Paul Heyse
Novellen in Versen
Paul Heyse

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Margherita Spoletina.

(1849)

Verstohlen lichtet sich die Nacht.
Die Nebel fangen an zu brauen,
Es geht ein sommerliches Thauen
Und rieselt nieder kühl und sacht
Auf Meer und Land und auf die wüste
Fernabgelegne Klippenküste.
Die wilde Möve regt noch kaum
Die grauen Flügel jezuweilen,
Aus dem Geniste fortzueilen
Weit ob dem sprüh'nden Wogenschaum.
Noch klang der Lerche Taglied nicht,
Das in des Morgens Dämmernissen
Dem Knaben ruft: Nun thu' Verzicht
Auf deines Mädchens weiche Kissen!
Und doch in jener Hütte schon,
Die auf dem Klippeneiland ragt,
Des Scheidens wehevoller Ton,
So bang, wie nur die Liebe klagt?
Ach klagt sie auch auf nacktem Stein,
Im freien Meer, im Windesrauschen?
Schau, offen steht ein Fensterlein;
Komm, laß uns spähn! komm, laß uns lauschen! 124

Siehst du das wunderschöne Weib?
In süßen Schauern bebt ihr Leib;
Die weißen Arme wehren still
Dem Manne, der sie halten will.
Die rothen Lippen stammeln noch:
Mein süßer Freund, mein liebstes Leben!
Und sprechen doch von Widerstreben,
Und sprechen von Entsagen doch:

Nun will ich gehn; es taget bald,
Der Morgenwind erhebt sich kalt;
Wie weit der Weg durch die Gewässer!
Wie weit der Pfad hinauf ins Land!
Weh, wenn ich nicht nach Hause fand,
Eh noch die Sterne funkeln blässer!

Er sieht sie an: Und muß es sein?
O sei noch eine Stunde mein!
Noch ist die Sommernacht verschwiegen,
Die Schatten überm Wasser liegen,
Gestirne blicken her in Ruh! –

Sie spricht zu ihm: Was bittest du,
Und weißt, du bittest Tod uns Beiden?
Hätt' ich nicht Muth von dir zu scheiden,
Wie hätt' ich Muth zu dir zu gehn?
Doch morgen bei des Monds Erglimmen
Will ich nach deiner Leuchte sehn
Und wieder zu der Insel schwimmen,
Die schweren Wunden dir zu pflegen,
Mein Haupt in deinen Arm zu legen,
Bis du, genesen, wie zuvor
Zu mir kannst rudern durch die See.
Und nun – zu tausendmal ade! 125

Vom Lager rafft er sich empor.
Er geht zur Thür gefaßt und stumm,
Den weiten Mantel wirft er um
Und schlägt ihn rasch um sie und sich.
So wandeln eng umfaßt die Zweie
Aus dumpfem Hüttlein in das Freie.
Die Luft empfängt sie schauerlich.
Er führt sie nieder an den Strand,
Er nimmt Valet mit Mund und Hand
Von süßen Lippen, lieben Händen,
Und sie, in Thränen, reißt sich los
Und stürzt sich in der Wellen Schooß.
Die Arme, die noch kaum geschäftig,
Zu herzen den geliebten Mann,
Nun theilen sie die Wogen kräftig,
Die rühren sie mit Schmeicheln an.

Und auf dem Eiland wirft inbrünstig
Calogero sich auf die Knie
Und betet: Heilige Marie,
Um Jesu willen, sei ihr günstig!


Geräuschlos längs der Uferbucht
Gleitet ein Nachen, schmal und leicht.
Ein Mann, dem schon der Bart erbleicht,
Sitzt an dem Steuer, murrt und flucht:
Die Netze leer! Nur taubes Gras
Und Sand blieb in den Maschen hangen,
Und schon drei Tage nichts gefangen;
Mein Magen spürt den Teufelsspaß.
Wohin ich auch die Reusen schleppe,
Sie sind behext, versumpft, verschilft;
Kein Beten und kein Fluchen hilft –
He, rudre nur nach Haus, Giuseppe! 126

