Ödön von Horváth
Glaube Liebe Hoffnung
Ödön von Horváth

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Bild

Szene Nummer 1

Schauplatz: Kontor der Firma Irene Prantl. Die Prantl ist besonders in ihrem geschäftlichen Leben eine geschwätzige Person. Jetzt hantiert sie auf ihrem Schreibtisch mit Abrechnungen, und zwar hat sie es recht wichtig. Vor ihr sitzt eine Frau Amtsgerichtsrat. Im Hintergrunde stehen Wachspuppen mit Korsett, Hüfthalter, Büstenhalter und dergleichen – in Reih und Glied, ähnlich wie die Köpf im Anatomischen Institut.

Die Prantl Allerhand Hochachtung, Frau Amtsgerichtsrat! Sieben Hüfthalter, sechs Korsetts, elf Paar Straps in knapp drei Tagen – gratuliere, gratuliere! Sie haben es los! Besser als manche Berufsverkäuferin! Ein Talent!

Frau Amtsgerichtsrat Mein Gott, unsereins hat halt so seine bestimmten gesellschaftlichen Bekanntenkreise, die wo einer Frau Amtsgerichtsrat kaum einen Korb geben wollen – Die Prantl Zu bescheiden, zu bescheiden! Das Verkaufen ist heutzutage kein Kinderspiel, die Leut schlagen einem die Tür vor der Nase zu!

Frau Amtsgerichtsrat Aber es bleibt doch dabei: Wenn jemand fragen sollte, dann sagen Sie selbstredend, ich verkaufe das nur von wegen persönlicher Zerstreuung und so –

Die Prantl Ist doch sonnenklar, wollte sagen: bleibt unter uns!

Frau Amtsgerichtsrat Bei diesen schweren Zeiten muß man auch dem eigenen Manne unter die Arme greifen, der verdient jetzt noch ganze sechshundert Mark. Da wird abgebaut und abgebaut, aber die Herren Landgerichtsdirektoren und Ministerialräte – Sie stockt, da das Telephon klingelt.

Die Prantl am Telephon: Ja. Soll nur gleich herein! – Nur eine Sekunde, Frau Amtsgerichtsrat, wir sind gleich quitt!

Szene Nummer 2

Elisabeth tritt ein.

Die Prantl Grüß Gott, tritt ein zeigens her – habens Ihr Pensum hinter sich?

Elisabeth Hier – Sie überreicht der Prantl ihr Bestellbuch.

Die Prantl blättert: Was? Zwei Paar Straps, einen Hüfthalter und ein Korsett, das ist doch radikal nichts!

Elisabeth Das Verkaufen ist heutzutage kein Kinderspiel, die Leut schlagen einem die Türe vor der Nase zu.

Die Prantl Also nur keine Gemeinplätze! Sie als Vertreterin müssen bei der Kundschaft den Schönheitssinn entwickeln! Jetzt wo das ganze Volk Gymnastik treibt und wo man überall nackerte Weiber sieht, das ist doch für unsere Branche die beste Reklame! Sie müssen Ihnen halt mehr an die Herren der Schöpfung halten, mir ist noch kein Mannsbild begegnet, das wo keinen Sinn für Strapsgürtel gehabt hätte! Wie war es denn in Kaufbeuren?

Elisabeth In Kaufbeuren war nichts.

Die Prantl Wieso hernach nichts? Kaufbeuren war doch immer phänomenal!

Elisabeth Ich war aber nicht in Kaufbeuren.

Die Prantl Sondern?

Elisabeth Ich wollte nämlich Zeit sparen und bin mit einem Auto gefahren, und zwar direkt in der Luftlinie – aber plötzlich hat die Ölzufuhr ausgesetzt und ich habe in einer Scheune im Walde übernachtet.

Die Prantl fährt sie an: Im Wald? Meinens ich zahl umsonst?! Wenn Sie da mit derartigen Luftlinien weitermachen, haben Sie bis zum Jüngsten Gericht die hundertfünfzig Mark noch nicht hereingearbeitet, die wo ich Ihnen für Ihren Wandergewerbeschein vorgestreckt habe!

Elisabeth Aber das war doch eine höhere Gewalt.

