Hans Hopfen
Verdorben zu Paris
Hans Hopfen

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VI.

Ich unterbreche hier den Fluß der objectiven Darstellung und biete dem geneigten Leser Einsicht in eine kleine

Briefsammlung.

Der Inhalt derselben wird ihn rascher und augenscheinlicher mit Meinungen und Schicksalen einiger Nebenpersonen dieser Geschichte bekannt machen, zur Erklärung des bereits Geschilderten behilflich sein, und was wir noch nachzutragen haben, begründen oder vorbereiten.

So ließen sich diese Documente der Erzählung als ein wesentlicher Bestandtheil einfügen. 57

 

Ulrich Fröhlich an den Baron Curt v. K.

Straßburg, 15. October 1863.

Lieber Herr Baron!

Sie sind uns Allen noch in so gutem Angedenken verblieben, daß wir nicht umhin können, zu glauben, es ginge Ihnen ebenso mit uns, und Sie wüßten noch recht gut, wie der alte Vater Fröhlich aussieht, oder besser, wie er ausgesehen hat, als Sie Ihrerzeit von Heidelberg herüberkamen und es nicht verschmähten, in der Laube hinter seinem Haus ein Schöpplein und anderes mit ihm zu leeren.

Die Marguerite, oder wie Sie sie lieber nannten, das Gretel, war damals noch ein Kind oder doch nicht viel mehr, und wir waren guter Dinge und erhitzten uns den Kopf mit allerhand Fragen an den lieben Herrgott, die uns eigentlich nichts angingen.

Das waren noch Zeiten!

Aber jetzt! Aus Kindern werden Leute, und aus den Leuten wird oft, was Gott erbarm'! Wenn Sie mich heute begegneten, wer weiß, ob Sie in dem gebrochenen Greise den heiteren Herrn von Anno damals noch erkennten und ob ein bitterlich Mitleiden nicht alle Lust Ihnen benähme, mit mir einen Wortstreit anzufangen.

Und was ist aus dem Gretel geworden?

Das ist die Frage, lieber Herr Baron, die ich mir seit sieben Wochen alle Tage stelle. Und da mir Niemand darauf Antwort gibt, so stelle ich die Frage jetzt an Sie.

Sie sind ein lieber, guter, aufrechter Mann, Sie werden einen alten geängstigten, rathlosen Vater nicht ohne Trost lassen, welchen Sie ihm geben können. Sie sind nicht dazu gemacht, dem Schmachtenden aus Faulheit oder Geringschätzung den Labetropfen zu versagen, um den er Sie anfleht.

Gerathen Sie mir aber vor Allem nicht aus leidigem Mißverständniß in Zorn. Ich weiß wol, daß Sie das Gretel einst gerne gesehen haben und daß Sie, redlich und bieder, wie Sie Ihr Lebtag gewesen, dieselbe allen Ernstes zu Ihrer Frau Baronin machen wollten. Allein die Marguerite hat mirs schon vor lang geschrieben, daß zwischen Ihnen und ihr Alles aus geworden und Sie keinerlei Verkehr mit ihr mehr unterhielten. Ich denke nicht daran, daß Sie direct oder indirect wieder mit ihr angebunden hätten, obwol mirs jetzt, zum Unterschied von älteren Gedanken, recht erwünscht wäre. Nur kann ich leider mir auch nicht denken, was sonst aus ihr geworden, und da ich dermalen Niemanden in Paris weiß, dem ich noch ein Bischen freundschaftlicheres Erinnern für den müden Ulrich zutrauen möchte, außer Ihnen, so müssen Sie es sich schon gefallen lassen, daß ich eben 58 diesen Einzigen recht herzlich und inständig und wiederholt bitte, mir zu Hilfe zu kommen.

Sonst hatte Marguerite immer die gute Gewohnheit, alle acht Tage nach Hause zu schreiben. Bald ausführlich, bald in wenigen Zeilen, verstimmt oder lustig, sie hielt doch feste Zeit, und selbst wenn sie unwohl oder krank war, der Postbote hatte doch jede Woche sein Brieflein an uns zu bestellen.

Das ging, so lange sie bei Klopffechter's war.

Später, als sie die Stelle bei einer corsischen Familie annahm, in einem großen Hause, wo sie freilich mehr Gehalt, aber viel weniger freie Zeit hatte, kamen die Briefe erst uuregelmäßig und dann immer seltener. Es war aber nicht ihre Schuld, denn der Ansprüche, welche die Frau des Hauses an sie stellte, waren viele, und es währte nicht lang, daß sie mit derselben eine Reise in ein und anderes Bad machte.

Aber auch so vergingen nie mehr als vierzehn Tage, bis Nachricht von ihr kam.

Und sie hielt es auch nicht anders, als sie wieder nach Paris zurückgekehrt war.

Vor etwas über acht Wochen bekam ich eine recht weinerliche Epistel von ihr.

Ich sagte damals meiner Frau gleich, es müßte sich etwas Unliebsames für unser Kind ereignet haben, tröstete jedoch sie und mich, daß es wol nichts weiter denn ein Verdruß mit ihrer Herrschaft gewesen, dergleichen große Damen gar gerne ihre üble Laune an den nächsten Untergebenen auszulassen liebten.

Der Trost mußte länger vorhalten, als ichs ihm von Anfang selber zugemuthet hätte.

Nun aber ists lang her, daß er seine Kraft gänzlich verloren, denn der besagte Brief ist der letzte geblieben und es ist kein anderer Brief und kein anderer Trost für mich gekommen.

Ich lege das Blättchen hier bei. Es enthält außer Gretel's Adresse vielleicht noch andere Anhaltspunkte, die den Nachforschenden an Ort und Stelle auf die Spur der verschollenen Schreiberin leiten mögen. Seien Sie aber ja recht inständig gebeten, das Stückchen Papier nicht zu verschleudern oder zu zerreißen. Es hat Werth für mich und könnte leicht noch höheren Werth für mich erhalten.

