Paul Heyse
Das Glück von Rothenburg
Paul Heyse

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Nicht mit so hastigen Schritten wie sonst, wenn er von einem kurzen Ausflug zurückkehrte, sondern wie ein sehr müder, nachdenklicher Mensch, der nicht weiß, welchen Empfang er finden wird, schlug Hans Doppler den Weg nach seinem Häuschen ein. Das lag nahe dem Burgtor in die Stadtmauer hineingebaut und sah nach Nordwest, während die Fenster des Gasthofs, den er jetzt verließ, nach Südwesten gingen. Er zerbrach sich im Gehen den Kopf, was klüger wäre: gleich heute abend eine Generalbeichte abzulegen oder damit bis morgen zu warten. Sobald er nicht mehr unter dem Zauber der gefährlichen Fremden war deuchte ihm die Sache höchst unbequem und fast unrecht und frevelhaft. Doch war er schon zu weit gegangen, um sich ohne große Schande aus dem Handel fortschleichen zu können. Der morgende Tag freilich mußte überstanden werden. Dann aber wollte er eine dringende Verpflichtung vorschützen, die ihn hier festhalte; auf keinen Fall die Dame sogleich begleiten.

Als er hiermit sein Gewissen dem ahnungslosen jungen Weibe gegenüber beschwichtigt hatte, wurde ihm etwas leichter. Er schritt die steile Gasse hinauf über den Markt und wandte sich dann links, immer noch mit zögerndem Schritt, bis er den Turm des Burgtors erreicht hatte. Als er dann aber wieder rechts in das enge Gäßchen einbog, das nach seinem Hause führte, sah er schon von weitem unter dem runden Türbogen in der hohen Gartenmauer eine dunkle Gestalt stehen und hatte kaum Zeit, seine kleine Frau darin zu erkennen, da schlangen sich ihm schon ein Paar weiche, aber feste Arme um den Hals, und ein warmer Mund suchte im Dunkeln den seinen.

Er konnte, da er Mappe und Reisetasche trug, die Umarmung nicht erwidern, noch abwehren, was er zu tun geneigt war, da er einige der Nachbarfenster offen stehen sah und fürchtete, dies zärtliche Wiedersehen möchte belauscht werden. Sie merkte aber seine Verlegenheit und beruhigte ihn, es seien nur die und die alten Leute, die längst wüßten, daß sie sich nach siebenjähriger Ehe noch immer gern hätten. Dann zog sie ihn, vergnügt und leise von hundert kleinen Erlebnissen plaudernd, ins Haus hinein, wo alles schon schlief. Es war ein uralter Kasten, dessen Mauern manchen Sturm des Himmels und wilder Kriegsläufte überdauert hatten. Innen sah man ihm seine Jahre noch deutlicher an, da alles Holzwerk schwarz und rissig, die Treppenstufen schief und abgewetzt, die Wände trotz mancherlei Stützen nicht mehr recht in den Fugen waren. Aber man hätte das ganze greise Bauwerk dem Erdboden gleichmachen und frisch aufführen müssen, um all den Schäden abzuhelfen, und dies konnte der frühere Besitzer so wenig über sein Rothenburger Herz bringen, wie seine Tochter und ihr junger Gatte, dem doch immerhin das Blut des »großen Bürgermeisters« in den Adern rollte.

Auch geschah es heute zum erstenmal, daß Hans Doppler, wie er die schiefe enge Treppe hinaufging, an diesem historischen Häuschen etwas zu tadeln fand, was er freilich klugermaßen für sich behielt. Das Wohnzimmerchen, in das er eintrat, mit der niederen Balkendecke, den sehr altmodischen Möbeln und den Familienbildern an der Wand, kam ihm zum erstenmal beklommen und dürftig vor, so hübsch die kleine Messinglampe mit der grünen Glocke auf dem gedeckten Tische sich ausnahm und die sauberen Schüsseln und Teller mit seinem frugalen Abendessen beleuchtete. Er pflegte sonst bei solcher Heimkehr von munteren Reden überzusprudeln; heute war er ganz still, lächelte dafür beständig, doch halb gezwungen, und streichelte seiner hübschen Frau ein wenig väterlich die Wangen, so daß sie sich im stillen über ihren Mann verwunderte. Erst in der Stube, wo die Kinder schliefen, schien ihm das Band vom Herzen und von den Lippen zu springen, zumal als der zweite Knabe, sein Liebling, weil er der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war, aufwachte und mit einem Freudenschrei im Hemdchen ihm an den Hals flog. Er gab ihm sogleich ein Spielzeug, das er in Nürnberg für ihn gekauft, und einen großen Lebkuchen, beide nur zum flüchtigen Ansehen, da sofort wieder die Lampe hinausgetragen wurde. Dann setzte er sich Christel gegenüber auf das alte Kanapee, dessen Ueberzug von Haartuch ihm nie so hart und kalt vorgekommen war, aß ein wenig und trank von dem roten Tauberwein aus seinem eigenen Rebgarten und berichtete dabei der jungen Frau, die mit aufgestützten Ellbogen ohne zu essen ihm gegenübersaß, von dem günstigen Erfolge seiner Geschäftsreise.

