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Ludewig Heinrich Christoph Hölty ward 1748 den 21 December zu Mariensee im Churfürstenthum Hannover geboren, wo sein Vater Philipp Ernst Hölty, ein Sohn Heinrich Wulibrand Höltys, evangelischen Bürgers zu Hildesheim, und Maria Margarethens, geborenen Hölty, seit 1742 Prediger war. Seine Mutter hieß Elisabeth Juliana Gössel, eine Tochter des Prokurators Gössel in Celle, mit welcher sein Vater, nach dem frühen Tode seiner ersten Frau Catharina Charlotta von Barkhausen, sich 1748 im Februar vermählt hatte. Sie starb 1757, und sein Vater heiratete im folgenden Jahre die dritte Frau, Maria Dorothea Johanna Niemann, welche seit dem Frühlinge 1575 Wittwe ist, und diese nebst den folgenden Familiennachrichten uns mit [VI]getheilt hat. Von seiner leiblichen Mutter leben noch zwei Töchter, und von seiner Stiefmutter vier Söhne und drei Töchter.
Hölty war, nach dem Zeugnisse der Wittwe, die ihn von seiner zartesten Jugend an gekannt hat, zur Bewunderung schön, bis in sein neuntes Jahr, da ihn bösartige Blattern entstellten. Schon frühe zeigte er eine außerordentliche Munterkeit und Wißbegierde. Sobald er schreiben konnte, schrieb er auf, was ihm aus Erzählungen und Gesprächen merkwürdig schien. Er betrug sich liebreich und gefällig gegen jedweden; und die er für rechtschaffen hielt, vertheidigte er bei aller Gelegenheit, wenn etwas zu ihrem Nachtheile gesagt wurde. Auch war er allgemein beliebt, so wohl wegen seiner schönen Gestalt, als wegen seiner drollichten Einfälle und Anmerkungen.
In eben der Woche, da seine Mutter an der Schwindsucht starb, bekam er die bösartigsten Blattern. Der Gram und die Krankheit brachten ihn auf lange Zeit in Gefahr das Gesicht zu verlieren, und raubten ihm seine natürliche Munterkeit. Als er nach [VII] zwei Jahren den Gebrauch seiner Augen wieder erlangte, verdoppelte er seinen Eifer und Fleiß im Lernen. Sein Vater, der in Sprachen und Wissenschaften sehr geübt, auch der Dichtkunst nicht abgeneigt, und ein Mitglied der deutschen Gesellschaft in Göttingen war, unterwies ihn, außer der deutschen, in der lateinischen, französischen, griechischen und hebräischen Sprache, in der Geografie, Geschichte, und was sonst auf Schulen gelehrt wird. Sein Fleiß ging so weit, daß er nicht einmal sein Frühstück in Ruhe genoß; daß er sich jedesmal zum Mittags- und Abendessen rufen ließ, und des Nachts heimlich bis drei Uhr aufblieb. Dies lezte ward ihm von seinem Vater untersagt: und die Mutter gab ihm, wenn sie um elf Uhr zu Bette gingen, nur wenig Licht mit auf seine Schlafkammer. Allein wie sorgfältig man auch alles übrige Licht und die Lampen im Hause verschloss; so wusste er sich doch, wie man nachmals erfahren hat, des Tages mit Öl zu versorgen, und höhlte sich Lampen von Rüben aus. Um auch wieder früh zu erwachen, und in den Büchern, die er von allen Enden zusammen schleppte, lesen zu [VIII] können, band er sich um den Arm einen Bindfaden, woran ein Stein befestigt war; diesen legte er auf einen Stuhl vor das Bette, damit, wenn er sich gegen Morgen umwendete, der Stein herabfallen, und ihn durch den Ruck am Arm auf wecken möchte.
Bei diesem Fleiße ward er weder mürrisch, noch stolz, noch ein Bücherwurm, der, Luft und Sonne scheuend, nur in seinen dumpfigen Schwarten lebt. Heiter, sanft, gefällig und zärtlich, war er die Freude seiner Familie, ehe er noch ihr Stolz ward. Dieser sanfte häusliche Umgang, die heitere Stille des Landlebens, und sein lebendiges Gefühl für jeden Reiz der Natur, sicherten ihn gegen die Erstarrung der Lesesucht. Eigener Geist, eigene rege Empfindung, strebte in seiner Seele empor, und zog Nahrung aus Büchern, wie eine Blume aus eben dem Boden, der rings umher nur Gras hervor bringt, ihre schimmernden Farben und ihren Balsam zieht.
Außer den Schulstunden ging er gern in ein düsteres Gehölz, mit Büchern in der Tasche, las für sich mit lauter und heftiger Stimme (welches noch in Göttingen seine Ge [IX]wohnheit bei guten Schriften war), und betrachtete die Schönheiten der Natur. Auch sein Hang zum Schauerlichen zeigte sich früh. Er besuchte zu jeder Zeit ohne Furcht den Kirchhof und andere verdächtige Örter, und machte selbst Erwachsenen das Grauen lächerlich; er verkleidete sich als ein Gespenst, und wankte, bloß zu seinem Vergnügen, ohne die Absicht zu schrecken, des Abends einsam auf den Gräbern umher. In seinem elften Jahre fing er an, Verse auf den Tod eines kleinen Hundes, auf das ABC, und was sonst ihm vorkam, zu machen: womit er aber, wie mit seinen übrigen Arbeiten und geistlichen Reden, die er vor seinen Geschwistern und Kameraden vom Schemel hielt, gegen seinen Vater sehr geheim war. Selbst in der Kirche fielen ihm Reime ein; und wenn er kein Papier bei sich hatte, so schrieb er sie an die Wand. Sein erstes Gedicht, die Grabschrift seines Lieblingshundes, lautet also:
Alhier auf dieser Stätte
Liegt begraben Nette.
Zu Horst ist er geboren,
Zu Mariensee gestorben,
Dies Grab hat er erworben.
[X] Die Leidenschaft seinen Geist zu beschäftigen, machte ihn gegen des Körpers Pflege etwas gleichgültig. Sein nachlässiger Anzug ward ihm oft von seinen Eltern verwiesen. Er hörte ihre Ermahnung mit freundlichem Lächeln an, bemühte sich den Fehler auf einige Zeit wieder gut zu machen, und erschmeichelte sich durch alle möglichen Dienste Vergebung und Nachsicht. Noch in Göttingen kostete es nicht wenig Überredung, wenn er seinen bestäubten Flaußrock ablegen, und in dem braunen Feierkleide mit vergoldeten Knöpfen erscheinen sollte. Doch war er einmal so sehr im Schuss, daß er schon ziemlich ernsthaft von den Vorzügen eines Tressenhutes, der länger gegenhielte, zu reden anfing.
Als Hölty sechzehn Jahre alt war, wusste er mehr, als die meisten Jünglinge, welche, ein gelehrtes Handwerk zu lernen, die Akademie beziehn. Gleichwohl schickte sein Vater, überzeugt, daß ohne die innigste Vertraulichkeit mit den Alten keine wahre Gelehrsamkeit statt finde, und um seinem Sohne für die Akademie mehr Weltkenntnis und feinere Sitten zu verschaffen, ihn 1765 um Michaelis auf die [XI] öffentliche Schule in Celle, wo sein Oheim, der Kanzleirath Gössel, wohnte. Hier blieb er drei Jahre, und erwarb sich die Liebe und Achtung seiner Lehrer sowohl, als aller, welche ihn kannten. Michaelis 1768 ging er zu seinem Vater zurück, und Ostern 1769 nach Göttingen, um Theologie zu studieren. Sein Vater bestimmte ihm die gewöhnliche Zeit von drei Jahren, und versorgte ihn hinlänglich. Auch vergaß Hölty seine Bestimmung nicht, sondern lernte mit großer Gewissenhaftigkeit alles, was einem künftigen Prediger nöthig ist. Indeß blieb einem Geiste, wie der seinige war, noch Zeit genug, sich mit Lesung der Alten und Neuen (er las nun auch Italienisch), und mit eigenen Arbeiten zu beschäftigen.
