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Zweites Kapitel. Eine Aufführung in Kostüm

Ganz London sprach damals von einem Menschen, dessen Name schon jetzt nur noch ein leerer Schall ist und weiter nichts. Ruben Rosenthall hatte sich seine Millionen in den Diamantfeldern von Südafrika erworben und war nach Hause zurückgekehrt, um sie zu genießen, das heißt so, wie er eben zu genießen verstand. Wie er dabei zu Werke ging, das werden die Leser der billigen Abendblätter nicht so leicht vergessen, der Blätter, die förmlich schwelgten in endlosen Anekdoten über seine ursprüngliche Armut und seine gegenwärtige Verschwendung, vermischt mit interessanten Schilderungen des wunderbaren Haushalts, den der Millionär in St. Johns Wood eingerichtet hatte. Dort hielt er sich ein Gefolge von Kaffern, die buchstäblich seine Sklaven waren, und von dort unternahm er seine Ausflüge in die Welt mit ungeheuren Diamanten im Vorhemd und an den Fingern unter Bedeckung eines berüchtigten Preisboxers, der trotzdem noch keineswegs das schlechteste Element in der Rosenthallschen Menage war. So behauptete der Klatsch, aber die Tatsache war durch mindestens ein polizeiliches Eingreifen festgestellt, dem ein gerichtliches Nachspiel gefolgt war, worüber die erwähnten Blätter mit gerechtfertigtem Gusto und fettgedruckten Überschriften berichtet hatten. Das war alles, was über Ruben Rosenthall bis zu dem Zeitpunkt bekannt geworden war, wo es der Klub der Alten Zigeuner, der unter der schweren Not der Zeit litt, für der Mühe wert hielt, ein großes Festmahl zu Ehren eines so reichen Vertreters der Grundsätze dieses Klubs zu veranstalten. Ich nahm nicht daran teil, allein eins der Mitglieder führte Raffles ein, der mir noch an demselben Abend Bericht erstattete.

»Das Tollste, was ich je im Leben mitgemacht habe,« sagte er. »Was den Menschen selbst betrifft – na, ich war auf etwas Groteskes gefaßt, aber als ich den Kerl sah, blieb mir denn doch der Verstand stehen. Zunächst ist er das erstaunlichste Stück Vieh, das man sehen kann, über sechs Fuß groß, mit einer Brust wie eine Tonne, einer gewaltigen krummen Nase und dem rotesten Haar und Bart, die mir je vorgekommen sind. Er soff wie eine Saugspritze, betrank sich aber nur gerade so viel, daß er uns noch eine Rede halten konnte, die ich um keinen Preis versäumt haben möchte. Es tut mir leid, daß du nicht auch dabei warst, mein lieber Bunny.«

Auch ich bedauerte es aufrichtig, denn Raffles war nichts weniger als ein erregbarer Mensch, und ich hatte ihn nie so aufgeregt gesehen. Hatte er Rosenthalls Beispiel befolgt? Daß er mich um Mitternacht in meiner Wohnung aufsuchte, nur um mir von einem Festessen zu erzählen, war an sich genug, einen solchen Verdacht zu begründen, obgleich er allerdings im Widerspruch stand mit dem, was ich von A. J. Raffles wußte.

»Was hat er denn gesagt?« fragte ich mechanisch, denn ich ahnte, daß noch etwas andres hinter Raffles' Besuch stecke, und zerbrach mir den Kopf darüber, was das sein möge.

»Was er gesagt hat?« rief Raffles. »Frage lieber, was er nicht gesagt hat! Er rühmte sich seines Emporkommens, prahlte mit seinem Reichtum und schimpfte auf die Gesellschaft, die ihm seines Geldes wegen die Arme geöffnet und ihn wieder zurückgestoßen habe, weil er zu reich sei. Auch Namen nannte er mit einer Offenherzigkeit, der es nicht an Reiz fehlte, dabei schwor er, er sei ebenso gut als nur irgend einer im alten Lande. Um das zu beweisen, zeigte er auf einen großen Diamanten in der Mitte seines Vorhemdes und zwar mit einem kleinen Finger, der einen ähnlichen Stein trug. Welcher von unsern aufgeblasenen Prinzen könne sich denn zweier solcher Steine rühmen? Und ich muß sagen, es schienen wirklich zwei wundervolle Steine zu sein, mit einem eigentümlich rötlichen Schimmer, der einen ganzen Topf voll Geld wert sein muß. Der alte Rosenthall schwor, sie wären ihm noch nicht für fünfzigtausend Pfund feil, und fragte, wo es denn noch einen Menschen gäbe, der mit fünfundzwanzigtausend Pfund im Vorhemd und noch einmal mit fünfundzwanzigtausend Pfund am kleinen Finger spazieren gehen könne. Einen solchen Menschen gebe es einfach nicht, und wenn einer existiere, so würde er nicht den Mut haben, solche Schätze offen zu tragen. Er habe aber den Mut – und er wolle uns auch sagen warum. Und ehe man drei zählen konnte, hatte er einen riesigen Revolver aus der Tasche gezogen.«

»Doch nicht bei Tische?«

»Gewiß, bei Tische und mitten in seiner Rede! Aber das war noch gar nichts gegen das, was weiter kam. Er sagte, er wolle seinen Namen mit Kugeln an die Wand schreiben und uns zeigen, warum er sich nicht fürchte, mit seinen Diamanten umherzulaufen. Das Vieh Purvis, der Preisboxer, der sein bezahlter Grobian ist, mußte seinen Herrn und Gebieter gehörig anranzen, ehe dieser seine Absicht ausgab. Einen Augenblick herrschte vollständige Panik; einer kniete sogar unter dem Tisch und betete, und die Kellner rissen sämtlich aus.«

»Das muß ja ein ganz grotesker Auftritt gewesen sein.«

»Das will ich meinen, aber ich wollte, sie hätten ihn schießen lassen. Er war ganz darauf versessen, uns zu zeigen, wie er seine roten Diamanten beschützen könne; und, weißt du, Bunny, ich war ebenso versessen darauf, es zu sehen.«

Bei diesen Worten beugte sich Raffles mit einem pfiffigen, leisen Lächeln zu mir herüber, das mir endlich die geheime Bedeutung seines Besuches nur zu klar machte.

