Paul Heyse
Colberg
Paul Heyse

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Vierter Akt

Ein niedriges, festes Gemach über dem Lauenburger Tor. Türen rechts und im Hintergrunde. Vorn ein Tisch mit Karten und Schreibgerät, ein Stuhl, Bänke an den Wänden. Früher Morgen.

Erste Szene

Wachtmeister Weber (sitzt auf der Bank neben der Tür zur Rechten, mit dem Schlafe kämpfend). Nettelbeck (sehr abgerissen, das Gesicht von Staub und Rauch geschwärzt, tritt eilig durch die Tür im Hintergrunde ein)

Nettelbeck Wo ist der Kommandant?

Weber (auffahrend)                           Wer da?

Nettelbeck                                                   Gut Freund.
Die Augen auf! Ich bin's. Nur fix, nur flink:
Wo steckt der Kommandant?

Weber                                       Herr Nettelbeck,
Ein alter Mann wie Sie, der sollte klug sein
Und Morgens um Glock fünf, statt andre Leute
Zu molestieren, selbst ein bißchen nicken,
Wenn achtundvierzig Stunden lang die Bomben
Gebrummt wie's Weltgericht.

Nettelbeck                                 Hört, guter Freund,
's ist keine Zeit zu Redensarten. Geht
Und weckt den Kommandanten.

Weber                                             Ich? Nein, Herr,
Und wenn's noch ganz wer anders mir beföhle
Als Sie, der Sie nur als Zivilperson –

Nettelbeck Der Dienst verlangt's; verstanden, Unt'roff'zier?

Weber Der Dienst? Nein, Herr Kaptän, den kenn' ich besser.
Im Reglement steht's nicht, daß sich der Mensch
Das Schlafen abgewöhnen soll, wie's Stehlen
Und Saufen. Mein Major kann mehr als andere;
Sechs Nächte schlief er bloß im Stehn. Heut ist
Die siebente, da könnt Ihr ihm die Pritsche
Nicht unterm Leibe wegziehen, wenn Ihr nicht
Ein Unmensch seid.

Nettelbeck                     Es tut mir leid genug;
Doch wenn der Feind Parlamentäre schickt –

Weber Laßt ihnen einen guten Kaffee kochen,
Herr Nettelbeck. An Feuer fehlt es nicht,
Die Stadt brennt ja an allen Ecken. Zwieback
Will ich noch liefern. (Zieht ein Stück aus der Tasche)

Nettelbeck                     Nun genug gespaßt,
Hört Er?

Weber         Nein, ich bin taub.

Nettelbeck                               So soll Er fühlen!

(Packt ihn am Arm, ihn wegzustoßen. Weber macht sich los, ergreift die Bank und stellt sich damit vor die Türe rechts)

Weber Erst nehmt die Schanze, Herr. Oho! Wir haben
Hier nicht umsonst den Festungskrieg gelernt.
Doch wenn Ihr Lärm macht, scher' ich mich den Kuckuck
Um Euer graues Haar – und schmeiß' Euch 'raus!

Nettelbeck Was? Du? Das woll'n wir doch erleben. – Holla!
Herr Kommandant!

Weber                           Wollt Ihr wohl Ruhe halten?

Nettelbeck Herr Kommandant!

Weber                                     Nun schlag doch gleich das Wetter –

(Springt hinter der Bank vor und will auf Nettelbeck los)

Zweite Szene

Vorige. Gneisenau (von rechts eintretend. Seine Kleidung trägt ebenfalls Spuren des langen Kampfes. Er ist noch nicht völlig ermuntert)

Gneisenau Was geht hier vor? – Ah, Nettelbeck! Was bringt Ihr?

Nettelbeck Es tut mir selbst am wehsten, Herr Major,
Daß ich so früh –

Gneisenau                 Wieviel ist's an der Zeit?

Weber Glock fünf! Und darum meint' ich, Herr Major –

Gneisenau Wir werden bald mehr Zeit zum Schlafen haben,
Als manchem lieb ist. – Nettelbeck, was ist? –
Herr Gott, wie seht Ihr aus! (Setzt sich auf den Stuhl)

Nettelbeck (sich betrachtend)       Der Rathausbrand
Hat wohl ein bißchen abgefärbt. Je nun,
Das Gröbste ist getan. Doch eben kam
Von Gen'ral Loison ein Parlamentär.
Den hab' ich, um den jungen Offizieren
Nicht ohne Not ihr bißchen Schlaf zu rauben,
Selbst durch die Stadt gelotst.

