H. Clauren
Mimili
H. Clauren

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Mimili war, als ich den folgenden Morgen aufstand, schon ausgeflogen, zu ihren Bergen, zu ihren Heerden, zu ihren Fischen, zu ihren Tauben, zu ihren Blumen, ich weiß es nicht. Mir war es lieb, denn von ihren gewöhnlichen Läppschereien wäre ich nur gestört worden, und ich war eben sehr feierlich und ernstgestimmt; ich hatte meine Worte, mit denen ich den Vater um das Mädchen begrüßen wollte, sehr sinnig und zierlich geordnet. Er konnte sie mir gar nicht abschlagen, denn ich hatte ihn bei seinen schwächsten Seiten angegriffen; ich setzte mir seine Einwendungen entgegen, und beantwortete sie gleich auf dem Fleck alle so bündig, daß er nicht ein noch aus konnte, und am Ende seine holde Mimili holte, und sie mir an das Herz legte. Ich stand mit dem Gesichte gegen das Fenster und perorirte halb laut meine ganze Rede noch einmal durch, als auf einmal Mimili hinter mir vor Lachen laut ausplatzte; sie war auf den Strümpfchen hinter meinen Rücken herein geschlichen, und hatte die größte Hälfte meiner Rede gehört, ohne den Zusammenhang zu verstehen.

Der Morgenthau hatte sie gefrischt; die veilchenblauen Augen funkelten klar und lebendig, wie ein Paar Morgensterne, und am Busen wogten die köstlichsten Wiesenblumen, in ihrer Mitte ein kleiner Strauß würziger Erdbeeren. »Eßt, genießt,« sagte sie, und bot mir des Busens herrliche Fülle, »sie sind reif; ich habe sie eben gepflückt, sie werden Euch schmecken.«

Ich pflückte mit den Lippen die rothen aromatischen Beeren aus den bethauten Blumen. Mimili drückte mir dabei einen fröhlichen Morgenkuß auf die Stirn, und fragte lachend, was ich so pathetisch gepredigt habe. – Ich aber schloß das himmlische Mädchen in meine Arme, und bat sie schweigend um ihren Segen zu meinem Gang, denn ich sagte nichts von meinem Vorhaben, weil mir, so gewiß ich meiner Sache noch vor einem Augenblick gewesen, ihr jetzt gegenüber, doch die Möglichkeit vor die Seele trat, daß das Geschick mir dieses Mädchen nicht gönnen, und dem Vater nach Anhörung meiner Anträge ein niederschmetterndes »Nein« auf die Zunge legen möchte.

Der Vater hörte meine Worte halb lächelnd, halb ernsthaft an, und entgegnete mit herzlichem Händedruck: »Ich dank' Euch der Ehre, Herr Ritter, die Ihr mir und dem Maidli anthut, gar höflich. Es ist mir nichts Neues, denn daß Ihr dem Dinge gut seyd, habe ich schon den ersten Abend gemerkt: auch Mimili ist Euch nicht abhold, und wider Eure Person, Herr Ritter, habe ich nichts einzuwenden; auch gefällt mir, was Ihr mir wegen Eures Häuslichen gesagt, aus dem ich wohl abnehmen mag, daß Ihr eine Frau ernähren möget, auch wenn sie Euch nichts zubrächte, was, Gott sey Dank! hier der Fall nicht ist. Indessen, Herr Ritter, Ihr liebet das Maidli seit zwey Tagen, ich seit sechszehn Jahren. Ihr solltet wohl abnehmen, daß mich es nicht erfreuen mag, mein einziges Herzkind mit Euch ziehen zu sehen über die Berge nach Euerm Lande, und allein hier zu bleiben mit meinen Heerden, bis an mein seliges Ende. Gott der Herr hat meine Alpen gesegnet, daß Mimili mir einem Eidam geben kann auch mit leerer Hand, er wird an ihrer Seite hier nicht darben. Da habe ich mir denn nun die letzten Tage meines Lebens von jeher nicht anders gedacht, als daß Mimili bei mir bleiben, und mir die Augen zudrücken soll, wenn mir die Alpen zum letztenmale glühen. Ihr verderbet mir meinen Plan, denn das Weib soll dem Manne folgen, und ich kann Euch nicht bitten, hier zu bleiben, da Ihr Eurem Lande gehört und Eurem Könige. Doch will ich gern meiner Wünsche liebsten hintan setzen, wenn ich weiß, daß Gott Euch auserwählt hat für mein Kind, auf daß es glücklich sey mit Euch sein Leben lang. In Eurer Heimath wohnen brave Leute, die ich liebe und ehre; dort wird Mimili Menschen finden, von denen sie Gutes und Liebes genießen wird. Ich werde Euch dort besuchen, und Ihr mit meinen Enkeln mich auch; und so wird mir die Trennung nicht so schmerzlich fallen, als es mir jetzt dünken will; und wenn ich nicht mehr bin, und Ihr älter geworden seyd, und Eure Kräfte, mit denen Ihr Eurem Lande nutzen sollt, geschwunden sind, dann könnt Ihr mit Mimili und meinen Enkeln herziehen, und Euer letztes Stündlein in Ruhe hier abwarten, weil ich meine Alpen nicht gern in fremden Händen wissen mag, und weil es sich, meyne ich, in einem stillen Thale besser sterben läßt, als in einer großen Stadt. Seht, edler Herr, das habe ich mir alles schon ausgedacht, nur weiß ich nicht sicher, ob Ihr der seyd, den Gott meinem Kinde mit seiner Gnade erwählt hat. Mimili hat noch keinen gesehen, als Euch; vielleicht liebt sie Euch nur darum. Ziehet jetzt hin in Frieden. Es sind in unserm Canton, und in den nächsten hier herum, manche junge Bursche von rechtlichen Aeltern, unter denen ich früher den einen oder den andern im Stillen wohl werth gehalten, um meines Maidli's Hand werben zu dürfen. Ich werde mich mit meinem alten Herrn Nachbar darüber berathen, und ihnen den Zutritt nicht wehren, daß Mimili sie kennen lerne, und wendet sich dann ihr Herz nicht von Euch, sondern bleibt es Euch binnen Jahres-Frist noch treu und gewärtig, so werde ich Euch, wenn Ihr zurückkommt und um sie fürder freiet, mit Freuden meinen Segen geben. Jetzt aber, guter Herr, gebt mir Ritterwort und Handschlag, daß Ihr gegen Mimili von dem, was wir gesprochen, nichts merken laßt, auch ihr kein Gelöbniß ablocken wollet, damit solches nicht an Eides Statt sie an Euch binde, sondern sie frei bleibe, wie ein Schweizer-Maidli seyn soll, das seine Hand noch keinem zugesagt hat. Ich werde unterdessen nichts wehren und nichts stören, sondern Gott walten lassen; der es immer mit uns am besten macht.«

Ich möchte wohl einen Spiegel zur Hand gehabt haben, um das Gesicht zu sehen, das ich bey dieser Erklärung machte; mir kam es unermeßlich lang vor.

