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Vierzehntes Kapitel. Ein ernster Kampf

Rahel begab sich unverzüglich in ihre eigenen Zimmer, um nachzudenken und einen Entschluß zu fassen. Und das, was sie zu tun beschloß, konnte nicht anders als klug und vernünftig genannt werden. Sie war dankbar, daß man sie nicht ertappt hatte wie Fatime im verbotenen Gemach. Nicht daß es ihr an Mut gefehlt hätte, die Folgen ihrer Handlungen auf sich zu nehmen, aber eine Entdeckung hätte sie in ein schiefes Licht gesetzt und gleich zu Anfang des Kampfes in eine unvorteilhafte Lage gebracht. Und daß es einen entscheidenden Kampf geben würde, darauf war sie vollständig gefaßt. Auch hatte sie entfernt nicht die Absicht, ihr Erlebnis zu verheimlichen, sondern ihr Streben ging nur dahin, nun auch einmal ihren Gatten in Bestürzung zu versetzen.

Steels aßen wie gewöhnlich allein zu Abend, das heißt so viel als ein Ehepaar, das bei seinen Mahlzeiten von drei Lakaien bedient wird, eben allein sein kann. Steel kehrte von seinen kleinen Ausflügen noch Northborough stets in rosiger Laune zurück. Er brachte dann die letzten Neuigkeiten aus diesem Mittelpunkt des Universums mit, den letzten Klatsch, der auf der Börse und beim Lunch im Klub die Runde gemacht, sowie die neuesten Geschichtchen von Mr. Venables und dessen Freunden, die er dann Rahel mit einem leichten, aber unverkennbaren Lokaldialekt zum besten gab, dessen die guten Leute sich selbst nicht bewußt waren. Steel hatte eine lose, witzige Zunge, und Rahel pflegte diese Erzählungen meist mit einem verständnisvollen Lächeln anzuhören. An diesem Abend jedoch blieb das Lächeln ganz aus oder es machte wenigstens einen recht erzwungenen Eindruck. Rahel konnte eben absolut nicht heucheln, und erst als sie das schäumende Getränk in ihrem Glase sah, entfuhr ihr ein erstaunter Ausruf: »Wie, Sekt!« rief sie, denn sie tranken ihn nur höchst selten.

»Es war solch ein abscheulich frostiger Tag,« erklärte Steel, »daß ich ihn schon aus hygienischen Gründen bestellte. Auch hier muß es ja mindestens ebenso grimmig kalt gewesen sein wie in der Stadt. Dieser Wein soll dir das Blut wieder in die richtige Zirkulation bringen.«

»Meine Blutzirkulation ist ganz normal,« antwortete Rahel, die auch jetzt zu ehrlich war, dem Manne ein Lächeln zu schenken, den sie zum Kampfe herauszufordern im Begriff stand. »Heute morgen fror ich allerdings, seit diesem Nachmittag aber ist mir mehr als warm genug.«

Sie sprach die volle Wahrheit, denn die Aufregung hatte ihr das Blut heiß durch alle Adern getrieben. Sie sah auch selten hübscher und liebreizender aus als an diesem Abend, trotz ihrer fest geschlossenen Lippen und der unheilverkündenden Augen.

»Ich hatte aber auch noch einen weiteren Grund für den Champagner,« nahm Rahels Gatte mit einer für ihn höchst ungewöhnlichen Offenheit das Gespräch wieder auf, als sie sich endlich allein im Salon befanden. »Ich scheine bei dir in Ungnade gefallen zu sein und wünsche nun zu hören, was ich getan habe.«

»Es handelt sich im Gegenteil um das, was du nicht getan hast,« entgegnete Rahel, die hoch aufgerichtet am Feuer stand, während sich ihre Brust lebhaft hob und senkte, und sie so weiß war wie das prächtige Marmorkamin hinter ihr.

»Und was ist dies – wenn ich fragen darf – für eine Unterlassungssünde?«

Mit einer Leidenschaft, die ihr alle Ehre machte, ging Rahel direkt aufs Ziel los.

