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Fünftes Bild

Im Park vor dem Jagdschloß des Königs. Aus den hohen Türen fällt das Licht auf eine Terrasse, zu der einige Stufen emporleiten. Dort stehen Matthias und der Hofbeamte und blicken zum Himmel empor. Es ist eine warme Sommernacht und in der Nähe rauscht der große Wald.

Matthias  Die Damen scheinen sich zu verspäten.

Hofbeamter  Weiber lassen sogar einen König warten.

Matthias  So? Nun, ich bin auf diesem Gebiete nicht so bewandert, ich kenne ja schließlich auch die Frau nur vom Kriegsschauplatz her – bessere Marketenderinnen und so.

Hofbeamter  Sind nicht die schlechtesten.

Matthias  Ich will auch nichts gegen sie gesagt haben, aber ich glaube, es ist doch nicht das richtige. Wenn man nur mehr Zeit hätt! Ein Wunder, daß ich mich heut abend freimachen konnte – diesen türkischen Gesandten hab ich für morgen verschoben, weiß der Himmel, was der Sultan wieder plant! Ich muß um fünfe in der Früh aufstehen jaja! Übrigens: hast du auch schon Hunger?

Hofbeamter   Wenn mein Magen nicht an die Hofetikette gewöhnt wär, würd er schon längst knurren.

Matthias  Hier auf meinem Jagdschloß gibts keine Etikette, laß ihn ruhig knurren.

Hofbeamter  Ich werds ihm ausrichten.

Stille.

Matthias  Sag mal: fiel es dir auch auf, wie nervös heut dieser Graf war? Er lächelt ironisch. Seit wann ist er denn herzkrank?

Hofbeamter  Ich glaubs auch, das war ein Schwindel. Er hat doch durch die Tür nach seinem Muster geschaut und da wird er halt wahrscheinlich eine bemerkt haben, die ihn peinlich erinnert, vielleicht hat er sie mal gezwungen dazu –

Matthias  fällt ihm ins Wort: Gezwungen?

Hofbeamter  Es sind doch seine Leibeigenen.

Matthias  Ah so –

Hofbeamter  Die müssen parieren.

Matthias  Richtig. Hm. Er überlegt und sieht sich dann um. Ich stelle mit Genugtuung fest, daß der Graf auch noch nicht erschienen ist.

Hofbeamter  Daß er es heut nicht begriffen hat, daß wir ihn nicht dabei haben möchten – Majestät hätten es ihm direkt sagen müssen, daß er nicht herauskommen soll.

Matthias  Das kann ich nicht.

Hofbeamter  Nun, Majestät, ich hab Euch schon sehr häufig sehr direkt reden gehört.

Matthias  Aber nicht in so einer privaten Angelegenheit. Freilich wärs blöd, wenn er käm.

Hofbeamter  Dann sags ich ihm, wie er kommt, daß er gleich wieder gehen soll –

Matthias  fällt ihm ins Wort: Nein, nein, das sieht ja ganz dumm aus! Lassen wir ihn schon da!

Stille.

Hofbeamter  Apropos dumm: wer hat es eigentlich angeordnet, daß dieses Muster mit sechs Schimmeln und Husaren abgeholt wird?

Matthias  Ich.

Hofbeamter  Ihr?!

Matthias  Ja. Warum?

Hofbeamter  Nichts. Ich fragte nur so.

Stille.

Matthias  So red doch.

Hofbeamter  Es ist wirklich nichts, Majestät.

Matthias  Jetzt befehl ich es dir, daß du sprichst! Sofort! Los!

Hofbeamter  Also, wenn Ihr es mit Gewalt hören wollt: ich wollt mir nur zu bemerken erlauben, daß ich die sechs Schimmel nicht versteh –

Matthias  fällt ihm ins Wort: Wieso? Ich wollt den Frauen eine Freude machen! Wie unlängst diesem Sterngucker aus Bologna – den ließ ich doch auch mit Husaren abholen!

Hofbeamter  Einen Sterngucker schon, aber nicht ein Muster aus Selischtje. Ich wollt mir ja nur zu bemerken erlauben, man hätte diesen ganzen Transport auch etwas weniger auffällig arrangieren können, es muß ja nicht gerade ein jeder wissen, daß der König –

Matthias  Du hast recht. Er sieht sich um. Wenn das Muster jetzt nicht bald kommt, dann essen wir allein und gute Nacht!