War die Bestimmung des Probejahres dem Vater wirklicher Ernst, oder war es berechnete Schlauheit, mich nur erst mit guter Manier über den Gebirgskamm zu schaffen, und dann Mimili's Hand an einen, wahrscheinlich schon in petto habenden Schweizerburschen zu verjüdeln, der eben so viel Alpen und Kühe in die Schaale legen konnte, als der Alte hatte?

Widersprach ich, so kam ich nicht durch, daß sah' ich der Festigkeit des Vaters wohl an; auch sagte mir mein Gefühl, daß sich hier nichts erstürmen lasse, daß einem Vater nicht zuzumuthen sey, eine Tochter, wie Mimili, dem ersten besten Reisenden zum Weibe zu geben, den er kaum zweimal vierundzwanzig Stunden kannte, und von dem er eigentlich nichts weiter wußte, als daß der künftige Herr Schwiegersohn einen recht gesunden Appetit und ein vortreffliches Gefälle hatte. Der Alte hatte seine Verbindungen mit Handelshäusern in Bern, diese die ihrigen in meiner Heimath; sehr möglich also, daß er erst nähere Erkundigungen über mich einziehen wollte, und dieß konnte ich ihm bei aller Gewißheit, daß diese Nachfrage nicht unvortheilhaft für mich ausfallen werde, auch wieder nicht verargen.

»Es ist schwer,« entgegnete ich nach kurzem Kampfe mit mir selbst offen und ehrlich, »es ist schwer, von Mimili zu gehen, ohne den Kuß der Verlobung mitzunehmen: aber Ihr wollt es! Ein guter Sohn muß dem guten Vater gehorchen. Laßt hundert um des Mädchens Hand werben, wenn Mimili mich so liebt, – nein das kann sie nicht, – wenn sie mich nur halb so liebt, als ich sie, so fürchte ich mich vor keinem; hier meine Hand und mein Wort, ich will hinter Eurem Rücken ihr förmliches Jawort nicht ablocken; aber dagegen müßt Ihr mir auch versprechen, sie keinem Dritten zu geben, bevor ich sie nicht wieder gesehen; ich komme, läßt mir Gott das Leben, nach Jahresfrist wieder, dann mag Mimili über mein Glück vor Euch selbst und vor Eurem Herrn Nachbar entscheiden, als ein freies Schweizermädchen. Versprecht Ihr mir das?

Der Alte nickte schweigend, und gab mir die Rechte.

»Und ihr verhehlen, wie unsere Sachen stehen, kann ich auch nicht. Der Mann muß gegen das Mädchen, dem er einmal seines Lebens höchstes Glück, seine Kinder und sich selbst vertrauen will, keine Geheimnisse haben, er muß immer mit freiem Blick ihr in das freie Augen sehen können; also muß ich ihr sagen dürfen, was Ihr mit mir und ihr im Laufe dieses Jahres vor habt, und ich muß sie bitten dürfen, über sich nicht eher bestimmen zu lassen, als bis ich nach Verlauf des von Euch festgesetzten Jahres wieder zurückgekehrt bin. Das ist noch kein Gelöbniß. Seyd Ihr das so zufrieden?«

Nach einigem Besinnen sagte der Alte: »Meinetwegen, – und ohne Schwur, ich weiß jetzt noch keinen, der mir zum Eidam mehr gefällt, als Ihr, Herr Ritter; nur daß Ihr mein einziges Kind mir aus meinen Thälern mit wegführen wollt, das will mir nicht gefallen.«

Die wenigen Tage, die ich noch in diesen, mir ewig unvergeßlichen Thälern verweilte, waren nur Tage der süßesten Seligkeit. Kein Seraph kann fröhlicher, schuldloser, reiner, glückseliger leben, als ich und Mimili. Der Alte – ich muß es ihm zur Ehre dankbar nachsagen – behielt sein unbeschränktes Vertrauen nach wie vor. Er ließ uns allein gehen, wohin wir wollten, und thun und treiben, was wir wollten.

Mimili lachte hell auf und klatschte in die kleinen Hände, als ich ihr von dem Probejahr und von den jungen Schweizern erzählte, die nun aus allen Kantonen rundum angestiegen kommen würden.

»Das soll mir recht lieb seyn«, meinte sie, »dann habe ich doch eine kleine Veränderung; denn die Einsamkeit, glaube ich, wird mich erdrücken, wenn Ihr fort seyd; ich muß jedem freundlich seyn, und höflich, das verlangt das Gastrecht, und auf so was sieht der Aetti streng; aber – und sie ballte die rechte Hand in die linke – so, wie Ihr glaubt, soll mir Keiner kommen. – Macht Euch nicht finster und traurig vor der Zeit, lieber Freund und Herr, in der Stunde des Abschieds wollen wir mit einander weinen, aber bis dahin laßt uns guter Dinge seyn. Dieß eine Jahr ist ja immer nur ein Jahr; die sechszehen, die ich verlebt habe, sind mir ja ohne Euch geworden wie vierzehn Tage; wenn ich Euch im Herzen habe, wird mir die Zeit noch kürzer werden, denn nun habe ich immer erschrecklich viel zu denken, und zu dichten, und zu trachten; das Einzige nur, was mich bei der Sache verdrüßlich macht, ist, daß ich unterdessen um ein ganzes Jahr älter werde, und daß ich, wenn Ihr wieder kommt, vielleicht nicht mehr so hübsch bin, als Ihr meinet, daß ich jetzt sey; seht, Herr Ritter, wenn das wäre, ich könnte mir die Augen aus dem Kopfe weinen, denn daß Ihr mich in dem Jahre vergessen könntet, nein, das ist nicht möglich, nicht wahr, lieber Freund, mein erster, mein einziger Freund, das ist nicht möglich! Ihr habt mir es ja gesagt, daß Ihr mich treu lieben wollt, und Ihr habt, als Ihr mir das sagtet, Eure Hand dazu auf Euer Herz gelegt. Nein, Ihr könnt mich nicht betrügen. Nein, nein, wer sein Leben hat einsetzen können für das Heiligste der Menschen, für die Wahrheit und für das Recht, der kann nicht lügen, der kann einem schuldlosen Maidli nicht wortbrüchig werden, nein, er kann nicht. Das Herz würde mir ja in der Brust zerbrechen, und ich würde bittere blutige Thränen vergießen, bis mich Gott abrief zu meinem Mütterlein, die treu geliebt hat, und treu geliebt worden ist, und die nun schläft im stillen Frieden. Nein, guter Herr, das thut nicht an mir, das würde Euch keinen Segen bringen.«

Sie brach bei diesen Worten in lautes Schluchzen aus; sie faltete die Hände schmerzlich in einander und flüchtete, wie ein von schwarzen Traumbildern aufgeschrecktes Kind, an meine Brust.

