Paul Heyse
Novellen in Versen
Paul Heyse

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König und Magier.

(1856)

Gleich dem Tiger, wenn er tagelang
In der Höhle lauert auf den Fang,
Gleich dem Falken, wenn er unversehn
Auf den Raub herabstößt aus den Höhn,
Gleich dem Löwen, dem, wenn er sich zeigt,
Jedes Waldthier zittert, dient und schweigt –
Groß ist unser König! Vor ihm her
Zieht sein Ruhm und wallt von Meer zu Meer,
Wie ein Rauch, der seinen Feind erstickt,
Wohlgeruch, der seinen Freund erquickt,
Auf und ab am alten Flusse Kjang –
Schöne junge Sonne, leuchte lang!«

Also sang am Fuß des Königsschlosses
Eine Sängerschaar. Das Volk im Kreise
Horcht und spricht die Worte nach und athmet
Jenen Wohlgeruch mit freud'gen Sinnen.

Drinnen aber bei dem Siegesfestmahl
Sitzt der junge Löwe, sitzt der König,
Bleich inmitten weinerhitzter Gäste.
Weder spricht er, weder netzt der Becher
Ihm den Mund, noch der Gesang die Seele.
Brennt im Schenkel ihm die alte Wunde? 104
Glimmt in seinem Busen neue Liebe,
Die Verstörerin der Lebensfreuden?
Liebe nicht und nicht die Wunde nagt ihn,
Ihn verzehrt das Weh der Königskinder,
Einsamkeit und Herzensungenügen.

Und der Freund, der einz'ge seiner Jugend,
Spricht zu ihm: Auf neue Thaten sinnst du,
Herr; ich seh's am Zucken deiner Lippe.
Warum schlürfst du nicht des Ruhmes Labsal,
Nicht die Ruhe, die nach Mühen süß ist,
Nicht die Liebe deines Volks, o König?

Drauf der König: Wer des Ruhmes werth ist,
Dem ist Ruhe fremd. Zudem gedacht' ich
Jener Fürsten, die mein Schwerdt gebändigt. –
Schollen nicht auch ihnen solche Lieder,
Labte nicht auch sie des Volkes Liebe,
Jenes selben Volkes, mein Tschang-Tschao,
Das sie mir gebunden überliefert,
Als ich siegend in die Vesten einritt?
Volkesgunst ist wandelnd wie die Meerflut;
Wohl am Saum des Strandes läßt der Weise
Gerne sich von ihr die Sohle kühlen,
Doch er weiß, im Grunde wohnt die Tücke,
Wohnt der Tod. Was sprichst du mir vom Volke! –

Und er neigt das Haupt und schließt die Augen,
Und ein Traum entführt den wachen Geist ihm,
Solch ein Traum, wie ihn die Mächt'gen träumen,
Sättigend ihr Herzensungenügen.
Denn er wuchs im Traum. Mit seiner Sohle
Tritt er fest die Erde, mit dem Scheitel
In den Reigen der Gestirne ragt er,
Die sein Haupt umglühn als Krondemanten.
Doch des Volkes Haß und Liebe brandet 105
An sein Ohr nur wie ein dumpfes Murmeln,
Ferner Wasser – und er lacht im Traume.

Als er aufsah – horch! ein dumpfes Murmeln
Dringt herauf, es schweigt das Lied der Sänger,
Und im Saal, wo seine Feldherrn zechten,
Sieht er staunend sich allein gelassen.
Auf vom Sitze fährt er. Nur Tschang-Tschao
Weilt bei ihm: Du hast geschlummert, König?

Nein, geträumt. Wo sind die Mandarinen?
Wo die Feldherrn? Wo die Schaar der Diener?

Herr, zum Markt sind sie hinabgegangen,
Denn ein Tao-Ssé, ein alter Priester
Kam zur Stadt – sie heißen ihn den Heil'gen –
Der mit Wassern, die sein Mund gesegnet,
Sieche heilt, das Kommende vorhersagt
Und unsterblich lebt in ew'ger Jugend.
Alles Land ist voll von seinem Preise,
Und sie gingen, ihm das Kleid zu küssen,
Da sie, König, dich entschlafen glaubten.