Hofbeamter  Aber Majestät werden sich doch nicht die Laune –

Matthias  unterbricht ihn: Reden wir von etwas anderem!

Stille.

Hofbeamter  lauscht: Was rauscht denn da so? Der Fluß?

Matthias  Nein, der Wald.

Hofbeamter  Herrlich, diese Luft!

Matthias  Ja.

Stille.

Hofbeamter  Ist es wahr, daß Ihr bei der letzten Hatz allein vier Eber erjagtet?

Matthias  Fünf.

Hofbeamter  Kolossal!

Matthias  Ja.

Stille.

Hofbeamter  Euere neuen Doggen sind herrlich. Besonders die Hündinnen –

Matthias  plötzlich: Sag mal, welche gefällt dir am besten?

Hofbeamter  Die gefleckte.

Matthias  Wieso die gefleckte? Bist du irr?

Hofbeamter  perplex: Ich versteh Euch nicht, Majestät –

Matthias  Ich frage dich, welche von den Weibern aus Selischtje dir am besten gefällt, und du antwortest: die gefleckte! Wir haben doch nicht von meinen Doggen gesprochen!

Hofbeamter  lächelt verstohlen: Ach so.

Stille.

Matthias  Na, welche gefällt dir?

Hofbeamter  Alle drei.

Matthias  Da bin ich bescheidener. Mir gefallen nur zwei.

Hofbeamter  Und welche nicht?

Matthias  Die Schwarze. Ich glaub, die ist dumm.

Hofbeamter  Möglich. Sie scheint allerdings noch ein bißchen sehr jung zu sein –

Matthias  Und ich kann mit sowas Jungem nichts anfangen! Nichts! Er lächelt plötzlich. Was? Ich spreche schon wie ein alter Roué –

Hofbeamter  lächelt heimlich überlegen: Fast!

Stille.

Matthias  Am besten gefällt mir – Rat mal!

Hofbeamter  Die Blonde?

Matthias  Nein, die Rote!

Hofbeamter  So?

Matthias  Sie hat so etwas herrlich Selbstbewußtes – ich liebe Frauen, die wissen, was sie sind!

Hofbeamter  Also diese Rote, die wirds sicher schon wissen, aber ich weiß nicht – Er zuckt die Schultern.

Matthias  Was gibts denn schon wieder?

Hofbeamter  Darf man ganz ohne Blatt vor dem Mund reden?

Matthias  Bitte, bitte!

Hofbeamter  Majestät, mir scheint, das ist eine – no ja.

Matthias  Eine was?

Hofbeamter  Majestät dürfen sich auf mich verlassen. An Hand meiner persönlichen Erfahrungen –

Matthias  unterbricht ihn: Unsinn!

Stille.

Sag mal: wie soll sich denn das jetzt eigentlich alles abwickeln? Ich meine, also wenn jetzt die Drei kommen –

Hofbeamter  fällt ihm ins Wort: Ich habs mir folgendermaßen gedacht: zuerst essen wir.

Matthias  Richtig.

Hofbeamter  Dabei trinken wir schon Wein und dadurch wird ganz von allein alles angeregter. Dann überreichen wir den Damen die kleinen Präsente, über die sie sich phantastisch zu freuen haben – nun, und dann wird sich schon alles präzis abwickeln, so wie es eben kommen dürfte.

Matthias  überlegt etwas: Eigentlich ist es mir unangenehm –

Hofbeamter  Was?

Matthias  Diese ganze Affäre. Seine Majestät, der König, erobern ein Weib. Da ist doch nichts dabei –

Hofbeamter  Was soll denn da dabei sein? Ein Weib ist natürlich keine feindliche Burg –

Matthias  fällt ihm ins Wort: Das ist es ja eben, daß nichts dabei ist! Der König kann jedes Weib haben – theoretisch.

Hofbeamter  Und praktisch auch.

Matthias  Noch dazu hierunter seinem eigenen Dache! Diese Frauen aus Selischtje sind doch genau genommen meine Gäste, ich müßte sie ja beschützen, anstatt – Nein, ritterlich ist es nicht, unser Benehmen! Man müßt auch den freien Willen des Weibes achten. Zu einem ehrlichen Kauf gehört ein Käufer und ein Verkäufer, zum Rauben allerdings nur ein Räuber.

