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Sechstes Kapitel. Ein Einbruch auf Bestellung

»Nun,« fragte Raffles, »was hältst du davon?«

Bevor ich antwortete, las ich die Anzeige noch einmal durch, die auf der letzten Seite des Daily Telegraph stand und also lautete: » Zweitausend Pfund Belohnung! – Diesen Betrag kann jeder verdienen, der im stande ist, einen heiklen Auftrag zu übernehmen, dessen Ausführung mit einer gewissen Gefahr verbunden ist. – Näheres auf telegraphische Anfrage unter der Adresse: Security, London.«

»Ich halte das,« entgegnete ich, »für die seltsamste Anzeige, die jemals gedruckt worden ist.«

»O Bunny,« antwortete Raffles lächelnd, »so schlimm ist es doch wohl nicht, obschon ich zugebe, daß es eigentümlich aussieht ...«

»Aber der Betrag!«

»Der ist allerdings sehr hoch.«

»Und der heikle Auftrag – die Gefahr.«

»Ja, die Zusammenstellung reizt zum mindesten durch eine gewisse Offenheit. Was mir aber am eigentümlichsten vorkommt, das ist, daß Anfragen auf telegraphischem Wege an eine Telegrammadresse erbeten werden! In dem Manne, der das ausgeheckt hat, steckt etwas, und in seinem Plänchen nicht minder. Mit einem Worte: er weist die Millionen, die jeden Tag auf Anzeigen antworten, wenn sie das nötige Kleingeld aufbringen können, von vornherein ab. Meine Antwort kostet mich fünf Schillinge: allerdings habe ich auch die Rückantwort bezahlt.«

»Du willst doch nicht sagen, daß du dich gemeldet hast?«

»Na, und ob ich mich gemeldet habe!« erwiderte Raffles. »Die zweitausend Pfund kann ich ebenso gut brauchen als jeder andre.«

»Unter deinem wirklichen Namen?«

»Nein, das nicht, Bunny. Ich wittere etwas Interessantes und Ungesetzliches hinter der Geschichte, und du weißt ja, wie vorsichtig ich bin. Ich habe unterschrieben: Glaspool, Adresse: Hickey, Conduct Street 38. Das ist mein Schneider, und nach Absendung meines Telegramms ging ich zu ihm und sagte ihm, was er zu erwarten habe. Er hat mir versprochen, die Antwort sofort nach Empfang zu senden, und ich würde mich gar nicht wundern, wenn sie das wäre.«

Bei diesen Worten war er hinausgegangen, noch ehe ein doppeltes Klopfen im Zimmer verhallt war, um im nächsten Augenblick mit einem offenen Telegramm und einem Gesicht zurückzukehren, worin zu lesen war, daß er Neuigkeiten habe.

»Was sagst du nun?« rief er. »Security entpuppt sich als der Anwalt Addenbrooke, und er möchte mich augenblicklich sprechen.«

»Du kennst ihn also?«

»Nur vom Hörensagen, und ich hoffe nur, daß er mich nicht kennt. Er ist der Mensch, der sechs Wochen erhielt, weil er im Sutton-Wilson-Prozeß zu hart am Winde gesegelt war, und alle Welt war erstaunt, daß er nicht aus der Liste der Rechtsanwälte gestrichen wurde. Statt dessen ist seine Praxis in anrüchigen Fällen ganz kolossal gestiegen, und jeder Lump, der nur einige Aussicht hat, wendet sich sofort an Bennet Addenbrooke. Wahrscheinlich ist er der einzige Mensch, der unverschämt genug ist, eine solche Anzeige zu veröffentlichen, aber auch der einzige, der das tun kann, ohne Verdacht zu erregen. Es schlägt eben in sein Fach, aber du kannst dich darauf verlassen, daß etwas dahinter steckt, das das Licht zu scheuen hat. Das Seltsamste bei der ganzen Geschichte ist das, daß ich schon seit langer Zeit entschlossen bin, mich selbst an Addenbrooke zu wenden, falls mir – ein Unfall zustoßen sollte.«

»Und du willst jetzt zu ihm gehen?«

»Sofort,« erwiderte Raffles, indem er seinen Hut abbürstete, »und du gehst mit.«

»Ich wollte dich gerade zum Frühstück abholen.«

»Wir können zusammen frühstücken, nachdem wir mit diesem Menschen gesprochen haben. Vorwärts, Bunny, wir wollen uns unterwegs auf einen Namen für dich besinnen. Ich heiße Glaspool, das vergiß ja nicht.«

Mr. Bennet Addenbrooke, der reich ausgestattete Geschäftszimmer in Wellington Street hatte, war nicht zu Hause, als wir dort eintrafen, allein er war »eben nur einmal hinüber aufs Gericht« gegangen, und nachdem wir kurze Zeit gewartet hatten, erschien ein lebhafter, entschlossen aussehender Herr mit zuversichtlichem, etwas feierlichem Ausdruck und schwarzen Augen, die sich weit öffneten, als er Raffles' ansichtig wurde.

»Mr. ... Glaspool?« rief der Anwalt aus.

»Das ist mein Name,« entgegnete Raffles mit trockener Unverschämtheit.

»Aber nicht im Adreßbuch,« antwortete der andre schlau. »Mein lieber Herr, ich habe Sie zu viele Cricketpartieen gewinnen sehen, als daß ich mich täuschen könnte.«

Einen kurzen Augenblick sah Raffles giftig aus, dann zuckte er lächelnd die Achseln, und das Lächeln wurde zu einem cynischen Kichern.

»Diesmal haben Sie die Partie gewonnen,« sagte er, »aber Erklärungen halte ich für überflüssig. Ich bin in größerer Bedrängnis, als ich unter meinem eigenen Namen einräumen wollte, das ist die ganze Geschichte, und ich möchte mir die tausend Pfund Belohnung verdienen.«

»Zweitausend,« antwortete der Sachwalter, »und einer, der sich nicht scheut, einen andern Namen anzunehmen, ist gerade mein Mann, mein Verehrtester. Die Angelegenheit soll übrigens streng vertraulich behandelt werden,« schloß er mit einem bezeichnenden Blick auf mich.