Und dann sei er von Ansbach aus durch einen Zufall mit einer russischen Generalin, der Frau eines alten Festungskommandanten, zusammen gereist, und die Dame habe Rothenburg sehen wollen und sei im »Hirsch« abgestiegen. Er werde leider nicht umhin können, sie morgen herumzuführen, ja, er überlege, ob es nicht notwendig sein würde, sie zu Tisch zu bitten.

Du weißt, Hans, sagte die junge Frau, daß unsere Marie nicht viel vom Kochen versteht, und ich selbst, wenn ich es nicht ein wenig länger vorher weiß, kann auch nicht hexen. Aber warum willst du diese wildfremde alte Dame gleich so feierlich zu Gaste bitten? Sie hat ja noch nicht einmal Besuch bei uns gemacht. Oder liegt dir etwas daran, sie besonders zu fetieren? Ist es schon eine ältere Bekanntschaft, noch aus deiner Münchener Zeit? Dann müßte ich mich freilich zusammennehmen.

Nein, sagte er, indem er sein Gesicht ziemlich tief auf den Teller bückte. Weder ist's eine alte Bekanntschaft, noch ist sie überhaupt so gar alt. Und du hast recht, Kind, wir müssen sie an uns kommen lassen. Kommen wird sie gewiß, denn ich habe ihr so viel von dir und den Kindern erzählt – – du wirst sehen, eine interessante Frau, sehr kunstverständig –, ihre Fürsprache kann mir wohl noch einmal nützlich sein, denn sie kennt die halbe Welt.

Nun, ich bin begierig, versetzte die junge Frau. Uebrigens, daß jetzt sogar schon Russen auf Rothenburg aufmerksam werden –

Er errötete, da er am besten wußte, wie es mit diesem plötzlich erwachten Interesse zugegangen war. Kind, sagte er, geh jetzt nur zu Bett, deine Stunde hat längst geschlagen. Ich bin noch etwas aufgeregt von der Reise, folge dir aber bald nach.

Du hast recht, sagte sie und gähnte recht herzlich, wobei sie einen nicht gar kleinen, aber frischen roten Mund voll blanker Zähne zeigte. Ich merkte gleich, daß dir nicht ganz recht sei, deine Augen flackern ein bißchen unruhig hin und her, mach das Fenster noch auf und sitz' ein Weilchen in die Kühle. Und gute Nacht!

Sie küßte ihn rasch und ging in das Schlafzimmer nebenan, ließ aber die Tür offen. Nun stand er auf, stieß den Laden zurück und öffnete das Fenster mit den kleinen runden Scheiben. Der Nachtwind hatte alle Dünste unterm Monde verscheucht, das gewundene Tal mit den zarten Bäumchen und frisch beackerten Feldern lag im silbernen Dämmer ihm zu Füßen, und er konnte in der tiefen Stille die raschen Wellen der Tauber flüstern hören, die sich an dem kleinen Wasserturm, den sein Ahnherr gebaut, vorbeidrängten. Es wurde ihm sehr friedlich und genüglich zu Sinn; diesmal folgten seine Gedanken dem Lauf des Flüßchens nicht bis ins grenzenlose Meer hinaus, obwohl es wieder war, wie schon so oft: er hörte rechts das Atmen seiner blühenden Kinder, links die leisen Schritte der kleinen Frau, die vor dem Schlafengehen noch dies und das zu beschicken hatte. Ihm war aber zumute, als hätte ihm das russische Märchen nur geträumt; wenigstens heute nacht sollte es ihm den Schlaf nicht verstören.

 


 


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