Hans Hoffmann
Aus der Sommerfrische
Hans Hoffmann

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Die Sänfte.

Novellette.

Zu den Zeiten der jungfräulichen Königin Elisabeth lebte in der Grafschaft Yorkshire eine andere alte Jungfer von noch etwas größerer Verschrobenheit, wenn anders dem Chronisten völlig zu glauben ist, der von ihr eine Reihe solcher Stückchen berichtet, daß ihr Zeitgenosse Shakespeare, so er sie gekannt hätte, leicht ein Dutzend vortrefflicher Komödien daraus würde gezimmert haben. Ihre Abenteuer sind jedoch leider fast nie so zarter Natur, daß die Wiedergabe derselben in unserer keuschen und von echter Sittenstrenge durchglühten Zeit dem Erzähler Lob eintragen würde. Es sei daher nur an eine ihrer Thaten erinnert, welche zufällig ein durchaus unschuldiges Gepräge trägt.

»Lady Scoolcraft ist ein verdrehtes altes Heft gewesen,« – so häßlich drückt sich der Chronist in seinem ungelenken Englisch aus, »jedoch sehr reich und an ihren guten Tagen wohlthätig bis zur Verschwendung, so daß sie ein Segen für die ganze Landschaft ward, an bösen Tagen hingegen, deren sie nicht wenige hatte, 64 geizig, boshaft, hochmüthig, neidisch, verleumderisch, heimtückisch, ja, in der Fülle ihrer Laster soweit gehend, daß sie nicht selten Sonntags den Gottesdienst versäumte.«

Die so geschilderte Dame besaß eines der schönsten Schlösser dieser Gegend mit einem Park, der an Ausdehnung und an Schönheit seiner alten Bäume nicht leicht Seinesgleichen fand und in der That heute noch eine Sehenswürdigkeit ist. Hier verbrachte sie während der guten Jahreszeit heitere Tage, indem sie den regsten Verkehr mit der ganzen Nachbarschaft pflegte und trotz ihres Alters ungern irgend eine Lustbarkeit, am wenigsten aber eine Fuchsjagd versäumte. Sie hatte damals drei Nichten bei sich, die sie dereinst beerben sollten, und für die sie gute und standesgemäße Männer zu beschaffen sich vorgesetzt hatte. Sie hatte sich aber in ihrem ganzen Leben noch nie etwas vorgesetzt, das sie nicht zur Ausführung gebracht hätte, und so waren auch jetzt zwei ihrer Schützlinge ohne viele Beschwerden zweien untadeligen Herren von Stande anverlobt worden. Die dritte hingegen, die reizende Lady Arabella, setzte sich mit stiller Hartnäckigkeit wider alle Versuche, auch sie unter das beliebte Joch zu beugen. Sie wich den Männern aus, oder wo das nicht half, behandelte sie sie schlecht, oder wo das nicht half, theilte sie rechtschaffen Körbe aus. Die alte 65 Lady sah dies mit ebensoviel Verwunderung als stillem Ingrimm, ließ aber nicht locker. Sie beachtete das störrische Fräulein sorgfältig und machte bald die Bemerkung, daß Arabella die sonderbare Gewohnheit angenommen hatte, zu ganz früher Morgenstunde oder noch lieber gar Abends bei Mondenschein lange einsame Wanderungen durch die dunkelsten Schattengänge des weiten Baumgartens zu unternehmen.

Da wußte die Muhme genug, denn daß so junge Mädchen derartige Schwärmereien nicht ohne Gründe nachhängen, war ihr bekannt. Nicht lange, so hatten ihre scharfen Augen auch den Gegenstand entdeckt, der die stillen Wünsche der armen Nichte gefesselt hielt. Es war dies der junge Lord Ralph Verisopht, einer der reichsten und angesehensten Herren und dementsprechend so stolz, übermüthig und anspruchsvoll, wie man es von einem englischen Großen nur irgend verlangen kann. So lag es auch der Alten bald am Tage, daß er sich vor lauter Hochmuth noch niemals die Mühe gegeben hatte, ihr Nichtchen auch nur einmal ordentlich anzusehen, geschweige denn, daß er von deren liebenswürdiger Leidenschaft das Mindeste geahnt hätte. Das beschloß die Lady ihm einzutränken.