Hofbeamter  Ihr macht Euch sonderbare Gewissensbisse. Jedes Weib würde sich hochgeehrt fühlen –

Matthias  Aber ich fühle mich nicht hochgeehrt! Am liebsten wärs mir, man könnt inkognito kommen – Vielleicht gehts auch, das Muster weiß es ja noch nicht, wer der König ist!

Hofbeamter  Theoretisch gings.

Matthias  Ich komm als Euer Adjutant.

Hofbeamter  betrachtet ihn unwillkürlich: Ob Ihr aber als Adjutant in der Praxis prompte Erfolge haben –

Matthias  unterbricht ihn, fast scharf: Was heißt das?

Hofbeamter  erschrickt: Oh pardon!

Matthias  fixiert ihn: Du denkst – Er sieht an sich herab. Hm. Schon möglich, daß ich nicht direkt praktisch wirk – Er lächelt ein bisserl traurig.

Ein Lakai  erscheint in der Türe: Die Damen aus Selischtje fahren soeben vor!

Hofbeamter  Endlich! Zum Lakai. Sofort!

Lakai ab.

Matthias  zum Hofbeamten: Geh jetzt nur allein hinein –

Hofbeamter  Aber Majestät –

Matthias  Nein, nein, laß mich nur noch etwas heraußen, ich werd dann schon kommen. Du bist wenigstens ehrlich zu mir, wenns auch nicht immer deine Absicht ist. Iß nur artig mit den Damen und sag ihnen, der König hat eine Konferenz, er kommt etwas später – geh!

Hofbeamter etwas bekümmert ab.

Thomas schleicht unterhalb der Terrasse von rechts herbei.

Matthias erblickt ihn und starrt ihn an.

Thomas bemerkt Matthias nicht und will an ihm vorbei auf die Türe zu.

Matthias  plötzlich: Halt!

Thomas  erschrickt entsetzlich: Himmel tu dich auf!

Matthias  unterdrückt: Schrei nicht! Wer bist du? Wohin?

Thomas  Gnade, Herr! Gnade!

Matthias  Winsel nicht! Was hast du hier verloren?

Thomas  Meine Braut, Herr! Meine Braut!

Matthias  perplex: Deine Braut?

Thomas  deutet auf die Türe: Da drinnen! Dort nachtmahlt sie grad mit dem König! Tut mir nichts, edler Herr, Ihr habt doch sicher auch schon geliebt und habt es gefühlt, wie das brennt! Er schluchzt.

Matthias  lächelt leise: Das muß anscheinend sehr brennen.

Thomas Der König ist zwar ein gerechter Mann, aber wie kann er einem so was antun!

Matthias  Sei beruhigt: da drinnen passiert nichts.

Thomas  Nichts?! Wenn ein König mit einem armen Mädchen nachtmahlt?!

Matthias  Der König ist nicht hochmütig. Er läßt auch einen armen Menschen an seinem Tische sitzen.

Thomas  Besonders wenn er einen Unterrock anhat.

Matthias  Du hast eine scharfe Zunge.

Thomas  Ich häng mich auf, ich häng mich auf.

Stille.

Matthias  überlegt: Also die Eine ist deine Braut?

Thomas  schluchzt wieder: Ja.

Matthias  Hm. Ich dachte, Selischtje ist ein Dorf ohne Männer?

Thomas  weinerlich: Ah was Selischtje!

Matthias horcht auf.

Thomas wendet sich wieder der Türe zu.

Matthias  Wohin?

Thomas  Ich bitt Euch, laßt mich mal durch die Tür dort hineinschauen, nur einen einzigen Blick –

Matthias  Ausgeschlossen! Der König hats verboten.

Thomas  Er muß es ja nicht erfahren.

Matthias  Dann müßt ich ja den König betrügen –

Thomas  Meiner Treu! Als ob der nicht täglich hundertmal betrogen würd!

Matthias  Er wird betrogen? Der König? Lauernd. Wer betrügt ihn denn wohl?

Thomas  Alle. Jeder.

Bader tritt durch die Tür auf die Terrasse.

Matthias  leise zu Thomas: Weg! Es kommt wer! Wir sprechen uns noch! Thomas versteckt sich.

Bader  erblickt Matthias: Ah, meine Hochachtung! Wir kennen uns doch vom Statthalter her, Ihr seid doch seine Schreiberseel oder so –

Matthias  lächelt: Sein Ratgeber.

