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Das in Aussicht genommene Haus lag in der Rua Ovidor, einer Seitengasse des großen Boulevards. Die Besitzerin, eine alte, angeblich halbverrückte Indianerin, der es durch Erbschaft zugefallen war, lebte irgendwo im Innern des Landes. Sie hatte dem Verwalter des Grundstückes, einem Notar, Auftrag gegeben, es wenn möglich zu verkaufen, jedoch keinesfalls zu vermieten. Da aber in dieser von Gott geschlagenen Stadt kein Mensch genug Geld besaß, um ein Haus zu kaufen, hatte es infolgedessen seit vier Jahren leergestanden und wies jetzt allerhand Schönheitsfehler auf.

Die Summe, die der Notar nannte, war an sich schon sehr niedrig; sie entsprach ungefähr derjenigen, die wir innerhalb von acht Monaten an Miete hätten bezahlen müssen. Joseph Jungblut aber, mit dem wir beide unter Führung Landsbergers am nächsten Vormittag das Objekt besichtigten, war nicht der Mann, die erwähnten Schäden zu übersehen, er machte sogleich einen Überschlag der vermutlichen Reparaturkosten und begann dann mit dem Notar ein auf französisch geführtes, erbittertes Feilschen. Der Notar war unserm Sepp an Zähigkeit sicherlich gewachsen, jedoch nicht an Geläufigkeit im Französischen, und der wortkarge Landsberger, an den der Rechtsbeflissene in seinen sprachlichen Nöten immer wieder appellierte, erwies sich nicht gerade als gewandter Dolmetscher.

Während die beiden Kontrahenten noch schwitzend und gestikulierend aufeinander einredeten, strich ich noch ein zweites Mal durch alle Räume und entdeckte dabei zuletzt, daß die Innenwände des gekachelten Küchenherdes, der äußerlich noch ganz passabel aussah, total durchgerostet waren. Ich war noch mit der Untersuchung beschäftigt, als Landsberger in der Tür erschien. Er sah sich das Möbel schweigend an und sagte dann mit mildem Lächeln: »Ein neuer Herd kostet hierorts sechs- bis siebenhundert Milreis. Ich habe aber einen noch fast neuen in der Stadtwohnung stehen, die ich mir als Atelier eingerichtet habe. Da ich ihn niemals brauche, könnten Sie ihn hierher bringen lassen, für die Dauer Ihres Aufenthaltes in Parà benutzen, und ihn mir dann zurückerstatten!« Worauf Ruth sofort hinauslief, ihrem Vetter von der Schadhaftigkeit des Herdes, jedoch vorläufig nicht von Landsbergers Angebot berichtete, und, kaum nötig zu sagen, Sepp daraufhin den Kaufpreis um fünfhundert Milreis herunterdrückte. So wurde das Haus, das aus acht Wohn- und zwei Badezimmern, Küche und Waschküche bestand, von ihm schließlich um den fast unglaublichen Betrag von zweitausendzweihundert Milreis, also zwölfhundert Franken, käuflich erworben.

Erst nachdem der Kaufvertrag auf dem Notariatsbüro unterzeichnet war, unterrichteten wir Sepp von dem Angebot unseres länglichen Freundes, und seine Freude über diese neuerliche Ersparnis war derart, daß er zu unserm sprachlosen Erstaunen plötzlich in »den Laden der tausend Hölzer« hineinschoß, für Landsberger einen reichgeschnitzten Rauchtisch und für seine Cousine Ruth ein wunderschönes kleines Nähkästchen als Geschenk erstand. – Es war das erste, zugleich aber auch das letzte Angebinde, das sie jemals aus seinen Händen erhalten hat. Obgleich sie im Laufe der Zeit, wie er viele Monate später einmal selber bemerkte, durch ihre begeisterte Mitarbeit, hauptsächlich auf zoologischem Gebiete, unserer Firma verschiedene tausend Milreis eingebracht, beziehungsweise eingespart hat.

Landsberger, der die ihm angebotene Vermittlungsprovision, die hier auch bei der kleinsten geschäftlichen Transaktion sonst üblich ist, rundweg abgeschlagen hatte und der sich immer mehr als ein uneigennütziger, grundanständiger Mensch erwies, opferte am Nachmittag nochmals ein paar Stunden seiner Zeit, um uns beim Engagement einiger Hausangestellten zu helfen.