»Du hast also Lust, selbst einen Versuch zu machen, an die Diamanten zu kommen?«

»Das ist natürlich unverkennbar, wie ich zugebe,« antwortete er achselzuckend. »Aber – ja, ich bin ganz erpicht auf sie! Um ganz offen zu sein, liegen sie mir schon seit einiger Zeit auf dem Gewissen. Man kann doch nicht fortwährend von diesem Manne, seinem Preisboxer und seinen Diamanten reden hören, ohne eine Art von Verpflichtung zu fühlen, einmal die Finger danach auszustrecken. Wenn es aber so weit kommt, daß der Mensch einem mit dem Revolver vor der Nase herumfuchtelt und sozusagen die ganze Welt herausfordert, dann ist die Geschichte gar nicht mehr zu umgehen. Sie wird einem einfach aufgenötigt. Das Schicksal wollte, daß ich diese Herausforderung hörte, Bunny, und ich bin nicht der Mann, ihr aus dem Wege zu gehen. Das einzige, was ich bedauerte, war, daß ich mich nicht auf die Hinterbeine setzen und es auf dem Fleck sagen konnte.«

»Nun,« entgegnete ich, »so, wie wir gestellt sind, kann ich zwar die Notwendigkeit nicht einsehen, aber ich bin natürlich dabei.«

Vielleicht verriet mein Ton, daß mir die Zustimmung nicht ganz von Herzen kam, obgleich ich versuchte, meine Abneigung zu verbergen. Seit unserm Unternehmen in Bond Street war kaum ein Monat vergangen, und wir hätten es ganz gut noch eine Weile aushalten können, ohne ein neues Verbrechen zu begehen, denn wir lebten ganz behaglich. Auf Raffles' Rat hatte ich einige Kleinigkeiten geschrieben, mich sogar zu einem Artikel über unsern eigenen Juwelendiebstahl verstiegen, und für den Augenblick hatte ich genug von dieser Art von Abenteuern. Ich war der Ansicht, wir sollten zufrieden sein, daß es uns gut ging, und mir wollte die Notwendigkeit nicht einleuchten, uns neuen Gefahren auszusetzen, ehe wir dazu gezwungen waren. Auf der andern Seite war mir jedoch auch daran gelegen, zu zeigen, daß ich nicht im geringsten geneigt war, von dem Versprechen zurückzutreten, das ich vor einem Monat gegeben hatte. Allein es war nicht meine unverhohlene Abneigung, wogegen Raffles Einwendung erhob.

»Die Notwendigkeit, mein lieber Bunny? Schreibt der Dichter nur, wenn der Wolf vor der Tür heult, malt der Maler nur ums tägliche Brot? Sollen wir beide uns zum Verbrechen treiben lassen, wie Hinz und Kunz? Du tust mir weh, mein lieber Junge, und du brauchst darüber nicht zu lachen. Kunst um der Kunst willen ist eine abgedroschene Redensart, aber ich gestehe, daß sie für mich etwas Verlockendes hat. In diesem Falle sind meine Beweggründe vollkommen rein, denn ich bezweifle sehr, ob wir so seltene und auffallende Steine jemals zu Geld machen können. Aber wenn ich – nach dem heutigen Abend – keinen Versuch mache, sie zu bekommen, kann ich niemals wieder einem anständigen Menschen ins Gesicht sehen.«

Seine Augen blinzelten, aber sie funkelten auch.

»Es wird ein schweres Stück Arbeit werden,« begnügte ich mich zu antworten.

»Glaubst du etwa, ich hätte mich so darauf verbissen, wenn es das nicht wäre?« rief Raffles. »Mein lieber Junge, ich würde die St. Paulskathedrale stehlen, wenn ich's könnte, aber ich werde mich ebensowenig jemals dazu erniedrigen, eine Ladenkasse zu leeren, wenn der Krämer den Rücken dreht, als ich einem alten Weib ein paar Äpfel aus ihrem Korbe nehmen könnte. Selbst die kleine Geschichte vor einem Monat war eigentlich ein schmutziges Geschäft, aber es war notwendig, und die Geschicklichkeit, womit wir's ausgeführt haben, gibt ihm einen besseren Anstrich. Aber sich an Leute zu machen, die behaupten, daß sie vor einem auf der Hut seien, das ist etwas Ehrenhaftes und mehr sportmäßig. Die Bank von England wäre zum Beispiel ein ideales Ziel, aber dazu gehörten mindestens ein halbes Dutzend von uns und Jahre der Vorbereitung. Einstweilen ist Ruben Rosenthall ein Stück Wild, das für dich und mich edel genug ist. Wir wissen, daß er bewaffnet ist und wie sich Billy aufs Boxen versteht. Ein Sonntagnachmittagsvergnügen wird's nicht geben, das räume ich ein, aber was kommt denn darauf an, Bunny – was kommt darauf an? Der Mensch soll nach Zielen streben, die zu erreichen einige Mühe kostet, mein Junge, oder wozu, zum Kuckuck, wäre denn der Himmel erschaffen?«

»Mir wäre es lieber, wenn wir vorläufig noch nicht nach so hohen Zielen strebten,« antwortete ich lachend, denn seine Laune war ansteckend, und der Plan begann mich zu reizen, trotz meiner Bedenken.

»Verlaß dich nur auf mich,« antwortete er. »Ich werde dir durchhelfen. Ich glaube, es wird sich herausstellen, daß die Schwierigkeiten bei näherer Prüfung zusammenschrumpfen werden. Die Kerle trinken beide wie der Satan, und das vereinfacht die Geschichte beträchtlich. Aber wir müssen uns Zeit nehmen. Wahrscheinlich wird sich die Sache auf ein Dutzend verschiedener Arten ausführen lassen, zwischen denen wir die Wahl haben. Zunächst müssen wir das Haus jedenfalls mindestens eine Woche lang genau beobachten, und es können sich eine Menge Umstände ergeben, die noch mehr Zeit erfordern. Aber laß mir eine Woche, dann werde ich mich genau aussprechen können – das heißt, wenn du wirklich mittun willst.«

»Natürlich will ich das,« antwortete ich entrüstet. »Aber warum soll ich dir eine Woche lassen? Weshalb können wir das Haus nicht zusammen beobachten?«