»Selbstverständlich,« entgegnete Raffles, »aber in der Anzeige ist auch von Gefahr die Rede.«

»Ja, eine gewisse Gefahr ist mit der Sache verbunden.«

»Dann sind drei Köpfe mehr wert als zwei. Ich sagte vorhin, ich hätte tausend Pfund nötig: mein Freund hier braucht das zweite Tausend. Wir sind beide in großer Geldverlegenheit und besorgen dieses Geschäft entweder zusammen, oder gar nicht. Müssen Sie auch seinen Namen wissen? – Ich würde ihm den wahren nennen, Bunny.«

Mr. Addenbrooke betrachtete die Karte, die ich für ihn hervorgesucht hatte, mit emporgezogenen Augenbrauen, dann trommelte er mit den Fingernägeln darauf, und seine Verlegenheit verriet sich in einem verblüfften Lächeln.

»Um die Wahrheit zu sagen, sehe ich mich einer großen Schwierigkeit gegenüber,« räumte er endlich ein. »Das Ihrige ist das erste Anerbieten, das ich erhalten habe. Leute, die sich erlauben können, lange Telegramme abzusenden, beantworten die Anzeigen im Daily Telegraph gewöhnlich nicht in solcher Eile, aber anderseits war ich auch nicht darauf gefaßt, von Leuten Ihrer Stellung Anerbietungen zu erhalten. Offen gestanden, weiß ich, wenn ich mir die Sache recht überlege, doch nicht, ob Sie die Richtigen für mich sind – Herren, die Mitglieder vornehmer Klubs sind! Ich hatte mehr die ... hm ... abenteuerlichen Klassen im Auge.«

»Wir sind Abenteurer,« sagte Raffles ernst.

»Aber Sie achten die Gesetze,« entgegnete er, wobei seine schwarzen Augen verschmitzt funkelten.

»Wir sind keine berufsmäßigen Spitzbuben, wenn Sie das damit sagen wollen,« versetzte Raffles lächelnd, »aber wir sind sehr nahe am Schiffbruch, und für tausend Pfund pro Kopf würden wir schon manches tun. Was meinst du, Bunny?«

»Alles,« antwortete ich.

Der Sachwalter trommelte auf seinem Pulte.

»Dann will ich Ihnen sagen, was ich von Ihnen verlange, und es steht Ihnen ja immer frei, abzulehnen. Ungesetzlich ist es wohl, aber es ist eine Ungesetzlichkeit in einer guten Sache; da liegt die Gefahr, und mein Klient ist willens, dafür zu bezahlen. Auch für den Versuch, im Falle des Mißlingens. Das Geld ist Ihnen also sicher, wenn Sie einwilligen, die Gefahr zu übernehmen. Mein Klient ist Sir Bernard Debenham von Broom Hall, Esher.«

»Ich kenne seinen Sohn,« warf ich dazwischen.

Auch Raffles kannte ihn, allein er sagte nichts, sondern sah mich mißbilligend an, während sich Mr. Addenbrooke mir zuwandte.

»Dann haben Sie den Vorzug, einen der ausgewachsensten jungen Lumpe in der Stadt und fontem et originem der ganzen Schwierigkeit zu kennen,« sagte er. »Wenn Ihnen der Sohn bekannt ist, wird Ihnen wohl auch der Vater, wenigstens dem Rufe nach, nicht unbekannt sein, und in diesem Falle brauche ich Ihnen nicht zu sagen, daß er ein sehr eigentümlicher Herr ist. Er lebt allein in einer wahren Schatzkammer, die noch keine Augen, außer seinen eigenen, jemals erblickt haben. Auch soll er die schönste Gemäldesammlung in Südengland besitzen, obgleich das niemand beurteilen kann, da sie noch kein Mensch gesehen hat. Gemälde, Fiedeln und alte Möbel sind seine Steckenpferde, und er ist ohne Zweifel sehr exzentrisch. Auch läßt sich nicht leugnen, daß er seinen Sohn sehr exzentrisch behandelt hat. Jahrelang hat ihm der Alte die Schulden bezahlt, allein vor kurzem hat er sich ohne die geringste Warnung nicht nur geweigert, das noch ferner zu tun, sondern er hat dem jungen Manne auch das Jahrgeld entzogen. Nun will ich Ihnen erzählen, was vorgefallen ist, aber zunächst muß ich Ihnen sagen, oder vielleicht entsinnen Sie sich dessen auch ohnehin, daß ich dem jungen Debenham in einer kleinen Patsche beigestanden habe, worein er vor ein paar Jahren geraten war. Ich habe ihn durchgerissen, und Sir Bernard hat mich anständig dafür bezahlt. Seitdem habe ich von beiden nichts mehr gehört oder gesehen, bis vorige Woche.«

Der Anwalt rückte seinen Stuhl näher zu uns heran, beugte sich vor und fuhr, die Hände auf die Kniee stützend, fort: »Am Dienstag der vorigen Woche erhielt ich ein Telegramm von Sir Bernard, das mich sofort zu ihm rief. Bei meiner Ankunft erwartete er mich auf dem Fahrwege, führte mich, ohne ein Wort zu sprechen, in die Bildergalerie, die verschlossen und verdunkelt war, zog ein Rouleaux in die Höhe und wies stumm auf einen leeren Rahmen. Es dauerte geraume Zeit, bis ich ein Wort aus ihm herausbringen konnte. Dann aber sagte er mir endlich, der Rahmen habe eins der seltensten und wertvollsten Gemälde in England – ja in der ganzen Welt – enthalten, einen echten Velasquez. Ich habe nachgeforscht,« sagte der Anwalt, »und es scheint buchstäblich wahr zu sein. Das Bild war ein Porträt der Infantin Maria Teresa, das für eins der größten Werke des spanischen Malers gilt und nur von einem andern Porträt übertroffen wird, das einen der Päpste darstellt. Das wurde mir in der Nationalgalerie gesagt, wo die Leute die Geschichte des Bildes auswendig kennen. Es habe tatsächlich einen unschätzbaren Wert, behaupteten sie. Und der junge Debenham hat es für fünftausend Pfund verkauft!«

»Den Teufel auch!« rief Raffles, während ich mich nach dem Käufer erkundigte.

