassen hat – –

Zauberkönig  wendet sich langsam ihr zu und fixiert sie gehässig: Das weiß ich. Er dreht ihr wieder den Rücken zu.

Pause.

Marianne Weißt du auch, daß ich ein Kind hab – – ?

Zauberkönig Natürlich!

Pause.

Marianne Es geht uns sehr schlecht, mir und dem Bubi – –

Zauberkönig Wer nicht hören will, muß fühlen! Schluß jetzt! Er erhebt sich, muß sich aber gleich wieder setzen.

Marianne Du bist ja betrunken, Papa – –

Zauberkönig Also werd nur nicht ordinär! Ich bin nicht dein Papa, ein für allemal! Und nur nicht ordinär, sonst – – Er macht die Geste des Ohrfeigens. Denk lieber an dein Mutterl selig! Die Toten hören alles!

Marianne Wenn mein Mutterl noch leben würde – –

Zauberkönig Laß dein Mutterl aus dem Spiel, bitt ich mir aus! Wenn sie dich so gesehen hätt, so nacket auf dem Podium herumstehen – – Dich den Blicken der Allgemeinheit preisgeben – – Ja schämst dich denn gar nicht mehr? Pfui Teufel!

Marianne Nein. Das kann ich mir nicht leisten, daß ich mich schäm.

Stille.

Die Musik in der Bar ist nun verstummt.

Marianne Ich verdien hier zwei Schilling pro Tag. Das ist nicht viel, zusammen mit Bubi – – Was kann ich denn aber auch anderes unternehmen? Du hast mich ja nichts lernen lassen, nicht einmal meine rhythmische Gymnastik, du hast mich ja nur für die Ehe erzogen – –

Zauberkönig Oh du miserables Geschöpf! Jetzt bin ich noch schuld!

Marianne Hör mal Papa – –

Zauberkönig  unterbricht sie: Ich bin kein Papa!

Marianne  schlägt mit der Faust auf den Tisch: Still! Du bist doch mein Papa, wer denn sonst?! Und hör jetzt mal – – wenn das so weitergeht, ich kann nichts verdienen – – und auf den Strich gehen kann ich nicht, ich kann das nicht, ich habs ja schon versucht, aber ich kann mich nur einem Manne geben, den ich aus ganzer Seele mag – – – – ich hab ja als ungelernte Frau sonst nichts zu geben – – – – – dann bleibt mir nur der Zug.

Zauberkönig Was für ein Zug?

Marianne Der Zug. Mit dem man wegfahren kann. Ich werf mich noch vor den Zug – –

Zauberkönig So! Das auch noch. Das willst du mir also auch noch antun – Er weint plötzlich. Oh, du gemeines Schwein, was machst du denn mit mir auf meine alten Tag? Eine Schande nach der anderen – oh, ich armer alter Mensch, mit was hab ich denn das verdient?!

Marianne  scharf: Denk nicht immer an dich!

Zauberkönig  hört auf zu weinen, starrt sie an; wird wütend: So wirf dich doch vor den Zug! Wirf dich doch, wirf dich doch! Samt deiner Brut!! – – – – – Oh, mir ist übel – – übel – – – – – Wenn ich nur brechen könnt – – Er beugt sich über den Tisch.

Marianne  betrachtet ihn – – aus der Bar ertönt nun wieder Tanzmusik; plötzlich entschlossen will sie rasch ab.

Der Mister  tritt ihr in den Weg; er ist fertig mit seiner Ansichtskartenschreiberei: Ah, eine Primadonna – – Er betrachtet sie lächelnd. Sagen Sie – – haben Sie nicht zufällig einige Briefmarken bei sich?

Marianne Nein.

Der Mister  langsam: Nämlich ich brauche zehn Zwanziggroschenmarken und zahle dafür fünfzig Schilling.

Pause

Der Mister Sechzig Schilling.

Pause

Der Mister  nimmt seine Brieftasche heraus: Da sind die Schilling und da sind die Dollars – –

Marianne Zeigen Sie.

Der Mister  reicht ihr die Brieftasche.

Pause.

Marianne Sechzig?

Der Mister  Fünfundsechzig.

Marianne Das ist viel Geld.

Der Mister Das will verdient sein.

Stille. – – Mit der Tanzmusik ist es nun wieder vorbei. 

Marianne Nein. Danke. Sie gibt ihm die Brieftasche zurück.

Der Mister Was heißt das?

Marianne Ich kann nicht. Sie haben sich in mir geirrt, Herr – –

Der Mister  packt sie plötzlich am Handgelenk und brüllt: Halt! halt, du hast mich jetzt bestohlen, du Dirne! Diebin, Verbrecherin! Hand aufmachen – auf!

Marianne Au!

Der Mister Da! Hundert Schilling! Meinst ich merk das nicht. Du blöde Hur!? Er gibt ihr eine Ohrfeige. Polizei! Polizei!!

Alles  erscheint aus der Bar.

Zauberkönig Was ist denn los, um Gottes Christi Willen?!

Der Mister Diese Hur da hat mich bestohlen! Hundert Schilling, hundert Schilling! Polizei!

Zauberkönig Aber das gibts doch nicht – – Mariann!!

Marianne  reißt sich vom Mister los: Ihr sollt mich nicht mehr schlagen! Ich will nicht mehr geschlagen werden!

Zauberkönig  mit der Hand am Herz: Das auch noch! Er bricht zusammen.

Der Conferencier Wasser! Wasser! Er bemüht sich um den Zauberkönig.

Stille.

Der Mister Was ist? Ist ihm schlecht?

Der Conferencier Nein. Das ist ein Schlaganfall!

Marianne  brüllt: Papa! Papa!!

Ende des fünften Bildes.


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