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Fünftes Schriftstück

Es ist bitter unrecht, meine teure, allerbeste Mutter, daß ich so lange Zeit wieder Deine Briefe unbeantwortet ließ – aber in mir war dauernd alles in so stürmischer Bewegung, daß ich nie wußte, was ich Dir schreiben sollte. Wolltest Du lesen, was ich gestern tat ... oder was ich heute beabsichtigte ... oder was ich – wahrscheinlich sehr das Gegenteil – morgen tun werde? Ich bin launisch geworden, ich kenne mich selbst nicht mehr. Soll ich Dir schreiben, daß jetzt alles hundertmal so teuer geworden ist als vor dem Krieg. Du weißt es selbst!

Aber heute mußte ich trotz alledem an Dich schreiben.

Den heutigen Tag durfte ich nicht vorbeigehen lassen, ohne einen Brief an Dich zu Papier zu bringen; denn gerade heute ist meine Launenhaftigkeit, die mich sonst oft zur Lüge verleitet, pervers geworden und zwingt mich, selbstquälerisch die Wahrheit zu schreiben. So will ich Dir denn gestehen, meine über alles geliebte Mutter, daß mein voriger Brief, worin ich Dir das Weihnachtsfest und die darauffolgenden hundert Tage angeblich offen und ehrlich schilderte, in Wirklichkeit von Lügen nur so gewimmelt hat!

Es ist nicht wahr, daß ich Rückenschmerzen hatte! In diese Schmerzen hatte ich mich so hineingelogen, daß ich sie fast tatsächlich empfand, aber vorhanden waren sie nicht.

Wohl wahr aber ist, daß Erhard mich oft nach einem bestimmten Hause in der Bismarckstraße zu Charlottenburg begleiten mußte, an dessen Tor das Schild eines Arztes prangte. Wohl wahr ist, daß ich den guten Erhard vor diesem Hause auf und ab promenieren ließ, bis es mir gefiel wieder herunterzukommen und dem Harrenden zu berichten, wie der Arzt mich bei der Rückenschmerzenbehandlung heute wieder gequält hat. In Wirklichkeit aber wohnt in diesem Hause Hans Korn, mein alter Freund, der Hauptmann a. D. und Kunstseidenprokurist, der mir unentwegt so rührende Briefe nach meinem Stübchen sandte, daß ich ihn ab und zu einmal wiedersehen wollte. Es ist keine große Liebe, die mich mit ihm verbindet. Aber er ist so diskret. Man kann sich mit ihm so recht gründlich aussprechen; dazu brauche ich jemand! Und es war eigentlich auch verführerisch reizvoll, zu denken: »Nun geht da unten einer auf und ab, den ich wirklich liebe – und ich kann mir den Übermut leisten, hier oben bei einem anderen zu sitzen, aus dem ich mir im Grunde meines Herzens nichts mache!« So sieht manchmal die Wahrheit aus, liebe Mutter! Wir sind ja alle verrückt. Das macht diese tolle Zeit, in der ein Brötchen mehr kostet als früher ein Dutzend Austern.

Wahrheit. Was ist eigentlich Wahrheit?

Weiß denn ein Mensch auf Gottes Erdboden auch nur eine Sekunde lang, ob das wahr ist, was er jetzt gerade sagt, schreibt, denkt, tut? Wir leben heute noch immer zwischen den Stürmen der großen Revolution, mal knallt es hier, mal dort. Mord, Raub, Diebstahl rings um uns. Der Frieden ist schlimmer als der Krieg. Schon im Kriege und noch mehr jetzt in dem sogenannten Frieden habe ich Augenblicke gehabt, in denen ich mir einbildete, daß all das Böse rings um mich gar nicht geschieht, sondern daß nur ich wegen meines Übermutes und meines Leichtsinns zur Strafe von einer höheren Macht gezwungen wurde, all diese Wahngebilde zu sehen. Macht sich vielleicht in diesen verzweifelten Zeiten jeder Mensch solche wahnsinnigen Gedanken? Dann wieder kam ich auf die blöde Idee, nur ich und nur meine Schlechtigkeit seien schuld daran, daß der Himmel all diese Plagen über die Erde verhängt. Ach, du meine Güte! Wenn ich mir dann zu einer ruhigeren Stunde all mein kleines bißchen Schlechtigkeit betrachte, wie schrumpft es da zusammen! Ich bin leicht und launisch: ja! Aber ich bin schön genug, um leicht und launisch sein zu dürfen.