Wie ich es hier zur Abfahrt zusammenlege, kommt mich eine gar jämmerliche Furcht an, der Brief Margueritens möchte nicht nur der letzte sein, sondern auch bleiben. Gott bewahre mich davor! Ich kann mich der trübsten Gedanken nicht mehr erwehren.

Anfangs habe ich mich nur geärgert und etwas gescholten, dann habe ich geschmollt und geschwiegen, dann ward mir bang und ich schrieb einen 59 Brief um den anderen, und jetzt bin ich krank und elend und verzweifle, wenn Sie sich nicht rühren lassen.

Ich käme selbst nach Paris, aber mein Zustand und auch mein Geschäft wollen mirs noch nicht erlauben. Meine Frau kann ich nicht schicken, dazu fehlt ihr Geistesgegenwart; auch ist ihr die französische Sprache nicht genug geläufig, obwol sie sich viel auf ihre – Muttersprache zugute thut. Meine Ernestine ist zu jung und unerfahren. Die alte Tante in Paris ist todt. Der reiche Herr Klopffechter hat die drei Briefe, die ich an ihn gerichtet, keiner Antwort gewürdigt. Ein Schreiben an die corsische Herrschaft hatte kein besseres Schicksal.

Ihnen habe ich in Gedanken oft Unrecht gethan, eben deßhalb meine ich aber diesmal recht zu denken, daß Sie mein Vertrauen nicht Lügen strafen werden.

Gehen Sie doch zu dem Hause der Frau Baronin, gehen Sie, wenns noth ist, zum Herrn Klopffechter, und wenn Sie auch da nichts erfahren, in Gottes Namen zur Polizei.

Aber das wird ja nicht nothwendig sein. Und ehe es unerläßlich ist, möchte ich nicht um Alles einen Scandal verursachen. Der gute Ruf eines jungen Mädchens ist so leicht verdorben, und nun gar zu Paris und noch dazu in abhängiger Stellung. Nur ja kein voreilig Aufhebens machen! Mein dummes altes Herz wird sich schon gedulden.

Am Ende ist sie recht krank. Verhüts der Himmel! Doch da schrieb sie ja sonst, sie würde jetzt mindestens schreiben lassen. Sie hatte mich ja immer lieb und sie hing an der Mutter mit Zärtlichkeit. Sie hat wol wieder eine Reise gemacht, und die Post ist nicht überall so accurat und ein Stückchen Papier ist leicht dahin.

Wenn ichs nur glauben könnte!

Wozu noch weiter jammern! Sie werden ja für mich handeln. Nehmen Sie im Voraus meinen heißesten Dank. Habe ich irgend, was Ihnen zu etwas gut sein kann, so gehört es Ihnen.

Man sagt mir, es soll Ihnen recht wacker gehen.

Sie verdienens!

Sagen Sie der Grete doch, wenn Sie sie gefunden haben, es könnte ihr auch gut gehen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, lieber Herr Baron. Ich meine nur, sie brauchte nicht mehr fremder Leute Brod zu essen, wenns ihr nicht schmeckte und sie Paris satt hätte. Auch heiraten könnte sie, wenn ihr des Nachbars Nikolas gefallen möchte, der ein hübscher, redlicher, erprobter Bursche ist und seines Vaters Geschäft übernehmen soll, wenn er sich eine Frau genommen. Als ihm der Alte das eröffnet hatte, erinnerte sich der Junge, daß er mit dem Gretel, da sie Beide noch jünger gewesen, gerne Blindekuh gespielt, und 60 meinte, der Alte sollte meine Tochter nur sofort fragen, ob sie sich gleichfalls noch gerne daran erinnerte.

Das sind nun auch schon fünf Wochen!

Sagen Sie ihr das Alles, lieber, guter Herr Baron, oder was Sie ihr lieber sagen wollen oder was sie sonst eben hören muß und ihr zu hören frommen mag.

Sie werdens ja bald besser wissen und michs alsdann wissen lassen. Gott vergelts Ihnen! Glauben Sie mir, der Segen eines alten ehrlichen Mannes hat Thatkraft und mein Segen ist Ihnen gewiß

heut und allezeit!

Leben Sie wohl und verzeihen Sie und helfen

Ihrem mit größter Hochachtung
zeichnenden

Ulrich Fröhlich.

Nachschrift: Die Mutter und die alte Fiffel schreiben selber an Sie.


Samuel Klopffechter an den Baron.

Ajaccio, 20. October 1863.

Lieber Herr Baron!

Ihr werthes Schreiben vom 17. d. M. wurde mir durch meine Leute richtig nachgesendet, und ich beeile mich umso lieber, Ihnen umgehend zu antworten, als einerseits die Antworten auf die Fragen Ihres Briefes bald gegeben sind und ich andererseits auf dieser abgeschmackten Insel Zeit genug zum Schreiben habe.

Liebster, Bester, die armen Eltern, und insbesondere der Vater jenes leichtsinnigen Mädchens, welches meiner Marie letzte Gouvernante gewesen, thun mir herzlich leid. Wenn Sie aber von mir wissen wollen, was aus ihr geworden und wo in aller Welt sie hingekommen ist, so adressiren Sie sich gerade an Denjenigen, welcher von sämmtlichen Menschen am wenigsten darum weiß.

In den ersten Wochen nach ihrem ebenso räthselhaften als tactlosen Verschwinden aus einem Hause, darin sie wie das eigene Kind gehätschelt worden, habe ich mir jede erdenkliche Mühe gegeben und weder mein Geld, noch die Dienste der Polizei gescheut, um der Verlaufenen auf die Spur zu kommen.

61 Marie weinte und jammerte, bis sie in heftigen Krampfanfällen erkrankte. Ernstlich erkrankte.

Kam es mir schon gleich etwas seltsam für, daß allein der Verlust einer freiwillig und dazu auf keineswegs artige Weise sich entfernenden Erzieherin ihren Zögling in solche leidenschaftliche Trostlosigkeit versetzen sollte, so hatten meine eben angedeuteten Anstrengungen zwar nicht das Wiedersehen des Flüchtlings zur Folge, wol aber, daß ich in meinem eigenen Hause klarer sah.

