Ödön von Horváth
Glaube Liebe Hoffnung
Ödön von Horváth

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Erstes Bild

Szene Nummer 1

Schauplatz: Vor dem Anatomischen Institut mit Milchglasfenstern. Elisabeth will es betreten und sieht sich noch einmal fragend um, aber es ist nirgends eine Seele zu sehen. In der Ferne intoniert ein Orchester den beliebten Trauermarsch von Chopin und nun geht ein junger Schupo (Alfons Klostermeyer) langsam an Elisabeth vorbei und beachtet sie scheinbar kaum. Es ist Frühling.

Szene Nummer 2

Elisabeth spricht den Schupo plötzlich an, während der Trauermarsch in der Ferne verhallt: Entschuldigens bitte – aber ich suche nämlich die Anatomie.

Schupo Das Anatomische Institut?

Elisabeth Dort wo man halt die Leichen zersägt.

Schupo Das dort ist das hier.

Elisabeth Dann ist es schon gut.

Stille.

Schupo lächelt: Gebens nur acht, Fräulein – da drinnen stehen die Köpf in Reih und Glied.

Elisabeth Ich habe keine Angst vor den Toten.

Schupo Ich auch nicht.

Elisabeth Mir graust es noch lange vor nichts.

Schupo In diesem Sinne – Er salutiert leger und ab.

Szene Nummer 3

Elisabeth sieht dem Schupo spöttisch nach – dann faßt sie sich ein Herz und drückt auf den Klingelknopf des Anatomischen Instituts. Man hört es drinnen klingeln und schon erscheint der Präparator in weißem Mantel. Er steht in der Türe und fixiert die anscheinend unschlüssige Elisabeth.

Szene Nummer 4

Präparator Sie wünschen?

Elisabeth Ich möchte hier jemand Zuständigen sprechen.

Präparator In was für einer Angelegenheit?

Elisabeth In einer dringenden Angelegenheit.

Präparator Haben Sie einen angehörigen Toten bei uns?

Elisabeth Es dreht sich um keinen angehörigen Toten, es dreht sich um mich selbst persönlich.

Präparator Wieso denn das hernach?

Elisabeth Sind der Herr hier eine zuständige Instanz?

Präparator Ich bin der Präparator. Sie können sich mir ruhig anvertraun.

Stille.

Elisabeth Man hat mich nämlich extra darauf aufmerksam gemacht, daß man hier seinen Körper verkaufen kann – das heißt: wenn ich einmal gestorben sein werde, daß dann die Herren da drinnen mit meiner Leiche im Dienste der Wissenschaft machen können, was die Herren nur wollen – daß ich aber dabei das Honorar gleich ausbezahlt bekomme. Schon jetzt.

Präparator Das ist mir neu.

Elisabeth Man hat mich aber extra darauf aufmerksam gemacht.

Präparator Wer denn?

Elisabeth Eine Kollegin.

Präparator Was sind Sie denn von Beruf?

Elisabeth Jetzt habe ich eigentlich nichts. Es soll ja noch schlechter werden. Aber ich lasse den Kopf nicht hängen.

Stille.

Präparator Seine eigene Leiche verkaufen – auf was die Leut noch alles kommen werden?

Elisabeth Man möchte doch nicht immer so weiter.

Präparator Ein krasser Irrtum – Er holt aus seiner Tasche eine Tüte Vogelfutter und füttert damit die Tauben, die vom Dache des Anatomischen Instituts herabfliegen – die Tauben kennen den Präparator gut und setzen sich auf seine Schulter und fressen ihm aus der Hand.

Szene Nummer 5

Jetzt begleitet der Oberpräparator einen Baron mit Trauerflor aus dem Anatomischen Institut in das Freie.

Oberpräparator Wird prompt erledigt, Herr Baron, und abermals mein innigstes Beileid.

Baron Danke, Herr Oberpräparator. Ich mache mir die heftigsten Vorwürfe.

Oberpräparator Aber die staatsanwaltschaftlichen Erhebungen haben doch die völlige Haltlosigkeit der gegen Herrn Baron erhobenen etwaigen Beschuldigungen ergeben! Wir alle sind in Gottes Hand.

Baron Trotzdem ich stand vor Verdun und an der Somme, aber nichts hat mich so erschüttert, wie diese Katastrophe gestern. Wir waren ja erst seit drei Monaten verheiratet und ich steuerte den Unglückswagen – in der Unglückskurve. Zwischen Lechbruck und Steingaden. Nur gut, daß der Leichnam freigegeben ist.