Gneisenau                                 So bringt ihn mir.

(Nettelbeck ab)

Weber 'nen Schluck aus meiner Flasche, Herr Major?

Gneisenau Nein; bring mir Wasser.

Weber (einen Feldbecher mit Wasser bringend)   Wollt' nur eben sagen,
Wenn das die Frau Majorin säh', daß Sie
Das schlechte Grabenwasser – obenein
Nachdem Sie kaum ein Stündchen Ruh gehabt
Und hier gleich wieder vor dem Riß steht müssen –
Sie weinte sich die Augen aus.

Gneisenau (den Becher zurückgebend)   's ist gut.
Es macht mich munter.

Weber                               Ja, solang' es vorhält.
Denn, Herr Major, Sie sind doch auch ein Mensch,
Und Frau Majorin sagte –

Gneisenau (gutmütig)             Was weißt du
Von meiner Frau?

Weber                       's war auf dem Gut in Schlesien.
Ich stand im Stall und striegelte den Rappen,
Da kamen Sie mit ihr grad übern Hof.

Gneisenau So?

Weber             Und ich hörte, wie die Frau Majorin
Zu Ihnen sagte: Neithart, sagte sie,
Du wirst dich selber noch zu Grunde richten.
Denk auch an mich und an die Kinder und –
Und so dergleichen sagte sie.

Gneisenau                                 Wer heißt dich
Den Horcher machen?

Weber                               Und da dacht' ich mir
In meinem dummen Kopf: die Frau Majorin
Hat rechte wie allemal.

Gneisenau (vor sich hin)       Mein gutes Weib!

Dritte Szene

Gneisenau. Weber. Nettelbeck (führt einen französischen Offizier herein und nimmt ihm, sobald er vor Gneisenau steht, die Binde von den Augen)

Gneisenau (aufstehend)
Sei'n Sie in Colberg mir gegrüßt, mein Herr!
Ihr Name?

Offizier           Martigny.

Gneisenau                     Mir wohlbekannt.
Sie waren's, der uns unsere Wolfsbergschanze
Mit Strömen Bluts entriß. Was bringen Sie
Von Ihrem Chef? Sie sprechen deutsch?

Offizier                                                       Ich bin
Ein Schweizer von Geburt. Mein General
Entbietet Ihnen seinen Gruß, zugleich
Den Ausdruck seiner Hochachtung –

Gneisenau (ihn unterbrechend)                 Ihr Auftrag
Ist mündlich?

Offizier               Hier das Schreiben General Loisons.
Niemand kann die Erhaltung eines Mannes,
Wie Sie, und wackrer Truppen, wie die Ihren,
Mehr angelegen sein als meinem Chef.
Der Ehre Ihres Namens, Ihres Königs
Und dieser Stadt – bewundernd müssen wir's
Gestehen – ist genug geschehn. Mein Chef –

Gneisenau (der den Brief überflogen hat)
Ich bin für dieses Ehrenzeugnis herzlich
Verbunden. Doch im Punkt der Pflicht genügt
Kein andres als das eigne. Darf ich bitten,
Dort zu verziehn, bis ich die Antwort schrieb?
      (Zeigt nach der Türe rechts, die Weber öffnet)
Es fehlt hier manches zur Bequemlichkeit,
Doch werd' ich suchen, kurz zu sein.
      (Der Offizier verneigt sich und geht rechts ab)
                                                        Nun, Alter,
Geschwind, ruft mir den Bürgerrat! Du, Weber,
Bringst an das Offizierkorps diese Ordre.
      (Schreibt stehend eine Zeile, die er Weber einhändigt)

Nettelbeck Ich denk', es wird ein jeder auf dem Platz sein!

(Beide ab)