»Weil zwei Augen ebensoviel sehen als vier und weniger Raum einnehmen. Man soll niemals paarweise jagen, wenn's nicht unbedingt notwendig ist. Du brauchst kein böses Gesicht zu machen, Bunny, es wird genug für dich zu tun geben, wenn die Zeit da ist; das verspreche ich dir. Mach dir nur keine Sorgen, deinen Anteil am Spaß sollst du haben und einen roten Diamant obendrein – wenn alles gut geht.«

Im allgemeinen hatte mich dieses Gespräch jedoch nur mäßig erwärmt, und ich entsinne mich noch sehr wohl der Niedergeschlagenheit, die sich meiner bemächtigte, als Raffles gegangen war. Die Torheit des Unternehmens, wozu ich mich verpflichtet hatte – die nackte, haarsträubende, unnötige Torheit war mir vollkommen klar. Die Paradoxen, worin sich Raffles gefiel, die Haarspaltereien, die trotz ihrer Frivolität halb ernst gemeint waren und die durch seine Persönlichkeit in dem Augenblick, wo er sie aussprach, ganz plausibel erschienen, hatten wenig Verlockendes für mich, wenn ich sie mir bei kaltem Blute ins Gedächtnis zurückrief. Die Freude am Unrecht an sich, wofür Freiheit und Leben aufs Spiel zu setzen er bereit war, konnte ich wohl bewundern, fand sie aber bei ruhiger Überlegung nicht ansteckend. Allein der Gedanke, mich zurückzuziehen, konnte nicht einen Augenblick in Betracht kommen. Im Gegenteil, ich war ärgerlich über den Aufschub, den Raffles für notwendig erklärte, und vielleicht hatte meine geheime Unzufriedenheit zu einem nicht geringen Teil ihre Wurzel in seinem mich verletzenden Entschluß, bis zum letzten Augenblick ohne mich fertig zu werden.

Daß das für den Mann und seine Haltung mir gegenüber charakteristisch war, machte die Sache nicht besser. Seit einem Monat waren wir, glaube ich, die vertrautesten Diebe in London, und doch war unsre Intimität seltsam unvollständig. Bei all seiner reizenden Offenheit war in Raffles' Wesen eine Ader launenhafter Verschlossenheit, die fühlbar genug war, um recht verletzend zu sein. So machte er zum Beispiel aus manchen Angelegenheiten ein Geheimnis, die uns beide angingen; ich habe nie erfahren, wo und wie er die in Bond Street erbeuteten Juwelen verwertete, von deren Erlös wir äußerlich noch dasselbe Dasein wie Hunderte von jungen Lebemännern führten.

Diese und andre Einzelheiten, in die eingeweiht zu werden ich mir das Recht erworben zu haben glaubte, hielt er ein für allemal vor mir geheim. Natürlich konnte ich nicht vergessen, wie er mich durch eine Hinterlist zu meinem ersten Verbrechen verleitet hatte, während er noch unsicher war, ob er mir trauen dürfe oder nicht. Das konnte ich ihm schließlich nicht verargen, wohl aber nahm ich ihm seinen jetzigen Mangel an Vertrauen übel. Zwar sprach ich nicht darüber, aber es wurmte mich jeden Tag, und niemals mehr als in der Woche, die auf das zu Ehren Rosenthalls gegebene Diner folgte. Wenn ich Raffles im Klub traf, sagte er mir nichts; suchte ich ihn in seiner Wohnung auf, so traf ich ihn nicht zu Hause, oder er ließ sich verleugnen. Eines Tages teilte er mir jedoch mit, er mache Fortschritte, die Sache sei aber kitzliger, als er sich zuerst gedacht habe; wenn ich aber anfing, mich nach Einzelheiten zu erkundigen, wollte er nichts mehr sagen. Das veranlaßte mich, in meinem Ärger sofort einen Entschluß zu fassen. Da er mir nichts über das Ergebnis seiner Beobachtungen mitteilen wollte, beschloß ich, auf eigene Faust welche anzustellen, und noch an demselben Abend war ich auf dem Wege nach dem Hause des Millionärs.

Dieses war, glaube ich, bei weitem das größte im Bezirk von St. Johns Wood und stand an einer von zwei breiten Straßen gebildeten Ecke, jedoch führte zufällig durch keine von beiden eine Omnibuslinie, und ich zweifle, ob auf vier Meilen in der Runde eine ruhigere Örtlichkeit zu finden war. Auch das große viereckige von Rasenplätzen und Gebüschen umgebene Haus war ruhig; die Lichter brannten nur schwach, und alles ließ darauf schließen, daß der Millionär und seine Hausgenossen den Abend außerhalb verbrachten. Die Gartenmauern waren nur wenige Fuß hoch. In der einen befand sich eine Seitentür, die in eine Glasgalerie führte, in der andern mündeten zwei große Tore in einen breiten, halbkreisförmigen Fahrweg, und beide standen weit offen. So still war es ringsumher, daß ich große Lust verspürte, in aller Gemütsruhe hineinzugehen und mir die Ortsgelegenheit etwas näher anzusehen, und ich war tatsächlich im Begriffe, das zu tun, als ich einen watschelnden Schritt hinter nur auf dem Pflaster hörte. Ich drehte mich um und stand einem finsteren Gesicht und den geballten schmutzigen Fäusten eines zerlumpten Strolchs gegenüber.

»Du Dummkopf!« sagte dieser, »du unglaublicher Dummkopf!«

»Raffles!«

»So ist's recht!« knirschte er wütend, »schrei's der ganzen Nachbarschaft in die Ohren – verrate mich so laut du kannst!«

Nach diesen Worten wandte er mir den Rücken und watschelte achselzuckend und vor sich hinmurmelnd, als ob ich ihm ein Almosen verweigert hätte, die Straße hinunter. Erstaunt, entrüstet und ratlos blieb ich einen Augenblick stehen; dann folgte ich ihm. Seine Füße schleppten sich müde über die Erde hin, er ging mit gebogenen Knieen, sein Rücken war gekrümmt, sein Kopf wackelte, kurz, er machte den Eindruck eines Achtzigjährigen. In der Mitte zwischen zwei Laternen wartete er auf mich. Als ich ihn erreichte, zündete er sich eine Tonpfeife voll schauderhaften Tabaks mit einem übelriechenden Streichholz an, und die Flamme zeigte mir den Anflug eines Lächelns.

