H. Clauren
Mimili
H. Clauren

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H. Clauren

Mimili


H. Clauren: Mimili. Eine Erzählung.

Allen Denen

welche

eine Mimili suchen

ergebenst zugeeignet

 
vom

Verfasser

mit dem Trostspruche:

Suchet, so werdet Ihr finden.


Die sogenannte Hauptstadt der Welt, das lärmende Paris lag mir im Rücken; ich war ihrer herzlich müde geworden. Nach Ruhe, nur nach Ruhe sehnte sich mein Gemüth. Das Getreibe des herrlichen Feldzuges hatte mich erschöpft; im Wechselgeschwirre des Kriegeslebens war mir ein Jahr verflogen; ich suchte ein Plätzchen, wo ich mich ausruhen konnte; ein stilles, friedliches Plätzchen, um mir nur einmal selbst zu gehören.

Darum eilte ich über Fontainebleau und Dijon in die Schweiz.

Von allem, was ich auf dem Wege bis dahin, und in dem freundlichen Neufchatel, und weiter links und rechts sah, ein andermal, heute nur in das Lauterbrunner Thal.

Ich hatte meinen Reisegefährten, der etwas unwohl war, in Unterseen gelassen, und machte mich, noch am Tage unsrer Ankunft, auf den Weg.

Mein Führer war ein rüstiger Mann; wir stiegen raschen Schrittes am Ufer der weißschäumenden Lütschine hinauf, die zwischen den himmelhohen Felsen sich durchwindet. Zuerst nach Matten, unfern der Ruinen von Unspunnen und Wilderswyl vorbey; dann links den tosenden Waldstrom immer weiter entlang; rechts aber fast senkrechte, bald nackte, bald bewachsene Felswände. Immer dunkler und enger ward die Schlucht und immer wilder die Gegend. Mein Führer verstummte nach und nach – bei einem Felsenblock, groß wie ein Haus, schlug er sich ein Kreuz vor die Brust. »Was ist Euch?« frug ich neugierig, und sah verwundert ein Bächlein schwarzes Wasser, neben den Felsblock, aus dem steinigen Gerille, zu unsern Füßen in die Lütschine herabrieseln.

»Das, Herr, ist der böse Stein, und das hier, der böse Bach,« entgegnete der Führer. »Hier erschlug der Freiherr von Rothenflüh seinen Bruder um leidiges Erbe, und flüchtete dann, und irrte ohne Heimath und Obdach umher, bis er verkümmerte und elendig starb, und niemand hinterließ, so daß sein Name mit ihm erloschen ist: auf ewige Zeiten.«

Ich sah den Gräßlichen, wie er, im weißen Schaum der eilenden Lütschine, das Bruderblut von den Händen sich wusch, dann, von der Geißel seines Gewissens gepeitscht, von dannen flüchtete, und den Frieden seines Herzens, auf die Dauer seines ganzen Lebens, in dem schauerlichwilden Thale ließ.

Mir lief es kalt über den Nacken, und ich eilte von dem Mordplatze wegzukommen.

Von Zweilütschinen aus führt eine kühne Brücke auf die Iselten-Alp; hier treffen die schwarze Lütschine aus Grindelwald und die weiße Lütschine aus Lauterbrunn zusammen, und stürzen von da vereinigt, mit reissender Schnelligkeit, nach der Aar hinab.

Auf einigen Punkten gewinnt man hier, aus den engen Thalklüften die überraschende Aussicht auf die blendende Scheitel der Jungfrau in Süden, und auf den herrlichen Gletscher, das Wetterhorn, in Osten.

Vor Lauterbrunn kamen mir mehrere kleine arme Kinder entgegen, die mich um ein Almosen ansprachen. Sie thaten das mit einer so herzigen Manier, daß man keinem seine Bitte abschlagen konnte.

»I bi ä gar zu armes Bubeli!« riefen gewöhnlich die kleinen Jungen, und streckten die Händchen weit vor, und sobald sie die Spende erhalten hatten, erboten sie sich dankbarlich zu allen Liebesdiensten; besonders beeiferten sie sich, mir die schönsten Stellen ihres Thales zeigen zu wollen.

In den Französischen Städten war man auf jeder Straße von Gassenbuben umringt, die zu den schönsten Mamsells zu führen, sich an den Fremden drängten; hier wollten mir der Sennhirten schuldlose Kinder, die Pracht ihrer stillen Thäler weisen. – Jeder der Kleinen hier hatte sein Lieblingsplätzchen; einer wollte mir das, der andere jenes zeigen; ich wäre heute noch nicht fertig, wenn ich mit jedem hätte gehen wollen. Mehrere raunten mir, hinterm Rücken des Führers, in's Ohr, daß sie links und rechts tief drinnen im Thal viel besser Bescheid wüßten als er; allein meine Zeit war zu beschränkt, ich mußte mich von der kleinen Schweizerbrut mit Gewalt losreissen.

In Lauterbrunn selbst saßen vor den Thüren vieler Hütten, künstliche Holzschnitzer mit ihren Familien, und arbeiteten die niedlichsten Sachen aus Ahorn, die weit und breit verkauft werden; vornehmlich, Milchterrinen, Milchlöffel und Buttermesser. Erstere konnte ich Fußwanderer nicht fortbringen, aber mit letzteren belud ich meinen Führer dutzendweise.

Wir wanderten weiter.

Von fern schon rauschte der Staubbach.

An der 800 Fuß hohen Wand des Pletschberges stürzt dieser Bach herab. Man kann Stundenlang das Auge an dem seltsamen Spiel dieses Wasserfalls weiden. Oben am Rande der schroffen Felsenwand, bricht des Baches Wasser herüber, zerstiebt im Fallen in tausend Millionen kleiner Staubtheile, schwebt als leichtes weißes Schaumbild in den Lüften, und sprützt in äußerst feinem, sanften Regenthau hernieder. Oft ist es, als walle ein blendendweißer, vierhundert Ellen langer Florvorhang, von der Spitze der Felswand herab. Ein solches Prachtwerk der Natur kann kein Mensch beschreiben, kein Künstler malen; und die Versailler Wasserkünste sind gegen diesen Bach ein Nürnbergerei.