Bader  Auch ein Beruf! Hört mal: ist Euer Herr, dieser besagte Statthalter, immer so neidig?

Matthias  Wieso?

Bader  Kaum sitzen wir beim Essen, schickt er mich schon heraus – er möcht sich mit den drei Weibern allein sein! Kapazität! Ich mach mir schon Sorgen, wenn der König sich noch lang verspätet – dieses Muster ist ja, wenn überhaupt für wen, dann für den König bestimmt, aber der drin ist sich imstand und ramponiert mir noch meine mühsam zusammengeklaubte Kollektion!

Matthias  Kollektion? Zusammengeklaubt?

Bader  No ja, man sagt das halt so.

Stille.

Matthias  Sagt mal: es ist mir zuvor ein eigentümlicher Gedanke gekommen: sind diese Frauen wirklich aus Selischtje?

Bader  Der Gedanke ist gar nicht so eigentümlich, aber die Weiber sind wirklich aus Selischtje.

Matthias  Und die Zuhausegebliebenen sind auch alle so schön?

Bader  Im Durchschnitt, ja.

Matthias  Dann gratulier ich Euch. Denn, wer den König betrügt, verliert den Kopf.

Bader  Großer Gott! Er sieht sich ängstlich um und will in den Park.

Matthias  Wohin?

Bader  Spazieren.

Matthias  Habt Ihr denn keinen Hunger?

Bader  No, mir ist der Appetit ein bisserl vergangen –

Matthias  freundlich, jedoch sehr bestimmt: Geht jetzt nur trotzdem schön hinein und eßt etwas.

Bader  Aber er laßt mich ja nicht, Euer Herr!

Matthias  Sagt ihm, ich schick Euch, sein Ratgeber. Er hört auf meinen Rat.

Bader  Schön. Ein bisserl ein Milchreis könnt einem alten Mann nix schaden – Ab durch die Tür.

Matthias  sieht ihm nach, wendet sich dann wieder dem Park zu und ruft unterdrückt: Hallo! Bist du noch da?

Thomas  erscheint aus seinem Versteck: Natürlich!

Matthias  Komm!

Thomas  Wer seid Ihr eigentlich? Türsteher, was?

Matthias  Auch das.

Thomas  Ihr kommt mir plötzlich so bekannt vor.

Matthias  Ich seh dem König etwas ähnlich.

Thomas  Dem? Der ist doch ein untersetztes Bürscherl und den Kopf hält er immer ein bisserl so schief – Nein, dem seht Ihr nicht ähnlich! Ihr seid viel stattlicher!

Matthias  lächelt: Das freut mich! Er sieht sich um. Paß auf, du willst also, daß deiner Braut nichts passiert?

Thomas  Das will ich, meiner Seel!

Matthias  Gut, ich werde dir helfen – ich garantier dir sogar, daß ihr nichts passiert!

Thomas  hocherfreut: Wirklich?

Matthias  Nicht so laut!

Thomas  Ich werd mich auch revanchieren – da, da habens einen Taler! Wir sind ja nicht so!

Matthias  steckt lächelnd den Taler ein: Danke –

Thomas  Ich bin nämlich der Wirt vom »Einhorn« und wenn Ihr mal nach Hermannstadt kommt, dann besucht mich nur, Ihr seid mein Gast, prima Haus und keine solche Kellnerinnen Wirtschaft! Ihr sollt es nicht bereuen, daß Ihr meine ärmste Braut beschützen wollt!

Matthias  Die Ärmste wird beschützt – allerdings unter einer Bedingung.

Thomas  Bedingung? Ihr habt doch schon einen Taler bekommen!

Matthias  Das war nur Trinkgeld.

Thomas  Trinkgeld? Ein Taler?! Mit einem Taler, Herr, da hab ich schon ganz andere Leut bestochen! Da könnt ich erzählen, wenns Euch interessiert!

Matthias  Das interessiert mich sogar sehr. Das mußt du mir mal alles genau erzählen – doch nun paß auf: ich werde über deine Braut wachen, auf Leben und Tod, wenn du mir jetzt ehrlich antwortest: sind diese drei Frauen aus Selischtje oder nicht?

Thomas  Das ist eine verzwickte Frage –

Matthias  Sie sind also nicht aus Selischtje?