Wie Ruth mich durch einen heimtückischen Rippenstoß ganz unnötigerweise aufmerksam machte, war es eine Wäscherin, nach der ihr Vetter zuerst fragte. Sie war bald gefunden und, wie sich herausstellte, damit gleichzeitig unsere ganze Personalangelegenheit erledigt. Denn auf Landsbergers Frage, ob sie etwa eine stellungsuchende Köchin kenne, erfolgte ein eifriges Kopfnicken und ein aufgeregter Wortschwall. Es betraf eine Schwägerin von ihr, und bei der Aufzählung aller ihrer Vorzüge hörte ich heraus, daß die Angepriesene eine »Barbados« sei, ihre Muttersprache also Englisch war und sie deshalb bei unserm Verkehr mit den übrigen Angestellten auch als Dolmetscherin von großem Wert sein konnte. Bei dem ständigen Kampfe mit den Tücken meiner Galle war es außerdem für mich von erheblicher Bedeutung, wenn ich mit unserer Küchenfee über die vielen guten Sachen eingehend reden konnte, die sie mir leider nicht vorsetzen durfte.

So stimmte ich dafür, diese Perle unbedingt für uns zu sichern, und die Waschfrau wurde ausgeschickt, sie herbeizuholen. Nach einer Stunde kam sie, einen jungen Burschen an der Hand führend, schweißtriefend wieder angetrabt. Hinter ihr her watschelte atemlos die dicke schwarze Köchin, die ihrerseits ein braunhäutiges, noch sehr junges Mädchen mit großen, ein wenig ängstlich blickenden Augen entlangzog. In einem kleinen Abstand folgten diesen beiden noch ein älterer, langer und spindeldürrer Mulatte und ein weiterer junger Mann von dunklerer Hautfarbe und ungewöhnlich breitschultrigem, muskulösem Körperbau.

»Ach du meine Giede«, schrie Frau Landsberger, deren Haus wir der Wäscherin als Treffpunkt angegeben hatten, als diese Prozession auf ihrem Gartenweg daherkam. »Das hab ich mir schon gedacht! Der Familiensinn bei den Leiden hier is nämlich starg endwiggeld; die wollen immer gleich ihre ganze Verwandtschaft mid underbringen. Da Sie aber fir Ihr Haus sowieso noch enne Anzahl dienstbarer Geisder brauchen, gennen wir uns ja die Golegdsjon hier ämal anguggen.«

Sie übernahm das »Anguggen« mit soviel Sachverständnis, Zungengeläufigkeit und vor allem Energie, daß Ruth und Sepp – Bittners waren ja im Hotel noch mit gegenseitiger Krankenpflege beschäftigt – kaum zu irgendeiner Meinungsäußerung kamen. Mit der Köchin jedoch, die erschütternderweise ihren Namen mit »Lucy Vanderbilt« angab, verhandelte ich allein und ebenso selbstherrlich.

Die schwärzlichgraue Lucy schien von hellem Verstande und im allgemeinen eine tüchtige Kraft zu sein. Sie begriff meine komplizierten Diätangelegenheiten ohne weiteres und versprach, für mich zu sorgen, wie »mit Verlaub zu sagen, es Ihre Frau Mutter nicht besser könnte, Sir!« Besonders glücklich war sie darüber, eine »Herrschaft« zu bekommen, bei der sie wieder einmal ihre Muttersprache gebrauchen konnte. Mein Hinweis, daß von uns fünfen allerdings nur ich dieses Idiom einigermaßen beherrschte, konnte ihren Enthusiasmus nur für einen Moment dämpfen. »Well, Sir, da Ihre Frau doch noch jung ist, wird sie schon in ein paar Wochen von mir Englisch gelernt haben und Portugiesisch noch dazu. Überlassen Sie das alles nur mir, Sir. Ich werde auch, wie Sie verlangen, den andern Angestellten Ihre Anweisungen zuverlässig übersetzen und sie überhaupt in guter Zucht halten.«

Was das betraf, glaubte ich ihr ohne weiteres, denn die alte Dame sah aus, als ob sie Haare auf den Zähnen hätte, und dieser Eindruck verstärkte sich noch durch die Art, mit der sie darauf den himmellangen Mulatten, den herkulischen Jüngling und das großäugige junge Ding sozusagen zu mir heranpfiff und die drei als ihren Gatten, ihren Sohn und ihre Tochter vorstellte.