Mit Margarethen war noch ein anderer Jemand verschwunden.

Dieser Jemand wäre vielleicht am allerersten im Stande, die Antworten, welche ich auf Ihre Fragen nicht habe, zu geben. Ob und wie diese Antworten ausfielen, interessirte außer den bereits genannten Personen auch den ergebenst Unterzeichneten, und diesen vielleicht im Augenblicke nicht weniger als jene.

Erlauben Sie, daß ich weiter aushole.

Als mein Kind anfing, sich wieder zu erholen, machte mir ihre langsame Reconvalescenz nicht geringe Sorgen.

Die Aerzte meinten sogar im allmäligen Verschwinden des einen Leidens die möglichen Anzeichen eines anderen nahenden Uebels entdecken zu müssen und riethen mir, wenn Brust und Lungen meines Mädchens mir aller Vorsicht werth schienen, zu Luftveränderung, Zerstreuung, Reisen nach dem Süden.

Ich brauche Ihnen nicht weiter auszuführen, daß ich drei Wochen darauf schon in einer Villa nächst dem Posilipp mein transportables Heimwesen gefestigt hatte.

Mein Herzenskind befand sich unter dem prächtigen Himmel leiblich immer besser.

Ich bin ein zärtlicher, aber kein verzärtelnder Vater, ich wußte nach drei Monaten, daß Marie über nichts mehr zu klagen hatte. Aber sie klagte doch, nicht laut und nicht mit Worten, sondern, wie's einem Vater am schlimmsten thut, ganz leise, schön in der Stille, mit unwillkürlicher Zerstreutheit und trüben Augen. Ihr armes Seelchen schien, nachdem es Neapel gesehen hatte, nun keinen anderen Wunsch mehr zu haben, als jenen classischen – zu sterben.

Damit wäre nun mir keineswegs geholfen gewesen, drum dachte ich daran, dem Zustand anderweit redlich und nach Kräften abzuhelfen. Ich brauchte mich nicht lange zu besinnen, bis mir die Dinge einfielen, deren Wissenschaft das alleinige Ergebniß meiner Nachforschungen um die vordem entflohene Margarethe Fröhlich gewesen war, und Anderes, früher Bemerktes, was damit in Zusammenhang stehen mußte.

Ich warf eines Tages in ein gleichgiltiges Gespräch, daß ich von Reisenden gehört, Ajaccio hätte eine Neapel gar merkwürdig ähnliche Lage, und 62 daß es mich lebhaft gelüstete, mit eigenen Augen den Vergleich anzustellen und einen Abstecher nach der Insel der Sampieri's, Falcone's, Napoleone's und anderen blutgetränkten Heiligen zu machen.

Mariechen hatte nicht das Mindeste einzuwenden.

Man sagt, diejenige Medicin sei die beste, welche nur verschrieben dem Kranken schon aufhülfe, noch ehe er ein Löffelchen davon gekost.

Mein Recipe war von dieser Art. Bereits auf der Ueberfahrt hatten Fräulein Klopffechter mehr zu lachen geruht, als die verwichen vier Monate zusammengenommen.

Ihnen aber, mein theurer Herr Baron, rathe ich, wenn Sie jemals, ohne eine Tochter curiren zu wollen, nach Neapel kommen sollten, selbes nicht für Corsica zu verlassen. Das Beste aber ist, Sie bleiben in Paris. Onkel Tam-Tam hat Recht, es lebt sich doch nirgend wie dorten, in dem lieben großen Lustgarten der civilisirten Welt!

Hier ist Alles französisch, was man gerne italienisch, und Alles italienisch, was man gerne, und mit nur allzuviel Grund, französisch haben möchte.

Man erlebt hier weder Romanzen, noch Balladen, was mich prosaisch gescholtenen Menschen zwar weniger verstimmen würde, allein Comfort und Gesellschaft, Hotels und Verkehrsmittel &c. &c stempeln die Capitale Corsicas zu einer der minderen französischen Provinzialstädte. Die Lage freilich ist wunderbar, aber liegt schon für Jeden unleugbar Neapel noch wunderbarer, so erlaube ich mir für meine Augen und mein Herz die heilige Versicherung abzugeben, daß ich die Aussicht von der Tour Saint-Jacques de la Boucherie unter allen Umständen vorziehe.

Das Haus, wo Napoleon geboren worden, ist interessant, aber nicht so sehr wie die Kammer im fünften Stock des schmächtigen Gebäudes gegenüber dem Pont-Neuf, welche der simple Artillerie-Lieutenant bewohnte.

Man hört viel Rühmliches von einem feuerspeienden Berg in der Umgegend und von der landesüblichen Blutrache sagen; aber der erstere sieht mich so unschuldig an, wie irgend eine andere Erderhöhung, deren Eingeweide niemals in Verdacht vulcanischer Qualitäten gerathen sind, und was die unter einander verwandten oder nicht verwandten Herren Bewohner anlangt, so wissen sie ganz genau, was ein Herr Polizeipräfect zu bedeuten habe und wozu sie für Ihresgleichen auf der Welt sind.

Die Bauern treiben zwar statt mit einem Hirtenstab ihre Hämmel mit einer langen Flinte auf die Weide, die französischen Gendarmen sehen aber viel gefährlicher und gerade so aus, wie im übrigen Frankreich.

Viel Aufhebens machen sie hierzuland von ihren Jagden, mag wol auch begründet sein, aber ich entbehre schmerzlich der Abendblätter und einer ebenbürtigen Whistpartie.

63 So langweile ich mich denn sehr, aber ich bin sehr glücklich; ich gähne, aber ich lächle auch von Herzen. Denn, was die Hauptsache ist, meine Tochter ist gesund und glücklich.

Jetzt weiß ich nicht, ob Sie den alten Klopffechter genugsam kennen und zu beurtheilen verstehen, oder ob ich es nothwendig habe, ehe ich weiter schreibe, mich vor einem Mißverständniß zu bewahren, welches aus dem bereits Gesagten und dem, was noch, und wie ich hoffe, bald geschehen soll, resultiren könnte.