Purpurn ward die junge Fürstenstirne;
Und emporgefahren von dem Thronsitz,
Den verwundeten Schenkel mühsam schleppend,
Trat er zum Altan.
                                Da sah er drunten
Auf dem Platz die dichte Menge knieen
Wie ein Kornfeld, das der Hagel knickte;
Seine Feldherrn, seine Würdenträger,
Keiner schont sein goldgesticktes Hofkleid,
Weiber, knieend, schwingen Weihrauchfässer,
Blumen streun die Kinder auf den Weg hin,
Und inmitten aufrecht steht der Heil'ge.
Bis zum Gürtel überm Bastgewande 106
Fließt der weiße Bart. Sein Antlitz leuchtet
Wie die Pfirsichblüt' im Maienmonde, –
Leuchten je so farbig Greisenwangen? –
Und er murmelt in der heil'gen Sprache
Worte des Gebets.
                                Da schallt des Königs
Stimme vom Altan: Den Knecht der Lüge
Führt herauf, den Gleißner vor mein Antlitz,
Denn ich bin gesonnen, ihn zu richten!

Gleich als wäre Ruf von einem Irren
Laut geworden in der Tempelstille,
So emporgeschreckt aus tiefer Andacht
Sehn zum Schloß des Volkes tausend Augen.
Die zunächst dem Heil'gen knien, sie beugen
Tiefer nur das Haupt auf seine Schuhe,
Emsger wird das Weihrauchfaß geschwungen,
Wie zur Reinigung der Luft, die frevelnd
Jener Ruf entweiht.
                                  Allein der König –
Noch befahl er nie zum zweiten Male –
In den Saal ist er zurückgeschritten
Und erwartet, daß der Priester komme.
Niemand kommt. Da naht sich ihm Tschang-Tschao.
König, warnt er, deine schwere Wunde
Braucht der Schonung. Sieh, das Gift des Speeres
Ward mit linden Salben eingeschläfert
Und erwacht, wenn Zorn das Blut dir aufwühlt.
Laß den Priester fliehn. Wo fändst du Ursach
Wider ihn? Er wandelt leise Pfade.
Und das Volk, vergreifst du dich an diesem,
Wirst du heut und immer dir entfremden.
Hör' auf mich! –
                            Mich dünkt, sie zaudern lange,
Spricht Sün-Tsé. Geh du hinab, Tschang-Tschao, 107
Hol' ihn her! Ist dieser leere Festsaal
Ursach nicht genug? –
                                      Da ging der Treue,
Ging und kehrte wieder mit dem Heil'gen
Und ihm nach die Gäste. Vor dem König
Stand der Alte, neigte sich bescheiden
Zweimal, daß sein Bart den Boden rührte,
Doch sein Blick hing an des Königs Auge.
Also mißt sich Löw' und Leoparde,
Die sich treffen in der engen Thalschlucht.

Und der Löwe, wild, daß er des Gegners
Auge nicht zu Boden blitzen konnte:
Sprich, wer bist du, herrscht er ihm entgegen,
Der sich unterfängt mit frommen Tücken
Meines Volkes Herzen zu verblenden?
Säest schnöde Saat des Ungehorsams
In die Köpfe meiner Mandarinen,
Daß sie mir vom Tische weg sich stehlen,
Daß die Krieger, die dem Tod gestanden,
Zitternd vor der Wucht des Aberglaubens
Wie die Weiber dir die Kniee beugen?

Und ein Schauder überlief die Hörer,
Und sie seufzten heimlich ob der Lästrung;
Doch der Tao-Ssé hub an und sagte:

Unrein bin ich nicht. Denn nur der Wille
Reinigt und befleckt die Menschenseele,
Und der meine trieft vom Bad der Demuth.
Wer ich bin? es kennen mich die Menschen
Beiderseit am Flusse Kiang. Ein armer
Priester bin ich, unwerth, daß der König
Nach ihm fragt. Vor hundertsechzig Jahren
Fand dein Knecht im hohen Steingeklüfte 108
Eines Magiers Buch. Mit rothen Lettern
War die Schrift auf weißen Grund geschrieben
Und benannt: Der Weg zur großen Ruhe.
Hundert Hefte sind's. Die einen fünfzig
Voll von uralt magischen Gebeten,
Daß der Leib genese. Doch die andern
Lehren, wie man blüht in ew'ger Jugend.
Diese sind Geheimniß; jene frommen
Jedem Mutterkind. Seit damals, König,
Hab' ich auf und ab das Land durchzogen,
Körper heilend, und die Seelen weisend
Auf den dunklen Weg zur großen Ruhe.
Diese Hand soll mir vom Arme faulen,
Nahm ich jemals Lohn, die kleinste Münze,
Je ein Kleinod, außer Trank und Speise,
Nur zu fristen meine Lebenstage.
That ich was, um Herzen zu verblenden?
Sprach ich was, zu schmälern deine Hoheit,
Die der Herr der Welt mit Strahlen kränze
Ewiglich? Dein Knecht hat ausgeredet.

Sprach's und neigt bescheiden sich dem König
Zweimal, daß sein Bart den Boden rührte;
Doch der König – eine Feuersäule
Stand er auf dem Thron, Verderben züngelnd,
Und sein Wort fuhr sengend durch die Herzen:
Tao-Ssé, ich kenne dich und alle
Deinesgleichen. Euren Nacken beugt ihr –
Euer Auge trotzt mir dreist entgegen.
Heuchelei ist eure ganze Demuth,
Euer Zauber ist der Menschen Wahnsinn,
Eure ew'ge Jugend ist die Tücke,
Welche nie in eurem Orden ausstirbt.
Wohl den Weg zur großen Ruhe wißt ihr;
Jeder geht ihn, der die wache Stimme, 109
Die nach Wahrheit schreit, in sich betäubet
Und sich bettet in die eigne Lüge.
Faule nur die Hand von deinem Arme,
Denn du reckst sie nach dem größten Kleinod,
Nach der Macht, die alle Schätze werth ist.
Deine Wange täuscht mich nicht, und sollte
Mich dein Mund betrügen? Nein! Von hinnen
Tilg' ich dich, denn Macht sei bei dem Einen,
Der ein Held und Retter in der Noth ist,
Nicht beim Schleicher, der vom ew'gen Gott sich
Alles anmaßt, Würde, Macht und Jugend,
Nur das Eine nicht, den Haß der Lüge.
Weil nun Gott geduldig ist und Manchen
Ueberhört, der ins Gesicht ihn lästert,
Soll der König, Gottes Sohn und Abbild,
Seines Herrn und Vaters Ehre wahren
Und die Gleißner in den Boden schmettern.
Führt ihn fort, in Ketten! Diesen Tag noch
Weis' ich ihm den Weg zur großen Ruhe.

Da fiel alles in die Knie, die Feldherrn,
Mandarinen und der Freund Tschang-Tschao,
Und sie flehten: Gieb ihn frei den Heil'gen!
Schon' ihn, großer König!
                                            Furchtbar blickte
Von dem Thron der Held. Für euch um Schonung
Solltet ihr mich anflehn! Ist es Wahrheit,
Daß er heilen kann mit seinen Wassern,
Warum rieft ihr, da ich wund zurückkam,
Euren Heil'gen nicht, daß er mich heile?
Warum rieft ihr einen schlechten Wundarzt?
Geht, ihr seid zu blöd an Geist und Sinnen
Und sich selber widerspricht der Wahnsinn,
Sonst gedächt' ich, daß ihr Arglist übtet. 110

In Bestürzung knien sie, Alle wortlos,
Und es winkt der Fürst. Die Gäste wandeln
Heim; hinab zum Kerker schritt der Priester. – –

Eine Stunde war dahingegangen,
Da zum jungen König kam die Mutter;
Denn ein Fürwort bei dem Sohn zu sprechen
Baten sie die Mandarinenfrauen.
Und sie fand den Sohn allein im Garten,
Und sie sprach: Was thatest du, mein Liebling? –

