Paul Heyse
Novellen in Versen
Paul Heyse

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Die Brüder.

(1852)

An dem Flusse liegt der Maulbeergarten,
Und ein Sommerlüftchen regt die Wipfel,
Drin die Grille singt, im Laub verborgen.
Und herüber aus dem Königsschlosse,
Dem der Fluß in Demuth küßt die Schwellen,
Und herüber durchs Gewühl der Gassen
Tönen Paukenklang und Glockenspiele,
Tönt Geschrei der Pfauen und Fasanen
Und das Wiehern stolzer Viergespanne
Mit dem Festgesumm von Menschenstimmen.
Denn des Landes Wei geliebter Erbprinz
Führet heim die fremde Fürstentochter.

An dem Flusse durch den Maulbeergarten
Wandelt ganz allein Swen-Kong, der König,
Trägt den Fürstenhut von Schillerseide
Mit neun goldgeflochtnen Quastenschnüren,
Trägt den Seidenrock mit Fuchs verbrämet,
Schön gegürtet mit dem Perlengürtel,
Und den bunten Kies der Gartenpfade
Tritt er mit den rothen Fürstenschuhen.

Und im Wandeln spricht zu sich der König:
Wo ist wohl ein Garten, wie der meine?
Wo ist wohl ein blühend Reich, wie meines? 88
Wo ein König, der sich mir vergliche?
Doch es ist Swen-Kong noch nicht am Ziele,
Seiner Wünsche nicht, noch seiner Tage,
Und noch immer konnt' er, was er wollte.

Also murmelnd wirft er hoch die Stirne,
Daß die Quasten an einander schlagen,
Und er blickt umher mit stolzen Augen,
Unverdunkelt von der Nacht des Alters,
Die ihm nur an Haar und Brauen dämmert.

Da den Fluß behend hinunter gleitend
Kommt ein lachend Fahrzeug angeschwommen;
Von den reichbemalten Segelstangen
Läßt's in Lüften seidne Wimpel flattern,
Läßt das golddurchwirkte Tauwerk blitzen
In der festlich goldnen Sommersonne,
Und vom Deck antworten Flöt' und Leier
Hell dem Paukenschall und Spiel der Glocken,
Das begrüßend aus der Stadt heranklingt.
Denn am Bord des blanken Hochzeitschiffes
Sitzt die Braut mit ihren hundert Jungfraun,
Sitzt des jungen Helden Ki Verlobte,
Und der Königssohn steht ihr zur Seite,
Und er lächelt und sie lächelt wieder.
Kann sie lächeln Dem, der ihren Vater
Ueberwand in sieben heißen Schlachten,
Der im Lande Tsi die Wittwen mehrte,
Dem sie Braut und Beute ward in Einem?
Und doch ist's ein unverstelltes Lächeln;
Denn das Leid verließ sie in der Heimath,
Und die Wonnen geben das Geleit ihr,
Wie die Vögel, die den Mast umschwärmen.
Und des Bräut'gams schönes Heldenantlitz
Fröhlich neigt es sich zu ihren Wangen, 89
Und er deutet mit der Augenwimper
Rings umher auf all die Pracht der Ufer –
Soll die liebliche Swen-Kjang nicht lächeln?

Der da wandelt in dem Maulbeergarten,
Wohl gewahrt er dieses Mädchenlächeln
An dem schwellend halberschlossnen Munde,
Wohl gewahrt er auch der Augen Schimmer,
Deren Brauen keiner Tusche brauchten,
Auch des Zopfes dunkle Seidenfülle,
Aufgebunden, wie ihn Bräute tragen;
Und wie sich der heiße Blick verirrte
Zu des Busens zartbewegter Jugend,
Ganz verschleiert von der zücht'gen Seide,
Schwillt unbändig ihm der eigne Busen,
Flammt im Antlitz auf ein heftig Glühen,
Und den Stern des Auges still gefesselt
An die Sonne dort im Hochzeitsschiffe,
Geht er hastig neben ihr am Ufer,
Dicht verborgen vom Gezweig der Bäume,
Das ihm selbst den Ausblick nicht verwehrte;
Bis das Schifflein, zwiefach angetrieben
Von des Stromes Fall und Schlag der Ruder,
Ihm zuvor am Thor des Schlosses landet.