»Warum hast du mir alle diese Monate her vorgespiegelt, du seiest niemals in deinem Leben in Australien gewesen? Warum hast du mir nie gesagt, daß du Alexander Minchin dort gekannt hast?«

Atemlos hielt sie, aufs Schlimmste gefaßt, inne. Sie sah es kommen, daß er erst die Farbe wechseln, dann die Fassung verlieren und in eine Art Wut geraten würde, von der hingerissen er sie in alle Ewigkeit verfluchen würde – mit einem Wort, daß er sich so benehmen würde, wie ihr erster Mann es mehr als einmal, dieser hier aber noch niemals getan hatte. Auf all dies war sie gefaßt, nur nicht auf das Lächeln, das nicht den geringsten Anflug einer Überraschung bemäntelte, so wenig wie auf die leichte, zuversichtliche Verbeugung, die dieses Lächeln begleitete.

»So bist du also dahintergekommen,« sagte Steel, ruhig seinen Kaffee schlürfend, während das Lächeln noch immer aus seinen Augen blitzte.

»Ja, diesen Nachmittag,« antwortete Rahel etwas verwirrt, wenn auch nicht ganz aus der Fassung gebracht.

»Indem du deine Nase in einen Raum stecktest, den in meiner Anwesenheit zu betreten dir nicht einfiele?«

»Durch den einfachsten Zufall der Welt!« rief Rahel und erzählte nun den Vorfall, während Aufrichtigkeit und Wahrheit ihr aus den Augen leuchteten. Und wie mit einem Schlag verwandelte sich das Gesicht ihres Gatten: das Lächeln verschwand, aber kein zorniges Stirnrunzeln trat an dessen Stelle.

»Verzeihe mir, Rahel,« sagte er ernst und mit ungewöhnlicher Herzlichkeit. »Wegen eines Unrechts, das ich dir in Gedanken seit mehreren Stunden angetan habe, bitte ich dich um Verzeihung. Ich kam nämlich zwischen drei und vier Uhr nach Hause und erfuhr, du seiest in meinem Arbeitszimmer. Dort fand ich dich zwar nicht, doch sah ich, daß ein Buch herausgenommen war, und wußte natürlich sofort, wo du warst. Schon lag meine Hand auf dem Griff, allein ich zog sie wieder weg. Ob sie wohl den Mut haben wird, mich zur Rede zu stellen? fragte ich mich. Und ich wiederhole es, verzeihe mir,« schloß Steel, »denn ich hätte dich doch jetzt gut genug kennen sollen, um zu wissen, daß dein Mut über allen Zweifel erhaben ist.«

»Nun,« sagte Rahel rasch, nachdem sie bei sich beschlossen hatte, seine Komplimente unbeachtet zu lassen, »dann könntest du wenigstens jetzt endlich aufrichtig gegen mich sein.«

»Bin ich das denn nicht?« rief er. »Habe ich etwa geleugnet, daß das Bild, das du sahst, dasjenige von Alexander Minchin ist? Und doch, wie leicht hätte ich das tun können! Lange, ehe du ihn kanntest, war es aufgenommen worden, und er mußte sich inzwischen sehr verändert haben. Auch hätte ich ja seine Bekanntschaft unter einem andern Namen gemacht haben können. Allein ich tue das alles nicht, sondern gestehe dir offen und ehrlich, daß dein erster Gatte einst ein sehr lieber Freund von mir war. Freilich sind seither mehr Jahre verflossen, als ich nachrechnen mag. Hast du mich auch recht verstanden?« fügte er mit dem ihm eigenen plötzlichen Wechsel in Ton und Haltung hinzu, »ein sehr lieber Freund, sagte ich, denn das war er mir wirklich. Aber wie hätte ich von dir verlangen können, einen nahen Freund des Mannes zu heiraten, der sich so entsetzlich zu seinem Nachteil verändert und dich so schlecht behandelt hatte?«

Diese Worte wurden in der denkbar natürlichsten Weise mit dem sicheren Selbstbewußtsein, das dieser Mann in so hohem Maße besaß, gesprochen und waren von einem triumphierenden, wenn auch nicht unfreundlichen Lächeln begleitet. Rahel aber legte auch diesem Ausspruch wie überhaupt allem, was Steel zu ihr sagte, eine Bedeutung bei, die gar nicht im Verhältnis zum wirklichen Wert seiner Worte stand, während Steel seine Rechtfertigung mit einem jener volkstümlichen Sprichwörter bekräftigte, die selbst von den größten Rednern aller Zeiten und Länder nicht verschmäht werden.

