Paul Heyse
Das Glück von Rothenburg
Paul Heyse

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Als Hans Doppler in aller Frühe aufwachte und seine kleine Frau, die längst in der Kinderstube zu tun gehabt, nicht mehr neben sich fand, war sein erster Gedanke, was ihm heut' an der Seite seiner vornehmen Gönnerin alles bevorstehe.

Im nüchternen Morgenlicht kam ihm seine Wohnung, sein historisches Hausgerät, ja, seine eigene liebe Frau und die rotwangigen Kinder lange nicht mehr so herzerfreuend vor, wie bei dem nächtlichen Wiedersehen. Er fand das saubere Hauskleid seiner Christel gar zu kleinstädtisch im Schnitt und bemerkte zum erstenmal, daß das Höschen seines Heinz mit einem Tuchläppchen geflickt war, das nicht ganz die Farbe und das Muster des übrigen Stoffes hatte. Sein eigener Anzug von gestern mißfiel ihm höchlich. Er war von so ehrbarem Schwarz wie ein Kandidatenhabit; da es dem jungen Maler zweckmäßig erschienen war, das Geschäft mit dem Nürnberger Herrn in einer Toilette zu verhandeln, die hinlänglich Zeugnis gab für seine bürgerliche Solidität. Auch in der Stadt trug er sich wie alle anderen; denn als der einzige seiner Art wäre er durch einen standesmäßigen Maleranzug überall aufgefallen. Der Weltdame aber wollte er nicht wieder als ein junger Philister vor die Augen kommen, holte deshalb aus der hintersten Tiefe seines Schrankes ein Samtröckchen hervor, dasselbe, mit dem er zuerst in Rothenburg eingewandert war, dazu einen breitrandigen schwarzen Filz und ganz helle Beinkleider. Christel machte große Augen, als er so umgewandelt vor sie hintrat und ihr erklärte, es sei doch schade um den guten Rock, daß er nur für die Motten im Kasten hinge. Er wolle überdies jetzt, wo seine Mitbürger endlich erfahren würden, daß sie durch seine Kunst weit und breit berühmt werden sollten, sich auch seiner Künstlerschaft nicht länger schämen. Dazu schwieg die kluge junge Frau, sah ihn aber immer mit ruhig forschenden Augen an. – Sie selbst könne heut' wohl auch ein übriges tun, warf er, schon im Fortgehen, hin. Es sei unberechenbar, wann die Generalin ihren Besuch machen werde. – Sie werde ihr stets willkommen sein, entgegnete Christel. Uebrigens sei sie immer in der Verfassung, sich sehen lassen zu können. Auch die Kinder. Wer sie in ihrem Alltagskleidchen nicht hübsch genug finde, habe einen schlechten Geschmack. In Rußland, wie sie gelesen habe, liefen sie ganz zerlumpt und dazu ungewaschen herum, mit dem lieben Vieh in die Wette. – Damit hob sie das kleine Lenchen auf den Arm, strich ihm die blonden krausen Härchen zurück und küßte es mit stolzer Ruhe auf seine hellen Augen, die es vom Vater hatte. Ihre eigenen waren braun.

Hans Doppler unterdrückte einen leichten Seufzer, bemühte sich, seiner kleinen Schar zuzulächeln, und schlug dann eilig den Weg nach dem »Goldenen Hirsch« ein. Er meinte noch viel zu früh zu kommen, es litt ihn aber nicht in dem engen Hause mit seinem heimlichen bösen Gewissen. Er wollte noch etwas herumschlendern, ehe er bei der Fremden anklopfte. Wie er aber auf den Markt kam und die Gasse nach dem Gasthof hinunterblickte, sah er die Dame unten mitten auf der Straße stehen, dem Johanniskirchlein gegenüber, dessen gotische Fenster und alte Bildwerke, unter denen ein schwarzer Christophorus sich besonders hervortat, sie durch eine Lorgnette aufmerksam studierte. Er erschrak, daß er sich so verspätet habe. Sie aber, da sie ihn hastig heraneilen sah, begrüßte ihn schon von weitem mit einem heiteren Kopfnicken und rief:

Sie sehen, lieber Freund, der Geist von Rothenburg spukt mir schon im Kopf. Ich bin bereits mitten in der Bewunderung der guten alten Zeit. Vor lauter Ungeduld habe ich nicht länger als bis Sieben schlafen können, zu Saschas Entsetzen, die ein Murmeltier ist. Mit bloßen Füßen bin ich aus dem Bett gesprungen, um unten im Tal das Cadolzeller – nein, Cobolzeller Kirchlein und die Doppelbrücke, die mich schon im Mondschein enchantiert hatten, nun im Morgenrot zu bewundern. Ihre Taubernixe ist ein sehr geschmackvolles Fräulein. Und dann habe ich gleich Rothenburger Geschichte und Sage buchstabiert. Als ich das Gebäck zum Frühstück lobte, zitierte mir der Herr Oberkellner den alten Spruch:

In Rothenburg ob der Tauber
Ist das Mühl- und Beckenwerk sauber –

und wie ich vors Haus trat, um mich ein wenig allein zu orientieren, bemerkte mir der Wirt sogleich, dies sei die berühmte Schmiedegasse, und im Bauernkrieg, als sechzig aufrührerische Häupter von irgendeinem Markgrafen auf dem Platz vor dem Rathaus hingerichtet wurden, sei hier das Blut wie ein Bach die steile Gasse heruntergeflossen. Wenn ich nur drei Tage hier bliebe, ich glaube, ich würde eine perfekte Rothenburgerin werden. Denn wirklich: Alles, was ich sehe, gefällt mir. Auch Sie gefallen mir heut' weit besser als gestern. Wissen Sie, daß Ihnen Ihr Malerkostüm vortrefflich steht? Aber, nun kommen Sie, wir dürfen nicht so lange an einem Fleck bleiben. Sie müssen mir nicht vorzugsweise die sogenannten Sehenswürdigkeiten zeigen, sondern die von keinem Bädeker beachteten und besternten Winkel. Und da ich die Frau eines Festungskommandanten bin, will ich zunächst die Türme und Mauern sehen, für den Fall, daß Rußland einmal Rothenburg belagert, zur Revanche dafür, daß es heute meine Eroberung gemacht hat.

Er hatte sie unverwandt betrachtet, während sie mit ihrer geläufigen Zunge dies alles hervorsprudelte. Sie trug den Reiseanzug von gestern, es stand ihr aber alles ein wenig koketter, und das Pelzmützchen saß herausfordernder auf dem einen Ohr. Nun bot er ihr den Arm und führte sie durch kleine Nebengassen nach der Festungsmauer, die noch wohlerhalten um das ganze Stadtgebiet herumläuft, und erzählte ihr, daß die Stadt so viel Türme gehabt habe, wie Wochen im Jahr, von denen auch die meisten noch erhalten seien, und daß viele Jahrhunderte hindurch Freunde und Feinde in allen Kriegsgefahren ihrer zuerst gedacht hätten, sich hineinzuretten mit Hab und Gut oder sich die Stirnen daran einzurennen. Sie hörte seinen Vortrag ziemlich schweigsam mit an, ließ aber ihre scharfen Augen fleißig herumgehen und unterbrach ihn zuweilen durch einen Ausruf der Freude, wenn sie an irgendein wunderliches Gemäuer, ein malerisches Hüttchen, das sich zwischen die Strebepfeiler verkrochen hatte, oder an eine Gassenmündung kamen, durch die man in die bucklige alte Stadt zurücksah. Dann kletterte sie eines der alten grauen Treppchen hinauf, die auf die Mauerhöhe führten, und setzte ihren Weg unter dem niedrigen Schirmdach fort, unter welchem so manchmal die wackeren Bürger gestanden und das Feuer der feindlichen Geschütze erwidert hatten. Hin und wieder blieb sie an einer Schießscharte stehen, lugte hinaus und ließ sich die Himmelsgegend nennen und was da draußen für Wege ins Land hineinliefen. So ging es vom Faulturm durch das Rödertor nach dem weißen Turm, wo sie endlich erklärte, sie habe nun ihren Kursus in der Fortifikation vorläufig satt und wolle in die Stadt zurück. Nur der heilige Wolfgang, der in einer Nische an seinem Kirchlein so sanftmütig und leidgeprüft den zerbrochenen Bischofsstab in die Höhe hält und die andere Hand auf das Modell seines Gotteshäuschens legt, fesselte sie noch eine Weile hier außen. Wenn ich in Rothenburg bliebe, sagte sie, dieser heilige Mann würde mir gefährlich, sehen sie nur, welch ein liebes, unschuldiges und doch weises Gesicht er hat! Ich habe immer gewünscht, einmal einem lebendigen Heiligen zu begegnen und dann ein wenig die Versucherin zu spielen. Glauben sie, daß dieser, wenn ich es auf seine Seele abgesehen hätte, mir widerstände?