Im dritten Jahre ward er mit Bürger und Miller, und von Ostern 1772 an allmählig mit Voß, Boie, Hahn, der uns zu frühe gestorben ist, mit Leisewiz, Cramer und den Grafen Stolberg bekannt. Er bat seinen Vater, ihn noch in Göttingen zu lassen; und ihm ward vorerst noch ein halbes Jahr bewilligt. Aber Hölty ruhete nicht, bis er ein Stipendium, welches von zwei Damen abhing, im [XII]gleichen einen Freitisch (wofern nicht etwa jenes Stipendium im Freitische bestand), und eine Stelle im philologischen Seminarium, mit der Verpflichtung ein Schulamt anzunehmen, erhielt. Er meldete dieses seinem Vater, und erbot sich, was ihm vielleicht noch fehlen möchte, durch Unterricht zu verdienen. Sein gütiger Vater war mit allem zufrieden.
Wer Hölty zum erstenmal sah, hielt ihn nicht leicht für das, was er war. Stark von Wuchs, niedergebückt, unbehülflich, von trägem Gange, blaß wie der Tod, stumm und unbekümmert um seine Gesellschaft, hatte er so sehr die Miene der Einfalt, daß ein Engelländer, der nicht eben besonders mit Verstande gesegnet war, ihn deßhalb vorzüglich lieb gewann, weil er ihn für ein schickliches Ziel seines unschuldigen Wizes hielt.
Nur in seinen hellblauen Augen schimmerte ein treuherziges, mit etwas Schalkhaftigkeit vermischtes Lächeln, welches sich, wenn er mit Wohlgefallen las, durch eine schöne Gegend ging, oder rücklings unter einem blühenden Baume lag, über sein ganzes Gesicht verbreitete. Dieses behagliche Staunen dauerte [XIII] einige Zeit, und dann pflegte er manchmal mit voller Herzlichkeit auszurufen: Das ist herrlich! Aber gewöhnlicher verschloß er seine Empfindungen in sich selbst; und wenn er sie mittheilte, so geschah es fast immer auf eine besondere Art. Er war mit einigen Freunden bei Hahn, als die Nachricht kam, daß Klopstock durch Göttingen reisen würde. Er hatte sich bisher ganz ruhig, mit dem Butterbrod in der Hand, auf dem Stuhle gewiegt; mit einmal stand er auf, und bewegte sich langsam und stolpernd auf der linken Ferse herum. Was machst du da, Hölty? fragte ihn einer. Ich freue mich! antwortete er lächelnd. Bei kleinen vertraulichen Schmäusen, sonderlich wo Rheinwein blinkte, war er sehr fröhlich. Er lagerte sich auf Rosenblätter, salbte wie Anakreon seinen Bart mit Balsam, und machte so gewaltige Anstalten zum Trinken, als ob aus dem Schlusse seines Rheinweinliedes Ernst werden sollte. Aber dabei blieb es denn auch. Diese Anmerkung ist vielleicht nicht überflüssig, da ein rechtschaffener Geistlicher den Scherz jenes Liedes misverstanden hat, und der scherzhafte Horaz fast von allen seinen Erklärern mehr oder [XIV] weniger misverstanden wird. Wenn uns Fremde besuchten, die er achtete, so ließ er gern seine Gedichte vorlesen. Dann stellte er sich nahe vor den Gast, sah ihm freundlich ins Gesicht, und nahm sein Lob so hin, als wenns ihm gebührte. Nur zweimal hat Voß ihn weinen gesehn. Er sagte ihm einst, wie von ungefähr, daß er des Morgens Blut aushustete. Jener erschrak, und trieb ihn, einen Arzt zu befragen. Er ließ das gut sein. Voß und die übrigen Freunde, die noch in Göttingen waren, wurden dringender: aber Hölty hatte seinen Scherz mit ihnen. Endlich führte ihn Voß mit Gewalt zu Richter. Der Arzt erkundigte sich, und tröstete ihn zwar, aber so, daß ihn Hölty verstand. Als sie zurück gingen, weinte er bitterlich. Das zweitemal war, als er den Tod seines Vaters erfuhr. Er kam mit verstörtem Gesicht auf Vossens Stube; denn sie aßen zusammen. Wie gehts, Hölty? Recht gut, antwortete er lächelnd; aber mein Vater ist todt. Und Thränen stürzten ihm von den bleichen Wangen.
Bei Unbekannten sprach er wenig oder nichts; und selbst unter Freunden, wenn die [XV] Gesellschaft nur etwas zahlreich war, mußte das Gespräch sehr anziehend, oder geradezu an ihn gerichtet sein, ehe er sich darein mischte. Dann sprach er oft lebhaft, schnell und mit erhöhter Stimme, und sein Gesicht ward weniger blaß. Manchmal, wenn er lange wie mit abwesender Seele gesessen hatte, unterbrach er das Gespräch durch einen drollichten Einfall, der desto mehr Lachen erregte, da er ihn mit ganze trockener Stimme und ebhrbarem Gesicht vorbrachte. So wenig er aber um andere sich zu bekümmern schien, so bekannt und geachtet war Hölty bei allen Studierenden der Akademie. Er ward häufig gegrüßt und mit Fingern gezeigt; und selbst rohere sahen ihm nach; er allein hatte das Recht, in Kollegien, wo Verspätete ein Geräusch empfing, sogar gegen das Ende der Stunde ungestört in vernachlässigtem Aufzuge seinen Plaz einzunehmen. Es war, als ob man diesen Geist in dieser Erscheinung als etwas Heiliges betrachtete. Nicht selten geschah es, wenn er nach Tischs mit seinen Freunden auf der Gasse ging, daß ihn jemand anhielt, und zum Kaffe nöthigte. Hölty fragte nach der Wohnung, und war plözlich verschwunden. Aber bald kam [XVI] er wieder daher gewankt, ohne sich merken zu lassen, das er weggewesen war. Er ging nur hin, machte dem Wirt einen Bückling, trank, ohne ein Wort zu sprechen, was ihm eingeschenkt wurde, und ging wieder weg. So hatte er selbst Leisewiz schon oft besucht, bis sie endlich zu einer Unterredung kamen.
Mit diesem Scheine von Gleichgültigkeit verband Hölty eine brennende Neugier. Man konnte ihn, wie Sokrates scherzend von sich sagte, mit einer versprochenen Neuigkeit, wie ein Kalb mit vorgehaltenem Grase, locken wohin man wollte. Er wußte zuerst, was die Messe gutes und böses gebracht hatte, und durchblätterte hohe Stapel aus dem Buchladen; ihm entging keine Recension, worin seiner selbst, oder eines Bekannten, in Ehren oder Unehren gedacht wurde: wiewohl ihm Lob und Tadel, weil beides schon dazumal meist von Unmündigen und Besoldeten ertheilet ward, beinahe gleich viel Freude machte. Ganze Tage, und oft den größten Theil der Nacht, saß er, sich selbst und die ganze Welt vergessend, über dicke Folianten und Quartanten hingebückt, mit so unermüdeter Geduld, daß er sie [XVII] in wenigen Wochen durchlas. Eigentlich naschte sein Geist mehr in den meisten Büchern, als daß er sie zweckmäßig gewählt, und Vorrath für künftige Bedürfnisse eingesammelt hätte. Mit eben dem eisernen Fleiße durcharbeitete er schlechte Oden der Engelländer und Italiener, und hatte seine herzliche Freude darüber, daß sie so schlecht waren. Gute Gedichte schrieb er ganz oder stellenweise ab; auch haben wir unter seinen Papieren Übersezungen aus Tasso und Ariost, und kleiner griechischer Gedichte gefunden, die aber nicht für den Druck bestimmt sind. Da er in den lezten Jahren auch die spanische Sprache lernte, so hatte seine Wißbegierde ein großes Feld vor sich, und sammelte jede Frucht der Erkenntnis, und jede Blume des Vergnügens, welche sie reizte, unverpflanzt und unverkümmert auf ihrem heimischen Boden.