»Ein Gesetzgeber von Queensland namens Craggs – der ehrenwerte John Montagu Craggs, Mitglied der gesetzgebenden Versammlung, um ihm seinen vollen Titel zu geben. Nicht, daß wir am Dienstag abend etwas über ihn gewußt hätten; wir waren nicht einmal sicher, ob wirklich der junge Debenham das Bild gestohlen hatte. Allein er war am Montag gekommen, um Geld vom Alten zu verlangen, war auf eine Weigerung gestoßen, und es lag ziemlich klar am Tage, daß er sich auf diese Weise geholfen hatte. Schon früher hatte er mit Rache gedroht, und dies war sie. Als ich ihn Dienstag abend in der Stadt aufsuchte, gestand er auch alles in der denkbar unverfrorensten Weise ein; den Käufer wollte er mir jedoch nicht nennen, und ihn zu ermitteln, nahm den Rest der Woche in Anspruch, aber ich habe ihn schließlich doch entdeckt, und seitdem habe ich mich schön abgehetzt! Immer zwischen Esher und dem Hotel Metropole, wo der Queensländer wohnt, hin und her, zuweilen zweimal an einem Tage. Drohungen, Anerbietungen, Bitten, Beschwörungen – nichts hat auch nur das Geringste genützt!«

»Aber,« entgegnete Raffles, »der Fall liegt ja doch sehr einfach. Der Verkauf ist ungesetzlich; Sie können ihm den Kaufpreis zurückzahlen und ihn zur Herausgabe des Bildes zwingen.«

»Sehr richtig, aber nicht ohne vorausgegangene Klage, die zu einem öffentlichen Skandal führen würde; und davor schreckt mein Klient zurück. Verstoßen hat er seinen Sohn zwar, aber entehren will er ihn nicht, und doch möchte er das Bild auf geradem oder auf krummem Wege wiederhaben, und da liegt der Hase im Pfeffer! Ich soll es ihm wieder herbeischaffen, mit Güte oder Gewalt; er läßt mir vollständig freie Hand, und ich glaube wahrhaftig, er würde mir einen Blankoscheck geben, wenn ich es verlangte. Dem Queensländer hat er schon einen angeboten, aber der hat ihn einfach durchgerissen. Der eine von den beiden alten Knaben ist so gut ein Charakter als der andre, und ich bin mit meinem Latein zu Ende.«

»Deshalb haben Sie die Anzeige in die Zeitung einrücken lassen?« fragte Raffles in dem trockenen Tone, den er während der ganzen Verhandlung angenommen hatte.

»Ja, als letzten Versuch.«

»Und Sie wünschen, daß wir das Bild stehlen sollen?«

Das wurde ganz großartig gesprochen, und der Sachwalter errötete von den Haarwurzeln bis in den Kragen.

»Ich habe es ja gleich gesagt, daß Sie nicht die Richtigen sind,« stöhnte er. »Niemals habe ich an Leute eures Schlages gedacht. Aber stehlen kann man es doch nicht nennen,« fuhr er hitzig fort, »es handelt sich vielmehr um die Wiedererlangung gestohlenen Eigentums. Außerdem will Sir Bernard ihm seine fünftausend Pfund erstatten, sowie das Bild wieder in der Galerie hängt. Sie werden sehen, daß der alte Craggs es ebenso gern vermeiden möchte, die Geschichte in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, als Sir Bernard selbst. Nein, nein, es ist eine Unternehmung, ein Abenteuer, wenn Sie wollen – aber Diebstahl ist es nicht.«

»Sie selbst haben doch vom Gesetz gesprochen,« murmelte Raffles.

»Und von der Gefahr,« fügte ich hinzu.

»Dafür bezahlen wir ja auch,« sagte er noch einmal.

»Aber nicht genug,« meinte Raffles kopfschüttelnd. »Mein guter Herr, bedenken Sie doch einmal, was für uns auf dem Spiele steht. Sie selbst sprachen von den Klubs; aus denen würden wir nicht nur hinausgeworfen, sondern obendrein wie gemeine Einbrecher ins Gefängnis gesteckt werden! Allerdings sind wir in großer Verlegenheit, aber der Preis ist denn doch zu niedrig. Verdoppeln Sie Ihren Einsatz, dann bin ich für meine Person Ihr Mann!«

Addenbrooke schwankte.

»Glauben Sie, daß Sie es durchführen können?«

»Wir könnten es wenigstens versuchen.«

»Aber Sie haben keine ...«

»Erfahrung? Die haben wir allerdings nicht.«

»Und Sie würden für viertausend Pfund wirklich das Risiko übernehmen?«

Raffles sah mich an und ich nickte.

»Ja, das würden wir!«

»Es ist aber mehr, als ich meinem Klienten gegenüber verantworten kann,« sagte Addenbrooke, plötzlich hartnäckig werdend.

»Dann ist auch das Risiko größer, als daß wir uns darauf einlassen könnten.«

»Sprechen Sie im Ernst?«

»Das weiß der liebe Gott.«

»Sagen Sie dreitausend für den Fall des Gelingens.«

»Vier ist unser letztes Wort.«

»Dann sollte aber im Falle des Mißlingens jede Zahlung wegfallen.«

»Doppelt oder quitt?« rief Raffles. »Gut, das ist sportmäßig. Abgemacht!«

Addenbrooke öffnete die Lippen, erhob sich halb, setzte sich aber wieder auf seinen Stuhl und schaute Raffles lange mit verschmitztem Lächeln an – mich aber würdigte er keines Blickes.