Ich beschwichtigte ihre aufkeimenden Zweifel durch die heiligsten Versicherungen, schloß sie dicht in meine Arme, und küßte ihr Ruhe und Vertrauen wieder in das Herz.

»Nein«, sagte sie, durch die Thränen lächelnd, »nein, ich will nicht zweifeln; ich bin ein albernes Maidli gewesen! es wird mich nach Euch bangen, wie meinen Aülis nach den Müttern, wenn sie daheim bleiben müssen, und die Mütter zur Weide gehen. Aber Ihr kehrt ja auch wieder, wie diese; Ihr kehrt gewiß wieder, und daß Ihr dann so wieder kommt, wie Ihr jetzt geht, o – Herr Ritter – wenn Ihr wollt, daß ich ganz ruhig seyn soll, so schwört mir das mit einem leiblichen Eide. Legt die drei Finger Eurer Rechte auf meine linke Brust, unter der für Euch, und ewig nur allein für Euch, das Herz Eures Maidli's schlägt, und schwört mir Liebe und Treue, und ich will auf Euch bauen und trauen, wie auf Gott meinen Herrn.«

Und ich schwur auf diesem himmesreinen Altar der Unschuld, Lieb und Treue bis zum Tode, und ein minutenlanger Kuß besiegelte den frommen Schwur.

Seit diesem Augenblicke war Mimili meine Braut. Ich bat sie, mich nun auch Du zu nennen; allein dazu war sie nicht zu bewegen. »Wenn ich mit Euch in Gedanken rede«, sagte sie verschämt, und schlug die großen blauen Augen halb zur Erde nieder, »da kann ich Euch wohl Du nennen, aber laut bringe ich es nicht über die Lippen; aber wenn Ihr wieder kommt, werde ich Euch gleich mit Du begrüßen, denn ich werde bis dahin so viel mit Euch in Gedanken gesprochen haben, das ich es mir dann gewiß angewöhnt haben werde. Auch wäre dies Du jetzt ein Zeichen vom förmlichen Gelöbniß, und das will ja der Aetti nicht. Gegen den wollen wir ehrlich seyn, denn er ist es gegen uns; er meynt es gut mit Euch, und hält auf Euch große Stücke.«

Als ich endlich an dem längstgefürchteten Morgen ging, und vom Vater mich verabschiedete, drückte er mich an sein Herz und sprach sehr bewegt: »Geht mit Gott, Herr Ritter, und kehrt nach der besprochenen Frist, wenn unterdessen meines Kindes Sinn sich nicht geändert hat, was ich Euch dann melden würde, als mein Sohn wieder. Gebt uns oft Nachricht von Euch, und bewahrt in Eurer Brust ein reines Herz, denn ein solches nur gefällt Gott unserm Herrn. Er geleite Euch in Eure Heimath, und segne Euch und Euern König und Euer Volk für und für.«

Mimili ging mit mir fast bis Lauterbrunn. Sie hatte sich die letzten Tage alle nur ersinnliche Gewalt angethan, um fest und heiter zu bleiben. Allein jetzt war ihr Muth gebrochen. Schon beim Frühstück hatte sie rothgeweinte Augen, und als sie den Becher in die Hand nahm, um mit mir und dem Vater auf fröhliches Wiedersehen anzustoßen erbleichte sie; sie mußte das Glas wegsetzen, und ein Thränenstrom entstürzte ihren Augen. Jetzt hing sie schweigend an meinem Arme; an ihren seidenen Wimpern zitterten der Wehmuth Perlen; sie hörte mit stiller Freundlichkeit auf meine Tröstungen, und legte aller zwanzig bis dreißig Schritte ihre Rechte auf die schmerzerfüllte Brust. Wir ließen den Boten, der meine Sachen trug, bis Lauterbrunn vorangehen, und setzten uns auf einen bemoosten Felsblock im Schatten einer hundertjährigen Buche. Mimili ruhete auf meinem Schooße, in meinen Armen, an meinem Herzen. Sie versprach mir, sich von Wocher malen zu lassen, und mir ihr Bild zu schicken. Sie bat mich, nicht lange Abschied zu nehmen, sie fürchte sonst, so angegriffen zu werden, daß sie nicht zurück gehen könne. »Die Füße schwanken unter mir«,sagte sie in abgebrochenen Lauten, »im Herzen stürmt mir das Blut, als wollte es mir die Brust zersprengen und der Kopf glüht mir. Ich kann nicht mehr weinen; ach, wenn Ihr fort seyd, dann wird mir Gott Thränen geben, daß ich doch nicht ganz allein bin.« Ich selbst war vom Schmerz der Trennung und von der Trauer des himmlischen Mädchens so tief ergriffen, daß ich keine Worte finden konnte, um dem gepreßten Herzen Luft zu machen.