Vierte Szene

Gneisenau (allein, in den Brief blickend)
Warum nur dieses Blatt in meiner Hand
Mir doch zu denken gibt! Als wüßt' ich nicht:
Die Tür, durch die ich nur gebückten Haupts
Mich retten kann, darf mir kein Ausweg heißen.
Und hab' ich andrerseits nicht klar erkannt,
Daß auch der Trieb, vom Elend dieser Zeit
Verzweifelnd mich hinwegzuwenden, nicht
Mich vorschnell in ein jähes Ende lockt,
Nur das Bewußtsein, keine Rettung sei,
Als wenn ein jeder alles setzt an alles?
Und dennoch bin ich uneins in mir selbst
Und frage zweifelnd: ist, was dieser Brust
Gesetz und Inhalt gibt, die Pflicht für alle?
Darf ich die Treuen, die mir anvertraut,
Die ich mit stärkern Banden an das Leben
Gefesselt sehe, darf ich, wie ich kann,
Sie überredend fortzureißen suchen?
Leicht in des Augenblicks erhabnem Drang
Wächst auch der Schwache über sich hinaus.
Doch nur die freie Tat bringt reine Frucht,
Und nicht im Rausch gewonnen will ich sie
An meine Ferse ketten. Sei es denn:
Sie sollen selbst entscheiden!
                                            Noch ein Wort
An meine Lieben. (Setzt sich und schreibt)
                            »Mein geliebtes Weib!
Ich löse mein Gelübde, auf den Trümmern
Colbergs, den Degen in der Faust, zu fallen.
Daß ich so freudig scheiden kann, das dank' ich
Nur dir allein und deiner starken Seele.
Denn unsre Kinder wirst nun du statt meiner
Früh lehren, daß sie nicht sich selbst gehören,
Nein, ihren Pflichten und dem Vaterland.
Grüß mir –

Fünfte Szene

Gneisenau. Nettelbeck (tritt wieder ein)

Nettelbeck       Ich störe?

Gneisenau (ohne aufzublicken)   Schon zurück?

Nettelbeck                                                     Ich traf
Den Würges draußen, der ist noch mobiler;
Hat sich beim Löschen nicht so abgeäschert.
Der ruft die andern jetzt. – Hm! Was ich doch
Noch sagen wollte – schreibt nur ruhig fort! –
Ich wollt' nur eben fragen, Herr Major:
Das Kriegsgericht hat über Heinrich Blank
Den Spruch gefällt?

Gneisenau (auf den Tisch deutend)   Da liegt das Urteil. Lest!

Nettelbeck Ich bin so frei. (nimmt das Blatt und liest)
                                Hm! Also wirklich: Tod!
Hab's wohl gedacht. Das nennt man kurz und gut.

Gneisenau (fortschreibend)
Scheint's Euch nicht in der Ordnung?

Nettelbeck                                             Hm! Je nun!

Gneisenau Nur frei heraus!

Nettelbeck (das Blatt wieder hinlegend)   Ich mag's wohl nicht verstehn,
Verstehe manches nicht. Ich wär' nun freilich
Wohl alt genug. Doch Alter, wie man sagt,
Schützt nicht vor Torheit; und so denk' ich mir,
Wenn so ein junger Hitzkopf sich verfehlt,
Soll man ihm Zeit, sich zu besinnen, lassen,
Mit Brot und Wasser das Geblüt ihm kühlen,
Bis er sich seiner grünen Dummheit schämt.
Doch kurzweg füsiliert – mein Herr Major,
Das mag so in den Kriegsgesetzen stehn,
Doch nichts für ungut: mit der Menschlichkeit
Besteht das schlecht, und was die himmlischen
Heerscharen dazu sagen, fragt sich sehr.
So! Meine Meinung habt Ihr wissen wollen,
Da habt Ihr sie!

Gneisenau             Ich dank' Euch. Ihr habt recht.

Nettelbeck Wollt's meinen.

Gneisenau                         Nämlich, daß Ihr alt genug seid,
Doch leider noch nicht weise.

Nettelbeck                                   Herr Major –

Sechste Szene

Vorige. Weber (tritt ein. Dann) Rose und die Mutter

Weber Ein Frauenzimmer will zum Herrn Major.

Gneisenau Wer?

Weber               Rose nennt sie sich, sie tut als sei es
Ihr sehr pressant. 's ist auch 'ne Alte bei ihr,
Zu der sie Mutter sagt.

Nettelbeck                         Herr meines Lebens!
Die Weiber! Früh um fünf –

Gneisenau                                 Führ' sie herein.

(Weber hat die Tür geöffnet) Rose und ihre Mutter (treten ein)

Gneisenau Was führt Sie zu mir? Meine Zeit ist kostbar.
In wenig Augenblicken wird der Kriegsrat
Sich hier versammeln.

Mutter                             Sprich doch! rede, Kind!
Mir stockt das Wort vor Jammer in der Kehle.
Ach, da ist der Gevatter –

Gneisenau                             Kommen Sie
Zur Sache, wenn's beliebt.

Rose (vortretend)                     Herr Kommandant,
Man sagt, der Spruch des Kriegsgerichtes sei
Gefällt und zwar – auf Tod.

Gneisenau                               So fordert es
Das Kriegsgesetz. Wer sich dem Kommandanten
Mit Waffen widersetzt, der wird erschossen.