Er stammelte ein unbeholfenes Scherzwort. Im Ernst war es ihm zumute, als ob weder Weltkinder noch Heilige sich dieser reizenden Frau entziehen könnten, wenn sie ihr Netz nach ihnen auswerfen wollte, wie er ihre schlanke Gestalt durch die schattigen Mauergänge, Stufen auf und ab schlüpfen sah, ihr Gesicht hie und da von einem Sonnenblitz überflogen, klopfte ihm das Herz in einer seltsamen Bewegung, die er für eine Wallung seines Künstlerblutes hielt. Es war ihm nur befremdlich und fast kränkend, daß sie mit keinem Worte auf ihren gestrigen Plan wegen der sizilischen Reise zurückkam. Und all seiner gestrigen Vorsätze ungeachtet sah er sich doch schon im Geiste neben ihr die Stufen des Amphitheaters von Taormina hinaufklettern und hörte sie in ganz andere Laute des Entzückens ausbrechen, als hier über ein altes Wachttürmchen oder Ausfalltor.

Nun hing sie sich wieder an seinen Arm, als sie in die Stadt zurückkehrten, und er führte sie geradeswegs nach der alten Jakobskirche, dem eigentlichen Münster der Stadt. Sie beschaute sich indessen den schönen gotischen Bau mit viel geringerem Interesse, als er gedacht hatte; und selbst die drei berühmten Altäre mit ihren trefflichen Schnitzarbeiten ließen sie kalt. Nur die gläserne Kapsel an dem einen, in welchem das heilige Blut aufbewahrt wird, starrte sie lange an und schlug ein Kreuz. Er dachte ihr zu imponieren, indem er ihr sagte, den Hochaltar habe Heinrich Toppler gestiftet, samt den Gemälden von Michael Wohlgemuth, und ihr das Wappen des großen Bürgermeisters mit den zwei Würfeln zeigte. Sie aber gähnte leicht durch die Nase und verlangte ins Freie hinaus. Dann erregte wieder der schwarze Fleck an der Wölbung jener Durchfahrt, unter welcher die Straße mitten durch die Kirche hindurchführt, ihr Interesse. Ein Bauer, erzählte er ihr, der mit Flüchen sein Gespann hier durchgetrieben, sei vom Teufel gepackt und hoch an das Gewölbe geschleudert worden; der Leib sei herabgefallen, die arme Seele aber droben festgeklebt.

Da lachte sie, daß ihre Zähne blitzten. Ihr seid närrische Antiquitätenkrämer, ihr Herren Rothenburger! rief sie. Und nun lassen Sie mich noch Ihr Rathaus sehen und dann basta für heut'!

 


 


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