»Du mußt mir meine Heftigkeit verzeihen, Bunny, aber es war wirklich sehr einfältig von dir. Ich versuche alle möglichen Listen – bettle an einem Abend an der Tür und verstecke mich am nächsten in den Gebüschen – kurz, tue alles, worauf ein Sterblicher verfallen kann, und hüte mich nur davor, mich offen hinzustellen und das Haus anzustarren, wie du es eben gemacht hast. Es ist eine Aufführung in Kostüm, und du laufst in deinem gewöhnlichen Anzug hin. Tag und Nacht lauern sie uns auf, sage ich dir, und es ist die härteste Nuß, die ich jemals zu knacken versucht habe.«

»Ja, siehst du,« entgegnete ich, »wenn du mir das vorher gesagt hättest, würde ich nicht gekommen sein, aber du hast mir nichts gesagt – rein gar nichts.«

»Du hast recht,« antwortete er endlich, »ich bin zu verschwiegen gewesen. Das ist mir zur zweiten Natur geworden, wenn ich etwas im Schilde führe. Allein nun soll die Sache zu Ende sein, Bunny, wenigstens soweit du in Betracht kommst. Ich gehe jetzt nach Hause, und du kannst mir folgen, aber halte dich ums Himmels willen in gehöriger Entfernung und sprich nicht eher wieder mit mir, als bis ich dich anrede. So – nun laß mich etwas Vorsprung gewinnen.«

Als er nach diesen Worten mit in die Tasche geschobenen Händen und gespreizten Ellbogen weiterging, wobei seine zerrissenen Rockschöße hin und her baumelten, war er wieder ganz der verkommene Strolch von vorhin.

In Finchley Road nahm er einen Omnibus, und ich saß einige Reihen hinter ihm auf dem Verdeck, aber nahe genug, daß der Geruch seines greulichen Tabaks bis zu mir drang. Daß er seine Charakterskizze so weit trieb – er, der sonst nur eine bestimmte Sorte Zigaretten rauchte –, verriet den letzten und feinsten Zug eines bis ins kleinste gewissenhaften Künstlers und vertrieb wie mit einem Zauberschlag den schwachen Rest vom Verdruß, den ich noch hegte.

Wieder fühlte ich die Anziehungskraft eines Kameraden, der mich immer von neuem mit einer frischen, ungeahnten Seite seines Charakters blendete.

Als wir in die Nähe von Piccadilly kamen, war ich neugierig, was er tun werde. In dem Aufzug konnte er doch unmöglich den Albanyklub betreten. Nein, er nahm einen andern Omnibus nach Sloane Street, und wieder saß ich hinter ihm. In Sloane Street wechselten wir abermals und erreichten bald die lange schmale Verkehrsader Kings Road. Jetzt war ich furchtbar gespannt, was das Ziel unsrer Fahrt sein würde, doch blieb ich nicht lange darüber im Zweifel. Raffles kletterte hinunter, überschritt die Straße und verschwand an einer dunklen Ecke. Eiligst folgte ich ihm und kam gerade noch zur rechten Zeit, die Schöße seines Rockes in einer noch dunkleren Gasse verschwinden zu sehen. Raffles hatte seine gebückte Haltung aufgegeben, seine Bewegungen waren wieder die eines jungen Mannes, und er hatte schon auf irgend eine geheimnisvolle Weise etwas von dem verkommenen Aussehen verloren. Allein ich war der einzige Mensch, der ihn sah, denn die Gasse war vollständig vereinsamt und verzweifelt finster. Am jenseitigen Ende öffnete er eine Tür, hinter der es noch dunkler war.

Instinktiv wich ich etwas zurück und hörte ihn kichern.

»Alles in Ordnung, Bunny! Diesmal brauchen wir die Schuhe nicht wieder auszuziehen. Das hier sind Ateliers, mein Freund, und ich bin einer der rechtmäßigen Mieter.«

In der Tat befanden wir uns gleich darauf in einem hohen Raume mit Oberlicht, einem Ankleidekämmerchen, einem Podium und allem andern Zubehör, dem nur die Zeichen wirklichen Gebrauchs fehlten.

Als das Gas aufflammte, war das erste, was ich sah, der Widerschein des Lichtes auf Raffles' seidenem Hut, der nebst dem Rest seines gewöhnlichen Anzugs an der Wand hing.

»Siehst du dich nach Kunstwerken um?« fuhr Raffles fort, indem er sich eine Zigarette anzündete und sich seiner Lumpen entledigte. »Ich fürchte, du wirst keine finden, aber dort steht die Leinwand, auf der ich stets anzufangen im Begriff bin. Ich gebe immer vor, daß ich mich überall nach meinem idealen Modell umsehe. Zweimal wöchentlich lasse ich grundsätzlich heizen und lasse eine Zeitung, sowie den Duft meiner Sullivans zurück – ach, wie gut sie nach dem Satanskraut schmecken! Außerdem zahle ich meine Miete pünktlich und bin in jeder Hinsicht ein Mustermieter. Dies ist ein sehr hübsches kleines pied-à-terre, – man kann niemals wissen, wie nützlich es im Falle der Not werden kann. Der kleine runde Hut tritt ein, der Zylinder kommt wieder heraus, aber niemand beachtet sie, und es ist hundert gegen eins zu wetten, daß zu dieser späten Stunde außer uns keine Menschenseele im Hause ist.«

»Du hast mir niemals gesagt, daß du in Verkleidung arbeitest,« entgegnete ich, während ich zusah, wie er sich den Schmutz von Gesicht und Händen abwusch.

