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Viertes Bild

Und wieder in der stillen Straße im achten Bezirk, vor Oskars Fleischhauerei, der Puppenklinik und Frau Mathildes Tabak-Trafik. Die Sonne scheint wie dazumal und auch die Realschülerin im zweiten Stock spielt noch immer die »Geschichten aus dem Wiener Wald« von Johann Strauß.

Havlitschek  steht in der Türe der Fleischhauerei und frißt Wurst.

Das Fräulein Emma  ein Mädchen für alles, steht mit einer Markttasche neben ihm; sie lauscht der Musik: Herr Havlitschek –

Havlitschek Ich bitte schön?

Emma Musik ist doch etwas Schönes, nicht?

Havlitschek Ich könnt mir schon noch etwas Schöneres vorstellen, Fräulein Emma.

Emma  summt leise den Walzer mit.

Havlitschek Das tat nämlich auch von Ihnen abhängen, Fräulein Emma.

Emma Mir scheint gar, Sie sind ein Casanova, Herr Havlitschek.

Havlitschek Sagens nur ruhig Ladislaus zu mir.

Pause.

Emma Gestern hab ich von Ihrem Herrn Oskar geträumt.

Havlitschek Haben Sie sich nix Gscheiteres träumen können?

Emma Der Herr Oskar hat immer so große melancholische Augen – es tut einem direkt weh, wenn er einen anschaut –

Havlitschek Das macht die Liebe.

Emma Wie meinen Sie das jetzt?

Havlitschek Ich meine das jetzt so, daß er in ein nichtsnutziges Frauenzimmer verliebt ist – die hat ihn nämlich sitzen lassen, schon vor anderthalb Jahr, und ist sich mit einem andern Nichtsnutzigen auf und davon.

Emma Und er liebt sie noch immer? Das find ich aber schön.

Havlitschek Das find ich blöd.

Emma Aber eine große Leidenschaft ist doch was Romantisches –

Havlitschek Nein, das ist etwas Ungesundes! Schauns doch nur, wie er ausschaut, er quält sich ja direkt selbst – – es fällt ihm schon gar keine andere Frau mehr auf, und derweil hat er Geld wie Heu und ist soweit auch ein Charakter, der könnt doch für jeden Finger eine gute Partie haben – – aber nein! Akkurat auf die läufige Bestie hat er sich versetzt – – weiß der Teufel, was er treibt!

Emma Wie meinen Sie das jetzt wieder, Herr Havlitschek?

Havlitschek Ich meine das so, daß man es nicht weiß, wo er es hinausschwitzt.

Emma Oh Sie garstiger Mann!

Pause.

Havlitschek Fräulein Emma. Morgen ist Feiertag und ich bin an der Endhaltestelle von der Linie achtundsechzig.

Emma Ich kann aber nicht vor drei.

Havlitschek Das soll kein Hindernis sein.

Pause.

Emma Also um halbvier – – und vergessens aber nur ja nicht, was Sie mir versprochen haben – – daß Sie nämlich nicht schlimm sein werden, lieber Ladislaus – – Ab.

Havlitschek  sieht ihr nach und spuckt die Wursthaut aus: Dummes Luder, dummes – –

Oskar  tritt aus seiner Fleischhauerei: Daß du es nur ja nicht vergißt: wir müssen heut noch die Sau abstechen – – Stichs du, ich hab heut keinen Spaß daran.

Pause.

Havlitschek Darf ich einmal ein offenes Wörterl reden, Herr Oskar?

Oskar Dreht sichs um die Sau?

Havlitschek Es dreht sich schon um eine Sau, aber nicht um dieselbe Sau – – Herr Oskar, bittschön nehmens Ihnen das nicht so zu Herzen, das mit Ihrer gewesenen Fräulein Braut, schauns, Weiber gibts wie Mist! Ein jeder Krüppel findt ein Weib und sogar die Geschlechtskranken auch! Und die Weiber sehen sich ja in den entscheidenden Punkten alle ähnlich, glaubens mir, ich meine es ehrlich mit Ihnen! Die Weiber haben keine Seele, das ist nur äußerliches Fleisch! Und man soll so ein Weib auch nicht schonend behandeln, das ist ein Versäumnis, sondern man soll ihr nur gleich das Maul zerreißen oder so!