Mutter Mein Sohn, mein Sohn!
      (Sinkt auf eine Bank, verhüllt das Gesicht)

Gneisenau Wir waren zur Begnad'gung sehr geneigt
Um seiner Jugend willen und des Dienstes,
Den seine Schwester dieser Stadt getan.
Doch leider schnitt der Arrestant uns selbst
Den Weg zur Milde ab durch starren Trotz.
Er könne, sagt' er, nicht die Tat bereuen,
Und käm' er frei, würd' er von neuem nur
Auf Mittel sinnen, seine Vaterstadt
Vor ihrem ärgsten Feind, vor mir, zu schützen.

Nettelbeck Verwünschter Eisenkopf!

Mutter                                             Ach, laßt mich zu ihm!
Er muß sich geben, muß die Mutter hören!

Gneisenau Weber!

Weber                   Befehlen, Herr Major!

(Gneisenau sagt ihm ein Wort ins Ohr. Weber geht hinaus)

Gneisenau                                                 Es tut
Mir herzlich leid. Doch wie die Dinge stehn –

Rose Wir sind nicht hier, Herr Kommandant, mit Klagen
Und Tränen Sie zu rühren. Nur das eine
Erbitten wir: o gönnen Sie uns Aufschub,
Bis ich die güt'ge Kön'gin angefleht,
Ihr Fürwort einzulegen. Ich versprach ihr,
In ernster Lebensnot sie anzurufen.
Wenn Sie durch strenge Pflicht gebunden sind –
Des Königs Gnade kann Sie dieser Pflicht
Entbinden und die schwerste Schuld verzeihn.
Ach, Herr Major, er ist so jung; er hat
Noch viele Jahre vor sich, seine Tat
Verabscheun und bereun zu lernen!

Siebente Szene

Vorige. Weber (tritt ein, hinter ihm Heinrich von zwei Wachen geführt)

Die Mutter (auf ihn zueilend)
Heinrich! O Sohn! o wie viel Kummer machst du mir!

Heinrich Mutter, – was sucht Ihr hier? Mein Schicksal ist
Entschieden, weiß ich. O erschwert mir's nicht!
Glaubt man, ich würde mich erniedrigen
Und Gnade flehn? Ich hab' auf dieser Welt
Nur einen Wunsch noch: ungebeugten Hauptes
Zu sterben. Mit den Nächsten so entzweit,
So fremd der eignen Heimat, was mir Pflicht
Und Recht erscheint, als Schuld und Schmach gebrandmarkt –
Was wär' ein Leben wert, so alles Glückes
Beraubt? Und wo – wo sollt' ich leben? Morgen
Ist diese Stadt ein Trümmerhaufen. Laßt mich,
Wenn Ihr mich liebt, die Augen schließen, eh' sie
Das Ärgste sehn.

Rose                         O Bruder!

Heinrich                                   Was ich euch
Zuleide tat, vergebt es und – vergeßt mich!
Lebt wohl! – Führt mich zurück in meine Haft!

Gneisenau Ihr bleibt, bis ich's befehle.

Achte Szene

Vorige. Offiziere und Bürgervorsteher, (unter ihnen) Grüneberg, Geertz, Schröder, Zipfel, Würges (treten ein. Gneisenau gibt Weber einen Wink, Heinrich nach einer Bank links im Hintergrunde zu führen)

Gneisenau (zu den Offizieren)                 Meine Herren!
Aus wohlerwogenen Gründen, kraft der Vollmacht,
Die mir zusteht als Gouverneur der Stadt,
Kassier' ich kurzer Hand das Todesurteil.
      (Freudige Bewegung der Frauen)
In welche Strafe ich den Spruch verwandle,
Davon hernach.

Heinrich (aufspringend)   Herr Kommandant –

Gneisenau                                                     Ihr habt
Zu schweigen, Heinrich Blank. (Zu Rose) Noch eine Bitte
An Jungfer Rose hätt' ich. Dieses Blatt
Enthält mein Testament und Abschiedsgrüße
An Frau und Kinder. Wenn ich nicht mehr bin,
So bringen Sie den Meinen dies Vermächtnis.
Sie sind mir wert geworden, gern bekenn' ich's.
Den Adel Ihrer Seele lernt' ich schätzen,
Ihr Vaterlandsgefühl und Ihren Mut.
Gott schütze Sie! Hier diesen Händedruck
Send' ich den Meinen und mein Lebewohl!
Und nun zu unserm Kriegsrat, meine Herren!