Und zwar faßte sie nach ihrer Sitte den Stier bei den Hörnern, ließ sich in ihrer Sänfte nach dem 66 Landsitz tragen, den er zur Zeit bewohnte, und ging ihm in seinem eigenen Schlosse mit folgenden Worten zu Leibe:

»Mein Herr Lord,« sagte sie, »es ist mir zu Ohren und auch zu Augen gekommen, daß Ihr Eure Wünsche so hoch erhebt, meine Nichte Lady Arabella Euch zur Gemahlin zu begehren, und daß Ihr sie demgemäß mit stillem, aber darum nicht verborgenem Andringen verfolgt. Bildet Euch nur ja nicht ein, daß Eure Seufzer, Eure einsamen Ritte, Eure verliebten Blicke, die das Kind umlagern, und was weiß ich, daß solche Dinge unbemerkt geblieben seien, vielmehr: alle Welt redet davon, die Einen in gutem, die Andern in bösem Sinne, nämlich Eure Freunde – deren freilich nicht viele sind – mit Bedauern, Eure Feinde aber, die offenen und die heimlichen, mit spöttischem Achselzucken und hämischer Schadenfreude. Denn auch das weiß ja alle Welt, daß Ihr niemals gewürdigt werden könnt, Lady Arabellas Gatte zu heißen, steht sie doch in Wahrheit so hoch über Euch wie ein Kirchthurm über einem Kaninchenstall. Nicht an Rang und Reichthum, davon rede ich nicht: ist ihr Erbtheil ein wenig größer noch als das Eure, so mag Euer Rang dagegen einen Finger breit höher heißen, das gleicht sich aus. Sondern ich spreche von eigenen Vorzügen, von Schönheit des Leibes und weit mehr noch der Seele und des Geistes, nämlich 67 solchen Dingen, die wir Verstand, Witz, Anmut, Tugend, Unschuld, Güte, Edelsinn, Bescheidenheit, Treue und dergleichen nennen. In allen diesen Stücken ist Lady Arabella nach dem Urtheil aller Klugen eine Perle ohne Gleichen und nur durch ihre Majestät unsere allergnädigste Königin selbst übertroffen. Ihr aber seid dagegen – ich will Euch nicht schimpfen, und unter Euresgleichen seid Ihr wirklich noch der Schlechtest nicht, aber vor soviel Glanz ihrer Vorzüge schmelzen die paar guten Fasern, die an Euch sein mögen, dahin wie Gänseschmalz im Hochofen. Darum rathe ich Euch in guter Meinung und Absicht: laßt Euer unbescheidenes Gelüsten fahren und glaubt mir: Diesen Schatz zu heben seid Ihr nicht der Mann! Erstens wird sie selbst Euch nicht mögen, denn trotz all ihrer Bescheidenheit kann sie ihre Gedanken schwerlich bis zu Eurer spindeldürren seelischen Dürftigkeit niedersenken, und zweitens, wenn sie auch aus Mitleid Euch erhörte, so stände ich noch zwischen Euch und ihr als ein Erzengel mit feurigem Schwert und würde nimmermehr zugeben, daß sie sich an so ein schäbiges Lordchen wegwürfe. Das merkt Euch, Lord Ralph, Ihr kennt mich, Lady Katharina Scoolcraft, Lady Arabellas Erbtante.«

Diese ungeheuren Grobheiten gab sie mit so treuherzigem Wesen und unschuldigster Freundlichkeit 68 von sich, als wenn sie ihm etwa erzählte, der Sommer sei gemeiniglich ein gut Theil wärmer als der Winter, und ging dann in flüchtigem Plauderton zu anderen Gegenständen, Derbyrennen, Sauhatzen und Londoner Moden über.

Dem guten Lord aber ward von solcher Neuigkeit vollkommen wirbelig im Kopf, er fand kein Wort der Erwiderung, wie er denn überhaupt nicht schnell im Reden war, und ehe er überhaupt nur recht zur Erwägung der Frage gekommen war, ob das Ernst oder Spaß sei, setzte sie ihm schon so feurig die wahrhaft mode- und stilgerechte Art, den Mantel zu tragen, auseinander, daß er keinen Anknüpfungspunkt einer Verteidigung mehr finden konnte.