Ausflüchte, Ausflüchte! Das schreibe ich alles nur hin, Mutter, um noch ein paar Sekunden Aufschub zu finden für die große Beichte, die mein heutiger Brief Dir ablegen soll! Schrieb ich Dir nicht damals, daß ich mitten in der Nacht meine vier Treppen herunterstieg, um treu und bieder zu meinem braven kranken Paul Trapp zu gehen?! O ja. Manchmal bin ich wirklich schnurstracks zu ihm gegangen. Manchmal. Wenn gerade sonst nichts Besonderes vorging. Aber wenn mich auf der nächtlichen Straße ein junger Herr geschickt ansprach, der mir sympathisch schien, da ging ich eben zuerst in einen der jetzt so zahlreichen »verbotenen« Spielklubs und kam ein oder zwei Stunden später zu Paul Trapp. Und einmal gefiel mir's in einem eleganten Spielklub so gut, daß ich meinen Eintags-Galan, als er müde war, fortschickte und allein, auf eigene Rechnung, weiter Baccarat spielte. Ich verlor, verpfändete alles, was an mir nicht niet- und nagelfest war, meinen Pelz, meine Ringe, mein Täschchen, meine Armbänder und hätte überhaupt nicht mehr fortgefunden, wenn ich nicht schließlich einen meiner Außenseiter, den Direktor Prohn vom Spreekabelwerk, telephonisch erwischt hätte. Der kam mit einem Packen großer Geldscheine angeautelt, löste mich aus und in dieser Nacht wurde es fünf Uhr, bis ich zu Paul kam. Aber nichtsdestoweniger war ich fünf Stunden später – um zehn – pünktlich in Erhards Atelier, Neue Winterfeldstraße Nummer 127. Himmelchen, wie hätte ich da ausgesehen, ... wenn es nicht Schminke und Puder auf der Welt gäbe!

Mutter? Wollen wir ehrlich zueinander «ein? Es ist zu reizend, am Kuß eines ungeliebten Mannes zu erkennen, um wieviel schöner es war und sein wird, den Geliebten zu küssen. Verrückt – was? aber wahr! Der Militärarzt Dr. Sartorius, der bei Frau Sebastian schrägüber von meinem Stübchen sein Zimmer hat und den ich durchaus nicht leiden mag, und der Bankbeamte mit der stillen Liebe zu mir, der auf der gleichen Etage wohnt, ach, wenn ich einem von ihnen mal zufällig nachts auf der Treppe oder im Korridor allein begegnete, jeder durfte mir ab und zu einmal in meinem Stübchen beim Umziehen helfen, wenn ich mich für Paul in aller Eile auf »einfach« umkleidete. Wer weiß, ob die Bilderhandlung, die Erhards Bilder so gut bezahlt, das gleiche Interesse dauernd bewahrt hätte, wenn das Modell ewig spröde gegen den Kunsthändler geblieben wäre. Und daß ich jetzt nicht noch mehr berichte, liebe Mutter, dieser Umstand hat vielleicht weniger mein frisch gereinigtes Gewissen zum Grund, als meine Launenhaftigkeit, die für heute genug eingestanden zu haben glaubt. Und die deshalb so tut, als hätte sie nichts mehr einzugestehen.

Und glücklich bin ich doch! Glücklich, glücklich, glücklich! Ist es nicht ein wunderbares Bewußtsein, so reizvoll auszusehen, daß mich immer und überall alle gern haben – alle, alle, alle. Das heißt: die Herren. Bei Damen gibt's schon Ausnahmen ... Aber die Männer! Als ich neulich am Bayerischen Platz in eine Droschke stieg und mit dem Kutscher akkordieren wollte, weil es augenblicklich für die Fahrten keine festen Preise gibt, da ließ er sich auf mein schmales Angebot ein mit der schmunzelnden Anerkennung: »Aber bloß weil Sie so hübsch sind, Fräulein.« Ein besonderes Vergnügen für mich ist, wenn ich wegen irgendeiner Kleinigkeit einen Arzt besuchen kann. Und sollte ich mich in den kleinen Finger geschnitten haben, – der Herr Doktor findet trotzdem einen Grund, aus dem es sich durchaus nicht vermeiden lasse, daß ich mich ausziehe. »Machen Sie sich mal frei!« heißt dann der Fachausdruck.

Wenn ich dann »frei« bin, bereitet es mir ein teuflisches Behagen, zuzusehen, wie gern der Herr Doktor sich gleichfalls ein bißchen »frei« betragen möchte ... aber zur Ehre des Standes sei es gesagt: jeder kämpft einen heldenhaften Krieg gegen sein schlechteres Ich. Beim Gehen frage ich pflichtgemäß nach meiner Schuldigkeit, da erlebt dieser Krieg eine neue Auflage. »Sie kommen ja wieder« ... oder dergleichen wird da gestammelt. Und bevor ich wirklich aus dem Sprechzimmer draußen bin, muß ich erfahren, daß der Herr Doktor auch Theaterarzt ist oder mit einem Theaterarzt befreundet und merkwürdigerweise für heute oder morgen nicht weiß, was er mit dem » zweiten« Theaterbillett, das ihm zur Verfügung steht, anfangen soll. Alle sind sie in mich verknallt, die Ärzte, die Droschkenkutscher, die Maler, die Hauptleute a. D. und die Holzhändler. Alle Jungen, alle Alten, alle Blaßblonden, alle Rassigschwarzen, Inland, Ausland. Hätte der Gebieter irgendeines großen Reiches die glänzende Idee gehabt, mich zu heiraten und zur Fürstin zu machen – »unser Land«, »mein Land« hätte nie Krieg zu führen brauchen, weil sich mit mir alle » verbünden« wollen.