Die Prantl Wenn die Angestellten jetzt auch noch mit der höheren Gewalt anfangen, dann höre ich auf! Dann bring ich mich um! Eine Blutvergiftung oder von der Trambahn herausfallen und einen Haxen brechen, das laß ich mir noch gefallen, aber den Luxus von einer höheren Gewalt habe ich Irene Prantl mir noch nicht geleistet!

Elisabeth Ich kann doch schließlich nichts dafür.

Die Prantl Schauns nur nicht gar so geschmerzt, Sie Fräulein höhere Gewalt! Schauns doch nur die Frau Amtsgerichtsrat an! Frau Amtsgerichtsrat hätten es gar nicht so notwendig und machen es aus purer Zerstreuung und haben den vierfachen Umsatz.

Szene Nummer 3

Der Präparator stürzt herein und fährt sogleich auf Elisabeth los. Er ist außer Rand und Band.

Präparator Da sind Sie ja, Sie Betrügerin Sie! Sie Hochstaplerin Sie! Ihr Vater ist ja gar kein Zollinspektor. Wenn Sie mir das gleich gesagt hätten, daß der kein Zollinspektor ist, sondern bloß so ein Versicherungsinspektor, ja glaubens denn, ich hätte Ihnen hernach eine Existenz verschafft?

Elisabeth Aber das hab ich doch niemals behauptet –

Präparator unterbricht sie: Jawohl haben Sie das behauptet!

Elisabeth Nein! Nie!

Präparator schlägt mit seinem Spazierstock auf der Prantl ihren Schreibtisch, daß die Geschäftspapiere nur so herumflattern und brüllt: Zollinspektor! Zollinspektor! Zollinspektor!

Die Prantl rettet ihre Geschäftspapiere und kreischt: Halt! Halt! Stille.

Präparator verbeugt sich chevaleresk zur Prantl und zur Frau Amtsgerichtsrat hin: Entschuldigens meine Herrschaften, daß ich so aus heiterem Himmel, aber neben einem Versicherungsinspektor ist ja sogar noch ein lumpiger Oberpräparator eine Kapazität und diese gefährliche Person dort hat mir mein gutes bares Geld herausgelockt.

Elisabeth unterbricht ihn: Ist ja garnicht wahr!

Die Prantl Ruhe!

Präparator Ruhe!

Die Prantl droht mit dem Zeigefinger: Fräulein, Fräulein – wer schreit hat unrecht.

Präparator schreit: Unrecht! Jawohl!!

Stille.

Elisabeth Jetzt sage ich kein Wort mehr.

Präparator gehässig: Tät Ihnen so passen –

Die Prantl zum Präparator: Nehmen Sie Platz bitte!

Präparator Danke – Er setzt sich. Ich bin nämlich ein herzensguter Mensch, aber ich vertrag es halt nicht, daß man mich belügen tut.

Elisabeth Ich habe nicht gelogen.

Die Prantl Geh so haltens doch endlich den Mund, Fräulein –

Präparator Bitte ich mir aus!

Die Prantl bietet nun dem Präparator Zigaretten an: Bitte –

Präparator Ich bin so frei – Er steckt sich eine an, lehnt sich bequem zurück und bläst genießerisch den Rauch von sich. Alsdann meine Herrschaften – kommt diese Person da zu mir in die Wohnung, schleicht sich in meine väterlichen Gefühle hinein und ich zeig ihr mein Aquarium und habe ihr ein Buch über Tibet geliehen und obendrein kauf ich ihr auch noch einen Wandergewerbeschein – und derweil ist der ihr Vater gar kein Zollinspektor! Ich habe mich nämlich erkundigt, schon wegen meiner inneren Sicherheit als Mensch, weil sich meine Umgebung immer lustig gemacht hat über mein weiches Herz.

Die Prantl Wandergewerbeschein? Was denn für Wandergewerbeschein? Den hat doch die dort von mir.

Präparator Was?! Von Ihnen auch?!

Die Prantl Das ist doch der Usus im Betrieb. Die Firma streckt den Angestellten die Möglichkeit zum Arbeiten vor und die Angestellten arbeiten es ab. Hundertfünfzig Mark.

Präparator außer sich: Hundertfünfzig Mark?!

Stille.

Die Prantl Das ist Betrug.

Elisabeth fährt plötzlich los: Ich bin doch keine Betrügerin!

