Ludvig Holberg
Ulysses von Ithacia oder Eine deutsche Komödie
Ludvig Holberg

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Prolog.

Iris mit Strahlen um den Kopf.

Iris. Ich bin Iris oder der Regenbogen, der großen Juno Kammermädchen. Ich habe dieselbe Verrichtung bei der Juno, wie Mercurius beim Jupiter. Sobald der Göttinnen Oberste mir einen Wink giebt, muß ich mich auf die Reise machen; nun bin ich im Himmel, nun auf Erden; nun am Südpol, nun am Nordpol; nun in großen Städten, nun zwischen Hirten und Hirtinnen auf dem Lande. Was mir aber die meiste Beschwerde macht in meinem Amte, das ist meiner gnädigen Frau Jalousie und Mißtrauen. Denn sobald der Götter Monarch seines Auges gnädige Strahlen auf eine Hirtin oder Nymphe wirft, so geräth meine Madame stracks in Allarm. Da muß ich mich erstlich von einer Wolke zur Erde bringen lassen, um die Beschaffenheit der Sache auszuforschen, demnächst zu Pluto's nächtiger Wohnung, mit Ordre an eine oder die andere Höllengöttin, die Nymphe oder Hirtin zu bestrafen, in welche Jupiter sich verliebt hat. Aber keine Zeit ist so beschwerlich für mich als dieser verwetterte elfte JuniDer elfte Juni war zu Holbergs Zeit derjenige Tag im Jahre, an welchem die Geschäftstreibenden von nah und fern in der Hauptstadt zusammenkamen, ihre Geschäfte zu ordnen und abzuschließen; da wurden Contracte unterzeichnet und verlängert, Kapitalien einkassirt und ausgeliehen, Zinsen bezahlt und neue verschrieben &c. Die jütländischen Pächter und Grundbesitzer, reich durch ihre Viehzucht, spielten dabei eine Hauptrolle; sie waren die eigentlichen Geldlieferanten für die Hauptstadt, deren Vergnügungen sie sich dabei nebenher im reichsten Maße zu nutze machten. A.d.Ü.. Denn da meine Madame die größte Dame ist im Himmel und auf Erden, so hat sie auch die meisten Zinsen einzufordern. Jetzt aber bin ich hergekommen, um mit dem trojanischen Prinzen Paris zu sprechen, welchen Juno nebst zwei andern Göttinnen ausgewählt hat, Richter zu sein in einem Streite, der sich zwischen ihnen erhoben hat. Er pflegt sich in diesem Haine aufzuhalten. Aber da seh' ich ihn.

(Paris tritt ein.)

Paris. Ich sehe hier der Juno treue Botschafterin. 88 Willkommen hier unten auf Erden, himmlische Nymphe! Was hat Sie für Geschäfte? Mit wem will Sie sprechen?

Iris. Ich bin beordert, mit dem holdseligen trojanischen Prinzen Paris zu sprechen.

Paris. Das bin ich.

Iris. Hört, Paris, Ihr, der Ihr nicht minder um Eurer Schönheit als um Eurer Unparteilichkeit willen bekannt seid durch ganz Asien, von des Mohrenlandes Grenze bis zum äußersten Ende von Amerika: meine Madame Juno, nebst zwei andern Göttinnen, Pallas und Venus, haben Euch auserwählt, Richter zu sein in einem Zwiste, der sich unter ihnen erhoben hat.

Paris. Sag' mir, o Iris, worin dieser Zwist besteht.

Iris. Den dreizehnten hujus warf der große Jupiter einen goldenen Apfel zwischen sie, auf welchem diese Worte geschrieben standen: Dieser soll der holdseligsten Göttin gehören. Nun wißt Ihr selbst, wie die Frauenzimmer sind, daß nämlich keine, wie häßlich sie auch sei, der andern an Schönheit nachstehen will; so ist's auf Erden, und unsere Göttinnen im Himmel haben denselben Nagel im Kopf. Und weil nun Juno, Pallas und Venus sämmtlich wegen ihrer Schönheit bekannt sind, so ist es schwer, den Streit beizulegen. Doch sind sie alle drei einig geworden, sich Eurem Spruche zu unterwerfen, ohne Appellation. Denn Anfangs waren sie alle so erpicht darauf, daß sie mit einander vors OberlandesgerichtWörtlich: vors höchste Gericht, til höjeste Ret, eine noch jetzt bestehende, auch in unsern Tagen häufig genannte Behörde in Kopenhagen A.d.Ü. gehen wollten.