Ob ich sie nicht auch engagieren wollte? fragte sie. Worauf Frau Landsberger aus dem Hintergrund dazwischenrief: »Was die hibsche gleene Gadze bedrifft, Herr Heye, so brauchen Sie sich nicht zu bemiehn. Sie is nämlich schon von Ihrem Gombanjong Jungblud engagierd. Nadierlich nur aus Galanderie gegen Ruth, damit die enne Gammerzofe had!«

Lucy, die den Sinn der deutschen Worte immerhin begriffen zu haben schien, rollte daraufhin nur drohend das Weiße ihrer Negeraugen in Richtung des heftig errötenden Sepps hin und hub dann an, die Fähigkeiten ihrer Familienmitglieder zu schildern. Ihr Mann wäre ein guter Gärtner und mit jeglichem Handwerkszeug vertraut, die Tochter sei vorläufig noch ein bißchen »blöd«, wie sie sich ausdrückte, doch das würde sich bald geben. Sie könne ihr viel in der Küche und im Haushalt helfen, und was ihren Sohn angehe, so sei er einfach der Mann, den wir brauchten. Er hätte schon vor Jahren bei deutschen Gentlemen geschafft, die ebenfalls zum Filmen hier gewesen seien, er verstünde schlechthin alles, was mit dem »Filmemachen« zusammenhinge, und er wäre ein hervorragender Waldläufer, Tierfänger und Tierkundiger.

In einem plötzlichen Gedanken fragte ich hier dazwischen: »Heißt Ihr Sohn etwa Manuelo?«

»So heißt er in der Tat, Sir! Wie haben Sie das erraten können?«

»Nevermind!« schmunzelte ich. »Also, Lucy, Sie können morgen früh mit Mann und Tochter, – aber vorläufig mit keinem weiteren Angehörigen, verstehen Sie? – in unser Haus, Rua Ovidor acht, kommen und bei uns arbeiten. Manuelo aber könnte für mich jetzt sogleich eine kleine Kommission besorgen. Vielleicht wird sie sich für ihn sehr lohnen.« Darauf schrieb ich auf einen Zettel die Notiz nieder: »Ich schicke Ihnen hier den unschuldigerweise ins Gesäß getretenen Manuelo zur Abholung der ihm zugedachten hundert Milreis und allgemeiner Berichterstattung zu«, und beauftragte den jungen Mann, dessen offenes Gesicht und ruhiges Wesen einen ausgezeichneten Eindruck auf mich machte, diese Botschaft dem »kranken deutschen Herrn im Hotel La Paz« zu überbringen.

Nachdem die ganze Dienstbotenangelegenheit eine derart rasche Erledigung gefunden hatte – das andere junge Mädchen, eine Nichte der Wäscherin, war als »Stütze der Hausfrau« ebenfalls engagiert worden – fuhren Ruth und Sepp per Taxi los, um die notwendigsten Einkäufe an Möbeln, Küchen- und Tischgeschirr und anderem Hausrat zu tätigen. Wie schon erwähnt, besaßen die beiden bereits genügend Kenntnis der Landessprache, um sich verständlich machen zu können. Auf mich traf das jedoch durchaus nicht zu und mein Englisch, auf das ich mich bisher überall hatte verlassen können, erwies sich hier in Brasilien immer mehr als ein Reinfall, insofern als die wenigen Einheimischen, die überhaupt Englisch konnten, jedesmal, sobald ich den Mund auftat, unverkennbar kühler und zurückhaltender geworden waren. Die Sache hatte mir schon in Rio Anlaß zur Verwunderung gegeben, und gestern hatte sie eine überraschende und ein wenig peinliche Aufklärung durch Landsberger gefunden, indem er mir mit stillem Lächeln sagte: »Ich würde Ihnen raten, mit allen Kräften Portugiesisch zu lernen, Herr Heye. Die Yankees werden nämlich aus verschiedenen Gründen in Brasilien nicht sehr geschätzt, und da Sie ein so ausgesprochenes Amerikanisch reden, hält man Sie eben für einen der mißliebigen ›großen Brüder‹ aus dem Norden.« Ich hatte einst diese Sprache – es war nunmehr dreißig lange Jahre her – auf amerikanischen Schiffen und in den Vereinigten Staaten selber gelernt, späterhin aber beinahe zwanzig Jahre hindurch nur gutes Englisch aus dem Munde waschechter Briten in den Kolonien gehört und mir deshalb eingebildet, daß damit auch meine eigene Aussprache den letzten amerikanischen Akzent verloren hätte. Es war eine deprimierende Eröffnung gewesen, die mir der lange Landsberger da machte.