»Ich weiß, was für ein Cricketspieler Sie sind,« sagte er nachdenklich. »Wenn ich eine Stunde wirklicher Ruhe suche, gehe ich nach Lords Spielplatz, und da habe ich Sie oft genug spielen – ja, und die besten Wickets in England machen sehen. Den letzten Wettkampf zwischen Herren- und Berufsspielern werde ich so bald nicht vergessen. Sie sind mit allen Salben gerieben – mit allen. Wenn's einen Menschen auf der Welt gibt, der diesen alten Australier hineinlegen kann, so sind Sie es, sollte ich denken. – Hol' mich der Satan, ich glaube, Sie sind der richtige Mann für mich!«

Das Geschäft wurde im Café Royal abgeschlossen, wo uns Bennett Addenbrooke mit einem üppigen Frühstück bewirtete. Ich entsinne mich, daß er seinen Champagner mit der nervösen Hast eines Mannes trank, der in der höchsten Spannung ist, und ich zweifle nicht daran, daß ich mit ihm Schritt hielt, aber Raffles, der sich bei solchen Anlässen immer musterhaft benahm, war noch enthaltsamer als gewöhnlich und ein recht schlechter Gesellschafter obendrein. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er, den Blick auf den Teller gerichtet, in tiefes Nachdenken versunken dasaß. Auch den Sachwalter sehe ich noch, wie er von Zeit zu Zeit mit dem Ausdruck einer Besorgnis nach mir hinschaute, die durch beruhigende Blicke zu beschwichtigen ich mich bemühte. Am Schlusse des Mahles entschuldigte sich Raffles wegen seiner Zerstreutheit, ließ sich einen Fahrplan kommen und teilte uns mit, er wolle mit dem Nachmittagszuge um drei Uhr nach Esher fahren.

»Sie müssen verzeihen, Mr. Addenbrooke,« sagte er, »aber ich habe meine eigenen Pläne, die ich für den Augenblick für mich behalten möchte. Sie führen vielleicht zu nichts, und deshalb rede ich nicht gern darüber, aber mit Sir Bernard muß ich sprechen. Wollen Sie so gut sein, mir Ihre Karte mitzugeben und ein paar erklärende Worte darauf zu schreiben? Wenn Sie darauf bestehen, können Sie mich begleiten und hören, was ich zu sagen habe, aber ich sehe wirklich keinen Nutzen darin.«

Wie gewöhnlich setzte Raffles seinen Willen durch, obgleich Bennett Addenbrooke seinen Verdruß merken ließ, als jener sich entfernt hatte, einen Verdruß, den ich in weitgehendem Maße teilte. Ich konnte Addenbrooke nur versichern, Eigensinn und Verschlossenheit seien hervorragende Züge in Raffles' Wesen, aber keiner meiner Bekannten sei auch nur halb so kühn und entschlossen; ich setzte felsenfestes Vertrauen in ihn und ließe ihn stets seinen eigenen Weg gehen. Mehr wagte ich nicht zu sagen, selbst nicht um die ärgerlichen Bedenken zu verscheuchen, womit sich der Rechtsanwalt augenscheinlich entfernte.

An diesem Tage sah ich nichts mehr von Raffles, allein während ich mich zum Diner ankleidete, erhielt ich ein Telegramm: »Sei von morgen mittag an zu Hause und halte dich für den Rest des Tages frei.«

Die Depesche war um sechs Uhr zweiundvierzig auf dem Waterloobahnhof aufgegeben.

Demnach war Raffles wieder in der Stadt. In der ersten Zeit unsrer Beziehungen würde ich ihn aufgesucht haben, aber jetzt wußte ich besser, wie ich mich zu verhalten hatte. Zwischen den Zeilen seines Telegramms las ich, daß er meine Gesellschaft an diesem Abend und dem nächsten Vormittag nicht begehre und daß ich ihn schon rechtzeitig zu sehen bekommen würde, wenn er mich nötig haben sollte.

Gegen ein Uhr Nachmittags des folgenden Tages sah ich ihn denn auch. Ich stand an meinem Fenster in Mount Street und wartete auf ihn, als er eiligst in einer Droschke angefahren kam und heraussprang, ohne dem Kutscher ein Wort zu sagen. Gleich darauf empfing ich ihn an der Tür des Aufzugs, und er schob mich eilig in mein Zimmer.

»Fünf Minuten, Bunny!« rief er. »Nicht einen Augenblick länger.«

Bei diesen Worten riß er sich den Überzieher ab und schleuderte ihn auf den nächsten Stuhl.

»Ich bin in der größten Eile,« keuchte er, »und habe mich furchtbar abgehetzt. Kein Wort, bis ich dir erzählt, was ich getan habe. Meinen Feldzugsplan habe ich mir gestern während des Frühstücks zurechtgelegt. Zunächst mußte ich mich an diesen Craggs heranschlängeln. In ein Haus wie das Hotel Metropole kann man nicht einbrechen; die Geschichte muß von innen her besorgt werden. Erste Frage: wie kann man sich an den Mann heranmachen? Nur ein Vorwand war benutzbar – er mußte mit diesem verwünschten Gemälde im Zusammenhang stehen, damit ich erfuhr, wo und wie er es aufbewahrte. Einfach aus Neugier hingehen und ihn bitten, es mir zu zeigen, das war nicht ratsam; ebensowenig konnte ich mich als zweiten Vertreter des andern alten Knaben einführen, und die Schwierigkeit, den rechten Weg zu finden, war es, die mich gestern beim Frühstück so brummig machte. Allein noch ehe wir uns erhoben, sah ich einen Ausweg. Wenn es mir gelang, mir eine Kopie des Bildes zu verschaffen, konnte ich hingehen und um die Erlaubnis bitten, sie mit dem Original zu vergleichen. Deshalb fuhr ich nach Esher, um zu ermitteln, ob es eine Kopie gebe, und war gestern nachmittag anderthalb Stunden in Broom Hall. Dort war jedoch keine Kopie, aber es mußte welche geben, denn seit das Bild in seinem Besitze ist, hat Sir Bernard selbst die Erlaubnis zur Herstellung von zwei Kopieen erteilt. Er kramte die Adressen der betreffenden Maler hervor, und ich verbrachte den Rest des Abends damit, die Maler selbst zu suchen, allein sie hatten die Arbeit auf Bestellung gemacht, und die eine Kopie ist außer Landes gegangen: hinter der andern bin ich noch her.«