So entschlüpfte sie ihm und verabschiedete sich in schönster Freundschaft. Erst als er allein war, kam der Lord mit seinen Gefühlen in einige Ordnung, aber in keine angenehme. Von der Möglichkeit einer so unerhörten Geringschätzung, wie sie ihm soeben als etwas Selbstverständliches gegeben wurde, hätte er sich in seinem Hochmuth nie etwas träumen lassen, und weil dieser sein Hochmuth ihm nicht so sehr tief im Herzen entsprang, sondern am allermeisten eine standesgemäße Angewohnheit war, so konnte derselbe durch einen so unerwarteten Stoß unschwer ins Wanken gebracht werden, und der ärmste Lord fühlte sich in der That aufs ernstlichste gedemüthigt, so kräftig 69 sich auch sein Selbstgefühl dagegen wehrte. Die Beschämung, die er sich nicht eingestand, und die er nicht abzuschütteln vermochte, quälte ihn dermaßen, daß er Tag und Nacht keinen anderen Gedanken mehr hatte, als wie er jene unerreichbar erhabene Lady Arabella nun erst recht aller Welt zum Trotz sich zu eigen gewinnen und womöglich ihrer erst würdig werden möchte. Dieser letzte Gedanke ärgerte ihn bis aufs Blut, aber er konnte auch ihn nicht loswerden.

So kam es, daß er bei der nächsten gemeinsamen Festlichkeit gegen seine frühere Sitte nur noch Augen für Lady Arabella hatte, sich von Anfang bis zum Ende ihr allein mit seiner Unterhaltung und allen Ritterdiensten widmete und zuletzt schon nach dieser ersten Begegnung so völlig von ihrem zarten Reiz bezaubert war, daß er selbst nicht mehr begriff, wie er sie so lange in namenloser Verblendung ganz habe übersehen können. Ja, am Abend dieses Tages gestand er sich feierlich, er sei ihrer wirklich nicht würdig, und sie stehe so hoch über ihm wie ein Palmbaum über einem kriechenden Stachelpflänzchen: diesen Vergleich erfand er sich selber, denn der von dem Kirchthurm und dem Kaninchenstall gefiel ihm nicht.

Das ging nun so fort. Lord Ralph fand weder Rast noch Ruhe, bis er der Geliebten wieder und wieder begegnet war und endlich ihrem Herzen nahe 70 genug gedrungen zu sein schien, daß er eine offene und hitzige Erklärung seiner Liebe wagte und dagegen zum Glück von Lady Arabella das holde Geständniß errang, nicht sie sei es, die sich in irgend einem Punkte über ihm erhaben dünke, vielmehr sei es ihr gar willkommen, wenn ihr an seiner Seite ein windstilles Plätzchen vergönnt werden solle. Sobald nun der Liebende seine Wünsche so herrlich gekrönt sah, kehrte ihm der ganze Uebermuth von ehedem zurück, und er meinte, es könne auf der Welt kein Hinderniß mehr für ihre Vereinigung geben. So begab er sich keck und geradeswegs zu der Erbtante und stellte ohne sonderliches Bangen seinen Antrag.

Da aber lief er schön an.

»Was?« rief die Alte, »so ganz also habt Ihr meine Warnungen in den Wind geschlagen? So wenig galten Euch meine Worte, daß Ihr Euch anstellt, als wären es eitel Faxen von mir gewesen? Oder seid Ihr etwa in den wenigen Wochen so hoch im Preise gestiegen, daß Ihr heute die Dreistigkeit habt, das offen vor mir auszubreiten, was Ihr damals, wie ich Euch ansah, noch gerne verhehlt hättet? Lieb ist mir bei dem ganzen Handel nur das Eine, daß ich mich nicht getäuscht, sondern Euch klar in die krummen Falten Eures verschlossenen Herzens gesehen hatte, alles Andere ist mir durchaus unlieb, und es 71 liegt mir himmelfern, Euren anmaßenden Bitten nachzugeben. Geht nach Hause, guter Lord, mein Perlchen soll eine ganz andere Fassung bekommen als so eine kümmerliche von Katzengold!«

Eine so schnöde Antwort gab ihm die wunderliche Lady nicht in ernsthafter Absicht, wie der Chronist anmerkt, sondern einzig, um den Sinn des so eilig Umgewandelten auf seine Beständigkeit und die Kraft seiner Leidenschaft durch künstliche Hindernisse zu prüfen. Dem Lord jedoch, obgleich er an ihrem Ernst sonst nicht zweifeln konnte, war durch sein Liebesglück der Kamm so geschwollen, daß er von dem derben Korbe nur wenig bedrückt ward, vielmehr mit getroster Zunge dagegen ankämpfte.