Mutter, sprach er, wie ein König that ich! –

Und die Mutter: Könige sind milde,
Könige sind klug und fromm vor Allem. –

Nein, vor Allem, Mutter, sind sie König.
Kommst auch du, und bittest für den Gaukler,
Der mein Volk verführt, der mir die Feldherrn
Von der Seite lockt, daß auf dem Thron ich
Einsam sei? Mit theuren Eiden schwor ich,
Diese Brut der üppigen Lügengeister
Wegzutilgen, daß die Erde rein sei,
Und ich will's, so wahr mein großer Vater
Als ein reiner Geist da oben wandelt.
Stets, seit ich ein Roß beschreiten konnte,
In die Feldschlacht folgt' ich meinem Vater
Weit und breit; wenn er sein Land bereis'te,
Stand ich neben ihm im goldnen Wagen,
Hört' und sah sein Thun und Reden alles;
Niemals sah und hört' ich, daß er Gauklern
Ehrfurcht zollt'. In seiner Faust zerbrach er
Geisterspuk und Trug wie Eierschalen,
Und vor Gott nur lag er auf den Knieen.
Und so will ich auch thun, gute Mutter, 111
Gott gehorchen und der Götzen lachen
Und vernichten alle Götzenpfaffen.

Kind, erwiedert kummervoll die Mutter,
Höre mich, denn ich bin alt geworden
Dicht am Throne, wo man zeitig altert.
Gott gehorchen ist der Weisheit Anfang,
Doch der Götzen lachen ist gefährlich
Jedem, und den Herscher untergräbt es.
Was begehrt das Volk? Es will beglückt sein.
Wenn's ein Wahn beglückt, dann weh dem Herscher,
Der den Wahn ihm zu entreißen trachtet.
Böt' er auch dafür die schönste Wahrheit.
Nicht Erkenntniß tilgt den Aberglauben,
Nur der Glaube; denn der Geist der Menge
Lechzt nach Wahrheit nicht, nur nach dem Glauben.
Weil das Volk an Deinen Vater glaubte,
Konnt' er Pfaffenspuk und Trug verachten,
Nicht zerbrechen; solches wagt' er niemals.
Du bist jung. Als Helden kennt das Volk dich,
Nicht als Herscher. Daß sie an dich glauben,
Danach trachte, Sohn, und ihre Götzen
Werden nie die Wege dir vertreten.
Doch mit ihnen kämpfen, macht sie mächtig,
Und der Kleinste unter ihnen zwänge
Hundert Helden, wenn man ihn beleidigt,
Da er ungekränkt von selbst vermodert.
Sprach der Sohn: So willst du, gute Mutter,
Daß ich mit der Lüge mich vertrage,
Weil sie Waffen hat?
                                    Und Jene sagte:
Waffen, Kind, die keinem Helden ziemen,
Waffen, wie die Wahrheit nie sie führte,
Unbesieglich doppelschneid'ge Waffen.
Sohn, noch einmal: gieb ihn frei den Gaukler! 112
Sag, du seist voll süßen Weins gewesen,
Stift' ihm einen Tempel. Hat dein Vater
Tempel nicht erbaut an allen Enden,
Nicht allein zur Ehre Gottes, nein, auch
Diesem Volk zu Nutz?
                                        Von seiner Seite
Riß Sün-Tsé das Schwert. Wie diese Klinge
Nackt in Lüften saus't und ihrer Schärfe
Sich erfreut, so ist dein Sohn, o Mutter.
In der Scheid' ein Schwert – so war mein Vater.
Wer der Stärkre, wird die Nachwelt richten.

Und die Hand auf seine Schulter legend
Spricht die Mutter: Höre noch dies Eine!
Daß er Sonn' und Regen wirken könne,
Rühmt das Volk vom Tao-Ssé. Wohlan denn!
Eine Dürre brütet viele Wochen
Ueberm Land; vermag er die zu bannen,
Sag ihm das, so soll er frei davongehn,
Reich beschenkt; wo nicht, als Lügner sterben.

Sei's denn! sprach der Sohn; doch thu' ich's ungern.

Und er ließ den Priester vor sich führen.
Ohne Ketten kam er, denn die Schergen
Hatten's nicht gewagt ihn anzufesseln.
Grimm, da er dies sah, befiel den König,
Doch er zwang sich, sagt' ihm jene Rede,
Wie die Mutter sie ihm eingegeben.
Sprach der Tao-Ssé, sich zweimal neigend:
Herr, die Frist, die meinem Lebensathem
Vorbestimmt, ich weiß, sie geht zu Ende;
Bleich sind meine Sterne; doch versuch' ich
Was ich kann.
                          Da führten ihn die Schergen
Auf den Markt. In heller Sonne lag er 113
Nieder, betend, seine weißen Hände
Still gefaltet vor das blüh'nde Antlitz.
Rings umstand ihn dichtgedrängt die Menge,
Stumm. Auf dem Altan erschien der König;
Keine Lippe rief ihm heut Willkommen,
Nicht ein Blick begrüßt' ihn aus des Volkes
Tausend Augen; sinnend an der Brüstung
Lehnt Sün-Tsé; im Herzen war ihm wehe.