Und empor die Stiegen des Palastes
Unter Glockenspiel und Volkesjauchzen
Führt der Königssohn die Königstochter
In die Halle, die zum Fest bereitet.
Auf dem Tische steht der goldne Becher,
Draus der Bräutigam dem Mädchen vortrinkt,
Um die Ehe nach dem Brauch zu schließen.
Rings im Saale harren schon die Fürsten,
Schwarz das Unterkleid und grün der Mantel,
Stehn des Reiches erste Mandarinen, 90
Insgesammt gereiht nach Amt und Würden,
Und die Schreiber sitzen bei dem Tische,
Auf den Knien den Ehepact entfaltend.

Einer fehlt noch zum Beginn der Feier,
Einer fehlt noch, und er zaudert lange.
Und man hört der Stunde banges Athmen,
Hört den eignen Herzschlag in der Halle;
Denn die Glockenspiel' und frohen Pauken
Schweigen draußen, und es schweigt die Menge.
Nur die Grillen in den Maulbeerzweigen
Singen schrillend durch die offnen Fenster.

Da erklingt ein Schritt, die Pforten schüttern,
Und der König kommt hereingeschritten,
Fest und langsam, Purpur auf den Wangen,
Hat den Blick so herrisch aufgeschlagen,
Daß im Saal sich alle Wimpern senken.
Und sie stehn und harren, daß er rede.
Doch er schweigt, in sein Gemüth verloren,
Und den Sohn mit keinem Worte grüßend
Prüft er mit dem Falkenblick die Taube.
Lange sinnt er; dann zum Tisch gewendet
Schenkt er bis zum Rande voll den Becher,
Draus der Bräutigam dem Mädchen vortrinkt,
Und – er selber setzt ihn an die Lippen,
Und er selber trinkt, und nach dem Trunke
Wie ein Sieger in die Runde blickend
Reicht er den Pokal der Braut des Sohnes.

Todtenstille brütet in der Halle,
Nur unheimlich stöhnt des Mädchens Lippe,
Da sie halb in Ohnmacht nahm den Becher,
Draus sie trank ein Gift für ihre Jugend.
Auf des Königssohnes frische Wangen
Hat sich jäh ein fahles Blaß gelagert; 91
Und er neigt sich – wer vermag zu sagen,
Ob dem Vater, ob vor Grameslasten?
Dann, die Hand geballt an seinem Gürtel,
Wankt er, zuckend wie ein sterbend Flämmchen,
Durch die Reihen, die sich scheu geöffnet,
Wankt hinaus zum Saal, hinab die Stiegen,
Schwingt im Hof sich auf den schnellsten Renner,
Und der Menge, die ihn fragend anstarrt,
Nicht mit Wort und nicht mit Blick erwiedernd
Jagt er aus dem Thor der Stadt ins Weite,

An des Reiches Rand, ins Südgebirge
Ritt der Königssohn die lange Reise,
Und dem Feldherrn, der die Grenzen hütet
Und der Nachbarvölker Brandung eindämmt,
Stellt' er sich bescheiden als ein Streiter.
Kamen da nach dreien Jahren Briefe,
Lobesbriefe von Swen-Kong dem König,
Der ihn hieß die Südermark verwalten.
Und so that er sieben schwere Jahre,
Daß sein Name wuchs bei den Barbaren,
Und er wohnt' in seines Volkes Herzen; –
Doch in seinem Herzen wohnt der Kummer.

Und nach zehn der kummervollen Jahre
Wieder kamen ihm vom Vater Briefe,
Daß er komme, sich am Hof zu zeigen;
Denn das Volk begehre seines Anblicks,
Und sein Vater sei im Volk der Erste.
Als Held Ki die Briefe durchgelesen,
Mußt' er sich auf seine Klinge stützen,
Denn es griff ein Krampf ihm an die Pulse;
Und so stand er, wie ein Baum im Felde,
Dem ein Erdstoß um die Wurzel zuckte.
Dann, die Brust beklemmt, das Auge düster,
Alsobald aus dem Gemache schritt er, 92
Hieß ein Häuflein seiner Diener satteln,
Winkt' ein Lebewohl dem Schneegebirge,
Und von dannen sprengt' er mit den Seinen.

Schlimme Zeichen fand der Held am Wege.
Rothe Füchse streiften durch die Wälder,
Schwarze Raben strichen hoch in Lüften,
Und mit Flüstern wiesen sich's die Diener.
Doch er selbst, gesenkten Hauptes ritt er,
Achtlos rother Füchs' und schwarzer Raben;
Denn das schlimmste Zeichen trug er selber,
Schlimmes Vorgefühl im eignen Busen.