Schräg ihm gegen über liegt, im Hintergrunde eines einfachen Obstgartens, das Pfarrhaus. Die junge Pfarrfrau, eine frische blühende Bernerinn, kam, ein rundes, gesundes Kind auf den Arm, und, nachdem wir ein langes und breites geplaudert hatten, bat sie mich, bei ihnen einzutreten, und mit dem vorlieb zu nehmen, was das Haus vermöge. Allein ich mußte die freundliche Einladung ablehnen; denn ich hatte noch einen weiten Weg.

Ein schmaler Fußpfad führte uns tiefer in den Hintergrund des Thales. Der Spis- Buchen- Aegerten- und Myrrenbach auf der einen, und der Schildwald- Trimlete- Rosen- Maden- und Stuffibach, auf der andern Seite des Thales, stürzten, wie vorhin der Staubbach, von den Felsenwänden herab, und rauschten weit entgegen und weit nach. Das Ziel meines Wunsches war, diesen Abend noch, der Jungfrau näher zu seyn. (– Daß ich ihr so nahe kommen, in ihrer Nähe so glücklich seyn würde, ahnete ich nicht. –) Mein Führer versprach, wenn ich gut steigen könnte, mich in eine Sennhütte zu bringen, von der aus ich, auf die Jungfrau den besten Standpunkt in der ganzen Runde haben sollte; und so ging es denn aus dem Lauterbrunner Thale heraus auf eine herrliche Alpe.

Hier und da trafen wir auf Senner, die ihre Tanse auf dem Rücken, eben in Begriff waren, zum Abendmelken in die Alpengründe zu gehen.

Wir stiegen immer Bergauf, aber die Mühe ward mit jeden Schritt belohnt: denn immer reicher und größer ward die Aussicht.

Endlich war die Sennhütte erreicht. Sie hatte eine so himmlische Lage, und der Senner war ein so freundlicher Mensch, daß ich mich gleich entschloß, hier zu übernachten und den Führer nach Unterseen zurückzuschicken. Den folgenden Morgen wollte der Senner mit seinen Buben bis Grindelwald mitgehen.

Der Senner war arm, wie alle seines Gleichen. Er bot mir frisches Heu zum Lager, und Milch und Käse zum Abendbrod an. Ich dankte ihm, und eilte zur Hütte hinaus, um keinen Augenblick, so lange es noch Tag war, den großen, den unbeschreiblichen Genuß zu verlieren, den hier die Natur bot. Ich legte mich auf die blühenden Matten, und schwelgte in der schönsten Freude des Menschen, in der Freude über Gottes wundervolle Welt.

Die Jungfrau lag in ihrer ganzen Pracht dicht vor mirDieser weltberühmte Gletscher liegt 10422 Fuß höher, als das Dorf Lauterbrunn, aus dem ich eben kam., hinter und neben ihr ragten das Mittag-Horn, das Tschingelhorn, Eben-Flüe und andere Riesengletscher hinauf; aber die Jungfrau hob über alle diese himmelhohen Felsen ihr silbergeschmücktes Haupt in die Azurblauen Regionen ihres Gottes empor!

Das sind die ewigen Grundpfeiler der Erde, diese zu den Wolken starrenden ungeheuern Granitfelsen:

Sonst – als der Erdball noch rund um im Wasser schwamm, mögen sie über dem Spiegel jenes unermeßlichen Ozeans hervorgeragt haben, als grünende Inselpunkte. Tausende von Jahren sind seitdem verronnen! Meere, Weltmeere sind seitdem vertrocknet, und diese Riesenfelsen stehen noch. Ihre ehrwürdigen Scheitel sind mit ewigem Eise bedeckt, ihre höchsten Gipfel betrat noch kein menschlicher Fuß! Sie schaffen und wirken und treiben im Stillen ihr Großes und Gutes, denn sie – sie speisen das schwarze und Mittelmeer, das adriatische und die Nordsee, und tränken die Länder Europens mit tausend Strömen, die ihren unerschöpflichen Tiefen entquellen.

Ich lag auf blumigem Rasen, und drüben die eisigen Gletscher. Selbst der Gipfel meiner Alpe war noch mit Schnee bedeckt.

Rund um mich herum war alles so still, als habe hier der ewige Friede seine Altäre gebaut. Tief unter mir das freundliche Lauterbrunner- und das schauerlich-furchtbare Ammertenthal, und in der Ferne das Tosen der Sturzbäche, die seit Jahrtausenden sich in die Thäler ergießen und nimmer versiegen; und weiter hinab das Räder-Geklapper der Schmelzhütten und Frischfeuer, und weiter hinauf das einsame Klingeln der zerstreuten Herden, zuweilen wohl auch das Meckern einer jungen Gais, hier Ziggi genannt, oder das Schwirren eines lustigen Käfers, der sich bis hieher verirrte, um das Getümmel der Welt einmal von oben herab zu beschauen.

Der Abend war milde und warm; ein leiser Zephyr wehete von den eisigen Gletschern sanfte Kühlung herüber, und Millionen duftiger Blumen würzten die reine Bergluft mit ihren balsamischen Wohlgerüchen.

Es war einer der seligsten Augenblicke meines Lebens; ich staunte immer mit neuem Entzücken von meinem blühenden Klee, die Wunderwerke der unbekannten gigantischen Schneewelt da drüben an; ich schlürfte die würzige Atmosphäre mit vollen Zügen ein. Eine namenlose Behaglichkeit ergoß sich über mein ganzes Innere; ich hätte laut mich freuen mögen, wenn nicht eine gewisse De- oder Wehmuth mein Gemüth gefesselt hätte. Ich kann es nicht beschreiben, aber es kam mir vor, als wäre ich so fromm noch nie gewesen. Der uralte ungeheure Koloß von Granitfelsen und funkelndem Eise mir gegenüber – was war er weiter, als ein kleiner Eiszacken, gegen die Myriaden von Sternenwelten am dunkeln Himmel der Mitternacht!