»Ei was, liebe Lady,« rief er trotzig, »laßt meinen Werth oder Unwerth auf sich beruhen. Dadurch, daß Arabellas Herz mich erkoren hat, bin ich in Wahrheit ihrer würdig geworden, wenn auch durch kein anderes Verdienst, das soll mir keine Tante und kein Teufel bestreiten. Und wie grimmig Ihr Euch jetzt auch anstellt, was kann's Euch helfen, wir Zwei lassen nicht von einander, und dawider seid Ihr hülflos, denn wie wild und wunderlich auch oftmals Eure Reden und Thaten sind, im Grunde, das weiß man allerorten, habt Ihr ein gutes Herz und werdet Euer trautes Nichtchen doch nicht lange leiden sehen können. Darum ist es dreimal klüger, Ihr sagt 72 gleich heute Ja, als daß Ihr erst durch Thränen und trübseliges Flehen gezwungen würdet, Euer Vorhaben zu ändern, was Ihr noch ein Stück weniger gern thut als wir andern englischen Starrköpfe.«

Ein solcher Aufruf wäre an sich und einer anderen Dame gegenüber vielleicht so sehr unbedacht nicht gewesen; bei Lady Scoolcraft aber war er so übel wie möglich angewendet, und das aus dem Grunde, weil er eine ganz besondere Eigenthümlichkeit derselben außer Acht ließ. Sie konnte nämlich allenfalls, wenn sie in Laune war, alles Andere in der Welt vertragen und selbst grobe Reden, Droh- und Schimpfworte, ja Ehrenkränkungen verzeihen, einzig die Behauptung, sie habe ein gutes Herz, ging ihr so sehr gegen den Strich, daß sie sich wüthend dawider aufbäumte wie ein junges Füllen wider die Peitsche. Wie es denn manchen anderen Menschen auch so geht, daß sie allerlei Ungerechtigkeiten mit ziemlich guter Geduld hinnehmen, ein Körnchen Wahrheit aber durchaus nicht verdauen können. Man braucht deshalb noch nicht dem Chronisten Recht zu geben, der hierzu die Anmerkung macht, die Lady sei offenbar so unkirchlichen und verstockten Sinnes gewesen, daß sie die Gutherzigkeit für ein Laster genommen habe. Jedenfalls aber steht für uns urkundlich fest, daß sie hier den Vorwurf eines guten Herzens nicht auf sich sitzen ließ, sondern nunmehr 73 in wirklichen und aufrichtigen Zorn gegen den Dreisten gerieth und sich einmal über das andere theuer verschwor, sie werde nun und nimmermehr ihre Zustimmung zu solcher Mißheirath geben, sich auch kräftig darauf berief, daß sie noch niemals ihr Wort gebrochen oder von einem ausgesprochenen Vorsatz abgewichen sei.

Alles dies sprudelte sie in tobender Hitze heraus und verlor dabei völlig ihre ursprüngliche Absicht aus den Augen, die in geradlinig entgegengesetzter Richtung auf die Verbindung des Paares und die Glücksversorgung ihrer Nichte ausgegangen war. Darum als sie sich etwas ausgetobt hatte und zu einiger Besinnung kam, erschrak sie selbst auf das heftigste, weil sie wahrnahm, wie ungeschickt sie sich selbst den Rückzug verbaut hatte. Denn sie würde in der That beinahe noch leichter den Besitz eines guten Herzens zugestanden haben als die freiwillige Zurücknahme einer so stark und ausdrücklich bekräftigten Versicherung. Hatte sie doch in so untadliger Dickköpfigkeit ihr Leben lang ihre größte Ehre gesucht.

Aber auch der Lord erschrak vor ihrem grimmigen Schwur; er kannte sie gerade zur Genüge, um zu wissen, daß damit alle Hoffnung auf einen gütlichen Vergleich geschwunden war. Gegen den Willen der Muhme aber als des Familienhauptes das Mädchen mit Gewalt, durch Entführung oder ähnliche 74 Abenteuer zu freien, war ein übles Ding: erstens war er ein englischer Gentleman mit großer Ehrerbietung vor dem Gesetz, und zweitens mochte er der Geliebten nicht ein dauerndes Zerwürfniß mit den Ihrigen als eine immer schmerzende Kette anhängen: so sehr ihrer würdig fühlte er sich im Grunde seines Herzens immer noch nicht.