Frohe Zeichen fand er auch am Wege,
Städt' und Dörfer, aufgeschmückt aufs Beste,
Volk in Schaaren, das ihn jauchzend grüßte –
Doch er selbst, gesenkten Hauptes ritt er,
Denn sein Herz war taub der hellen Freude.

Wie die Reiter nun der Hauptstadt nahten,
Bleicher ward das Angesicht des Prinzen;
Denn vom Schloß herüber und den Gassen
Scholl ein wirres Festgeräusch zum Ohre,
Pauken, Flötenschall und Glockenspiele,
Und vom Thor daher in reichem Zuge
Kam ein Viergespann von weißen Rossen.
Der es lenkte, war Swen-Kong der König,
Und er lenkt' es noch mit straffen Zügeln;
Aufrecht stand er. In dem goldnen Wagen
Saß die liebliche Swen-Kjang, die Fürstin,
Und ein Knabe, der ihr glich von Zügen,
Ein neunjährig holder Königssprosse
Saß bei ihr und staunte froh ins Weite.

Wohl gewahrt ihn schon vom fern der Reiter.
Bitter seufzt er auf und spornt den Rappen, 93
Daß er wild und wiehernd sich emporbäumt.
So im Flug erreicht der Prinz den Wagen,
Grüßt in Ehrfurcht den ergrauten Vater,
Grüßt die Mutter auch mit leisem Neigen,
Doch zum Knaben bückt er sich vom Rosse,
Hebt ihn rasch zu sich empor behutsam,
Und ihn vor sich auf den Sattel setzend
Küßt er herzlich seines Bruders Lippen,
Streichelt ihm die Wang' und drückt ihn an sich,
Und das Kind liebkos't den hohen Bruder.

Also kehrten sie zurück zum Thore.
Und entlang die Gassen zum Palaste,
Wo das Volk die beiden Prinzen schaute,
Winkt' es Grüße, rief es frohen Glückwunsch,
Froher als es je Swen-Kong begrüßte,
Kam er noch so sieggeschmückt vom Felde.
Stand der alte König finster horchend;
Denn der Fürsten Ohr ist fein geartet,
Feiner als das Ohr des besten Spielmanns,
Und es mißt genau des Volkes Stimmen,
Ob sie heller, ob sie dumpfer klingen.
Und so oft das Volk die Prinzen grüßte,
Klang dem König Mißton in den Ohren.
Doch die schöne Swen-Kjang ihm zur Seite,
Bebend hing ihr Aug' an ihrem Stiefsohn,
Wie er fest ihr Abbild an sich preßte,
Zartes Roth erblüht' ihr auf den Wangen,
Ungewohntes Roth der holden Freude,
Und auch das gewahrt der alte König.

Und es wuchs der Mond im Blau der Nächte,
Und es wuchs mit ihm des Königs Sorge,
Bis sie ihm die Nacht zum Tage machte.
Denn vom Fenster des Palastes blickt' er 94
Auf die Wiesenplätze längs dem Flusse,
Sah die Söhne täglich dort sich tummeln;
Und es unterwies Held Ki den Knaben,
Wie er reiten müss' ein kleines Rößlein,
Weiß am Leib und kohlschwarz an den Mähnen,
Und er schenkt' ihm einen schlanken Bogen,
Elfenbeinern rothbemalten Bogen,
Und er lehrt' ihn nach den Vögeln schießen,
Fing ihm junge Füchse, bunte Schlangen.
Doch am Abend, wenn sie müde waren,
Lagerten im Gras sie dicht zusammen.
Dann ins horchbegier'ge Ohr des Knaben
Goß der Mann die Fülle der Geschichten,
Kriegesthaten aus dem Süderlande,
Märlein von dem wunderbaren Einhorn,
Von Yün-Yang, dem treuen Vogelpaare,
Das da stirbt, wenn es die Menschen trennen. –
Sprach Swen-Kong der König zu sich selber:
Meines Weibes Sinn ist mir entfremdet,
Meines Knaben Herz wird mir entwendet,
Soll ich blöde zaudern, bis der Räuber
Meines Volkes Herz sich auch gewonnen?
Noch am Ziel nicht bin ich meiner Tage,
Und mein Leben denk' ich auszuleben!
Traun, noch immer konnt' ich, was ich wollte.