Paris. Ich werde ihre Ankunft erwarten und urtheilen, was Rechtens ist.

Iris. Juno verlangt nichts als ein rechtschaffenes Urtheil. Inzwischen bittet sie ergebenst, daß Eure Durchleuchtigkeit doch diese zehn Ducaten nicht verschmähen wollen, welche sie offerirt, nicht damit Ihr zu ihren Gunsten entscheidet, sondern blos aus Freundschaft.

Paris. Nein, Mademoiselle Iris, Geschenke nehme ich wahrhaftig nicht an. Ein Richter muß sich nicht bestechen lassen; wäre ich verheirathet, so hätte Sie sich allenfalls an meine Frau adressiren können, die hätte das dann können annehmen, und mein Gewissen wäre rein. 89

Iris. Ach, ich bitte doch recht sehr, verschmähe Er das nicht! Das ist ja wirklich kein Geschenk, um Ihn zu bestechen, sondern blos ein Freundschaftszeichen; sieh' mal, wie sie glänzen!

Paris. Ich sehe, daß das gute holländische Ducaten sind. Ja höre, meine liebe Jungfer, wenn ich gewiß wüßte, daß das nicht in der Absicht geschenkt wird, so wollte ich das schon nehmen, denn mit Geld ist in diesen Zeiten nicht zu spaßen. Uebrigens kann Sie der Juno meinen Respect vermelden und ihr sagen, daß ich ihr ihre Höflichkeit schon gedenken werde.

(Iris ab.)

Paris (allein). Kein Amt ist doch so beschwerlich als das Richteramt. Man soll Kopf haben, eine Sache zu begreifen, Scharfsinn, die Argumente des Einen gegen die des Andern abzuwägen, und endlich Rechtschaffenheit, den Versuchungen zu widerstehen. Was mich betrifft, so habe ich mir durch meine unparteiischen Urtheilssprüche einen solchen Namen erworben, daß nicht blos Menschen, sondern sogar Göttinnen mich zum Schiedsrichter ihrer Streitigkeiten erwählen. Aber da seh' ich sie kommen.

(Juno, Pallas, Venus in Adriennen treten auf.)

Juno. Dir geschieht heute eine Ehre, o Paris, wie sie wenigen Menschen widerfahren ist; drei mächtige Göttinnen unterwerfen sich Deinem Urtheil. Welche von uns Du für die Holdseligste erklärst, die behält den goldenen Apfel, den Jupiter zwischen uns geworfen.

Paris. Ihro Durchleuchtigkeiten, meine gnädigsten Frauen!Diese Anrede ist auch im Text deutsch A.d.Ü. Nach dem Gesicht allein kann man eines Menschen Schönheit nicht beurtheilen; ja von den rechten Kennern wird heutzutage gerade darauf am wenigsten gesehen. Es ist daher nöthig, Ihro Durchleuchtigkeiten, daß Dieselben sich ganz nackt ausziehen.

Juno. Was? Ganz nackt ausziehen sollen wir uns?

Paris. Ich kann doch nicht über etwas urtheilen, das ich nicht sehe?

Pallas. Ich thue das in Ewigkeit nicht!

Venus. Will niemand anders, so will ich es; denn auf eine andere Weise kann unser Streit doch nicht entschieden werden. 90

Pallas. Das sieht Ihnen ähnlich genug, ma soeur; es wird, denk' ich mir, wol nicht das erste Mal sein, daß Sie sich nackt vor jungen Mannspersonen sehen lassen.