In meinem letzten Briefe schrieb ich Dir, liebe Mutter, von den hundert Tagen, in denen ich tagsüber in Erhards Atelier und nachts in Pauls Hotel war. Viel länger als hundert Tage vermochte ich aber die Last der großen Doppelliebe nicht zu ertragen. Meine Nervosität wuchs ins Ungemessene. Wenn sie sich auch nicht in den Rückenschmerzen äußerte, die ich damals heuchelte, so äußerte sich mein Zusammenbruch doch so –; daß ich eines Vormittags, an dem das bis dahin schöne Aprilwetter ins Kaltfeuchte umschlug, einfach in meiner Stube blieb und mir selber das Versprechen gab, sie in den nächsten vierundzwanzig Stunden nicht wieder zu verlassen, mochte daraus werden, was wollte. Mit dem banalen, einfältigen Glücksgefühl »Endlich allein!« streckte ich mich auf der Chaiselongue aus, und ich bat meine Wirtin, die höchst erstaunte Frau Sebastian, dringend, wenn etwa nach mir telephoniert werden sollte, nur zu antworten, ich hätte so furchtbare Rückenschmerzen, daß ich heute niemanden empfangen könnte.

Der erste, der anklingelte, war unglücklicherweise Paul Trapp. Es war gegen fünf Uhr nachmittags. Er wollte wissen, ob ich wegen der Stunde, zu der ich heute ins Hotel kommen würde, eine Nachricht für ihn hinterlassen habe. Als Frau Sebastian ihm vorlog, wie schlecht es mir ginge, versprach er, bei mir vorzusprechen, sobald seine Geschäfte es ihm erlauben. Frau Sebastian wollte ihm den Besuch ausreden, aber da war die Verbindung schon getrennt. In seinem Kontor in Wilmersdorf war Paul nicht mehr zu erreichen. Man sagte nur, er bleibe den ganzen Tag unterwegs und habe Konferenzen bis in die späte Nacht, aber man wisse nicht, wo.

Erhard klingelte merkwürdigerweise erst abends gegen sieben Uhr an. Zwischen ihm und Frau Sebastian, die jedermanns, auch seine, Vertraute war, entspann sich ein Gespräch, das nach dem ausführlichen Bericht meiner Wirtin etwa folgenden Wortlaut gehabt haben muß:

Sie: »Hier Pension Sebastian. Wer dort?«

Er: »Guten Tag, Frau Sebastian. Ich bin's.«

Sie: »Ach, der Herr Professor. Heute gibt's aber schlimme Nachrichten.«

Er: »Woher wissen Sie, Frau Sebastian?«

Sie: »Fräulein Dolly hat mir gesagt –«

Er: »Fräulein Dolly weiß also schon?«

Sie: »Was denn? Was soll sie denn wissen?«

Er: »Daß meine Frau und mein Kind heute nacht zurückgekommen sind.«

Sie (mit schneller Fassung): »Natürlich weiß sie das! Weiß Fräulein Dolly ja wohl alles!«

Er: »Ja, aber, woher denn?«

Sie (log weiter): »Ja, wissen Sie, Herr Professor, Fräulein Dolly war ja wohl heute früh um zehn schon bei Ihnen auf der Treppe und wollte ja wohl wie immer, in Ihr Atelier kommen. Aber da begegnete ihr ja wohl ein Mann auf der Treppe und der hat's ihr ja wohl erzählt und da kehrte sie ja wohl wieder um.« (Wenn Frau Sebastian lügt, sagt sie nämlich immer »ja wohl«.)

Er: »Der Portier?«

Sie: »Möglich, möglich auch nicht. Was kann man wissen, wer sich in so einem großen Haus alles auf der Treppe rumtreibt. Jedenfalls hat Fräulein Dolly infolgedessen die Rücksicht auf Sie genommen, Herr Professor, und hat heute nichts von sich hören lassen. Es geht ihr übrigens so schlecht, daß sie liegt und sich gar nicht rühren kann.«

Er: »Sagen Sie ihr bitte, daß ich beste Genesung wünsche. Ich weiß nicht, ob ich heute kommen kann. Aber wenn es irgend geht ...«

Sie: »Nee, lassen Se man, Herr Professor. Wenn Sie kommen, das regt die Patientin ja wohl bloß auf.«

Er: »Aber wir müssen viel miteinander besprechen.«

Sie: »Das viele Sprechen regt erst recht auf, hat der Arzt gesagt.«

Er (besorgt): »Welchen Arzt haben Sie denn?«

Sie (merkt, daß sie sich beim Schwindeln verplappert hat und lenkt ab): »Fräulein Dolly ruft mich, Herr Professor. Ich muß ja wohl zu ihr. Rufen Sie morgen wieder an. Schluß.«