Als ich den Entschluß faßte, mit meinem schwermüthigen Mariechen diese Insel zu besuchen, dachte ich nichts weiter, als mit der Schau von Land und Leuten sie zu zerstreuen und ihre schwärmenden Gedanken auf diesem erwünschten Umwege wieder zur gewohnten gesunden Theilnahme an anderen guten Dingen und Vorkommnissen zurückzuführen. Nichts lag mir ferner, als einen gewissen Jemand hier finden zu wollen, von dem ich längst ganz sicher wußte, daß er mir eine Gouvernante, Ihnen eine Geliebte entführt und dabei aus Versehen das Herz meiner Tochter mit auf den Weg genommen hatte.

Mögen mir alberne Menschen auch die gehörige Portion Zudringlichkeit andichten, so werden mir doch selbst meine Feinde, wenn ich anders deren haben sollte, zugestehen müssen, daß ich mich nicht gerne lächerlich mache und einen glücklichen Instinct habe, derartige gefährliche Gelegenheiten zu vermeiden.

Ich kann Ihnen sogar versichern, daß ich ob der unklugen Aufführung jenes nicht näher zu bezeichnenden Mannes ernstlichen Groll gegen ihn hegte. Aber ich dachte ihn in Paris oder in Baden-Baden oder in Honfleur, meinethalben in Algier oder Mexico.

Und als er mir am anderen Tag nach meiner Herkunft leibhaftig unter die Augen trat, fühlte ich nicht nur großen Aerger, sondern etwas wie Reue über meinen Entschluß, und noch etwas, was wol andere Leute, die mehr dazu incliniren als ich, Verlegenheit nennen.

Derselbe Mann hat nämlich vor geraumer Zeit auf seine Anfragen von mir unter einer ernsthaft gemeinten Bedingung, die nicht allein mein Geheimniß ist, eine leicht zu errathende Zusage erhalten.

Seine Conduite ließ mich des Glaubens fest werden, daß er von jener Zusage nimmer Gebrauch zu machen gedächte.

Dem ist aber nun nicht so.

Kaum daß gegenseitig das erste Staunen überwunden, die ersten Höflichkeiten gewechselt waren, mahnte mich der junge Herr mit aller Ehrerbietigkeit, aber auch militärischen Entschiedenheit an das Versprechen meinerseits und gab seinerseits Ehrenwort und Handschlag, daß die Bedingung bis dato aufs Pünktlichste erfüllt wäre.

Der Rest der Zeit ist geringfügig.

64 Dennoch gab dieser Rest zu Bedenken und Vorwänden Raum, hinter welchen ich mich sofort verschanzte.

Nun kämen einige Dutzend mündliche und schriftliche Protestationen von verschiedenen Seiten zu erzählen, die Sie mir gern erlassen. Auch jene kleinen häuslichen Scenen, in welchen mein Töchterlein die Hauptrolle spielte, und die zahllosen Aufmerksamkeiten, mit denen mich die Familie des Entführers überhäufte, kann ich füglich verschweigen.

Kurz und gut!

Der alte Herr, ein einarmiger Veteran der großen Armee, und doch noch wilder Jäger, großer Esser, köstlicher Plauderer, hatte mirs in Bälde ebenso angethan, wie der Junge meinem Mädel, und ich war just entschlossen, eben und endgiltig Ja zu sagen, als Ihr Brief ankam, der mir Schweres zu bedenken gibt.

Ich bin der Narr nicht, der von seinem Eidam die Lebenserfahrung verlangt, ohne welche kein Gatte seine freilich bessere Hälfte auch glücklich machen kann; bin kein Narr, der es für möglich hält, daß Einer diese Erfahrung sich auf rein theoretischem Wege angeeignet haben sollte. Glücklichmachen ist schwer und will gelernt und versucht sein.

Ich hörte einmal sagen, daß es keinen guten Singmeister gäbe, der nicht erst etliche gute Stimmen ruinirt hätte. So scheint mirs denn auch grausam, aber wahr, daß man an Anderen oder an sich es erprobt haben muß, wie Dummheiten und Vermessenheiten weh und Schaden thun können, um zu seinem und Anderer Frommen mit dem Alter auch etwas Weisheit zu lernen.

Auch ich war jung, sehr jung, und wie ich mich dieses Geständnisses nicht zu schämen habe, so solls mir auch nicht einfallen, andere liebe Jugend um ihrer süßen Sünden willen zu schelten oder gar zu schädigen.

Aber darum handelt es sich jetzt nicht.

Es handelt sich um die eine oder andere Wahrscheinlichkeit, welche beide aus den durch Ihren und Herrn Fröhlich's Brief enthüllten Sorgen sich meinem Vatergewissen aufdrängen.

Entweder steht der Mann, welcher meine Tochter heimzuführen begehrt, annoch in zärtlichen Relationen zu Marguerite und hält seinen artigen Zeitvertreib bis zu gelegenerer Zeit an sicherem Ort versteckt, oder er hat ein ehrbares, leichtgläubiges, von ihm verlocktes Wesen, nachdem es ihm Alles gegeben, was es nur zu geben hatte, gewissenlos der Armuth, der Verlassenheit, ja vielleicht der Verworfenheit überantwortet.

Ich weiß nicht, welcher von beiden Fällen für einen Brautvater der bedenklichere.

65 Das aber weiß ich, daß weder in dem einen, noch in dem anderen Falle ich ein Versprechen zu erfüllen habe, welches in der Form, wie es gegeben ward, auch nur von der heiligen Absicht dictirt war, meine Tochter vor Unglück zu bewahren.

Ich gestehe, daß ich einen dritten Fall mir nicht leicht denken kann – daß ich dennoch viel darum gäbe, müßt' ich mir solch einen dritten Fall und nur einen solchen denken.

Ich hatte mich bereits zu sehr mit den liebgewordenen Vorsätzen vertraut gemacht und ich sehe mein Kind nicht gerne weinen.