(Er ist zurückgetreten. Rose und die Mutter entfernen sich nach einem stummen Abschiede in tiefer Bewegung)

Neunte Szene

Vorige (ohne die Frauen. Zur Linken im Halbkreis die Offiziere; rechts die Bürger. Gneisenau in der Mitte am Tisch stehend; Nettelbeck ganz vorn zur Rechten)

Gneisenau Vom Hauptquartier des Feinds ward mir soeben
Ein Schreiben überbracht, von dessen Inhalt
Ich Sie in Kenntnis setzen muß. So schreibt
Der Gen'ral Loison: (liest)

»Unter Colberg, den 1. Julius 1807. Herr Gouverneur! Sie haben für Ihren Oberherrn, für den Ruhm seiner Waffen und für Ihren eigenen alles getan, was ein tapferer Mann an der Spitze tapferer Leute zur Verteidigung der Festung Colberg tun konnte. Ihrerseits haben die Einwohner der Stadt durch ihre Entbehrungen und zahlreichen Opfer Beweise ihrer Hingebung geliefert. Die Stellung des französischen Heeres, welches auf allen Punkten siegreich, Danzig, Königsberg u. s. w. besitzt, läßt keine Hoffnung auf Hilfe. – – Sie haben eine zu tiefe Kenntnis des Krieges, Herr Gouverneur, um nicht einzusehen, daß Ihre Verteidigung sich nur um einige Tage verlängern könnte – –«

Um wieviel Tage wohl, Herr Hauptmann Steinmetz?

Steinmetz Fünf oder sechs, Herr Kommandant, – gesetzt,
Daß es dem Feinde nicht gelingt, die Werke
Der Überschwemmung früher zu zerstören.
Dann reichten unsre Batterien nicht aus,
Ihn auch nach Süden hin in Schach zu halten.

Gneisenau Wer steht am Schleusentor?

Steinmetz                                           Das Bataillon
Neumark.

Nettelbeck       Und eine halbe Bürgerkompanie.

Gneisenau 's ist gut. Ich fahre fort:

– »um einige Tage sich verlängern könnte. Ich ersuche Sie daher, mir den Platz zu übergeben. Ich biete Ihnen die ehrenvollen Bedingungen an, welche Ihre schöne Verteidigung mit Recht verdient, – – späterhin würde ich nicht mehr dieselben Vorteile bewilligen können. Dann, Herr Gouverneur, würden Sie sich vorwerfen müssen, durch einen unnützen Widerstand die Zerstörung der Stadt Colberg herbeigeführt, den Untergang friedlicher Einwohner und einer tapfern Besatzung verschuldet zu haben, die Sie Ihrem Oberherrn und dem Lande erhalten konnten. Ich habe die Ehre u. s. w.«

      (Faltet den Brief wieder zusammen und legt ihn auf den Tisch)

Nettelbeck (zu Würges)
Nun meiner Treu, ein höflicher Versucher!

Gneisenau Ich wende mich nunmehr zuerst an Sie,
Meine Herren Offiziere. Daß ich selbst
Den Fall der Stadt nicht überleben will,
Dafür verpfändet' ich mein Ehrenwort.
Doch wer dem Vaterland und seinem König
In andrer Weise mehr zu nützen glaubt,
Der trete vor. Noch ist der Seeweg frei;
Ich werd' ihn ohne Tadel scheiden sehn.
Denn Stunden gibt's in der Geschichte, wo
An das Gewissen jedes einzelnen
Die letzte Frage tritt und jedes Machtwort
Der Disziplin verstummt.

(Pause. Gneisenau ist an den Tisch getreten und blättert in Papieren)

Steinmetz                             Herr Kommandant,
Im Auftrag –

Gneisenau           Wessen?

Steinmetz                           – Ihres Offizierkorps,
Dem sich die braven Truppen angeschlossen,
Hab' ich hier zu erklären, daß wir sämtlich
Ausharren wollen bis zum letzten Mann.
Wir wissen, Rettung ist nicht mehr zu hoffen,
Doch auf dem Ehrenschilde der Armee
Sind leider böse Flecken auszutilgen,
Und uns zu Glück und Ehre schätzen wir's,
Wenn unser Blut hiezu gewürdigt wird.
Dies haben wir, schon als die Nachricht kam
Von Danzigs Fall, in allen Kompanien
Mit Handschlag uns gelobt, dies woll'n wir halten
Und treu zu unserm braven Führer stehn.

Gneisenau Ist dies die Meinung auch des Schill'schen Korps?

Brünnow Ich hoffe, diese Frage, Herr Major,
Schließt keinem Zweifel ein.