In solcher Noth schoß ihm wie ein fernher glänzender Lichtschein der Gedanke an eine List durch den Kopf, und ehe er selbst es recht merkte, war in seinem Hirn schon ein kecker Plan halbfertig oder doch in den Grundzügen vorgezeichnet. Und da er zum Warten und Wägen wirklich keine Zeit hatte, so faßte er den Augenblick munter beim Schopf und redete darauf los, ehe er seine Gedanken noch in klarer Ordnung übersah.

»Edle Lady,« sagte er, »was gilt die Wette? Daß ich nach so herben und festen Worten Euer Haus und Euern Garten nicht ungenöthigt wieder betreten werde, glaubt Ihr mir schon selbst, denn das wäre eines Gentlemans unwürdig, und für einen Gentleman haltet auch Ihr mich trotz all Eurer sonstigen Mißachtung. Dahingegen lasse ich von der Hoffnung nicht, Ihr werdet binnen Kurzem Euren straffen Sinn mildern, ja vielmehr gänzlich umwandeln und mich ungebeten selbst mit aller Gewalt nöthigen, das Thor Eures Parkes zu durchschreiten und Eurer schönen Nichte entgegenzueilen. Das 75 weiß ich so gewiß, daß ich Euch kühnlich eine sehr hohe Wette biete. Fühlt Ihr Euch auch so sicher, daß Ihr Sie anzunehmen den Muth habt?«

»Herr Schafskopf« (ein so greuliches Wort legt ihr der Chronist in den Mund), so fuhr sie wüthend auf, denn sie ärgerte sich nicht allein über die ihr gemachte schimpfliche Zumuthung, jemals ihren Sinn zu ändern, sondern empfand noch einen besonderen Unmuth, daß er's nach ihrer Meinung so tölpelhaft dumm anfing und scheinbar erst recht jede Brücke hinter ihr in die Luft sprengte, »entweder Ihr wollt mich zum Narren halten oder Ihr seid selbst ein Narr. Eure dumme Wette aber nehme ich mit allen Freuden an, und wenn Ihr einen Fuchspelz gegen hundert Hermeline setzen wollt. Sagt mir also getrost Eure Bedingungen.«

»Die sind sehr einfach,« entgegnete Lord Ralph, der sich inzwischen in seinem Plane schon besser zurechtgeschaut hatte, »ich setze die Hälfte aller meiner Besitzthümer, liegender und fahrender Habe, genau von Sachverständigen zu schätzen und abzutrennen, gegen die einzige Person Eurer Nichte Arabella, ohne irgendwelche Mitgift oder Erbe an Geld und Gut; nämlich diese Eure Nichte soll mir als mein eheliches Weib zu eigen gehören, wenn ich es binnen heut und vier Wochen auf irgend eine Art und durch irgend welche Mittel zu Wege bringe, daß Ihr selbst mich ernsthaft nöthigt, sei es durch Bitten oder auch durch 76 Drohungen oder Scheltworte und dergleichen, Euren Garten mit Euch und sogar vor Euch zu betreten und Lady Arabella entgegenzuschreiten. Falls mir es nicht gelingt, Euren Willen so weit zu beugen, verfällt Euch meines Gutes Hälfte.«

Der Lady kam der angebotene Handel verwunderlich keck vor, und sie vermochte keinen geheimen Hintergedanken zu entdecken; da sie aber nicht zweifelte, daß ein solcher vorhanden sein müsse, so ward um so mehr ihre Neugier rege, und sie ging desto williger auf den Vorschlag ein.