Unser Beider Wißbegierde kann durch die Aussage eines und desselben Mannes befriedigt werden. Aber auch wir Beide sind Männer und es kann mir nicht zu Sinn fallen, Ihnen die Auslieferung von Geheimnissen zuzumuthen, welche Ihnen vielleicht unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt werden.

Andererseits muß ich mir auch nicht verhehlen, daß auf meine mündliche Verwendung der Gefragte, wenn er, was ich nicht glaube, denn doch ein schlimmer Mensch sein sollte, eine ausweichende oder auch grundfalsche Antwort geben kann, mit der weder Ihnen, noch mir gedient ist.

Ich weiß noch nicht genau, wie ich mich aus dem Dilemma herausfinden werde, aber ich weiß, daß ich herausfinden werde. Lassen Sie michs nur noch ein- und anderesmal beschlafen. Um aber nichts zu versäumen, rathe ich Ihnen wie folgt zu verfahren und wie ich es für alle Eventualitäten angemessen halte. Wenden Sie sich mit brieflicher Anfrage an den Mann, der mein Eidam werden will; erwähnen Sie, daß Sie durch meine Wenigkeit von seiner derzeitigen Anwesenheit zu Ajaccio in Kenntniß gesetzt sind und schicken Sie dieses versiegelte Schreiben durch Einschluß an mich mit dem Auftrag, es dem Adressaten zu übergeben.

Das Weitere wird sich dann schon finden.

Man muß in wichtigen Vorhaben die guten Gelegenheiten werden lassen. Man kann nicht Alles vorher ausklügeln, der Zufall hat seine ewigen unveräußerlichen unvorsehlichen Rechte und macht sie geltend, und so kommts doch meist anders als man gedacht. Es bleibt schon so noch zu denken und zu bedenken genug.

Und nun zum Schluß möcht' ich Ihnen die Hand fassen und sie lange halten. Bester Landsmann, ich habe Sie immer hochgeschätzt, ja ich habe Sie immer lieb gehabt, wenn wir uns auch zuweilen in der Weinlaune hart geredet und unsere Principien einander nicht immer ganz sänftiglich vor den Kopf geworfen haben.

Wenn mir nun die Lage der Dinge unversehens und plötzlich eine entente cordiale aufnöthigt, an die ich gestern nicht im Traum gedacht, so ist mir doch die Person des Alliirten die liebste, welche ich mir hätte wünschen können.

66 Geb's Gott, daß es Ihnen ebenso zu Muth ist!

Glauben Sie mir, der beträchtlich länger Gelegenheit und Nöthigung hatte, die Herren Mitmenschen von ihren guten und schlechten Seiten zu beobachten, glauben Sie mir, nichts ist unrühmlicher, als sich und Anderen das Leben zu versauern, denn man braucht dazu weder seinen Verstand, noch seine Willenskraft arg anzustrengen. Wer tüchtig und vernünftig ist, ringt nach dem Glück, nach dem Glück für sich und für Andere, denn wer für Andere nichts thut, thut auch nichts für sich, wie wer nichts für sich, auch nichts für Andere thut.

Seien wir allezeit vernünftig und tüchtig; lassen Sie uns im vorliegenden Falle vereint unsere Kräfte anstrengen, drohendes Unglück zu verhüten, bereits begangenes zu mildern, zu entschädigen, zu bestrafen.

Leben Sie wohl!

Mit herzlichem Dank für das erwiesene Vertrauen, mit herzlicher Bitte, mir auch ferner zu vertrauen.

Ihr treu ergebener, Ihr aufrechter

Klopffechter.


Fortunato an den Baron.

Ajaccio, 30. October 1863.

Mein Herr!

Der erste Entschluß, welchen ich auf Ihren Brief zu fassen im Stande, war, Ihnen gar nicht zu antworten.

Noch jetzt, nachdem ich ruhig und gefaßt geworden, die Zeilen, welche mir Herr Klopffechter nicht ohne sichtliche Verlegenheit übergeben, zum dritten- und zehntenmal überlesen, noch jetzt wird es mir schwer, den Brief für etwas anderes als das Product einer kleinlichen, von rückwärts herschleichenden boshaften Rache zu halten, die ich eines Edelmannes nicht für würdig achte.

Diese Worte werden für den einen Fall genügen; nehmen Sie für den anderen, wahrlich unglaubwürdigeren, meine tausendfachen Bitten um Entschuldigung, denn ich überhäufe Sie seit gestern mit Injurien. Wenn dies auch im Stillen meiner entrüsteten Seele geschieht, so darf solches ein Ehrenmann dem anderen nicht verhehlen.

Wenn es also wirklich nicht darauf abgesehen ist, mir und Anderen, welche zur Zeit mit mir an einer Tafel sitzen, durch das Aufwärmen altbackener Geschichten den Appetit zu verderben, vielleicht gar ein tödtliches Gift beizubringen, wenn Sie wirklich des naiven Glaubens sind, daß ich fortwährend beflissen bin, einen vollständigen Adreßkalender und 67 Wohnungsanzeiger aller der Damen zu führen, deren vorübergehende Gunst ich im Leben zu genießen das Glück hatte, so seien Sie höflichst gebeten, mit folgenden Daten vorlieb zu nehmen und mit dem aufrichtigen Bedauern, Ihnen nicht besser dienen zu können.

Ich habe seit dritthalb Monaten von Fräulein Marguerite Fröhlich und ihren Geschicken nichts gehört. Aber der Herr Marquis Anatole v. . . . . . ac, mein trefflicher Freund, dürfte dermalen vielleicht genauere Auskunft zu ertheilen im Stande sein, wenn in der That besorgte Verwandte sich auf so ungewöhnlichem Wege um die Wohnung des Fräuleins zu erkundigen belieben.

Der Herr Marquis dürfte sich im Augenblicke auf seinen Gütern in der Normandie befinden.

Genehmigen Sie, mein Herr, &c. &c.


Doctor Huber an den Baron.

Bibliothek St. Genevieve,
Donnerstag, in Eile.    

Lieber Freund!