»Wenn die Sonne zum Gebirg hinabsteigt,
Ehe Spruch und Bitte dieses Priesters
Aufgethan die ehernen Himmelsschleusen,
Wird der Gaukler auf den Holzstoß treten,
Und die Flamme soll von ihm die Lande
Und vom Wahn die irren Herzen läutern!«

So der Herold. Athemloses Schweigen,
Murren dann und Wehgeschrei im Volke,
Lauter Zuruf: Rette dich, du Heil'ger!
Rette dich! wir wissen, du vermagst es.

Doch der Alte lag, als ob er schliefe,
Lag und lag. Die langen Stunden rollten
Schwer am Himmel in den glühenden Gleisen.
Und die Sonne sank. Da hieß der König
Scheiter auf dem Markt zusammenschichten,
Und mit Fackeln traten vier Trabanten
An die Ecken hin des Sterbehügels,
Eines Winkes vom Altan gewärtig.
Und die Sonne sinkt. Der Abendstern schon
Blinkt herauf, es schwebt die Mondensichel
Rein am Firmament – die Sonnenscheibe
Rührt den Bergrand – sinkt – ein rother Schimmer
Streift verklärend noch den Todgeweihten –
Und der König winkt. Die Schergen tragen 114
Den Verfallnen auf die Todesbühne,
Der, so scheint's, in sanftem Schlummer athmet,
Und die Fackeln stürzen in die Scheiter.
Da im Nu erhebt sich himmlisch Brausen
Ueberm Markt, die Ziegel von den Dächern
Fahren durch die Luft im Kreis gewirbelt,
Ein Gewölk wie Heere großer Adler
Stürmt zusammen, unter ihrem Fittig
Dröhnt der Aether, wankt die alte Erde,
Und ins Jauchzen, Beten, Schrei'n des Volkes
Prasselt furchtbar Himmelsflut in Bächen,
Fegt den Markt von Gaffern rein, zerflößet
Scheit auf Scheiter wie ein Reisighäuflein,
Und die Fackeln zischen aus. Der Alte
Liegt bewegungslos, als ob er schliefe.

Und der Regen schweigt. Wohl einen Schuh hoch
Ueberschwemmt' er weit und breit die Gassen.

Aber um den Alten drängt das Volk sich,
Alle Feldherrn, alle Würdenträger
Knieen in der Flut, indeß der Priester
Sanft die Augen hebt und leise murmelt
Worte des Gebets.
                                Da rauscht ein Hufschlag
Durch die Lachen; hoch zu Roß, umgeben
Von Trabanten, naht Sün-Tsé, der König,
Neben ihm Tschang-Tschao. Keine Gasse
Thut sich auf im knieenden Volk. Die Lanzen
Müssen sie ihm öffnen und der Hufschlag;
Jeder meidet, zu ihm aufzuschauen,
Wie man meidet böser Geister Anblick.
Und er hält beim Tao-Ssé. Der Priester
Schlägt die Blicke ruhig auf zum König,
Dessen Aug' in trübem Feuer lodert.
Und der König: Gott, den Herrn des Himmels, 115
Würd' ich lästern, glaubt' ich, daß die Ordnung
Der Natur aus ihren Fugen wankte,
Dich zu retten. Vorbestimmt von Anfang
War die Flut, die sich herab ergossen,
Nicht gehorsam einem Lippenmurmeln.
Oder wär's, so wär's ein Sieg der Hölle
Ueber Himmelsmächte, wärst du selber
Ein verfluchter Geist, und ich gesegnet,
Wenn ich dich zurück zur Hölle sende.
Auf, Trabanten! nach der großen Ruhe
Lüftet ihn: so weis't ihm denn die Pfade!