Frau Sebastian berichtete mir das Telephongespräch nicht so kurz, wie ich es Dir, liebe Mutter, hier wiedergebe, Sie schaltete wortreiches Lob über die eigene Geistesgegenwart ein und herben Tadel über die Niedertracht des Professors, der also nun meine Gegnerin einfach wieder in Gnaden aufgenommen zu haben schien. Als Frau Sebastian auf mein wiederholtes Bitten mich endlich allein ließ, überlegte ich mir den Fall in großer Ruhe, die plötzlich über mich gekommen war. Unmöglich, ohne meinen Maler zu leben! Unmöglich, ihn der anderen zu überlassen. Und erst recht unmöglich, daß es so rasch zwischen ihm und der marmorkalten, schwarzhaarigen, junonischen Schönheit zum Austausch neuer Liebesbeweise gekommen war. In dieser Hinsicht brauchte ich nicht eifersüchtig zu sein. Aber etwas schrie in mir nach Rache. Er hat mich gedemütigt, ich will ihn demütigen. Noch wußte ich nicht, wie: aber bald genug sollte sich Gelegenheit finden.

Gegen acht Uhr kam Paul Trapp in mein Stübchen. Er sah noch trauriger drein als sonst. Richtige Krankenkost brachte er für mich mit. Ein gebratenes Huhn, noch warm, aus der Küche seines Hotels. Unterm anderen Arm aber eine Flasche Sekt; die erste, die er mir spendierte, kalt, eben aus dem Eise genommen. Frau Sebastian hatte den Paul eigentlich nicht zu mir hereinlassen wollen, aber gegenüber dieser Legitimation – Sekt und Huhn – blieb ihr menschenfreundliches Herz nicht ungerührt; sie brachte Teller, Gläser und Bestecke. Dann verschwand sie diskret und versprach, erst auf ein Klingelzeichen wiederzukommen. Um sicher vor ihr mit Paul allein gelassen zu bleiben, schob ich bald nachher den Riegel vor.

Die seelische Verstimmung, die Paul mir vom Gesicht las, hielt er für Symptome meiner Krankheit, natürlich: die »Rückenschmerzen«. Das gute Essen und der Sekt halfen aber bald die »Symptome« zu verscheuchen. In der Freude, seit Monaten zum erstenmal wieder zu einer vernünftigen Zeit miteinander soupieren zu können, scherzten und lachten wir. Plötzlich klopft es an die Tür.

»Wer ist denn da? Was gibt's denn?« frage ich laut durch die Tür hindurch.

Und draußen antwortet Erhards Stimme, die Stimme meines Malers: »Ich bin's!«

Das war eine schöne Situation! Ich saß mit Paul, und an dem einzigen Eingang meines Stübchens klopfte Erhard! Was tu ich? Die Gedanken sausten bloß so unter meinem Blondschopf dahin. Das geht nicht, jenes erst recht nicht, dies überhaupt nicht.

»Dolly!« rief er, »warum machst du nicht auf?«

»Ich – ich liege zu Bett, mir ist nicht wohl.«

»Aber Dolly! Ich hab dich ja lachen hören, dich und noch wen! Ich habe Wichtiges mit dir zu reden.«

Ich überlegte, was ich tun sollte. Da blitzte wieder das Sehnen nach Rache in mir auf. Er hat mich gedemütigt, ich will ihn demütigen. Jetzt wußte ich: wie!

»Ich komme, Erhard. Geh einen Augenblick in Frau Sebastians Zimmer hinüber. Ich komme gleich!«

Wir hörten das Murmeln einer Zustimmung, verhallende Schritte. Erhard war über den Vorflur nach der anderen Etagenhälfte hinübergegangen.

»Wer war das?« fragte Paul, noch blasser als sonst.

»Mein Maler, Professor Erhard König.«

»Ihr sagt du zueinander?«

Ich zuckte die Achseln: »In Künstlerkreisen! Denkst du, ein Maler und sein Modell sagen sich ewig Sie?«

»Dolly! Kein Mann soll du zu dir sagen dürfen. Außer mir. Ich will das nicht. Werde meine Frau, Dolly, und höre endlich auf mit dem dummen Modellstehen! Heute wurde mir eine entzückend möblierte Vierzimmerwohnung am Bayerischen Platz angeboten. Sage ja, und in zwei Wochen können wir dort als Mann und Frau einziehen.«

»Paul, drüben bei Frau Sebastian wartet mein Maler auf mich, und du hältst mich hier auf mit Heiratsanträgen?«

»Laß ihn warten! Laß ihn ewig auf dich warten und komm nie wieder zu ihm. Gehöre endlich mir, nicht nachts im Hotel Böttner, Zimmer 63, nein, offen, frei, vor dem Gesetz und vor dem Altar!« In diesem Tone redete er weiter ...«

Frau Sebastian kratzte an der Tür: »Der Herr Professor wird ungeduldig, was soll ich ihm sagen?«

Da bat ich Paul für ein paar Minuten allein zu bleiben, und ich ging hinüber.