Entschuldigen Sie vor Allem meine Schreibmaterialien, es stehen mir im Augenblicke keine anderen zu Gebot, und ich muß Ihnen doch sagen, daß heute mit der Suppe nicht gewartet werden soll. Ich speise bei Hof. Der »König«, als dessen »Kärrner ich zu thun habe«, will mir wol wieder entre la poire et le fromage eine harte Nuß zum Aufbeißen geben, die er einem weniger subtilen Nußknacker nicht anvertrauen mag.

Daher die Ehre.

Haben Sie Dank für die Mittheilung der Briefe. Sie liegen bei.

Sie werden sich doch durch das Greinen des schnurrbärtigen Fratzen nicht in dieselbe Tonart verführen lassen? . . .

Medio de fonte leporum
Surgit amari aliquid.

Nun ists auch an ihn gekommen und das Muttersöhnchen verziehts Maul. Gott, wie craß! Leider wissen Sie bereits genug, um ihn herabzustimmen und zum Kreuze kriechen zu machen.

Wie er wol dann singen wird? Freilich, sein Trost ist ihm nahe. Denn der Schreiber des anderen Briefes kann ja das eine Bedenken bereits fahren lassen. Ob ihm das zweite nicht auf die Dauer gar zu unbequem, wird? Er möchte sich gar zu gerne ein Drittes denken können, der tüchtige der vernünftige – Landsmann!

Und das Ende vom Lied wird sein – fortuna facet fatuis – daß wieder ein paar liebe gute Millionen, die deutscher Fleiß und deutsche 68 Sparsamkeit zusammengebracht, von ein paar verwelschten, maulaffenfeilhaltenden Enkeln im Auslande verzettelt werden.

Aber es geschieht uns schon recht; ich habe es immer gesagt: geben Sie connubium und dann können Sie sich in hundert und fünfzig Jahren ein Vermögen verdienen, wenn Sie auf den Märkten herumreisen und den »letzten Juden« für Geld sehen lassen. –

Was derweilen den alten Fröhlich betrifft, so wird ihm auf den von Ihnen eingeschlagenen Wegen weder Heil, noch Gewißheit begegnen. Sie nennen mich immer eine theoretische Persönlichkeit und haben vielleicht nicht sehr Unrecht. Folgen Sie indessen meinem gestern gegebenen Rath, lassen Sie die goldhaarige Tischgenossin auf Seladon Sève das eine ohnehin abirrende Aeugelein freundlicher blicken, und der unnütze Mediciner schnüffelt Ihnen alle Spitäler von Paris aus.

Das wird uns klüger machen, als eine zweite und dritte Visite bei dem Herrn v. . . . . . ac, der sich auch nach einer solchen nicht zu sehnen scheint und immer noch procul negotiis auf dem schmählichen Restchen eines ehemaligen Grundbesitzes zu verweilen beliebt.

Zum Ueberfluß möchte ich nochmals und abermals versichert haben, daß die Pariser Polizei ihresgleichen sucht. Aber ich werde Ihnen heute nicht mehr Geschmack an derselben beibringen, als bei früheren Versicherungen. Zuletzt werden Sie und der alte Elsässer denn doch auf diesen einzigen, nicht mehr ungewöhnlichen Weg verwiesen bleiben.

Die Moral vom Ganzen:

Quem Jupiter odit, paedagogum facit.

Das Weitere morgen Abend mündlich.

Indessen meinen Gruß und sis licet felix, ubicunque mavis!

Huber.


Fortunato an den Baron.

Ajaccio, 15. November 1863.

Mein Herr!

Werden Sie vergeben, werden Sie vergessen können, was ich in übermüthiger Verblendung gefaselt?

Ich frage mich das wol hundertmal des Tages, und finde keine bessere Antwort darauf, als daß Sie mich für einen Knaben halten müssen, welcher an Mannesworten weder Schärfe, noch Gewicht ermißt. Ja, mein Herr, Mannesworte sind blank und scharf wie neue Messer. Ich aber war wie ein Knabe, der sinnlos Messer in die Luft wirft, ohne zu bedenken, daß er verletzen wird.

Verzeihen Sie mir.

69 Sie sind ein Mann von Ehre, und die eben ausgesprochene Bitte, welche ich außer zu meinem Vater noch zu Niemandem gesprochen habe, zu Niemandem habe sprechen müssen, sie muß die Wunde heilen, die andere Worte, diesem an Werth nicht gleich, geschlagen haben. Und wenn wir uns, wie ich hoffe, in Bälde wiedersehen, werden Sie meine dargebotene Hand nicht verschmähen und mir mit dem Gruße der Versöhnung auch den Gruß der Achtung nicht weigern.

Ja, mein Herr, was auch Jugend und Leichtsinn gefehlt haben mögen, mein Gewissen und meine Ehre sind rein. Ich bin jung, und der Schmerz, die Entrüstung, das Mitleid des Augenblicks, so sehr sie mein Herz bestürmen, können mir die Jugend weder als Schande, noch als Sünde erscheinen lassen.

Ich habe abwechselnd theils ein strenges, theils ein lustiges, vielleicht ein ausgelassenes Leben geführt, wie es junge Leute meines Standes eben treiben. Ich hatte niemals Lust empfunden, als Original zu glänzen, ich bin kein Säulenheiliger und kein Lovelace, meine Vorzüge und meine Fehler, wie sie die Heimat, die Militärschule, die Feldzüge und das große Paris mir gegeben, finden sich mehr oder weniger bei neun Zwölfteln der Männer meiner Erziehung, meines Alters, meines Berufs und Standes.

Ich kann und muß die Folgen eines Verhältnisses bedauern, aber ich für meine Person kann an dem Verhältnisse selbst nichts Bedauerliches finden, als eben seine Folgen. Folgen, die ich nicht nur, wie begreiflich, nicht gewollt, sondern auch nach Kräften und zu meiner ehrlichen Zufriedenheit verhütet zu haben glauben mußte.

Immerhin mag der strenge Moralist in jenen leicht geknüpften und ebenso leicht gelösten Liebeshändeln sühneheischende Gräuel sehen – aber Sie, mein Herr, sind kein solcher Moralist, und dann müßte mir auch der Strengste zugestehen, daß die Schuld nicht an uns allein, nicht einmal zum größten Theil an uns liegt.