Ich faltete dir Hände und betete. Gott war mir nie näher gewesen: da hörte ich Menschentritte in der Ferne.

»Es kommt Jemand,« sagte ich zum Senner, der eben aus der Thür seiner Hütte trat, »wohnt noch Jemand bei Dir?«

»Niemer,« antwortete er, »aber zu Abig kommt oft die Jungfer herauf und schläft hier.«

»Wer ist die Jungfer?«

»Die Tochter meines Herrn.Die Senner sind bekanntlich nur die Hirten der Kühe, die wohlhabenden Alpenbesitzern gehören.«

Ich sprang auf; der Senner ging ihr entgegen; – noch sah ich sie nicht, der Weg kam hinter der Hütte herauf, – sie rief ihm mit einer sehr wohlklingenden Stimme zu: »guten Abend, Rütli, ich werde heut bei Euch bleibe, es schonet, und s'ist schankliDer Abend ist schön, und es ist der Anschein da, daß es morgen auch gut Wetter ist.«

Der Senner mußte ihr von mir sagen; denn ich hörte, daß er von Außerer sprach; sie ward still, und wahrscheinlich zögerte sie, näher zu kommen; denn ich hörte keine Fußtritte weiter.

Ich bog daher um die Hütte, um die Herrin meiner Alpe zu begrüßen.

Wer in der Schweiz war, wird die theatralische Tracht der Alpenmädchen kennen. Bei meinem ersten Eintritt in den Kanton Bern dachte ich anfangs immer, wenn ich die idealisch gekleideten Schweizerinnen sah, es habe ein Freund mir einen Scherz bereitet, und der holden Jungfrauen schönste, nach der Phantasie irgend einer zarten Idylle angezogen, mir entgegen gesandt, um mir einzubilden, ich habe das Schäferland meiner Jugendträume gefunden. Nach und nach hatte ich mich denn endlich an die freundliche Wirklichkeit gewöhnt; aber diesem Mädchen jetzt gegenüber, mußte ich wieder in dem süßen Wahn mich verwirren, als sey dieses liebliche Wesen, eine Erscheinung aus der Dichterwelt jener seligen Vorzeit, wo die Unschuld in Menschengestalt auf der Erde wandelte. Das schwarze Lockenköpfchen schirmte ein großer Italienischer Strohhut, an dem ein Strauß von frischen Wiesenblumen schwankte; zwei lange blaßblaue Bänder flatterten von der breiten Krempe bis zur Hüfte herab. In den großen blauen Augen spiegelte sich die sanfteste Freundlichkeit, die argloseste Kindlichkeit, die fromme Liebe selbst. Herrlich wölbten sich, über diesen stillen Sprechern der Seele und des Herzens, die schwarzen Bogen der Augenbraunen und die langen seidnen Wimpern brachen den Feuerstrahl ihres glühenden Blickes. Jugend und Gesundheit blühten im Grübchen der Wange, auf den Purpurlippen und in der Fülle ihres ganzen schönen Körpers.

Das Brüstli wie das Miederchen war von schwarzem Sammt, geschnürt mit goldenem Kettchen und reich und geschmackvoll gestickt, mit Gold und buntfarbiger Seide. Die weiten Ermel, vom allerfeinsten Battist, reichten vor bis zur kleinen Hand; und gleichfalls vom nehmlichen Battist war das Hemdchen, das den blendend weißen Hals und den Busen züchtiglich verhüllte. Das schwarzseidene, hundertfaltige Röckchen, reichte kaum bis über das Knie, so daß die Zipfel der buntgestickten Strumpfbänder, die feingeformte Wade sichtbar umspielten; die Blumen der Matten aber küßten das Blüthenweiß ihres feinen, baumwollenen Strümpfchens, das den zartesten kleinsten Fuß verrieth. Vom Hinterkopfe hingen dem Mädchen zwei geflochtene brandschwarze bandbreite Zöpfe bis in die Kniekehle hinab, und am Arm schaukelte ein Körbchen, gar zierlich gearbeitet und künstlich durchflochten mit Rosen und sammtenen Fäden. Im ganzen Wesen der himmlischen Erscheinung, die frische Kräftigkeit der unverdorbensten Alpenbewohnerin, und doch der Anstand, die Haltung der gebildeten Städterin!

Das Mädchen wollte hier übernachten!

»Du lieber Gott, warum thust du mir das!« rief ich fragend heimlich in die Wolken, und warf einen Blick auf die unter mir liegende arme Welt, daß es mir vorkam, als schmelze das Eis der Jungfrau und ihrer Nachbaren, vor seinem verzehrendem Feuer in brühende Lava über.

Ich nahte mich ihr sittig und ehrsam, und grüßte sie, als die Besitzerin der Alpe, mit feinen Worten recht manierlich.

Sie aber bot mir mit Schweizerischer Treuherzigkeit die kleine Flaumenhand, und hieß mich willkommen.

Ich eröffnete ihr nach dem ersten Hin- und Herreden, meine Freude, diesen herrlichen Abend in einer solchen, mir wie von Gott selbst hergesandten, Gesellschaft zu genießen, – von der Nacht selbst aber, und vom hier oben Schlafen, konnte ich um keinen Preis ein Wort über die Lippen bringen; denn ich schaute dem Engel von Mädchen in die Augen, die so klar, so himmelrein mir bis auf den Grund meiner Seele sahen, daß auch kein böser Gedanke in mir aufkommen konnte, den sie nicht erspäht hätte.