Nie sah man ihn mürrisch oder zerstreut, wenn er, vom Lesen erhizt, überfallen ward; er klappte ruhig sein Buch zu, und war mit ganzer Seele Freund. Eine seiner liebsten Unterhaltungen war, bouts rimés, oder gemeinschaftliche Parodien, Nachahmungen des da [XVIII]mals herschenden Bardengebrülls, und andere dergleichen Schnurren zu machen, wie die petrarkische Bettlerode im Wandsbecker Boten von 1774, und der Gesang des Barden Hölegast im 76ger Musenalmanach. War nun ein solches Ding unter vielem Lachen zusammen geflickt worden, so mochte es regnen oder schneien, Hölty mußte noch den selbigen Abend zu den übrigen, und ihnen die Freude mittheilen. Auch die eigentlichen Versammlungstage duldeten wohl zuweilen dergleichen Belustigung. Die Aufgabe mußte in bestimmter Zeit fertig sein, oder man trug zur Strafe eine gewaltige Tüte als Grenadiermüze auf dem Haupte. Einst fügte es sich, daß ein Göttingisches Wochenblatt, worauf ein verworfener Hymnus von Hölty stand, den Dichter selbst krönen sollte. Dies däuchte ihm doch zu ernsthaft; er ergriff die heillose Müze, und behauptete sie (so stark war er) gegen die vereinigte Gewalt. Manchmal übernahm er auch wohl ein Gelegenheitsgedicht, und Voß half ihm dabei. Sie ließen Rheinwein holen, verabredeten Plan, Ton, Versart, Reime und Gleichnisse; und dann ging es Schlag auf Schlag auf das Wohlsein des künftigen Ehe [XIX]paars. Einmal waren die vorgeschriebenen Reime: Abend, labend, Herbst, verfärbst; natürlich ward in der Ausarbeitung die Braut mit einem labenden Frühlingsabend, und mit dem fruchtreichen Herbste verglichen, und verfärbte sich darüber. Das Stück ward abgeschickt und vergessen. Nach einigen Tagen kam Hölty zu Voß, und konnte vor Lachen kaum heraus bringen, welch ein Unstern über die harmlose Arbeit gewaltet hätte. Der ungenannte Verehrer des jungen Brautpaars hieß Monsieur Herbst, und verlangte das miszudeutende Gleichnis weg, oder ein anderes Karmen. Seitdem ließ Hölty sich alle Umstände und den Ton bestimmen. Bei der Vermählung eines Dorfpredigers ward etwas Fließendes verlangt; und es floss nach Wunsche durch alle Ehestandsfreuden bis zum seligen Abschiede, ungefähr so:
Dann geht Papa mitsamt Mama
Zum ewigen Halleluja.
Durch Kästner, Höltys Freund, kam die Bestellung eines schwülstigen, aber dabei verständlichen Hochzeitsgedichts. Meister und Gesell thaten ihr möglichstes in Hexametern und Tetrametern mit einer Vorsilbe, nach der da [XX]maligen Prosodie. Am Versammlungstage trat ein Ankläger auf, sie hätten ihren Rheinwein mit Sünden verdient. Sie rechtfertigten sich durch eine genaue Berechnung der olympischen Seltenheiten der gefischten Perlen, der Tage mit Sonnenscheine gestickt, und des prächtigen Donnerwetters zum Beschluß; man fand Zuthat und Arbeit nach Billigkeit geschäzt, und schlug die Anklage nieder.
Dienstfertiger und gefälliger kann man nicht sein, als Hölty war. Er schlug keine Bitte ab, wenn man sie gleich unwissend auf Kosten seiner Ruhe that. Keine unserer Zusammenkünfte, keinen Spaziergang ins Feld, lehnte er auch nur durch eine bedenkliche Miene ab; und oft erfuhren wir nachher, daß er nothwendige Geschäfte zurückgesezt, und die Nacht durch gearbeitet hatte. Er hätte, wie Miller sagt, Folianten für seine Freunde excerpirt. Miller lernte von ihm Englisch, Hahn Griechisch, und Voß Englisch und Italienisch. Dagegen war Miller der Anführer zu der Sprache der Minnesinger, die er meist aus der Mundart des schwäbischen Landvolkes zu deuten wußte.
[XXI] Im Herbste 1773 fing er an, Fremde für Geld zu unterrichten, und im folgenden Sommer aus dem Englischen zu übersezen, wobei Voß anfangs sein Gehülfe war. »Um meinem Vater,« schrieb er im April 1774, »eine Erleichterung zu verschaffen, fiel ich darauf, mir durch Unterricht im Griechischen und Englischen etwas zu verdienen. Ich gab täglich fünf Stunden. Aber nicht einmal von der Hälfte bin ich bezahlt; die andern sind weggereist, oder machen keine Miene zu bezahlen. Ich bin in Schulden gerathen, und muß wieder zu meinem Vater meine Zuflucht nehmen.« Sein Auszug aus dem Kenner verdiente mehr gelesen zu werden, als ers unter einem Volke kann, welches von jeder Messe einen so unseligen Überfluß geistloser Sudeleien verschlingt, und seine guten Schriften nicht kennt. Diesem folgten Hurds Dialogen, und der erste Theil von Shaftsbury. Miller irrt, daß Voß die folgenden Theile übersezt habe; er hat nur am Anfange des ersten Theiles seine Kräfte versucht.
Einige Stellen mehr aus jenem Briefe werden unseren Freund lebhafter darstellen, als [XII] es eine todte Beschreibung vermag. »Noch bin ich hier. Wer weiß, wie lange die Trennung dauren wird, wenn ich einmal von meinen Freunden getrennt bin. Ich will so lange bei ihnen bleiben, als es mir nur immer möglich ist. Meine Hauptbeschäftigung soll die Lesung der Griechen und die Poesie sein. Welch ein süßer Gedanke ist die Unsterblichkeit! Wer duldete nicht mit Freuden alle Mühseligkeiten des Lebens, wenn sie der Lohn ist! Es ist eine Entzückung, welcher nichts gleicht, auf eine Reihe künftiger Menschen hinaus zu blicken, welche uns lieben, sich in unsere Tage zurückwünschen, von uns zur Tugend, entflammt werden … Einige Jahre möchte ich in einer großen Stadt zubringen, und in allerlei Gesellschaften kommen, um die Menschen sorgfältig zu studieren. Ich fühle, daß mir dieses nothwendig ist, wenn ich in der Dichtkunst mein Glück machen will. Ich habe meine Jahre unter Büchern zugebracht … Wenn ich keine Geschwister hätte, die nach meines Vaters Tode meiner Unterstüzung bedürfen, so wollte ich mich ganz und gar um kein Amt bekümmern, sondern mich vom Übersezen nähren, und bald in der Stadt, bald [XXIII] auf dem Lande leben. In der Stadt wollte ich Menschenkenntnis sammeln, auf dem Lande Gedichte machen. Mein Hang zum Landleben ist so groß, daß ich es schwerlich übers Herz bringen würde, alle meine Tage in der Stadt zu verleben. Wenn ich an das Land denke, so klopft mir das Herz. Eine Hütte, ein Wald daran, eine Wiese mit einer Silberquelle, und ein Weib in meine Hütte, ist alles, was ich auf diesem Erdboden wünsche. Freunde brauche ich nicht mehr zu wünschen, diese habe ich schon. Ihre Freundschaft wird meine trüben Stunden aufheitern, meine frohen noch froher machen. Ich werde ihre Briefe und Werke an meiner Quelle, in meinem Walde lesen, und mich der seligen Tage erinnern, da ich ihres Umgange genoß … Ich soll mehr Balladen machen? Vielleicht mache ich einige, es werden aber sehr wenige sein. Mir kommt ein Balladensänger wie ein Harlekin, oder ein Mensch mit einem Raritätenkasten vor. Den größten Hang habe ich zur ländlichen Poesie, und zu süßen melancholischen Schwärmereien in Gedichten. An diesen nimt mein Herz den meisten Antheil. Ich will alle meins Kräfte aufbieten. Ich will kein [XXIV] Dichter sein, wenn ich kein großer Dichter werden kann. Wenn ich nichts hervorbringen kann, was die Unsterblichkeit an der Stirne trägt, was mit den Werken meiner Freunde in gleichem Paare geht, so soll keine Silbe von mir gedruckt werden. Ein mittelmäßiger Dichter ist ein Unding!«