Venus. Haben Sie was gesagt, Sie lederne Weisheit? Diesen gelehrten zimperlichen Damen ist nicht mehr zu trauen als andern.

Juno. Sie haben auch eine Ehre mitzureden, Madame, seitdem Ihr Mann Vulcanus Sie schon einige Male vor dem Consistorio belangt hat; man weiß recht gut, was Sie für Historien gehabt haben mit Mars und andern Offizieren.

Venus. Trotz geboten Ihnen und den Andern, die mir das Geringste auf meinen ehrlichen Ruf und Namen bringen! Ich gebe zu, daß mein Mann Vulcanus mich in Verdacht gehabt hat, aber bin ich nicht freigesprochen worden vor Gericht? Hat er mir nicht Abbitte thun müssen obenein? Wäre Jupiter so jaloux wie Vulcanus, so hoff' ich, wir kriegten auch von Ihnen einige Historien zu vernehmen.

(Sie reden alle drei auf einmal und ballen die Fäuste.)

Paris. Holla, seid ruhig! Respect vor dem Gericht! Ihr macht ja einen Spectakel, als ob Ihr Advocaten wäret! Laßt Eine zuerst reden!

Juno. Höre, Paris, zweifeln, daß meine Schönheit allen übrigen Göttinnen vorangeht, hieße dem Jupiter einen schlechten goût zuschreiben, da er doch mich von allen zu seiner Gemahlin erkoren hat. Nimm dich daher in Acht, die Schönheit der Andern mit meiner gleichzustellen. Wenn Du den goldenen Apfel mir zusprichst, so sollst Du der reichste und mächtigste Herr auf der Welt werden.

Pallas. Juno giebt Reichthum und Wohlstand, ich dagegen Weisheit und Tugend. Wie aber nun Tugend und Verstand besser ist als Reichthum, so hoffe ich, o Paris, daß Du für mich entscheiden wirst, da ich Dir die herrlichste Belohnung geben kann.

Venus. Reichthum und Verstand werden für große Gaben gehalten; aber wie Mancher wird nicht unglücklich mit seinem Reichthum, und wie Wenige finden ihr Fortkommen in der 91 Welt mit Tugend und Verstand, die ja schon längst aus der Mode sind? Ich, wenn Du den streitigen Apfel mir zusprichst, verspreche Dir das holdseligste Frauenzimmer der Welt zur Gemahlin.

Paris (zu sich selbst). Reichthum hab' ich so viel, als ich verlange; Verstand mehr, als nöthig ist in unsern Zeiten; das holdseligste Frauenzimmer der Welt, das ist der Magnet, der zieht. Ich muß das Urtheil verkündigen. (Setzt sich auf einen Stuhl.) In Sachen der drei wohlgebornen Göttinnen wird für Recht erkannt wie folgt: Sintemalen und alldieweil Juno und Pallas sich nackt auszukleiden verweigert und solchergestalt das Mißtrauen, welches sie selbst in ihre Schönheit setzen, ausdrücklich zu erkennen gegeben haben, dahingegen Venus, im Bewußtsein ihrer gerechten Sache, nichts von ihren Documenten, was zur Entscheidung dieser Angelegenheit dienen kann, verhehlen, sondern alles zur Kenntniß des Gerichts hat bringen wollen, so wird für Recht erkannt, daß sie den goldenen Apfel behalten soll, sintemalen sie die Schönste ist. Juno und Pallas bezahlen zur Erstattung der Unkosten zweihundert Reichsthaler und überdies für ihre frechen Aeußerungen vor Gericht zehn Reichsthaler an die Kirche von ChristianshafenEine Vorstadt von Kopenhagen auf der Insel Amag A.d.Ü..

Juno (bei Seite). Dich soll der Henker holen für meine zehn Ducaten! Nie wieder geb' ich einem Richter was voraus. (Laut) Höre, Paris: das holdselige Frauenzimmer, das Venus Dir giebt, soll werden Dein, Deiner Familie und des ganzen trojanischen Reichs Untergang!

(Alle ab.) 92


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