Oberpräparator entdeckt inzwischen den Präparator: Augenblick bitte! Er nähert sich dicht dem Präparator und schreit ihn an. Sie füttern schon wieder die Tauben? Was bilden Sie sich denn ein? Saustall so was! Drinnen liegen die Finger und die Gurgeln nur so herum, daß es eine wahre Freud ist! Tuns die beiden Herzen und die halberte Milz gefälligst in die Schublad! Kreuzkruzifix, ist das aber eine Schlamperei!

Präparator Aber das Fräulein dort wollte doch ihre Leiche verkaufen, Herr Oberpräparator –

Oberpräparator Ihre Leiche? Schon wieder?

Stille.

Baron Beispiellos.

Oberpräparator Wir haben es zwar schon weißgottwieoft dementiert, daß wir keine solchen lebendigen Toten kaufen, aber die Leut glauben halt den amtlichen Verlautbarungen nichts! Die bilden sich gar ein, daß der Staat für ihren Corpus noch etwas daraufzahlen wird – gar so interessant kommen sie sich vor! Immer soll nur der Staat helfen, der Staat!

Baron Eine völlig beispiellose Ansicht über die Pflichten des Staates.

Oberpräparator Wird schon noch anders werden, Herr Baron.

Baron Hoffentlich.

Szene Nummer 6

Der Vizepräparator erscheint mit dem Hute des Oberpräparators rasch in der Tür des Anatomischen Instituts: Telephon, Herr Oberpräparator!

Oberpräparator Wer? Ich?

Vizepräparator Es dreht sich etwas um das Gutachten in Sachen Leopoldine Hackinger aus Brünn. Herr Oberpräparator sollen sofort in die Klinik zum Professor – Er überreicht ihm seinen Hut.

Oberpräparator Sofort! Er zieht hastig seinen weißen Mantel aus und übergibt ihn dem Vizepräparator, der wieder im Anatomischen Institut verschwindet; zum Baron. Pardon Baron! Die Kapazitäten kriegens mir scheint nicht heraus, an was daß diese Sudetendeutsche gestorben ist. Die Pflicht ruft –

Baron Oh bitte!

Oberpräparator – und abermals mein innigstes Beileid!

Baron Oh danke!

Oberpräparator Habe die Ehre, Herr Baron! Rasch ab nach rechts.

Baron Wiedersehen – Langsam ab nach links, und wieder ertönen in weiter Ferne einige Takte des Chopinschen Trauermarsches. Langsam fängt es an zu dämmern, denn es ist bereits spät am Nachmittag.

Szene Nummer 7

Präparator sieht dem Oberpräparator nach: Ein schlechter Mensch. Die armen Tauben. Glaubens mir, Fräulein: das Beste ist, sie springen zum Fenster hinaus.

Elisabeth Sie sind aber ein sehr freundlicher Mann, Herr Oberpräparator.

Präparator Ich mein es gut mit Ihnen. Wer kauft eine Leiche? Heutzutag!

Elisabeth Morgen ist auch ein Tag.

Präparator Es wird nicht anders.

Elisabeth Das glaub ich nicht.

Präparator Sondern vielleicht? Stille.

Elisabeth lächelt: Nein – das lasse ich mir auch von Ihnen nicht nehmen, daß ich noch einmal Glück haben werde. Sehens zum Beispiel, wenn ich jetzt meine Leiche hätt verkaufen können, nämlich um hundertfünfzig Mark –

Präparator unterbricht sie: – hundertfünfzig Mark?

Elisabeth Jawohl. Stille.

Präparator grinst: Sie Kind –

Elisabeth Wie belieben?

Präparator Was ist denn Ihr Vater von Beruf?

Elisabeth Ein Inspektor.

Präparator Inspektor? Respekt!

Elisabeth Aber er kann mir halt auch nicht unter die Arme greifen, weil meine Mama im März das Zeitliche gesegnet hat und da hat er gleich soviel Ausgaben gehabt damit.

Präparator Was ist schon so ein lumpiger Oberpräparator neben einem Inspektor? Respekt, Fräulein!

Elisabeth Sehens, wenn ich jetzt hundertfünfzig Mark hätt, dann könnt ich jetzt meinen Wandergewerbeschein haben und dann würde sich mir die Welt wieder öffnen – weil ich mit einem Wandergewerbeschein schon morgen eine sozusagen fast selbständige Position bekommen tät in meiner ursprünglichen Branche, aus der ich herausgerissen worden bin durch die Zeitumstände. Stille.