In Frau Sebastians kahlem Zimmer, dessen Mitte von ihrem Bett mit den unschön bezogenen, wulstigen Kissen verunziert war, saß auf dem schmalen, harten Ripsdivan mein Maler. Er war so tief in Gedanken versunken, daß er mich nicht eher zu bemerken schien, als bis ich vor ihm stand.

»Frag mich nichts, Erhard!« begann ich. »Ich will dir alles ungefragt erzählen.« Dann legte ich los. Ich sagte ihm mit anständigen, aber rücksichtslosen Worten, daß ich ihn jede Nacht betrogen hatte, daß ich sogar am Weihnachtsabend noch spät in der Nacht von ihm zu Paul Trapp ins Hotel Böttner gelaufen war. Es war mir eine Lust, ihm meine Geständnisse ins Gesicht zu schmettern. Ich übertrieb sogar noch weidlich. Ich ließ nicht durchblicken, daß Paul Trapps schwache Gesundheit dem Liebenden fast stets große Zurückhaltung auferlegte – ich tat, als ob wir in Pauls Hotel allnächtlich Orgien gefeiert hätten.

»Und jetzt,« so schloß ich, »sitzt er drüben in meinem Stübchen. Bei einer Flasche Sekt hat er mir eben – ich glaube zum hundertsten Mal – seinen Heiratsantrag erneuert. Ich ersuche dich, mich von heute ab als seine Gattin zu betrachten und weder mit Besuchen, Briefen, noch Telephonaten zu belästigen.«

Erhard hatte noch kein Wort gesagt. Feucht glänzten seine Augen, aber noch keine Träne war auf seine Wange getreten. Er erhob sich, nahm die Überkleider, schritt zur Tür.

Da fiel ich für einen Moment aus der Rolle.

»Erhard,« rief ich, »so gehst du von mir, ohne Gruß, ohne Händedruck?«

Er wandte sich halb um, sah nach mir.

Ich streckte ihm meine Hand entgegen.

Er nahm sie nicht.

Als er schon zur Tür hinaus war, stand meine Hand noch leer in der Luft.

Ich mußte mich schütteln, wie ein geschlagener Hund sich schüttelt. Mein Gott, wie niedrig habe ich an Erhard gehandelt. Immer und heute – wie niedrig! Ich habe an diesem Mann viel gut zu machen. Und werde es nie können. Denn der Blick, den mir der Professor beim Gehen zugeworfen hatte, verriet eine Enttäuschtheit, die so groß ist, daß sie nie verzeihen kann.

Ich ging hinüber.

Drüben wartete nun Paul Trapp noch immer auf eine Entscheidung wegen seines hundertundsoundsovielten Heiratsantrages. Hatte ich das Ja schon immer vermieden, um wieviel mehr vermied ich's in dieser Stimmung, jetzt, heute! Während ich nun bei Paul saß, dachte ich nur an Erhard. Ein ganzer Kerl, der Professor! Das erste Mal im Leben, daß einer meine dargebotene Hand zurückwies! Und wie recht hat er gehabt! Das war die richtige Antwort auf meine Gemeinheit.

Inzwischen redete Paul unermüdlich weiter. Mein Schweigen faßte er offenbar als Zustimmung auf. Der Ärmste! Wenn er eine Ahnung davon gehabt hätte, daß, während er von den Reizen einer möblierten Vierzimmerwohnung am Bayerischen Platz mir vorschwärmte, ich nur immer Erhards Atelier vor mir sah, Neue Winterfeldtstraße Nummer 127, und sann und sann: »Wie komme ich da wieder hin? Wie stelle ich's an, daß ich wieder sein Modell sein darf?« Schließlich rief ich krampfhaft meinen Stolz zu Hilfe. Einen Mann, der meine Hand zurückstößt, will auch ich nicht mehr sehen. Nicht mehr an ihn denken. Ich nahm meine Energie zusammen und war endlich wieder bei der Sache, bei Pauls Thema, beim Heiraten.

Nun konnte ich Paul freundlich ansehen. Heiraten? Das war ja schließlich nicht so eilig. Aber die Vierzimmerwohnung am Bayerischen Platz? Warum nicht! Die konnte Paul ruhig nehmen. Wenn ich es wirklich über mich bringen könnte, dauernd dort bei ihm zu bleiben, meinen Nerven würde das gewiß sehr wohltun. Mit halben, ja beinahe mehr als halben Hoffnungen entließ ich ihn. Er hat mir später gesagt, daß dies die erste Nacht war, wo er in Zimmer Nummer 63 des Hotels Böttner ohne meine Gegenwart festen, ruhigen Schlaf gefunden hat.

Als ich am nächsten Morgen gegen neun im eigenen Bett, im eigenen Stübchen erwachte, fand ich mich kaum in der Welt zurecht. Zu Hause und allein – nicht von Paul kommen – nicht zu Erhard gehen – um alles in der Welt, was tut man denn da den ganzen Tag?! Wozu bin ich so schön, wenn mich keiner küßt? Gestern Vormittag noch war ich froh gewesen, in meinem Stübchen allein sein zu dürfen, heute schon empfand ich es als Last und Bitterkeit.