Aus einem anderen Briefe vom 13 December 1773. »Eben komme ich aus der Versammlung unserer Freunde. Ich danke dem Himmel, daß er uns zusammengeführt hat, und werde ihm danken, so lange Odem in mir ist. Heilige Freundschaft, wie sehr hast du mich beseligt! Ich kannte keinen, konnte keinem mein Herz ausschütten; du führtest mir edle Seelen zu, die mir so viele süße Stunden gemacht haben, und mir auch künftig alle Bitterkeiten des Lebens versüßen werden … Laura ist in der Stadt geboren und erzogen. Sie ist die schönste Person, die ich gesehen habe; ich habe mir kein Ideal liebenswürdiger bilden können; sie hat eine majestätische Länge, und den vortreflichsten Wuchs, ein ovalrundes Gesicht, blonde Haare, große blaue Augen, ein blühendes Kolorit, und Grazie und Anmut in [XXV] allen ihren Mienen und Stellungen. Nie habe ich ein Frauenzimmer mit mehr Anstand tanzen sehen; und das Herz hat mir vor Wonne gezittert, wenn ich sie ein deutsches oder welsches (sie versteht Italienisch und Französisch) Lied singen hörte. Sie fand ein großes Vergnügen an Kleists und Geßners Schriften; ob sie Klopstock liest, weiß ich nicht. Als ich sie kennen lernte, war sie bei ihrer Schwester, die in meinem Geburtsorte verheiratet war, und im December 1768 starb. Es war ein schöner Maiabend, die Nachtigallen begannen zu schlagen, und die Abenddämmerung anzubrechen. Sie ging durch einen Gang blühender Apfelbäume, und war in die Farbe der Unschuld gekleidet. Rothe Bänder spielten an ihrem schönen Busen, und oft zitterte ein Abendsonnenblick durch die Blüten, und röthete ihr weißes Gewand und ihren schönen Busen. Was Wunder, daß so viele Reize einen tiefen Eindruck auf mich machten, den keine Entfernung auslöschen konnte. Einen Bogen würde ich anfüllen müssen, wenn ich alle verliebten Fantasien und Thorheiten erzählen wollte, worauf ich verfiel. Nach einem Jahre kehrte sie wieder in die Stadt zurück. [XXVI] Man kann in einem Jahre manchen Göttertraum haben, manches Liebesgedicht machen. An beiden fehlte es nicht … Zweimal habe ich sie nach ihrer Verheiratung gesehen … Als ich meine Eltern im vorigen Herbste besuchte, hörte ich, daß sie krank sei, und daß man ihr kein langes Leben zutraute … Es ist Sünde, sie ferner zu lieben. Meine Liebe ist auch so ziemlich verloschen; nur eine süße Erinnerung, und ein süßes Herzklopfen, wenn mir ihr Bild vor Augen kommt, sind davon übrig. Doch habe ich oft noch den brennendsten Wunsch, sie einmal wieder zu sehen. Ob sie Gegenliebe für mich gehabt hat? Ich habe ihr niemals meine Liebe merken lassen, noch merken lassen können. Wie konnte ein Jüngling, der noch auf keiner Universität gewesen war, um dessen Kinn noch zweideutige Wolle hing, Liebeserklärungen thun, und auf Gegenliebe Rechnung machen? Genug von Herzensangelegenheiten. Ich schäme mich fürwahr, diesen Brief geschrieben zu haben; doch es sei, litterae non erubescunt.
Was hier und im Folgenden von den Verhältnissen der Göttinger Freunde gesagt wird, [XXVII] bedarf einer umständlicheren Erläuterung. Hölty hatte seit 1769 durch viele in Sammlungen und einzeln gedruckte Gedichte, unter anderen durch ein langes in Folio auf Münchhausens Tod, den Ruf eines geistreichen Jünglings erlangt. Schon frühe hatte ihn Kästner nicht nur in die deutsche Gesellschaft aufgenommen, sondern seines vertrauteren Umganges gewürdigt; in dem Nachlasse ist ein Buch älterer Gedichte, welches Verbesserungen und Urtheile von Kästner enthält. Sogar hatte Murray ihn einst auf seinen Katheder geführt, um ein blühendes Gedicht vorzulesen. Ungefähr im Jahr 1771 kam er in Bekanntschaft mit Bürger, dem noch ungenannten Verfasser einiger Stücke im Musenalmanach, der bald darauf Justizbeamter in der Nähe ward, und mit Miller, von welchem ein paar herzvolle Lieder in der Handschrift umgingen. Als im Frühling 1772 Voß durch Boie, den Herausgeber des Musenalmanachs, aus der mecklenburgischen Dunkelheit nach Göttingen gebracht worden war, ließ ihn Hölty durch einen Freund zu sich in Millers Gesellschaft einladen. Er fand zwei Wohlgekleidete von fremder Mundart, und einen [XXVIII] Stummen in zerrissenem Gewande, der Kaffe einschenkte, und Höltys nicht sehr würdiger Hausknecht zu sein schien. Nach einiger Zeit wünschte der Freund, daß Voß die neue Ballade hören möchte; und siehe, der Hausknecht ward Hölty, und las mit verklärtem Auge Leander und Ismene vor. Die beiden anderen waren Miller und sein Vetter. Dies war der Anfang einer engeren Verbindung, an welche Boie und Friederich Hahn, ein Zweibrücker von edlem, aber trübsinnigem Geiste, sich anschlossen.
An einem heiteren Herbstabend, da die jüngeren Freunde auf dem Felde in heißem Gespräch einer schönen Eiche genaht waren, wurden sie plözlich wie begeistert, sich dem Vaterlande in einem feierlichen Bunde zu weihn. Boie, von Voß aufgefodert (Od. I, 4.), trat als älterer Rathgeber bei; bald auch die neu angekommenen Grafen Stolberg, Christian und Friederich Leopold. Sie versammelten sich von nun an alle Sonnabende, sprachen über Wissenschaft und Kunst, übten sich im Vorlesen, und beurtheilten ihre Arbeiten, wovon die gebilligten in ein Buch [XXIX] zusammengeschrieben wurden. Durch gleiche Gesinnungen ohne Mitarbeit gehörten dem Bunde an, der jüngere Miller aus Um, der Göttinger Wehrs, der Angler Esmarch, und Clauswitz, der Hofmeister der Grafen Stolberg, und zulezt Hahns Freund, der Zweibrücker von Closen, der in Göttingen starb. Auch Vossens ältester Freund, der Landprediger Brückner, nahm Theil durch rathgebenden Briefwechsel. Selbst Klopstock, dem 1773 eine Auswahl der Gedichte durch die Grafen Stolberg gesandt ward, urtheilte gütig, und wollte ein Mitglied des Bundes sein. Im Sommer ward Cramer durch die Stolberge eingeführt, und im Frühling 1774 Leisewiz durch Hölty. Bürger war Freund, nicht Bundesgenoß; er besuchte zuweilen die Gesellschaft, und sandte seine Gedichte, die Lenore strofenweise, zur Beurtheilung. In seiner komischen Laune erließ er einmal ein stolzes Schreiben, als Adler des Gesanges an das kleinere Gevögel; worauf ein Beschluß des Hainbundes erkannte, daß der Hühneraar, der Adler zu sein sich anmaßte, an einen Wipfel geschnürt, flattern sollte, bis der Mond aufginge. Zuweilen, besuchten ihn [XXX] auch die Freunde, mehrere zugleich und einzelne; am häufigsten Cramer, den damals der Klang des Bürgerschen Verses anzog. Gegen die jambische Umdeutschung erklärte sich der Bund; und Voß, der Bürgern bei einem Besuch an der Beschreibung des Priamischen Pallastes half, machte ihn auf die Unfügsamkeit der Jamben, und wie leicht sie im Hexameter zu besiegen sein, umsonst aufmerksam. Als die älteren Bundesfreunde aus einander gingen, gesellten sich zu den Nachbleibenden noch Overbeck, dann Sprickmann.