Thomas  Tja!

Matthias  Dacht ich mirs doch!

Stille.

Thomas  Die Wahrheit wächst im Himmel, mein lieber Herr, doch die Wurzeln der Lüge gedeihen alle so um das Haus herum im täglichen Leben – und der Teufel schleppt noch den Dünger herbei, damit sie besser wachsen. Diese drei Frauen sind so wenig aus Selischtje, wie der Turm da uns vis-à-vis oder dort drüben der Springbrunnen. Die Schwarze ist meine Braut –

Matthias  unterbricht ihn: Die Schwarze?

Thomas  Die Schönste!

Matthias  No ja!

Thomas  Sie ist aus Rotkirchen, und die Rote ist aus Kronstadt, eine Kürschnermeisterswitwe, und die Blonde ist auch irgendwoher – mir scheint, aus Großwardein. Aber ich bitt Euch, verratet es keiner Seele, daß ichs Euch verraten hab! Ich wurd ja nur wegen meiner Braut zum Verräter.

Matthias  Wenn das der König erfährt –

Thomas  unterbricht ihn: Ah, das war mir wurscht! Wenns nur der Graf nicht erfährt! Der ist imstand und vierteilt mich!

Matthias  grimmig: Der Herr Graf haben also seinen König betrogen, damit er die männlichen Arbeitskräfte bekommt –

Thomas  Natürlich!

Hofbeamter tritt aus der Türe auf die Terrasse.

Matthias  unterdrückt zu Thomas: Weg!

Thomas  Wiedersehen in Hermannstadt! Ab.

Matthias  grimmig: Auf Wiedersehen! Wiedersehen!

Hofbeamter  Mit wem habt Ihr denn jetzt gesprochen?

Matthias  Nur mit mir selbst.

Hofbeamter  horcht perplex auf: Ich wollt mir nur erlauben zu fragen, wann Majestät hereinkommen, wir halten bereits beim Dessert –

Matthias  unterbricht ihn grimmig und wird immer wütender: Ich brauch kein Dessert! Am liebsten würd ich jetzt da hinein und alles kurz und klein schlagen! Eine solche Niedertracht! Mir das anzutun! Dieser Bursche gehört ja geköpft, geköpft!

Hofbeamter  entsetzt: Majestät! Welcher Bursche, um Gottes Willen?!

Matthias  Und diese Weiber gehören in Ketten gelegt und hinausgeschmissen!

Hofbeamter  wie zuvor: Majestät, mir scheint, es ist Euch nicht ganz wohl – Ihr habt Euch hier draußen verkühlt und fiebert –

Matthias  unterbricht ihn: Ich fiebere nicht! Wohl ists mir allerdings auch nicht! Aber es ist wahr: diese armen Weiber können ja nichts dafür – sie wurden ja »zusammengeklaubt«, zusammengepreßt durch List, Betrug, Willkür! Zusammengefangen, wie das liebe Vieh!

Hofbeamter  immer entsetzter: Zusammengefangen?!

Matthias  Ja, um abgestochen zu werden!

Hofbeamter  verzweifelt: Abgestochen?! Majestät, ich werd verrückt!

Matthias  Das glaub ich dir gern! Laß mich allein! Glotz mich nicht so geistvoll an! Geh, und mach mit diesem Muster, was dir beliebt – das heißt: mit einer Ausnahme! Wenn du die anrührst, laß ich dich auch köpfen!

Hofbeamter  verwirrt: Welche? Die Rote?

Matthias  Falsch! Die Schwarze!

Hofbeamter  total verwirrt: Die Schwarze? Aber die ist doch dumm, sagtet Ihr! Und außerdem bin ich ja grad –

Matthias  unterbricht ihn: Du wirst bei dieser Schwarzen nirgends grad sein, verstanden? Schick sie heraus! Auf der Stell! Heraus damit!

Hofbeamter total verwirrt ab durch die Türe.

Matthias  allein. Männer will er von mir haben, der Herr Graf von Hermannstadt? Männer – Er grinst grimmig. Gut, er soll erhalten, was er verlangt. Aber ich will ihm eine solche Sorge an den Hals hängen, daß Herr Graf zeitlebens daran denken werden –

Die Schwarze tritt mit der Blonden durch die Türe auf die Terrasse.

Matthias  schroff. Hierher!

Schwarze  schüchtern: Was wollt Ihr?