Pause.

Oskar Das Weib ist ein Rätsel, Havlitschek. Eine Sphinx. Ich hab mal der Mariann ihre Schrift zu verschiedenen Graphologen getragen – – und der erste hat gesagt, also das ist die Schrift eines Vampyrs, und der zweite hat gesagt, das ist eine gute Kameradin, und der dritte hat gesagt, das ist die ideale Hausfrau in persona. Ein Engel.

Rittmeister  kommt von links und grüßt Oskar.

Oskar und Havlitschek  verbeugen sich.

Rittmeister Also das muß ich schon sagen: die gestrige Blutwurst – Kompliment! First class!

Havlitschek Zart, nicht?

Rittmeister Ein Gedicht! Er nähert sich der Tabak-Trafik.

Havlitschek  ab in die Fleischhauerei.

Mathilde  erscheint in der Tür ihrer Tabak-Trafik.

Rittmeister  grüßt.

Mathilde  dankt. 

Rittmeister Dürft ich mal die Ziehungsliste?

Mathilde  reicht sie ihm aus dem Ständer vor der Tür.

Rittmeister Küßdiehand! Er vertieft sich in die Ziehungsliste und nun ist der Walzer aus.

Erich  tritt aus der Tabak-Trafik, grüßt Mathilde und will ab.

Mathilde Halt! Was hast du da?

Erich Fünf Memphis.

Mathilde Schon wieder? Raucht wie ein Erwachsener!

Rittmeister und Oskar  horchen.

Erich  gedämpft: Wenn ich nicht rauche, kann ich nicht arbeiten. Wenn ich nicht arbeite, werde ich niemals Referendar – – und wenn ich das nicht werde, dann werde ich wohl kaum jemals in die Lage kommen, meine Schulden rückerstatten zu können.

Mathilde Was für Schulden?

Erich Das weißt du! Ich bin korrekt, Madame.

Mathilde Du willst mir schon wieder weh tun?

Erich Ehrensache! Ich zahle meine Schulden bis auf den letzten Pfennig – – und wenn ich auch hundert Jahr zahlen müßte! Wir lassen uns nichts nachsagen, Ehrensache! Ich muß jetzt ins Kolleg! Ab.

Mathilde  starrt ihm nach: Mistvieh! Verbrecher. Ehrensache. Bestie – –

Rittmeister und Oskar  grinsen, jeder für sich.

Zauberkönig  begleitet die gnädige Frau aus der Puppenklinik.

Die gnädige Frau Ich hatte hier schon mal Zinnsoldaten gekauft, vor gut anderthalb Jahr – – aber damals ist das ein sehr höfliches Fräulein gewesen.

Zauberkönig  mürrisch: Möglich.

Die gnädige Frau Das Fräulein Tochter?

Zauberkönig Nein!

Die gnädige Frau Schad. Also Sie wollen mir die Schachtel Zinnsoldaten nicht nachbestellen?

Zauberkönig Ich hab das Ihnen doch schon drinnen gesagt, daß mir diese Nachbestellerei vielzuviel Schreiberei macht – – wegen einer einzigen Schachtel! Kaufens doch dem herzigen Barns was ähnliches! Vielleicht eine gediegene Trompeten!

Die gnädige Frau Nein! Adieu! Sie läßt ihn verärgert stehen und ab.

Zauberkönig  Küßdiehand! Krepier! Er nähert sich Oskar und spricht mit ihm.

Rittmeister  zu Mathilde; boshaft: Und wie gehts ansonsten, Frau Mathild?

Mathilde  revanchiert sich: Was haben wir denn wieder gewonnen, Herr Rittmeister?

