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Fünftes Kapitel. Mord

Nur wenige von den verschiedenen Diebstählen, die wir zusammen begingen, scheinen mir ausführlicher Schilderung wert zu sein. Nicht, daß sie etwa Züge aufwiesen, die mitzuteilen selbst ich Anstand nehmen würde, sondern es ist gerade der Mangel an gefährlichen Nebenumständen und Zwischenfällen, der sie für meinen gegenwärtigen Zweck untauglich macht. Raffles entwarf unsre Pläne mit der größten Umsicht und Schlauheit, und wir gingen niemals an ihre Ausführung, bevor die Möglichkeit des Mißlingens auf das Mindestmaß zurückgeführt worden war. Es konnte wohl vorkommen, daß wir uns über den Marktwert unsrer Beute täuschten, aber daß wir auf unvorhergesehene Schwierigkeiten stießen oder in einen wirklich dramatischen Vorgang verwickelt wurden, waren seltene Ausnahmefälle. Selbst in Hinsicht auf unsre Beute bestand eine große Einförmigkeit, denn nur die kostbarsten Edelsteine sind es wert, daß man sich solche Mühe gibt und sich solchen Gefahren aussetzt, wie wir es taten. Kurz, gerade unsre erfolgreichsten Unternehmungen würden in der Erzählung die ermüdendsten sein, vor allem die langweilige Geschichte der Smaragden von Ardagh, die ein paar Wochen nach der Cricketwoche in Milchester vorfiel. Jene hatte indessen ein Nachspiel, das ich viel lieber aus meiner Erinnerung tilgen möchte, als alle unsre Einbrüche zusammengenommen.

Am Abend nach unsrer Rückkehr von Irland wartete ich in meiner Wohnung auf Raffles, der wie gewöhnlich ausgegangen war, um unsre Beute zu verwerten. Bei diesem sehr wichtigen Zweige unsres Geschäftes, den ich mit Freuden ganz in seinen Händen ließ, befolgte Raffles seine eigene Methode. Er führte diese Verhandlungen, wie ich glaube, in einer Verkleidung, so daß er aussah wie ein heruntergekommener Mensch aus den Kreisen der Halbgebildeten, und bediente sich dabei der Mundart der Londoner dieser Klasse, die er vollständig beherrschte. Außerdem verhandelte er stets mit demselben Schärfer, der in den Augen der Welt ein unbedeutender, aber berüchtigter Geldverleiher, in Wahrheit aber ein ebenso durchtriebener Spitzbube war als Raffles selbst. Erst vor kurzem war auch ich einmal bei dem Menschen gewesen, aber ohne Verkleidung. Wir bedurften, eben um diese Smaragden zu bekommen, eines Kapitals, und ich hatte hundert Pfund unter Bedingungen aufgenommen, wie man sie von einem sich fortwährend verbeugenden Graubart mit einer weichen Stimme, einem einschmeichelnden Lächeln und den unstetesten Augen, die jemals hinter einer Brille hin und her gewandert sind, erwarten konnte. So kehrte also die Beute zu der Quelle zurück, die die Mittel zur Kriegführung geliefert hatte – ein Umstand, der unsern Sinn für Humor reizte.

Allein diese Beute – oder vielmehr ihren Geldwert – hatte ich noch nicht gesehen, und ich wartete mit einer Ungeduld darauf, die mit der zunehmenden Dämmerung immer unerträglicher wurde. Zuerst hatte ich am offenen Fenster gesessen, bis die Gesichter in der Straße unkenntlich geworden waren: dann rannte ich, von den furchtbarsten Besorgnissen gequält, im Zimmer auf und ab, bis ich endlich den Aufzug knarren hörte und mich ein wohlbekanntes Klopfen an meiner Tür aus meiner Spannung erlöste.

»Noch im Dunkeln!« rief Raffles, als ich ihn hereinzog. »Wie kommt das, Bunny. Ist etwas vorgefallen?«

»Nein – und jetzt, wo du da bist, ist alles gut,« antwortete ich, indem ich die Tür in fieberhafter Aufregung, aber sehr erleichtert, hinter ihm schloß. »Nun? Was hast du gelöst?«

»Fünfhundert Pfund.«

»Bar?«

»Ich habe sie in der Tasche.«

»Das ist gut,« rief ich. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, in welcher Aufregung ich war, aber laß mich erst einmal das Licht andrehen. Während der letzten Stunde habe ich nur an dich denken können. Ich – ich war dumm genug, zu befürchten, es sei etwas schief gegangen.«

Als das weiße Licht das Zimmer erfüllte, lächelte Raffles, allein im ersten Augenblick bemerkte ich nicht, daß dieses Lächeln etwas eigentümlich war. Ich hatte törichterweise für keine andre Empfindung Raum als für die Erinnerung an meine Angst und für das Gefühl der Erleichterung, das ich jetzt empfand, und mein erstes blödsinniges Tun bestand darin, daß ich in meinem Eifer, die Gelegenheit würdig zu feiern, etwas Whisky verschüttete und das Sodawasser über den ganzen Tisch spritzte.

»Also du fürchtetest, es sei etwas vorgefallen?« fragte Raffles, indem er es sich auf einem meiner Stühle bequem machte und sich eine Zigarette anzündete, wobei er sehr belustigt aussah. »Was würdest du denn sagen, wenn es wirklich der Fall wäre? Aber ruhig Blut, alter Junge! Es war nichts von Bedeutung und ist vorüber. Eine Jagd im Kielwasser war es, und zwar eine lange, Bunny, aber ich sollte meinen, daß ich ihnen für diesmal den Wind abgewonnen habe.«

Jetzt bemerkte ich plötzlich, daß sein Kragen verschwitzt, sein Haar feucht aussah, und daß seine Stiefel mit dickem Staube bedeckt waren.

