H. Clauren
Das Dijon-Röschen / 1
H. Clauren

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52.

Endlich waren die acht Tage verflossen; am neunten trampelten meine vier Rappen wieder vor der Thür und in zwei kleinen Stunden darauf stand ich vor dem Grafen. Klotilde flog mir mit freundlicher Herzlichkeit entgegen, klagte, daß sie schrecklich viel Langweile gehabt, wiederholte mir ihre Lection von Brutt, Saals und Echt, sagte ihr ich lieben, du lieben, er lieben, eben noch so allerliebst schlecht her, wie vor acht Tagen, überraschte mich mit einer Menge anderer deutscher Worte, die sie indessen vom Grafen und ihrem Kammermädchen sich sagen ließ, und brachte mir, da sie vom alten Herrn gehört hatte, daß ich auch die Geige spiele, aus dem Instrumenten-Schranke im Musikzimmer eine vom alten berühmten Straduarius.

Doch der Graf meinte, daß ich jetzt wichtigere Dinge zu thun habe, und setzte bei dieser Gelegenheit unsern Tageplan fest, nach welchem alle Abende drei Stunden zum Unterricht in der deutschen Sprache und zu den Musik- und Singübungen bestimmt waren.

Wer die Ruhe seines Herzens lieb hat, enthalte sich aller solcher Lehrversuche, besonders wenn sie bei Mädchen gewagt werden, die so geist- und gemüthvoll, so lebendig und reizend sind, als mein Burgunder-Röschen Klotilde.

Anfänglich schwebte mir immer vor der Seele was der ehrliche Stremler mir von dem Spionirsystem des Grafen, von den Ohren der Wände, von den Löchern und Ritzen in den Thüren, von den Tapetenthüren und unmanirlichen Ochsenziemern vorgeschwatzt hatte; ich wollte mir erst weiß machen, das Alles sey nur ein Früchtchen der, vorzüglich in Käferlingen patentirten Klatschsucht, wo man den Leuten manches nachsagte, was nicht wahr war; allein Stremler schien den Grafen auf das Haar gekannt zu haben. Ich wiederholte mir des ersteren Äußerungen Wort vor Wort, und sie trafen fast buchstäblich ein. Der alte Herr wußte die geringfügigste Kleinigkeit, die im Bereich seiner weitläufigen Besitzungen vorfiel, bis auf die unbedeutendsten Nebenumstände, also mußte er Aufpasser, Zuträger haben. Ritzen? ja, die waren in den Thüren hie und da bemerkbar, eigentliche Löcher gewahrte ich nicht; desto bestimmter vermuthete ich sie aber jetzt an irgend einem verborgenen Flecke. Tapetenthüren fanden sich fast in allen Zimmern, und aus jeder sah ich gelegentlich im Geiste den Grafen, vor Eifersucht schäumend, mit dem unziemlichen Ziemer hervortreten. Buchstäblich traf auch ein, was Stremler in Bezug auf mein Alleinlassen mit Klotilden gesagt hatte. Wir saßen – wer beschreibt die süße Marter – stundenlang allein, und – wenn es keine Wandohren und keine Gucklochthüren gab, – von aller Welt ungehört und ungesehen, dicht nebeneinander, plauderten und spielten und sangen zusammen, und des zauberischen Mädchens schuldlose Unbefangenheit, seine, den Französinnen sonst nicht immer eigene Gemüthlichkeit, sein trauliches argloses Wesen – zehnmal hatte ich schon auf dem Punkte gestanden, ihm zu Füßen zu fallen, ihm die Höllenqual zu gestehen, die mir dieses aufgezwungene Entferntseyn, dieses Wollen und nicht Dürfen, diese schmerzliche Entsagung verursache, und es zur Entschädigung für alle diese bittere Herzensleiden, wenigstens um einen einzigen Kuß bitten wollen. – Aber die verwünschten Tapetenthüren! – Einen Kuß auf diese Purpurlippen, auf dieses große, geistvolle Auge, auf diesen zarten Lilienhals! Hundertmal schielte ich mit brennendem Verlangen auf die frische Jugendpracht dieser vor mir entfalteten, dieser mir so allein blühenden Reize, und hundertmal mußte ich, vor innerem Jammer still verblutend, den sehnsüchtigen Seitenblick wieder auf den vor uns liegenden trocknen Adelung, oder auf die stummen Noten werfen.

Was mir aber der gute Stremler von des Grafen Verhältniß zu Klotilden selbst erzählt hatte, daran war, mit allem Respect vor Stremlers Ansichten, gewiß kein wahres Wort. Wer dieses taubenfromme, himmelreine Kind nur ein einziges Mal sah, der mußte auf dessen unbefleckte Tugend einen leiblichen Eid schwören können. Auf den Wangen einer Lasterhaften blühte dieser Karmin der frischesten Gesundheit nimmermehr. In dem Blicke einer Schuldbewußten lächelte nie diese jungfräuliche Unschuld, diese himmlische Liebe. Nein, nein, Stremler hatte gewiß gelogen, oder wenn sich das Mädchen verstellen, in dem Grade verstellen konnte, so war es das Kind des Teufels selber.

53.

Nach und nach verlor sich zwar die Furcht vor ungebetener Überraschung, allein es trat etwas anderes, etwas Edleres zwischen uns, was mich hinderte, diesem wahrhaften Engel von Mädchen mich so zu nähern, wie meine immer glühender werdende Liebe wohl wünschte.

Der Graf, der mir als halber Tyrann geschilderte Graf, hatte mir in den zwei, drei Monaten meines nunmehrigen Hierseyns noch kein böses Wort gesagt; er war mit meinen Arbeiten unausgesetzt zufrieden, lobte mich unverdienter Weise über die zum Erstaunen raschen Fortschritte, die Klotilde in der deutschen Sprache machte, ergötzte sich an unsern Musikübungen, und nahm sich gegen mich überall so freundlich, so theilnehmend und verschwenderisch gütig, daß ich ihn nicht wie meinen Prinzipal, sondern wie meinen Vater liebte und ehrte.

