Hugo von Hofmannsthal
Die Frau ohne Schatten
Hugo von Hofmannsthal

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Personen

Der Kaiser
Die Kaiserin
Die Amme
Geisterbote
Die Erscheinung eines Jünglings
Die Stimme des Falken
Barak der Färber
Sein Weib
Des Färbers Brüder:
Der Einäugige
Der Einarmige
Der Bucklige
Kaiserliche Diener. Fremde Kinder. Dienende Geister.
Die Stimmen der Wächter. Geisterstimmen


Erster Aufzug

Auf einem flachen Dach über den kaiserlichen Gärten. Seitlich der Eingang in Gemächer, matt erleuchtet.

Die Amme kauernd im Dunkel
Licht überm See –
ein fließender Glanz –
schnell wie ein Vogel! –
Die Wipfel der Nacht
von oben erhellt –
eine Feuerhand
will fassen nach mir –
bist du es, Herr?
Siehe, ich wache
bei deinem Kinde
nächtlich in Sorge und Pein!

Der Bote tritt aus der Finsternis hervor, geharnischt, von blauem Licht umflossen
Nicht der Gebieter,
Keikobad nicht,
aber ein Bote!
Ihrer elf
haben dich heimgesucht,
ein neuer mit jedem schwindenden Mond.
Der zwölfte Mond ist hinab:
der zwölfte Bote steht vor dir.

Die Amme beklommen
Dich hab ich nie gesehn.

Der Bote streng
Genug: ich kam
und frage dich:
Wirft sie einen Schatten?
Dann wehe dir!
Weh uns allen!

Die Amme triumphierend, aber gedämpft
Keinen! bei den gewaltigen Namen!
Keinen! Keinen!
Durch ihren Leib
wandelt das Licht,
als wäre sie gläsern.

Der Bote finster
Einsamkeit um dich,
das Kind zu schützen.
Von schwarzen Wasser
die Insel umflossen,
Mond berge sieben
gelagert um den See –
und du ließest, du Hündin,
das Kleinod dir stehlen!

Die Amme
Von der Mutter her
war ihr ein Trieb
übermächtig
zu Menschen hin!
Wehe, daß der Vater
dem Kinde die Kraft gab,
sich zu verwandeln!
Konnt ich einem Vogel
nach in die Luft?
Sollt ich die Gazelle
mit Händen halten?

Der Bote
Laß mich sie sehn!

Die Amme leise
Sie ist nicht allein:
Er ist bei ihr.
Die Nacht war nicht
in zwölf Monden,
daß er ihrer nicht hätte begehrt!
Er ist ein Jäger
und ein Verliebter,
sonst ist er nichts!
Im ersten Dämmer
schleicht er von ihr,
wenn Sterne einfallen
ist er wieder da!
Seine Nächte sind ihr Tag,
seine Tage sind ihre Nacht. -

Der Bote sehr bestimmt
Zwölf lange Monde
war sie sein!
Jetzt hat er sie noch
drei kurze Tage!
Sind die vorbei: –
sie kehrt zurück
in Vaters Arm.

Die Amme mit gedämpftem Jubel
Und ich mir ihr!
O gesegneter Tag!
Doch er?

Der Bote
Er wird zu Stein!

Die Amme
Er wird zu Stein!
Daran erkenn ich Keikobad
und neige mich!

Der Bote verschwindend
Wahre sie du!
Drei Tage! Gedenk!

Der Kaiser tritt in die Tür des Gemaches
Amme! Wachst du?

Die Amme
Wache und liege
der Hündin gleich
auf deiner Schwelle!