»Die Polizei?« flüsterte ich erschreckt.

»Lieber Gott, nein – nur der alte Baird.«

»Baird! Aber war es denn nicht Baird, der dir die Smaragden abgekauft hat?«

»Gewiß.«

»Wie ist er denn dazu gekommen, dich zu verfolgen?«

»Lieber Freund, laß mich doch nur zu Worte kommen, dann werde ich es dir erzählen; aber es ist wirklich nicht der Mühe wert, dich darüber aufzuregen. Der alte Baird hat endlich herausspintisiert, daß ich kein gewöhnlicher Einbrecher bin, wie ich ihm gern weismachen möchte, deshalb hat er versucht, mich nach meinem Bau zu verfolgen.«

»Und das nennst du nichts?«

»Wenn es ihm gelungen wäre, so dürften wir die Sache allerdings nicht leicht nehmen, aber es ist ihm noch nicht gelungen. Indessen gebe ich zu, daß er mich diesmal hart in die Enge getrieben hat. Das kommt davon, wenn man etwas so weit von Hause entfernt unternimmt. Der alte Satan hat die ganze Geschichte in der Zeitung gelesen, wo hervorgehoben war, daß es jemand getan haben mußte, der sich als gebildeter Mann zu benehmen verstand, und sowie ich ihm in meinem gewöhnlichen Näselton sagte, ich sei der Täter, sah ich, wie er die Augenbrauen in die Höhe zog. Ich tat mein Möglichstes, mich herauszuwickeln – schwor, ich hätte einen Spießgesellen, der ein wirklicher Gentleman sei – allein ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich mich verraten hatte. Er hörte sofort auf zu feilschen und bezahlte mir, was ich forderte, als ob es ihm ein ganz besonderes Vergnügen machte, aber ich fühlte, daß er mir folgte, als ich wegging, obgleich ich mich selbstverständlich nicht umdrehte, um mich zu überzeugen.«

»Warum nicht?«

»Mein lieber Bunny, das ist das Schlimmste, was man tun kann. Solange man so aussieht, als ob man nichts argwöhne, halten sie sich in gemessener Entfernung, und solange sie das tun, hat man Aussicht, zu entkommen. Läßt man sich aber anmerken, daß man die Verfolgung entdeckt hat, so heißt es auskneifen, oder sich bis zum äußersten wehren. Ich habe mich nicht ein einziges Mal umgesehen, und merk dir, Bunny, daß du das in einer ähnlichen Lage unter allen Umständen vermeiden mußt. Am Bahnhof bei der Blackfriars-Brücke forderte ich mit lauter Stimme eine Karte nach High Street, Kensington, doch als der Zug Sloane Square verließ, sprang ich hinaus und rannte die Treppe hinan wie ein Laternenanzünder und dann durch einige Hintergassen ins Atelier. Um ganz sicher zu gehen, blieb ich den ganzen Nachmittag dort. Kein verdächtiges Geräusch war zu hören, und ich wünschte nur, ich hätte statt des verfluchten Oberlichts ein Fenster gehabt, aus dem ich hätte hinausschauen können. Aber die Luft schien rein zu sein, und soweit war es nur eine Vermutung, daß er mir gefolgt sei, denn ich hatte keinerlei Beweis, daß er es wirklich getan hatte. So verließ ich denn endlich mein Atelier in meiner wahren Gestalt – und lief dem alten Baird fast geradeswegs in die Arme.«

»Aber Mensch – was in aller Welt hast du denn nun getan?«

»Bin an ihm vorübergegangen, als ob ich ihn nie im Leben gesehen hätte, und blickte ihn auch jetzt nicht an. In King's Road nahm ich eine Droschke, fuhr, als ob der Teufel hinter mir wäre, nach Clapham Junction, sprang ohne Karte in den ersten besten Zug, der vorbeikam, und stieg in Twickenham aus. Von da ging ich rasch nach Richmond zurück, benutzte die Bahn nach Charing Croß, und da bin ich! Ein Bad, frische Wäsche und das beste Diner, das der Klub liefern kann, werden mir gut tun. Ich habe nur zunächst hier vorgesprochen, weil ich fürchtete, du möchtest dir Sorgen machen. Nun komm mit, ich werde dich nicht lange aufhalten.«

»Glaubst du, daß er wirklich deine Spur verloren hat?« fragte ich, als wir unsre Hüte aufsetzten.

»Sicher, aber wir können uns ja vorsichtshalber noch einmal überzeugen,« antwortete Raffles, indem er an mein Fenster trat, wo er einige Augenblicke stehen blieb und in die Straße hinabschaute.

»Alles in Ordnung?« fragte ich.

»Ja, alles in Ordnung,« erwiderte er, worauf wir hinuntergingen und uns Arm in Arm in den Albanyklub begaben.

Allein wir waren beide unterwegs ziemlich wortkarg. Ich meinerseits sann darüber nach, was Raffles mit dem Atelier in Chelsea vorhabe, bis wohin ihm jedenfalls mit Erfolg nachgespürt worden war. Meine Ansicht war, daß diese Frage von großer Wichtigkeit sei und sofort gelöst werden solle, allein als ich die Rede darauf brachte, antwortete er mir, das habe Zeit. Seine nächsten Worte sprach er, als wir in Bond Street einem uns bekannten leichtsinnigen jungen Herrn zugenickt hatten, der zufällig auf dem besten Wege war, sich einen schlechten Namen zu machen.

