Peter Hille
Skizzen
Peter Hille

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Enthüllung.

Auch ein Ausblick auf das Jahr 1900

(1895)

Lebhafter Blutlauf in den Adern der märkischen Kleinstadt Berlin, jenem unorganisch geschichteten Haufen von Ansammlungen, der mir stets wankend vorkommt wie eine ohne physikalische Kunde übertürmte Säule von Büchern: Unten Liliputbibliothek und oben drauf Konversationslexikon.

Über alles hin aber ist der vielleicht etwas lügnerische und trügerische allerneuste Zuckerguß der Allerweltsliteratur gebreitet, der bewunderungsvolle Anhänglichkeit bietet, ehrende Aufnahme bereitet einem Ibsen, Strindberg, Hansen, Hamsun – wie arabisch! – Garborg.

Die selbst Gäste sind, haben wieder Gäste! Wenn das nicht den Eindruck des Gezüchteten macht, dieses Treibhaus des Geistes. Berlin ist künstlich Geistesmetropole, ergibt sich nicht natürlich als solche. Weder nach seiner Artung noch zufolge dem deutschen Wesen, das gern in der Heimat weilt oder ad libitum geht. Das parvenumäßige Einwandern schriftstellerischer Aufstreber greift in der Regel daneben; persönliche Auslebung leidet in der Großstadtschablone und gesellschaftlichen Nichtigkeiten Einbuße. Wir sind nicht Paris, Berlin ist keine Spinne, die alle Fliegen an sich zieht in die Maschen ihrer Straßen.

Nein, alles da spricht nicht, Tingeltangel, Orpheum, Architektenvereine, alles das sagt nichts.

Auch die Versuchsbühnen sprechen nicht, höchstens die Sozialdemokratie, welche in ihren Erholungen mindestens den Zukunftsstaat bereits vorwegnimmt.

Lebhafter schon äußern sich die verkrachten Theater, solche Spekulation leisten nur Weltstädte sich, und das Selbstbewußtsein der Zentrale, die Kultur- und Zivilisationsaufgabe der billigen Presse, der journalistischen goldenen Hundertzehn, prägt sich aus in den Abend- und Morgenzeitungen, die auch in die fernsten Winkel des weiteren Vaterlandes dringen, lokale Philisterhaftigkeit herablassend beiseite schieben und dafür einführen die elektrisierenden Offenbarungen der Hauptstadt. Ja, da weht schon Großstadtluft! Aber in den Ausstellungen und Festen, da vor allem pocht der Großstadtpuls, der fiebererregte, Aufregung gewohnte. Und – zur großen Sylvesternacht des neuen Jahrhunderts – ein ganz besonders, einzig aufgespartes Fest muß es sein, daß die Provinz ganze Völkerwanderungen an die vermittelnde Treppe des Bahnhofs Friedrichstraße abgibt, daß Antisemitenradau nicht die Leipziger Straße durchheult und zahlreiche blanke Zylinder unangefochten ihres Weges ziehn zum großen Stern; junge Dichterzylinder, die vom ersten Honorar sprechen, und alte Geheimratsangströhren. Aller Wagenverkehr ist wegen des Gedränges polizeilich verboten, und Fahnen verdunkeln den elektrischen Tag, sie strecken sich einander zu und unterhalten sich vom Fest. Gerade, starr, wie in Parade feierlich; vor den Häusern wie Posten, umgefallene, liegen die Schatten vor den Häusern. Alle Glocken klingen, aber keiner hört sie. An langen Stielen und Stauden blühen die Kronen prachtvoller Feuerwerke, und das Licht der Intelligenz schlägt Rad. Beruhigend blitzen zu Tausenden Helme und daneben ein Pflaster, ein mehr den Fuß lockerndes Pflaster von Zylindern.

Der Zylinder, spiegelhell vor Gesinnung, ist der Helm des Zivilisten.

Lautlose Erwartung!

Das Herz setzt aus, endlich fällt die Hülle.

Ein Denkmal mehr! Das könnte doch kaum in Erstaunen setzen. Treu seinen neuesten Traditionen hat Berlin nach seinem ernsten, harten, preußisch-statuaren Anfang allen Verkannten und Verwiesenen Denkmale gesetzt. Ganz zuletzt noch hat es den armen Heine liebreich aufgenommen in verklärenden Stein, nachdem seine Vaterstadt mit seiner entrüsteten zum zweitenmale Zurückweisung sich nun endgültig blamiert hatte.

Und nun – da steht der Geist des Preußentums, der mit wuchtiger Hand einen Drachen arretiert, der vieldeutig wie Musik eben alles Demagogische bedeuten kann. Ehrsüchtig küßt das Licht die Spitze der Hülle seines Hauptes, das hoch und himmelanweisend ragt wie die Spitze eines Kirchturms. Der Dorn der Pickelhaube ist der Kirchturm des Staates und der Helm der Gegenwart Tempel.

Und da steht er, der Gendarm.

 


 


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