An Klotilden hing der alte Mann mit einer Innigkeit, die alle Beschreibung überstieg. An irgend eine sträfliche Schattenseite in diesem Verhältnisse war gar nicht zu denken. Es hätte gar keine Wahrheit in der Welt mehr seyn müssen, wenn dieß offene, fromme, zartfühlende Mädchen, und dieser strengrechtliche, gewissenhafte, mit dem Silberhaar des Greises geschmückte Mann – nein, nein, das war gar nicht möglich. Seine Zärtlichkeit gegen die zauberholde Kleine war nichts als reines Wohlwollen, sein Errathen aller ihrer Wünsche, und seine Hast, sie, wenn es nur irgend möglich war, alle zu erfüllen, nichts als die ihm angeborne Gutmüthigkeit, und seine, in jedem andern Falle eben so lebendige Raschheit und die Freudenthränen, die ihm still im Auge zitterten, als sie eines Morgens blendend schön und rosig wie Aurora selbst, zu ihm eintrat, und ihm zum ersten Male ein deutsches Morgengebet, in ihrer unnennbar wohlklingenden Aussprache, mit tiefem Gefühl und herzerhebender Andacht vorlas – sollte ich diese Thränen der sanftesten Rührung für Zeugen eines schuldbelasteten Verhältnisses ansehen? mußten sie mir nicht vielmehr die sichersten Beweise von der Lauterkeit des Grafen geben?

Nein, Stremler hatte Unrecht; er hatte gewiß Unrecht. Aber band mich dieses zarte Verhältniß zwischen beiden, und meine kindliche Liebe zum alten Manne nicht viel mehr, als früher die Furcht vor ihm? Mußte ich nicht im Voraus sehen, daß wenn der Graf meine Neigung zu Klotilden nur im Entferntesten merkte, der stille glückliche Frieden unsers Hauses mit einem Male zerstört war? und durfte ich denn, wenn ich nicht gegen mich, gegen den Grafen und gegen Klotilden wie ein Rasender handeln wollte, meine Neigung zu dem holden Wesen, im heimlich gequälten Herzen bleibenden Raum gewinnen lassen, ohne Klotildens Herkunft, Lage und hiesige Stellung ganz genau zu kennen? wie und weßhalb Klotilde hergekommen war, wußte kein Mensch. Sämmtliche Leute im Hause hatten einen so eigenen Tact, daß man fühlte eine Unschicklichkeit begangen zu haben, wenn man sich um Dinge bekümmerte, die einem nichts angingen. Kurz das Mädchen war da, und weiter wußte keiner eine Sylbe zu sagen.

Sie selbst wußte eigentlich eben so wenig. Sie war in Dijon geboren, hatte ihren Vater, einen wohlhabenden Privatmann, in ihrer frühesten Kindheit eingebüßt, und war, nach dem kürzlich erfolgten Tode ihrer Mutter, mit der sie die letzte Zeit in Paris lebte, von ihren Verwandten hieher nach Buchenhayn spedirt worden. Warum gerade nach Buchenhayn, war ihr eben so unbekannt, als mir; sie hatte den Grafen einmal darüber selbst ausholen wollen, allein statt einer aufklärenden Antwort hatte er sie lächelnd gefragt: ob es ihr hier nicht gefalle? und damit war das Gespräch abgebrochen gewesen.

Ich hatte im Stillen schon meinen guten Herrn Grafen wegen eines kleinen Jugendversehens im Verdacht; allein Klotildens Mutter war, wie ich das Mädchen gelegentlich und ohne die Absicht meines Nachforschens merken zu lassen, aushorchte, nie aus Frankreich gekommen, und der Graf, wie ich aus seinem Munde wußte, seit vier und zwanzig Jahren in Frankreich nicht gewesen, folglich entkräftete dieß meinen Verdacht von dem Bezuge, in dem der Graf zum Mädchen stehen könnte, gänzlich.

Desto auffallender aber war mir Klotildens Aehnlichkeit mit der verstorbenen Gräfin. Ich war nur einmal erst mit dem Grafen im Ahnensaale unsers Schlosses gewesen; da schloß ihr Bild von Anton Graff aus Winterthur die Reihe der Altvordern des berühmten Dingelheimischen Grafengeschlechts. Der alte Herr schien damals von dem Gemälde seiner vorangegangenen Gattin sehr tief ergriffen zu seyn; er preßte die Thränen, die ihm der Blick auf die milden Züge der Verewigten in die Augen drängte, mit Gewalt zurück, denn es soll sich für Vornehme nicht schicken, in Gegenwart von Personen niedern Ranges, sich ihren Gefühlen Preis zu geben – und ich verweilte, um den Grafen davon ab und auf andere Gegenstände zu bringen, nicht lange vor dem Bilde, weßhalb ich es damals eigentlich nur mit halbem Auge sah. Gestern aber mußte ich mit Wenzel in den Saal, um aus einem darin befindlichen alten großen Schranke, dem Grafen einen ganzen Stoß Familien-Acten zu holen. Da sah ich mir das Bild zufällig noch einmal an; das war die ganze Klotilde, wie sie leibte und lebte; das schwarze Haar umfloß in der Rabenpracht von hundert ringelnden Locken den schneeweißen Hals und Nacken; in dem Spiegel des geistvollen Auges loderte das blaue Feuer der treusten Liebe; zarte Frauenmilde lächelte in den Zügen des Madonnengesichtchens, und über dem Wangengrübchen, in das sich bei der Burgunderin der schalkhafteste Muthwille gelagert hatte, schwebte hier der Duft der verrathenen Liebesscham. Es war, als hätte Herr Anton Graff die schöne Frau am Brautmorgen gemalt, und ich dachte mir, still verzückt, daß Klotilde an solch einen Morgen in meinen Armen accurat auch so aussehen müsse.

Wenzel, der hinter mir gestanden, und das Bild auch lange angeklotzt hatte, tippte mir, ganz außer sich, auf die Achsel, und rief! ähnelt die hochselige Frau nicht unserm Tilscherchen justement aufs Daus.

Aus der engelgleichen Klotilde ein Tilscherchen zu machen! Ich hätte mich über die verrückte Idee ärgern können, aber – in diesem süßen Augenblicke – ich zersetzte mir den reizenden Traum des Brautmorgens in seine kleinsten Theile, und in diesen stillen Minuten reifte, ohne daß ich es eigentlich selbst wußte, der Keim meiner ersten Liebe. War Klotilde, wie ich jetzt bestimmt glaubte, ein heimliches Kind der Gräfin, die Frucht verbotenen Umganges, so legte der Graf meiner Bitte, sie mir als Gattin zu geben, gewiß keine Schwierigkeit in den Weg.

Wir brachten jetzt die Acten in das Zimmer des Grafen, und Wenzel, der seine Zunge immer unnöthiger Weise spaziren führte, erzählte auch hier mit einer Art von Triumph, daß er in dem Bilde der hochseligen Frau Gräfin das ganze Tilscherchen wiedergefunden hätte.