»Also hast du Craggs noch nicht gesehen?«

»Doch, gestern, und zwar habe ich mich bereits mit ihm angefreundet. Er ist womöglich der wunderlichere von den beiden alten Schwerenötern, aber du sollst sie beide studieren. Heute morgen nahm ich den Stier bei den Hörnern und log wie Ananias – das war ein Glück – denn der alte Spitzbube segelt morgen nach Australien ab. Ich erzählte ihm, mir sei eine Kopie des berühmten Porträts der Infantin Maria Teresa von Velasquez zum Kaufe angeboten worden, und ich sei bei dem angeblichen Besitzer des Originals gewesen, nur um dort zu hören, daß es soeben an ihn – Craggs – verkauft worden sei. Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich das sagte! Er grinste rings um seinen sündhaften alten Schädel herum! ›Hat der alte Debenham eingeräumt, daß es sich um einen Verkauf handelt?‹ fragte er, und als ich das bejaht hatte, kicherte er eine geraume Weile vor sich hin. Die Sache machte ihm solchen Spaß, daß er wirklich tat, was ich gehofft hatte: er zeigte mir das berühmte Bild – das glücklicherweise räumlich gar nicht groß ist – ebenso wie das Behältnis, worin er es aufbewahrt. Das ist eine Art eisernen Kartenfutterals, das er zur Verpackung der Pläne seines Grundbesitzes in Brisbane gebraucht hat, und er fragte, ob jemand ahnen könne, daß es auch einen alten Meister enthalte. Aber er hat es mit einem neuen Chubbschloß versehen lassen, und während er in der Betrachtung des Bildes schwelgte, gelang es mir, den Schlüssel zu erwischen. Wachs hatte ich in der hohlen Hand, und heute nachmittag fertigte ich den Nachschlüssel an.«

Jetzt sah Raffles nach der Uhr, sprang auf und erklärte, er habe mir eine Minute zu viel gewidmet.

»Nebenbei bemerkt,« sagte er, »du mußt heute abend bei ihm im Hotel Metropole dinieren.«

»Ich?«

»Ja, aber du brauchst nicht so auszusehen, als ob dir die Petersilie verhagelt wäre. Wir sind beide eingeladen – ich schwor, du würdest bei mir dinieren, und nahm die Einladung für uns beide an, aber ich werde nicht erscheinen.«

Schelmisch und mit bedeutungsvollem Glanz ruhten seine klaren Augen auf mir, und ich flehte ihn an, mir zu sagen, was er im Schilde führe.

»Ihr werdet in seinem Privatwohnzimmer speisen,« entgegnete Raffles, »das neben dem Schlafzimmer liegt. Du mußt ihn so lange als möglich bei Tische festhalten, Bunny, und unaufhörlich sprechen.«

Wie von einem Blitze erleuchtet, stand mir sein Plan vor Augen.

»Du willst das Bild holen, während wir bei Tische sitzen?«

»Ja.«

»Wenn er dich aber nun hört?«

»Das darf er eben nicht.«

»Aber es wäre doch möglich?«

Bei dem Gedanken überlief mich ein Zittern.

»Dann gibt's eben einen Zusammenstoß, weiter nichts,« sagte Raffles. »Revolver sind im Hotel Metropole nicht am Platze, aber ich nehme ganz bestimmt meinen Totschläger mit.«

»Das ist aber schauderhaft!« rief ich. »Dazusitzen und mit einem vollkommen fremden Menschen zu plaudern, während ich weiß, daß du im nächsten Zimmer an der Arbeit bist!«

»Zweitausend Pfund für jeden!« entgegnete Raffles ruhig.

»Raffles, Raffles,« erwiderte ich, »ich fürchte wahrhaftig, die Geschichte zu verpfuschen.«

»Ach was, du und verpfuschen, Bunny! Ich kenne dich besser, als du dich selbst kennst.«

Bei diesen Worten zog er seinen Überrock an und ergriff seinen Hut.

»Um wie viel Uhr soll ich dort sein?« fragte ich mit einem tiefen Seufzer.

»Um dreiviertel Acht. Es wird ein Telegramm von mir eintreffen, worin ich mich entschuldige. Er schwatzt wie ein Rohrspatz, und es wird dir nicht schwer fallen, das Gespräch im Gang zu halten, aber laß ihn ums Himmels willen nicht von seinem Bilde reden. Sollte er dir's zeigen wollen, so sage, du müssest gehen. Er hat das Futteral heute nachmittag umständlich verschlossen, und es ist nicht der geringste Grund vorhanden, weshalb er es auf dieser Halbkugel der Erde noch einmal öffnen sollte.«

»Wo finde ich dich, wenn ich dort loskomme?«

»Ich werde in Esher sein; hoffentlich erreiche ich den Zug um neun Uhr fünfundfünfzig.

»Aber ich werde dich doch heute nachmittag noch einmal sprechen?« rief ich aufgeregt, denn seine Hand lag bereits auf dem Türgriff. »Du hast mich noch lange nicht genug unterwiesen, und ich werde die Karre ganz bestimmt verfahren.«

»Ach was, du und verfahren,« sagte er wieder, »aber ich werde das tun, wenn ich noch einen Augenblick verliere. Ich muß noch furchtbar umherrennen, und in meiner Wohnung würdest du mich nicht finden. Könntest du nicht selbst mit dem letzten Zug nach Esher kommen? Das ist das Beste – du fährst nach Esher und bringst uns die neuesten Nachrichten! Ich werde dich beim alten Debenham anmelden, und er kann uns beide für die Nacht beherbergen. Bei Gott! Er kann uns gar nicht gut genug behandeln, wenn er sein Bild wieder erhält.«

»Wenn!« stöhnte ich, als er mir zum Abschied zunickte und ich ganz schlaff vor Besorgnis, krank vor Angst und in einem wahrhaft kläglichen Zustand von Lampenfieber zurückblieb.