»Der arme Jack Rutter!« sagte Raffles seufzend. »Nichts ist trauriger, als einen jungen Mann moralisch untergehen zu sehen. Das Trinken und die Schulden haben ihn fast wahnsinnig gemacht, den armen Teufel! Ist dir sein Blick nicht aufgefallen? Nebenbei bemerkt, seltsam, daß wir ihm gerade heute abend begegnet sind; denn Baird soll ihm das Fell über die Ohren gezogen haben, und ich hätte die größte Lust, dem Alten den gleichen Liebesdienst zu erweisen!«

In seinem Ton kam plötzlich eine verhaltene Wut zum Ausdruck, die durch ein abermaliges langes Schweigen nur noch auffälliger wurde. Dieses Schweigen dauerte während des ganzen ausgezeichneten Diners im Klub, nach welchem wir uns mit unserm Kaffee und unsern Zigarren in eine ruhige Ecke des Rauchzimmers zurückgezogen. Dort sah ich endlich, wie mich Raffles mit einem müden Lächeln anblickte, und sofort wußte ich, daß der Anfall von übler Laune zu Ende war.

»Du hast dir gewiß den Kopf darüber zerbrochen, woran ich die ganze Zeit gedacht habe?« sagte er. »Nun, ich habe darüber nachgedacht, wie dumm es ist, etwas halb zu tun!«

»Na,« entgegnete ich, sein Lächeln erwidernd, »den Vorwurf kannst du dir doch nicht machen.«

»Dessen bin ich doch nicht so sicher,« erwiderte Raffles, den Rauch seiner Zigarette nachdenklich ausstoßend. »Übrigens dachte ich eben weniger an mich, als an den armen Teufel Jack Rutter. Das ist ein Mensch, der alles nur halb tut; er ist moralisch nur halb untergegangen, und dann fasse einmal den Unterschied zwischen ihm und uns ins Auge. Ihn hat ein gewisser Wucherer in den Klauen, wir aber sind zahlungsfähige Bürger – er hat sich das Trinken angewöhnt, wir dagegen sind ebenso nüchtern als zahlungsfähig. Seine Freunde beginnen, ihm aus dem Wege zu gehen, während es uns schwer wird, die unsrigen in angemessener Entfernung zu halten; endlich bettelt oder borgt er, und das ist fast wie gestohlen, wir aber stehlen wirklich und nennen die Sache beim rechten Namen. Offenbar ist das unsre das ehrenwertere Verhalten, und doch bin ich nicht ganz sicher, Bunny, ob nicht auch wir nur halbe Arbeit machen.«

»Wieso? Was könnten wir sonst noch tun?« rief ich mit leisem Spott, wobei ich mich jedoch vorsichtig umsah, um mich zu überzeugen, daß uns niemand hören konnte.

»Was sonst?« fragte Raffles. »Na, morden – um nur eines zu nennen.«

»Stuß!«

»Das ist Ansichtssache, mein lieber Bunny, es war keineswegs leeres Geschwätz von mir. Schon früher habe ich dir einmal gesagt, daß der größte unter den lebenden Menschen derjenige sei, welcher einen Mord begangen hat, aber nicht erwischt worden ist; er sollte es wenigstens sein, aber leider haben diese Leute sehr selten Seelengröße genug dazu, sich groß zu fühlen. Stelle dir nur einmal vor, du kämest in diesen Klub und sprächest mit den Anwesenden, höchst wahrscheinlich über den Mord selbst, und dabei wüßtest du, daß du der Täter bist und frügest dich, was für Gesichter sie machen würden, wenn auch sie es wüßten! O, das wäre großartig, einfach großartig! Und außerdem, wenn du ertappt würdest, so fändest du ein barmherziges und dramatisches Ende. Ein paar Wochen lang wären die Zeitungen voll von dir, und das letzte wäre eine große Extraausgabe, und du würdest nicht sieben oder vierzehn Jahre lang in ohnmächtiger Ruhe verrosten.«

»Mein guter alter Raffles!« antwortete ich kichernd, »ich beginne dir deine üble Laune beim Diner zu verzeihen.«

»Aber ich habe nie im Leben ernster gesprochen.«

»Fahre fort.«

»Ich spreche im vollen Ernst.«

»Zu was allem du auch fähig wärest, daß du nie einen Mord begehen würdest, weißt du ganz genau.«

»Ich weiß ganz genau, daß ich diese Nacht einen begehen werde!«

Bei diesen Worten lehnte er sich auf seinen Stuhl zurück und beobachtete mich mit seinen von den Lidern halb verdeckten scharfen Augen, dann beugte er sich plötzlich mit einem Ruck vor, und seine Augen zuckten wie kalter Stahl aus der Scheide und bohrten sich in die meinen. Sie rüttelten auch meinen langsamer arbeitenden Geist auf, und nun war ich über die Bedeutung seiner Blicke nicht länger im Zweifel. Ich, der ich den Mann kannte, las Mord in seinen geballten Fäusten, Mord schwebte auf seinen zusammengebissenen Lippen, aber hundert Morde funkelten in den harten blauen Augen.

»Baird?« stammelte ich, meine Lippen mit der Zunge befeuchtend.