Dem Grafen zuckte ein schmerzlicher Krampf durch das ganze Gesicht, aber er zwang sich zum Lächeln und sagte mit leicht hingeworfenem Scherz, dem man es jedoch anhörte, daß er sich mit Mühe aus der blutenden Brust heraufwand: Du bist ein Narr.

Mehr bedurfte es nicht, um Gewißheit über meine Vermuthung zu haben. Natürlich mußte es dem Manne von strengem Ehrgefühl entsetzlich niederschlagend seyn, den Fehltritt seiner Gattin hier nach langen Jahren durch Klotildens Engelsgesicht verrathen zu sehen. Jetzt erklärte ich mir auch des Grafen sonderbare Weise in seinem Benehmen gegen das Mädchen. Es war die zarteste Liehe, mit der er das reizende Kind umfing, aber immer mischte sich eine Art Wehmuth in diese väterlichen Liebkosungen; immer war es, als wolle er sagen, daß sein Herz ihn zu dem Mädchen hinzöge, aber daß zwischen ihm und diesen etwas sey, was nicht seyn solle.

Unwillkührlich stellte sich dies sonderbare Gefühl auch zwischen mich und Klotilden; ich liebte das Mädchen im Stillen, bis zum Wahnsinn, aber wenn ich das Geständniß meiner glühenden Liebe auf der Zunge hatte, schloß mir die Dunkelheit der Frage, wer das holde Kind eigentlich sey, immer den Mund.

54.

Je länger wir beisammen hier lebten, je traulicher ward unser Verhältniß; sie sah mich als ihren brüderlichen Freund an, sie konnte schmollen wenn ich, wegen anderer dringender Arbeiten, einen Abend unsere Musikübung aussetzte, und war ich einmal weniger heiter als gewöhnlich, so fragte sie mit solcher zarten Theilnahme, was mir fehle, daß ich oft im Begriffe [war], sie in meine Arme zu schließen und ihre mir unbeschreibliche wohlthuende Frage mit nichts als Du! zu beantworten.

Seit sie der deutschen Sprache mächtig war, ward sie der Abgott unsers Hauses und der ganzen Grafschaft. Sie plauderte mit Jedem; ihr mit verschwenderischer Freigebigkeit vom Grafen bestimmtes Taschengeld, war gewöhnlich schon in der Mitte des Monats ausgegeben, denn den Armen und den Witwen und Waisen theilte sie mit vollen Händen, was zur Erhaltung ihrer Garderobe ausgesetzt war. Noch hatte sie sich in dem halben Jahre ihres Hierseyns keine Stecknadel gekauft, und ihr Hauskleidchen war einfacher, als das ihrer Zofe.

Der Graf – wir saßen eben eines Nachmittags in der schattigen Weinlaube, von der mehrere hundert reife Trauben über uns herabhingen – sprach über den Reichthum der Natur, über ihre Freygebigkeit, über das schöne Beispiel, was sie uns ihm Wohlthun gäbe, und wollte einem Wanderburschen, der auf der Heerstraße dicht am Garten vorbei ging, etwas geben, als er bemerkte, daß er kein Geld bei sich habe; ich reichte dem Wanderer eine Kleinigkeit, und als dieser sich entfernt hatte, äußerte der Graf lächelnd sein Befremden, das Klotilde nicht auch ihr Börschen öffnete.

Ein Börschen habe ich wohl, entgegnete Klotilde halb ernst, halb scherzend: aber kein Geld darin.

Der Graf meinte, das heute erst der sechszehnte im Monat sey, und fragte, wo sie all ihr Taschengeld lasse; frage mich nicht, mein Väterchen, erwiederte sie, verlegen bittend: was die Rechte thut, soll die Linke nicht wissen; in den Grenzen Deiner Besitzungen sind wir Alle Deine Kinder, und ich habe viel Brüder und Schwestern, die mehr brauchen, als ich.

Dem Grafen trieb die einfache Antwort des frommen Mädchens Thränen in die Augen; seine verklärte Gattin war auch so gewesen; alle Unterthanen der Grafschaft nannten sie noch heute ihren wohlthätigen Engel. Ich will Dir ein Amt geben, Klotilde, sagte er gerührt: ein Amt, das seit dem Tode meiner Frau unbesetzt geblieben ist; Du sollst meine Almosiniere seyn. Du giebst, ich habe Dich im Stillen beobachtet, Wenigen reichlich, Vielen nichts; Du unterstützest Hilfbedürftige in ihren rechtmäßigen Zwecken; Du spendest viele Deiner Wohlthaten im Geheimen, um der, feinfühlenden Seelen drückenden Empfindung des großen Dankes für kleine Gaben, zu entgehen; Du prüfst die Bedürftigkeit und die Würdigkeit des Bittenden, ehe Du Deine milde Hand aufthust; so ist es recht; so machte es mein seliges Lottchen auch, und darum ist ihr Andenken hier unter meinen Unterthanen auch noch heilig und in hohen Ehren.

Er wischte sich die Augen und gab mir den Schlüssel zu seinem Zimmer, mit dem Auftrage, die Banknote zu holen, die ich auf dem Schreibtische finden würde.

55.

Neben dieser, sie betrug 500 Rthlr. lag auch eine für mich von gleichem und höherem Werthe, ein angefangenes Schreiben des alten Herrn an seinen Sohn in Italien.

Ich erblickte meinen Nahmen darin, und wenn es gleich ein altes Ehrengesetz ist, anderer Leute Briefe nicht zu lesen, so konnte ich diesmal doch nicht umhin, diese Zeilen in aller Geschwindigkeit zu überfliegen.

Der Graf äußerte sich in dem Schreiben, über alle meine Erwartung, ganz unbedingt zu meinem Vortheile. Er hätte, schrieb er, mich mehr Male hinsichtlich meiner Treue auf die Probe gestellt, und ich wäre immer untrüglich bestanden; er hätte meine Verschwiegenheit, meine persönliche Anhänglichkeit geprüft, er hätte meinen sittlichen Wandel beobachtet, und überall hätte ich seine Erwartung von meinem Pflichtgefühl, meiner Ehrliebe und meiner Religiosität übertroffen; ich hätte mir die Achtung der übrigen Beamten und die Liebe der Unterthanen gewonnen, und was Klotilden beträfe, so wäre unverkennbar, daß ein besonderes Wohlwollen, eine auszeichnende Zuneigung – es ging in einem der Vorzimmer eine Thür auf, ich erschrak, griff nach der Fünfhundertthaler-Note und eilte damit in den Garten hinab.