»Nein, Bunny, ich habe dich wirklich ziemlich schäbig behandelt. Es lag eigentlich gar kein Grund vor, dir diesen Ort nicht schon vor einem Monat zu zeigen, und doch hatte ich auch keine Veranlassung, es zu tun, denn es sind wohl Umstände denkbar, wo es für uns beide sehr vorteilhaft sein könnte, wenn du nicht weißt, wo ich stecke. Wie du siehst, habe ich eine Stelle, wo ich im Falle der Not mein Haupt niederlegen kann, und natürlich führe ich in Kings Road nicht den Namen Raffles. Man könnte sonst in die Lage kommen, einen entfernteren und schlimmeren Zufluchtsort aufsuchen zu müssen.«

»Einstweilen benutzest du dies als Ankleidezimmer?«

»Es ist mein Privatpavillon,« entgegnete Raffles. »Verkleidungen? In manchen Fällen sind sie der halbe Sieg, und es ist immer eine Beruhigung, zu wissen, daß man, wenn das Schlimmste zum Schlimmsten kommt, nicht unter seinem wirklichen Namen verurteilt zu werden braucht. Bei den Verhandlungen mit den Schärfern sind sie übrigens ganz unentbehrlich. Ich bediene mich bei allen Geschäften des Kostüms und der Sprache von Shoreditch Ein armer Stadtteil Londons. Anm. d. Übers., denn wenn ich das nicht täte, würde ich mich den ärgsten Erpressungen aussetzen. Dieses Kämmerchen steckt voll von allen möglichen Anzügen. Der Frau, die die Zimmer in Ordnung hält, sage ich, sie seien für meine Modelle bestimmt, falls ich welche fände. Nebenbei bemerkt, hoffentlich finde ich etwas, das dir paßt, denn morgen abend mußt du einen Anzug haben.«

»Morgen abend!« rief ich aus. »Was hast du denn vor?«

»Den großen Streich,« antwortete Raffles. »Ich hatte die Absicht, dir gleich nach der Rückkehr in meine Wohnung zu schreiben und dich zu bitten, morgen nachmittag zu mir zu kommen. Dann wollte ich dir meinen Feldzugsplan vorlegen und dich vom Fleck weg ins Gefecht führen. Nichts geht darüber, nervösen Schauspielern keine Zeit zur Überlegung zu lassen. Wenn sie lange in ihrer Wattierung warten müssen, geht die Geschichte meist schief. Das ist der zweite Grund, weshalb ich so verschwiegen war. Du mußt mir verzeihen, denn ich konnte nicht vergessen, wie gut du deine Rolle das letzte Mal gespielt hast, wo du keine Zeit hattest, schwach zu werden. Alles, was ich von dir verlange, ist, daß du dich morgen abend ebenso ruhig und gewandt benimmst, wie damals, obgleich sich die beiden Fälle nicht vergleichen lassen.«

»Daß du das finden würdest, dachte ich mir.«

»Und da hattest du recht; ich habe es gefunden. Aber merke wohl, ich will keineswegs behaupten, daß dies ein schwierigeres Stück Arbeit geben wird. Wahrscheinlich werden wir ohne Mühe hineingelangen; das Wiederherauskommen ist es, was uns zu schaffen machen wird. Das ist das Schlimmste bei einem solchen wüsten Haushalt!« rief Raffles in tugendhafter Entrüstung. »Ich versichere dir, Bunny, ich habe am Montag die ganze Nacht im Nachbargarten gesteckt und über die Mauer geguckt, und – sollte man's wohl glauben! – es war die ganze Nacht jemand auf den Beinen. Ich meine nicht die Kaffern. Die kommen, glaube ich, nie ins Bett, die armen Teufel! Nein, ich meine Rosenthall selbst und das Biest Purvis mit seinem Teiggesicht. Von Mitternacht an, wo sie nach Hause kamen, bis Tagesanbruch, wo ich mich dünne machte, saßen sie und kneipten. Und selbst da waren sie noch nüchtern genug, sich Grobheiten an den Kopf zu werfen. Nebenbei gesagt, kam es im Garten, ein paar Schritte von mir, beinahe zu einer Keilerei zwischen ihnen, und dabei hörte ich etwas, was sich vielleicht nützlich verwenden ließe und Rosenthall dazu bringen könnte, im kritischen Augenblick vorbeizuschießen. Du weißt doch, was ein D. S. ist!«

»Diamantenschärfer, einer, der den Grubenarbeitern gestohlene Diamanten abkauft.«

»Sehr richtig. Es scheint so, als ob Rosenthall dieses Geschäft betrieben und sich in der Betrunkenheit Purvis gegenüber verraten habe. Jedenfalls hörte ich, wie Purvis ihn damit reizte und ihn mit der Polizei von Kapstadt bedrohte. Ich fange an zu glauben, unsre Freunde stehen sich zugleich als Freund und Feind gegenüber. – Aber was morgen abend anlangt, so steckt nichts besonders Pfiffiges in meinem Plan. Er besteht einfach darin, daß wir uns ins Haus schleichen, während diese Kerle draußen sind, und uns dann stille verhalten, bis sie wieder da sind und noch ein bißchen länger. Womöglich müssen wir ihren Whisky etwas verbessern. Das würde die ganze Sache sehr vereinfachen, obgleich es eigentlich kein wahrer Sport ist, allein wir dürfen Rosenthalls Revolver nicht vergessen, denn wir wollen doch nicht, daß er uns seinen Namen mit Kugeln auf den Leib schreibt. Da die Kaffern im Hause sind, würde der Whisky unsre Aussichten jedoch sehr verbessern, vorausgesetzt, daß wir nicht lange danach zu suchen brauchen. Eine Keilerei mit den Heiden würde alles verderben, wenn nicht zu Schlimmerem führen. Außerdem sind auch noch die Damen da ...«

»Den Teufel auch, Damen?«

»Ja, Damen, und was für welche! Mit Stimmen, die Kain aus dem Grabe erwecken könnten. Ich fürchte, ich fürchte, ihr Geschrei ... das könnte verhängnisvoll für uns werden. Wenn es uns dagegen gelingt, uns unbemerkt zu verstecken, ist die Schlacht halb gewonnen. Kommt Rosenthall betrunken nach Hause, so bedeutet das einen roten Diamanten für jeden von uns; bleibt er nüchtern und wach, dann können sich die Diamanten in Kugeln verwandeln. Aber wir wollen das Beste hoffen, Bunny, und das Schießen wird nicht nur von einer Seite ausgehen. – Das Ganze liegt in der Hand der Götter!«

Da ließen wir es auch, als wir uns in Piccadilly mit einem Händedruck trennten. Raffles forderte mich an diesem Abend nicht auf, ihn in seine Wohnung zu begleiten. Es sei seine Regel, sagte er, sich ordentlich auszuschlafen, wenn er am nächsten Tage Cricket oder – ein andres Spiel vorhabe, und in seinen Abschiedsworten kam derselbe Grundsatz zum Ausdruck.