Gneisenau                                 So dank' ich Ihnen,
Daß Sie von Ihrer Pflicht so würdig denken.
Ich hatt' es anders nicht erwartet. Bringen
Sie auch der tapfern Mannschaft meinen Dank!
      (Reicht Steinmetz die Hand)
Und jetzt (sich zu den Bürgern wendend)
                ein Wort zu Ihnen, meine Freunde.
Sie wissen, welches Los der Stadt verhängt ist,
Doch hoff' ich wohl, vom Feind mir eine Frist
Noch auszuwirken, daß die Bürgerschaft
Mit Weib und Kind und ihrer besten Habe
Zu Schiffe sich nach England retten kann.
Sie lassen uns die leere Stadt zurück,
Und scheidend nehmen Sie die Hoffnung mit sich,
Dereinst ein neues Colberg aufzubauen
In glücklicheren Tagen. (Pause)

Nettelbeck                           Herr Major,
Ist es erlaubt –

Gneisenau             Nein, Nettelbeck, Ihr werdet
Noch schweigen. Ihr habt weder Weib noch Kind
Und seid zu rasch, das Leben wegzuwerfen.
Ihr sollt mir nicht die andern überrumpeln,
Daß sie beschließen, was hernach sie reut.
Herr Schröder, sprechen Sie: in wieviel Stunden
Getraun Sie sich den Auszug auf die Schiffe
Ins Werk zu fetzen?

Schröder                       Bis zum Nachmittag,
Herr Kommandant. Die Waren zwar, die uns
In Speichern und Gewölben aufgestapelt –

Nettelbeck (halb für sich)
Ich halte mich nicht mehr!

Gneisenau                               Bleibt ruhig, Alter! –
Nun wohl! Herr Ratsherr Grüneberg, Sie werden
Am Hafen sorgen, daß die Einschiffung
In Ordnung vor sich geh', unnützer Kram,
Womit die Weiber gern sich überladen,
Den Platz an Bord den Menschen nicht verenge.

Grüneberg Ich, Herr Major? Nein, mit Verlaub, ich habe
Was Wichtigeres vor.

Gneisenau                       So wende ich mich
An Sie, Herr Zimmermeister Geertz. – Sie schweigen?

Zipfel (vortretend)
Herr Kommandant, ich hätte wohl ein Wort
In meinem und in meiner Freunde Namen –

Gneisenau Ich bitte nur, sich kurz zu fassen.

Würges (zu Nettelbeck)                                 Daß dich!
Nun schnackt uns noch der alte Heide drein.

Zipfel Ich werde kurz sein; brevis esse studeo.
Als nämlich Xerxes, Persiens großer König,
Von Norden einbrach gegen Griechenland,
Sein Heer so groß, daß, wenn sie Lanzen warfen,
Die Sonn' am Mittag davon dunkel ward,
Wie von Gewitterwolken –

Gneisenau                               Sparen Sie
Den rednerischen Schmuck; zur Sache, bitt' ich!

Zipfel Ich bin schon mitten drin. Denn, Freund' und Nachbarn,
So groß war Persiens Macht, daß es den Klugen
In Griechenland als eine Torheit schien,
Noch Widerstand und Abwehr zu versuchen.
Allein zum Glück, nicht alle waren klug.
Die Mehrzahl sprach in ihrer schlichten Einfalt:
Er kommt, uns unser Vaterland zu rauben,
Den Fuß will er auf unsern Nacken setzen,
Und eh wir das erdulden, lieber Tod!
So sprach das kleine Griechenvolk. Und seht,
Da war ein Engpaß in dem Nordgebirg,
Thermopylä geheißen, ist verdolmetscht:
Die Warmbrunnpforten. Diesen Paß gedacht'
Ein Häuflein wackrer Männer zu besetzen,
Weil wen'ge Großes hier vermochten. Nun,
Das taten sie, und Spartas Held und König,
Leonidas, verteidigte den Paß
Drei Tage lang. Am vierten, als die Perser
Schon müde wurden, fand sich ein Verräter,
Dem König Xerxes einen steilen Saumpfad
Zu zeigen über des Gebirges Grat.
Den gingen Nachts die persischen Bogenschützen
Und fielen so die Schar vom Rücken an.
Die aber, die spartanischen Heldenseelen,
Dreihundert kaum, anstatt hinwegzufliehn,
Sie flochten wie zum Fest ihr langes Haar
Und fielen, ihre heimischen Götter preisend,
Ein lorbeernwertes Opfer, Mann für Mann.
Als Xerxes das vernahm, erschrak sein Herz
Und ahnt' ihm Böses. Als durch Griechenland
Die Kunde flog, da in der höchsten Not
Erjauchzten alle, und der Mut, der schon
Zu sinken drohte, mächtig flammt' er auf,
Und Sieg auf Sieg entsproß aus diesem Opfer,
Bis Persiens Übermacht zu Boden lag. (Pause)