Der Kaiser tritt hervor, schön, jung, im Jagdharnisch;
es dämmert schwach

Bleib und wache,
bis sie dich ruft!
Die Herrin schläft.
Ich geh zur Jagd.
heute streif ich
bis an die Mondberge
und schicke meine Hunde
über das schwarze Wasser,
wo ich meine Herrin fand,
und sie hatte den Leib
einer weißen Gazelle
und warf keinen Schatten,
und entzündete mir das Herz.
Wollte Gott, daß ich heute
meinen roten Falken wiederfände,
der mir damals
meine Liebste fing!
Denn als sie mir floh
und war wie der Wind
und höhnte meiner –
und zusammenbrechen
wollte mein Roß –,
da flog er
der weißen Gazelle
zwischen die Lichter –,
und schlug mit den Schwingen
ihre süßen Augen!
Da stürzte sie hin
und ich auf sie
mit gezücktem Speer –
da riß sichs in Ängsten
aus dem Tierleib,
und in meinen Armen
rankte ein Weib! –
Oh, daß ich ihn wiederfände!
Wie wollt ich ihn ehren! –
Den roten Falken!
Denn ich habe mich versündigt gegen ihn
in der Trunkenheit der ersten Stunde:
denn als sie mein Weib geworden war,
da stieg Zorn in mir auf
gegen den Falken,
daß er es gewagt hatte,
auf ihrer Stirn zu sitzen
und zu schlagen
ihre süßen Lichter!
Und in der Wut
warf ich den Dolch
gegen den Vogel
und streifte ihn,
und sein Blut tropfte nieder. -

Die Amme lauernd
Herr, wenn du anstellst
ein solches Jagen –
leicht bleibst du dann fern über Nacht?

Der Kaiser
Kann sein, drei Tage
komm ich nicht heim!
Hüte du mir die Herrin
und sag ihr: wenn ich jage –
es ist um sie
und aber um sie!
Und was ich erjage
mit Falke und Hund,
und was mir fällt
von Pfeil und Speer:
es ist anstatt ihrer!
Denn meiner Seele
und meinen Augen
und meinen Händen
und meinem Herzen
ist sie die Beute
aller Beuten
ohn Ende!
Schnell ab.

Morgendämmerung stärker, man hört Vogelstimmen.

Die Amme zu einigen Dienern, die sich allmählich um den Kaiser versammelt hatten
Fort mit euch!
Ich höre die Herrin!
Ihr Blick darf euch nicht sehn!

Die Diener auf und hinab, lautlos.

Die Kaiserin tritt aus dem Gemach
Ist mein Liebster dahin,
was weckst du mich früh?
Laß mich noch liegen!
Vielleicht träum ich
mich zurück
in eines Vogels leichten Leib
oder einer jungen
weißen Gazelle?
Oh, daß ich mich nimmer verwandeln kann!
Oh, daß ich den Talisman verlieren mußte
in der Trunkenheit der ersten Stunde!
Und wäre so gern
das flüchtige Wild,
das seine Falken
schlagen – Sieh! –
da droben, sieh! –
Da hat sich einer
von einen Falken –
sich – verflogen!
Oh, sieh doch hin,
der rote Falke,
der einst mich
mit seinen Schwingen –
ja, er ists!
O Tag der Freude
für meinen Liebsten
und für mich!
Unser Falke,
unser Freund!
Sei mir gegrüßt,
schöner Vogel,
kühner Jäger!
Er hat uns vergeben,
er kehrt uns zurück.
Oh, sieh hin,
er bäumt auf!
Dort auf dem zeige –
wie er mich ansieht –
von seinem Fittich
tropft ja Blut,
aus seinen Augen
rinnen ja Tränen!
Falke! Falke!
Warum weinst du?

Des Falken Stimme klagend
Wie soll ich denn nicht weinen?
Wie soll ich denn nicht weinen?
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!

Die Kaiserin
Dem Talisman,
den ich verlor
in der Trunkenheit der ersten Stunde,
ihm war ein Fluch
eingegraben –
gelesen einst,
vergessen, ach!
Nun kam es wieder -

Des Falken Stimme
Die Frau wirft keinen Schatten,
der Kaiser muß versteinen!
Wie soll ich da nicht weinen?

Die Amme dumpf wiederholend
Die Frau wirft keinen Schatten!

Die Kaiserin
Der Kaiser muß versteinen!
Ausbrechend
Amme, um alles,
wo find ich den Schatten?

Die Amme dumpf
Er hat sich vermessen,
daß er dich mache
zu seinesgleichen –
eine Frist ward gesetzt,
daß er es vollbringe.
Deines Herzens Knoten
hat er dir nicht gelöst,
ein Ungeborenes
trägst du nicht im Schoß,
Schatten wirfst du keinen.
Des zahlt er den Preis!