Aber – so dachte ich weiter – wird nicht Erhard mein Ausbleiben ebenso empfinden?

Kann er zwei Tage leben – ohne mich?

Und plötzlich wurde es mir zur Gewißheit: noch in dieser Stunde kommt Erhard zu mir!

Will er nicht gutwillig, so zwingt ihn mein Wille. Ich hypnotisiere ihn. Aus der Ferne. Durch tausend Mauern hindurch. Halblaut raunte ich es vor mich hin: »Erhard! Komm! Komm zu deiner Dolorosa! Du mußt kommen!«

Eine halbe Stunde später war er da.

Wir baten einander um Verzeihung und küßten uns unter Tränen.

Erhard bestand darauf, daß ich hier nicht länger wohnen dürfe. Allen meinen Verehrern schien plötzlich die Sehnsucht aufzusteigen nach einer abgeschlossenen, möblierten Wohnung für mich. Um Erhard nicht gleich wieder zu verstimmen, mußte ich auf seine Absichten eingehen. Nicht weit von hier, in der stillen Fürther Straße, hatte er in einer vierten Etage einen atelierähnlichen, hellen, großen Raum mit zwei Wohnzimmern für mich gemietet. Dort wollte er mich oft besuchen und mich oft malen. In den Räumen, die ihm von der Akademie für seine professorale Lehrtätigkeit eingeräumt waren, sollte ich lieber nicht erscheinen, weil dort stets die Besuche der Frau Professor zu befürchten waren. Der Doktor ließ vom nächsten Botenjungen-Institut drei Jungen kommen, die mußten meine Habseligkeiten packen helfen, ein Auto entführte uns und das Gepäck. Gegen ein Uhr mittags zog ich als Herrin in der stillen Fürther Straße ein. Die Portierfrau des Hauses hatte sich zu dem Dienst einer Aufwartefrau erboten, alles war in schönster Ordnung. Aber wie stand Erhard zu der marmorkalten, schwarzhaarigen junonischen Schönheit, zu seiner zurückgekehrten Frau? Er ehrte sie als die Mutter seines Söhnchens. Mehr vermochte er nicht für sie aufzubringen. Seine Liebe gehörte mir – und die war so groß, daß er mir alle Fehler und alle Sünden verzeihen mußte, von denen ich ihm nun mit einigem Erfolg einzureden versuchte, daß nicht die Hälfte wahr wäre von alledem, das ich ihm gestern in meiner Wut entgegengeschleudert hatte.

Die Portierfrau holte ein, Erhard und ich kochten, in der möblierten Küche fand sich das Nötige dazu. Nach Tisch ging der Professor. Er versprach, er werde abends um neun wiederkommen, er wolle sich zu Hause unter einer glaubhaften Ausrede für viele Stunden freimachen.

Als mein Maler gegangen war, dachte ich über die Ereignisse der letzten Tage nach und kam zu dem Ergebnis: dieser Mann, der Professor, macht mit mir, was er will. Meine vielgerühmte Energie ist zum Teufel, mein eigener Wille existiert nicht mehr. Was Erhard wünscht, das muß ich tun. Paul wollte mich zur Frau fürs Leben – dem habe ich nein gesagt. Erhard ist verheiratet, hat ein Kind, ich bin fünftes Rad am Wagen, bin Modell – aber ihn verehre ich. Trapp bietet mir die hübsche möblierte Wohnung am Bayerischen Platz – ich verzichte. Erhard schleppt mich in dies vier Treppen hoch gelegene Atelier – ich folge wie ein Hündchen. Ich bin Erhards Sklavin, ich bin sein, ohne ihn ist mein Dasein nicht denkbar. So fühlte ich ... so empfand ich ...

Da ich in der neuen Wohnung Pauls Besuch befürchtete, ging ich zweimal zur Portierfrau hinunter und schärfte ihr dringend ein, mich unter allen Umständen zu verleugnen, wenn ein Herr nach mir fragen sollte. Erhard brauchte nicht erst zu fragen, er hatte – ebenso wie ich und wie die Portierfrau – einen Schlüssel zu meiner neuen Wohnung.

Von Stunde zu Stunde stieg meine Angst, daß Paul dennoch kommen werde. Endlich war es bald neun Uhr, die Stunde, zu der mein Maler sich angesagt hatte, nun wurde ich ruhiger. Draußen schob sich ein Schlüssel ins Schloß der Entreetür. Ich will Erhard freudig entgegeneilen, aber wen finde ich im Flur? Paul Trapp, den die Portierfrau eingelassen hatte. Sie war, wie ich später erfuhr, durch ein ungewöhnlich reichliches Trinkgeld von ihm bestochen worden.

Ich trete ins Zimmer zurück.