Der Bube, noch verschlafen halb,
Gehorcht dem finstern Wort des Alten,
Schaut unterdeß, sich wach zu halten,
Rings in das Zwielicht, feucht und falb.
Auf einmal ruft er: Sieh das Licht
Dort in der Klippenhütte brennen;
Der Büßer mag den Schlaf nicht kennen,
Er betet schon. – Der Alte spricht:
Ha, die verlogne Gleißnerbrut!
Wer weiß, nach welchem Lasterleben
Sich Der der Büßerei ergeben,
Dabei gedeiht ihm Fleisch und Blut.
Den Burschen hab' ich lange satt.
Da kommt er denn mit frommen Mienen
Allwöchentlich im Kahn zur Stadt,
Dem siechen Weibervolk zu dienen,
Und sieht der Herrgott gnädig drein,
Hat er viel Dank für wenig Pein,
Und wird dereinst als Heil'ger sterben;
Indessen ich in saurem Schweiß
Umsonst verzehre Kraft und Fleiß,
Und muß mit Weib und Kind verderben!

Mitleidig sprach der Knabe dann:
Den Armen wird das Fieber quälen,
Daß er die Nacht nicht schlafen kann.
Ich hört' es in der Stadt erzählen:
Jüngst trafen ihn die Diener an
Spät in der Spoletini Garten,
Wohl um die Ebbe zu erwarten.
Da glaubten sie, es wär' ein Dieb,
Und stachen blindlings im Ergrimmen
Mit Messern auf ihn ein, die Schlimmen,
Daß er in Ohnmacht liegen blieb.
Doch wie sie sein Gesicht besahn, 127
Sie schafften ihn in seinem Kahn
Zur Insel über, gar erschrocken.

Der Alte schüttelte die Locken
Und sprach: Ich gönn' ihm jeden Schlag,
Und ob er dran verscheiden mag.

Der Bub' am Ruder schwieg darnach;
Er sah nicht fürder in die Weite,
Gewendet nach des Ufers Seite.
Der Küstensand verlief sich flach,
Und bot zur Landung manche Stelle
Vom Röhricht schirmend eingehegt,
Drin sich ein leises Rauschen regt,
Wenn brandend naht die Meereswelle.
Des Knaben Blicke spähn umher,
Und plötzlich jetzt – was zaudert er?
Er ruft, und hört zu rudern auf:
Sieh nur die Streifen dort, die weißen,
Die wunderlich im Schilfe gleißen,
Als läge Linnen da zuhauf! –
Der Alte prüft das Ufer stumm,
Wohin ihn weis't des Knaben Hand,
Dann wirft ein Ruck den Kahn herum,
Und hurtig stößt er auf den Sand.

Er steigt hinaus, dem Knaben winkend,
Der widerwillig bleibt im Kahn,
Und geht den Küstenhang hinan
Bis zum Gebüsch, wo weiß und blinkend
Ein Weibernachtkleid liegt im Thau,
Dazu ein Mantel mit Kapuze
Von grobem Tuche dunkelgrau,
Wohl gegen Späherblick zum Schutze.
Zwei kleine Schuhe sieht er stehn,
Mit goldnem Schnürwerk reich versehn, 128
Auch ringsum an des Kleides Saum
War Goldgewirke nicht gespart.
Da steht der Alte, zaus't den Bart,
Giebt lüsternen Gedanken Raum.

Er murrt: So fürstliche Gewandung
Trägt in Ragusa's Stadt und Flur
Der Spoletini Schwester nur.
Sie mag wohl baden, nah der Brandung; –
Und doch – allein? zu dieser Zeit?
Gleichviel! es soll ihr goldnes Kleid
Mir Brod für meine Jungen geben.

Er will es schon vom Boden heben,
Wirft einen Blick noch übers Meer,
Da sieht er von der Insel her
Zwei weiße Arme landwärts streben.
Ein Blitz durchzuckt das Hirn ihm jach,
Und eine arge List wird wach.
Er läßt das Kleid, nimmt nur die Schuh,
Geht murmelnd seinem Nachen zu,
Dann reißt er aus des Buben Hand
Das Ruder, peitscht die Wasser flugs
Und fährt zu einer Bucht am Strand,
Wo reichlich Schilf und Meergestäude
Gewölbt zu einer Laube wuchs.
Da läuft er ein mit wilder Freude,
Und vorgelehnt im Boote kauernd
Harrt er der stolzen Beute lauernd.