Mimili reichte mir aus der süßen Tiefe ihres schneeweißen Busens ein himmelblaues, einfaches Blümchen. »Hebt Euch das auf, und denket dabei mein. Wir nennen es Mannstreu, ich habe es heute Morgen gepflückt zu den Füßen der Bank, wo der viele Klee blüht; und nun lebt wohl, mein einziger Freund auf dieser Welt; Gott hoch über uns sey Zeuge, daß ich Euch nimmer vergessen werde. Ich liebe Euch mehr, denn mein Leben. Auf der Höhe, dicht unter der Bläue des Himmels, sahen wir uns zuerst. Dort auf dem Erbtheil meines Mütterleins, entblühte unsers heiligen Bundes heilige Myrthe; wir standen dort hoch über alle Menschen, über allen Freuden, allen Leiden der Welt. Hier tief im Thale, auf fremdem Grund und Boden, scheide ich von Euch, das deutet mir Gutes; in einem fremden Lande werde ich einst von Euch scheiden, wenn Gott mich abruft zur lichteren Heimath meines Mütterleins. Seht, ich kann jetzt wieder weinen – o mir ist wohl, unaussprechlich wohl. Mein Blick überfliegt den kurzen Raum eines Jahres, und knüpft sich an das herrliche Fest des Wiedersehens. Hier auf dieser Stelle werde ich Euch erwarten; das treue Maidli den treuen Ritter. Leb' wohl! hörst Du's, mein Einziger? leb' wohl!«

Sie sank erschöpft in meine Arme; sie umschlang mich mit ihren Schwanenhänden. Ein langer, langer Kuß. – Es war der letzte! –

Ich ging tiefer in das Thal hinab, und Mimili stieg im Schatten des Gebüsches, das sie meinem Blicke entzog, in ihre Berge zurück; an einem freien Punkte sah ich sie noch einmal; sie winkte mit ihrem weißen Tuche zu mir herab, sie warf mir mit ihren Rosenfingern die freundlichsten Küsse noch zu, und breitete, auf das Wiedersehen deutend, die Arme nach dem Thale aus. Dann sah ich sie nicht wieder. – –

So weit die Geschichte meines glücklichen Freundes, an der ich weiter keinen Theil habe, als das Vergnügen, sie erzählt zu haben, und den bittern Groll, nicht an des Neidenswerthen Stelle gewesen zu seyn.

Mimili hat ihm ihr Bild gesandt, und seitdem, daß ich es gesehen, verzeihe ich ihm, daß er seit seiner Rückkunft aus der Schweiz ungenießbar ist für Jedermann, und nichts weiter denkt und sinnt und weiß, als seine Mimili.

Ihre Briefe, mit denen sie ihn wöchentlich erfreut, sind allemal bogenlang; einige Stellen, die er mir aus Gnade und Barmherzigkeit vorgelesen hat, bestätigen, was er mir von ihren Kenntnissen, von ihrer Kindlichkeit, von ihrem Verstande und von ihrer zarten Gemüthlichkeit früher erzählt hatte, und was ich, unter uns gesagt, ihm nicht immer recht glauben wollte; so schien mir z.B. das, was er von ihrem botanischen Wissen, und von ihrer Kunde der alten Sprachen mir vorgeschwatzt hatte, eingelegt zu seyn; aber ich habe mit meinen eigenen beiden Augen in ihren Briefen Blumen gesehen, die sie meinem Freunde schickte, um durch unsere Botaniker ihre Zweifel, die sie über ihre Namen hegt, berichtigen zu lassen; und dann wieder sehr passende Stellen aus dem Homer und Virgil, und besonders aus dem Ovid, die auf ihren Schmerz der Trennung Bezug haben, so, daß ich nun wohl an die Wahrheit seiner Schilderung glauben muß.

Das Probejahr ist bald vorüber. Der Freier sind mehrere da gewesen von nah und fern. Mimili's Beschreibungen dieser Bewerbungen sind einzig in ihrer Art; die muthwilligste Laune, und doch die gutmüthigste Herzlichkeit blickt aus jeder Zeile. Die Freier sind, wie von diesem Alpenkinde zu erwarten war, alle abgewiesen worden, und es lag nun auf dem Wege zum Ziele der beiderseitigen Wünsche kein Hinderniß mehr. Ich war schon förmlich zur Hochzeitfeier eingeladen – da reißt sich das gräßliche Ungeheuer der Insel Elba wieder los, und die Pflicht ruft meinen Freund, statt zum Hochzeitreigen, zum Blutreigen. Wer Mimili lieb gewonnen, bete für das liebliche Maidli.

Wer aber unterdessen in das Lauterbrunner Thal kommt, und – man kann gar nicht fehlen – hinauf geht links, den einsamen, wenig betretenen Pfad, himmelan auf ihre blühende Alpe, und das holde Maidli früher sieht, als ich, der grüße es freundlich von mir.

Bis hierher lautete die Geschichte, wie sie im Freimüthigen im Mai 1815 geschlossen wurde.

Mein Freund war, wie dort erwähnt, den Fahnen seines Königs von Neuem gefolgt. Vor seinem Ausmarsch schrieb er an Mimili. Der Sicherheit halber traf er die Veranstaltung, daß ich den fernern Briefwechsel besorgen mußte. Durch die an sein Armee-Corps abgehenden Couriere hatte ich wöchentlich Gelegenheit, ihm die Briefe zu senden, die ich von Mimili erhielt, und dafür wieder die seinigen zu empfangen, die ich an Mimili beförderte. Es war zwar einer der langwierigsten Umwege, den diese Correspondenz zu machen hatte; allein unmittelbar vom Canton Bern aus war die Verbindung mit den Niederlanden, in denen mein Freund Wilhelm stand, besonders späterhin ganz gesperrt, und so hatte ich das Vergnügen, von dem holden Alpenkinde manche freundliche Zeile nebenbei zu erhalten.

Allein diese Freude dauerte nicht lang. Fast zu gleicher Zeit blieben von beiden Theilen die Briefe aus.

Ueber Wilhelms Schweigen erhielt ich leider die gefürchteten Aufschlüsse.

An den großen Tagen bei Belle-Alliance, an denen Gott zeigte, daß er mit uns im Bunde sey, sollte der schöne Bund der Liebe, den der Zufall auf jenen Schweizerhöhen geknüpft hatte, gelöst werden.

Den ehren- und eisenfesten Marschall Vorwärts an der Spitze der wüthenden Preußen, war die ganze Armee auf den grimmigen Feind gegangen, als habe der Tod keine Schrecken für sie. Tausende und aber Tausende waren gefallen – unter ihnen Wilhelm. Zwei seiner Freunde hatten ihn vom Pferde sinken gesehen, Blut aus Kopf und Brust strömend. Das Pferd, selbst getroffen, hatte sich hoch in die Lüfte gebäumt, und dann im Zusammenstürzen seinen Herrn bedeckt.

Das Regiment, zum Einhauen kommandirt, war auf die Leihknechte des Corsikaners in gestreckter Carriere geflogen. Jetzt saß es drinn in den Reihen der Verruchten, und hieb vor sich nieder, was der Hölle gehörte. An das, was hinter ihm war, konnte keiner denken.