So beschwatzte ich seine Frau, mich für heute nachmittag als Dolmetsch zu begleiten, ging mit ihr hin und kaufte in vierstündiger atemloser Hetze vorerst ein reichhaltiges Sortiment von Schreiner-, Schlosser-, Spengler- und Elektrikerwerkzeugen, sowie einen Vorrat von Nägeln, Schrauben, Türfallen, Fensterglas und dergleichen ein, und danach noch eine Hobelbank und einen Riesenstapel von Brettern in allen Längen und Stärken. Dabei ließ ich mich grundsätzlich auf keinerlei »Amanha, Senhor – Morgen, mein Herr« ein, sondern bestand eisenfest darauf, daß die gekauften Waren sofort und unter meinen Augen auf einen Camion verladen und in meiner Begleitung noch am selben Abend in die Rua Ovidor, Nummer acht, übergeführt wurden.

Nachdem dort alles abgeladen und der letzte der Leute mit einer formvollendeten Dankesverbeugung für das erhaltene Trinkgeld gegangen war, stand ich in dem leeren totenstillen Haus noch eine ganze Weile in einsamer Betrachtung meiner Schätze versunken. Es war ein anstrengender Tag für mich gewesen, ich wunderte mich, daß ich mich noch so frisch fühlte und daß ich seit dem Augenblick, da ich den Fuß auf dieses Tropenland gesetzt hatte, überhaupt nicht mehr das geringste von all den Beschwerden verspürt hatte, von denen ich nun schon seit Jahren Tag für Tag gepeinigt worden war. – Mir schien, als ob die Glut der Äquatorsonne, die auf viele so entnervend wirkt, meinem Körper gerade im Gegenteil einen neuen machtvollen Impuls gegeben hätte. Es wurde rasch dunkel. Da wir das Elektrizitätswerk noch nicht um die Installation eines Zählers ersucht hatten, gab es noch kein Licht im Hause; so knipste ich meine Taschenlampe an, packte bei ihrem spärlichen Schein noch die Kiste mit den Werkzeugen aus, probierte jedes Stück aus, ob es gut in der Hand lag, und freute mich schon im voraus auf das morgen beginnende Arbeiten damit. – Ich habe schon immer ein starkes, liebevolles Interesse für Werkzeug und, wie ich glaube, auch eine leidliche Geschicklichkeit in seiner Handhabung besessen. Und als ich mit Ingrimm feststellte, daß verschiedene Stücke böse Rostflecken aufwiesen, begann ich mit erheblichem Gefluche und Getöse unter all den Kisten diejenige herauszusuchen, die das Schmieröl enthielt, fettete damit die Sachen sorgfältig ein, und da mir bei dem Suchen auch Schleif- und Abziehsteine in die Hände geraten waren, schärfte ich auch gleich noch Beile und Stechbeitel, um morgen früh sofort ans Werk gehen zu können, und ich wunderte mich sehr, als auf einmal drunten im finstern Hausflur ein »Hallo« aus Ruths Munde ertönte und sie mit der freundlichen Erkundigung auf der Veranda erschien: »Sag mal, hast du heute nachmittag etwa einen Unfall gehabt? Ich meine, daß dich vielleicht ein Affe gebissen hat oder so etwas Ähnliches? Da hört doch alles auf! Ich habe zwei geschlagene Stunden im Hotel gewartet, daß du zum Abendessen kämest, hab dann schließlich Frau Landsberger angerufen, und als ich von ihr erfuhr, daß du ihr schon gegen sechs Adieu gesagt hast und mit einem Camion hierhergefahren seist, dachte ich natürlich, du hättest wieder einen Gallenanfall gekriegt und bin per Taxi hergesaust. Und jetzt finde ich dich hier, von ägyptischer Finsternis umhüllt, dahocken und ein altes Hobeleisen schleifen! Und dabei wollte ich dir doch etwas zeigen, was ich für dich gekauft habe! Da hört aber wie gesagt doch ...«

»Erstens ist das kein altes, sondern ein neues Hobeleisen – die Saukerle haben es nur heillos verrosten lassen – zweitens schleife ich es nicht, sondern ich ziehe es ab, und drittens kannst du viel bequemer im Sitzen weiterschimpfen und mir dabei gleich ein bißchen leuchten. Da ist eine geeignete Kiste«, grunzte ich und spuckte so kräftig auf meinen Abziehstein, daß sie empört zurückfuhr. »Im Ernst gesprochen: du hast natürlich recht wie immer. Ich habe wirklich nicht geahnt, daß es schon so spät ist. Komm, so wollen wir nun gehen, aber morgen früh um sechs fangen wir hier alle miteinander an zu schaffen, daß die ganze alte Bude wackelt.«