Niemand erwartete, daß eine stille Beschäftigung mit Musenkünsten auch nur würde bemerkt, geschweige auf einem Musensize gemisbilligt werden. Aber der Ruhm einzelner Gedichte zu einer Zeit, da viele Tonarten noch neu waren; Entfernung von gewöhnlichem Studentenverkehr; eine Verbindung, die nicht Landsmannschaft, nicht akademischer Orden war; mehr häuslicher als öffentlicher Fleiß; Umgang mit Grafen, die Griechisch lernten, und Oden dichteten; endlich Klopstocks doppelter Besuch, der auf der Reise nach Karlsruh und zurück einige Tage dem [XXXI] Bunde allein schenkte: alles dies erweckte Misfallen, und füllte die hundert Ohren und Zungen des Gerüchts. Lehrer einer Akademie, deren erste Pflegerin Hallers Muse gewesen war, sogar solche, denen Dichtererklärung oblag, erlaubten sich Spott gegen Dichter und Musenbeschäftigungen. Man warnte öffentlich vor den unnüzen und brotlosen Spielen der Fantasie; man stichelte auf schöne Geister, auf Empfindsamkeit und nichtige Ruhmsucht; man beklagte die belletristische Ungründlichkeit, in welche man beiläufig auch Winkelmann und Lessing hineinwinkte; man bemühte sich, durch Scherzreden die anwesenden Mitglieder der unbegünstigten Gesellschaft den Blicken und dem Gelächter der Versammlung zu bezeichnen. Einmal war Voß im Begrif, aufzustehn, und den gemishandelten Hölty zu vertheidigen; er hielt sich, weil schon die ruhige Unschuld des Ehrwürdigen ein allgemeines Murmeln des Unwillens erregt hatte. Andere, die um einen gastfreien Bruder sich versammelten, Lehrer und Lernende, erfanden beim Wein eine Bardengesellschaft, die mit den Bardenschülern, an die Hunderte stark, auf die benachbarten Ber [XXXII]ge auszöge, in Thierhäute vermummt um Mitternacht opferte, Wodan und Klopstock anriefe, Bildnisse verbrennte, und keinen Wein, aber gewaltig viel Bier tränke. Dies Mährchen schwazte sich herum, und ward vielfältig ausgeschmückt. Denina in der Literatur der Preußischen Monarchie verlegt die Feierlichkeit in die Nähe des Blocksbergs; auf dem Stolbergischen Schlosse zu Wernigerode, meldet er, sei ein großer Saal, wo die Barden Deutschlands unter dem Ältesten Gleim, um einen Tisch, dessen Ehrensiz für Klopstocks Geist ledig gelassen werde, bei Bier und Toback ein jähriges Fest begehn. Gleim zeigte dies Vossen, und fragte, wie der verruchte Italiener zu der Lüge gekommen sei.
Eine abentheuerliche Erdichtung aus einem Stoffe, der, so unbedeutend er ist, jezo erzählt werden muss. Die Jünglinge des Bundes hielten die Versammlung an heiteren Tagen gern in entlegenen Dörfern: bald bei einem treuherzigen Gastwirte, wo ihnen zutraulich die Landjugend manchmal ein neues Stückchen, z. B. Millers: Schon locket der Mai mit Bachs Melodie, ablernte; bald [XXXIII] in einer reinlichen Bauernstube, oder, was Hölty liebte, auf dem Rasen eines blühenden Baumgartens bei fetter Milch. Auch wanderten sie wohl sonst, wenn grade nichts wichtiges versäumt wurde, die umliegenden Berge mit Ruinen und andere schöne Gegenden zu besehen. Ein paarmal geschah es, daß einige sich das Wort gaben, in einer Mondnacht auf dem Lande zu bleiben ( campieren war der Kunstausdruck), und jeder ein Gedicht zu machen. Durch solche Abrede entstanden in Scharfs Garten zugleich Höltys Gedicht an Dafne's Kanarienvogel, Vossens an André, und Hahns Erinnerung: Brich, o Mond, dein Gewölk. Die ersten hatten, nach bezahltem Gelübde, sich in den Kleidern zur Ruhe gelegt, und athmeten süßen Schlummer; als Hahn mit Licht und Papier sie aufrüttelte, und zu lesen anfing. Ein unauslöschliches Lachen hinderte sie lange, in die wehmütige Mondempfindung hineinzugehn. Dies war eines von den nächtlichen Wodansopfern; aber ein rauchloses, und ohne Anrufung Klopstocks. Auch zu dem Fehlenden ward Anstalt. Im Sommer 1773 feierte man Klopstocks Geburtstag. Alle, [XXXIV] selbst unser Hölty, in Feierkleidern, sezten sich des Nachmittags auf Hahns Zimmer um einen Tisch, der mit Flaschen voll Rheinweins blinkte; am oberen Ende stand ein Lehnstuhl, worauf Klopstocks Werke lagen; aus den Oden ward vorgelesen. Vater Klopstock und Vater Rhein machten die Unterhaltung warm; man schwebte in Höhen der Begeisterung; man blickte mit edlem Unwillen auf den Leichtsinn, der damals Ernst und Gefühl für Großes hinwegtändelte. Der verständige Boie suchte Entschuldigung; man ward heftiger. Einer trug die komischen Erzählungen herbei. Verbrannt! rief es umher; und sogleich loderte die Flamme auf. Hier auch, rief ein anderer, das Frazengesicht aus dem Taschenbuch! Ein Jubel entstand, da dreimal das arme Bild von der Hize wieder auffuhr. Der plözliche Vorfall, der nichts als jugendlicher Mutwille gegen den Miskenner des Desipere in loco war, endigte damit, daß Boie lächelnd die Unbändigkeit verwies. Durch unvorsichtige Mittheilung, man weiß nicht von wem, entspann sich der sinnreiche Bardenmythos, woran die gelehrten Herren den Wiz übten; indeß die Jüng [XXXV]linge dem damals lermenden Bardengetön durch Spottgedichte entgegenstrebten.
Weit entfernt aber, daß alle Göttingischen Lehrer den kleinen Krieg gegen die schönen Geister geliebt hätten. Viele in ihrem Fach ehrwürdige Männer achteten wohl wenig auf dergleichen Tand; manche auch, wie D. Miller, Feder, Gatterer und andere, fuhren fort aufrichtige Gewogenheit zu äußern. Kästner ließ durch Boie und Hölty, die seine Einsamkeit besuchten, die Freunde zum Beitritt in die deutsche Gesellschaft wiederholt einladen; ihre Entschuldigung, und selbst Höltys Wegbleiben, nahm er mit Nachsicht auf. Er versorgte den Saumseligen eben so willfährig mit Bücherladungen aus der öffentlichen Bibliothek und der seinigen; und so reizbar er für das Lächerliche war, gegen die verlachten Jünglinge entfuhr ihm kein unmildes Wort. Vielmehr, als des verstorbenen Höltys Belesenheit getadelt zu werden schien, vertheidigte er seinen Freund mit einem scharfen Epigramm:
Mehr, als ein Dichter lesen soll,
Las Hölty; und sein Lied war von Gelesnem voll:
[XXXVI]
Ein Bisschen Wiz liest Versmann, und nicht mehr;
Darum ist auch sein Lied so leer.
Dank Dir, Edler, und euch übrigen, denen frühzeitiges Trachten nach daurendem Verdienste, wie sehr auch weltkluger Hohn es zu entstellen suchte, der Achtung nicht unwürdig schien. Ihr seid nicht schuldig daran, daß in den Göttingischen Anzeigen, die vorzüglich einheimische Werke bekannt machen, von Höltys unsterblichen Gedichten, dem Stolze des Hannövrischen Vaterlandes, geschwiegen ward.
Ein ernsthafteres Gerücht, welchem Voß vor zwanzig Jahren, im Deutschen Museum 1783 (Apr. S. 343-346), und vor der ersten Ausgabe dieser Gedicht (S. XXIV), bestimmt und umständlich widersprach, wird noch immer, ohne Beantwortung des Widerspruchs und ohne Beweis, fortgezischelt. Hölty und Voß sollen eines bekannten Mannes Schüler, im engsten Sinne des Worts, gewesen sein, und von ihm, dem Lehrer und väterlichen Freunde, unverdankte Wohlthaten genossen haben: nämlich beide zugleich, freie Kolle [XXXVII]gien, Aufnahme in das Seminar und an den akademischen Freitisch; Hölty besonders, gewisse heimliche Hülfsmittel. Der Mann der diese vorgeworfenen Lehren und Wohlthaten theils durch Stillschweigen, theils durch unbestimmte Klagen über Undank, bekräftiget hat, lebt noch mit dem einen der Gekränkten. Er rede laut und bestimmt und mit nicht schonendem Beweise, welche Kenntnisse, welche Wohlthaten, und welchen Undank er vorwerfen könne; oder, was alles wieder gut machen würde, er ermanne sich, bevor die lezte Sonne ihm untergeht, zu dem edlen Geständnisse des Unrechts.