»Vergiß nicht, Bunny, nur ein Glas heute abend, höchstens zwei, wenn dir dein Leben lieb ist – und das meine.«

Meines unterwürfigen Gehorsams und der schlaflosen Nacht, die er zur Folge hatte und die kein Ende nehmen wollte, bis sich zuletzt die Dächer der gegenüberliegenden Häuser am blaugrauen Londoner Morgenhimmel abzeichneten, entsinne ich mich bis auf den heutigen Tag. Der Gedanke, ob ich wohl noch einen andern Morgen erleben würde, quälte mich, und ich machte wir die schwersten Vorwürfe wegen der kleinen Unternehmung, zu der ich mich von meinem Eigensinn hatte verleiten lassen.

Zwischen acht und neun Uhr abends bezogen wir unsern Posten in dem Garten, der an denjenigen Ruben Rosenthalls grenzte. Das zu diesem gehörige Haus war geschlossen, denn der Wüstling hatte durch seine lärmenden Orgien die Nachbarn vertrieben und dadurch viel dazu beigetragen, sich in unsre Hände zu liefern. Vor jeder Überraschung von dieser Seite sicher, waren wir im stande, unser Haus, durch eine Mauer gedeckt, zu beobachten, die gerade hoch genug war, daß man hinübersehen konnte, wobei uns ein ziemlich breiter Streifen Gebüsch in jedem der beiden Gärten weiteren Schutz gewährte. So verschanzt, hatten wir eine Stunde auf der Lauer gelegen und ein paar erleuchtete Erkerfenster betrachtet, über deren Vorhänge beständig unbestimmte Schatten huschten, und das Ausziehen von Korken, das Klingen von Gläsern und ein allmählich lauter werdendes Gewirr rauher Stimmen gehört. Unser Glück schien uns verlassen zu haben: der Besitzer der roten Diamanten speiste zu Hause und dehnte sein Mahl ganz ungebührlich lange aus. Ich meinte, er habe Gäste zum Diner, Raffles aber war andrer Ansicht, und wie sich bald herausstellte, hatte er recht. Jetzt knirschten Räder im Kies des Fahrwegs, und ein zweispänniger Wagen fuhr an der Treppe vor. Gleich darauf verließen die Leute das Speisezimmer und ihre lauten Stimmen verhallten, ertönten aber bald wieder vom Hausflur her.

Ehe ich fortfahre, ist es notwendig, unsre Stellung vollkommen klar zu machen. Wir standen hinter der Mauer an der Seite des Hauses und nur wenige Fuß von den Fenstern des Speisezimmers entfernt. Rechts von uns sprang eine Ecke des Hauses in den Hinteren Rasenplatz vor, links konnten wir an der andern Ecke vorbei eben noch die untersten Stufen der Freitreppe und den wartenden Wagen erkennen. Wir sahen Rosenthall heraustreten – wir sahen vor allem andern das Funkeln seiner Diamanten. Dann kam der Preisboxer, hierauf eine Dame mit Haaren, die einem Badeschwamme glichen, endlich noch eine, und damit war die Gesellschaft vollzählig beisammen.

Raffles bückte sich und zog auch mich in großer Aufregung nieder.

»Die Damen gehen mit ihnen!« flüsterte er. »Das ist herrlich!«

»Dies ist noch besser!«

Der Millionär hatte nämlich nach einer Gardenia für sein Knopfloch gerufen, ein untrügliches Zeichen, daß er ausgehen wollte.

»Und das ist das Beste von allem,« sagte Raffles, indem er sich aufrichtete, als die Hufe und Räder im Kiese knirschten und der Wagen in scharfem Trabe durchs Tor davonrasselte.

»Was nun?« flüsterte ich, vor Aufregung zitternd.

»Sie werden aufräumen. Ja, da kommen ihre Schatten. Die Fenster des Salons öffnen sich nach dem Rasenplatze. – Bunny, dies ist der psychologische Augenblick! Wo ist die Maske?«

Mit einer Hand, deren Zittern ich nicht zu verbergen vermochte, zog ich sie hervor, und als er keine Bemerkung über das machte, was ihm unmöglich entgehen konnte, wäre ich für Raffles in den Tod gegangen. Seine eigenen Hände waren fest und kühl, als er mir zuerst meine Maske und sich dann seine eigene vorband.

»Bei Gott, Alter,« flüsterte er lustig, »du siehst aus wie der größte Halunke, der mir je zu Gesicht gekommen ist! Diese Masken allein bringen jeden Nigger aus der Fassung, wenn wir einem begegnen sollten, aber ich bin froh, daß ich dich daran erinnert habe, dich nicht zu rasieren. Wenn das Schlimmste zum Schlimmsten kommt, kannst du für einen Menschen aus Whitechapel gelten, und vergiß ja nicht, Dialekt zu sprechen. Falls du dessen nicht sicher bist, bleib eigensinnig wie ein Maultier stumm und überlaß das Reden mir, aber wenn uns unsre Sterne gnädig sind, wird das alles nicht erforderlich sein. So, bist du bereit?«

»Vollständig.«

»Hast du den Knebel?«

»Ja.«

»Das Schießeisen?«

»Ja.«

»Dann los!«

In einem Augenblick waren wir über die Mauer, im nächsten auf dem Rasenplatz hinter dem Hause. Der Mond schien nicht, und selbst die Sterne hatten sich zu unsern Gunsten verschleiert. Meinem Führer auf den Fersen, schlich ich zu einer der Glastüren, die sich auf eine Veranda öffneten. Raffles drückte dagegen – sie gab nach!

»Wieder Glück!« flüsterte er, »nichts als Glück! Nun Licht!«

Und es ward Licht!

Zwei gute Dutzend elektrischer Lichter glühten während eines Bruchteils eines Augenblicks in rotem Scheine und warfen dann ihre unbarmherzigen weißen Strahlen in unsre geblendeten Augen. Als wir wieder sehen konnten, waren vier Revolver aus uns gerichtet, und zwischen zwei von ihnen erblickten wir Ruben Rosenthall, dessen ganze Riesengestalt von heiserem Lachen erschüttert wurde.