Rittmeister  reicht ihr die Ziehungsliste zurück: Es ist das ein Unrecht auf dieser Welt. Oder finden Sie das für in Ordnung, wie Seine Majestät der Herr Zauberkönig das Fräulein Mariann behandelt – – ich versteh sowas nicht. Wenn ich Großpapa war – – und abgesehen davon, man kann doch leicht straucheln. Aber dann direkt verkommen lassen – –

Mathilde Wissen Sie was Näheres, Herr Rittmeister?

Rittmeister Ich hab mal eine Frau Oberst gehabt, das heißt: das ganze Regiment hat sie gehabt – was sag ich da?! Sie war die Frau unseres Obersten – und der Oberst hatte ein uneheliches Kind mit einer vom Varieté, aber die Frau Oberst hat es in ihr Haus genommen, als wärs ihr eigen Fleisch und Blut, weil sie halt unfruchtbar war – – Aber wenn man daneben dieses zauberkönigliche Verhalten dort drüben betrachtet – – na servus!

Mathilde Ich versteh Sie nicht, Herr Rittmeister. Was hat denn die Frau Oberst mit der Mariann zu tun?

Rittmeister Wir verstehen uns alle nicht mehr, liebe Frau Mathild! Oft verstehen wir uns schon selber nicht mehr. Ich sag ja: wenn Österreich-Ungarn den Krieg nicht verloren hätt – –

Mathilde Wo steckt denn die Mariann?

Rittmeister  lächelt geheimnisvoll: Das wird man schon nochmal offiziell bekannt geben – – im geeigneten Moment. Also habe die Ehre, Frau Mathild. Ab.

Zauberkönig  zu Oskar: Ja, ja, Europa muß sich schon einigen, denn beim nächsten Krieg gehen wir alle zugrund – – aber kann man sich alles bieten lassen?! Was sich da nur die Tschechen wieder herausnehmen! Ich sag dir heut: morgen gibts wieder einen Krieg! Und den muß es auch geben! Krieg wirds immer geben!

Oskar Das schon. Aber das wär halt das Ende unserer Kultur.

Zauberkönig Kultur oder nicht Kultur – – Krieg ist ein Naturgesetz! Akkurat wie die liebe Konkurrenz im geschäftlichen Leben! Ich für meine Person bin ja konkurrenzlos, weil ich ein Spezialgeschäft bin. Trotzdem geh ich zugrund. Ich kanns halt allein nicht mehr schaffen, mich macht schon jeder Käufer nervös – – Früher, da hab ich eine Frau gehabt, und wie die angefangen hat zu kränkeln, da ist die Mariann schon so groß gewesen – –

Oskar Wie groß?

Zauberkönig So groß.

Stille.

Oskar Wenn ich Großpapa wär – –

Zauberkönig  unterbricht ihn: Ich bin aber kein Großpapa, bitt ich mir aus!

Oskar Pardon!

Stille.

Zauberkönig Apropos was ich noch hab sagen wollen: du schlachst doch heut noch die Sau?

Oskar Ich habs vor.

Zauberkönig Geh reservier für mich ein schönes Stückerl Nieren –

Oskar Gern!

Zauberkönig  Küßdiehand! Ab in seine Puppenklinik – jetzt spielt die Realschülerin im zweiten Stock wieder, und zwar den Walzer »Über den Wellen«.

Alfred  kommt langsam von links.

Oskar  wollte zurück in seine Fleischhauerei, erblickt nun aber Alfred, der ihn nicht bemerkt, und beobachtet ihn heimlich.

Alfred  hält vor der Puppenklinik, macht in Erinnerung – dann stellt er sich vor die offene Türe der Tabak-Trafik und starrt hinein.

Pause.

Alfred  grüßt.

Pause.

Mathilde  die während Oskar mit dem Zauberkönig diskutierte, in ihre Tabak-Trafik verschwand, tritt nun langsam in die Türe – – und der Walzer bricht wieder ab, wieder mitten im Takt.