Michaelis 1774 ging Miller nach Leipzig, und Hölty begleitete ihn dahin. Folgendes aus seiner Reisebeschreibung. »Von Nordheim bis Rosla, wo ein Graf Stolberg wohnt, fuhren wir auf offenem Wagen, und hatten einen heitern gestirnten Himmel über uns. Zu Rosla wurden wir in die sogenannte gelbe Kutsche gepackt. Dies ist eine mit gelbem Tuche behangene Landkutsche, worin acht Reisende sizen können, zwei vorn zwei hinten, und vier auf den beiden Seiten. Ich [XXXVIII] wählte mir der Aussicht wegen eine von den Seitenlogen, und guckte wie aus einem Fenster in die schöne große Welt hinaus. Wir kamen durch Eisleben, wo Luther geboren ist, konnten aber, weil es Mitternacht war, weder die Stadt noch Luthers Geburtshaus besehen. Hier bekamen wir an einem Officier einen lustigen Reisegefährten. Wir aßen zu Mittage mit ihm in Merseburg, und tranken gewaltig viel Merseburger. Klopstock nennt es den König unter den Bieren. Es ist das wahre Einherium Ol. Ich glaube steif und fest, daß Wodan mit seinen Leuten in Walhalla Merseburger trinkt. Wir tranken des Göttersafts so viel, daß unsere Gesichter so feuerroth wurden, als Uzens, da er zur Gottheit aufflog. Zwischen Merseburg und Leipzig tranken wir Kaffe in einer Schenke, vor deren Thüren ein Faeton mit zwei lieblichen Mädchen hielt. Die eine war vorzüglich schön, und gefiel mir höchlich. Ich stellte mich dicht an die Thüre, als sie abstieg und wieder einstieg, und verschlang ihre Reize. Sie kam einmal so nahe bei mir vorbei, daß mich ihr schöner Arm ein wenig berührte. Betrübt sah ich sie wegfahren. Ich freute mich, [XXXIX] daß mein Herz noch fühlen konnte. Welch ein Himmel ist die Liebe! Der ist ein Engel, der in diesem Himmel wohnen kann, der ein Verdammter, der nie einen Plaz darin bekommt. Troz meiner strupfichten Locken hätte sie mich vielleicht angelächelt, wenn sie gewußt hätte, daß der berühmte Traumbilderdichter Höltys Freunde scherzten zuweilen über die Traumbilder, die er besang; und der Gutmütige wiederholte den Scherz. vor ihr stände.« – Man zeigt nahe bei Halle einen einsamen Felsensiz an der Saale, unter dem Namen Höltysbank; aber Hölty hat weder auf jener Reise, noch sonst, Halle besucht. Der erste Benenner dachte wohl nur, einen solchen Siz könnte der gefühlvolle Dichter geliebt haben.
Spät im Herbste 1774 fing Hölty an, des Morgens Blut auszuwerfen, welches er für die unschädliche Folge eines im ersten akademischen Jahre gehabten hartnäckigen Hustens, und lange zurück gebliebenen Stiches hielt. Im Anfange des Mais 1775, wenige Wochen nach dem Tode seines Vaters, ging er von Göttingen über Hannover nach Mariensee zu [XL]rück, wo er seine Kur unter Zimmermanns Anleitung fortsezte. Den 8ten Mai schrieb er an Voß nach Wandsbeck: »Vielleicht, hat Zimmermann Leisewizen gesagt, könnte ich noch von der Schwindsucht gerettet werden, wenn ich die verordneten Arzeneien gebrauchte, und die vorgeschriebene Diät befolgte. Du siehst also, wie gefährlich meine Krankheit ist, und auf welch einem schmalen Scheidewege zwischen Leben und Tod ich wandle. So wenig ich mich auch vor dem Tods fürchte, so gern lebte ich doch noch ein paar Olympiaden, um mit euch Freunden mich des Lebens zu freuen, und um nicht unerhöht mit der großen Flut hinunter zu fließen. Doch Gottes Wille geschehe! Sonst lebe ich hier ganz angenehm. Mariensee hat eine dichterische angenehme Lage. Ringsum sind Gehölze und Kornfelder und Wiesen. Aber was hilft mir die schöne Gegend, da ich sie mit keinem Freunde durchirren kann! Ich versichere dich, ich bin herzlich traurig, wenn ich an die Bundestage in Göttingen denke, und mich nach Freunden umsehe, und keinen finde. Bis Michaelis muß ich hier bleiben. Da ist keine Errettung! Ich muß nun erst die Kur brau [XLI]chen, und meiner Gesundheit warten. Es wird ein Glück sein, wenn ich so viel Geld zusammenscharre, daß ich Michaelis nach Wandsbeck ziehen kann Er wollte es schon Ostern, und gab mir einen Theil seiner Bücher mit. Im Julius besuchte er mich auf acht Tage, und seine Gesundheit schien sich zu bessern. Michaelis mußte ich ihm schon eine Stube in meiner Wohnung mieten. Aber die Vorsehung versagte uns beiden das Glück, wieder vereiniget zu werden.. Vielleicht besuche ich dich gegen Ende des Mais auf einige Tage, wenn meine Gesundheit sich bessert. Wie lange bleibt Klopstock? Ist Miller noch da? Ich lechze recht nach Nachrichten von dir. Er wäre Sünde, wenn du mich lange in meiner Einsiedelei ließest, ohne an mich zu schreiben. O wer nur einen Tag in dem schönen Hamburg wäre! Eya wären wir da, eya wären wir da! Schick mir doch meine Gedichte, wovon du glaubst, daß sie einiger Änderungen bedürfen, und melde mir die Verbesserungen, die dir etwan einfallen. Grüß Klopstock, und Claudius, und Bode, und alle Freunde und Freundinnen des Bardengesangs. Ein Exemplar von Asmo omnia [XLII] sua secum portante würde mir auch willkommen sein. Auch wünscht' ich eine Abschrift vom Liede des gnädigen Fräuleins zu haben. Leb wohl! Ich harre deinem Briefe sehnlich entgegen.« – Wieder am 11 Mai gab Hölty Nachricht von seiner Krankheit und Hofnung: »Ich habe ein sehnliches Verlangen, etwas von dir zu hören. Schreib doch an mich, Voß; schreib doch an mich, Miller, wenn du noch da bist. Von deiner Wirtschaft, von den Almanachsaussichten, von Klopstock, von tausend anderen Dingen, möchte ich Nachricht haben. … Wenn ich einige Besserung verspüre, will ich auch den Musengaul wieder satteln. Ich schicke dir nächtens ein Paar Trinklieder, die ich noch in Göttingen gemacht habe. Hast du die Komödie schon genossen? Sind die Barden in Hamburg auch verrufen? Hast du hübsche Traumbilder gesehn, und Geldbeutel ersungen? Die Hamburger wallfahrten wohl schon stark nach Sankt Wandsbeck! O ihr müßt goldene Tage haben! Bald hoffe ich dich zu sehen! Leb wohl!«
Die einmal aufgeschlagenen Briefs fesseln das Herz; man glaubt des abgeschiedenen [XLIII] Freundes bekannte Stimme aus der Ferne zu vernehmen. Gewiß sind gleich empfindende, jezt und in der Zukunft, die gerne mithorchen werden. Am 25 Mai meldete er, daß sich seine Gesundheit seit 14 Tagen, gebessert habe; er könne wieder aus freier Brust Athem holen, ohne Schmerz zu empfinden. »Daß sich * * verliebt hat, ist mir herzlich lieb. Es wird mir immer so wohl ums Herz, wenn ich höre, daß einer von meinen Freunden ein hübsches Mädel liebgewinnt. Ich möchte gern alle im Himmel der Liebe wissen, in welchem mir weiland, auf kurze Zeit einer von den goldenen Stühlen gereicht wurde. Aber man verbannte mich, und Wolken bedeckten den goldenen Stuhl. Nun schwanke ich an der Schwelle herum, und die Thür wird mir zugehalten. Von der Engelländerin, die * * liebt, und von der ganzen Liebesgeschichte wünschte ich ausführliche Nachricht zu haben. Wende einmal eine halbe Stunde daran, wenn du mir einen Gefallen thun willst. Hast du das Mädchen gesehn? Schön und liebenswürdig ist sie gewiß. Was sind ihre Eltern? Hat * * einen förmlichen Heiratsantrag gethan? Hat er gar kei [XLIV]ne Proben von der Gegenliebe des Mädchens?Wie ist er mit ihr bekannt geworden? … Ans Übersezen habe ich hier noch gar nicht gedacht. Es muß aber bald wieder angehn, wenn ich einen Zehrpfennig für die Hamburger Reise verdienen will. Der schöne Mai ist so weggeschlüpft. Ich schlenderte den ganzen Morgen in Garten; oder im nahen Walde herum; oder lag im Grase, und las den Messias, oder im Shakespear. Die Verse wollten mir nicht fließen, so oft ichs auch darauf ansezte. Die Schuld lag theils an der neuen Stelle, theils am Kopfweh. Jezt will ich alle Segel aufspannen; und du kannst auf viele Beiträge Rechnung machen. Du bekommst von mir, wenn das Glück gut ist, einige Oden und Lieder, eine schreckliche und eine süße Ballade, eine Phantasie über den Zustand der menschlichen Seelen vor ihrer Geburt, und vielleicht eine Elegie. Ich will auch noch einige alte Stücke zusammensuchen. Ich werde hier fleißig von meinen Lesern und Bewunderern zu Gaste geladen, und bin fast alle Nachmittage in Gesellschaft. Sie bewundern mich, weil mein Name bisweilen in der Zeitung gestanden hat. Von [XLV] der Güte der Stücke kann kein Mensch urtheilen. Ich glaube nicht einmal, daß alle deine Subscriptionsanzeige verstanden haben. Der Beweis folget. Es erzählte mir vor ein paar Tagen jemand, ich sei im Hamburgischen Correspondenten gelobt, und es sei darin angezeigt, daß meine Stücke künftig mit T unterzeichnet sein sollten. Ich glaube, Prometheus that etwas Unartiges in den Thon, woraus er das Gehirn der meisten Menschen zu sammenknätete.