Blonde  stutzt einen Augenblick, da sie Matthias erblickt, und sieht nun genauer hin: Ach, Ihr habt uns rufen lassen?

Matthias  wie zuvor: Euch hab ich nicht rufen lassen!

Blonde  lächelt leise: Ich bin nur mit, weil meine Freundin Angst hatte –

Schwarze  Man schickt mich in die Nacht hinaus –

Blonde  Wenn Ihr einer von uns was zu sagen habt, warum kommt Ihr nicht herein? Warum sollen wir heraus? Ihr seid doch dem Statthalter sein Ratgeber, nicht?

Matthias  etwas perplex über ihren Ton: Ja.

Blonde  Ich hab Euch gleich erkannt.

Matthias  fixiert sie etwas lauernd und winkt dann der Schwarzen: Komm! Wir beißen dir nichts ab –

Schwarze nähert sich langsam und hält vor ihm.

Matthias  betrachtet sie; leise, damit es die Blonde nicht hört. Ein Mann will dich haben –

Schwarze  fällt ihm entsetzt ins Wort: Heiliger Himmel!

Matthias  Kreisch nicht! Ich hab es deinem Bräutigam versprochen, daß ich über dich wachen werde. Schau hin! Er deutet nach dem Park zu. Dort steht er! Dort hinter dem Baum!

Schwarze  überglücklich: Thomas!

Matthias  Geh hin und ab! Schwarze will hinlaufen, hält jedoch ängstlich um. Was hast denn?

Schwarze  Angst.

Matthias  Vor wem denn?

Schwarze  Vor dem König. Wenn der jetzt kommt und ich bin nicht da –

Matthias  muß lächeln: Hast Angst vor dem König? Er zeigt ihr den Taler, den er von Thomas bekommen hat. Schau, diesen Taler, da ist sein Bild droben – sieht er denn so grausam aus?

Schwarze  betrachtet den Taler: Nein, das nicht – Sie zuckt plötzlich zusammen und starrt Matthias an, schaut dann wieder auf den Taler und starrt dann wieder den König entgeistert an. Majestät! Majestät! – Sie will in die Kniee fallen.

Matthias  läßt es nicht zu: Nicht knien! Das vertrag ich nicht! Lauf nur jetzt zu deinem Bräutigam, gib ihm diesen Taler und einen schönen Gruß von mir, er solls nur ja nie wieder wagen, derartige Trinkgelder zu verteilen! Diesmal hat er ja noch Glück gehabt, daß er nur seinen eigenen König bestochen hat – Geh! Lauf zu!

Schwarze  Aber wie kommen wir durch die Wachen?

Matthias  Dort ist ein Hintertürl! Marsch!

Schwarze  überglücklich: Thomas! Thomas! Sie läuft in den Park und ab. Matthias blickt ihr nach.

Blonde  Glaubt Ihr, daß der König noch kommt?

Matthias  Kaum!

Blonde  Das war aber nicht schön von ihm, uns sitzen zu lassen –

Matthias  fällt ihr ins Wort: Er hat halt zu tun. Denkt nur an unsere lieben Türken, zum Beispiel!

Blonde  Ja, man weiß es nie, ob man nicht eines Tages aufwacht und die Türken sind da –

Matthias  Die Türken werden nicht da sein. Nie!

Blonde  Woher wollt denn Ihr das wissen?

Matthias  Weils mir der König gesagt hat.

Stille.

Blonde  Weiß der König, daß es vielen Frauen in seinem Reich ganz egal wär, ob die Türken kommen oder nicht?

Matthias  fährt hoch: Was?!

Blonde  Bei den Türken hat die Frau keine Seele. Bei uns ja – aber sie wird trotzdem nicht für voll genommen und wird gar meistens behandelt, als wär sie ein liebes Stück Tier ohne Seele. Bei den Türken sitzt die Frau im Harem, bei uns im besten Fall in der Küche –

Matthias  Das ist irgendwo nicht unrichtig –

Blonde  Bei den Türken dient die Frau dem Mann und bei uns –

Matthias  unterbricht sie: Bei uns im Abendland ist die Frau jedenfalls keine Sklavin!

Blonde  lächelt: Weiß der König, daß es im Abendland ein Gesetz gibt, daß der Mann die Frau züchtigen darf, daß aber die Frau bestraft wird, wenn sie den Mann schlägt?