»Nur,« fügte sie hinzu, »mache ich den Zusatz: es darf keinerlei Art von böslicher Vergewaltigung dabei sein, keine Drohung, Schreckung, leiblicher Zwang noch irgend etwas Aehnliches; dahingegen soll eine List gern erlaubt sein: ich bin doch begierig, ob es Euch Grünschnabel gelingen wird, die alte Lady Scoolcraft zu überlisten.«

»Ganz recht,« warf Lord Ralph ein, »und doch muß ich vor allen Dingen mir eine Art von Zwang als erlaubt ausmachen, nämlich den geistigen Zwang durch Ueberredung, Bitten, Klagen, Weisheitssprüche, christliche Lehren und philosophische Sentenzen, denn gerade das sind die Mittel, auf die ich vornehmlich mein Augenmerk zu richten gedenke.«

Da lachte die alte Vettel (so nennt sie der Chronist), laut auf und rief:

77 »O der Fant! Wie viel Weisheit von Kirchenlehrern und Oxforder Professoren ist an mir in meinem Leben schon zu Schanden geworden, und dieser da gedenkt mir obzusiegen! Es ist aber gut, Herr Fant, daß Ihr vorsichtig seid und nur Euer halbes Gut zum Pfand setzet und nicht das ganze, denn sonst wäret Ihr binnen heut und vier Wochen ein Bettler. Freilich klein ist Euer Einsatz, und mich wundert's, daß einem Liebenden die Geliebte nicht einmal drei Viertheilen seines irdischen Besitzes gleichwerthig scheint, da doch Andere gern ihr Leben Preis geben, wieviel lieber ihr ganzes Gut.«

»Diese Vorsicht,« versetzte der Lord, »hat ihre erwogenen Gründe. Falls ich die Wette verliere, was ja freilich leider nicht ausgeschlossen ist, und ich behielte gar nichts mehr, so hätte ich mit allem Andern zugleich auch die Geliebte hoffnungslos verloren, denn niemals würde ich ihr zumuthen, mir, dem Bettler, ins Elend zu folgen, wenn sie auch selbst, was ich glaube, dazu bereit wäre, so aber behalte ich immer im schlimmen Falle noch genug, mir die Hoffnung auf ihren dereinstigen Besitz zu bewahren, und müßte ich am letzten Ende zu Gewalt, Raub und Entführung schreiten. Also die Wette ist wohl erwogen und bleibt so bestehen, falls Ihr nicht etwa aus Furchtsamkeit zurücktretet.«

Auf diese Erklärung nickte die Alte mit einiger 78 Befriedigung und reichte ihm die Hand, wodurch der sonderbare Vertrag bestätigt und besiegelt wurde. Darauf empfahl sich der Lord, nicht ohne Bangen und nicht ohne fröhliches Hoffen.

Während der nun folgenden Wochen ließ er keine Gelegenheit vorüber, an dritten Orten der alten Dame seine Ergebenheit zu beweisen und mit großer Beflissenheit jede Veranlassung zu benutzen, um mit liebenswürdigen Ueberredungskünsten und täppisch-herzlichen Bitten zum Schein auf ihre Gesinnung einzuwirken, zu welchen Geistesübungen ihm die herbstlichen Fuchshetzen überschüssige Gelegenheit gaben. Dafür aber wurde Lady Arabella von ihrer Muhme sorgfältig zu Hause gehalten und durfte den verschlossenen Park niemals verlassen, weil irgend ein geheimes Einverständniß zu befürchten stand. Denn die Lady hielt es für eine Ehrenpflicht, den Verlust der Wette nicht etwa durch eine halbabsichtliche Nachlässigkeit herbeizuführen, wenn sie auch selbst ein solches Ende des Handels allenfalls wünschen mochte. Ihre herbe Ehrlichkeit war so groß, daß sie nicht einmal sich selbst betrügen wollte, was alle Menschen sonst so über die Maßen gerne thun.

So gingen etwa drei Wochen ohne ein weiteres Ereigniß hin und ohne daß Lord Ralph durch sein rednerisches Sturmlaufen einen anderen Fortschritt machte, als den er machen wollte, nämlich daß 79 er die Alte völlig zu dem Glauben brachte, er habe es wirklich im Ernst auf kein anderes Mittel abgesehen, als auf den Versuch, ihr gutes Herz durch Mitleid zu erweichen, was sie nicht anders als wüthend machen konnte.

Nun aber plötzlich, wenige Tage vor Ablauf der gesetzten Frist, bemerkte sie eine starke Wandlung in seinem Benehmen, jedoch nicht eine solche, die sie erfreute. Sie sah, daß er bei einem Erntefeste, das ein Nachbar mit großem Pomp feiern ließ, einer sehr reichen und hochgeborenen jungen Dame, seiner Cousine, auf das eifrigste den Hof machte und sich so ganz diesem ritterlichen Geschäfte hingab, daß er für Arabellas Muhme kaum einen Blick oder ein verlorenes Wort mehr übrig hatte.