»Guten Abend, ihr Jungen!« begrüßte er uns rülpsend. »Freue mich, endlich eure Bekanntschaft zu machen. Wenn du Fuß oder Finger rührst, du da links, dann bist du den Ratten. Dich meine ich, du Schuft!« brüllte er Raffles an. »Ich kenne dich und habe dich schon lange erwartet. Die ganze Woche habe ich dich beobachtet! Glaubtest wohl, die Sache furchtbar schlau anzufangen, was? Einen Tag als Bettler, den nächsten als einer von den alten Freunden von Kimberley, die niemals kommen, wenn ich zu Hause bin. Aber rings um diese alte Bude ließest du jeden Tag und jede Nacht dieselben Spuren zurück, du Dummkopf.«

»Na ja, Alterchen,« knurrte Raffles im reinsten Shoreditch-Englisch, »nur nicht ungemütlich. Diesmal sind wir richtig 'reingefallen, und wir wollen nicht lange fragen, wie Sie dahinter gekommen sind. Aber nicht schießen, denn wir sind nicht bewaffnet, wahrhaftig nicht.«

»Oho, du bist ein Schlauberger,« antwortete Rosenthall, mit dem Abzug seines Revolvers spielend, »aber du bist an einen noch Schlaueren geraten.«

»Herrje ja, das kennen wir. Der beste Diebsfänger ist ein Dieb – ja, ja.«

Endlich gelang es mir, meine Augen von den schwarzen runden Mündungen, den verfluchten Diamanten, die unser Köder gewesen waren, von dem schwammigen Gesicht des überfütterten Preisboxers, den glühenden Wangen und der krummen Nase Rosenthalls selbst abzuwenden. Ich blickte über sie hinaus nach einer Tür, die von zitternder Seide und Plüsch, schwarzen Gesichtern mit weißen Augäpfeln und Wollköpfen gefüllt war. Aber ein plötzliches Schweigen veranlaßte mich, meine Aufmerksamkeit wieder dem Millionär zuzuwenden, in dessen Gesicht nur die Nase ihre Farbe behalten hatte.

»Was willst du damit sagen?« flüsterte er mit einem heiseren Fluche. »Heraus mit der Sprache, oder, so wahr ich lebe, ich schieße dir ein Loch in den Leib!«

»Was wird denn für gepaschte Diamanten bezahlt?« näselte Raffles ruhig.

»He?«

Rosenthalls Revolver beschrieben immer größer werdende Kreise.

»Was wird für gepaschte Diamanten bezahlt – alter D. S.?«

»Wie zum Teufel kommst du denn auf den Gedanken?« fragte Rosenthall mit einem Rasseln in der Kehle, das für ein lustiges Lachen gelten sollte.

»Das mögen Sie wohl fragen,« antwortete Raffles. »Da unten, wo ich herkomme, wissen's alle.«

»Wer hat denn wohl solchen Unsinn verbreitet?«

»Das weiß ich nicht; fragen Sie mal den Herrn zu ihrer Linken; vielleicht kann der Auskunft darüber geben.«

Der Herr zur Linken war bleich vor Aufregung geworden, und niemals hatte ein schlechtes Gewissen eine deutlichere Sprache geredet. Einen Augenblick schien es, als ob ihm die Augen aus dem fetten Gesicht hervorquellen wollten, im nächsten aber steckte er, seinem Berufsinstinkt nachgebend, die Pistolen in die Tasche und fiel mit den Fäusten über uns her.

»Aus dem Licht – aus dem Licht!« schrie Rosenthall wütend.

Aber es war zu spät. Sowie die massige Gestalt des Preisboxers in Rosenthalls Schußlinie trat, sprang Raffles mit einem gewaltigen Satz aus dem Fenster, während ich, ohne ein Wort zu sprechen, ruhig stehen blieb und nach allen Regeln der Kunst zu Boden geschlagen wurde.

Lange kann ich indes nicht bewußtlos geblieben sein. Als ich wieder zu mir kam, herrschte ein großer Lärm im Garten, aber im Salon war ich ganz allein. Langsam richtete ich mich auf. Rosenthall und Purvis rannten draußen hin und her, fluchten auf die Kaffern und machten sich gegenseitig Vorwürfe.

»Über diese Mauer, sage ich Ihnen!«

»Nein, ich sage Ihnen, hier war's. Wollen Sie nicht nach der Polizei pfeifen?«

»Ach was, hol der Teufel die Polizei. Die habe ich satt.«

»Dann wollen wir lieber ins Haus gehen und den andern in Sicherheit bringen.«

»O ja, bringen Sie nur Ihre Haut in Sicherheit, das ist das Beste, was Sie tun können. Jala, du schwarzes Schwein, wenn du dich etwa auch drücken willst, so werde ich ...«

Womit er Jala bedrohte, hörte ich nicht mehr. Auf Händen und Knieen kriechend, verließ ich den Salon, während mein eigener Revolver, den ich mit den Zähnen am Ring erfaßt hatte, vor meinem Kinn hin und her baumelte.

Einen Augenblick hielt ich auch den Flur für verlassen, allein das war ein Irrtum, denn plötzlich stieß ich auf allen Vieren kriechend an einen Kaffer. Der arme Teufel! Ich konnte es nicht übers Herz bringen, ihm einen Schlag zu versetzen, aber ich bedrohte ihn mit meinem Revolver, so daß seine weißen Zähne noch in seinem schwarzen Kopfe klapperten, als ich, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppen hinanflog. Warum ich so entschlossen nach oben floh, als ob dort meine einzige Rettung liege, kann ich nicht erklären, aber der Garten und das Erdgeschoß schienen von Menschen zu wimmeln, und was ich tat, war noch lange nicht das Dümmste, was ich hätte tun können. Ich trat in das erste Zimmer, das ich erreichte. Es war ein Schlafzimmer – leer, aber erleuchtet, und ich werde nie im Leben vergessen, wie ich zusammenfuhr, als ich den gräßlichen Halunken – mich selbst – bei meinem Eintritt in einem Spiegel lebensgroß vor mir sah. Verlarvt, bewaffnet und zerlumpt, war ich in der Tat ein Gegenstand, der für eine Kugel oder den Henker wie gemacht erschien, und daß die eine oder der andre meine Bestimmung sei, bezweifelte ich jetzt keinen Augenblick mehr. Trotzdem versteckte ich mich in dem Kleiderschrank, dessen Tür der Spiegel bildete, und dort stand ich, an allen Gliedern zitternd, wohl eine halbe Stunde lang, während ich mein Geschick, meine Torheit und am heftigsten von allem Raffles – ja, zuerst und zuletzt Raffles – verfluchte. Plötzlich riß jemand die Tür des Schrankes weit auf. Ohne daß ich einen Laut gehört hatte, waren die Leute ins Zimmer gekommen, und nun wurde ich, ein elender Gefangener, die Treppe hinabgezerrt und gestoßen.