Damit brachen wir in wieder hergestellter Eintracht auf, und unterwegs erzählte sie mir lachend, daß mein kleiner Spaß mit dem wiedergefundenen Manuelo und seinem Zettel einen neuen und weithin vernehmbaren Zwist zwischen dem kranken Ehepaar Bittner hervorgerufen hatte. Es war wirklich der richtige Manuelo gewesen, Adalbert hatte sich droben in seinem Zimmer lange mit ihm unterhalten und ihm offenbar zum Schluß auch den versprochenen Hunderter ausgehändigt. Aber nachdem er gegangen war, hätte sich Frau Paula noch über den Fall geäußert und mit so lauter Stimme geschrien, daß Ruth und Sepp es drunten im Speisesaal verstanden hätten. Da es sich um Geld handelte, hatte Sepp natürlich die Ohren gespitzt; zum Glück waren Bittners Erläuterungen über die Herkunft der beanstandeten Summe unverständlich geblieben. Andernfalls wäre ja auch ich unserm Zahlmeister gegenüber in eine peinliche Situation geraten.

Im Hotel drückte mir Ruth freudestrahlend ihre Überraschung in Gestalt eines verhältnismäßig kleinen Päckchens in die Hand, und heraus kam eine ganz prachtvolle geräumige Hängematte. Sie war aus reinseidenen Schnüren geflochten, sie wog noch nicht ein halbes Kilo, und zusammengelegt konnte man sie als Schärpe um den Leib tragen. Für einen jeden von uns war auf Geschäftskosten statt der hierzulande sehr teuren und aus mancherlei Gründen höchst unpraktischen Betten eine solche Liegestatt angeschafft worden; selbstverständlich waren es nur baumwollene der wohlfeilsten Sorte. Bei der Auswahl war Ruth dieses kostbare Stück in die Augen gefallen und nicht mehr aus dem Sinn gekommen, und am Abend war sie noch einmal allein in das Geschäft zurückgekehrt und hatte veranlaßt, daß meine Ausstattungsmatte gegen diese seidene umgetauscht würde. Auf welchen Handel das leichtsinnige Huhn natürlich hatte gehörig draufzahlen müssen. Wie ich nach und nach herausfragte, war es die Summe von hundertzwanzig Milreis gewesen, die so ziemlich alles darstellte, was uns bis zum Eintreffen der nächsten Abrechnung von meinem Verleger an barem Geld zur Verfügung stand.

Die Schlafmatte, um die mich jeder beneidete, der sie sah, hat mir sechs Monate von den insgesamt achtzehn, die wir uns am Amazonas aufhielten, ausgezeichnete Dienste geleistet. Sie blieb immer wie neu, ihres geringfügigen Gewichts wegen konnte ich sie alltäglich mit zur Arbeit in den Urwald hinausnehmen, sie, wenn plötzlich meine Beschwerden auftraten, rasch zwischen den erstbesten Bäumen aufspannen und mich für eine Stunde darin ausstrecken. – Auf meinem letzten einsamen Marsch durch die Urwälder des Rio Anajas ist dann auch dieses Ausrüstungsstück schließlich wie alle andern vorher, am Wege liegen geblieben.

Sepp und ich waren die ersten, die in der kühlen Frische des nächsten Morgens mit Sack und Pack in unser neues Haus übersiedelten und unsere Privatquartiere darin auswählten. Die Anordnung der Räumlichkeiten war die hier übliche, das heißt rechts und links vom Hauseingang lagen die unvermeidlichen zwei Staatszimmer. Sie dienen in einem brasilianischen Hause als offizielle Empfangsräume und sind die einzigen, zu denen ein Besucher Zutritt hat. Ihre Fenster schauten nach der Straße hinaus, Türen und Fenster der dahinterliegenden zwei kleineren Zimmer öffneten sich nach dem Hofe. Alle weiteren Räume lagen im Seitenflügel, sie waren durchweg fensterlos, und ihre Türen wurden vom Dach der »Pujada«, der Veranda, beschattet, die sich an der einen Seite des Hofes entlangzog. Viere der einheitlich großen Pujada-Zimmer waren, um bessere Luftzirkulation zu gewährleisten, nur durch zwei Meter hohe Zwischenwände von einander getrennt, sie wurden nach oben also lediglich durch das Hausdach und nicht durch eigentliche Zimmerdecken abgeschlossen.