Ungeheure Kavalleriemassen und reitende Artillerie kamen denselben Weg nach, um das Regiment zu unterstützen; was von den Gefallenen noch nicht todt war, ward jetzt zertreten und überfahren. –

Tage – Wochen lang stand ich an, der unglücklichen Mimili diese Trauerpost mitzutheilen; und doch mußte es einmal geschehen. Ich setzte mich mit schwerem Herzen hin, dem alten Herrn Nachbar zu schreiben, der ihr den Kelch tropfenweise reichen sollte, als von diesem ein Brief an mich einlief.

Mimili war krank. Die Angst um Wilhelms Leben, von dem sie so lange keine Nachricht hatte, die bange Sehnsucht, hatten dem Mädchen das Herz gebrochen. Ob meine Antwort sie noch unter den Lebendigen antreffen werde, hoffe er kaum, schrieb der alte Mann, aber ich solle schreiben, was ich wisse, auch das Schlimmste; es erleichtere nur ihren Tod, und wäre ihr also Wohlthat.

Das Vermögen der Seele, was wir mit dem unbestimmten Begriff Ahnung bezeichnen, bewährte sich hier mit bewundernswürdiger Klarheit.

Mimili wußte, nach des alten Nachbars Briefe, Wilhelms Tod mit Zuverläßigkeit. »Seit dem Augenblick«, schrieb der alte Mann weiter, »seit dem Augenblick, daß der Feldzug wieder eröffnet ward, ließ sie sich alle deutsche und französische Zeitungen kommen, deren man in Bern nur habhaft werden konnte. Die besten Charten von Frankreich, Deutschland und Belgien hingen in ihrem Zimmer. Sie folgte den Zügen der Armee-Corps mit immer ängstlichern Blicken, denn sie sah, daß die Heere sich mit jedem Tage immer mehr und mehr gegen einander drängten. Wenn es das Wetter nur irgend erlaubte, stieg sie auf ihre Alpe, und ging so hoch, als sie vor dem Schnee nur konnte, und wendete sich dorthin, wo Er jetzt war, und legte die Hände gefaltet vor die unsäglich gequälte Brust, und betete laut zu dem Gotte, der hoch über den Bergen wohnt. Und die Welt war still unter ihr, und sie lauschte, ob sie höre der Waffen Geklirr in der unermeßlichen Ferne, und des Geschützes brüllenden Donner. Aber sie vernahm nichts, als das eintönige Glockengebimmel der grasenden Heerden, und das heimliche Sumsen der Insekten, die in den Blüthenkelchen der tausendfarbigen Frühlingskinder schwelgten. Ich gewahrte sie einst auf ihrer Alpe, als sie, mich nicht sehend, mit unnennbarer Sehnsucht den Namen des Geliebten in die blaue Luftwelt hinaus rief; aber kein vertrautes Echo war auf der Höhe, das ihr ihn im Silberklange ihrer Stimme wiedergegeben hätte. Er hört mich nicht, sagte sie dann wehmüthig, und zerdrückte die Thränen, die ihr in das Auge getreten waren, und ging hinab in des Vaters leeres Haus, und grüßte unterwegs die Plätzchen, welche Zeugen ihrer seligen Stunden mit Wilhelm gewesen waren.«

»Meine Frau, die es tief schmerzte, das leidende Mädchen mit jedem Tage immer mehr dahin welken zu sehen, ärgerte sich über Wilhelm, daß er diesen Engel dem Tode opfern konnte. »Er hatte das Seinige gethan,« hob sie einst an, und machte ein saures Gesicht, »nun konnte er daheim bleiben, und Andere das Kriegsleben versuchen lassen. Das Jahr ist nun in wenigen Wochen um, und alles ist bereitet und zugerichtet, und das Maidli harret sein mit klopfendem Herzen; und statt in die Arme der Liebe zu eilen, zieht er gegen die fränkischen Horden. – Nein, Mimili – rund heraus gesagt, das gefällt mir nicht von ihm.«

Da nahm das Mädchen das Wort, und maß die mütterliche Freundin mit dunkelm Blick und sagte: »Meynet Ihr denn, Frau Trini, daß Wilhelm anders gekonnt? Wenn nun dort Alles wieder aufstand in dem Volke, das jetzt auch mein Volk ist, und die kräftigen Herren und Mannen das Schwert um ihre Lenden gürteten, zu züchtigen die böse Rotte, über die Gott im Himmel ergrimmt ist, und wenn die Fahne wieder wehte, auf der mein Wilhelm seinem ritterlichen König sich mit Blut und Leben zugeschworen, und wenn die Spitzen ihrer flatternden Bänder dorthin zeigten, wo die Bäche zu Pech werden müssen, und die Erde zu Schwefel, und wenn der alte Herr Blücher, unter dem Wilhelm vorhin gefochten und geblutet, sein Streitroß wieder munter bestieg, und alle Glocken und alle Mädchen und Frauen den Ausziehenden laut nachweinten – glaubet Ihr denn, daß da Wilhelm daheim bleiben konnte; glaubet Ihr denn, daß ich ihn so geehrt und geliebt hätte, wie ich ihn jetzt ehre und liebe? Das Weib soll dem Manne folgen, sagt die Schrift. Meine Heimath ist nicht mehr hier. Mit denen dort, unter die mich Wilhelm führen wird, will ich Freude und Leid, Ehre und Schande, Jubel und Thränen, Glück und Unglück theilen. Gute Frau Trini, dort sitzt heute auch manch' treues Weib und manch' herziges Mädchen mit nassen Augen und freudigem Gemüth, und schaut durch schmerzliche Thränen dahin, wo ich hinschaue. Ich will beten zu Gott, meinen Herrn, und zu Christum Jesum, meinem Heiland, daß, wenn der Todes-Engel seine Fittige über die Schlachtfelder breitet, mein Wilhelm nicht untergehe. Nein, er wird nicht untergehen. Gott wird mein Flehen erhören, ich bin ja fromm gewesen, und weiß von keinem Bösen.«

»So sprach Mimili, und verwies meiner Frau ihr schiefes Urtheil über Wilhelms Entschluß, zum zweitenmale mit zu Felde zu gehen, so ernstlich, daß diese sich nicht wieder unterfing, über Wilhelm nur eine böse Sylbe fallen zu lassen.«

»Aber als die Nachricht von jenen mörderischen drei Tagen bei Waterloo und Belle-Alliance kund ward, und Wilhelms Briefe ausblieben, da war der Anker ihres Glaubens gebrochen.«

»Tausendfältige Angst trieb sie auf die höchsten Spitzen der Felsen und in die finstersten Gründe; sie wollte keinem gestehen, daß sie an Gott zweifle, und doch sagten ihr blasses Gesicht, ihr stierer, dunkler Blick, ihr absichtliches Flüchten in die tiefste Einsamkeit, daß ihr Muth von ihr gewichen. Die Bitten des Vaters, meine und meiner Frauen tröstende Worte halfen nicht.