Im Hausflur gab es einen gewaltigen Lärm. Die Damen waren auf dem Schauplatze erschienen und stießen ein furchtbares Geschrei aus, als sie den verzweifelten Verbrecher erblickten. Dazu mag ich ihnen wohl auch genügende Veranlassung gegeben haben, obgleich mir die Larve abgerissen worden war, die jetzt nur noch mein linkes Ohr verbarg. Rosenthall gebot brüllend Schweigen, worauf ihm die Stimme des Frauenzimmers mit dem Badeschwammhaar durch einige Flüche antwortete, und das Haus wurde zu einem Babel, das jeder Beschreibung spottete. Ich entsinne mich noch, daß ich darüber nachdachte, wie lange es wohl noch dauern werde, bis die Polizei erschiene. Purvis und die Damen waren dafür, sie herbeizurufen, aber Rosenthall wollte nichts davon hören. Er schwor, er werde jeden, Mann oder Weib, niederschießen, der es versuche, sich zu entfernen. Er habe die Polizei satt und wolle sie nicht im Hause haben und sich von ihr den Spaß verderben lassen, denn er wünsche, mit mir auf seine eigene Weise fertig zu werden. Dabei riß er mich von den andern los, stieß mich gegen eine Tür und jagte, nicht einen Zoll von meinem Ohre entfernt, eine Kugel durchs Holz.

»Sie besoffener Dummkopf, das gibt ja noch Mord!« schrie Purvis, indem er sich zum zweiten Male in die Schußlinie drängte.

»Was liegt mir daran? Er ist doch bewaffnet, nicht wahr? Dann habe ich ihn in der Notwehr erschossen, und das werden sich die andern zur Warnung dienen lassen. Wollen Sie zur Seite treten, oder die Kugel selbst in die Rippen haben?«

»Sie sind besoffen!« antwortete Purvis, immer noch zwischen uns stehend. »Ich sah, wie Sie ein Glas reinen Whisky tranken, als Sie eintraten, und das hat Ihnen Ihr bißchen Verstand geraubt. Rappeln Sie sich zusammen, Alter! Ich lasse nicht zu, daß Sie etwas tun, was Sie hinterher bereuen würden.«

»Gut, dann will ich nicht auf den Lump selbst schießen, sondern nur rings um ihn herum. Sie haben ganz recht, Alterchen. Ich werde ihm nichts zuleide tun; das wäre ein großer Fehler, aber rings um ihn herum. Sehen Sie – so!«

Dabei fuhr eine mit Sommersprossen bedeckte Tatze über Purvis' Schulter, gelbe Blitze schossen aus seinem Ringe, eine rote Flamme aus seinem Revolver. Die Frauenzimmer kreischten, als der Knall verhallte, und einige Holzsplitter flogen in mein Haar.

Im nächsten Augenblick entwaffnete ihn der Preisboxer, und wenn ich jetzt auch vor diesem Teufel sicher war, so war mein Schicksal doch besiegelt, denn ein Schutzmann stand in unsrer Mitte! Er war durchs Salonfenster eingetreten, machte aber wenig Worte, sondern handelte mit lobenswerter Raschheit. Im Nu hatte er meine Hände gefesselt, während der Preisboxer den Vorgang erzählte und sein Herr in ohnmächtiger Wut über die Polizei und ihren Vertreter loszog. Das sei eine nette Wachsamkeit; sie wären was Rechts nütze, denn sie kämen immer, wenn alles vorbei sei, und das ganze Haus hätte im Schlafe können ermordet werden. Erst als mich der Beamte abführte, ließ er sich herab, Rosenthall etwas Beachtung zu schenken.

»Von Ihnen wissen wir mehr als genug,« sagte er verächtlich, indem er den Sovereign zurückwies, den Purvis ihm anbot. »Sie werden mich in Marylebone Wiedersehen.«

»Soll ich gleich mitgehen?«

»Wie Sie wollen, aber ich vermute, der andre Herr hat Sie nötiger, und ich glaube nicht, daß mir dieser junge Mann Schwierigkeiten machen wird.«

»Ach, ich werde ganz gutwillig mitgehen,« sagte ich.

Und ich ging mit.

Schweigend legten wir einige hundert Schritte zurück. Es mußte Mitternacht sein, und wir begegneten keiner Menschenseele.

»Wie in aller Welt hast du denn das fertig gebracht?« flüsterte ich endlich.

»Der reine Dusel!« antwortete Raffles. »Da ich jeden Backstein der Gartenmauer kenne, gelang es mir, zu entkommen, und das größte Glück war, daß ich diesen Anzug und was dazu gehört, hier in Chelsea hatte. Der Helm ist ein Stück einer Sammlung, die ich mir in Oxford angelegt habe. Hier fliegt er über die Mauer, und Rock und Gürtel wollen wir lieber ausziehen und auf dem Arm tragen, ehe wir einem wirklichen Schutzmann begegnen. Ich habe sie mir einmal – angeblich – zu einem Maskenball angeschafft, und damit ist eine Geschichte verknüpft. Meine Hauptschwierigkeit war, die Droschke los zu werden, die mich zurückbrachte, aber ich habe dem Kutscher einen Schilling gegeben und ihn mit einer Botschaft an den guten alten Mackenzie nach dem Polizeiamt geschickt. Die ganze Kriminalabteilung wird in einer halben Stunde in Rosenthalls Haus sein. Natürlich rechnete ich mit dem Hasse, womit dieser Herr die Polizei beehrt – wieder ein kolossales Glück! War's dir inzwischen gelungen, zu entkommen, schön und gut, wo nicht, so war ich überzeugt, daß der Mensch seine Maus so lange als möglich quälen werde. Ja, ja, Bunny, das Kostüm hat eine größere Rolle bei unsrer Aufführung gespielt, als ich ihm zugedacht hatte, und wir haben uns mit wenig Ruhm aus der Affäre gezogen. Aber, bei Gott, es war schon ein Bombenglück, daß wir uns überhaupt herausgezogen haben.«


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