»Natürlich.«

»Aber du sagtest doch, es sei unbedenklich, daß er dein Zimmer in Chelsea entdeckt habe.«

»Dann habe ich gelogen.«

»Und daß du ihm jedenfalls nachher entschlüpft seist.«

»Das war auch eine Lüge. Ich bin ihm nicht entschlüpft. Als ich heute abend zu dir kam, glaubte ich es selbst, aber als ich aus deinem Fenster sah – weißt du noch, als wir uns der Vorsicht halber noch einmal überzeugen wollten? – stand er auf dem Bürgersteig dem Hause gegenüber.«

»Und davon hast du mir kein Wort gesagt!«

»Ich wollte dir den Appetit nicht verderben, Bunny, und hatte auch keine Lust, mir von dir den meinen verderben zu lassen. Natürlich ist er uns auch hierher nachgegangen. Das ist so recht ein Spiel nach seinem schuftigen alten Herzen: von mir Geld erpressen, sich von der Polizei Anzeigerlohn bezahlen lassen, und dann diese Zwickmühle weiter spielen. Aber mit mir wird er nicht spielen; das soll er nicht erleben, und die Welt wird bald um einen Blutsauger ärmer sein. Kellner! Zwei Whisky und Soda! Um elf Uhr gehe ich von Hause fort, Bunny; es ist das das einzige, was zu machen ist.«

»Du weißt also, wo er wohnt?«

»Ja, draußen hinter Willesden, und zwar allein. Zu allem andern hin ist der Kerl auch ein Geizhals. Ich habe schon lange alles ermittelt, was ihn betrifft.«

Wieder sah ich mich im Zimmer um. Der Albany war ein Klub für junge Herren, und junge Herren saßen lachend, plaudernd, rauchend und trinkend überall umher. Einer davon winkte mir durch den Rauch zu; ich erwiderte den Gruß mechanisch und wandte mich stöhnend wieder Raffles zu.

»Du wirst es aber doch noch einmal auf gütlichem Wege versuchen!« drängte ich. »Der Anblick deiner Pistole wird allein schon genügen, ihn so gefügig zu machen, daß er alle deine Bedingungen annimmt.«

»Er würde nicht genügen, ihn dahin zu bringen, daß er sein Versprechen hält.«

»Versuchen könntest du es aber doch immerhin.«

»Das werde ich wahrscheinlich auch tun. Hier ist was zu trinken für dich, Bunny, und nun wünsche mir Glück.«

»Ich bin mit dabei.«

»Ich will dich aber nicht haben.«

»Aber ich will!«

Ein häßliches Licht schoß aus den stahlblauen Augen.

»Um mir in den Arm zu fallen?«

»Nein.«

»Gibst du mir dein Wort darauf?«

»Ja.«

»Bunny, wenn du es brichst –«

»Dann kannst du mich auch totschießen.«

»Das würde ich auch ganz bestimmt tun,« sagte Raffles feierlich. »Du gehst also auf deine eigene Gefahr mit, mein Lieber; aber wenn du denn einmal dabei sein willst – na, dann je früher, desto besser, denn ich muß rasch noch einmal in meine Wohnung gehen.«

Wenige Augenblicke später stand ich, auf ihn wartend, in der nach Piccadilly führenden Eingangstür des Albanyklubs. Besondere Gründe veranlaßten mich, nicht einzutreten: das Gefühl – halb Hoffnung, halb Furcht –, daß Angus Baird noch auf unsrer Spur sei und daß ein plötzliches Zusammentreffen des Wucherers mit mir dazu führen könne, auf kürzerem und weniger blutigem Wege mit ihm fertig zu werden. Allerdings wollte ich ihn nicht vor der ihm drohenden Gefahr warnen, aber es war meine Absicht, ein Trauerspiel um jeden Preis zu verhindern. Als dieses Zusammentreffen nicht stattfand und Raffles und ich wirklich den Weg nach Willesden einschlugen, war das, wie ich glaube, immer noch mein ehrlicher Entschluß. Solange es ging, wollte ich mein Wort nicht brechen, aber das Bewußtsein, daß ich es auf eine Gefahr hin, die mir genau bekannt war, jederzeit brechen könne, war mir doch eine Beruhigung. Aber ich fürchte, daß meine guten Absichten einigermaßen durch die eigentümliche Anziehungskraft beeinträchtigt wurden, die alles Schreckliche auf uns ausübt.

Der Stunde, die der Weg nach dem Hause in Anspruch nahm, erinnere ich mich sehr genau. Wir gingen durch St. James' Park (die Lichter, die auf der Brücke so hell leuchteten, und ihr verschwommenes Spiegelbild im Wasser, sehe ich noch jetzt vor mir) und mußten kurze Zeit auf den Zug nach Willesden warten. Er fuhr, wie ich mich entsinne, um elf Uhr einundzwanzig ab, und Raffles war ärgerlich, als er hörte, daß er nicht bis nach Kensal Rise ging. Das nötigte uns, auf dem Bahnhof von Willesden auszusteigen und durch die Straßen in die ziemlich offene Umgegend zu wandern, die mir zufällig ganz unbekannt war. Ich würde das Haus nie wiederfinden, allein ich erinnere mich, daß wir einem dunklen Fußpfad zwischen einem Gehölz und Feldern folgten, als die Uhren Zwölf zu schlagen begannen.

»Gewiß werden wir ihn im Bett und schlafend finden,« sagte ich.

»Das hoffe ich,« antwortete Raffles grimmig.

»Du beabsichtigst also, einzubrechen?«

»Ja, was hast du dir denn sonst gedacht?«

Offen gestanden hatte ich mir gar keine Gedanken darüber gemacht, denn das Verbrechen, das den Schluß des Unternehmens bilden sollte, hatte meinen Geist so in Anspruch genommen, daß nichts andres Raum daneben hatte. Im Vergleiche zu diesem Verbrechen war ja ein Einbruch eine Bagatelle, aber eine, die darum nicht weniger zu mißbilligen war, und ich hatte naheliegende Bedenken dagegen. Der Mann, der mit Einbrechern und ihrem Verfahren vertraut war, hatte gewiß Schußwaffen zur Hand und konnte uns damit zuvorkommen.