»Konntest du wirklich glauben,« fügte er hinzu, während sich ein seltenes, aber unendlich gewinnendes Lächeln um seine Lippen legte, »daß ich ein solcher Tor sein würde, dich zu bitten, aus dem Regen in die Traufe zu kommen?«

Rahel war einen Augenblick versucht, zu sagen, daß sie dies wirklich getan habe, allein selbst in diesem Augenblick war sie über die Unwahrheit einer solchen Behauptung vollkommen im klaren. Auch verschmähte es ihre vornehme Natur, sich durch eine scharfe Erwiderung eine momentane Befriedigung zu verschaffen. Er war ihr überhaupt zu klug und redegewandt, als daß sie sich in ein Wortgefecht mit ihm hätte einlassen mögen, und so blieb ihr nichts andres übrig, als wieder zu direkten Fragen zu greifen, die eine ebensolche Antwort erheischten. Sie leitete dieses Verhör indes mit Fragen ein, deren Antwort sie bereits wußte, und bereitete sich dadurch, ganz nach der in Old Bailey üblichen Art, die sie sich unwillkürlich angeeignet hatte, auf den von ihr beabsichtigten Hauptschlag vor.

»So leugnest du also nicht länger, daß du in Australien gewesen bist?«

»Es wäre nutzlos. Ich habe jahrelang dort gelebt.«

»Auch gibst du zu, daß du dort mit Alexander Minchin verkehrt hast?«

»Ja, aufs intimste. Auf meiner Besitzung Riverina war es, wo er vor etwa fünfzehn bis zwanzig Jahren in allen möglichen, eines gebildeten Mannes würdigen Stellungen tätig war, bis er es schließlich zum obersten Direktor gebracht hatte. Und während dieser Zeit war er für mich halb ein Sohn, halb ein jüngerer Bruder.«

»In Wirklichkeit jedoch kein Verwandter?«

»Nein, aber mein vertrautester Freund, wie ich dir bereits gesagt habe.«

»Wenn dem so war,« brauste Rahel auf, »warum um des Himmels willen hast du mir das nicht gleich zu Anfang gesagt?«

»Das ist eine Frage, die ich bereits beantwortet habe.«

»Nun, dann eine andre. Warum hast du so häufig und so systematisch behauptet, niemals in Australien gewesen zu sein?«

»Auf diese Frage bitte ich dich inständig keine Antwort zu verlangen.«

Diese in ihrer äußeren Form ziemlich ähnlichen Antworten waren dennoch in gänzlich verschiedener Weise ausgesprochen worden. Wie mit einem Schlag und zum ersten Male seit sie ihn kannte, war alle sarkastische Zuversicht von dem Manne abgefallen, gleich einem Kleid. Im einen Augenblick hatte auf seinem Gesicht noch der gewohnte lächelnde, selbstbewußte Ausdruck gelegen, im nächsten sprach tiefer Ernst aus seinen Zügen, während die sonst so spöttische Stimme in heftiger Erregung erzitterte.

»Ich hätte dich als Australier nur um so höher geschätzt,« fuhr Rahel, halb gerührt durch die mit ihm vorgegangene Veränderung fort, »ich, die ich stolz darauf bin, in diesem Lande geboren zu sein! Was konnte es schaden, wenn du es mir anvertraut hättest?«

»Du bist nicht die Einzige, vor der ich es geheim gehalten habe,« sagte Steel, noch immer mit leiser, bewegter Stimme.

»Und doch hast du alle jene Andenken an ein Leben in der Wildnis mitgebracht?«

»Allerdings, aber, wie du selbst gesehen hast, die Sachen nicht einmal ausgepackt.«

»Und wie verhält es sich mit dem geheimnisvollen Gast von neulich?«

»Er ist natürlich auch ein Australier, ein Mann, der früher ebenfalls auf einer meiner Besitzungen angestellt war.«

»Und weiß er, warum du nicht willst, daß man hier etwas von deinem Aufenthalt in Australien erfährt?«

»Ja,« antwortete Steel mit abweisender Kürze.

Da trat Rahel in ihrer impulsiven Weise plötzlich zu ihm heran und drückte ihm die Hand, und zu ihrer Überraschung wurde der Druck erwidert. Im selben Augenblick jedoch ließen beide die Hände schon wieder sinken.