Denn ich hatte schließlich nur eine Rolle zu spielen. Falls nicht Raffles' Geschick unter Umständen versagte, wo es ihn sonst nie im Stiche ließ, wenn nicht Raffles, der Gewandte und Geräuschlose, dies eine Mal plump und täppisch war, so hatte ich weiter nichts zu tun, als »zu lächeln und zu lächeln und ein Schurke zu sein«. Das Lächeln und die mutmaßlichen Wendungen eines mutmaßlichen Gesprächs übte ich den halben Nachmittag ein, ich erfand Geschichten, las im Klub ein wenig in einem Buch über Queensland, und als es sieben Uhr fünfundvierzig war, machte ich meine Verbeugung vor einem ältlichen Herrn mit einem kleinen Kopfe und zurücktretender Stirn.

»Also Sie sind Mr. Raffles' Freund?« fragte er, mich mit seinen hellen kleinen Augen ziemlich ungezogen musternd. »Haben Sie etwas von ihm gesehen? Ich erwartete ihn schon früh, denn er wollte mir etwas zeigen, aber er ist nicht gekommen.«

Sein Telegramm war augenscheinlich auch noch nicht eingetroffen, und meine Schwierigkeiten begannen früh. Ich hätte Raffles seit ein Uhr nicht gesehen, entgegnete ich salbungsvoll die Wahrheit sprechend, solange ich konnte, aber noch ehe ich geendet hatte, wurde an die Tür geklopft. Es war das Telegramm, das der Queensländer mir reichte, nachdem er es gelesen hatte.

»Verreist!« knurrte er. »Plötzliche Erkrankung eines nahen Verwandten! Was für nahe Verwandte hat er denn?«

Natürlich wußte ich von keinem, und einen Augenblick bebte ich vor den Gefahren der Erfindung; dann erwiderte ich, ich sei mit seinen Angehörigen nie zusammengetroffen, und fühlte mich durch meine Wahrheitsliebe gekräftigt.

»Ich glaubte, ihr wäret Busenfreunde?« sagte er mit einem (wie es mir vorkam) mißtrauischen Aufleuchten in seinen schlauen Äuglein.

»Nur in der Stadt,« antwortete ich. »Auf sein Gut habe ich ihn noch nie begleitet.«

»Na, es wird sich wohl nicht ändern lassen, aber ich begreife nicht, warum er nicht erst hierher gekommen ist und mit uns gegessen hat. Das Totenbett, an das ich ohne mein Diner ginge, möchte ich sehen. Aber es wird uns wohl nichts übrig bleiben, als ohne ihn zu essen, und er wird sich sein Futter in irgend einem Hundeloch kaufen müssen. Macht es Ihnen nicht zu viel Mühe, die Klingel dort zu drücken? Sie werden wohl wissen, weshalb er mich aufgesucht hat. Tut mir leid, daß ich ihn nicht noch einmal sehe, um seiner selbst willen. Raffles hat mir gefallen – ganz ungeheuer gefallen. Ist ein Cyniker – das habe ich gern – bin selbst einer. Sehr geschmacklos von seiner Mutter oder Tante – hoffentlich beißt sie ins Gras.«

Diese Bruchstücke seines Gesprächs gebe ich zusammenhängend wieder, obgleich sie in Wirklichkeit durch einzelne Bemerkungen von mir unterbrochen wurden. Sie vertrieben uns die Zeit, bis das Diner aufgetragen wurde, und gaben mir Gelegenheit, mir ein Urteil über den Menschen zu bilden, das durch seine späteren Äußerungen bestätigt wurde. Es war ein Eindruck, der mit dem letzten Rest von Reue über meine verräterischen Absichten aufräumte. Der Mensch war einer von dem schrecklichen Typus, den man mit alberner Cyniker bezeichnen könnte, seine Reden bewegten sich in bissigen Bemerkungen über Menschen und Dinge und gemeinem Hohn, dem nichts heilig war. Wie er selbst erzählte, war ihm, dem gänzlich Ungebildeten, bei einem plötzlichen Steigen der Bodenpreise ein Vermögen in den Schoß gefallen, während andre, weniger Pfiffige Haare lassen mußten, worüber er sich weidlich lustig machte. Noch heute fühle ich keine Reue über meine Handlungsweise gegen den ehrenwerten J. M. Craggs, Mitglied der gesetzgebenden Versammlung.

Aber die geheimen Qualen, die mir meine Lage verursachte, werde ich nie vergessen, die abspannende Mühe, die es mich kostete, mit einem Ohr meinem Wirte zuzuhören und mit dem andern nach Raffles hinzuhorchen. Einmal vernahm ich etwas von ihm – obgleich die Zimmer nicht durch eine von den altmodischen Flügeltüren verbunden waren und trotzdem, daß die einfache Tür, die von einem ins andre führte, mit einem reichen, schweren Vorhang bedeckt war, hätte ich darauf schwören mögen, daß ich ihn einmal hörte. Ich verschüttete meinen Wein und lachte aus vollem Halse über einen rohen Ausfall meines Wirtes. Danach vernahm ich nichts mehr, obwohl ich mit der größten Anspannung lauschte; allein etwas später, als sich der Kellner endgültig entfernt hatte, sprang Craggs selbst zu meinem größten Schreck auf und stürzte in sein Schlafzimmer, während ich wie versteinert sitzen blieb, bis er zurückkehrte.

»Mir war, als hätte ich eine Tür gehen hören,« sagte er. »Muß mich geirrt haben ... Einbildung ... Ist mir aber furchtbar in die Glieder gefahren ... Hat Raffles Ihnen erzählt, was für einen kostbaren Schatz ich dort habe?«

Da waren wir denn endlich bei dem Gemälde angelangt, nachdem es mir bis jetzt gelungen war, ihn bei der Schilderung festzuhalten, wie er in Queensland sein Vermögen erworben hatte. Alle meine Versuche, das Gespräch wieder darauf zu lenken, waren vergeblich, nachdem die Erinnerung an seinen auf so schlechtem Wege gewonnenen Schatz in ihm erwacht war. Als ich sagte, Raffles habe ihn beiläufig erwähnt, legte er los. Mit der vertraulichen Schwatzhaftigkeit eines Menschen, der zu gut gegessen hat, vertiefte er sich in sein Lieblingsthema, und ich sah an ihm vorbei nach der Uhr, die erst dreiviertel Zehn zeigte.