»Etwas Besseres würde ich mir gar nicht wünschen,« entgegnete Raffles. »Dann kommt's zum Kampf Mann gegen Mann, und der Teufel holt den schlechtesten Schützen. Du glaubst doch nicht, daß ich Hinterlist einem offenen Kampfe vorziehe? Aber ins Gras beißen muß er auf die eine oder andre Weise, sonst können wir beide uns auf eine hübsche Reihe von Jahren gefaßt machen.«

»Lieber das, als – das andre!«

»Dann bleib, wo du bist, mein guter Junge! Ich habe dir ja gesagt, daß ich dich nicht haben wolle – und hier sind wir am Hause. Also gute Nacht.«

Ein Haus sah ich überhaupt nicht; nur die Ecke einer hohen Mauer ragte einsam in die Nacht empor, und auf ihrer Krone spiegelten sich die Sterne in Glasscherben. Auch ein großes grünes Tor bemerkte ich, das von eisernen Stacheln starrte und dessen Außenseite in den schwachen Strahlen einer auf der gegenüberliegenden Seite der neu angelegten Straße stehenden Laterne so aussah, als ob es einem Mauerbrecher Widerstand leisten könne. Die Straße schien mir nur aus Bauplätzen zu bestehen, von denen nur auf diesem einen ganz am Ende gelegenen ein einsames Haus erbaut war, aber die Nacht war zu finster, so daß das nur eine Vermutung war.

Raffles hatte die Örtlichkeit jedoch am hellen Tage gesehen und war für die besonderen Schwierigkeiten gerüstet, die sie bot. Schon reckte er sich empor und steckte Champagnerflaschenkorke auf die Stacheln, und gleich darauf legte er seinen zusammengefalteten Überrock auf die Korke. Als er in die Höhe kletterte, trat ich etwas zurück, und nun sah ich, wie sich ein Teil eines Daches am Himmel abzeichnete. Sowie Raffles auf der andern Seite des Tores verschwunden war, lief ich vor, und als ich auf dem Überrock lag, der die Korke und die Stacheln bedeckte, fühlte ich ein Zupfen.

»Du willst also doch mittun?«

»Ja doch!«

»Dann nimm dich in acht: das Nest ist voll von Klingeldrähten und Federn. Leicht ist die Arbeit nicht – so, bleib hier stehen, während ich die Korke abnehme.«

Der Garten war sehr klein und neu angelegt. Am Rasenplatz konnte man die viereckigen Stücke noch erkennen, woraus er zusammengesetzt war, aber einige ausgewachsene Lorbeerbüsche waren in frisch aufgeworfene Beete gepflanzt. »Das sind natürliche Klingeln; nichts raschelt so laut als die – der schlaue alte Fuchs!« flüsterte Raffles, worauf wir sie in weitem Bogen umgingen, als wir über den Rasen schlichen.

»Er liegt im Bett!«

»Das glaube ich nicht, Bunny. Ich fürchte, er hat uns gesehen.«

»Warum?«

»Ich habe ein Licht bemerkt.«

»Wo?«

»Unten – auf einen Augenblick – als ich ...«

Sein Flüstern erstarb – er hatte das Licht wieder gesehen und ich auch.

Wie ein goldener Stab lag es unter der Haustür – und verschwand wieder, dann erschien es von neuem unter der Oberschwelle der Tür – und erlosch abermals, diesmal um nicht wieder sichtbar zu werden. Dann hörten wir die Treppe ein paarmal knarren, und auch dieses Geräusch hörte auf, um sich nicht zu wiederholen. Weder sahen noch hörten wir etwas weiteres, obgleich wir im Grase stehen blieben, bis unsre Füße vom Tau durchnäßt waren.

»Jetzt gehe ich hinein,« sagte Raffles endlich. »Ich glaube kaum, daß er uns gesehen hat – schade eigentlich. – Hierher.«

Mit großer Vorsicht folgten wir dem Pfade, aber der Kies blieb an unsern feuchten Sohlen hängen, und als wir die mit Fliesen belegte Veranda betraten, von der aus eine Glastür ins Innere führte, knirschte es ganz abscheulich. Durch diese Glastür hatte Raffles zuerst das Licht schimmern sehen, und er machte sich jetzt daran, mit dem Diamanten, den Topf voll Sirup und dem Bogen starken Papiers, die unter seiner Ausrüstung selten fehlten, eine Scheibe herauszuschneiden. Auch meine Hilfe verschmähte er nicht, obgleich er sie vielleicht ebenso instinktiv annahm, als sie angeboten wurde. Jedenfalls waren es meine Finger, die halfen, den Sirup auf dem braunen Papier zu verteilen und dieses ans Glas zu drücken, bis der Diamant seinen Weg vollendet hatte und die Scheibe geräuschlos in unsre Hände fiel.

Nun steckte Raffles seine Hand durch die Öffnung, drehte den Schlüssel im Schloß und zog den Riegel am unteren Ende der Tür in die Höhe. Das war der einzige, wie sich herausstellte, und die Tür öffnete sich, wenn auch nicht sehr weit.

»Was ist das?« sagte Raffles, als noch auf der Schwelle etwas unter seinem Fuße knirschte.