Fern sei es von mir, das schönere und deßhalb schwächere Geschlecht mit der schwereren Hälfte der Schuld zu belasten. Aber –

Aber ich meine, weder Sie, noch ich haben die Gesellschaft gemacht und weder Sie, noch ich können also für ihre Sitten oder meinethalben für ihre Unsitten verantwortlich gemacht werden. Wollte man Jeden, der den Umgang mit der schöneren Hälfte der Sterblichen nach den landläufigen Begriffen leichtlebiger Galanterie regelt, zur Strafe ziehen, so müßte die ganze Männerschaft decimirt werden und in den Hauptstädten würde ein einmaliges Verfahren nicht genügen.

Sie nicht nur, auch Andere noch, die ich hochschätze und verehre, versichern mir, daß Marguerite ein seltenes, zart besaitetes, höheres Wesen. Auch ich darf Ihnen – und ganz abgesehen von der Ehrenpflicht, die jedem Mann verbietet, ein Weib. das ganz das seine war, zu schelten – auch ich muß 70 die Versicherung geben, daß ich Margueriten anders als Andere geachtet und ihr heut und allezeit einen besonderen und geweihten Platz in meiner Erinnerung bewahre.

Aber dieser Platz ist und war nie im innersten Heiligthum meines Herzens und – auf die Gefahr hin, für ein Ungeheuer gehalten zu werden, ich darf es gegenüber den ergangenen Anschuldigungen nicht mehr zurückhalten – Marguerite schien mir nie nach einem Platz im Heiligthum meines Herzens zu trachten.

Sie war Weib genug, diesen Platz keiner anderen zu wünschen oder zu gönnen. Das versteht sich. Aber zu Eifersüchteleien war weder Zeit noch Anlaß, und so lebten wir kühnlich selbander darauf los und freuten uns des Lebens so gut wir konnten, ohne einen anderen Zweck als die Freude des Lebens im Auge zu haben.

Daß es sich auf diese Weise rasch lebt, daß man öfters übers Ziel hinausschießt und sich alsdann nach anderen Zielen sehnt, das werden Sie begreifen.

So habe ich ohne Sturm und Drang, ohne Scenen und Thränen Margueriten verloren wie ich sie gefunden, nachdem ich sie nie anders genommen hatte, als sie sich gegeben.

Sollte ich dennoch in Wahn und Irrthum befangen gewesen, sollte in der alsdann schwer Verkannten ein Gott und eine Tugend gewesen sein, die sich mir nie, auch nicht in flüchtigem Ahnen angekündigt, wo liegt alsdann die Schuld, mein Herr?

Entweder in dem unverständlichen Gehaben Margueritens, oder in meiner halbwüchsigen Erkenntniß.

In einem wie im anderen Falle können Sie, kann Niemand einen Stein wider mich erheben; in einem wie im anderen Falle bin ich gestraft genug und für mein Lebelang.

Wird nicht eine Furcht in mir zur Wahrheit, zur Gewißheit werden, die Furcht, daß, wie sich Herz und Lippen auch geberden und gewöhnen mögen, zwischen zweier Sprachen Kindern ein winziges und doch so wichtiges Etwas unverstanden bleibt, daß im glühenden Austausch der Herzen, in der glühenden Vermischung der Leiber, eine scharfe, unerschütterliche, unverbrennbare Linie gezogen bleibt, die nicht die eine, nicht die andere Seele jemals überspringen kann.

Sie wissen, daß ich im Begriffe stehe, mein Lebensglück auf gerade eine solche Verbindung zu gründen.

Die Gedanken, die in diesem Augenblicke mich überfallen, sind so heftiger, so quälender Art, daß es mir schwer, ja, ich fühle es, daß es mir unmöglich wird, jenen anderen Gedanken und Thatsachen Ausdruck zu geben, auf die es gerade Ihnen zu wissen ankommt.

71 Ich muß die Feder niederlegen. Entschuldigen Sie mich.



Es ist spät in der Nacht, mein Herr, da ich die Feder wieder aufnehme. Ich bin todtmüde, aber ich bin nicht ruhig. Allein ich darf Sie nicht länger auf Antwort warten lassen, als die Post auf mich wartet, diesen Brief an Sie zu bestellen.

Zur Sache also!

Wenn der Herr Marquis v. . . . . . ac Ihnen bei Ihrem Besuche gesagt hat, daß er keinerlei Verpflichtungen habe, um das Treiben und Fortkommen des Fräuleins Fröhlich besorgt zu sein, so ist das eine unverschämte Lüge gewesen.

Ich bitte Sie, wenn es Ihnen also beliebt und Sie nicht andere Schritte für angemessener und zweckdienlicher halten, in meinem Auftrag nochmals zu ihm sich zu bemühen.

Sollte er abermals zu behaupten wagen, »daß er ohnehin schon mehr als er gemußt, und jedenfalls mehr als ich in meinem Geiz und meiner Engherzigkeit bestimmt, auf Margueritens Unterhalt verwendet hätte«, so bitte ich Sie, von den beiden beiliegenden Schriftstücken den nöthigen Gebrauch zu machen.

Das erste ist ein Notizbuch, welches ich zu jener Zeit und bis heute bei mir zu führen pflegte.

Sie finden, von rückwärts nach vorne zählend, auf der siebenten Seite ein »Erhalten 15,000, fünfzehntausend Francs« mit Datum und voller Unterschrift des Herrn Marquis und der ausdrücklich angegebenen Bestimmung »für Fräulein Marguerite Fröhlich«.

Was sonst noch auf den Seiten dieses Notizbüchelchens stehen mag, gehört nicht zu diesem Fall. Ich trenne es nicht von dem entscheidenden Blättchen, weil das vielleicht dessen Giltigkeit beeinträchtigen könnte, insbesondere aber deßhalb nicht, um Ihnen, mein Herr, ein kleines Zeichen meines Zutrauens und meiner großen Hochachtung zu geben, wie es mir gerade die Gelegenheit bietet.

