Paul Heyse
Novellen in Versen
Paul Heyse

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Die Furie.

(Rom 1853)

Willst du im Ernst mich hassen, du Eifersüchtige? wendest
    Finster die Augen und lehrst schmollen den lachenden Mund?
All das, weil du mich sahst aufheben das seidene Tüchlein,
    Das nachlässig verlor jene gefährliche Frau?
Ob sie es mir zuwarf, ob ganz unschuldig es hinfiel –
    Weiß ich's? Aber die List, wenn sie es war, sie mißlang.
Denn nicht sprach ich ein leiseres Wort, nicht blinzt' ich bedeutsam,
    Noch auch drückt' ich die Hand, der ich erstattet den Fund.
Weiß schon war sie genug – das magst zur Strafe du hören! –
    Und es ermunterten mich freundliche Blicke genug.
Wär' ich groß zu verdammen? In früheren Tagen, bevor ich
    Ganz dein eigen, ich hab' ärgeren Frevel verübt.
Und noch fehl' ich zuweilen in Wort und Blicken; die losen
    Schwärmen auf eigene Hand, schweifen begehrlich herum,
Wie muthwillige Knaben, sobald sie der Lehrer allein läßt;
    Ihr Zuchtmeister, das Herz, weißt du, verschuldete nichts.
Doch heut waren sie sittlich gelaunt. Und ging ich des Wegs nicht
    Einzig um deine Gestalt oben am Fenster zu sehn? 162
Warum sah ich sie nicht! Muthlos sank nieder die Wimper,
    Und das unselige Tuch drängte dem Blicke sich auf.
Und da muß dich ein Dämon gleich herlocken zur Unzeit,
    Daß du mit Argwohn uns Beiden die Stunde vergällst.
Komm, sitz nieder zu mir und wende nur immer den Rücken!
    Halb doch wendest du schon wieder die Seele mir zu.
Laß dir ein Märchen erzählen. Es ist nicht fein, der Geliebten
    Predigen dürre Moral; aber ein Fabelchen nützt.