Und Gedanken arger Tücke brütend
Rief er zu sich den getreusten Diener
Und beschied ihn so: Am frühen Tage
Will ich morgen einen Boten senden
Nach dem Lande Tsi zu meinem Schwäher.
Wer es sei – er soll nicht hingelangen!
Wer es sei – er soll nicht wiederkehren!
Dafür haftest du mit deinem Blute. –
Und der Diener neigte sich in Schweigen. 95

Und desselben Abends nach dem Mahle
Rief der König seinen Erstgebornen,
Falsches Lächeln auf den Greisenwangen,
Falsches Schmeichelwort im Greisenmunde.
Eine schnelle Botschaft muß ich senden
Nach dem Lande Tsi zu meinem Schwäher.
Sichrer und geschwinder ist kein Bote,
Als du selbst, den ich so oft erprobte.
Laß denn morgen in der Frühe satteln,
Reite noch vor Tagesgraun von hinnen,
Häng dem Roß dies Täschchen an den Sattel,
Drin die Briefe, die ich schrieb dem Schwäher,
Schwöre mir, zu thun, wie ich dir sage!

Sprach der Königssohn bescheidnen Herzens:
Stets vollzog ich willig deinen Willen,
Und nicht braucht es zwischen uns des Eides.
Doch du heißest mich – so will ich's schwören. –

Als der Prinz den theuern Eid geleistet,
Nahm er Abschied von dem greisen Vater,
Schlummernd sich zum frühen Ritt zu stärken.

Da nun Mitternacht herangeschlichen,
Fährt die schöne Fürstin in die Höhe
An des schlafenden Gemahles Seite;
Denn der König wälzt sich auf dem Lager,
Windet sich in Qual der schweren Träume,
Und die Fürstin horcht dem irren Stöhnen,
Der zerrissnen Flut der Mordgedanken,
Die ihm stockend von der Lippe quellen.
Und ein hohles Lachen klingt dazwischen,
Wie die heisre Freude pflegt zu höhnen.
Wohl, so lallt er, wird er schaun den Morgen,
Doch des Abends Röthe schaut er nimmer; 96
Gute Wege sind in meinem Reiche,
Doch am guten Wege schlimme Fäuste! –
Und so werd' ich Ruhe – Ruhe finden,
Denn – noch immer konnt' ich, was ich wollte! – –

Von dem Lager stiehlt sich weg die Fürstin,
Hastet nach der Schwelle, tappt zur Pforte,
Lehnt in Ohnmacht taumelnd an den Pfosten,
Und der Schwindel zwingt den Fuß zu Boden.
Doch die Flüche, die vom Bette lallen,
Dringen in die Halbnacht ihrer Sinnen,
Und sie rüttelt von sich die Betäubung,
Und mit lautlos athemlosem Gange
Schleicht sie fort in ihres Knaben Kammer.

Lag der Knabe dort in tiefem Schlummer,
Und er träumte kindisch süße Träume,
Träume von dem wunderbaren Einhorn,
Von Yün-Yang, dem treuen Vogelpaare,
Das da stirbt, wenn es die Menschen trennen,
Träumte Kampf und Sieg im Süderlande,
Und er focht an seines Bruders Seite.

Wie die Mutter ihren Knaben anblickt,
Lös't sich ihr die Angst in heißen Zähren,
Niedertropfend auf des Schläfers Augen,
Daß sie fragend alsobald sich öffnen.

Sprach der Knabe: Mutter, warum weinst du?
Wer dich kränkt – ich will's ihn büßen lassen!
Mutter, liebe Mutter, warum weinst du?

Sprach die Mutter: Ach, wohl muß ich weinen!
In Gefahr ist deines Bruders Leben.
Böse Männer lauern unterweges,
Wenn er morgen in die Fremde reitet 97
Nach dem Lande Tsi zu deinem Ahnen;
Böse Männer, die ihn morden wollen.
Geh, mein Kind, und warne deinen Bruder!
Sag ihm, andre Straße soll er reiten,
Sag ihm auch – ich bät' ihn, deine Mutter. –
Da der Knabe dieses Wort vernommen,
Mutter, sprach er, sollst nicht weinen, Mutter!
Ich will zu ihm gehn und will ihn warnen.
Und er geht im leichten Nachtgewande,
Eilt im Dunkeln durch die hohen Säle,
Lange Gänge durch, vorbei den Wachen,
Die sich scheuen ihm ein Wort zu sagen.