Welche Gewalt mußte ich mir nicht anthun, um dem schlauen Manne, dem tiefen Menschenkenner nicht zu verrathen, daß ich mich unterdessen ein bischen in meinem Spiegel besah! Im Tiefsten meines Innern jauchzte die Freude des gelesenen Lobes laut auf, und eben so regsam war der Ärger über das verdammte Thürengeknarre, das mich um das gebracht hatte, was von Klotilden im Briefe stand, und beide Gefühle durften sich in meinen Zügen nicht ahnen lassen, denn lag mein Gesicht bei meinem Wiederkommen nur um ein Haar in andern Fältchen, als bei meinem Weggehen, so merkte der alte Herr Unrath, und dann war mir sein ganzes Vertrauen verloren.

Klotilde flog dem Grafen, beim Empfang der Note, im Nahmen der Armen, denen sie davon die nöthigen Unterstützungen zudachte, um den Hals, und gab ihm einen Kuß, der mehr werth war, als zehn solche Noten.

56.

Den nächsten Posttag traf beim Grafen die Aufforderung des Monarchen ein, nach der Residenz zu kommen, um in mehrern wichtigen Angelegenheiten seines früheren Geschäftlebens mündliche Aufschlüsse zu geben.

Klotilde sollte mit; als der alte Herr, der sich von der Einladung ungemein geschmeichelt fühlte, und den ich nie vergnügter gesehen hatte, dem Mädchen den Begleitung-Antrag machte, und ihm das Prachtleben der Residenz, und die zu erwartenden Zerstreuungen schilderte, fühlte ich, daß es mir die Kehle zuschnürte.

Bis dahin hatte die Liebe geschlummert; es raubte mir ja niemand den Genuß, täglich um Klotilden zu seyn; es störte mich nicht einmal jemand darin; ich war meiner Sache gewiß, ohne einmal selbst das Glück dieser Gewißheit recht genau zu kennen. Jetzt aber – die Lage eines Millionairs, dem man unvermuthet sagt, er sey in diesem Augenblick zum Bettler verarmt – ist ein bloßes Schattenspiel gegen den Schreck, den ich hatte, als Klotilde, vor Freude über die Schilderung des Reidenzlebens, in die Hände klatschte, und sich auf den Absätzchen umdrehte, um fortzustürmen und ihre Habseligkeiten packen zu lassen.

Mitten im Umdrehen fiel ihr Blick auf mein Schmerzgesicht, das ich, von dem seitwärts von mir stehenden Grafen unbemerkt, unwillkührlich machte, und in dem sich die furchtbare Besorgniß, dort im Gewühl der jungen eleganten Männerwelt dieses Musterbild von frischer Jugendfülle und holder Anmuth auf immer und ewig zu verlieren, deutlich aussprechen mochte. Sie sah mich sonderbar befremdet an, schüttelte still lächelnd, als habe sie etwas erspäht, was ihr gerade nicht unlieb sey, das Köpfchen, und antwortete auf des Grafen Ermahnung, mit dem Packen nicht zu säumen, weil es morgen mit dem frühesten fortgehe, in einer so eigenen Zerstreuung, daß der staarblind seyn mußte, der hier nicht merkte, was das Glöcklein geschlagen hatte.

Blieb das Mädchen, reis'te es nicht, so – aber nein, bis zu diesem Grade konnte die Eitelkeit meine Hoffnungen nicht steigern.

57.

Zweimal, dreimal hatte mich der Graf angeredet, und mir in einem Athem zehn Aufträge gegeben, und ich hatte keine Sylbe gehört. Reis't oder bleibt Klotilde? das war die Frage, die mir Kopf und Herz so einnahm, daß ich nicht sah und nicht hörte, und wie halb entgeistert minutenlang auf Einen Fleck hinstarrte. Der alte Herr schmälte mich in seinem Leben zum ersten Male aus; ich entschuldigte mich mit den vielen Fragen, auf die ich mich besonnen hätte, um sie ihm, über die während seiner Abwesenheit vorfallenden vielen Arbeiten, noch vor seiner Abreise vorzulegen, allein er nahm meine Ausflüchte nicht an, und meinte – eben trat Klotilde wieder ein, und hielt das Tuch an ihre linke Wange – daß man bei unerwarteten Vorfällen nicht gleich den Kopf so ganz verlieren müsse, daß besonders dem Geschäftsmann gezieme, Gegenwart des Geistes zu behaupten, daß der Dienst überall die Hauptsache sey, und daß alles Andere Nebensache wäre.

Ich wollte mich vor Klotilden schämen, daß sie meine, eigentlich ja doch um ihretwillen erhaltenen Wischer mit angehört hatte, und fürchtete in ihren Augen darum zu verlieren: allein wenn ich das heimliche Lächeln ihres halb schadenfrohen Blickes recht verstand, so sagte dies ungefähr, daß sie recht wohl wisse, warum ich hier den Leviten gelesen bekomme, und daß sie mir das unverschuldete Herzleid, was mir der alte Herr anthat, bei vorkommender Gelegenheit auf tausendfache Weise wieder vergüten wolle.

Der Graf fragte, auf das Tuch an ihrer Wange deutend, ob sie Zahnschmerz habe, und ich jauchzte im Stillen, weil ich mir einbildete, sie würde nun nicht mitreisen können; sie meinte aber leicht hin, daß der eine Zahn zwar ein wenig weh thäte, daß dieß sich aber hoffentlich bald verlieren werde, indem sie bei starken Aufregungen des Blutes, bei heftigen Affecten der Freude oder des Schmerzes, leicht kleine Anfälle der Art habe, die aber eben so schnell vergingen, als sie kämen.

Französin – Quecksilber, brummte der alte Herr halb laut vor sich hin, und ich wünschte im Geheimen, daß nur dießmal der Zahnschmerz sich nicht so geschwind verlieren möchte, denn litt sie morgen noch daran, so mußte sie zu Hause bleiben.

Aber Kind, sagte der Alte, sie erinnernd; Du sollst ja packen lassen.

Gleich, entgegnete Klotilde, mit einem ganz eigenen verschmitzten Gesichtchen: ich wollte nur fragen, wem ich unterdessen meine Blumen und meine Kanarienvögel zur Abwartung übergeben soll; am sichersten sind sie wohl, fuhr sie zu mir gewendet fort: bei Ihnen aufgehoben, aber Sie reisen ja wohl mit?

Bewahre, erwiederte der alte Herr, und Klotilde drückte das Tuch fester an die Wange, und klagte, daß es ihr im Zahn zuweilen Rucke gebe, kaum zum Aushalten.