»Eine Brille!« flüsterte ich, sie aufhebend, und ich drehte die zerbrochenen Gläser und das verbogene Gestell noch in den Fingern hin und her, als Raffles stolperte und mit einem ächzenden Schrei, den zu unterdrücken er sich gar keine Mühe gab, fast gefallen wäre.

»Still, Mann, still!« bat ich mit gedämpfter Stimme. »Er wird dich hören!«

Statt aller Antwort klapperten ihm die Zähne – seine Zähne! – und ich vernahm, wie er nach seinen Streichhölzern suchte ...

»Nein, Bunny, er wird uns nicht mehr hören,« flüsterte Raffles gleich darauf, indem er sich erhob und das Gas mit dem fast abgebrannten Streichholz anzündete.

Angus Baird lag tot mit blutverklebten Haaren auf dem Fußboden seines eigenen Zimmers, neben ihm aber ein Schüreisen; dessen schwarzes Ende glänzte, und in einer Ecke stand sein Pult erbrochen und durchwühlt. Eine Uhr tickte geräuschvoll auf dem Kaminsims, und eine lange Weile war kein andrer Ton hörbar.

Raffles stand ganz still und starrte auf den Toten hinab, als ob er plötzlich vor einem gähnenden Abgrund stünde. Sein Atem kam geräuschvoll aus den weit geöffneten Nüstern, aber sonst rührte er sich nicht, und seine Lippen waren wie versiegelt.

»Das Licht,« stieß ich heiser hervor, »das Licht, das wir unter der Tür sahen!«

Zusammenfahrend wandte er sich nach mir um.

»Richtig! Das hatte ich vergessen. Es war hier in diesem Zimmer, als ich es zuerst wahrnahm.«

»Dann muß er noch oben sein!«

»Wenn das wahr ist, wollen wir ihn bald herausholen. Komm mit!«

Statt dieser Aufforderung zu folgen, legte ich eine Hand auf seinen Arm, flehte ihn an, zu überlegen – sein Feind sei ja jetzt tot – daß wir sicher in die Sache verwickelt werden würden – und daß jetzt oder nie unsre Gelegenheit gekommen sei, uns auf und davon zu machen. Doch mit einem plötzlichen Anfall von wütender Ungeduld und einem Blicke rücksichtsloser Geringschätzung in den Augen schüttelte er mich ab, kehrte mir mit der Aufforderung, meine Haut in Sicherheit zu bringen, wenn ich das wolle, den Rücken und ließ mich stehen, und schon war ich halb und halb entschlossen, ihn beim Worte zu nehmen. Hatte er denn vergessen, weshalb er selbst hierher gekommen war? Wollte er uns in blindem Eigensinn diese Nacht ins Verderben stürzen? Als ich mir diese Fragen vorlegte, flammte sein Streichholz im Hausflur auf; im nächsten Augenblick knarrten die Treppenstufen unter seinen Füßen, wie sie kurz vorher unter denen des Mörders geknarrt hatten, und der menschliche Instinkt, der ihn trotz der damit verbundenen Gefahr beseelte, begann auch auf meine langsamer arbeitenden Empfindungen zu wirken. Durften wir den Mörder gehen lassen? Als Antwort auf diese Frage flog ich die knarrende Treppe hinan und holte Raffles an ihrem oberen Ende ein.

Nur drei Türen waren hier sichtbar: die erste führte in eine Schlafstube, deren Bett zurückgeschlagen, aber unbenutzt war, das zweite Zimmer war leer in jeder Bedeutung des Wortes, und die dritte Tür war verschlossen.

Raffles zündete das Gas auf dem Vorplatz an.

»Da drin steckt er,« sagte er, indem er seinen Revolver spannte. »Entsinnst du dich noch, wie wir auf der Schule in die Lehrsäle einbrachen? So!«

Mit der Sohle seines Fußes trat er gegen das Schlüsselloch, das Schloß gab nach, die Tür flog auf, und in dem plötzlichen Zugwind, der über den Vorplatz schoß, legte sich die Gasflamme nach einer Seite wie ein kleines Segelboot in einem Windstoß. Als sich die Flamme wieder aufrichtete, sah ich eine gefüllte Badewanne, zwei aneinander geknotete Handtücher – ein offenes Fenster – eine zusammengekauerte Gestalt und Raffles, der mit weit aufgerissenen entsetzten Augen auf der Schwelle stand.

» Jack – Rutter

In gepreßtem Tone, als ob seine Zunge vom Schreck gelähmt sei, drangen die Worte über seine Lippen, und wie im Traum hörte ich mich selbst sie wiederholen, während sich die kauernde Gestalt am Fenster des Badezimmers allmählich aufrichtete.

»Sie sind's!« flüsterte er in einem Erstaunen, das nicht geringer war, als das unsre. »Ihr beide seid's! Wie kommt das, Raffles? Ich sah Sie über das Tor klettern, eine Klingel läutete – das ganze Haus ist voll Klingeln. Und dann brachen Sie ein. Was soll das alles heißen?«

»Das werden wir Ihnen vielleicht erklären, wenn Sie uns sagen, was, um Gottes willen, Sie getan haben, Rutter!«

»Getan? Was ich getan habe?« Mit geröteten, blinzelnden Augen und blutbespritztem Vorhemd trat der bejammernswerte Wicht ins Licht. »Das wißt ihr ja – das habt ihr ja gesehen – aber ich will's euch erzählen, wenn ihr's hören wollt. Ich habe einen Räuber umgebracht, das ist alles. Einen Räuber, einen Wucherer, einen Schakal, einen Blutsauger, den schlausten und grausamsten Schurken, der ungehenkt umherlief, habe ich totgeschlagen! Ich bin bereit, dafür am Galgen zu sterben. Wenn ich's noch einmal zu tun hätte, würde ich ihn noch einmal totschlagen!«

Bei diesen Worten sah er uns herausfordernd ins Gesicht, mit einem schönen Trotze in seinen Augen, die die Spuren seiner Ausschweifungen zeigten, dabei hob seine Brust sich stürmisch, aber seine Kinnlade war wie aus Fels gemeißelt.