Da er kam zum Schlafgemach des Bruders,
Setzt' er sich dem Schlummernden aufs Lager,
Weckt' ihn sanft und sagt' ihm böse Zeitung.
Heiter blieb des edeln Helden Auge;
Nur wie er der Mutter Wunsch gedachte,
Zuckt' es schmerzlich um die langen Wimpern.
Und dann streichelt er des Knaben Antlitz,
Nimmt die zitternd kleine Hand in seine
Und erwiedert: Kind, ich werde reiten,
Und des graden Weges werd' ich reiten,
Ob auch Tücke mag am Wege lauern.
Denn geschworen hab' ich's meinem Vater,
Und nicht war ich's je gewohnt zu zagen.
Böse Träume ängsten deine Mutter;
Geh und grüße sie und schlaf' in Frieden!

Lange bat der Knabe, bat in Thränen,
Bot sich an am Morgen mitzureiten,
Denn ihm helfen woll' er, wenn es Noth sei.
Und der Held mit Lächeln küßt den Knaben,
Schüttelt nur das Haupt und halb mit Bitten,
Halb mit Drohen zwingt er ihn zu scheiden,
Legt sich nieder und entschläft aufs Neue. 98

Kurz vor Tage wich von ihm der Schlummer,
Und er stieg zu Roß und nahm die Tasche,
Und den Weg entlang dem Flusse ritt er,
Ritt vorbei dem Spielplatz seines Bruders.
Da gedacht' er seines Nachtbesuches,
Und der Knabenängste mußt' er lächeln,
Doch nicht lächelt' er der Angst der Mutter.
Frisch umfing der Frühwind Roß und Reiter,
Und das Roß griff aus, und bald dahinten
Blieben Stadt und Schloß im Morgennebel.

Wenig Meilen war der Held geritten,
Vor Gedanken nicht des Weges achtend,
Da erweckt ihn Wiehern seines Rosses,
Und der Rappe schüttelt sich und schnaubet.
Denn von Ferne klingt ein andres Wiehern,
Und ein kleines Pferdchen jagt entgegen,
Weiß am Leib und kohlschwarz an den Mähnen.
Wohl erkennt der Held des Bruders Rößlein,
Und betroffen, daß es ledig schweife,
Hält er an und ruft es hell bei Namen.
Kam das gute Rößlein fromm gelaufen,
Ganz von Schaum bedeckt und heftig zitternd.
Und der Prinz, wie er den Hals ihm klopfte,
Weh, was sieht er! – Blut an seinem Sattel,
Frisches Blut verspritzt an seinem Leibgurt,
Und des Rößleins Wiehern klingt wie Klage,
Daß dem Prinzen bei dem Tone schaudert,
Und von hinnen stürmt er, und das Rößlein
Folgt dem Rappen schnaufend auf der Fährte.

Da von fern schon an des Ufers Weidicht
Auf dem Sand des Weges sah er's dunkeln,
Sah er junge, wohlbekannte Glieder
Schmählich hingestreckt in rothem Blute,
Und den Rappen zu der Stelle spornend 99
Sah er blasse schöne Knabenwangen,
Augen, die ihn oft gegrüßt, gebrochen,
Blut aus dreien Wunden auf dem Röckchen,
Und am Halse, ganz mit Blut besudelt,
Hing dem Knaben eine Botentasche,
Wie er selbst sie an der Seite führte.

Da der Held den Jammeranblick schaute,
Schrie er auf, ins tiefste Mark getroffen,
Sprang zu Boden, warf sich auf den Knaben,
Und mit Küssen und mit Thränen netzt' er
Ihm das frühgewelkte Blumenantlitz.

Und so lag er, und die Rosse standen
Leise wiehernd bei dem Brüderpaare.
Doch zuletzt erhebt er sich gewaltsam,
Und die Faust nach seinem Schwerte zuckend
Reißt er wie in Wuth den Stahl zu Tage,
Wirft sich in den Sattel, spornt den Rappen
Und der frischen Spur im Wege folgend
Jagt er fort von seines Knaben Leiche.

Dort im Wald, der beiderseit am Flusse
Schatten spendet, traf er auf die Mörder,
Vier mit Waffen wohlbewehrte Männer,
Und den Einen kannt' er wohl von ihnen,
Seines Vaters allertreusten Diener.
Als die Vier den Hufschlag dröhnen hörten,
Hätten sie sich gern zur Flucht gewendet;
Doch der Rächer ist schon über ihnen,
Und den Führer, seines Vaters Treuen,
Streckt er nieder mit dem ersten Streiche,
Und dem Zweiten spaltet er den Schädel,
Und den Dritten, der den Speer erhoben,
Trifft er in die Weiche, daß er taumelt;
Doch bevor er sich zum Vierten wendet, 100
Der auf hundert Schritte schon entwichen,
Trifft ein Pfeil ihn handbreit nur vom Herzen,
Und der Vierte floh ins sichre Dickicht.