Matthias  Das ist nicht wahr!

Blonde  Doch, doch! Seht nur mal nach! Weiß der König, daß es Frauen in seinem Reiche viel schwerer haben wie die Männer? Denn die Frau hat nur einen Beruf: das ist der Mann! Und was ist der Kampf der Männer gegen die Türken im Vergleich zu dem Kampf der armen Frauen untereinander um einen Mann! Um den Mann, bei dem jede Frau jedesmal dem Tod begegnet, wenn sie ihm das Leben gibt. Weiß der König, wie der Mann das lohnt?

Stille.

Matthias  Sagt mal: welcher Mann hat Euch das alles erzählt?

Blonde  Diese Frage hab ich erwartet, sie kam auch prompt, aber ich muß Euch mit meiner Antwort leider enttäuschen: ich habe selber darüber nachgedacht – jaja, wir Frauen haben auch ein Hirn, wenns auch nicht immer im Kopf sitzt. Wenn man jahrelang allein ist, dann fängt man an zu denken.

Matthias  horcht auf: Ihr seid allein?

Blonde  lächelt: Ja und nein.

Matthias  Was heißt das?

Blonde  Theoretisch bin ich zu zweit, in der Praxis aber allein.

Matthias  Aha! Ihr seid unglücklich verliebt?

Blonde  Ja.

Stille.

Matthias  Eigentlich ist man immer allein.

Blonde  Oho.

Stille.

Matthias  Ich war immer allein.

Blonde  Dann habt Ihr noch nie richtig geliebt –

Matthias  Dazu braucht man Zeit.

Blonde  lächelt: Nicht nur das.

Stille.

Matthias  fixiert sie: Wer seid Ihr?

Blonde  Ich bin sogar verheiratet.

Matthias  lächelt verschmitzt: Witwe?

Blonde  Ja und nein.

Matthias  wie zuvor: Ich dachte, in Selischtje gibt es keine Männer –

Blonde  lacht: Ich weiß schon, daß Ihr den Schwindel durchschaut habt, der Bader hat mich bereits gewarnt!

Matthias  perplex: Was für ein Bader?

Blonde  Der Alte, der sich hier als Präfekt ausgegeben hat.

Matthias  Das wird ja immer schöner! Ein Bader?!

Blonde  Es tut mir leid, daß ich als Muster zum König kam, aber manchmal kommt man ohne einen kleinen Betrug nicht dazu, die Wahrheit zu sagen. Wie ich den König sehe, sag ichs ihm sogleich, daß ich nicht aus Selischtje bin – ich will ihn nämlich nicht betrügen.

Matthias  unwillkürlich: Warum nicht?

Blonde  Weil er mir gefällt.

Stille.

Matthias  Ihr kennt den König?

Blonde  Ja. Das heißt: persönlich nicht, aber von vielen Bildern –

Matthias  Und wie gefällt er Euch?

Blonde  Sehr.

Stille.

Matthias  Hat er nicht zu lange Ohren?

Blonde  lächelt: Oh nein! Immer sieht er so ernst drein, auch ein bißchen traurig – und doch ist er nur ein Lausbub. Er muß sehr gescheit sein –

Matthias  Hoffentlich!

Blonde  Sicher.

Stille.

Matthias  sieht sich um; leise: Ich muß Euch nun etwas sagen, aber nicht erschrecken und nicht böse sein –

Blonde  Was?

Matthias  Aber nicht böse sein, ja?

Blonde  lächelt: Nein. Nie.

Matthias  sieht sie nochmals an; dann sehr leise: Ich bin der König.

Blonde  wie zuvor: Warum soll ich da böse sein? Ich wußt es ja schon längst –

Matthias  Ihr wußtet es?

Blonde  Schon Mittag beim Statthalter – ich hab Euch gleich erkannt. Von den Bildern, die bei mir hängen. Und so seid Ihr auch. Ich kenne Euch genau.

Graf tritt durch die Türe rasch auf die Terrasse, erblickt die Beiden, hält und starrt hin.

Matthias  Ach, unser Graf von Hermannstadt!

Graf  Majestät –

Matthias  fällt ihm ins Wort: Du kommst spät. Wir haben dich nicht mehr erwartet.

Graf  Ich wollte auch nicht kommen, aber dann war es mir doch, als müßt ich mal nachsehen, es ist doch schließlich mein Muster – Er grinst.