Die Kaiserin
Weh, mein Vater!
Schwer liegt deine Hand
auf deinem Kind.
Doch stärker als andre
noch bin ich!
– – – – – – – – – –
Amme, um alles,
du weißt die Wege,
du kennst die Künste,
nichts ist dir verborgen
und nichts zu schwer.
Schaff mir den Schatten!
Hilf deinem Kind!
Sie fällt vor ihr nieder.

Die Amme streng
Ein Spruch ist getan
und ein Vertrag!
Es sind angerufen
gewaltige Namen,
und es ist an dir,
daß du dich fügest!
Unter der Gewalt des Blickes, stockend
Den Schatten zu schaffen
– – – – – – – – – –
wüßt ich vielleicht,
– – – – – – – – – –
doch daß er dir haftet, müßtest du selber
ihn dir holen.
Und weißt du auch wo?

Die Kaiserin
Sie es wo immer,
zeig mir den Weg
und geh ihn mit mir!

Die Amme leise und schauerlich
Bei den Menschen!
Grausts dich nicht?
Menschendunst
ist uns
Todesluft.
Dies Haus, getürmt
den Sternen entgegen,
emporgetrieben spielende Wasser
buhlend um Reinheit
der himmlischen Reiche!
Uns riecht ihre Reinheit
nach rostigem Eisen
und gestocktem Blut
und nach alten Leichen!
Und nun von hier noch tiefer hinab!
Dich ihnen vermischen,
hausen mit ihnen,
handeln mit ihnen,
Rede um Rede,
Atem um Atem,
erspähn ihr Belieben,
ihrer Bosheit dich schmiegen,
ihrer Dummheit dich bücken,
ihnen dienen!
Grausts dich nicht?

Die Kaiserin sehr bestimmt und groß
Ich will den Schatten!
Mit großem Schwung
Ein Tag bricht an!
Führ mich zu ihnen:
ich will!

Fahles Morgenlicht

Die Amme
Ein Tag bricht an,
ein Menschentag.
Witterst du ihn?
Schauderts dich schon?
Das ist ihre Sonne:
der werfen sie Schatten!
Ein Verräter Wind
schleicht sich heran,
an ihren Häusern
haucht er hin,
an ihren Haaren
reißt er sie auf!

Allmählich Morgenrot

– – – – – – – – – –
Voll Hohn und Geringschätzung
Der Tag ist da,
der Menschentag.,-
ein wildes Getümmel,
gierig – sinnlos,
ein ewiges Trachten
ohne Freude!
Wild und haßerfüllt
Tausend Gesichter,
keine Mienen –
Augen, die schauen,
ohne zu blicken –
Kielkröpfe, die gaffen,
Lurche und Spinnen –
uns sind sie zu schauen
so lustig wie sie!
– – – – – – – – – –
Sie zu fassen
verstünde ich schon –
mich einzunisten –
ihnen Streiche zu spielen
im eigenen Haus –
ist mein Element!
Diebesseelen sind ihre Seelen –
so verkauf ich
einen dem andern!
Eine Gaunerin bin ich
unter Gaunern,
Muhme nennen sie mich
und Mutter gar!
Ziehsöhne hab ich
und Ziehtöchter viel,
hocken wie Ungeziefer auf mir!
Warte, du sollst was sehn!

Die Kaiserin ohne auf die Amme zu achten
Weh, was faßt mich
gräßlich an!
Zu welchem Geschick
reißts mich hinab?

Die Amme dicht an ihr
Zitterst du?
Reut dich dein Wünschen?
Heißest du uns bleiben?
Lässest den Schatten dahin?

Die Kaiserin
Mich schaudert freilich,
aber ein Mut
ist in mir,
der heißt mich tun,
wovor mich schaudert!
Und kein Geschäfte
außer diesem,
das wert mir schiene,
besorgt zu werden!
Hinab mit uns!

Das Morgenrot flammt voll auf.

Die Amme
Hinab denn mit uns!
Die Geleiterin hast du
dir gut gewählt,
Töchterchen, liebes,
warte nur, warte!
Um ihre Dächer
versteh ich zu flattern,
durch den Rauchfang
weiß ich den Weg,
und ihrer Herzen
verschlungene Pfade,
Krümmen und Schlüfte,
die kenne ich gut.

Sie tauchen hinab in den Abgrund der Menschenwelt, das Orchester nimmt ihren Eulenflug auf.

Der Zwischenvorhang schließt sich rasch.


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