Nun, da wüthet' einmal im Winter ein feindlicher Nachtsturm;
    Ueber das attische Land schauerte Regengewölk.
Wer sich ein Obdach wußte, der segnet' es. Aber ein Flüchtling
    Stob durch Wetter und Graus irrend die Haide dahin,
Hinter dem Stöhnenden her ein Häuflein Furien. Hob er
    Gegen ein Leben die Hand, dem er das eigne verdankt?
War es Orest gar selbst? Wer kündet es! – Mitten im Brachland,
    Das Stromregen verschlemmt, lös'te vom hastigen Fuß
Einer der Strafgöttinnen das Band sich, welches die Sohle
    Hielt; am hinkenden Gang merkt' es die Wilde zuletzt.
Jung noch war sie und nicht so ganz in die Rache versunken,
    Daß sie des Schuhes Verlust hätte geringe geschätzt.
Also blieb sie zurück und sucht' am Boden; die Schwestern
    Jagten vorüber und nicht hatten der Kleinen sie Acht.
Die, nachdem sie umsonst die Spur am Wege gemustert,
    Stand und bedacht' im Geist, ob sie den Flüchtigen nach-
Stürmt', ob lieber der Stadt zuwandelte, wo sie den nackten
    Zärtlichen Fuß aufs Neu' kleid' in ein festes Gewand.
Jetzt zum Thor in die Gassen hinein scheu huschte die Kleine,
    (Denn nie war sie zuvor Häusern der Menschen genaht)
Und mit flammenden Augen die Schrift an den Thüren enträthselnd
    Sah sie an einer erfreut Schuh' und Sandalen gemalt,
Drunter des Hausherrn Namen: Diiphilos, Sohn des Palämon. 163
    Herzhaft klopfte sie an. Sieh, da erschloß sich die Thür,
Und ein schmucker Gesell – ihm stand nicht übel das Schurzfell –
    Staunte mit offenem Mund stumm die Besucherin an.
Hübsch wohl war sie und jung, doch nicht gar sauber; der Sturmwind
    Hatte die Flechten gewirrt, denen der Regen enttroff.
Aber ein Graun war völlig die schlangengeflochtene Geißel,
    Die sie mit Vorsicht halb unterm Gewande verbarg.
Freundlich – es war ihr bestes Gesicht – nickt Jenem die Kleine,
    Schlüpft' in die Kammer und hob über den Knöchel das Kleid.
Aber der stattliche Bursch, vom Handwerksstolze befeuert,
    Sprach: Dir mangelt ein Schuh; hurtig bedien' ich und gut.
Fremd mir scheinst du im Land, auf eiliger Reise; die Nacht ist
    Finster, und heut wohl nicht denkst du von hinnen zu gehn.
Darum sage mir an, wo dich bis morgen ein Gastfreund
    Herbergt, daß ich zu ihm liefere zeitig den Schuh;
Denn nicht scheu' ich die Nachtarbeit. – Da schüttelte Jene
    Heftig den Kopf und sprach: Gleich, denn ich reise noch heut!
Also fand sich der Meister darein, ohn' andres Bedenken,
    Stellt' aufs Bänkchen und maß knieend den zierlichen Fuß.
Nur, so geschäftig er war, anschielt' er zuweilen die Schlänglein;
    Diese verhielten sich still. Aber es knarrte die Thür,
Und in das kleine Gemach, vom Lämpchen erhellt, sah ernsthaft
    Unter den Locken hervor glühend ein Mädchengesicht.
Nun, tritt immer herein! rief ihr der Beflissene. Lang schon
    Wartet' ich heut. Derweil kam mir ein Fremdenbesuch.
Rüste den Tisch, Lykoris. Du darfst nicht weigern, o Herrin,
    Unser bescheidenes Mahl heute zu theilen. Es ist
Mir dies Mädchen verlobt. Aufs Frühjahr halten wir Hochzeit,
    Und da besucht sie mich noch jeglichen Abend geheim.
Denn sie dient im Hause gestrenger Gebieterin; Tags nicht 164
    Darf sie hinaus. Nun, Herz! rüste das Tischchen geschwind! –
Aber das Mägdlein stand, und den Eindringling mit den Augen
    Maß sie und nahm dann still ihren Geliebten beiseit.
Wer ist Diese? – Was weiß denn ich? Sie reis't in Geschäften.
    Kehre dich nicht an sie. – Aber sie äugelt dich an! –
Laß sie immer! sie geht, sobald die Sandale genäht ist,
    Die sie bestellt. Sitz her, Kind, und ereifre dich nicht! –
So sie begütigend schob er ein Seßlein neben den Tisch hin,
    Drauf unweigerlich nahm schweigend die Furie Platz.
Nicht vom Brode genoß sie und nicht blaßgrüner Oliven
    Frucht und den Honigtrank, welchen das Mädchen gebraut;
Die auch saß stillschweigend und aß kein Bischen und trank nicht,
    Finster gelaunt, und hielt immer die Göttin im Aug';
Bis ihr Liebster vom Tisch sich erhob, sein Mädchen zum Abschied
    Küßt' und eilig sodann Leder und Pfriemen ergriff.
Kühl hin nahm sie den Kuß und warf die Thür im Hinausgehn,
    Daß es die Furie selbst schreckte vom Sessel empor.
Wildfang! brummte der Schuster. Sie thut mitunter gefährlich,
    Aber ein süßes Geschöpf ist sie in friedlicher Zeit.
Daß sie dich hier antraf, das machte sie böse. Sie schmollt nun;
    Doch wir kennen uns wohl, morgen ist Alles verraucht.
Mach' dir's dorten bequem und schlaf' ein wenig; es braucht schon
    Immer ein Stündchen und mehr, bis ich die Sohlen gesäumt.