»Laßt mich,« sagte sie mit schneidender Kälte, »ich werde Euch nicht lange im Wege sein. Was Leben hat, vergeht; nur das Leblose steht ewig. So hat es der gewollt, den die kurzsichtigen Menschen den Vater der Liebe nennen. Dort drüben die kalten Gletscherwände – die starren schon seit Jahrtausenden die ungeheure Allmacht des Ewigen an, und werden noch tausend Jahrtausende in ihrer schauerlichen Pracht feststehen, aber das fromme treue Herz meines edeln Wilhelms schlägt nicht mehr. Schweigt, ich bitte Euch, vom Lohne der Gerechten. Gott hat meine Wege gesehen, und alle meine Gänge gezählt, es ist nichts Unreines an mir gewesen; und doch drückt mich der Grimm des Unerforschlichen in den Staub nieder, als habe ich das Gräßlichste verbrochen. Ich weine nicht, denn ich bin stark, und biete dem Unglück, das über mich zusammenbricht, die kalte Stirn. Ich will größer seyn, denn mein Elend; Wilhelm war auch groß. Er ist gefallen für seinen König, für sein Vaterland. Mit seinem Blute hat er mich beiden gekauft; ich gehöre nicht mehr zu Euch. Die drüben über den Bergen, die mit dem eisernen Kreuze den Feind erschlagen haben, die sind meine Freunde, dort thronet mein königlicher Herr, dort ist mein Wilhelm geliebt und geehrt, dort lebt sein Name in der Geschichte seines Heldenvolks für und für. – Mein Odem ist schwach, und meiner Tage sind wenig. – Was soll ich hier harren? ich gehe hin des Weges, den ich nicht wiederkommen werde.«

»So hatte sie sich wohl acht Tage gehalten, aber dann erlag ihr Körper. Ein gefährliches Fieber warf sie nieder, und nun sehen wir mit jeder Stunde ihrer sanften Auflösung entgegen.«

»Sie ist weich und still geworden. Ich habe, sagte sie heute früh noch zu mir, und winkte mich an ihr Lager, ich habe mit Gott gehadert, aber er verachtet mein doch nicht; er hat sein Ohr zu mir geneigt und mein Flehen erhört, mir ist es dunkel vor den Augen; meine Tage sind gezählet, den letzten erwarte ich bald; der allbarmherzige Gott wird mich in meiner letzten Stunde nicht verlassen. Mir ist leicht und wohl, die Nacht des Todes hat für mich kein Grauen, denn er hat seinen Engeln befohlen, daß sie mich behüten. Bald werden die Alpen unter mir glühen, und die Sonne wird unter mir seyn, und der Mond und die Sterne; und ich werde schauen meines Volkes verklärte Königin, und mein Mütterlein und meinen Wilhelm. Seine Wunden werde ich küssen, und an seinem Herzen werde ich der Liebe leben ewig. Amen, Amen, setzte sie leise hinzu, und faltete die Hände und zerfloß in frommen Thränen.«

Amen – Amen, rief ich mit nassen Augen der himmlischen Dulderin nach, und ließ meinen Brief mit der Trauerpost vom Tode meines wackern Freundes Wilhelm an den ehrlichen alten Herrn Nachbar abgehen.

So also mußte die Geschichte der armen Mimili enden, die bei den Lesern des Freimüthigen eine so allgemeine Theilnahme erregt hatte, daß ich aus verschiedenen Gegenden Deutschlands aufgefordert worden war, die Fortsetzung derselben zu liefern; ich zögerte lange, und gebe jetzt leider mehr, als verlangt wurde, den Beschluß. Erlaß mir, zartfühlender Leser, der Worte langen Schwall; mehr, als ich, sagen dir Wilhelms und Mimili's prunklose, fern von einander liegende Todtenhügel! bete für ihre sanfte Ruhe.

Vor wenigen Tagen erhielt ich einen Brief vom alten Herrn Nachbar.

Ich ließ ihn mehrere Stunden uneröffnet liegen, denn es fehlte mir an Herz, ihn zu lesen. Ich wußte ja schon seinen Inhalt. Mimili's letzte Stunden, den Schmerz des gebeugten Vaters, den Kummer des alten Freundes und seiner Gattin.

Zürnend mit dem Geschick, das ein solches Wesen, wie Mimili war, in der Blüthe des Lebens abrufen, und einen so liebenswürdigen Mann, als meinen Freund Wilhelm, in der Fülle seiner Kraft des jammervollsten Todes sterben lassen konnte, erbrach ich endlich das Siegel und las:

»Ihr werdet mich unter den Engeln im Himmel suchen, lieber Herr und Freund, aber zur Zeit bin ich noch in meiner herrlichen Schweiz, doch seliger, als alle Engel im ganzen Himmelreich, denn Wilhelm lebt in meinen Armen.«

Ich weiß nicht, wie es gekommen war; aber ich hatte Wasser in den Augen, als ich den Brief des Herrn Nachbars eröffnete; darum schwammen mir jetzt alle Buchstaben vor dem Gesichte, sodaß ich mir selbst nicht traute, als ich diese Zeilen erblickte, und unten am Ende des bogenlangen Briefes ganz deutlich den Namen Mimili.

Ich wischte mir, vor Freude zitternd, die Thränen aus dem Gesichte, ich durchflog mit trunkenem Blick den Brief – es war, es blieb richtig! Mimili lebte und Wilhelm, beide frisch und gesund.

Wilhelms Geschichte war ganz kurz und erbaulich.

Was nach dem Augenblick seiner Verwundung mit ihm vorgegangen war, wußte er nicht; er hatte, halb verblutet, besinnungslos unter seinem Rappen gelegen.

Gegen Mitternacht war er endlich wieder zu sich gekommen. Seine erste Frage an die ihm zunächst liegenden Verwundeten war gewesen, ob der Feind geschlagen? und, als hierauf ein beseligendes Ja erfolgte, wohin er geflüchtet? »Auf Paris zu«, hatte ein Unglücklicher ohne Beine geantwortet; und jetzt erst hatte Wilhelm, dem Ewigen dankbar, bemerkt, daß ihm beide Beine noch waren; vor ihm Paris, hinter ihm Deutschland und die Lazarethe; links die Schweiz. Die rechte Hand vom Sturze gelähmt, in der Brust eine Kugel, im Kopfe eine Hiebwunde, im Herzen Mimili.