Keiner hebt den Arm, die Klinge Keiner.
Und der König schäumt: Ein Volk von Memmen
Nenn' ich mein? Ist Keiner, der den Flachsbart,
Das gemalte Angesicht verachtet? –
Da erblitzt ein Stahl. Tschang-Tschao's Waffe
Trennt das Haupt des Tao-Ssé vom Rumpfe.

Dumpf ein Fall – und welch ein Echo folgt ihm,
Welch ein Wiederhall von tausend Herzen,
Welch ein Nachhall in den Wolkenschluchten
Hoch am Himmel! Draußen vor dem Stadtthor
Ward auf einen Pfahl der Leib befestigt,
Eine Schrift dabei: So stirbt die Lüge!
Und durch Haufen Volks, die stumm hinwegsahn,
Ritt der König finster heim zum Schlosse.

Und ihm folgt das Echo, folgt der Sturmwind,
Fliegt ihm nach auf schwarzen Adlerschwingen,
Kreiset heulend um des Schlosses Zinnen,
Ein Empörer. An die Scheiben klirrt er,
Fährt zum Schlot herein, durchwandelt rasend
Unsichtbar die düster goldnen Säle,
Und verlöscht die Kerzen. Auf dem Bette
Liegt Sün-Tsé. In seiner Schenkelwunde 116
Kocht das Blut. Bis an den lichten Morgen
Hören draußen ihn die Wachen ächzen.
Denn die Meldung war ihm zugekommen,
Daß der Sturm den todten Leib entführet,
Und das Haupt sei ihm vorangeflogen.
Keine Silbe sprach Sün-Tsé. Am Lager
Saß der Freund Tschang-Tschao, mischte sorgsam
Kühlen Trank und horcht' auf seines Königs
Athemzug. Sobald der Sturm verstummt war,
Mitternachts, besänftigt sich der Kranke
Und zu schlafen scheint er. Doch auf einmal
Fährt er auf, zur Pforte stiert sein Auge,
Sieh, sie öffnet sich, die feuchte Nachtluft
Fröstelt scharf herein – ein Schrei des Königs –
Und er greift zum Schwerte; blinde Streiche
Führt er in die Luft, verworrne Zwiesprach
Stammelt er mit Schatten, dann ins Kissen
Sinkt er hin und ächzt: Er ist gegangen!
Tod den Wachen, die ihn eingelassen!
Ziemt es sich, zum König so zu kommen,
Nachts, das Haupt im Arm? O meine Mutter!

Und Tschang-Tschao ging und rief die Mutter.
Da sie kam, fand sie den Sohn in Schlummer,
Kalten Schweiß auf seiner Stirne thauend;
Und sie wacht bei ihm die nächste Nacht lang
Ungesehn von ihm. Und wieder kam es,
Stiert' ihn auf vom Schlafe, Keinem sichtbar,
Als nur ihm, und schwand, wie es gekommen,
Und von Neuem ruft er: Meine Mutter!

Leise tritt sie vor, und ihn umfangend
Spricht sie: Kind, was hast du? Wer verfolgt dich?

Mutter, Er! entgegnet dumpf der Kranke.
Meine Sinne sind mir abgefallen, 117
Wie mein Volk. Sie halten's mit dem Gaukler
Wider mich; ich weiß, daß sie mich narren,
Mich zu ängsten; dennoch staut die Welle
Meines Bluts zurück zur Herzenskammer
Und zersprengt sie schier. Hilf, meine Mutter!
Zweimal schon zu der geschlossnen Pforte
Trat er ein. Nicht drohen seine Augen;
Wenn sie drohten, könnt' ich ihrer spotten.
Still und höhnisch leuchten sie und saugen
Das Gebein mir leer vom Mark des Lebens.
Tausend Feinde in der Schlacht erschlug ich,
Keinem fiel es ein, mich heimzusuchen.
Warum ihm? Gehorcht' ich nicht der Wahrheit?
Warum rafft mich das Gespenst der Lüge
Heimlich hin?
                          Da redete die Mutter:
Armer Sohn, nicht sind's die Nachtgesichte,
Sind die Taggesichte, die dich ängsten
Und Gewalt an deiner Seele üben.
Denn ich sah dich reiten heut am Mittag,
Sah, wie alles Volk sich von dir kehrte,
Und du sahst es auch, mein armer Liebling.
Lachte dir wie sonst des Volkes Antlitz,
Wär' es wohl ein Glanz in deinen Nächten,
Daß kein Spuk an deine Thür sich wagte.
Eines frommt nur: die verlornen Pfade
Bahne dir zurück zu ihren Herzen
Ungesäumt. Befiehl, in der Pagode
Vor der Stadt den Altar zuzurüsten;
Dort vollbring' ein heilig Todtenopfer.
Wem du's opferst, werden Alle wissen,
Und vor allem Volk wirst du entsühnt sein.
Solches thu', und Ruhe kehrt dir wieder,
Ruh' in Nächten und am Tage Frieden. 118