Schröder Was soll das hier? Wenn Ihr nur sagen wollt,
Daß unser Kommandant und seine Truppen –

Zipfel (ihn groß ansehend)
Nicht doch, Herr Nachbar! Ihr versteht mich falsch.
Auf etwas andres hab' ich hingezielt.
Nämlich: im alten Griechenland, da gab's
Bekanntlich weder Bürger und Soldaten,
Da gab es nur ein Volk, das hatte nicht
Zweierlei Tuch und zweierlei Gesinnung.
Das wußte, wenn das Vaterland bedroht ist,
Hat jedermann sein Letztes einzusetzen.
Da war kein einzler, auserwählter Stand,
Der sich allein die Ehr' anmaßen durfte,
Pro patria zu sterben. Die Spartaner,
Die ruhmvoll bei Thermopylä gefallen,
Die waren gute Bürger, so wie wir,
Die hatten Weib und Kind und Haus und Gut
Und auch genug der Schiffe, sich zu retten.
Sie aber blieben. Denn dem Feind genüber
War jedermann Soldat und hielt sein Blut
Zu kostbar nicht, die Freiheit zu erkaufen.
Nun, meine Freund' und Nachbarn, die Moral
Ist klar genug. Ich denk', der Herr Major
Versteht mich auch. Dixi et animam
Salvavi!

Nettelbeck (ausbrechend)   Das war wie ein Mann gesprochen!
Das soll Euch unvergessen sein!

Grüneberg                                       Jawohl,
Der Rektor sprach uns allen aus der Seele.
Die Fraun und Kinder soll'n zu Schiffe gehn,
Wer eine Waffe führt, bezieht den Wall!

Geertz Auf unserm Bürgereide woll'n wir stehn
Und fallen, wenn es sein muß!

Die Andern                                   Ja, das woll'n wir!

Gneisenau (seine Bewegung bemeisternd)
Ich habe keine Worte, meine Freunde,
Euch jetzt zu danken. Dieser Händedruck –
      (reicht dem Rektor die Hand)
Nein, kommen Sie an meine Brust! (umarmt ihn)
                                                    Ich nehme
Das Opfer, das Sie bieten, freudig an,
Das Land, wo Mannessinn sich so bewährt,
Ist wahrlich nicht verloren. Ja, vom Volk,
Das ohne Unterschied des Kleids und Standes
Sein alles einsetzt, kommt uns einst das Heil.
An dieser Macht, die aus den tiefsten Quellen
Hervorbricht unaufhaltsam, wird der Trotz,
Der freche, des Eroberers zu Schanden.
Er fordre jede andre Macht heraus,
Nur diese nicht; denn diese Volkesstimme
Ist Gottesstimme, die früh oder spät
Den eitlen Lärm des Ruhmes übertönt
Und jenem Stolzen zuruft: du bist Staub!
Dann wird sein unermeßlich Glück zerstieben
Wie jenes Perserkönigs, und die Nacht
Verschlingt das schreckenvolle Meteor!
Dann wird man im befreiten Vaterland
Auch derer denken, die sich unerschüttert
Die Bahn gebrochen in der Dämmerung
Und ihre Treue mit dem Tod besiegelt! –

Gehn Sie nun alle! Nehmen Sie noch Abschied,
Bestellen Sie Ihr Haus und retten Sie
Die Zukunft Ihrer Kinder. Ich indessen
Will ungesäumt dem Feind die Antwort schreiben.

(Er setzt sich an den Tisch, während einige Bürger und Offiziere das Gemach verlassen)

Weber (vortretend)
Was, Herr Major, soll mit dem Arrestanten –

Gneisenau (schreibend ohne anfzublicken)
Du bringst ihn auf ein Schiff und sorgst dafür,
Daß er so lang' bewacht wird, bis der Schiffer
Die See gewonnen hat. Dann sei er frei
Und nehme seine Strafe mit: zu leben,
Der einz'ge Mann aus Colberg, der den Fall
Der Festung überlebt.

Heinrich (vorstürzend)       Herr Kommandant –

Gneisenau Dies wirst du pünktlich mir vollziehn.