Also saß er und hastete sich. Sie schlich zu dem Schemel
    Ihm genüber und sah steif in das offne Gesicht,
Drauf die Gesundheit blühte. Sie hatte die widrige Geißel
    Von sich gelegt, und das Haar schlang sie in Knoten ums Haupt. 165
Gar nicht garstig erschien sie jetzt. Er aber beharrlich
    Sah auf Faden und Pfriem, und er erzählte dem Gast:
Längst schon sei ihm das Mädchen verlobt und wäre sein Weib schon,
    Aber die Mutter so lang habe der Pflege bedurft,
Und nicht habe das Handwerk jetzt so goldenen Boden,
    Drauf drei Menschen und gar vieren ein Häuschen zu bau'n.
Jüngst sei leider die Mutter hinab zum Hades gewandelt;
    Welche vortreffliche Frau! und er beweine sie stets.
Doch sie habe die Stelle geräumt. So hoff' er im Hause
    Wieder ein Mütterchen bald, aber ein jüngres zu sehn.
Und dann floß ihm der Mund von Träumen der Zukunft über,
    Wie er gedenke, den Tag, ach! und die selige Nacht
Ihr zur Seite zu sein. Da lauschte das Hexchen begierig,
    Und das verwilderte Herz wurde gezähmt und gerührt.
Selber verstand sie's kaum. Denn es hatte die grimmige Mutter
    Von klein auf sie gewöhnt an die entsetzliche Jagd
Hinter dem sündigen Fuß. Nun hörte sie Worte der Liebe,
    Und die Rinde sogleich schmolz von dem Herzchen gelind.
Sacht vom Schemel erhob sich die Liebende, schlich zu dem seinen,
    Und ihr schüchterner Mund küßte die Wange des Manns,
Nur wie ein Hauch. Schon wollt' er erzürnt sich geberden und schelten –
    Zürnt auch ernstlich ein Mann, welchen ein Mädchen geküßt? –
Als zur geöffneten Thür wie ein Blitz Lykoris hereinfuhr,
    Und das beleidigte Herz eifernde Schmähung ergoß:
Willst du hinaus zur Kammer, Verführerin? Meinst du, ich wäre
    Nicht mit Augen begabt? Meinst du, ich hätte vorhin
Nicht dein schändliches Spiel durchschaut, nicht Alles errathen,
    Als du fremden Besitz frech mit den Blicken verschlangst? 166
Und du, tückischer Mann! ist das die gepriesene Treue,
    Daß du Gesindel zu Nacht dir in die Kammer gewöhnst?
Traun, mir soll nur einmal ein reisendes Herrchen Gesellschaft
    Leisten, und ganz so fremd thun, wie ich Jene gesehn;
Sauberen Lärm dann gäb' es und regnete Flüch' und Beschimpfung,
    Aber der Vorwand doch käme dir herzlich erwünscht.
Stehst du nicht dort noch immer und schirmst die Verworfene? Pfui dir!
    Und du, willst du den Raub hüten, du diebisches Ding?
Gieb mir heraus, was mein! – Da hörte sie zischen die Schlangen,
    Und vom Boden im Nu hob sie die Geißel und schlug
Auf die verschüchterte Furie los, die fest mit den Armen
    Ihres Diiphilos Knie hülfebegehrend umschlang.
Der war schon vom Schemel empor und schalt die erbos'te
    Liebste mit heftigem Ernst: Schlägst du die Fremde, hinfort
Sind wir Beide geschieden; es soll mir nimmer die Hausfrau
    So mit grilliger Wuth künftig Besucher empfahn! –
Leer in die Luft hin hallte das Wort. Schon wollte die Geißel
    Aus der erbitterten Hand winden der kräftige Mann,
Da graunvoll in das Haus einstürmte der Furien Rudel,
    Welche den Spuren gefolgt, als sie die Schwester vermißt.
Und kaum sahn sie das Mägdlein hier wild schwingen die Geißel,
    Nimmer des fremden Gesichts hatten sie Arg. Mit Gewalt
Um die Entsetzte geschaart, fortriß sie der rasende Reigen,
    Eh zum Schreien ihr Mund sich zu ermannen vermocht.

Ferne verklang der Gewaltigen Tritt. Da hob zum bestürzten
    Schuster das Hexlein bang auf den beweglichen Blick.
Stoße mich nicht hier aus! so flehte sie. Wisse, du hast mir
    Völlig verleidet die Lust, mit den Geschwistern zu sein.
Besser gefällt mir's nun, auf deine Gespräche zu hören, 167
    In dein Auge zu sehn, dir an der Seite zu knien.
Denn mir hast du ein Feuer geflößt in Herz und Gebeine,
    Das kein Sturmwind mehr oder ein Regen verlöscht.
Trotzig verließ dich Jene, die Warnungsstimme verachtend;
    Ich will jegliches Wort immer beherzigen. Ach!
Nur dies Eine befiehl mir nicht: die Schwelle zu meiden,
    Die mir einzig die Welt inniger Liebe begrenzt! –
Und dann schmiegte sie fest sich an ihn und bat mit der ganzen
    Dringenden Schmeichelgewalt eines bestrickenden Arms –
Ganz wie du, o Geliebteste, jetzt, auf daß ich verschweige,
    Was an weiser Moral dieses Geschichtchen verbirgt.
Bat sie umsonst? – Wer dürft' es bejahn, dem eben im Kusse
    Deines erglühenden Munds Wort und Besinnung vergeht. 168

 


 


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