Frau Amtsgerichtsrat Darauf kommt es auch nicht an, Fräulein! Sondern ob der Tatbestand des Betruges erfüllt ist, darauf kommt es an! Sonst würd sich ja die ganze Justiz aufhören!

Die Prantl Richtig.

Frau Amtsgerichtsrat Mich geht es ja nichts an und ich persönlich habe mit dem Gericht gottlob nur insoferner etwas zu tun gehabt, als wie daß ich mit einem Richter verheiratet bin. Aber Sie haben ja Ihren Wandergewerbeschein nicht um das Geld dieses Herrn da gekauft, also – ich höre meinen August schon sagen: Vorspiegelung falscher Tatsachen – Tatbestand des Betruges.

Präparator ist verzweifelt in sich zusammengesunken; weinerlich: Ich bin doch ein armer Präparator, der etwas Gutes getan hat –

Elisabeth Herr Präparator! Sie werden Ihr Geld schon wiedersehen.

Präparator Nein.

Elisabeth Doch, jeden Pfennig.

Präparator Wann?

Elisabeth Ich werd es schon abarbeiten.

Die Prantl Wieso? Sie liest aus Elisabeths Bestellbuch. Zwei Paar Straps, ein Hüfthalter und ein Korsett. Und höhere Gewalt.

Präparator fährt hoch: »Höhere Gewalt«! Betrug! Gebens mir auf der Stell mein Geld zurück, Sie!

Elisabeth Ich habe es jetzt nicht.

Die Prantl Aber Ihren Wandergewerbeschein haben Sie doch von mir!

Elisabeth Das schon.

Präparator Na also!

Elisabeth Aber das Geld von dem Herrn habe ich zu etwas Dringenderem gebraucht.

Die Prantl Das wird ja immer interessanter!

Elisabeth Meinetwegen. Ich habe es zu einer Geldstrafe gebraucht.

Präparator wieder außer sich: Was?! Sie haben mit der Justiz schon etwas gehabt?! Eine Vorbestrafte sind Sie also?! Aber Ihnen bring ich noch in das Zuchthaus, das garantier ich Ihnen! Ich war Ihr letztes Opfer! Er rast ab.

Szene Nummer 4

Die Prantl Gediegen! Sehr gediegen!

Frau Amtsgerichtsrat Wenn der Herr da jetzt das beschwört, das mit dem Zollinspektor und Versicherungsinspektor, dann werden Sie verurteilt.

Die Prantl Zuchthaus.

Frau Amtsgerichtsrat Aber was! Nur Gefängnis und sonst nichts! Zirka vierzehn Tag.

Elisabeth Jetzt werden alle denken, daß ich die größte Verbrecherin bin.

Die Prantl Gedanken sind zollfrei und besonders, wenn man es einem verschweigt, daß man schon vorbestraft ist.

Elisabeth Ich bin doch nicht verpflichtet, Ihnen das zu sagen.

Die Prantl Also nur nicht so von oben herab! Dieser Skandal ist eine Affenschand. Sie gehen natürlich fristlos – jetzt bleibens aber nur da, bis daß die Polizei kommt! Ab.

Szene Nummer 5

Frau Amtsgerichtsrat Mich geht es ja nichts an, aber vorbestraft ist immer schon arg.

Elisabeth sagt es auf wie ein Schulmädchen: Ich bin vorbestraft, weil ich ohne Wandergewerbeschein gearbeitet habe – und da hat man mir eine Geldstrafe von einhundertundfünfzig Mark hinaufgehaut, bezahlbar in Raten. Aber dann ist alles fällig geworden und ich hätt dafür in das Gefängnis müssen und meine Zukunft wäre wieder in das Wasser gefallen – und so habe ich dafür dem Herrn Präparator sein Geld aufgebraucht.

Frau Amtsgerichtsrat Also tuns nur nicht viel leugnen und zeigens Ihnen nicht gescheiter als wie der Richter ist. Mein Mann ist ja ein braver Mensch, aber tuns die Verhandlung nur ja nicht in die Länge ziehn durch unnötige Verteidigung!! Wenn ich zuhaus beim Mittagessen sitz und vergeblich auf ihn wart und er kann nicht weg, weil die Sitzung so lang dauert, dann hört auch bei ihm das Verständnis auf – Wissens, die Angeklagten müssen halt auch ein Einsehen haben, daß schließlich der Richter auch nur ein Mensch ist.


 << zurück weiter >>