»Ein wahres Glück für uns,« hob sie an, »daß ich herauf gekommen. Ihr hättet gewiß auf unserer Alpe, eine böse Nacht gehabt; denn ihr hättet auf bloßem Heu schlafen müssen; so aber kann ich Euch mein Cabinet in der Hütte abtreten, wo Ihr bequemer liegen werdet.«

Sie trat mit mir in die Sennhütte, und schloß das besagte Cabinet auf.

Ich war in Trianon, Versailles, St. Cloud, und, auf dem zu meinen Füßen liegenden buntflitterigen Erdball, in manchem andern kaiserlichen Lustschlosse gewesen. Reichere Schlafgemache hatte ich wohl da gesehen, aber freundlicher, niedlicher keins. Das Hausgeräthe höchst geschmackvoll gearbeitet, von Ahorn oder schwarzem Pappelmaser; rings an den Wänden herum, die ersten Prachtgemälde von Aberli, Rieter, Biedermann, Lafont, Lory, Hackert, Wocher und mehreren andern trefflichen Künstlern, lauter Schweizer-Landschaften, viele von unschätzbarem Werthe. Aber die Königin meiner Alpe öffnete das Fenster dieses Feenkabinets, und in die weiten Räume der vor mir liegenden Felsen-Gletscherwelt flog mein entzückter Blick. Es war, als sey die ganze große Ründe, dem Himmel noch näher gerückt; als sey sie heiliger geworden, seit das Mädchen in ihrem Luftkreise stand. Ich fühlte, daß ich hier oben besser geworden war; aber ganz schlackenrein war mein sündhaftiges Wesen noch nicht! denn als meine liebreizende Wirthin, die schneeweißen feinen Vorhänge zurückschlug, die ihr jungfräuliches Bettchen mit frommer Feierstille umdämmerten, und ich auf dem Kopfkissen das eleganteste aller Nachthäubchen gewahrte, und meine Phantasie die schwarzen Ringellocken des zaubersüßen Mädchens, in dem Häubchen, und das Himmelskind selbst, unter der seidnen leichten Decke sich malte, und sie wiederholentlich versicherte, daß ich hier recht gut schlafen würde, da mußte ich die Augen heimlich zudrücken, denn mich wandelte der Schwindel an; es war mir, als kuckte ich schnurstracks in das Paradies hinein. Der Schwindel aber war nichts, als die Lotterflamme der Schlacken meines Innern, die im Ausbrennen begriffen waren.

Ich entgegnete ihr, daß ich in der ganzen Welt kein einladenderes Schlafgemach, kein süßeres Schlummerbette kenne; allein, sie werde mir hoffentlich zutrauen, daß ich es nicht annehmen könne, da sie gegen den Senner geäußert, diese Nacht hier oben zubringen zu wollen. Ich würde mich daher begnügen mit dem, was der Senner mir bereits geboten, und hoffe, da ich sie nun in der Nähe wisse, auf meinem Alpenheue sanfter zu schlafen, als mancher Fürst auf seinen Daunen. Der an sich gewiß nicht verwerfliche Vorschlag, das Kabinet mit ihr zu theilen, saß mir auf der Zunge.

»B'hütis Gott!« fiel sie mir lächelnd ins Wort, »was würdet Ihr denken von mir, wenn ich hier oben blieb, da Ihr hier seid. Das müßte ja ein wüscht Maidli seyn. Nein, ich werde ein wenig mit Euch noch verweile, wenn Ihr mir erlaubt, und dann gehe ich nach Haus, und sende Euch z'Nachteße herauf, denn der Senn hat nichts, als neimis Ranf, Schlipmilch und Schnitze

Sie sprach gern und viel, und so traulich, wie ein Kind, und dann doch wieder so verständig und unterrichtet, wie kaum ein Mädchen aus unsern ersten Zirkeln. Ihr Schweizerisch-Hochdeutsch klang in ihrem kleinen Rosenmunde unbeschreiblich gut; nur wenn sie auf Ausdrücke des gewöhnlichen Lebens stieß, bediente sie sich der dort üblichen Provinzialismen; doch waren mir diese, durch meine früheren Wanderungen in der Schweiz, schon verständlich.

Ich hatte sie anfänglich Sie genannt; sie meinte aber, es klinge so ausländisch, es wäre ihr dann, als sey sie nicht in ihrer Heimath, wo alles sie Du hieße; ich mußte sie daher Du nennen.

Was doch in solch einem einzigen Worte liegt. Ich machte einen Schritt, wie vom Montblank bis zum Jura.

Es war nun, als kennten wir uns schon seit vielen Jahren, als wären wir beide auf dieser Alpe mit einander groß geworden

»Wie heißt Du, süßes Mädchen?« fragte ich, und umschlang das sammtene Miederchen mit meiner Rechten, und legte ihre kleine, zarte Hand auf mein Herz, in dem das Blut sich drängte, wie das wilde Wasser der Gletscher in den Sturzbächen,

»Mimili heißt mi de Aetti!« antwortete das Alpenkind mit einem Wohlklange, der in dem Resonanzboden meiner gespannten Brust, wie der Laut einer Silberglocke wiedertönte. »Kommt!« fuhr sie fort, »ich will Euch nun höher führen, Ihr sollt noch schöneres sehen; denn hier rechts um den Berg herum, sollt Ihr ein Thal und zwei Gletscherschlünde schauen, wie's keine weiter giebt im ganzen Land.«

Ich nahm ihren Arm, und wir stiegen dem Himmel entgegen.

Die steilsten Parthieen erkletterte sie mit flinker Gewandtheit; höher röthete sich die Lilienhaut ihrer Wangen; lebendiger noch wogte ihr Busen unter dem dicht aufliegenden Battist-Hemdchen.

Es ward immer kühler und frischer; denn wir hatten nicht gar viel mehr zu steigen, bis wir an den Schnee kamen, der noch den Gipfel der Alpe bedeckte. In hundert kleinen Bächen rieselte herab, was die Sonne diesen Mittag geschmolzen, und das zarteste Grün entsproß den tiefer liegenden, vor wenig Tagen erst schneefrei gewordenen Bergwänden.