Darüber ward sie so traurig wie entrüstet und dachte: »So hat der Schwächling es also aufgegeben, und ich habe für meine gute Arabella ein schönes Stück Besitz zu ihrem übrigen großen Erbtheil hinzugewonnen; ihr Verlust an diesem Menschen aber scheint mir ein sehr geringer zu sein; wer sich so leichten Herzens über ein versagtes Liebesglück hinwegsetzen und einem neuen nachflattern kann, den wird auch ihr vernünftiges Herz ohne viele Umstände als eine werthvolle Ueberlast über Bord werfen.«

Durch solche Erwägung sich beruhigend und doch im Innern kräftig genug zürnend, befahl sie, 80 ihre Sänfte zur Heimkehr zu rüsten, obgleich der Tag noch lang war. Als die beiden Träger bereit standen und sie das Gefährt bestieg, drängte sich die ganze übrige Gesellschaft Abschied nehmend mit heiterem Zuruf um sie herum; desto mehr verwunderte es sie, daß Lord Ralph heute auch nicht einmal diese kleine Mühe der Höflichkeit auf sich nahm; er war nirgends zu sehen und selbst auf ihre Frage nach ihm wußte Niemand zu sagen, wo er geblieben sei. So war die Lady nun erst recht ihrer Sache sicher und dachte an keine Vorsichtsmaßregeln, deren sie sonst gebraucht hatte, sich gegen eine listige Ueberrumpelung zu verwahren, sondern blieb fast unaufmerksam und in ihre widerstreitenden Gedanken versenkt.

Lady Scoolcraft liebte es, bei der Heimkehr vor dem Schlosse oder womöglich schon vor dem Gartenthore von ihren Nichten empfangen und begrüßt zu werden; deshalb hatten diese heimlich einen besonderen Wächter angestellt, der bei ihrem Anrücken ein Glockenzeichen ertönen lassen mußte, auf dessen Ruf sie ungesäumt von allen Seiten herbeiflogen, so daß es den Anschein gewann, als hätten sie längst am Thore sehnsuchtsvoll nach der theuren Muhme ausgeschaut.

So geschah es auch heute, daß die klugen Nichten, davon die zwei mitsammt ihren Anverlobten durch das rasch geöffnete Gitterthor ihr in feierlicher 81 Freundlichkeit grüßend entgegengeschritten kamen. Es war aber der Fall, daß Fräulein Arabella diesmal in Wahrheit sehnsüchtig nach ihr ausgeschaut hatte, und dies kam daher, daß ihr zuvor ein Gärtnerbursche einen Brief zugetragen hatte, der an einen Stein befestigt über die Mauer geflogen war und in welchem geschrieben stand: »Seid heute beim Empfang der Lady zugegen und aufmerksam; sie wird Jemand mit sich führen, der Euch nicht unlieb zu kommen von ganzer Seele wünscht und hofft. Kommt er aber nicht mit ihr, so hat er auf lange hinaus seines Lebens schönste Hoffnung verloren.«

Nach dieser geheimnißvollen Ankündigung lauerte sie stundenlang pochenden Herzens am Gitter mit dem Wächter zusammen, bis sie die wohlbekannte Sänfte um die Wegecke biegen sah. Da gab sie den Andern mit eigener Hand das mahnende Zeichen, und als sie kamen, hüpfte sie den zwei Paaren voran mit zitternden Knieen auf die Sänfte zu, die Augen vorausspähend einzig auf deren Fenster gerichtet, ob sie im Innern einen Begleiter der Muhme entdecken möchte. Diese Hoffnung war ihr jedoch traurig getäuscht, die Lady kam ganz allein und streckte ihr zudem mit einem ungewohnten Blicke theilnahmvoller Betrübniß die Hände entgegen. Tief erbleichend wich die unglückliche Arabella zurück und wankte an den Schwestern vorüber in den Garten, 82 wo sie sich nicht weit vom Eingang kraftlos an einen Baum lehnte und tapfer mit den andringenden Thränen kämpfte. Da diese Thränen ihr sogleich die Augen verdunkelten, hatte sie im Vorüberflüchten auch nicht bemerkt, wie der eine jener verlobten Glückspilze seiner Braut listig lachend etwas zuflüsterte und mit einem sonderbaren Seitenblick heimlich auf den vorderen Sänftenträger deutete.