Die weißen Arme rudern gut.
Sie tragen bald die schlanken Glieder
Zu Tod ermattet von der Flut
An die ersehnte Küste wieder.
Zusammen bricht das schöne Weib, 129
Und darf doch nimmer ruhn und rasten.
Sie rafft sich auf in bangem Hasten,
Fröstelnd zu kleiden ihren Leib;
Doch wie sie sucht, im Rohre wühlt
Und rings umherspäht voller Schrecken,
Die Schuhe kann sie nicht entdecken;
Hat sie das Meer hinabgespült?
Sie giebt sie auf, sie flieht von hinnen
Auf Waldespfaden, wo die Nacht
Noch über ihren Schritten wacht,
Und stiller wird's in ihren Sinnen.
Sie blickt nicht um, blickt nicht zur Seiten;
Doch Einen seh' ich, der von Weiten
Ihr folgt im stummen Waldrevier,
Die Wangen hohl, die Augen stier,
Des Hungers und der Tücke Bild:
So folgt der Wolf dem zarten Wild.

Ein Schimmer zuckt im Osten schwach.
Im Gartenhaus, der Stadt entlegen,
Schläft Alles noch dem Tag entgegen,
Da tritt sie ein in ihr Gemach.
Sie muß sich an den Wänden halten,
Sinkt in die Knie mit Händefalten,
Wankt dann zum Lager, wacht und weint,
Bis hoch im Blau die Sonne scheint.
Ach, endet so in Angst und Kummer
Die Liebe, die so kühn begann? – –

Den Spoletini stört ein Mann,
Der goldne Schuhe bringt, den Schlummer. 130


Und wieder Nacht. Gewölk verhängt
Den späten Mond, und am Gestade,
Wo sich im Schilf der Wind verfängt,
Sind öd' und dunkel alle Pfade.
Ein Schifflein steuert inselwärts
Mit schwarzem Kiel. Es sitzen drinnen
Zwei Männer in verschlossnem Sinnen,
Um stolze Lippen Grimm und Schmerz.
Wohl hüllten sie sich sorglich ein;
Doch wenn im kecken Windesweben
Die Mäntel sich verräthrisch heben,
Da funkelt Goldschmuck und Gestein.
Wer in Ragusa's Stadt und Flur
Trägt also fürstliche Gewandung?
Die Brüder Spoletini nur.

Mühlos am Eiland glückt die Landung.
Der Eine schwingt sich aus dem Schiff,
Die Faust um seines Dolches Griff.
Was brennen ihm die Augen so?
Der Andre spricht: Sei bald zur Stelle!
Und jener nickt und schreitet schnelle
Zur Hütte des Calogero.

Der Bruder bleibt und lauscht im Boot.
Vom Hüttlein schallt Geräusch herüber,
Wie wenn Zwei ringen auf den Tod.
Dann noch ein Schrei, ein röchelnd trüber,
Drauf geht die Thür vom Siedlerhaus,
Und Spoletino tritt heraus.
Er kommt zum Ufer, in der Linken
Die Leuchte, frisch mit Oel genetzt.
Die Rechte trägt den Dolch; sein Blinken
Wie blind und traurig ward es jetzt!
Ins schwanke Boot springt er sofort; 131
Er wirft den Stahl weit über Bord
Und hört die Flut daran erschaudern.
Sodann verstört, doch ohne Zaudern,
Knüpft er sich reckend hoch am Mast
Die Leuchte fest mit starkem Bast.

So sitzen sie geraume Zeit
Genüber sich in düstrem Harren.
Flutrauschen und der Stengen Knarren
Klingt in der Meereseinsamkeit
Wie Geisterstimmen, dumpf und kläglich.
Die Männer schweigen unbeweglich
Und starren nach Ragusa's Strand,
Am Ruder die entschlossne Hand. –
Die Nacht ist dunkel, lau und weich;
Zur Küste schreitet, heiß und bleich,
Ein Mädchen durch der Dünen Feuchte.
So lockend winkt die ferne Leuchte!
Sie birgt die Kleider in den Zweigen,
Die Schuhe streift sie hastig ab,
Dann wirft sie sich ins Meer hinab,
Läßt von dem Licht den Weg sich zeigen.

Das Licht führt in die Irre, weh!
Schwimmt langsam in die offne See,
Und Margherita schwimmt ihm nach
Und weiter – weiter, wo der Schimmer
Des Lichtes lockt – und landet nimmer.
Ihr Herz ist stark, ihr Arm wird schwach,
Bald haucht die Brust ihr letztes Ach.
Die Brüder rudern immerzu,
Die Fahrt geht grausig, still und stumm –
Ihr stolzen Männer, wendet um!
Das Schwesterherz ist längst zur Ruh. 132

 


 


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