Keinen Schmerzenslaut vernahm die Waldung,
Nur ein dreifach matt verscheidend Röcheln.
Und der Prinz, entfärbt im Angesichte,
Langsam reitet er zurück zum Knaben,
Steigt vom Roß, wie sehr ihn brennt die Wunde,
Hebt das Kind hinauf auf seinen Rappen,
Steigt dann selber mühsam in den Sattel,
Und den Pfeil im Busen trabt er heimwärts,
Fest umschlungen die geliebte Leiche.

Und sobald er einritt in die Gassen,
Schaart sich Volk um ihn, erhebt sich Klage,
Frauenklage und der Männer Murren,
Wälzt sich nach in ungestümen Wogen –
Und der wunde Held vernimmt ihr Brausen,
Sein' und seines Bruders Todtenfeier.
Doch, als sei er selbst schon abgeschieden,
Giebt er nicht dem Sturm der Fragen Antwort,
Naht sich dem Pallast, steigt ab vom Rosse,
Hebt mit morscher Kraft des Heldenarmes
Den geliebten Todten aus dem Sattel,
Und mit ihm schwankt er empor die Stiegen.

In der Halle saß Swen-Kong der König,
Auf dem Sessel neben ihm die Fürstin.
Nicht berührte sie den Morgenimbiß,
Netzte keine Lippe mit dem Frühtrunk.
Und der König auch, so viel er kämpfte,
Sich die Wolken von der Stirn zu trotzen,
Nicht bezwang er in der Brust das Grauen.

Sprach der König: Gehn nicht Schritte draußen?
Summt es nicht von Stimmen vor den Fenstern? 101
Doch die Fürstin schwieg und sah zu Boden.
Sprach der König: Näher kommt der Fußtritt!
Ist der Schritt nicht meines lieben Knaben,
Und den Andern sandt' ich in die Ferne –
Wer erfrecht sich, uns so früh zu stören?
Da zur Antwort öffnet sich die Pforte;
In die Halle wankt sein Erstgeborner,
Sieht dem Vater still ins greise Antlitz,
Legt den Knaben auf des Saales Teppich,
Und dann neben ihm ins Knie gesunken
Spricht er dumpf: Da bring' ich dir dein Opfer.
Jenen Tod, den du für mich bestimmtest,
Stahl mir dieses Kindes muth'ge Liebe,
Und ich fand den Tod, da ich ihn rächte.
Gute Nacht! Ich folge meinem Liebling, –
Gute Nacht auch dir, verwais'te Mutter!

Da er dieses Scheidewort gesprochen,
Zog er aus der Brust den Pfeil gewaltsam,
Daß der Blutstrahl in die Höhe spritzte,
Und zusammen brach er bei dem Knaben.

Als die Diener in den Saal sich wagten,
Fanden sie Swen-Kjang in schwerer Ohnmacht,
Ihr Gesicht gedrückt ans Haupt des Helden,
Ihr Gewand von seinem Blut befeuchtet.
Doch der König saß zurückgesunken,
Unverwandt nach seinen Söhnen stierend,
Und sie wagten's nicht ihn anzurufen.
Und der Mittag kam, es kam der Abend,
Und noch immer saß er unbeweglich.
Da sie Abends seine Hand berührten,
War sie eisig und der Puls erstorben.

Wenig Tage kamen, bange Tage.
Aus dem leeren Hause zog die Fürstin, 102
Zog zurück in ihrer Jugend Heimath,
Zog zum Vater tief in Wittwentrauer.
Doch vom Süden her nach kurzen Wochen
Kamen in das Land Barbarenschwärme,
Brannten rings die reichen Saaten nieder,
Denn es war kein Held mehr, der sie schreckte,
Plünderten die reichen Städt' und Schlösser,
Warfen Fackeln in das Schloß des Königs –
Und die Pracht des Schlosses brach zusammen,
Und der Maulbeergarten lag verwüstet;
Nur die Grillen in dem Laub verborgen
Zirpten klagend aus den öden Trümmern. 103

 


 


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