Hier gras'ten Mimili's Heerden. Sie kannte jede Kuh beim Namen; und alle wendeten sich nach ihr um, und sahen sie still an, wenn sie ihnen zurief, und freundlich sie streichelte; sie waren alle spiegelblank, und rund wie die Aale; und die Gizzi's kamen von den fernsten Felsenzacken herangemeckert, und saugten an ihren Rosenfingern, und knebberten an der Semmel und den Bräutlis, die sie ihnen aus dem Körbchen reichte. Sie aber bog sich zu ihnen herab, und tändelte schäkernd mit ihnen, daß ich schier hätte vergehen, und den Jupiter bitten mögen, mich auf dem Fleck in einen Bock zu verwandeln. Dann rief sie in die stillen Lüfte: »Aüli, Aüli, Aüli,« und lustig wie ein Reh sprang mit kurzweiligen Sätzen ein krauswolliges Lamm heran, geschmückt mit einem klingelnden Halsband von strohgelber Seide.

»Das hat seine Mutter verloren,« sagte Mimili wohlwollend, und krabbelte mit den Fingern im Perückchen zwischen den Ohren des kleinen, verwais'ten Thieres, und legte sein rothes Schnäutzchen in ihre weiße, hohle Hand, »deshalb habe ich mich des armen Dinges erbarmt, und es aufgezogen; nun liebt es mich, wie seine Mutter.« – Mit dem kleinen Wesen sprach sie rein Schweizerisch. Sie bemerkte an seiner linken Vorderklaue ein wenig Blut, wahrscheinlich von einem Dornenritz; da streichelte sie darauf, und trocknete das Blut mit ihrem Tuche, und sagte mit unnachnahmlicher Weichheit, »mi Aüli, hetter eppen epper eppis tho? – Seht nur,« fuhr sie fort und richtete sich wieder in die Höhe, und wies auf die Kühe, die nie auf einem Fleck um sich herum fraßen, sondern beständig, unter dem leisen Gebimmel ihrer Halsglocken, von einem Punkte zum andern übertraten, und da wieder von neuem, über die frisch aufgesproßten Gräser herfielen; »sehet nur, wie die FaselsJunges Vieh. Sollte davon vielleicht unser Faseln (Läppschen, Vergeßlich seyn) herkommen. klug sind, die kennen die Kräuter eben so gut, als unser Haller und Geßner, und der seelige Wildenow.«

Ich sah sie verwundert an. »Was weißt Du von Haller und Geßner und Wildenow?« frug ich erstaunt.

»Die werde ich doch kennen,« sagte sie lächelnd, »was draußen vorgeht, in der weiten Ebene hinter den Bergen, davon erzählt mir der Aeti nur, was ich brauche, aber was hier in unsern Thälern und auf unsern Alpen passirt, das muß man ja auf den Grund wissen, und glaubt mir; die drei sind hier in unserer stillen Pflanzenwelt wie zu Hause. Schaut,« fuhr sie mit einer Anspruchlosigkeit fort, die den eigentlichen Schlagschatten zu dem Lichte gab, was sie nun, ohne es zu wissen, auf dem Scheffel setzte, – und pflückte zwischen dem Sprechen sich die Hand voll Blumen – »schaut, wenn ich nun nicht wüßte, daß dieß hier Anemone alpina, dieß Dryas octopetale, und hier dieß, Ranunculus nivalis wäre, müßte ich mich nicht vor Euch schämen? Unser eins wird ja doch eben so gut die Kräuter und Gräser seiner Matten kennen, wie bei Euch zu Hause die Mädchen Eures Landes, die Ihrigen. Kaum, daß der Schnee geschmolzen, schießen die hier alle lustig hervor, und dort, kommt höher, – das seht Ihr auch nicht bei Euch, – das blaue Alpenglöckchen, Sondanella alpina, blüht sogar auf dem Schnee, und das, Crocus vernus, darunter. Die wollen kühl stehen; denn, wenn der Schnee schwindet, verwelken sie mit. Beide kommen mir immer vor, wie die Kinder, die an der Mutter Brust sterben, die sind für dieß Leben nicht. Die Luft des Irdischen ist ihnen zu schwer, sie streben zum reineren Aether. Aber unsere Goldquellen muß ich Euch zeigen; denn wenn ihr das Trifolium Alpinum, und den Astragulus, und den Romey, und den Mutteri, und die Butterblume und die Pimpinella alba, bei Euch verpflanzen könntet, dann brauchtet Ihr unsern Käse nicht, dann könntet Ihr ihn selbst dort bei Euch bereiten. Wes Landes seyd Ihr Herr?

»Dein Freund Wildenow ist mein Landsmann!«

»Was? – da ist ja wohl dies?« auf meine Brust deutend – »das eiserne« – das Wort blieb ihr im kleinen Munde, so war sie überrascht. »O, seyd mir doch tausendmal willkommen, Herr Ritter des eisernen Kreuzes! nein, nun müßt Ihr zum Vater! der würde mir nimmer verzeihen, wenn ich Euch hier oben schlafen ließe. Thut mir den Gefallen und kommt mit herunter, was unser Haus nur hat, soll Euch gehören. Mein Vater hält gar viel auf Euern König und Euer Volk, und erzählt mir alle Sonntage davon, wenn er aus der Kirche kommt, wo unter dem Nußbaum der Mesmer die Zeitung vorlesen muß.«

Wer konnte dem Mädchen etwas abschlagen! ich willigte gern in ihren Wunsch, und wir machten uns auf dem Heimweg.