Beim Abendessen kam sie, das Köpfchen mit einem Tuche gebunden, und erklärte, daß, wenn ihr so bliebe, sie morgen auf keinen Fall mitfahren könne. Der alte Herr, der sich in einem einmal gefaßten Plane nicht gern stören ließ, trug mir auf, einen reitenden Boten nach Käferlingen zu senden, um Herrn Kropfgans, einen dortigen berühmten Zahnarzt, sofort heraus zu holen, der, wenn es die Noth erfordere, den Zahn diese Nacht noch, oder morgen früh, ausnehmen solle.

Ich hatte, in der Verblendung meiner Eigenliebe bis dahin die ganze Geschichte für Maske gehalten. Erst war sie vor Freude, die Residenz zu sehen, deckenhoch gesprungen; dann hatte sie meinen Schmerz über die bevorstehende Trennung bemerkt; dann kam sie, weil sie nicht wußte, ob ich bleiben oder mitreisen werde, und holte den Alten darüber aus, und hatte auf den ersten Fall vorläufig schon die Zahnschmerzen in Bereitschaft, um einen Vorwand des Zuhausebleibens zu haben, und endlich, da sie nun ihrer Sache gewiß ist, bereitet sie den Grafen heute Abend schon auf die Möglichkeit vor, daß sie morgen ihn nicht werde begleiten können. Die ausgesuchteste Intrigue konnte kein feineres Spiel spielen; das gefährliche Talent, den Leuten ein Näschen zu drehen, entwickelte sich vor meinen Augen mit unglaublicher Schnelligkeit: ich erschrak über die vollendete Gewandtheit des kleinen Schlauköpfchens, und freute mich auf der andern Seite auch wieder darüber, denn das ganze Spiel, in dem sie die Keckheit hatte, dem alten Herrn, der meilenweit sah, einen blauen Dunst vorzumachen, galt ja mir.

Eitler Mensch, der ich war!

Jetzt, da der Zahnarzt geholt werden sollte, der am Ende im Stande war, ihr einen ihrer blendend weißen, gesunden Zähne, ohne Umstände, statt eines kranken herauszunehmen, jetzt kam die Sache zum Klappen, und ich erwartete daher von ihr, daß sie gegen die Abholung des Arztes feierlich protestiren, und den Grafen auf die hoffentlich morgen erfolgende Besserung vertrösten werde; allein – bittere Täuschung – mit der ganzen Krankheit hatte es seine vollkommene Richtigkeit; sie ließ sich die gebotene Hülfe gern gefallen, sah den Herrn Kropfgans für den Erlöser ihres fast unerträglichen Übels an, und äußerte blos die Besorgniß, was denn anzufangen wäre, wenn dieser zufällig nicht zu Hause seyn sollte. Ich machte den Vorschlag, statt unmittelbar an Herrn Kropfgans, lieber an meinen Freund Stremler, der unterdessen unser Gerichtshalter geworden war, schreiben zu wollen, und diesen, in dem Falle, daß jener nicht zu haben sey, um die Übersendung eines zuverläßigen Mannes zu bitten. Der alte Herr und Klotilde genehmigten dieß, und ich stand vom Tische auf, um das Billet an Stremler sogleich zu besorgen.

Klotilde sprang, als ich eben die Thür in der Hand hatte, mir nach, sprach im Abgehen noch im Zimmer etwas von Feigen, die ich ihr mitkommen lassen sollte, um sie in Milch geweicht auflegen zu können, flisterte mir, von der Todesangst vor Schlüssel und Pelikan hart gepreßt, draußen vor der Thür zu: ich habe keine Zahnschmerzen, und ging in das Speisezimmer zurück.

Es kann vielleicht keine komischere Liebes-Erklärung in der Welt geben, als diese, aber mich erfüllte sie mit unaussprechlichem Entzücken.

Ein einziger schmerzlicher Zug in meinem Gesichte, und Klotilde opferte die Freude, in die Residenz zu reisen, dem kaum geregten Wunsche meines liebekranken Herzens auf.

Ich habe keine Zahnschmerzen, hatte sie gesagt, und ich wiederholte die an sich trivialen Worte auf dem Gange in mein Zimmer zwanzigmal in einem Athem. Ich traute meinen Ohren kaum, ich fragte mich halblaut, ob sie wirklich so sagte; ich zitterte vor Freude, daß ich kaum schreiben konnte, und hatte, als der Bote abgefertigt war, und ich in das Speisezimmer zurückkam, die größte Mühe, mein vor überseliger Wonne rein verklärtes Gesicht in die vorige Gleichgiltigkeit zurückzuzwingen.

Zum ersten Male fühlte ich mich jetzt über dem Grafen; der alte gute Herr, der Alles zu wissen behauptete, dem, nach seiner Meinung, Nichts entging, der im Seelenspiegel, im Auge allen Menschen die tiefsten Geheimnisse abzulauschen vermeinte, – er war von uns beiden doch eigentlich abscheulich hinter das Licht geführt.

Ich wollte zwar anfangen, mir ein Gewissen daraus zu machen, denn der alte Mann hatte mir bis jetzt nichts als Liebes und Gutes erwiesen, und ihn dafür zu hintergehen, war – das fühlte ich gar wohl – nicht recht von mir; aber hatte Klotilde nicht eigentlich allein die Schuld? that ich nicht blos ihren Willen? und war es mir zu verdenken, wenn ich zu der Ausführung der, Klotilden jetzt selbst nicht mehr willkommenen Idee des Grafen, die Hände zu bieten, mich nicht besonders aufgelegt fühlte? Ich wäre während ihrer Abwesenheit vor langer Weile gestorben, und die Eifersucht, diese grausame Furie des Seelenfriedens, malte mir das Aufsehn, welches Klotildens Zauberreize in der Stadt machen würde, und das Heer der Anbeter, und des Mädchens Empfänglichkeit für die Macht der Neuheit, und meine Werthlosigkeit gegen die viel interessanteren Residenzbewohner, mit so schwarzen Farben, daß ich, wenn es die Noth erforderte, noch viel mehr aufgeboten hätte, um Klotildens Mitreise zu verhindern. Aber bei aller Vernünftelei, mit der ich den kleinen Betrug gegen mein Gewissen beschönigte, konnte ich doch dem Grafen nicht in das Auge sehen. Er stand einmal auf und entfernte sich auf einen Augenblick; ich wollte mich gegen Klotilden verständigen, daß ich ihren Wink befolgt habe, aber die umstehenden Bedienten – Stremlers Spionensystem fiel mir ein, und ich sprach von den gleichgiltigsten Dingen.