Dieser Sänftenträger aber betrug sich in der That sonderbar und ungewohnt. Als die Lady den Befehl zum Eintreten gab, stellte er sich an, als wäre er eingeschlafen, blickte stumpf vor sich nieder und rührte keinen Fuß zum Weiterschreiten.

»Was heißt das?« rief die hitzige Alte und steckte zornig den Kopf aus dem Fenster. Als sie sah, daß der Kerl ohne irgend ein äußeres Hinderniß ganz faul dastand, als ob ihn die Sache nichts angehe, schalt sie heftig:

»Was fällt dem Esel da vorne ein! Vorwärts ins Thor, in den Garten hinein! Ich befehle Dir noch einmal, Du Dickhäuter, in den Garten zu treten, damit ich Dir drinnen die Ohren stutzen lassen kann! Ha, wird's bald? Oder soll ich erst Jemand mit dem Knüppel kommen lassen, der Dir eine fröhliche Marschmusik geige!«

Auf eine so kräftige Ansprache entschloß sich der Schlingel endlich, die Beine einige Schritte 83 vorzusetzen und seine Last durch das Thor hindurch zu tragen. Hier aber stand er schon wieder still und drehte den Kopf hin und her, als ob er nicht wisse, wohin er solle, nach rechts oder nach links oder geradeaus.

»Rechts herum, wie alle Tage!« schrie die Lady.

Da wandte sich der Kerl hurtig nach links, als ob es ihm so geheißen wäre.

»O Du Trunkenbold, kannst Du nicht Rechts und Links mehr unterscheiden? Warte, Dir wollen wir heute einen vergnügten Abend machen! Nach der andern Seite, Du Schaf, dahin, wo Lady Arabella steht! Hörst Du, auf Lady Arabella sollst Du losgehen! Verstanden?«

Der tolle Träger that, wie ihm geheißen, und doch anders, als es gemeint war; er setzte die Sänfte kurzweg und nicht allzusanft auf die Erde und ging ohne sie stramm auf Lady Arabella los. Die arme alte Dame wollte ersticken vor Wuth, und doch wurde dies Unerhörte jetzt durch etwas noch Unerhörteres übertroffen. Der Träger fiel ohne Vorrede Miß Arabella um den Hals und küßte sie. Dann aber nahm er sie sittsam bei der Hand, führte sie auf die Sänfte zu, nahm anständig die Mütze ab und sprach:

»Ich danke Euch, gute Lady. Meine Wette habe ich gewonnen. Ihr habt mir offenkundig vor 84 allen diesen Zeugen unter tüchtigen Drohungen strengstens befohlen, vor Euch in Euren Garten zu treten und Lady Arabella entgegenzueilen. Weiter habe ich nichts hinzuzufügen.«

Da sah Lady Scoolcraft, daß es Lord Ralph war.

»Gott im Himmel,« rief sie in heller Ueberraschung, »Ihr seid aber ein Teufel! Wer konnte von so einem Schäfchengesicht den Prachtstreich erwarten? Wahrhaftig, daß er Euch gelungen ist, verdankt Ihr nicht Eurem klugen Kopf, sondern Eurem dummen Gesicht, durch das ich meine Wachsamkeit einschläfern ließ. Nun gut aber, mein Wort muß ich halten und würde es halten, wenn es mir selbst an den Kragen und nicht bloß an eine Nichte ginge. Das aber sage und prophezeihe ich Euch: diese Ehe wird bestimmt so fortlaufen und bleiben, wie sie angefangen hat, nämlich damit, daß Ihr in Knechtsgestalt vor ihr erschienen seid, die auch für alle Zukunft Eure Gebieterin sein soll und wird. Das wird die Rache der alten Lady Scoolcraft sein.«

Mit dieser Rede schließt der Chronist und fügt nur noch hinzu: »Dieses einzige Mal im Leben hat der stolze Lord eine Dame eigenhändig in einer Sänfte getragen, seine schöne Gemahlin aber mußte er sein Leben lang auf Händen tragen, weil es sein Herz ihm so befahl.

 


 


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