Matthias  fixiert ihn: Was fehlt dir denn? Du bist ja ganz weiß –

Graf  Nichts, Majestät – es ist nur das Herz. Manchmal hörts auf –

Matthias  horcht auf und wirft einen forschenden Blick auf die Blonde: Schon wieder?

Blonde  lächelt schwach: Ja.

Stille.

Matthias  Nun, Graf von Hermannstadt, Wir halten Unser Wort: Wir werden dreihundert der tüchtigsten Männer in Selischtje ansiedeln, denn das Muster, das du Uns gesandt hast, ist wahrlich schön. Wir haben Uns entschlossen, im Herbst Selischtje zu besuchen, um dort zu jagen und Uns die zuhausegebliebenen Frauen anzusehen. Wir wollen selber beurteilen, ob sie in puncto Schönheit aus demselben Neste kommen, wie die Uns gesandten. Wenn nicht, verlierst du deinen Kopf.

Blonde  entsetzt: Majestät!

Matthias sieht sie überrascht an.

Stille.

Graf  zu Matthias: Ihr wollt nach Selischtje –

Matthias  unterbricht ihn, ohne den Blick von der Blonden zu wenden: Ich hoffe, du hast mich verstanden –

Blonde  zu Matthias: Ihr könnt ihm doch nicht den Kopf –

Matthias  unterbricht sie: Was habt Ihr denn beide miteinander?

Graf  Nichts.

Stille.

Matthias  lauernd: Sie ist doch deine Leibeigene?

Blonde  leise: Ja. Sie wirft einen traurigen Blick auf den Grafen und langsam ab durch die Türe.

Graf  Sie ist eine Hexe.

Matthias  Was sagst du? Hexe?

Graf  Ihr Auge ist süß und herb – sie lächelt in der Sonne und sehnt sich nach ewiger Nacht. Sie bringt Unheil, nur Unheil – Verstört ab in den Park.

Matthias  sieht ihm nach: Unheil?

Eine Frauenstimme  singt im Schloß zur Laute ein trauriges Lied:

Es ist ein Schnee gefallen
Und es ist doch nicht Zeit
Man wirft mich mit den Ballen
Der Weg ist mir verschneit.

Mein Haus hat keinen Giebel
Es ist mir worden alt
Zerbrochen sind die Riegel
Mein Stüblein ist mir kalt.

Ach Lieb, laß dichs erbarmen
Daß ich so elend bin
Und schließ mich in dein Armen
So fährt der Winter hin –

Matthias lauschte, ging langsam zur Türe und winkt hinein.

Der Lakai erscheint.

Matthias  Welche singt denn da?

Lakai  Die Blonde.

Matthias  So?

Blonde  singt weiter im Schloß:

Da unten in jenem Tale
Da treibt das Wasser ein Rad
Das treibet nichts als Liebe
Von Abend bis wieder an Tag

Das Rad, das ist gebrochen
Die Liebe, die hat ein End
Und wenn zwei Liebende scheiden
Sie reichen einander die Händ.

Matthias  lauscht wieder; zum Lakaien: Was macht denn die Rote?

Lakai  verlegen: Die – die ist verschwunden, Majestät. Mit Seiner Exzellenz –

Matthias  Ahso.

Stille.

Lakai  Majestät –

Matthias  Was gibts?

Lakai  Majestät, der alte Herr, der mit den Damen aus Selischtje gekommen ist, der ist auch verschwunden, wollt ich nur untertänigst melden.

Matthias  Wohin?

Lakai  Fort. In größter Eile, Majestät! Es sah fast aus wie eine Flucht –

Matthias  lächelt: Aha! Er wird wieder ernst. Wer ist denn noch bei der Blonden?

Lakai  Niemand, Majestät. Die Dame sitzt allein im Zimmer.

Matthias  Allein?

Lakai verbeugt sich und geht ab.

Die Blonde  singt wieder im Schloß:

Da droben auf jenem Berge
Da steht ein goldenes Haus
Da schauen wohl alle Frühmorgen
Drei schöne Jungfrauen heraus.

Die eine, die heißet Elisabeth
Die andere Bernharda mein
Die dritte, die will ich nicht nennen
Die sollt mein eigen sein.

Matthias langsam ab durch die Tür, als würde er dem Lied folgen.


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