Unsere kleine, heute ziemlich einsylbige Tafelrunde, ward bald aufgehoben, und jedes eilte auf sein Zimmer. Klotilden rief der alte Herr noch nach, daß wenn Herr Kropfgans nicht zu haben wäre, und unser Gerichts-Director Stremler keinen anderen Arzt habe auftreiben können, ihr Zahnweh aber unterdessen noch nicht aufgehört habe, oder vielleicht gar schlimmer geworden sey, er es für räthlicher halte, daß sie dießmal zu Hause bleibe, wogegen er ihr verspreche, sie das nächstemal mitzunehmen.

Hatte der alte Mann Klotildens, draußen von der hinter sich zugemachten Thür heimlich geflisterten Worte: ich habe keine Zahnschmerzen, gehört? hatte er in unser beider, fast immer auf den Teller niedergeschlagenen Blicken, ihre menschenfreundliche Barmherzigkeit, ihr Mitleiden, ihre Liebe und meine Seligkeit durch die Augenlieder gelesen? oder stand er mit dem Obersten aller Hexenmeister im Bunde? – und das ganz sonderbare Gesicht, was er dazu machte, als er das sagte! Lichtenberg hätte mit seiner Meisterfeder, die Hogarths Werken erst ihren Werth gab, über dieß Gesicht ein halbes Buch geschrieben; las ich in diesem heimlichen Lachen, in diesen zusammengeknippenen Mundwinkeln, in diesen Augenfältchen, anderwärts Taubenpfötchen genannt, und besonders in diesem brennenden Feuerblicke recht, so sagte Se. Hochgräfliche Excellenz: ich weiß Alles, denn ich habe mir, als ich vorhin aufstand, das Billet an Stremler geben lassen, solches geöffnet und darin gelesen, daß Herr Kropfgans nicht zu Hause seyn soll; Euer Spiel entschuldige ich, da es das Spiel der Liebe ist, bei dem ich es allenfalls gelten lassen mag, das dem Dritten einmal ein unschuldiges X für ein U gemacht werde. Die Hauptschuld trägt Klotilde; sie spielt aber ihre Rolle für das Erstemal recht brav, und darum mag sie dießmal ihren kleinen Willen haben; sich aber einbilden, daß sie mich angeführt hätten – das dürfen sie nicht; sie müssen merken, wenigstens ahnen, daß ich ihren Plan durchschaut habe.

58.

Ich hatte den kommenden Morgen den Muth nicht, mit dem von Stremler, meiner Vorschrift gemäß geschriebenen Billet, in dem er mir richtig meldete, daß Herr Kropfgans nicht zu Hause, ein anderer zuverlässiger Zahnarzt aber im Orte nicht zu haben sey, dem Grafen unter die Augen zu treten: ich schickte es erbrochen an Klotilden, und diese beförderte es durch ihr Kammermädchen an den alten Herrn, mit der Meldung, daß sie vor Schmerz die ganze Nacht nicht habe schlafen können, daß sie zu ihrem sehr großen Bedauern, mitzufahren, unmöglich im Stande sey, und daß sie Sr. Excellenz recht glückliche Reise wünsche.

Mit mir sprach der alte Herr über die ganze Sache kein Wort weiter, nur als er bereits im Wagen saß, meinte er, daß Klotilde, wegen der ihr zugestoßenen Fatalität, ihn nicht habe begleiten können, daß er ihr daher zur Gesellschaft Mamsell Muthchen bestellt habe, und daß ich dem Kastellan auftragen möge, dieser das grüne Zimmer zu geben. Fatalität! – war denn in der ganzen Sprache kein anderes Wort, daß er gerade dieses wählen mußte? Leitete er es von Fatum ab, und wollte er damit sagen, daß er es für einen Wink des Schicksals ansehe, daß Klotilde hier bleiben müsse? oder war ihm die ganze Geschichte fatal? Nach dem scharfen Tone, den er auf das Wort legte, mußte ich fast das letztere fürchten.

Mamsell Muthchen war die Schwester unseres vormaligen, vor kurzem verstorbenen Gerichtsdirectors. Zur Ehrendame, oder vielmehr Ehrenwächterin hätte ich die auch nicht gewählt, denn hatte die nur immer ein volles Gläschen vor sich stehen, so konnten wir beide machen, was wir wollten.

Meiner Idee nach sollte nun ein Götterleben angehen, und in einer halben Viertelstunde nach des Grafen Abfahrt; war mein Klotildchen bestimmt frisch und gesund unten im Garten.

Ich durchstreifte alle Gänge und Alleen; es ließ sich kein Mensch sehen; ihre Fenster waren dicht verhangen. Sie kam auch nicht zu Tische. Statt meines erwarteten Burgunder-Röschens, erschien die Dame d'Atour, Erdmuthe, stattlich geputzt, und in der rosigsten Laune. Tildchen, wie die alte Schäckerin das Mädchen meines Herzens nannte, hatte wirklich die Nacht nicht geschlafen, und konnte, wegen heftiger Schmerzen, das Zimmer nicht verlassen, auch ließ sie mir für die Aufmerksamkeit danken, mit der ich die von ihr so dringend erbetenen Feigen besorgt habe, die ihr, wenn sie solche nur erst hätte, gewiß recht gute Dienste thun würden, da Kräutersäckchen, Papieröl und alle andere angewandte Hausmittel bis jetzt erfolglos wären.

Also doch krank? wirklich krank? das Ganze kein Spiel ihrer zarten Liebe zu dem, der ihr mit seinem ganzen Leben gehörte? Hatte ich denn die Blitze des Muthwillens, die gestern Abend, als ich den Boten abgefertigt hatte und zur Tafel zurückkam, auf des Mädchens Purpurlippen, in den Mundwinkeln und überall in dem ganzen Gesichtchen herum zuckten, ganz falsch verstanden? War ich Stümper in der Menschenkenntniß, mit der Deutung der Miene, die der Graf machte, als er ihr gestern schon sagte, daß sie heute Zahnschmerzen haben und nicht würde mitfahren können, denn so ganz links gekommen? Hatte ich denn gestern Abend ihre mir zugeflisterten himmlischen Liebesworte, ich habe keine Zahnschmerzen, verhört? hatte sie etwas anderes gesagt und ich hatte sie nur so verstanden, weil ich wollte, daß sie keine Zahnschmerzen haben sollte. Die verdammten Feigen! Aber da sie mir das gesagt hatte, wozu sollten noch die dummen Dinger herausgeschleppt werden.