Er hatte sich links gewandt, um sich von Mimili pflegen zu lassen. Drei Meilen war er in der Nacht gewandert, am Morgen war er vor einem Städtchen kraftlos umgesunken. Ein Müller war des Weges gefahren gekommen.

Wilhelm hatte das Letzte seiner Besinnung zusammengerafft, um dem Manne sein ganzes Gold zu bieten, wenn er ihn nach Unterseen im Canton Bern schaffen wolle; von dort aus hatte er sich auf ein Saumroß laden und auf Mimili's Alpe schaffen lassen wollen.

Der Müller hatte nach einigem Zögern und Rechnen Ja gesagt, und dem erschöpften Wilhelm waren die Augenlieder zugefallen.

Von da an, fährt Mimili in ihrem Briefe fort, weiß Wilhelm nichts, als daß er unendlich lange auf einem mit Stroh ausgefütterten Wagen gefahren, daß er von fremden Gesichtern bedauert, und von unbarmherzigen Wundärzten verbunden worden ist. Wahrscheinlich hat er in einem sehr starken Wundfieber fortwährend gelegen, oder hat ihn der Blutverlust so geschwächt, oder hat die Hiebwunde so nachtheilig gewirkt; kurz, er hat von Allem, was mit ihm vorgefallen, keinen klaren Begriff; nur so viel weiß er, daß, als er dann endlich wieder ein wenig mehr zu sich kam, und sich in einem Bette liegen sah, er nicht im Arme seines treuen Maidli's lag, sondern in einem Bette zu Freiburg in Breisgau; das Bette aber gehörte einem wackern christlichen Manne, bei dem ihn der Müller abgeladen hatte, weil Wilhelm ohne Todesgefahr nicht weiter gefahren werden konnte. Der Freiburger hat mit Frau und Kind an Wilhelm fromm gethan, wie der barmherzige Samariter, und Wilhelm ist nach langen Leiden gesund worden, und ist förder gezogen gen Thun, von dannen er gekommen ist über den See zu seinem Maidli.

Am selbigen Tage, als Euch unser Herr Nachbar geschrieben, lag ich im stillen Scheiden von dieser Welt. Der Tag hatte sich geneiget, es war Abend geworden; des Grabes Dunkel umdüsterte mich. Ich hatte meinem Aetti Ade gesagt und die Augen geschlossen, und der Todesfrost schauerte durch meine Glieder. Nur nach Jenseits sehnte sich meine Seele, und ich sah im sanften Schlummer den jungen Morgen der ewigen Verklärung vor mir aufgehen: da hörte ich den Wohllaut seiner Stimme. Er rief leise meinen Namen, und ich vermeinte im Fieberreiz, daß ich der Erde, die nun keinen Werth für mich mehr hatte, schon entrückt sey, und daß ein Engel mir meinen Wilhelm entgegen führe, um mich zu empfangen an der Pforte der himmlischen Freuden.

Aber er sprach meinen Namen wieder aus, und seine Stimme war eine irdische, und ich fühlte seiner warmen Lippen sanfte Küsse auf meiner kalten Hand.

Da schlug ich die Augen auf, und erwachte aus meiner Verzückung, und Wilhelm knieete vor meinem Bette, und heiße Thränen rollten über sein blasses Gesicht.

O, lieber Herr, wie mag ich Euch beschreiben, wie mir war, als ich das sah.

Er rief: sie lebt! und schlang seine Arme um mich, und ich richtete mich auf, und konnte nicht sprechen vor freudigem Erstaunen.

Seinen Namen nur konnte ich nennen, und ihn an mein Herz drücken, und Thränen, die seligsten, die ich geweint, entquollen dem Herzen, dessen stockende Pulse sich wieder zu regen begannen.

Aber das Uebermaaß meiner Seeligkeit war zu groß; ich erlag der Ueberschwenglichkeit meine Empfindungen; und die Freude lößte mich auf in – ja ich weiß kein anderes Wort, in eine himmlische Ohnmacht. Mit seinem Bilde schlummerte ich hinüber in die Lage, die zwischen Seyn und Nichtseyn schwebt, und erst, als ich aus dieser erwachte, kehrten meine Sinne mir wieder; meine Krankheit war gebrochen; Gott hat mich durch Wilhelm geheilt.

Wilhelm war, als er kam, auch noch schwach und krank; aber den will ich schon wieder gesund machen. Er hat schon von Freiburg aus um Urlaub nachgesucht, und ihn, bis zu seiner völligen Wiederherstellung, gestern erhalten. Der Friede ist geschlossen, und nun lasse ich ihn nicht wieder aus unsern Bergen, bis ich mit ihm ziehe.

Er würde Euch selbst schreiben, aber mit seiner rechten Hand vermag er es noch nicht. Von Freiburg aus hat er an Euch einen Brief abgehen lassen, und wundert sich, daß Ihr solchen nicht erhalten.Dieser Brief traf erst vierzehn Tage nach Mimili's Schreiben ein; ich hatte unterdessen, Berufsgeschäfte halber, einige Male meinen Aufenthalt verändern müssen, und daher war mir der freiburger Brief von einem Orte zum andern nachgesendet worden. Die Kugel, die zwischen zwei Rippen auf der linken Brust sitzen geblieben, ist in Freiburg herausgeschnitten worden; ich trage sie jetzt an einem goldnen Kettchen auf meinem Herzen. Seine Hiebwunde ist schlimmer gewesen; doch heilt sie jetzt von Tage zu Tage immer besser, und die Narbe wird ihm recht schmuck lassen. Selbst seine Blässe kleidet ihn nicht übel; er ist zahm und fromm geworden, und das soll mir in der Ehe zu passe kommen, denn er war sonst zuweilen auch gar zu wild und unbändig.

Er trägt mir eben einen Kuß an Euch auf, aber den sollt Ihr gut haben, bis ich ihn Euch selbst geben kann.

Ihr müßt schlechterdings bei unserer Hochzeit seyn, die auf nächsten Himmelfahrtstag bestimmt ist. Ihr seyd, sagte Wilhelm, ein fröhlicher Herr, und sein ältester Freund, darum dürft Ihr nicht fehlen.