Stille.

Alfred Könnt ich fünf Memphis haben?

Mathilde Nein.

Stille.

Alfred Das ist aber doch hier eine Tabak-Trafik – – oder?

Mathilde Oder.

Stille.

Alfred Ich komm jetzt hier nur so vorbei, per Zufall – –

Mathilde Ach!

Alfred Ja.

Stille.

Mathilde Und wie geht es denn dem Herrn Baron?

Alfred So lala.

Mathilde Ach! Und dem Fräulein Braut?

Alfred Das ist nämlich aus. Schon seit Mitte Juni.

Mathilde Ach!

Stille.

Alfred Und dir gehts unberufen?

Mathilde Man hat, was man braucht.

Alfred Alles?

Mathilde Alles. Er ist Jurist.

Alfred Und sowas wird mal Richter.

Mathilde Bitte?

Alfred Ich gratulier.

Mathilde Wo steckt denn das Fräulein Braut?

Alfred Keine Ahnung.

Mathilde Und der Bubi?

Alfred Ich hab alles aus den Augen verloren.

Stille.

Mathilde Also du bist schon ein grandioser Schuft, das muß dir dein größter Feind lassen.

Alfred Mathild. Wer unter euch ohne Sünden ist, der werfe den ersten Stein auf mich.

Mathilde Bist du krank?

Alfred Nein. Nur müd. Und gehetzt. Man ist ja nicht mehr der Jüngste.

Mathilde Seit wann denn?

Alfred Ich war jetzt vier Wochen in Frankreich. In Nancy. Ich hab nämlich gedacht, daß ich vielleicht dort was Passenderes für mich bekommen werd in meinem ursprünglichen Beruf, ich bin doch ursprünglich Kellner, und hier müßt ich heut unter mein Niveau hinunter – –

Mathilde Und was machen denn die Pferde?

Alfred Ich bin aus der Übung. Und dann fehlt mir das Kapital – –

Mathilde Und wie sind denn die Französinnen?

Alfred Wie sie alle sind. Undankbar.

Stille.

Mathilde Wenn ich Zeit hab, werd ich dich bedauern.

Alfred Du möchtest, daß es mir schlecht geht?

Mathilde Gehts dir denn rosig?

Alfred Möchst das hören?

Stille.

Ich bin jetzt hier nur so vorbeigegangen, per Zufall – – Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen – – Ab – – und nun wird der Walzer »Über den Wellen« wieder weitergespielt.

Mathilde  erblickt Oskar: Herr Oskar! Jetzt ratens doch mal, mit wem ich grad dischkuriert hab?

Oskar Ich hab ihn gesehen.

Mathilde So? Es geht ihnen schlecht.

Oskar Ich hab alles gehört.

Pause.

Mathilde Noch ist er stolz wie ein Spanier, dieser Hund – –

Oskar Hochmut kommt vor den Fall – Arme Mariann – –

Mathilde Mir scheint gar, Sie sind im Stand und heiraten noch die Mariann, jetzt nachdem sie wieder frei ist – –

Oskar Wenn sie das Kind nicht hätt –

Mathilde Wenn mir jemand das angetan hätt –

Oskar Ich hab sie noch immer lieb – – vielleicht stirbt das Kind – –

Mathilde Herr Oskar!

Oskar Wer weiß! Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber furchtbar klein. Ich werd an meine Marianne denken – – ich nehme jedes Leid auf mich, wen Gott liebt, den prüft er – – Den straft er. Den züchtigt er. Auf glühendem Rost, in kochendem Blei – –

Mathilde  schreit ihn an: Hörens auf, seiens so gut!

Oskar  lächelt.

Havlitschek  kommt aus der Fleischhauerei: Also was ist jetzt? Soll ich jetzt die Sau abstechen, oder nicht?

Oskar Nein, Havlitschek. Ich werd sie jetzt schon abstechen, die Sau – – – –

Ende des vierten Bildes


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