Der gewöhnlichste Anstand verbot mir, schon zu gehen, und ich mußte mit anhören (wir waren noch beim Portwein), auf welche Weise meines Wirtes Verlangen nach dem Besitz eines, wie er es nannte, »kupferbeschlagenen, mit Zwillingsschrauben und Doppelschornstein versehenen, richtigen alten Meisterwerks« erwacht war: er wollte einem Nebenbuhler unter den Gesetzgebern, der eine Vorliebe für Bilder hatte, »um eins über« sein. Aber selbst ein Auszug aus seinem Monolog würde von der ödesten Langweiligkeit sein, weshalb ich mich damit begnüge, zu sagen, daß er mit der unvermeidlichen, den ganzen Abend gefürchteten Aufforderung endete.

»Aber Sie müssen es sehen. Ist hier nebenan. Hierher.«

»Ist es nicht schon eingepackt?«

»Einfach eingeschlossen.«

»O, bitte, bemühen Sie sich nicht.«

»Ach was,« sagte er. »Kommen Sie nur.«

Nun wurde es mir plötzlich klar, daß weiteres Widerstreben seinen Verdacht nur auf mich lenken könnte, wenn er das Fehlen des Bildes entdeckte. Deshalb folgte ich ihm ohne weitere Einwendung in sein Schlafzimmer und ließ mir zuerst das eiserne Kartenfutteral zeigen, das in einer Ecke stand. Er beschrieb es mit solchem Stolz auf seine Pfiffigkeit, daß ich glaubte, er werde mit dem Loblied auf sein unschuldiges Aussehen und sein Chubbschloß gar nicht fertig werden, und es kam mir wie ein Jahrhundert vor, bis der Schlüssel endlich im Schloß steckte. Dann knackte das Schloß und mir stand das Herz still.

»Himmeldonnerwetter!« rief ich im nächsten Augenblick.

Die Leinwand war an ihrem Platze zwischen den Karten!

»Dachte mir, daß Sie das über den Haufen werfen würde!« sagte Craggs, indem er das Bild herausnahm und vor meinen Augen aufrollte. »Großartig, he? Würden Sie glauben, daß das vor zweihundertunddreißig Jahren gemalt ist? Aber so ist es, mein Wort zum Pfande! Was für ein Gesicht der alte Johnson schneiden wird, wenn er das sieht – das wird ein Hauptspaß werden. Er wird wohl aufhören müssen, mit seinen Bildern zu prahlen! Dieses eine ist mehr wert, als alle Bilder in der Kolonie Queensland zusammengenommen. Fünfzigtausend Pfund, mein Junge – und ich habe es für fünftausend bekommen!«

Bei diesen Worten stieß er mich in die Rippen, wie er überhaupt immer zutraulicher wurde. Sich die Hände reibend, sagte er kichernd: »Wenn es Ihnen so auf die Nerven fällt, wie wird es da erst dem alten Johnson gehen? Wird sich hoffentlich an einem seiner eigenen Bilderhaken aufhängen!«

Der Himmel weiß, was ich in meiner Verblüffung hervorstotterte. Zuerst hatte mich das Gefühl der Erleichterung sprachlos gemacht, dann aber schwieg ich aus einem ganz andern Grunde. Ein neues Wirrsal von Erregungen lähmte meine Zunge. Raffles war der Streich mißlungen – Raffles! Konnte er mir gelingen? War es zu spät? Gab es kein Mittel?

»Leb wohl!« sagte Craggs, mit einem letzten Blick auf das Bild, bevor er es aufrollte, »leb wohl, bis wir in Brisbane sind!«

Die Aufregung, worin ich war, als er das Futteral schloß, spottet jeder Beschreibung.

»Zum letzten Male!« fuhr er fort, als er die Schlüssel wieder klirrend in die Tasche steckte. »Es wird an Bord sofort in den Geldschrank des Zahlmeisters geschlossen.«

Zum letzten Male! O, wenn ich ihn nur nach Australien hinausschicken könnte, mit weiter nichts in seinem kostbaren Kartenfutteral, als was hineingehörte – wenn ich doch erfolgreich auszuführen vermöchte, was Raffles mißlungen war!

Wir kehrten nun ins andre Zimmer zurück, aber wie lange wir noch da saßen und worüber wir sprachen, weiß ich nicht mehr. Jetzt kam Whisky und Sodawasser an die Reihe. Während ich kaum daran nippte, trank er sehr viel, und als ich ihn vor elf Uhr verließ, sprach er bereits Unsinn. Der letzte Zug nach Esher fuhr um elf Uhr fünfzig vom Waterloobahnhof ab.

Eine Droschke brachte mich nach meiner Wohnung, aber schon dreizehn Minuten später war ich wieder im Hotel Metropole. Ich stieg die Treppe hinan ohne jemand zu begegnen. Als ich, einen Augenblick an der Schwelle des Wohnzimmers stehen bleibend, lautes Schnarchen drinnen vernahm, trat ich leise ein.

Craggs, der in tiefem Schlafe auf dem Sofa lag, rührte sich nicht, aber der Schlaf war mir doch nicht tief genug. Ich tränkte mein Taschentuch mit dem Chloroform, das ich von Hause geholt hatte, und legte es ihm vorsichtig auf den Mund. Noch zwei oder drei rasselnde Atemzüge, und dann war der Mann ein Klotz.

Nachdem ich das Taschentuch entfernt hatte, zog ich die Schlüssel aus seiner Tasche. Kaum fünf Minuten darauf schob ich sie schon wieder hinein, nachdem ich mir das Bild unter meinem Überrock um die Brust gewickelt hatte, aber ehe ich mich entfernte, trank ich einen Schluck Whisky und Sodawasser.

Den Zug erreichte ich ohne Mühe so zeitig, daß ich noch zehn Minuten in meinem Rauchcoupé erster Klasse auf die Abfahrt warten mußte. Dabei zitterte ich, so oft sich ein Schritt auf dem Bahnsteig näherte. Eine ganz unverständige Angst, deren ich bis zum letzten Augenblick nicht Herr werden konnte. Dann lehnte ich mich endlich zurück, zündete mir eine Zigarette an und sah die Lichter des Bahnhofs verschwinden.