»Soll ich euch sagen, wie es gekommen ist?« fuhr er leidenschaftlich fort. »Während der letzten Wochen und Monate hat er mir das Leben zur Hölle gemacht – das werdet ihr euch wohl denken können – zu einer wahren Hölle. Heute abend begegnete ich ihm in Bond Street – erinnert ihr euch noch? – kurz nachdem ich euch begrüßt hatte – er war kaum zwanzig Schritte hinter euch, und zwar war er Ihnen auf der Spur, Raffles. Da er gesehen, daß ich Ihnen zugenickt hatte, hielt er mich an und fragte mich, wer Sie seien, und er schien ganz versessen darauf zu sein, das zu erfahren; weshalb, konnte ich nicht begreifen, und es war mir auch gleichgültig, denn ich sah meine Gelegenheit. Wenn er mir eine Unterredung unter vier Augen bewillige, wolle ich ihm alles sagen, was er wünsche, entgegnete ich ihm. Das wollte er nicht, aber ich bestand darauf und hielt ihn am Rocke fest. Als ich ihn wieder freiließ, wart ihr verschwunden, und ich blieb stehen, bis er ganz in Verzweiflung zurückkehrte. Nun hatte ich die Oberhand über ihn. Ich konnte ihm vorschreiben, wo die Unterredung stattfinden solle, und zwang ihn, mich mit sich nach Hause zu nehmen, wobei ich ihm fortwährend versprach, ihm alles zu sagen, was ich über Sie wisse, aber erst nach Erledigung meiner eigenen Angelegenheiten. Als wir hier anlangten, nötigte ich ihn, mir erst etwas zu essen zu geben, und dann hielt ich ihn noch immer hin. Als ich gegen zehn Uhr hörte, wie das Tor geschlossen wurde, fragte ich ihn, ob er allein wohne.

»›Keineswegs,‹ antwortete er. ›Haben Sie denn meine Magd nicht gesehen?‹

»Ja, ich hätte sie gesehen, antwortete ich, aber ich glaubte, ich hätte sie weggehen hören. Sei das ein Irrtum, so würde sie gewiß erscheinen, wenn man sie riefe. Hierauf schrie ich dreimal so laut ich konnte, aber natürlich erschien kein Dienstmädchen. Das hatte ich auch sehr wohl gewußt, denn an einem Abend der vergangenen Woche hatte ich ihn aufgesucht, und er hatte selbst mit mir durchs Tor gesprochen, sich aber geweigert, mir zu öffnen. Na, als ich geschrieen hatte und es war niemand gekommen, war er so weiß als der Kalk an der Decke. Nunmehr sagte ich ihm, daß der Augenblick zum Plaudern endlich gekommen sei. Dabei ergriff ich das Schüreisen, erinnerte ihn daran, wie er mich gepiesackt habe, und schwor, daß es damit ein für allemal vorbei sein solle. Drei Minuten Zeit gab ich ihm zur Entscheidung, ob er mir eine Quittung über alle seine Forderungen an mich ausstellen, oder ob er lieber das Hirn über seinen eigenen Teppich verspritzt haben wolle. Einen Augenblick überlegte er, dann trat er an sein Pult, um Papier und Feder zu holen, drehte sich aber plötzlich mit einem Revolver in der Hand um, und nun ging ich auf ihn los. Zwei- oder dreimal schoß und fehlte er – ihr werdet die Löcher finden, wenn ihr suchen wollt – dagegen traf ich ihn jedesmal. Mein Gott! Ich wütete wie ein Wilder, bis er sich nicht mehr rührte. Und dann durchsuchte ich, ohne die mindeste Reue über meine Tat, seinen Pult nach meinen eigenen Wechseln und wollte mich gerade entfernen, als ihr erschient. Wie gesagt, was ich getan hatte, bereute ich nicht, und auch jetzt bereue ich es noch nicht, aber ich wollte mich selbst der Polizei stellen, und das ist noch immer meine Absicht. Ihr seht also, daß ich euch keine große Mühe machen werde.«

Damit war seine Geschichte zu Ende, und nun standen wir da auf der Treppe des einsamen Hauses, die leise, gepreßte und erregte Stimme brauste uns noch in den Ohren, während unten der Tote lag und sein Mörder, der seine Tat nicht bereute, uns ins Gesicht sah. Ich wußte, wem diese Verstocktheit gefiel, und ich hatte mich auch nicht getäuscht.

»Das ist alles Quatsch,« sagte Raffles nach einer kurzen Pause; »wir werden nicht zugeben, daß Sie sich der Polizei stellen.«

»Sie dürfen mich nicht zurückhalten! Was könnte es denn auch nützen? Das Frauenzimmer hat mich gesehen, und es würde also nur eine Frage der Zeit sein. Der Gedanke, zu warten, bis die Polizei kommt, ist mir unerträglich. Stellen Sie sich doch nur einmal vor, was es heißt, zu warten, bis sie einem auf die Schulter klopfen! Nein, nein, nein, ich stelle mich der Polizei; dann ist das Schlimmste überstanden.«

Sein Ton war anders geworden; er stotterte und versprach sich häufig, und es war, als ob ihm der bloße Gedanke an Entkommen zu einer klaren Auffassung über seine Lage verholfen hätte.