Fünfzehntausend Francs sind kein Vermögen, ich weiß es wol; aber sie waren Alles, was ich nach Abzug der Reisekosten bei meiner Abfahrt von Paris noch an baarem Gelde besaß; der bescheidene Rest einer glänzenderen Summe, die ich etwa ein Halbjahr früher rasch gewonnen und dann auch nicht eben langsam wieder hatte zerrinnen lassen.

Aber Marguerite war doch mit einer solchen Summe vor Mangel gedeckt und konnte, wenn sie anders dieselbe unverkürzt erhalten hätte und ein halbwegs vernünftiges Leben führte, doch nicht so leicht wieder in Noth gerathen.

72 Zudem wird Ihnen das zweite hier beiliegende Schriftstück beweisen, daß Herr Anatole in notariell gefestigter Weise bevollmächtigt war, den Verkauf oder die Subhastation aller meiner in Paris zurückgebliebenen Mobilien zu bewerkstelligen, sobald die von Fräulein Fröhlich inne gehabte Wohnung von einer oder anderen Seite gekündigt würde und die genannte Dame diese Möbel nicht in Eigenthum behalten wollte.

Schon aus dem Wortlaute dieses Documents muß klar erhellen, daß auch der Erlös der Versteigerung nach Abzug der wenigen Schulden, die in Summa vielleicht mit fünf- oder jedenfalls mit sechstausend Francs gedeckt werden konnten, Margueriten auszuhändigen war.

Diese Bestimmung fand sich auch ausdrücklich in dem Briefe angegeben, welcher das Original der hier in Abschrift beiliegenden Urkunde an den Marquis begleitete.

Es ist nach den von Ihnen, Herr Baron, mir mitgetheilten Thatsachen unmöglich, daß die eine bestimmte oder die andere von mir heute noch unbestimmbare Summe in Margueritens Hände gekommen ist.

Wenn ich einmal ein Verhältniß, welches niemals und unter keiner Bedingung und von keiner Seite als ein ewiges oder lebenslängliches eingegangen war, lösen wollte, ich meinte es als Mann von Welt und Ehre unter den gegebenen Umständen nicht besser anstellen zu können.

Ein hochgeborener Schurke, der nur allzulange mein und, wie ich fürchte, noch vieler ehrlichen Leute Vertrauen hatte, vereitelte Alles.

Eine ganze Kette von Erbärmlichkeiten, welche wie ein Glied am anderen sich an den Schlußring knüpft, welch letzteren Sie zwischen den Fingern halten, eine ganze lange Kette von Erbärmlichkeiten, die Sie noch nicht erkennen können, ziehen Sie vor meinen verblüfften Augen an Ihrer Enthüllung empor.

Ich könnte blutige Thränen weinen, daß es einen Mann geben kann, der solch ein Schandmal ist.

Bald will ich auch Anderen, und Ihnen vor Anderen, die Kette zeigen, die ich für heute noch verbergen muß, um sie, fühlbar genug, mein leichtgläubiges, verwünschtes, und doch noch wehleidiges Herz einschnüren zu lassen.

Er hats nicht besser verdient.

Aber was ist der armen, schönen, lieben Marguerite damit geholfen!

Thun Sie das Ihrige, mein Herr Baron, den Verächtlichen zu bestrafen. Ich habe nichts Wichtigeres mehr zu thun, als Ihnen nach Kräften in diesem Vorhaben beizustehen.

Sobald es die Umstände gestatten, in wenigen Tagen werde ich reisefertig sein und mich Ihnen zur Verfügung stellen.

73 Gebieten Sie schon heute über mich. Jeden Schritt, den Sie vor meiner Ankunft zu unternehmen für gut halten, will ich gerne billigen. Kann Ihnen zu gerichtlichem Vorgehen eine Vollmacht, Beglaubigung oder sonstige Schrift nützlich scheinen, so bitte ich ungescheut, eine solche näher zu bezeichnen und von mir zu fordern.

Und nun gestatten Sie mir noch einmal &c. &c.


Doctor Huber an den Baron.

Mittwoch, Bibliothèque impériale.

Nein, mein Lieber!

Et passé dans la joie et dans la solitude,
Un jour, dont tant de jours me feront l'habitude.

Ich kann doch selbst am späten Abend nicht abkommen, und hoffe, Sie vor Ablauf der nächsten sechsunddreißig Stunden nicht zu sehen.

Was ich zu der ganzen Enthüllung sage?

Ils ne mourraient pas tous: mais tous étaient frappés.

Wobei ich mir nur anzufügen erlaube, daß der Eine, der es am meisten verdient, der Erzschelm und Hauptspitzbube, mir noch lang nicht hinreichend frappirt zu sein scheint und daß es Ihre Sache, diesen Fehler gutzumachen.

Aber lassen Sie nur die Gerichte aus dem Spiele. Lehrt doch gerade die Geschichte deutlich genug:

Quid leges sine moribus
Vanae proficiunt...

Die Papierschnitzel, die Sie in Händen halten, beweisen etwas unter ehrlichen Leuten, gegen einen Gauner und mit dem Sie es zu thun haben, nicht viel mehr als nichts.

Und dann was soll Ihnen denn der weiseste und gerechteste Richterspruch?

Den Krug, der kein Gebein zum Stehen hat,
Zum Liegen oder Sitzen hat – ersetzen?

Na also!

Und noch was. Ich höre noch immer die Kinder schreien, ich sehe noch immer die blanken Messer durch die liebe Luft fliegen, und möchte Sie daher ganz ergebenst treugehorsamst gebeten haben, sich auf Niemanden zu verlassen, als auf Euer Gnaden höchsteigenes zweifäustiges Selbst und allenfalls noch auf den endesunterzeichneten mitwissenden und gern mitschuldigen

Landsmann.

P. S.

Dediciren Sie doch dem Studiosus Sève in meinem bescheidenen Namen eine Flasche von meinem Extra-Beaune und denken Sie dabei wie ich 74 zu jenem rathend jüngst das Richtige getroffen, ich heute abrathend auch das Richtige treffe.

 


 


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