Wir gingen jetzt Arm in Arm; ich war ihr kein Fremdling mehr, ich schien ihr ein alter Bekannter des Vaters zu seyn. Sie erzählte mir von der Mutter, die schon vor acht Jahren gestorben; von der sanften Schwester Crescentia im Nonnenkloster zu Zug, wo sie erzogen; und von ihrem ganzen Thun und Treiben, mit einer so traulichen Natürlichkeit, als gehöre ich zum Kreise ihres Hauses. »Die Alpe, auf der wir hier gehen, Herr Ritter,« fuhr sie fort, »ist mein Muttertheil, die läßt mir der Aeti zum Nadelgeld: aber ich kann die Batzen alle nicht brauchen; o ich bin reich, denkt Euch ich habe sechsunddreißig Kühe, die Kuh bringt jährlich zwei CentnerKäse nämlich, das setzt der Schweitzer aber nie dazu, weil es sich, meint er, von selbst versteht; denn vom Ertrag des Milch- und Buttergewinns, ist dort gar keine Rede. und der Center kostet doch allerwenigstens zehn große ThalerEin großer Thaler gilt 2 fl. 10 Batzen; der Karolin also 10 fl. 10 Batzen; der Gulden 15 Batzen.. Der Vater streitet sich immer mit unserm Nachbar, woher das Wort Alpe abstamme. Einer will es vom griechischen αλπεις herleiten, der andere vom celtischen alb. weiß, daß ist mir aber ganz einerlei, mein Alpchen giebt mir für meine Kühe immer frisches Gras und Winterheu, mehr als sie brauchen, und weiter ist mir nichts nöthig zu wissen. Habt Ihr denn auch Berge?«

Ich hätte ihr unsere Templower nennen können, und die Michelsberge, und die Pichels-Gletscher, und das Gebirge am Rollkruge, aber ich wollte ihre geographischen Kenntnisse nicht in Verlegenheit setzen, und nannte ihr unser Riesengebirge in Schlesien.

»Geht mit Eurer Riesen-Kuppe,« sagte sie lächelnd, »ihre ganze Höhe ist ja nur 5000 Fuß, unser Finster-AhornNach dem Matterhorn, der Rosa und dem Montblank, ist dieß die höchste Granit- und Gneißpiramide des ganzen Alpengebirges; sie ist 13234 Fuß über dem Meere. Dieser ungeheure Felsen, liegt einige Stunden südlich von Grinsel, und ist noch nie erstiegen worden. ist über 13000 Fuß hoch. Das ist ein Firn! Mit dem Schnee hat es bey uns eine kuriose Bewandniß. Die Schneelinie liegt unterm Aequator in einer Höhe von 14,000 Fuß, bei uns aber an manchen Felshörnern schon in einer Höhe von 8000 Fuß über dem Meere.«

Ich konnte meine Verwunderung über ihr Wissen nicht bergen, sie sagte aber mit verschämter Befangenheit: »Herr Ritter, Ihr müßt mich nicht aufziehen; sonst werde ich schweigen.«

»Ach sprich doch Mimili,« rief ich, und küßte die kleine Hand, die in meinem Arm ruhte, »ich könnte Dir Tagelang zuhören, wenn Du von Deinen Alpen erzählst.«

»Nicht wahr,« begann sie wieder freundlich, »unsere Berge sind schön? Ihr solltet immer hier bleiben; ich denke, es könnte mir nirgends in der Welt wohler seyn, als bei uns. Auf einer flachen Ebene muß es sich abscheulich leben lassen. O, wendet Euch jetzt zur Jungfrau, Herr Ritter; dies Schauspiel, daß Euch jetzt der Abend bereitet, bietet Euch vielleicht noch der Libanon in Syrien, und der Ophyr auf Sumatra, und der Chimboraßo und der Nerona-Roa; aber Eure Schlesische Kuppe gewiß nicht: wir nennen es das Glühen der Alpen. Kommt, setzt Euch dort unter die breitästige Buche, da ist immer des Abends mein Plätzchen darum hat auch unser alter Senn ein weiches Moosbett mir unter dem Schatten gezimmert.«

Wir setzten uns. Ringsum blühten rothe Weidenröslein, Thymian, rother Schwingel, Mannsschild, Enzian und Eisenhütlein, und tausend andere herrliche Blumen; und das liebliche Stendelkraut würzte die Abend-Luft, mit seinem Vanillengeruch.

Mimili holte aus ihrem Körbchen ein Stückchen Kuchen, daß sie sich wahrscheinlich zum morgenden Frühstück bestimmt gehabt hatte, und theilte es mit mir. Köstlicher konnte kein Marzipan schmecken. Mimili war schon so traulich mit mir, daß sie läppschte, wie ein Kind. Sie stellte sich vor mich, legte ihre Linke auf meine Achsel, und fütterte mich. Jeden Bissen steckte sie mir unter tausend Lachen in den Mund, und nannte mich ihr großes Aüli. Und doch hatte ich – so allmächtig ist die Gewalt der Unschuld – nicht das Herz, sie um einen Kuß zu bitten. Ich fühlte, das Mädchen stand höher, viel höher, als ich.

Sie setzte sich neben mich, als sie mich abgefüttert hatte, um nun ihre Hälfte Kuchen zu verzehren. Eine Liebe war der andern werth; ich päppelte sie nun, wie sie diese Manier des Essenreichens nannte; aus überwähligem Muthwille biß sie mir mit ihren kleinen blendendweißen Zähnen in die Finger, und schnappte wie ein Karpfen nach den Stücken, die ich ihr in die würzigen Purpurlippen warf.

In dem Augenblicke fiel ein schwerer Donnerschlag, der in dem unermeßlichen Gebirge langsam widerhallte, und durch die stillen Abendlüfte weit, weit fortrollte, bis in die fernsten Thäler und Schlünde. Ein Silberstrom brach sich von einer gegenüberstehenden Alpe los, und stürzte, umfunkelt von blinkendem leichtem Schneegewölk, immer tiefer und tiefer, unter dem grausen Tosen eines furchtbaren Ungewitters, in die Gründe hinab.