Der Rappe kommt auch, den mein Wilhelm an jenen Schlachttagen geritten; Wilhelms Kameraden werden ihn uns in Kurzem schicken; er hinkt ein Bischen, aber das schadet nichts. Das wackere Thier soll hier in Ehren gehalten werden, und gute Tage haben bis an seinen Tod.

Sehet, so hat Gott alles gewendet, Ehre sey ihm in der Höhe, und Friede auf Erden. Ich freue mich, und bin fröhlich über die Güte des Allmächtigen. Er hat meine Seele errettet von dem Tode, er ist gewesen meine Hülfe und mein Schild, auf ihn will ich bauen ewiglich; Er hat mir gegeben, was mein Herz begehret, und mein heißes Flehen hat er in seinen Himmeln gehört – so will ich ihn denn preisen für und für, und meine heilige Liebe zu Wilhelm soll mein Dankopfer seyn.

Ihr aber, lieber Herr, vergesset des Festes nicht, an dem Christus gen Himmel fuhr; denn dann erwarten Euch Wilhelm und

Mimili.

Daß ich bei diesem Feste nicht fehlen werde, versteht sich von selbst. Noch habe ich ein Plätzchen im Wagen leer; wer Lust hat, die Reise mit mir zu machen, der melde sich in Zeiten, und bringt er gute Laune und gesunden Appetit mit, so soll er mir, und gewiß dem ganzen Hochzeithause willkommen seyn.

Hier schließt sich die erste Ausgabe; und ich kann jetzt, bei dem Schlusse der zweiten (im October 1816), hinzusetzen:

  1. Daß mir die Freude, dem Hochzeitsfeste beizuwohnen, leider durch Geschäfts-Verhältnisse vereitelt worden;
  2. Daß ich glaube, hierdurch die vielen an mich eingegangenen Fragen, wegen des Plätzchens im Wagen, hinlänglich beantwortet zu haben;
  3. Daß die Hochzeit selbst am Himmelfahrts-Tage höchst vergnügt vollzogen worden;
  4. Daß das junge Pärchen in diesem Augenblicke noch auf der heimathlichen Alpe haust, und wahrscheinlich erst kommendes Frühjahr die Schweiz verlassen wird; und
  5. Daß der Alte – doch dieß bleibt unter uns – mich ersucht hat, ihm durch eine meiner Bekanntinnen, die davon mehr verstehe, als ich, die allerniedlichsten und geschmackvollsten Kindersachen, die sie nur aufbringen könne, zu besorgen.

Es freut mich, am Schlusse der dritten Auflage (den letzten December 1818), meine freundlichen Leser versichern zu können, daß es unserer Mimili mit ihrem Gatten wohl geht, und daß ihr unterdessen eingetroffener Silli nach Versichern des Vaters, des liebholden Frauchens Ebenbild ist. Noch lebt das glückliche Paar mit dem Alten in seinen stillen Bergen. Ich hatte neulich an Mimili geschrieben, und ihr unter andern gemeldet, daß, ungeachtet ihre Geschichte schon im Freimüthigen gestanden, und ungeachtet jede der darauf erschienenen zwei Auflagen drei tausend Exemplare stark gewesen, doch jetzt eine dritte, eben so starke Auflage nöthig sey, und sie möge daraus abnehmen, mit welchem herzigen Antheile man ihr bei uns zugethan sey.

Ich kann mich nicht enthalten, aus ihrer gestern bei mir eingetroffenen Antwort einige Bruchstücke mitzutheilen.

»Eure Nachricht, lieber Herr«, schreibt sie »hat mir wohl Freude gemacht; denn wenn ich auf ein Buch zehn Leser rechne, so mögen wohl ihrer hundert tausend seyn, die von dem einfältigen Maidli da oben in der Schweiz, der Jungfrau gegenüber, wissen; aber eben das macht mich herzlosig, selbst einmal nach Eurem Lande herunter zu kommen. Wohl träume ich jelimahl wie das hübsch seyn müßte, all den bunten Flimmer zu sehen, von dem mein Wilhelm mir erzählt; aber leggorni – ich komme nicht. Würden sie nicht alle stehen bleiben, und auf mich mit Fingern weisen und sagen: das ist die Mimili von Berner Oberland? ich wüßte ja nicht, wo ich sollte die Augen hinthun. Auch passe ich nicht in Eure Kleider. Wilhelm ließ einen solchen Schlumper fix und fertig kommen aus Frankfurt; – wir haben laut auf gelacht, als ich mich endlich hinein gezwängt hatte, sogar mein klein Bübeli hat gelacht, als ob es davon schon wer weiß was verstände. Nein, da ist mir mein leichtes Jüppeweihi viel tausendmal lieber. Da hat mir die Brust Platz, daß ich frei athmen kann, und mit dem langen engen Wesen Eurer Damenröcke ist es für uns hier auf unsern Alpen nun einmal gar nichts, beim Bergauf- und Bergabgehen machen die einem viel zu viel Fisperementli, und wo sollt ich mit meinen vielen tausend tausend langen Haaren hin? Abschneiden etwa? – da müßte mir doch gewür ein Ziggi geworden seyn.

Aber kommt zu uns, lieber Herr, und das bald. Wir haben fast täglich auf unserer Alpe Besuch gehabt von Leuten, die herauf kamen, blos aus Neugier. Da ist es etwas anders; da bin ich Frau im Hause, und wenn sie nicht Gefallen finden an uns, so können sie wieder gehen, woher sie gekommen; aber sie bleiben alle gern, denn Wilhelm weiß mit ihnen gut zu schwätzen, und was ich ihnen bereite, das schmeckt ihnen, denn ich lasse sie vorher tüchtig auf den Bergen klettern; bis zu der Wildi hinauf müssen sie, und da bringen sie wohl Appetit mit herunter.

Doch ich muß enden, mein Silli begehrt meiner, und wenn ich nicht gleich mit ihm küsele und narrele, so macht das Currli-Murli ein Brüscheli und dann ist Noth in allen Ecken.

Lebt wohl, lieber guter Herr. Mein Geschreibsel wird Euch ungefähr am Jahresschlusse treffen. Gott der Herr gebe Euch und allen, die uns kennen und, wie Ihr meinet, Theil an uns nehmen, ein fröhliches Neujahr.

Mimili.

Mit diesem herzlichen Wunsche begrüße auch ich im letzten Augenblicke des scheidenden Jahres meine sämtlichen Leser.

Dresden, am Sylvesterabend 1818.

H. Clauren.


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