… Grüße Claudium et Claudiam mit einem Bardengrussee, und alle Männlein und Fräulein, die mir hold sind. Ich wünsche, so sehr ich zu wünschen vermag, daß Gott dich stärken, und deiner Geliebten und deinen Freunden erhalten wolle. Lebe wohl, und schreibe mir oft, wenn du eine halbe Stunde übrig hast.«
Am 12. Junius schrieb er aus Mariensee: »Ich schicke dir wieder zwei Stücke. Beide sind im lieblichen Mai, unter blühenden Bäumen und Nachtigallen gesungen; und ich würde mich freuen, wenn etwas von der Maienanmut in ihnen athmete, die von allen Seiten auf mich zuströmte, als ich sie sang. [XLVI] Drei Bogen kann ich dir liefern, wenn du so viel von mir brauchst. Sonst will ich andern den Plaz nicht beschränken. Ich wünschte, daß du mir alle Stücke, die du von mir hast, zuschicktest, und mir die Stellen bezeichnetest, die der Feile oder des Ansehens bedürfen. Es fehlt mir nicht an, Zeit, dies beliebte Werkzeug zu gebrauchen, und ich möchte meinen Kindern gern die Höcker wegraspeln, ehe sie in die Welt gehn. Änderungen von dir und Claudius will ich mit vielem Dank annehmen.« – Und am 21. August: »Du bekommst hiebei drei Gedichte, die vergangene Woche geschmiedet sind, und verschiedene Änderungen eines alten Stücks. Mache beliebigen Gebrauch davon. Dem auf die künftige Geliebte gebe ich den Vorzug. Du kannst ihm vielleicht noch einige Fehler ab, und einige Schönheiten anfeilen.… Wir haben jezt die angenehme Heuernte, die Wiesen duften von Heuduft, und wimmeln von Arbeitern. Ich liege oft in der Dämmrung auf einem Heuschober, und hänge meinen Phantasien nach, bis der silberne Mond am Himmel hervorgeht, und mich angenehm überrascht.« – Wieder am 10 October aus [XLVII] Zelle: »Schreibe mir mit der allerersten Post, ob du diesen Winter in Wandsbeck bleibst, oder an welchem andern Orte du dein Quartier aufschlagen wirst. Ich tappe im Finstern herum, und weiß nicht, wo ich dich finden soll; ich weiß nicht, ob du schon in Mecklenburg hausest, oder ob du dich in Flensburg am Ufer des Weltmeers verweilest, oder in welchem Winkel der Erde du dich verborgen hast. Wenn du in Wandsbeck bleibst, so komme ich auch dahin; wenn du nach Mecklenburg gehst, so folge ich dir entweder, oder beziehe eine Stube in Wandsbeck, oder wähle Hannover zu meinem Aufenthalte. Den schönen Mai denke ich, es sei wo es sei, auf dem Lande zuzubringen. Entweder in Mariensee, oder bei Brücknern. Der Frühling ist auf dem Lande so schön, dem Sterblichen blühn ihrer so wenige, daß ich keinen hinter den Mauren der Stadt vertrauren möchte.«
Im Herbste 1775 ging Hölty nach Hannover, um dort unter Zimmermanns Aufsicht eine kleine Nachkur; wie er schrieb, zu brauchen, und dann nach Wandsbeck zu kommen. Seine Hofnung stieg und sank; aber [XLVIII] er blieb heiter, und scherzte über sich selbst. »Wenn du noch Raum hast,« schrieb er den 14 Mai 1776 an Voß, »mit den Beitragen zum 77ger Almanach: so will ich dir noch einige längere Gedichte mittheilen, die mir theils noch im Kopfe liegen, theils schon heraus sind. Seit langer lieber Zeit habe ich gar nichts gemacht. Es sind hier magre unpoetische Zeiten, so mager, wie die magern Kühe des Pharao, oder wie ich jezt selber bin. Die Vormittagsstunden muß ich dem Übersezen aufopfern: nach Tische kriege ich immer Kopfweh und Hize im Gesicht, und bin bis gegen fünf Uhr zu nichts aufgelegt. Ich komme selten von der Stube, und sehe fast keinen Sterblichen… Ich habe große Lust zu der vorgeschlagenen Reise nach Lübeck, um einmal wieder vernünftige Menschen zu sehn. Es wäre mir am liebsten, wenn es Johannis geschähe. Alsdann hin ich mit meinen Übersezungsarbeiten fertig, und kann einige Wochen in aller Ruhe bei dir bleiben. Ich bin ungemein begierig, dich einmal wieder zu sehen. Der hiesige Aufenthalt ist mir höchst unangenehm; ich muß bald an einen andern Ort, oder ich verschimmele. Miller hat ja [XLIX] viel Romane geschrieben. Schreib mir bald. Ich schreibe dir künftig gewiß oft.« – Armer Freund, es war dein lezter Brief an ihn, der deiner mit Sehnsucht wartete. Unser Hölty starb zu Hannover den 1sten September 1776.
Dies war das Leben des Jünglings, dessen Geist unter der Last eines siechen Körpers so aufstrebte, daß er in jeder gewählten Gattung der Poesie unter den ersten Dichtern glänzt; der mit jedem neuen Versuche höher zur Vollkommenheit stieg, und selbst sein Vollkommenstes nur als Vorübung zu Werken des Mannes betrachtete. Er stellte nicht mit kalter Überlegung Gedanken und Bilder zusammen, worüber man mit sich eins geworden ist, sie schön zu finden; voll warmer allumfassender Liebe blickte er in der Natur umher, und sang, was sein Herz empfand. Aus seinem Leben sind solche Züge gewählt worden, welche die Art seiner Anschauung und Empfindung zu erläutern schienen. Vielleicht hat den Vorredner die süße Erinnerung jener Zeit, da ihn mit so lauteren Seelen die innigste Freundschaft, unter harmlosen Freuden der Jugend, zu preiswürdigen Zwecken verband, etwas schwazhafter gemacht, als eben nöthig [L] war. Dennoch wird man noch eines, was unausgeführt blieb, sich gefallen lassen. Aus Begierde, einfältige Sitten des Alterthums in Gegenden der freiwirkenden Natur aufzuforschen, hatte im Winter auf 1774 Hölty mit Voß eine Fußwanderung nach Italien und Sicilien verabredet. Das Bekannte, und was der Antiquar und der Künstler sucht, wollten sie umgehn, und dafür in freundlichen Dörfern, von der Heerstraße entfernt, sich auf längere Zeit niederlassen oder mit den Berghirten der Apenninen und des Ätna umherstreifen. Ihren Unterhalt hoften sie, nach geschlossenem Vertrage mit einem Buchhändler, durch Übersezungen aus dem Griechischen, Englischen, Italienischen, in Hesperiens Gärten mit Lust zu verdienen. Für den Anfang bestimmte Hölty sich selbst einen Auszug aus dem Kenner, samt Hurd, Shaftsbury, Platons Republik; seinem Gefährten schlug er den Blackwell vor, aus welchem damals die Interpreten ihre homerische Weisheit ganz ingeheim schöpften. Dort, dachten sie, würde der Geist Homers, Hesiods, Theokrits, sie vernehmlicher ansprechen, und manches beantworten, was einem hier nicht einmal zu fragen einfällt. [LI] Den Theokrit kannte Voß noch nicht weiter, als aus Ramlers Batteux. Im folgenden Herbst, bei seinen ersten Idyllen über die Leibeigenschaft, überraschte ihn Höltys Anmerkung, sie hätten etwas Theokritisches: wodurch er zum vertrauteren Umgange mit den dorischen Bukolikern gereizt wurde.