Vom Schrecken ergriffen, sprang ich hoch von dem Moossitze auf, und schlug die Hände über den Kopf zusammen. Ich glaubte die alten Alpen brächen wie morsche Zähne in einander.

Der Boden bebte unter uns, und Trillionen von Schnee-Juwelen flogen im Schimmer des Abendlichts, wie leiser Nebel weitumher und bis zu uns herüber!

»Was war das? um Gotteswillen was war das, Mimili?« rief ich, und suchte mit den Blicken den Weg, auf dem wir am kürzesten hinabfliehen könnten in die sichern Thäler.

»Das ist mir lieb, Herr Ritter, daß Ihr das gesehen habt,« entgegnete, gleichfalls erschüttert, aber lächelnd das Mädchen, »das ist mir um vieles lieb. Es ereignet sich zwar in uns'rer Runde fast alle Tage, aber man sieht es doch nicht allemal so nahe und so deutlich, wie wir es jetzt sahen. Nicht wahr, das ist ein großes, prächtiges Schauspiel? das war eine Lauwine!«

»Das eine Lauwine! die sollen ja aber so gefährlich seyn?«

»Die Sommer- oder Staub-Lauwinen, wie wir sie nennen, sind es nicht; die fallen nur in unsern höchsten Gebirgen, wo kein Mensch hinkommt; aber die Schlaglauwinen, die am Ende des Winters fallen, die richten oft Unglück an. Wenn das Thauwetter eintritt, da ist es schlimm, in unsern Thälern zu reisen. Von der leisesten Erschütterung der Luft, oft vom bloßen Schellengebimmel der Saumrosse, bricht so ein maßleidiges Ungeheuer los, reißt alles vor sich nieder, verschüttet Hütten und Dörfer, zertrümmert Blöcke und Felsen, zerquetscht die höchsten Schnelli, und knickt die ältesten Lerchenbaumwälder in einander, wie eine Hand voll Zahnstocher. Hört Ihr es noch puwern in der Ferne?« –

Und wirklich zitterte die Abendstille noch im bebenden Nachhall!

Aber jetzt senkte die Sonne sich am wolkenlosen Abendhimmel tiefer hinter den Saum des westlichen Hochgebirges, und nun begann das eigentliche Glühen der Alpen. Die Luft war milde und rein. Der ganze Himmel, aus dessen Räumen der große Riesenball des ewigen Lichtes eben entrollt war, glühte wie ein unermeßliches Feuermeer. Es war, als hätte sich der Vorhang der jenseitigen Verklärung aufgerollt; als sei die Sonne, vor der Milde ihres Schöpfers, aus einander geschmolzen; als verlöre sich der Blick des Sterblichen in dem Allerheiligsten des höchsten Gottes.

Diese ganze unaussprechliche Purpurgluth strahlte auf den himmelhohen blinkenden Eiswänden der Jungfrau, und in den meergrünen Spitzzacken ihrer Nachbar-Gletscher prachtvoll wieder. In dem glühenden Äther erschienen die ungeheuern Schneemassen fast als durchsichtig, und es war, als saugten die Spiegel des ewigen Eises das Feuer des nahen Himmels in sich, als verglühten in den unerreichbaren Höhen, des Westes liebliche Zephyre, Schnee und Sonnenstrahlen durch unbegreifliche Wunder in einander.

Mimili aber stand, vor dem Zauberbilde der Natur, in stillem Staunen verloren, und betete, die Hände vor der Brust gefaltet, zu dem Ewigen.

»Das ist ein himmlischer Abend,« flüsterte sie leise, und die sanfte Gluth im Abend, und die himmelreine Höhe der Jungfrau, spiegelten sich in ihren dunkelblauen Augen, und die schwanenweiße Brust drängte sich wogend aus dem sammtenen Mieder! da gewältigte mich ihr namenloser Liebreiz, ich umschlang das schöne Mädchen, und drückte ihr berauscht von dem Entzücken der Abendfeier, den ersten Kuß auf die süßen Lippen. Sie aber sank schweigend an meine Brust, und lispelte leise: »so haben die Alpen noch nie mir geglüht!«

So, glaube ich, haben sich die ersten Menschen im Paradiese geküßt; so fromm und so schuldlos. Es war nichts Böses, nichts Irdisches mehr in mir; ich hätte, vor überschwenglicher Seligkeit, in Mimilis Armen sterben, mit ihr auf den Purpurfittichen des Abendroths hinüberfliegen mögen in die Rosenschimmer der vor uns dämmernden Lichtwelt.

Ich küßte den Pfirsich-Sammet ihrer Wangen, die Purpurwürze ihrer Lippen, das Lilienweiß ihres schönen Halses. Sie hielt mich schweigend mit beiden Armen umschlungen, und das süßeste Verlangen der keuschesten Liebe funkelte in der veilchenblauen Tiefe ihres schmachtenden Blickes.

»Laßt uns gehen;« sagte sie endlich, nach der seligsten Pause meines Lebens, wie aus einem Traume erwacht; und ich stand schweigend auf, und ging an ihrem Arme in die stillen Thäler hinab. Wir konnten beide eine lange Weile nicht sprechen, so wohl, so unaussprechlich wohl war uns. Wir waren jetzt unter einander als Bruder und Schwester. Wir hatten uns ohne Worte verstanden. Die Liebe bedarf keiner Laute.