Natürlich jagte nach fünf Minuten schon ein zweiter Reitknecht zur Stadt, um die erwünschten Früchte des Baumes zu holen, der durch eine unrichtige Uebersetzung zu dem unverdienten Rufe gekommen ist, im Paradiese der ersten Schneiderin das Material zu einem Cottillon, zu deutsch Unterröckchen, in seinen Blättern geliefert zu haben, und weil ich von halben Maßregeln nie Freund bin, übrigens aber den Feigen keine besondere Heilkraft zutraue, und Klotilden, um ihret- und meinetwillen, von dem Störenfried meiner sehnlichsten Wünsche, von dem Zahnweh, gern je eher je lieber befreit sehen wollte; so bestellte ich zugleich Herrn Kropfgans mit heraus.

Dachte ich es doch gleich, daß der Schreckenkünstler mit seinem Pelikan hier keine Arbeit finden würde. Er erklärte in seiner ziemlich markschreierischen Sprache, daß ihm in seiner Praxis noch kein Maul mit solch einem herrlichen Gebiß vorgekommen, vermaß sich hoch und theuer, daß der der allerjämmerlichste Pfuscher unter der Sonne seyn müsse, der diesem kostbaren Gefräße mit dem Instrumente nur nahe käme, weil an allen Pallisadchen da drinnen auch nicht ein einziges Fehl zu bemerken wäre, und bestätigte Klotildens frühere Vermuthung, daß das ganze Uebel lediglich im Blute liegen müsse, für welchen Fall er eine Flasche, zwei Büchsen und drei Schachteln wirksamer Beruhigungmittel mitgebracht hatte.

Klotildens Mädchen, das mir dem Pelikan-Virtuosen, nachdem er ihre Herrin gesprochen, zugeführt hatte, zischelte mir in das Ohr, daß mich Klotilde ersuche, dem Arzte für seine Bemühungen und Heilmittel die angemessene Vergütung zukommen und mir von ihm darüber Quittung geben zu lassen.

Was war das wieder? In der Regel drückte man Artigkeiten der Art, wie Bonbons, in ein Stückchen Papier gewickelt, dem Empfänger mit einigen verbindlichen Worten, Mienen und Gebehrden in die Hand; hier sollte ich mir Quittung gehen lassen. Auch als Verwalter fremden Gutes hätte ich im vorliegenden Falle von Herrn Kropfgans keinen Empfangschein gefordert. Für etwas was gar nicht bezahlt werden kann, eine Quittung über das Zehntausendtheil von dem, was man hätte geben sollen, zu verlangen, ist eine Unzartheit, die dem Geber, wie dem Empfänger gleich drückend ist. Wer kann den Arzt, der mir Gesundheit und Leben rettete, bezahlen? Wer den Wundarzt, wenn er mich durch einen Schnitt, durch einen Ruck von den unerträglichsten Schmerzen im Nu befreit? Kein Mensch. Wollte Klotilde in jenem Auftrage sich mir als den Schützling des Grafen zeigen, der dessen Secretair zu befehlen sich herausnahm? oder sollte die Quittung des Herrn Kropfgans, mehrere Stunden nach der Abreise des Grafen, diesem nach der Rückkunft, bei Durchsicht meiner Rechnung, als Beleg dienen, daß sie wirklich krank gewesen? Wenn das letztere der Fall war, so verrieth Klotilde eine furchtbare Anlage zur Intrigue, und dann war es wahrhaft gefährlich, einem solchen Mädchen die Hand zu bieten; denn wenn sie in ihrem sechzehnten Jahre so berechnet handeln konnte, wessen war sie in ihrem reiferen Alter nicht fähig.

Ich nahm mir vor, auf meiner Hut zu seyn, und sie genauer zu beobachten; ich hatte dieß jugendlich frohe Wesen für die Unbefangenheit selbst gehalten, und – nein, mit meinem gänzlichen Mangel an Menschenkenntniß stieß ich überall an.

Ich bildete mir ein, daß Klotilde durch diesen entdeckten Zug von Ultra-Besonnenheit bei mir verloren habe, daß ich jetzt ruhiger, kälter geworden sey; aber das war nur vorübergehender Wahn. Als sie am Tage noch immer nicht erschien, konnte die Sehnsucht, die mich zehnmal schon vor ihrem Fenster vorbei getrieben hatte, sich nicht länger fassen; ich hatte längst schon ihr den kleinen Absprung vom Wege der Offenheit verziehen, ich hatte sie im Stillen selbst entschuldigt, ich war ihr wieder so gut wie vorher, und fragte, als Muthchen wieder allein zu Tische kam, mit einer Art von Herzensangst, ob Klotilde denn immer noch nicht hergestellt sey.

Ihre Feigen haben Wunder gethan, entgegnete schalkhaft Muthchen; Mamsell Dumesnil ist gesund wie ein Fischchen; das Mädchen ist lauter Lust und Leben, mein lieber Herr Geheimsecretair. – Sie stockte, warf einen Seitenblick auf Wenzel, präsentirte mir die eben auf dem Tische befindlichen Saucischen, und fragte: ist nicht gefällig ein Würstchen? – delikat sind die Dingerchen, sie zergehen auf der Zunge, wie Butter.

Fischgesund, und doch nicht hier? fragte ich gepreßt, und ließ Saucischen unangerührt, denn mir quoll der Bissen im Munde. Sie hält es wider das Dekorum, entgegnete Muthchen, Klotildens Zimperlichkeit bespöttelnd. Glauben Sie nur, fuhr sie, als Wenzel eben das Zimmer auf einen Augenblick verließ, traurig fort: sie äße für ihr Leben gern mit uns, denn Sie, lieber Herr Geheimsecretair – na, Sie werden es wohl gemerkt haben – Wenzel trat wieder ein, und Muthchen lobte den vor uns stehenden Karpfen mit Krautsallat und Weinbeeren, als ihr erstes Leibessen.

Ich saß wie auf Kohlen, nun von ihr das zu hören, was ich gemerkt haben sollte, aber der grausame Krautsallat stopfte ihr den Mund dermaßen, daß sie kein Wort sprach, und Wenzel wich und wankte nicht aus dem Zimmer. Bestimmt war der Mensch beordert, uns zu behorchen, denn absichtlos war, wie ich jetzt erst sah, sein beständiges Bleiben hinter unseren Stühlen gewiß nicht.