Paul mir nach. Und fällt, er, der zurückhaltende, prosaische Mensch, fällt mir wahrhaftig zu Füßen; und weint, wie ich noch nie einen Mann hatte weinen sehen. Er schluchzte, daß sein magerer Körper nur so bebte. Er bat und flehte mich himmelhoch an, zu ihm zurückzukehren. Aber ich blieb hart gegen ihn; denn ich wußte ja nun, daß ich Erhard liebte, nur Erhard.

Dreimal hatte ich den Weinenden gebeten, er solle gehen. Es war neun Uhr vorüber, jeden Augenblick konnte Erhard kommen. Wahrhaftig, da schob sich wieder ein Schlüssel in die Entreetür. Ich ließ Paul für einen Augenblick allein, huschte hinaus und flüsterte Erhard zu:

»Paul Trapp ist da. Geh ins Atelier, von dort aus kannst du alles mit anhören! Heute sollst du deine Genugtuung haben für mein Unrecht von gestern!«

Rasch verschwand ich und ging ins Zimmer zu Paul zurück. Er hatte in seiner Aufregung von Erhards Ankunft nichts bemerkt und fuhr fort in seinen Klagen, Bitten und Beteuerungen.

Was war das nun wieder für eine Situation!

Gestern abend hatte ich in Frau Sebastians bettengeschmücktem Zimmer meinem lieben Maler den Abschied erteilt, – und in der gleichen Etage hatte Trapp gesessen, den Heiratsantrag auf den Lippen.

Heute abend – vierundzwanzig Stunden später – kniete der weinende Holzhändler vor mir, die ihn abweisen mußte, und im Zimmer nebenan wußte ich den Professor, von dem ich nun aufs neue fühlte, daß er auf Erden der einzige Mensch war, an den meine Seele gefesselt blieb.

Wie ein steinernes Götzenbild muß ich ausgesehen haben, als Paul nun auf den Knien vor mir herumrutschte, meine Füße umfaßte und mich anwinselte, ihn nicht zu verlassen. Er bot mir sein Vermögen, alles was er je besitzen und erringen werde, wenn ich ihm nur die leiseste Hoffnung lassen wolle.

Unerbittlich rief ich:

»Nein, Paul, und tausendmal nein. Ich liebe Erhard König. Ihm gehöre ich und keinem andern.«

Trapp schluchzte wie ein Kind und wimmerte:

»Dann kann ich diese Nacht nicht überleben. Besser tot als ein Dasein ohne Dolly.«

Ich versuchte zu spotten:

»Du wirst dir's überlegen. Geh nur. In der kühlen Nachtluft draußen verwehen dir die trüben Gedanken.«

»Wenn du nicht mehr meine Freundin bist,« sagte Trapp, und seine Stimme zitterte, »dann ist der da mein Freund.« Für eine Sekunde zeigte er mir einen Revolver, ließ ihn wieder in die Tasche gleiten.

»Gib den Revolver her!« herrschte ich ihn an. – – –

»Als Abschiedsgeschenk an deine schöne Freundin?« schmeichelte ich hinterdrein.

Er schüttelte nein.

»Du gibst mir den Revolver, Paul!«

»Nur wenn du mir versprichst, mich wieder lieb zu haben.«

»Ich kann nicht, Paulchen, ich kann nicht!« rief ich und erschauerte bei dem Gedanken, daß ich meinen Maler gezwungen hatte, von nebenan dieses entsetzliche Gespräch mit anzuhören.

»Dein letztes Wort, Dolly?«

»Nimm Vernunft an, Paulchen, in fünf Tagen kommst du über alles weg.«

»Ich komme noch heute nacht über alles weg, Dolly. Die kleine Waffe wird ein großes Wunder tun: sie wird mich trösten über den ungeheuersten Schmerz, den je ein Mensch erlitten hat.«

»Laß die großen Worte. Geh hinunter auf die Straße. Warte eine Woche.«

»Jetzt sage ich –: nein!« sprach er mit großer Bestimmtheit. »Ich gehe und sterbe.« Er wandte sich zur Tür. Aber langsam drehte er sich wieder um, kam, glitt vor mir nieder und schrie vor Schmerz; wie ein Kettenhund heult, so heulte dieser Mann, den sein glücklicherer Rivale im Nebenzimmer belauschen mußte.

Ich habe schon viel Sonderbares erlebt, aber was nun geschah, war das Merkwürdigste von allem.

Erhard trat ein.

Er kam, noch mit Hut und Mantel, aus dem Atelier, von wo er alles gehört hatte.

Er faßte mit der rechten Hand meine, mit der linken Pauls Hand, – wie ein Priester, der eine Ehe segnen will.

»Ist er wahnsinnig geworden?« fragte ich mich. Aber ich ließ alles über mich ergehen. Was Erhard tut, dagegen kann ich mich nicht auflehnen – so fühlte ich. Und wenn es Wahnsinn wäre.

Erhard redete ruhig mit uns, ob auch seine Stimme von verhaltenen Tränen bebte.