»Ich bitte dich nun auch meinerseits um Verzeihung,« sagte sie, »und verspreche dir, diese Wunde – welcher Art sie auch sein mag – nie wieder zu berühren. Ja, ich will sogar nicht einmal versuchen, ihren Ursprung zu erraten. Ich habe bis jetzt keinerlei Anstrengungen gemacht, deine Vergangenheit zu ergründen, und auch in Zukunft soll es in der Hauptsache so bleiben. Allein in den Punkten, wo sie sich mit meiner eigenen Vergangenheit berührt, da kann ich es einfach nicht. Du sagtest, du seiest der intimste Freund meines ersten Mannes gewesen,« fügte Rahel hinzu, indem sie ihrem zweiten Manne schärfer und prüfender denn je in die Augen schaute. »War dies der Grund, der dich in den Schwurgerichtssaal führte?«

Offen erwiderte er ihren Blick.

»Ja, das war der Grund.«

»Hat derselbe Grund dich auch bewogen, mich zu heiraten?«

Keine Antwort. Seine frühere Sicherheit aber kehrte plötzlich zurück, während er, die schwarzen Arme über der schneeweißen Hemdbrust gekreuzt, Rahel unter seinen buschigen Augenbrauen hervor anschaute. Der Moment, den alten Adam wieder anzuziehen, war aber schlecht gewählt, denn Rahel war nun an den Punkt gelangt, über den sie mit glühender Leidenschaft Aufklärung begehrte.

»Ich will es wissen,« schrie sie, »und bestehe darauf, zu erfahren, was dich zuerst auf den Gedanken gebracht hat, mich heiraten zu wollen, trotzdem ich beschuldigt war ...«

Abwehrend und mit einem ängstlichen Blick nach der Tür erhob Steel die Hand.

»Ich habe es dir schon oft versichert,« sagte er, »und dein Spiegel muß es dir ja auch bei jedem Blick, den du hineinwirfst, bestätigen. Eine ganze Woche lang saß ich wenige Fuß breit von dir entfernt.«

»Daß dies der Grund sein soll, ist einfach nicht wahr,« erwiderte sie ihm ruhig, »eine Frau hat in dieser Hinsicht ein feines Gefühl.«

In dem blendenden Glanze des elektrischen Lichtes schien es, als wechsle er von neuem leicht die Farbe.

»Wenn du meinen Worten keinen Glauben schenkst,« antwortete er, »so habe ich weiter nichts zu sagen.«

Dabei drehte er einen Teil der Lichter aus, die ihn so grell beleuchtet hatten, doch machte das eher den Eindruck, als wolle er dadurch das Gespräch beenden.

»Du hast mir während der letzten halben Stunde so viele Unwahrheiten eingestanden,« fuhr Rahel mit bebender Stimme fort, »daß du nicht gekränkt sein solltest, wenn ich dich einer weiteren verdächtige. Sei aufrichtig. Kannst du mir offen ins Gesicht sehen und behaupten, du habest mich aus Liebe geheiratet? Nein, siehst du wohl, du wendest dich ab, weil du es nicht kannst! Willst du mir dann um Gottes Barmherzigkeit willen sagen, warum du mich geheiratet hast?«

Mit flehentlich gefalteten Händen folgte sie ihm, während ihre schönen Augen sich mit Tränen füllten und ihr weißer Hals sich von unterdrücktem Schluchzen hob und senkte.

»Nein, ich will es dir nicht sagen!« rief er, sich plötzlich wieder nach ihr umwendend. »Da die Antwort, die sehr leicht zu verstehende Antwort, die ich dir gegeben habe, dir nicht genügt, so kannst du nichts Besseres tun, als selbst die Wahrheit zu ergründen.«

Ein trotziger, grausamer Blick trat in Rahels Augen, während diese auf dem glattrasierten, so ungewöhnlich bewegten und von dem silberweißen Haare umrahmten Gesicht hafteten.

»Ja, das will ich,« stieß sie zwischen den Zähnen hervor. »Ich werde dich beim Worte nehmen und es selbst zu ergründen suchen.«

Damit fegte sie an ihm vorüber aus dem Zimmer.

 

Schluß des ersten Bandes.


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