Als wir der WohnungWenn man sich eine lebendige Vorstellung von der Wohnung eines reichen Schweizerlandmannes machen will, muß man das vortreffliche Blatt von Rieter ( la maison de paysan suisse) zur Hand nehmen: es kostet 32 Liv. und ist 19" breit und 14" hoch. des Vaters näher kamen, sprang Mimili voraus, um mich ihm zu melden; der Alte, ein wahres Kabinetsstück von Denner, kam mir freundlich entgegen, reichte mir die kräftige Rechte, und drückte mir die Hand so derb zusammen, daß ich fürchtete, den ganzen Abend kein Glied mehr rühren zu können. »Seid mir willkommen, Herr Ritter des eisernen Kreuzes,« sagte er mit feierlichem Anstande, »noch ist mir nicht das Heil worden, einen von Eurem Volke in meinem Hause zu beherbergen; Ihr macht mir zuerst diese Freude, Nehmt vorlieb mit dem, was mein Haus beschert! Ihr seid kein Gast darin; Ihr gehört, so lange Ihr bei uns seid, zu unserm Kreise. Mimili, schafft das Beste, was Küche und Keller vermögen; mir soll es ein Festabend seyn, mit Euch bei einem Glase Wein, von der großen Zeit zu plaudern, die vor Euern Augen vorübergegangen ist. Noch habe ich keinen aus dem Felde gesprochen, und mich hat sehr darnach verlangt.«

Mimili sprang wie eine geschäftige Martha im Hause Trepp auf, Trepp ab. Endlich trat sie aus der Thür, mit einem Kötscher von feinem weißen Garn, an einer bunten Ahorn-Ruthe, auf der Achsel.

Das Mädchen war zum Malen schön. »Wollt Ihr mit zum Forellenbach, Herr Ritter?« fragte sie freundlich, und ich flog an ihrer Seite schäkernd zum Bache hinab, der 80–100 Schritte vor dem Hause vorbeiplätscherte. Ein kleiner offener Hälter, der im Viereck in das Gestein eingehauen war, und bei dessen Abfluß bloß ein enges Gitter sich befand, faßte mehrere Schock der muntersten Forellen. Das Wasser war so krystallrein, daß man bis auf den Grund sehen konnte. Mimili war hier wieder vollkommen das kleine wählige Kind; wer sie hier am Bache kauern sah, wie sie Semmelkrumen in den Hälter warf, das Mäulchen spitzte, und lockend in das Bächlein pfiff, und mit den Forellen umständlich plauderte, die, wie aus einer Pistole geschossen, zum Spiegel der Silberwellen herausfuhren, der mußte sie höchstens für dreizehn Jahr alt halten; sie senkte den Kötscher in das Krystallwasser, und fing den Bedarf der Abendmahlzeit mit einem Zuge. So sorglich sie sich auch dabei benommen hatte, so waren ihr doch die Fingerspitzchen ein Bischen naß geworden. Lust und Muthwille schleuderten mir die Tropfen in's Gesicht, daß ich kein Auge aufthun konnte, und, als ich mit der hohlen Hand aus dem Silberbecken des Hälters schöpfte, um ihr nach Gebühr die Neckerei mit Zinsen zu erwiedern, da setzte sie, lautlachend, mit ihrem Kötscher und ihren lustigen Forellen, über Bach und Stock und Stein, wie ein Gemschi, und erst, als sie hinlänglichen Vorsprung hatte, wendete sie sich um, und schabte mir Rübchen, daß ich mein Wasser in der Hand, beim Nachsetzen, rein verplumpert hatte, und ihr nun nichts mehr anhaben konnte.

Erst nach dem heiligen Versprechen, ihr nichts mehr thun zu wollen, ließ sie sich in Friedensunterhandlungen ein; ich trug ihr den Kötscher, und unter tausend Scherzen kamen wir zu dem Alten zurück, der sich unsers Jugendspiels freute, und mit eigenem Wohlgefallen die blühende Gestalt des holden Mädchens zu betrachten schien.

Mimili eilte in das Haus, um das Abendbrod zu besorgen. »Was seyd Ihr um des Mädchens willen zu beneiden,« sagte ich, als ich bemerkte, mit welchem stillen Entzücken der alte Mann dem Kinde nachsah.

»Wohl, Herr Ritter, ist es ein neidenswerthes Glück, ein solches Kind zu haben. Sie ist meine einzige Freude und mein einziger Stolz. Die Jahre, da sie in Zug war, sind mir wie Jahrzehnde gewesen, und doch ist es mir lieb, daß sie dort war; denn sie hat dort etwas gelernt, vielleicht mehr, als sie für ihre Lebensweise braucht. Mein Nachbar, Herr ***, hat sie lieb gewonnen (– ich verlor bei dem Wort den Athem aus der Brust –), der liest mit ihr die alten Dichter, und sorgt für neue Bücher und Noten. Sie zeichnet und malt recht hübsch, und wenn sie mir zu ihrer Guitarre etwas vorsingt, da ist mir, als fehle mir in meinen stillen Bergen nichts zu meinem Glücke.«

Ich hörte die Nachsätze alle nur halb; der Herr Nachbar *** lag mir wie ein Schlagfluß vor den Ohren.

Zehnmal wollte ich mit der Frage heraus, wer der Herr Nachbar wäre, wie alt, ob verheirathet u. s. w.; aber ich kam mir so albern vor, daß der Vater gleich bei dem ersten Worte merken mußte, was ich mit meinen Erkundigungen wollte.

Merkte ich es doch selbst jetzt erst. Es war seit meinem Eintritt in die Schweiz, das erste bittere Gefühl, der Gedanke an den Herrn Nachbar.

Mimili kam, und brachte den alten Ryfwein, den der Vater ausdrücklich bestellt hatte. Wir setzten uns unter dem hundertjährigen Nußbaum, den drei Männer nicht umklaftern konnten, und der das ganze Haus mit seinem breitästigen Schatten beschirmte.

Ich hatte keine Ruhe, meine ganze Laune war von mir gewichen. – Mimili war mir verloren! das sah ich deutlich; der unglückliche Herr Nachbar war mir mit seinen alten Dichtern und mit seinen neuen Büchern in den Weg getreten. Es preßte mich, als läg' ich unter einer Schlag-Lauwine begraben. – Endlich fand ich den Faden in das dunkle Labyrinth meiner Ahnungen.


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