»Liebe Dolorosa,« begann er, »lieber Herr Trapp, Ich war gezwungen – Dolorosa wird Ihnen das später erklären – diese Szene vom Nachbarraum aus mit anzuhören, sie zerreißt mir das Herz, sie frißt an meiner Seele, ich kann nicht länger schweigen. Hören Sie mich an, Herr Trapp, wollen Sie?«

»Ja, ... gern ...« stammelte Paul, Erhard wies auf einen Stuhl. Trapp setzte sich, ergeben, still.

»Und willst auch du milch anhören, liebe Dolorosa?«

»Ja ...,« staunte ich, »Erhard ... was hast du uns denn zu sagen ...?«

»Das Schicksal,« sprach Erhard weiter, nun gefaßter, »das Schicksal verlangt zu viel von mir. Ich vermag nicht mehr alles zu tragen. Wußten Sie, Herr Trapp, daß ich verheiratet bin und Vater? Gewiß, meine Frau ist kalt zu mir und widerspruchsvoll. Aber bleibt sie nicht trotzdem für mich stets die Mutter meines Kindes? An diesem Gefühl würde keine kirchliche, keine bürgerliche Ehescheidung etwas zu ändern vermögen. Das hat die Natur in jeden gesund denkenden Menschen so hineingelegt, daß ihm das liebste auf der Welt seine eigene Nachkommenschaft ist. Wenn ich von Frau und Kind getrennt wäre, auf immer getrennt, ich würde nie aufhören, für das Kind zu sorgen. Und für die Mutter des Kindes, damit es ihm gut geht. Überleg dir das, Dolorosa, denn jetzt soll mit allem Versteckspiel ein Ende sein. Überleg dir: bei mir wärest du immer nur die Dritte in meinem Leben. Zuerst das Kind, dann die Mutter des Kindes, und dann erst die andre, und wenn die Liebe zu der andern noch so groß ist.«

»Erhard,« staunte ich ihn an, »wie sprichst du heute zu mir?«

»Schweigen wäre Verbrechen. Du bist schön, Dolorosa, bist das verführerischste Geschöpf, das meine Augen gesehen haben. Aber was vermag alle Macht der Schönheit gegen zwei Kinderärmchen, die sich nach dem Vater ausstrecken!«

Da er nicht weinen wollte, ließ er hier eine kurze Pause.

»Sie sind ... –« stotterte Paul, »... Sie sind ein edler Mensch, Herr Professor ...«

»Herr Trapp,« fuhr nun Erhard fort, »wenn wir um diese schöne Frau zu Zeiten des Mittelalters aneinander geraten wären, hätten wir uns gegenseitig die Köpfe zerschlagen. Ein fünfjähriger Krieg liegt hinter der Gegenwart, die Zukunft wird zu voll sein von Leid, wenn sie nicht Versöhnung bringt. Lassen Sie uns als Männer miteinander reden. Mir ist, als wäre ich in dieser Nacht um zwanzig Jahre gealtert, und fünfzig war ich sowieso schon. Herr Trapp, Sie sind der weitaus Jüngere von uns beiden ...«

»Ich bin dreißig,« sagte Paul.

»Sie können besser, Sie können länger für unsere schöne Freundin sorgen, als ich es könnte. Alle Bilder, in denen ich Dolorosa malte, verkünden meine große Liebe zu ihrer Schönheit. Aber soll ich die Selbstsucht so weit treiben, daß ich einen Dreißigjährigen mit Mordgedanken hier fortgehen lasse, während ich mich selbst nicht stark genug fühle, für diese schöne Frau den Rahmen zu schaffen und zu wahren, dessen sie bedarf, um zur Geltung und zum Glück zu gelangen?«

Ich wollte widersprechen. Erhard sah mich an. Ich schwieg.

»Gestern, Dolorosa, gestandest du mir, daß du Paul Trapp liebst. Glaube an das, was du mir gestern gesagt hast, und du gehst deinem Glück entgegen. Was Sie, Herr Trapp, betrifft – ich habe jedes Wort gehört, das Sie heute hier gesprochen haben. Gebt euch ein bißchen Mühe, miteinander zurecht zu kommen, Kinder. Wenn es euch gelingt, dann denkt in einer stillen Stunde auch manchmal an den, der heute mit blutendem Herzen von euch geht und mit wunder Seele euch wünscht: werdet glücklich!«

Erhard ging.

Ich empfand seine Handlung nicht als groß und nicht als edelmütig. Ich hatte das Gefühl: er hat mich verschoben, wie die Schieber jetzt einen Waggon Schokolade zu verschieben pflegen. Gegen seine häusliche Ruhe hat er mich ausgetauscht, geschachert hat er mit meinem Glück. Ich war ihm Schokolade. Und trotzdem mußte ich tun, was er befohlen hatte: ich mußte versuchen, mit Paul zufrieden zu sein. In der Wohnung, in die am heutigen Tage mich der eine wie seine Braut eingeführt hatte, verbrachte ich nun den Rest der Nacht mit dem andern. Aber sittsam. Als ob ich schon seit zwanzig Jahren Frau Dolorosa Trapp hieße.


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