Muthchen ging nach dem Essen auf ihr Zimmer, und ließ mich auf der Folter meiner Neugierde ohne Erbarmen halb verschmachten.

59.

Wider das Decorum! eine alberne Idee! wenn der strenge Graf uns eine Ehrenwächterinn gab, und diese nicht für unschicklich hielt, daß wir zusammen aßen, brauchte sie wahrhaftig auch keinen Anstoß darin zu finden.

War das Stolz, Ziererey, Kälte? Hatte am Ende Stremler doch Recht, und war es denn Besorgniß, die Eifersucht des Grafen rege zu machen? Ich ward immer mehr irre in dem Charakter des Mädchens, das ich mir so kristallklar gedacht hatte, daß man es beim ersten Blick bis auf den Grund durchschauen könne. – Und ich sollte etwas gemerkt haben, sagte Erdmuthe, und sagte es mit einer Manier, als wolle sie mir weiß machen, ich sey Klotilden nicht ganz gleichgiltig.

Wer die Eitelkeit der Männer kennt, wird wissen, daß das Hinwerfen einer solchen Mittheilung ein brennend Licht in ein Pulverfaß setzen heißt.

Ich konnte den ganzen Tag keine Feder in der Hand halten, keinen gescheiten Gedanken denken, kein vernünftiges Wort sprechen. Ich sollte ihr nicht gleichgiltig seyn! in diesem Zaubergedanken lag der Inbegriff aller Himmel. Setzte ich mir das Glück, von diesem liebreizenden Wesen geliebt zu seyn, recht lebhaft aus einander; so schwanden alle jene kleinen Besorgnisse über Klotildens Herz und Gemüth; so war sie der fleckenloseste Engel im Himmel und auf Erden, denn sie liebte mich. Muthchen, der Götterbote, hatte mir es ja deutlich gesagt! –

Die Nacht floh mir unter den süßesten Träumen; am frühen Morgen schrieb ich an Klotilden; ich hauchte meine ganze Seele in diesem Briefe aus; ich betheuerte ihr die Reinheit meiner Absichten, und beschwor sie, um das Almosen einer Unterredung von einer einzigen Stunde.

Dieß Billet wollte ich Muthchen während des Essens zustecken. Muthchen blieb aus; ich saß im großen Speisezimmer allein vor der leckern Tafel. Ich aß aus Verzweiflung wie ein hungriger Wolf; ich hätte mich todttrinken mögen; der Wein drückte mir die von der halb durchwachten Nacht noch müden Augen bei Tische zu. Meine Lage ging an meinem inneren Auge vorüber; ich kam mir hier wie verrathen und verkauft vor. Nur einen Freund, einen einzigen Freund hätte ich an meine Seite gewünscht. Ich schlug, von einem kleinen Geräusch erwacht, die Augen in die Höhe, und wie durch Feenmacht hergezaubert, saß der gewünschte Freund, ein langer dürrer Mann, geisterbleichen Angesichts, dicht neben mir, und langte schweigend nach dem Essen und Trinken, was vor ihm stand.

Ich fuhr, über den unerwarteten Nachbar erschrocken vom Stuhle auf, und hatte im ersten Augenblicke kaum so viel Besinnung, zu fragen, wer er sey; er aber antwortete keine Sylbe, starrte mich mit seinen tief liegenden schwarzen Augen still lächelnd an, tippte sich mit den Fingerspitzen seiner Rechten auf das Herz, und aß und trank wieder, ohne sich im mindesten stören zu lassen.

Ich wiederholte ziemlich vernehmlich meine Frage, und konnte nicht unbemerkt lassen, daß bei aller Achtung für das Gastrecht, ich doch über die Art und Weise, von einem Platze an der Tafel des Grafen von Dingelheim Besitz zu nehmen, mein Befremden nicht bergen könne.

Der steinerne Gast erwiederte keine Sylbe, er würdigte mich keines Blickes, that, als hätte er von meiner Frage keinen Laut gehört und ließ es sich wacker schmecken.

Wenzel, der eben eintrat, war nicht weniger verwundert, Muthchens Kouvert von einem Steinfremden besetzt zu finden, der zum Schornstein hereingeflogen seyn mußte, denn kein Mensch hatte ihn kommen gesehen, und der Umstand, daß er gerade das Speisezimmer gefunden, verrieth eine treffliche Nase.

Mir kam das Begebniß fast lächerlich vor, denn das völlige Ueberhören unserer ziemlich verständlichen Aeusserungen, und der Löwenappetit, mit dem der Fremde über Schüsseln und Flaschen herfiel, hatten etwas höchst Komisches; auf der andern Seite aber war die seltsame Mittag-Erscheinung doch auch gar zu auffällig, als daß man darüber hätte lachen können. Der Ungebetene war sehr anständig und modisch gekleidet; auf der weißen feinen Hand blitzte ein Brillantring mit einer Namenchiffer unter einer Königskrone; aus den großen Augen sprach Genialität und strenger Ernst; im ganzen Wesen lag etwas Sonderbares und Grauenerregendes, und des Fleisches war an dieser erdfahlen, abgehagerten Geistergestalt so wenig, daß man fast hätte glauben sollen, der seltsame Gast habe ein Dutzend Jahre in der Erde gelegen.

Das ist der Tod oder der Teufel, sagte Wenzel halb laut vor sich hin, und drückte sich zum Zimmer hinaus, der Fremde aber, nachdem er sich redlich genährt, spielte den Wirth, winkte mir, mich zu setzen und schenkte mir das Restchen Wein, was er noch übrig gelassen hatte, recht gastlich ein.

Hierauf holte er aus der Brusttasche seines Fracks ein Billet hervor und überreichte es mir schweigend.

Es war vom Grafen.

Herr Frugoni, ein taubstummer Maler, der mit seinen vortrefflichen Arbeiten en miniature in der Residenz viel Glück machte, sollte Klotilden malen, wenn diese, setzte der Graf scherzend oder beißend hinzu, von ihrem Zahnweh nicht so entstellt sey, daß für den Künstler zu besorgen, er werde sie nicht treffen.

Ich führte den Stummen in Klotildens Vorzimmer, ließ Muthchen herausrufen, stellte dieser meinen Empfohlenen vor, nannte den Zweck seiner Sendung, und fragte, warum Mamsell nicht heute bei Tische erschienen.

Wir haben unsere Ursachen, entgegnete sie mit einem Tone, der deutlich zu verstehen gab, daß dieß Wir auf Klotilden ging, und daß Muthchen die sogenannten Ursachen höchlich mißbilligte.


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