Sei's denn! sprach der Sohn. Doch thu' ich's ungern.

Andern Tags im frühen Sonnenschimmer
Ritt er aus, Tschang-Tschao ihm zur Seite,
Keiner sonst. Zu Rosse saß der König
Als ein Träumender, die Augenlieder
Eingedrückt, die Faust an seiner Wunde,
Und das Roß schritt fürder ohne Lenkung.
Oede lag die Stadt. Kaum vor den Thüren
Spielt' ein Kind. Vorauf den beiden Reitern
Flog ein Rabe, wohl gesehn vom Freunde,
Doch der König blickt' in seinen Busen.

Als sie um die letzte Krümme bogen,
Lag der Tempel da am Bergesabhang,
Dunkel wogt's um ihn. Das ganze Volk stand
Um die Stufen und von Mund zu Munde
Lief's: Er kommt! zur Buße kommt der König! –

In die Höhe fährt Sün-Tsé. Ich wußt' es!
Murrt er knirrschend. Diese Stunde soll mir
Bitter werden. In den Sumpf der Lüge
Sink' ich tiefer, da ich ihm entfliehn will.
Büßt man's nur mit Heucheln, daß man Heuchler
Von sich stieß? Es sei, doch thu' ich's ungern.

Und heraus zur Pforte der Pagode
Tritt ein Priester, blank in Feierkleidern.
Schlecht verhohlen triumphirt sein Lächeln,
Und er neigt sich tief Sün-Tsé entgegen.
Wohl gewahrt's der König, stößt im Zorne
Weg die Hand, die sich dem Bügel nähert,
Und betritt das Heiligthum.
                                                Im Innern
Flammt der Altar. Knieend reicht der Priester
Weihrauch dar, im Kreise stehn die andern, 119
Summend wallt ihr Lied hinaus zur Pforte.
Und der König zaudert; in die Runde
Blickt er, überfliegt die Angesichter,
Die von Stolz und Flammenscheine roth sind;
Dann die Lippe beißend reißt er heftig
Aus des Priesters Hand das Weihrauchbecken,
Schwingt's und schleudert alles in die Flamme.

Ein Gewölk, ein duftiges, steigt zur Decke,
Bläulich wirbelnd, ballt sich, träg und träger,
Und im Dampf bis ans Gewölbe reichend
Steht der Tao-Ssé, das Haupt im Arme,
Dran der weiße Bart wie Nebel flattert.

Draußen, die zunächst am Tempel harren,
Hören grausend einen hellen Aufschrei,
Und sie sehn den König aschefarben,
Einem Todten, der da wandelt, ähnlich,
Aus dem Tempel stürmen, mit der Klinge
Hinter sich die leere Luft zertheilend,
Gleich als wär' ein Feind ihm auf den Fersen.
Seine Nüstern fliegen, wie dem Schlachtroß
Im Gewühl, der Schaum steht ihm am Munde,
Und er ruft: Mein Pferd! Nach Hause will ich.
Fluch der Lüge, die den Tag besudelt!
In die Nacht zurück, ihr Nachtgespenster!
Fort! mein Pferd!
                                Da hört er's unten wiehern,
Sieht den Rappen in dem hohen Grase
Harrend stehn; – doch wer – wer hält den Zügel?
Ein Lebendiger? – ein Luftgebilde?
Wallt ein weißer Bart? – Aus ihren Höhlen
Treten weit des Königs Augenlichter,
Nach der Stirne greift er, stier geöffnet
Lacht der Mund, der Helm ist ihm entsunken, 120
Wie ein Bildniß des Entsetzens spreizt er
Alle Finger an der blassen Linken –
Plötzlich zückt die Rechte, die den Schwertgriff
Fest umklammert hält, nach des Phantomes
Haupt – ein Schrei, ein Blutstrahl schießt gen Himmel,
Und es fällt – ein Mensch.
                                              Der blut'ge Springquell
Wusch den spukenden Nebel ihm vom Auge;
Und das Schwert entfällt ihm, nieder wankt er,
Dann dem Roß genaht bückt er sich mühsam,
Und den Arm, den der Entseelte fallend
Wie zur Abwehr ums Gesicht geschlagen,
Hebt er auf – aus den gebrochnen Augen
Trifft ihn still der Abschiedsblick der Treue,
Und bei seinem todten Freund Tschang-Tschao
Bricht er selbst zusammen.
                                              Alle sahn es,
Niemand hob ihn auf. Vor der Pagode
Stand der Priester, über der Brust die Arme
Ruhig kreuzend, hinter ihm die Andern,
Und im Volke sprach's: Es war Tschang-Tschao,
Der den Heil'gen schlug. Der Himmel richtet.