Das eine der beiden Staatszimmer hatten wir von vornherein zum Filmatelier bestimmt, hier sollten Aquarien und Terrarien aufgestellt und von ihren Bewohnern Großaufnahmen gemacht werden. Das andere mit seinen Marmorfliesen, den im oberen Teil buntverglasten mannshohen Fenstern und der ganzen verblichenen Herrlichkeit von weißem Lack und Goldbronze sah so abschreckend feierlich aus, daß Sepp auch meinen eigenen Gedanken mit der Bemerkung Ausdruck gab: »Ich denke, daß wir diesen pompösen Salon da den Bittners überlassen. Vor jedes Fenster einen von Frau Paulas Papageienkäfigen und sie selber in die Mitte, wäre grad das richtige für diese Pracht. Meinen Sie net auch?«

»Ganz meine Meinung«, sagte ich, worauf Sepp seinen vielgeprüften Wäschesack und seinen schlichten Vulkanfiberkoffer kurzerhand in das erste der kleinen Pujada-Zimmer hineinstopfte. Das nächste kennzeichnete ich durch meinen hineingestellten Schreibmaschinenkasten und eine an die Tür geheftete Visitenkarte mit der Bemerkung »Störung nur im Falle von Revolution oder Erdbeben zulässig!« als mein Arbeitszimmer und das anschließende als unsere Privatwohnung, indem ich darin meine neue Hängematte zwischen zweien der starken Haken aufhing, die für diesen Zweck überall in den Wänden angebracht waren.

Dann legte ich Jacke und Krawatte ab, krempelte die Hemdärmel auf, schob den jungen Mann, der sich zum »Helfen« anbot, mit der Weisung zur Haustür hinaus, mir statt dessen binnen einer Stunde eine kleine Spiritus-Kaffeemaschine, ein Pfund gemahlenen Mokka bester Qualität und eine Büchse Kondensmilch hierher zu besorgen, zerrte sodann meine Hobelbank an den schattigsten Platz im Hofe und ging an die Arbeit. Bald darauf traf die Schar unserer Angestellten ein, nach ihnen kamen Ruth und Bittners und schließlich Sepp wieder an, doch ich sah kaum von meiner Werkbank auf. Das einzige, worum ich mich kümmerte, waren die von Sepp angeschafften Kaffeeutensilien und sodann die aufmerksamen, sachkundigen Blicke, mit denen Lucys langbeiniger Ehemann Josè meinem wilden Schaffen zuschaute. Auf mein »Speak English« schüttelte er zwar zu meiner Enttäuschung den Kopf, doch als ich ihm einen Fuchsschwanz in die Hand drückte und auf den Anriß zeigte, den ich auf einem meiner schönsten Zedernholzbretter gemacht hatte, nickte er, schnitt dieses und auch jedes weitere ihm zugereichte Stück haargenau ab und erwies sich überhaupt mit jeglichem Werkstück und Gerät, das man ihm anvertraute, außerordentlich geschickt und zuverlässig. Daß dieser stille, von seiner Lucy offenkundig in der Furcht Gottes gehaltene Mann ein Quartalssäufer war und im Rausch zu einer gefährlichen Bestie wurde, stellte sich erst nach Wochen heraus; doch da war die Hauptarbeit bei der Einrichtung unseres Hauses bereits getan.

Unter seiner Mithilfe und unter schätzungsweise einem halben Hektoliter vergossenen Schweißes produzierte ich in den nächsten fünf oder sechs Tagen eine Anzahl von Arbeitstischen für Dunkelkammer und Atelier, von Käfigen für allerlei Getier, von Aquarien- und Büchergestellen und diversen Kleider- und Wäschespinden. Die letztgenannten Stücke hielten natürlich keinen Vergleich mit soliden, vom Schreiner angefertigten aus, für die relativ kurze Zeit, die wir das Haus bewohnten, haben sie jedoch vollkommen ihren Zweck erfüllt. Alles andere, unumgänglich Notwendige an Mobiliar wie Tischen, Sitz- und Liegestühle für alle Räume, eine Kredenz für das gemeinsame Speisezimmer, Küchenmöbel und so weiter kaufte Sepp tags darauf fixfertig in einem Möbelgeschäft ein.

Nachdem er noch ein paar weitere Tage gelben Angesichts und in mißmutiger Stimmung herumgeschlendert war und außer abfälligen Bemerkungen über die Qualität des Personals, das ohne sein Beisein engagiert worden war, nichts Erhebliches geleistet hatte, kam unser Kurbelmann mit seiner Leber und seiner Frau allmählich wieder ins Gleichgewicht. Eine kohlschwarze und beißendriechende Brasil im Munde erschien er eines Vormittags in meinem Schreinereibetrieb, brummte einleitend etwas Entschuldigendes von »saumäßigem Befinden in der ganzen vergangenen Woche« vor sich hin und bat mich darauf, ihm doch vorerst ein bißchen bei der Einrichtung seines »Labors«, wie er die Dunkelkammer nannte, zu helfen. »Ich habe natürlich schon vor einer Woche Spengler und Elektriker herbestellt und sie alltäglich angemahnt, aber auf diese Himmelhunde von Caboclos ist ja kein Verlaß! Nach all der schon versäumten Zeit kann ich jetzt nicht länger auf sie warten, und da Sie, wie ich sehe, wirklich ein praktischer Mensch sind, glaube ich, daß wir die Sache auch ohne diese faulen Köpfe zustande bringen.«