»Hören Sie mich einmal an,« drängte Raffles. »Auch wir sind hier in Gefahr, denn wir haben uns wie Diebe eingeschlichen, um, ähnlich wie Sie, die Aufgabe unberechtigter Forderungen zu erzwingen. Sehen Sie denn nicht? Wir haben eine Scheibe ausgeschnitten – ganz wie es wirkliche Einbrecher gemacht haben würden, und so wird wohl auch alles andre auf unser Konto geschrieben werden.«

»Sie glauben also, daß ich gar nicht in Verdacht geraten würde?«

»Ja, das ist meine Ansicht.«

»Aber ich will gar nicht frei ausgehen,« rief Rutter weinerlich. »Ich habe ihn umgebracht, das steht fest, aber es ist in der Notwehr geschehen, also ist es kein Mord. Das muß ich eingestehen und die Folgen auf mich nehmen. Wenn ich das nicht tue, werde ich verrückt.«

Seine Hände zuckten, seine Lippen bebten und seine Augen standen voll Tränen.

»Nun passen Sie einmal auf, Sie Dummkopf,« sagte Raffles, ihn rauh an der Schulter schüttelnd, »wenn wir drei jetzt hier abgefaßt würden, wissen Sie, welche Folgen das hätte? In sechs Wochen baumelten wir nebeneinander in Newgate! Sie sprechen gerade so, als ob Sie im Klub säßen. Haben Sie denn vergessen, daß es ein Uhr Nachts ist, daß die Lichter brennen und daß unten ein Leichnam liegt? Um Gottes willen, raffen Sie sich auf, Mann, und tun Sie, was ich Ihnen sage, oder Sie werden selbst sehr bald ein Leichnam sein.«

»Wenn ich doch schon einer wäre,« schluchzte Rutter. »Wenn ich nur seinen Revolver hätte, dann würde ich mir eine Kugel durchs Hirn jagen. Er liegt irgendwo unter ihm! O, mein Gott, mein Gott!«

Seine Kniee schlotterten, und der Wahnsinn des Rückschlags hatte seinen Höhepunkt erreicht. Wir mußten ihn zwischen uns nehmen und so die Treppe hinab durch die Haustür ins Freie führen.

Draußen war alles still – kein Laut war hörbar außer dem unterdrückten Schluchzen des vollständig zusammengebrochenen Elenden, den uns das Geschick auf den Hals geladen hatte. Raffles kehrte einen Augenblick ins Haus zurück, und dann herrschte überall Finsternis. Nachdem wir das Tor, das wir von innen zu öffnen vermochten, wieder sorgfältig hinter uns verschlossen hatten, schienen die Sterne genau so auf die Glasscherben und die glänzenden Spitzen, wie wir es bei unsrer Ankunft gefunden hatten.

Wir entkamen – wie, braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden. Unser Mörder aber schien ganz versessen aufs Schafott zu sein, und von seiner Tat berauscht, machte er uns mehr Mühe, als sechs vom Wein Betrunkene, so daß wir ihm wieder und wieder drohen mußten, ihn seinem Schicksal zu überlassen und uns nicht mehr um ihn zu kümmern. Aber ein unglaubliches und unverdientes Glück begünstigte uns alle drei. Zwischen dem Hause und Willesden begegneten wir keiner Menschenseele, und als die Abendzeitungen die Stadt von dem furchtbaren Trauerspiel in Kensal Rise Kunde gaben, dürfte von denen, die uns später gesehen hatten, wohl keiner dabei an die beiden jungen Herren mit verschobenen weißen Halsbinden gedacht haben, die einen dritten geleiteten, über dessen Zustand anscheinend ein Zweifel nicht möglich war.

Wir gingen nach Maida Vale und fuhren von da ganz offen nach meiner Wohnung, aber dort stieg ich allein aus, während die beiden andern ihre Fahrt nach dem Albanyklub fortsetzten, worauf ich zwei Tage lang nichts von Raffles zu sehen bekam. Bei einem im Laufe des Vormittags unternommenen Versuch, ihn in seiner Wohnung zu treffen, fand ich ihn nicht zu Hause, und er hatte auch nichts hinterlassen. Als er wieder auftauchte, waren die Zeitungen voll von dem Morde, und der Mann, der ihn begangen hatte, schwamm auf dem breiten Rücken des Atlantischen Ozeans als Zwischendeckspassagier von Liverpool nach New York.

»Mit Vernunftgründen war bei ihm nichts auszurichten,« erzählte mir Raffles später. »Er bestand darauf, entweder alles zu bekennen, oder das Land zu verlassen. Demnach verkleidete ich ihn im Atelier, und dann fuhren wir mit dem ersten Zug nach Liverpool. Nichts vermochte ihn dazu zu bringen, sich stille zu verhalten und sich seiner Befreiung aus den Klauen des Blutsaugers zu freuen, wie ich es an seiner Stelle getan haben würde, und es ist schließlich besser so. Ich begab mich nach seiner Höhle, um einige Papiere zu vernichten, und weißt du wohl, was ich fand? Die Polizei war im Hause und hatte bereits einen Haftbefehl gegen ihn in Händen! Die Dummköpfe glauben, die Spuren des Einbruchs seien nicht echt! Meine Schuld ist es nicht, wenn Rutter erwischt wird.«

Und nachdem so viele Jahre vergangen sind, bin auch ich geneigt, mich davon freizusprechen.


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