Als dem König die Besinnung kehrte,
Fühlt er sich zu schwach, zu Roß zu steigen;
Eine Sänfte heischt er. Seinen Todten
Hebt er selbst hinein und setzt sich düster
Ihm gegenüber, dicht den Vorhang schließend,
Denn sie sollten nicht ihn weinen sehen.

Also trug man sie zurück zum Schlosse.
Eine Blutspur zeichnet ihre Straße,
Denn die Schenkelwunde, halb vernarbt schon,
Blutet frisch. Die Aerzte, die sie prüften,
Schüttelten die Häupter: Herr, das Gift ist 121
Aufgewacht. Das Ende deiner Tage
Naht. – Und Einer murmelt vor sich nieder:
Nur der Tao-Ssé, wenn er noch lebte,
Wäre mächtig, dieses Blut zu stillen.

Ruft mir meine Mutter! sprach der König. –
Und sie kam. O Sohn, mein Held, mein Liebling,
Wie verwandelt finden wir uns wieder!
Ganz ein Andrer blickt aus deinen Augen,
Theures Kind! – Da hieß er einen Spiegel
An sein Lager bringen. Lange blickt' er
Auf die glatte Fläche. Dieser König,
Sprach er müde, ist ein Kind des Todes.
Was verunreint er die Lüfte länger
Den Lebend'gen? – Plötzlich blickt' er starrer:
Kommst du wieder? schrie er. Aus den eignen
Augen, aus den eignen Zügen höhnst du
Mir entgegen, Spuk? Nicht eher weichst du,
Als zertrümmert ist mein eignes Bildniß?
Wohl! – Er schlug ins Glas, in Splitter klirrt' es.
Rückwärts traurig lächelnd sank aufs Lager
Hin der Held. Sag' meinem Bruder, haucht' er,
Sag' ihm, Mutter, daß er Gott gehorche,
Aber sag' ihm auch, woran ich sterbe! – –

Sprach's und starb. Da sie den Leib begruben,
Hundert Priester schritten vor der Bahre,
Hundert hinter ihr. Im Dunstgewölke,
Das vom Scheiterhaufen hoch emporstieg,
Sahen Viele durch die Lüfte schwebend
Einen Rauch, gleich einem Greisenhaupte,
Dran ein weißer Bart wie Nebel wehte,
Und sie zeigten sich's mit banger Ehrfurcht.
Doch es sang zu sanften Trauerflöten
So ein Sängerchor die Todtenklage: 122

»Gleich dem Tiger, wenn er tagelang
In der Höhle lauert auf den Fang,
Gleich dem Falken, wenn er unversehn
Auf den Raub herabstößt aus den Höhn,
Gleich dem Löwen, dem, wenn er sich zeigt,
Jedes Waldthier zittert, dient und schweigt, –
Groß war unser König! Vor ihm her
Zog sein Ruhm und ging von Meer zu Meer,
Wie ein Rauch, der seinen Feind erstickt,
Wohlgeruch, der seinen Freund erquickt.
Strahlend an dem alten Flusse Kiang
War sein Aufgang – trüb sein Untergang!« 123

 


 


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