Ich war natürlich gern bereit, und mir scheint, wir haben die Sache sogar hervorragend gut zustande gebracht. Nicht zuletzt deshalb, weil sich auch Bittner dabei als ein fähiger und sehr sorgfältiger Handwerker erwies. Als erstes dichteten wir den im Souterrain gelegenen Raum gegen alles Tageslicht ab, erstellten dann miteinander die ganze komplizierte Elektroinstallation und schlossen zuletzt die von Landsberger wieder aufgefundenen drei Tanks an Wasserleitung und Kanalisation an. Wenn man die Umstände in Betracht zog, unter denen wir das alles schafften, nämlich eine gleichbleibende Innentemperatur in diesem abgeschlossenen Räume von siebenunddreißig Grad Celsius, plus der von Feuchtigkeit übersättigten Atmosphäre, die im Amazonasgebiet herrscht, konnten wir einigermaßen stolz auf unser Werk sein.

»Brrrr!« sagte mein Partner am Nachmittag des dritten Tages, und schüttelte einen wahren Sprühregen von Schweißtropfen von seinem splitternackten Körper auf meinen ebensowenig bekleideten herüber. »Das ist ja reineweg zum Krepieren, wollen mal einen Verschnaufer einlegen. – Hier, probieren Sie doch mal eine von den Giftnudeln! Ihre lächerlichen Zigarettchen zerweichen Ihnen in diesem Wurstkessel hier ja einfach unter den Fingern. – Sehen Sie, sie schmeckt! Ich habe Ihnen doch immer gesagt, daß hier in Brasilien auch dem eingefleischtesten Stäbchenraucher eine einheimische Zigarre bekommt! – Wollen Sie mir übrigens glauben, daß ich damals vor sechs Jahren, in meinem Labor, noch kannibalischer geschwitzt habe? Tatsache! Nämlich vor Angst. Was ich dabei alles erlebt habe, tropenunerfahren wie ich damals war, geht auf keine Kuhhaut. Sehen Sie, in den Bottichen da haben sechs Rahmen zu je sechzig Meter Film Platz. Als ich nun die ersten dreihundertsechzig Meter mühsam erworbener Ameisenaufnahmen nach Entwicklung und Fixierung in den Wässerungstrog eingesetzt hatte, ließ ich in meiner Einfalt das Wasser aus der Leitung direkt hineinfließen. Als ich dann aber die Chose nach ein paar Stunden herausnahm, dachte ich, mich träfe auf der Stelle der Schlag. Die ganze Gelatineschicht war wie mit einem feinen Gespinst überzogen! Unter der Lupe stellte ich dann fest, daß es fadenförmige Algen waren. Jeder Tropfen Wasser, den Sie hier trinken, besteht zur Hälfte aus Algen und die andere Hälfte zum größeren Teil noch aus zehntausend verschiedenen Bazillen- und Bakterienarten! – Ich habe alles mögliche versucht, um das Zeug von meinen Filmen wieder runterzukriegen, doch es war nichts zu machen. Erst ein chemisches Laboratorium drüben in Deutschland hat es schließlich fertiggebracht. Nach dieser Maulschelle habe ich natürlich schleunigst ein halbes Dutzend Kies- und Kohlefilter, solche wie die da in der Kiste, zwischen Wasserhahn und Tank eingebaut und darin blieb das Dreckzeug von Algen denn auch hängen. Diesmal werden wir die Dinger natürlich von vornherein einbauen und uns diesen Ärger ersparen! Ebenso den mit der Temperierung der Bäder, denn das Wasser kommt ja schon mehr als lauwarm aus der Leitung heraus, und wenn man's stehen läßt, wird's nicht kühler, sondern noch wärmer. Um zweihundertvierzig Liter Entwickler auf die erforderlichen achtzehn Grad herunterzukriegen, braucht es ungefähr drei Zentner Eis. Bei den Preisen, die sie hier dafür verlangen, zahlt sich der kleine Frigidaire, den ich in Rio bestellt habe, schon in sechs Monaten aus. Der sture Hund, der Sepp, wird natürlich trotzdem wieder ein Jammergeheul ausstoßen, wenn er die Rechnung kriegt.