Präparator Was war denn das für eine Branche?

Elisabeth Hüftgürtel, Korsett. Engros. Auch Büstenhalter und dergleichen.

Präparator Interessant. Stille.

Elisabeth Wo bist du, goldene Zeit? Stille.

Präparator kramt aus seiner Brieftasche eine Fotografie hervor: Da schauns mal her –

Elisabeth betrachtet die Fotografie: Ein netter Hund.

Präparator Mein Rehpintscher –

Elisabeth Aufgeweckt.

Präparator Und scharf! Leider ist er mir verreckt.

Elisabeth Schade.

Präparator pfeift: Das war sein Pfiff. Da ist er dann immer gekommen. Er spricht nun mit der Fotografie. Burschi, Burschi, jetzt bist hin – aus ist es mit dem Gassi-Gassi – Er steckt die Fotografie wieder ein; zu Elisabeth. Aber das freut mich von Ihnen, daß Sie mit dem armen Burschi sympathisieren. Wie heißen denn Sie mit dem Vornamen?

Elisabeth Elisabeth.

Präparator Die Kaiserin Elisabeth von Österreich, das war auch ein gutes braves Weiberl – aber trotzdem ist sie halt einem ruchlosen Attentat zum Opfer gefallen. In Genf. Überhaupt der Völkerbund – alles ruchlos! Jetzt hab ich halt noch meine Schmetterlingssammlung und den Kanari und gestern ist mir eine Katz zugelaufen. – Interessiert Ihnen ein Aquarium?

Elisabeth Wie belieben?

Präparator Ich hätte auch ein Terrarium.

Elisabeth Terrarium eher.

Präparator Also dann kommens halt mal zu mir, Sie Fräulein Inspektor.

Elisabeth Vielleicht.

Szene Nummer 8

Jetzt kehrt der Oberpräparator aus der Klinik zurück und zwar überraschend – (sein Zeigefinger ist dick verbunden), er erblickt den Präparator, stutzt empört und fixiert ihn, der retirieren möchte, während Elisabeth sich zurückzieht.

Szene Nummer 9

Oberpräparator nähert sich langsam dem Präparator und hält dicht vor ihm: Schon wieder? Sie füttern schon wieder die Tauben? Er fährt ihn plötzlich an. Jetzt schauens aber, daß Sie verschwinden! Zu Elisabeth. Verstanden!

Elisabeth Gewiß. Ab.

Szene Nummer 10

Oberpräparator sieht Elisabeth nach: Na das sind ja saubere Zustände. Statt die Tumors endlich zu katalogisieren, treiben Sie sich da mit dem schönen Geschlecht herum!

Präparator Irrtum, Herr Oberpräparator! Das Fräulein ist eine verarmte Zollinspektortochter.

Oberpräparator Zollinspektor?

Präparator Jawohl. Und wenn jetzt diese Zollinspektortochter hundertfünfzig Mark hätte, dann hätte sie auch ihren Wandergewerbeschein und die Welt würde sich ihr wieder öffnen – Ich weiß, daß Sie mich für unfähig halten, Herr Oberpräparator, weil ich ein Aquarium habe und weil ich die Tauben füttere und weil ich ein gutes Herz habe –

Oberpräparator Zur Sache!

Präparator Zur Sache: Ich werde dieser Zollinspektortochter unter die Arme greifen. Das steht bei mir felsenfest. Hundertfünfzig Mark.

Oberpräparator Hundertfünfzig?

Präparator Das Fräulein wird es mir schon zurückerstatten.

Oberpräparator Mir scheint, Sie glauben noch an Wunder, Sie leichtsinniger Patron. Sie sollten meine Frau sein, Sie schlaget ich ja tot – Er droht ihm neckisch mit seinem dickverbundenen Zeigefinger.

Präparator Was haben Sie denn da mit dem Finger? Verletzt?

Oberpräparator Infiziert.

Präparator Doch nicht an einem Leichnam?

Oberpräparator Natürlich. Eben zuvor. An diesem komplizierten Fall aus Brünn.

Präparator Passens nur auf, Herr Oberpräparator!

Stille.

Oberpräparator betrachtet seinen dickverbundenen Zeigefinger: Es tut nicht weh, das ist verdächtig –

Präparator Wenn ich mir zum Beispiel meine Schmetterlingssammlung betrachte, dann denk ich immer, es dreht sich halt alles nach einer höheren Ordnung.

Oberpräparator Zur Sache: Kommens, die Pflicht ruft! Ab mit dem Präparator in das Anatomische Institut.


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