Von Höltys Frömmigkeit zu reden, schien unnöthig. Seine Gedichte beweisen es, daß er, wie jeder gute Mensch, die Religion ehrte. Was Miller, gewiß mit fester Überzeugung und redlicher Absicht, von Höltys Widerwillen gegen Neuerungen, die doch nicht alle übel gemeint sein können, erzählt, hat Voß wenigstens in dem legten Jahre zu Göttingen, da er Höltys ganzes Zutrauen besaß, nicht wahrgenommen. Theils falsch, theils Misdeutungen ausgesezt, ist Millers Vorstellung von Höltys Glücksumständen. Aus Edelmut, und weil er sich leicht behelfen konnte, entsagte er zulezt der Unterstüzung seiner Familie; aber eigentlichen Mängel hat er nie gelitten. Dem zu steuern, hätten ja seine Freunde, und Miller selbst, noch übrig gehabt. Als der Bund einem jezt Verstorbenen den Aufenthalt in Göttingen erleichtern wollte, [LII] verpflichtete sich Hölty, wie andere, zu einem Beitrage. Er genoß Wohlthaten des Staats, die Würdigen bestimmt sind; niemals Wohlthaten eines Mannes, der ihm aufs höchste nur Gerechtigkeit erwies. Voß hatte in Hamburg einigen geklagt, daß Hölty sich noch in der lezten Krankheit mit Übersezungen quälen müsste, um etwas Geld zu seiner kleinen Lustreise zu sammeln; worauf eine Freundin von Freunden, die es werth waren Hölty zu beschenken, funfzig Thaler zusammen brachte, und nach Hannover schickte. Aber Hölty war schon todt; und das Geld ward seinem ältesten Bruder geschenkt. Seine eigenen Angelegenheiten, die er Boien vor seinem Tode entdeckt hatte, wurden alle mit seinem vorräthigen und ausstehenden Gelde ins Reine gebracht.
Hölty war in dem lezten Jahre, da er sein Ende noch nicht so nahe glaubte, schon selbst mit der Sammlung seiner Gedichte beschäftiget. Der Tod übereilte ihn; und seine Papiere wurden Boien anvertraut, der sie herauszugeben, und für einen Theil des Ertrages ein kleines marmornes Denkmal auf das Grab des hannövrischen Dichters zu sezen versprach. [LIII] Während Boie durch das Amt eines Landvogts in Dithmarschen an der Ausführung gehindert ward, erkühnte sich ein Schamloser, der sich für Höltys Freund ausgab, des Verstorbenen Gedichte aus Zeitschriften, bestättigte und verworfene, zu sammeln, und sie, mit vielen fremden, theils guten, theils schlechten und sinnlosen, gemischt, unter dem betriegerischen Titel, Höltys sämtlich hinterlassene Gedichte, zu verkaufen. Da ward im Jahr 1783 die erst rechtmäßige Ausgabe des Nachlasses, wie Hölty sie gewünscht hatte, von Voß mit Hülfe des Grafen Stolberg Friedrich Leopold beschleuniget, und, weil in Hannover, wo man Leibnizens Grab nicht kannte, ein Grabmal keine Auszeichnung des Verdienstes zu sein schien, der Ertrag an Höltys Mutter zur Erziehung der jüngeren Kinder gesandt. Es erforderte nicht weniger Bekanntschaft mit Höltys Art, als unverdrossene Aufmerksamkeit, aus seiner Handschrift immer die wahre Meinung heraus zu finden. Viele Änderungen und Zusäze standen durch einander, oft wieder verändert, halb und ganz vollendet, oder nur angedeutet, auf kleinen Zetteln, auf Umschlägen von Briefen, und [LIV] auf dem Rande eines Leichengedichts. Unter einigen Gedichten stand das Verdammungsurtheil: Verworfen; unter anderen von gleichem Gehalte fehlte es. Von einigen schon gedruckten fanden sich ältere Abschriften, mit nicht verwerflichen Lesarten. Von ungedruckten war zum Theil nur der erste Aufsaz da, worin Strofen und Verse durch einander, und, ohne daß etwas ausgestrichen war, die selben Gedanken mehrmal umgearbeitet vorkamen. Man wählte mit treuer Sorgfalt; und was Hölty so, wie es war, seiner unwürdig erkannt hatte, das ward nach seiner Anweisung oder Andeutung geändert. Eine Freundschaftspflicht, welche die Bundesfreunde stets gegen einander ausgeübt, und welche dem Verstorbenen einer der Nachlebenden heilig versprochen hatte.
Aber es war eine unruhige und bekümmerte Zeit, worin Voß zu jener Ausgabe, und, durch einen anderen Freibeuter, zur eilfertigen Sammlung seiner eignen Verse, gezwungen ward. Die Straflosigkeit des entstellenden Bücherraubs hatte zur Folge, daß unreif auch die echten Ausgaben erschienen. Sobald Voß bei der neuen Bearbeitung seiner Gedichte die [LV] Fehler der ersten entdeckt hatte, ward er des verstorbenen Freundes eingedenk. Nach wiederholter Vergleichung der Handschriften, die er sowohl von dem Lebenden selbst, als aus dem Nachlasse und von Freunden erhalten hatte, schien ihm die vorige Auswahl bald zu strenge, bald zu nachsichtig. Mehrere der verworfenen Stücke durften, theils mit sehr wenigen Zügen der Ausbildung, neben den vollendeten stehn; einige des Nachlasses, die Hölty noch nicht einmal dem Freunde zur Beurtheilung gesandt hatte, trugen zu sehr die Gestalt des ersten Entwurfs; in anderen war stellenweise der Dichter sich selbst ungleich. Jezt ist alles, was und wie es Hölty wahrscheinlich gebilligt hätte, gesammelt, und nach Gattungen und Zeitfolge geordnet. Vorübungen, die er längst mit Misfallen betrachtete, wird ihm kein Gewogener mehr aufbürden. Denis vermißte eine Ode an die Donau, worin seiner gedacht worden, und sandte sie für die neue Ausgabe; es ist aber eine bekannte Ode von Miller. Kein eiteler Trieb, eine Aristarchische oder Ramlerische Feile zu handhaben, leitete den Herausgeber; sondern der Auftrag des Vorangegangenen. Beide [LVI] hatten in Göttingen gemeinschaftlich, als verbrüderte Herzen manches gearbeitet, mehreres verbessert; beide hatten einander Gedanken und Ausdrücke geliehen. In Höltys Abschriften für die Musenalmanache sind viele Änderungen von Vossens Hand, der auch abwesend dazu bevollmächtigt war. Als beide an gefährlichen Brustkrankheiten litten, war ihre Abrede: Der Überlebende besorge des Anderen Gedichte, wie die seinigen. Der Verpflichtete hat in beiden Ausgaben bei jedem nachhelfenden Zuge den Geist des gereiften Hölty gefragt, und das ungefähr zu leisten gestrebt, was der Dichter selbst, wäre nur noch ein Jahr ihm vergönnt worden, mit freierer Hand und glücklicher geleistet hätte. Wer indeß die meisten der neu hinzugekommenen Gedichte, und einige der ersten Ausgabe, Gedichte von Hölty und Voß nennen will, dem werden es beide, die im Leben so gern vereint waren, nicht für Beleidigung aufnehmen.
Jena, 29 Febr. 1804.