Wir hatten damals selbstverständlich einen speziell gehärteten Tropenfilm von Deutschland herübergebracht, es waren Zehntausende von Metern. Aber stellen Sie sich meinen Schrecken vor, als ich die Aufnahmen entwickelte, die ich mit diesem Gelump auf der Fahrt von Rio hier herauf gemacht hatte und die ganzen zweitausend Meter schwarz, buchstäblich kohlschwarz aus den Bädern kamen! Es war absolut nichts darauf zu sehen! – In meiner Verzweiflung lief ich schließlich hinaus, machte ein paar Meter Probeaufnahmen im Hofe und entwickelte sie dann mit aller erdenklichen Vorsicht. Aber auch die kamen schwarz heraus. Es lag also am Material. – Die Firma hat zwar später Schadenersatz geleistet und das Versagen mit einem Fehler in ihrem neuartigen Härtungsverfahren entschuldigt, aber das half mir doch nichts mehr! Ich hatte jetzt erstens keine Aufnahmen von der ganzen Seereise, und zweitens kein verwendbares Material zum Weiterarbeiten. So haben wir flugs nach Neuyork an Eastman gekabelt und innerhalb von drei Wochen eine Kiste mit prima Kodak Tropenfilm hier gehabt. Allerdings haben uns die unverschämten Yankees zwei Milreis für den Meter abgenommen. In der Zwischenzeit hat mir Landsberger mit einigen hundert Metern ausgeholfen, so daß ich weiterdrehen konnte. – Wenn ich damals in irgendeiner Schwulität war, bin ich stets zu ihm gelaufen, und nicht ein einziges Mal vergebens. Was er für ein anständiger Kerl ist, haben Sie ja letzthin bei den Bottichen gesehen. Er hätte sie ja ebenso gut dem alten Dickwanst abschwatzen und uns dann um ein gutes Stück Geld weiterverkaufen können. – Und denken Sie etwa, daß er sich hätte an jenem Abend von mir freihalten lassen? Keine Spur! Nach dem zweiten Glas ist er losgegangen, und ich vor lauter Ärger über den Stockfisch dann auch. Aber nicht heimwärts! Na, in der Nacht bin ich gehörig unter die Mörder gefallen, kann ich Ihnen sagen! – Aber bekommen ist es mir nicht gerade. Weiß nicht, was seit einiger Zeit mit mir los ist, ich vertrage einfach nichts mehr. Immer kommt dann eine gottesjämmerliche Übelkeit und so ein komischer Schmerz hier an dieser Stelle ...«

»Sind Sie deswegen schon einmal bei einem Doktor gewesen?« fragte ich dazwischen.

»Ach, ich lauf doch nicht um jeden Quark zum Doktor! Es wird sich schon wieder geben. – Kommen Sie, wir wollen weitermachen!«

»Es handelt sich hier nicht um einen Quark, sondern um eine Leber. Und was die betrifft, läßt sich unter diesen Himmelsstrichen nicht spassen. Ich war elf Jahre in den Tropen und habe in dieser Hinsicht manches mit angesehen, Old Boy –! Aber es ist Ihre Leber und nicht meine«, sagte ich, warf die Zigarre, die mir bis jetzt wirklich recht gut gemundet hatte, weg und nahm meinen Schraubenschlüssel wieder zur Hand.

Er stand einen Augenblick nachdenklich da. »Hm, Sie meinen es gut, ich weiß. Aber sehen Sie, was sollte ich denn beim Doktor? Der sagt mir natürlich prompt: ›Lassen Sie das Saufen!‹ – Aber erst mal können –! Ich tu's nämlich nicht bloß so zum Spaßvergnügen, sondern ... Na, lassen wir das beiseite und gehen wir an unsere Filter.«

Am letzten Tage arbeiteten wir bis in die späte Nacht wie die Teufel, um endlich mit dem Labor fertig zu werden und aus der irrsinnigmachenden dumpfen Hitze da drunten herauszukommen.

Am folgenden Tage, es war ein Samstag, überholten wir gemeinsam unsere gesamte Aufnahmeapparatur und richteten alles vor, um nach einer wohlverdienten Sonntagsruhe am Montag endlich mit der von uns allen heißersehnten Arbeit im Urwald zu beginnen. Ohne den andern etwas davon zu sagen, hatten Ruth und ich jedoch beschlossen, diesen Sonntag zu einem ersten zweisamen Ausflug in unser zukünftiges Arbeitsgebiet zu benutzen.


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