Einige Herren, die aus dem Theater kamen, fuhren mit, und ich entsinne mich noch jetzt ihrer Unterhaltung. Sie waren von dem Stück, das sie gesehen hatten, nicht befriedigt und sprachen wehmütig von den Tagen des »Mikado« und der »Zigeunerin«. Einer summte einen Takt, und sie stritten darüber, ob er aus »Mikado« oder der »Zigeunerin« sei. In Surbiton stiegen sie alle aus, und ich blieb einige berauschende Augenblicke mit meiner Siegesbeute allein. Mir war gelungen, was Raffles mißglückt war. Ein großartiger Gedanke! Von allen unsern Abenteuern war dieses das erste, worin ich eine führende Rolle gespielt hatte, und dabei war es von ihnen allen das am wenigsten schimpfliche. Es rief keine Gewissensbedenken in mir wach, denn bei Lichte betrachtet, hatte ich nur einen Dieb bestohlen, und ich hatte es allein getan, ohne Hilfe – ipse egomet.

Während der Fahrt malte ich mir Raffles' Überraschung, seine Freude aus. In Zukunft würde er besser von mir denken, und diese Zukunft sollte anders werden. Wir hatten – jeder zweitausend Pfund – entschieden genug, ein neues Leben als ehrlicher Mensch zu beginnen – und mir verdankten wir das!

Glühend vor freudiger Erregung sprang ich in Esher aus dem Wagen und nahm die einzige verspätete Droschke, die noch wartete, und als ich Broom Hall erreichte, dessen Erdgeschoß noch erleuchtet war und dessen Tür sich öffnete, als ich die Stufen hinanstieg, war ich wie im Fieber.

»Ich dachte mir, daß du es bist,« sagte Raffles lustig. »Alles in Ordnung! Ein Bett ist für dich vorbereitet, und Sir Bernard erwartet dich, um dich zu begrüßen.«

Seine gute Laune wirkte wie ein kalter Wasserstrahl auf mich, aber ich kannte ihn, er war einer von den Leuten, die in der düstersten Stunde ihr hellstes Lächeln zur Schau tragen, aber mir konnte er nichts vormachen.

»Ich hab's!« schrie ich ihm ins Ohr, »ich hab's erwischt!«

»Was erwischt?« fragte er, einen Schritt zurücktretend.

»Das Bild!«

» Was

»Das Bild. Er zeigte es mir; du hattest dich ohne es aus dem Staub machen müssen, wie ich mich überzeugte. Deshalb entschloß ich mich, es zu nehmen, und hier ist es.«

»Laß mal sehen,« entgegnete er grimmig.

Während ich meinen Überrock auszog und die Leinwand abwickelte, erschien ein alter Herr im Flur und betrachtete mich mit gerunzelter Stirn.

»Für einen alten Meister sieht das ziemlich frisch aus, meinst du nicht?« fragte Raffles.

Sein Ton berührte mich seltsam, und ich konnte nur annehmen, daß er eifersüchtig auf meinen Erfolg sei.

»Craggs sagte das auch. Ich selbst habe es kaum angesehen.«

»Nun sieh hin – sieh's dir genau an. Bei Gott, ich muß es besser zurechtgestutzt haben, als ich dachte!«

»Eine Kopie!« rief ich.

» Die Kopie,« antwortete er. »Es ist die Kopie, zu deren Herbeischaffung ich wie verrückt umhergejagt bin, die Kopie, die ich auf der Vorder- und Rückseite so zurechtgestutzt habe, daß sie nach deiner eigenen Aussage Craggs getäuscht hat, und sie hätte ihn für den Rest seines Lebens glücklich machen können. Nun kommst du her und beraubst ihn dieses Glücks!«

Mir war die Zunge wie gelähmt.

»Wie haben Sie's denn angestellt?« erkundigte sich Sir Bernard Debenham.

»Hast du ihn umgebracht?« fragte Raffles höhnisch.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, wandte ich mich Sir Bernard Debenham zu und erzählte ihm meine Geschichte, ganz heiser vor Aufregung. Aber während des Sprechens wurde ich ruhiger, so daß am Schluß meiner Erzählung nur noch Bitterkeit in meinem Tone lag, als ich Raffles sagte, er solle mich ein andermal gefälligst in seine Pläne einweihen.

»Ein andermal!« rief er. »Mein lieber Bunny, du sprichst ja gerade so, als ob wir uns von jetzt an unser täglich Brot mit Einbrüchen verdienen wollten!«

»Das will ich nicht hoffen!« sagte Sir Bernard lächelnd, »denn Sie sind entschieden zwei sehr waghalsige junge Herren. Wir wollen nur hoffen, daß unser Freund aus Queensland hält, was er gesagt hat, und sein Kartenfutteral nicht mehr öffnet, ehe er nach Hause kommt. Dort wartet mein Scheck auf ihn, und es sollte mich sehr überraschen, wenn er uns noch einmal belästigte.«

Raffles und ich sprachen nicht mehr, bis ich in dem für mich hergerichteten Zimmer war. Auch dort fühlte ich keine große Neigung dazu, allein er folgte mir und ergriff meine Hand.

»Bunny,« sagte er, »sei mir nicht böse! Ich war verflucht abgehetzt und wußte nicht, ob ich das, was ich nötig hatte, zur rechten Zeit erhalten würde; das kannst du mir glauben. Aber es geschieht mir ganz recht, daß du einen der schönsten Streiche, die ich jemals ausgeführt habe, verdorben hast. Und was deine Arbeit anlangt, mein lieber Junge, so darfst du mir nicht übelnehmen, wenn ich sage, daß ich dir das nicht zugetraut hätte. In Zukunft ...«

»Schweig mir von der Zukunft!« rief ich. »Die ganze Geschichte ist mir verhaßt, und ich hänge sie an den Haken!«

»Ich auch,« antwortete Raffles, »wenn ich genug habe.«


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