Heinrich                                                           Bevor Sie
Mich in die Schande stoßen, Herr Major,
O gönnen Sie noch einmal mir Gehör!
Denn wie im Spiegel hat mir diese Stunde
Mein wahres Bild gezeigt; so schuldbeladen
Erschein' ich mir, so tief verachtungswert,
Daß ich den härtsten Tod mit Freuden litte,
Der fürchterlichen Selbstqual zu entfliehn.
O lassen Sie mich niederschießen, gleich,
Und fallend werd' ich Ihre Milde preisen.
Doch wenn Sie menschlich fühlen, können Sie
Mich dieser lebenslangen Schmach nicht opfern.
Die Gnade, die ich wegstieß, knieend fleh' ich
Sie auf mein schuldig Haupt: o gönnen Sie
Dem Reuigen, sein Unrecht gutzumachen
Im Dienst der Stadt, da, wo das Angesicht
Des Tods am schreckenvollsten! Geben Sie
Mir eine Tat der Sühne –

Gneisenau (unterbrechend)       Junger Mann,
Die Ehre, für das Vaterland zu fallen,
Hast du verwirkt. Nichts mehr!

Heinrich (aufstehend)                       Erbarmungslos?
So fordr' ich eine Kugel als mein Recht!

Gneisenau Es bleibt bei dem, was ich gesagt. Wir haben
Das Pulver nöt'ger. – Weber! (Sagt ihm leise ein Wort)

Weber                                         Zu Befehl!

Gneisenau Verstanden? Geh!

Heinrich (von Weber und den Wachen in die Mitte genommen, außer sich)
                                      Nun denn, es gibt noch Mauern,
An denen man die Stirn zerschellen kann!

(Er wird abgeführt, hinter ihm gehen die übrigen Offiziere und Bürger hinaus)

Zehnte Szene

Gneisenau (setzt sich an den Tisch und schreibt). Nettelbeck (der sich schon nach der Tür gewendet hat, bleibt wieder stehen)

Gneisenau Nun, Alter?

Nettelbeck                   Herr Major –

Gneisenau                                         Noch nicht zufrieden?

Nettelbeck Hm! – Ja! – Nu, wie man's nimmt.

Gneisenau (fortschreibend)                             Ihr nehmt es schwer.

Nettelbeck Und Ihr, weiß Gott, macht's einem auch nicht leicht.
Der arme Junge – doch ich will nichts sagen,
Will meinen Kummer still hinunterwürgen.
Mir altem Seehund kann es besser scheinen,
Mehr Mensch zu sein und weniger Soldat.
Ihr aber – werdet Eure Gründe haben.

Gneisenau (aufstehend)
Ich denke wohl. Denn, Freund, die Gnad' ist gut,
Doch auch das Recht muß seine Würde wahren.
Und sagt doch selbst: was diesen Ehrenmännern
Als höchstes Kleinod gilt, ein freier Tod,
Das sollt' ich so geschwind, als stünde mir's
Nicht eben hoch im Preis, an den Verbrecher
Verschenken?

Nettelbeck       Freilich – wenn man's so betrachtet!
Obschon ich –

(Weber tritt ein)

Weber                   Herr Major, ich muß nur melden,
Daß noch nicht zwanzig Schritte von der Haustür
Der Arrestant uns richtig echappiert ist
Und wir, nach Order, ihn auch laufen ließen.

Gneisenau 's ist gut. Hier dies an den Parlamentär.

(Weber ab nach rechts)

Nettelbeck (der sich bemüht, seiner Bewegung Herr zu bleiben)
Hört, Gneisenau, ich bin ein alter Kerl,
Und der Franzos, der heut das Licht mir ausbläst,
Verdient sich einen Gotteslohn an mir,
Denn diese Welt hier unten hab' ich satt.
Nur einen Wunsch noch hätt' ich –

Gneisenau                                           Den ich Euch
Erfüllen könnte?

Nettelbeck (nickt)     Lacht mich immer aus!
Ich hab' vorhin den Rektor sehr beneidet,
Daß Ihr ihn – nu, daß Ihr ihn embrassiert habt.
Wie wär's – wenn Ihr mich nur ein einzig Mal
Du nennen wolltet, und dann könnte man –
Wie man's bei Brüderschaft zu halten pflegt –

Gneisenau (gerührt)
Komm an mein Herz, mein Alter!

Nettelbeck (ihn umarmend)                   Bruder! – Sohn!
Nun, Herr mein Gott, kann ich in Frieden fahren,
Da ich dies Heldenherz an meins gedrückt.

(Der Vorhang fällt)


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