H. Clauren
Das Dijon-Röschen / 1
H. Clauren

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38.

Der Garten mochte recht schön seyn, aber in diesem Augenblicke hatte ich kein Auge für seine Blüthenpracht, kein Ohr für ein Heer von Nachtigallen, Grasmücken, Finken und dergl., keine Nase für die Wohlgerüche seiner Millionen von Blumen; ich ging tief in mich gekehrt, suchte die dunkelsten Schattenparthieen und zerdachte mir jedes Wort, was der alte Herr mit mir sprach.

Wahrscheinlich – ganz bestimmt hatte die Excellenz eine junge Freundin bei sich, die der fremde alte Herr entweder aus eigner Leidenschaft, oder aus zärtlicher Anhänglichkeit an seinen Freund den Grafen, gegen alle Secretairungebührlichkeiten gesichert wissen wollte, und darum legte er auf diesen Punkt mehr Gewicht, als auf alle die übrigen. Das Hirtenmädchen hatte mir zwar ausdrücklich gesagt, daß, außer den Scheuerweibern, weder ein Mädchen, noch eine Frau im Schlosse sey; aber was wußte so ein junges Ding; indessen, und wenn die Bevorwortete ein Ausbund von Schönheit wäre, vor mir hatte sie gewiß Ruhe, der alte Herr hatte mir jede auch die entfernteste Annäherung so streng verboten, daß ich bei Nichtbeachtung seiner Winke fürchten mußte, mein Brot zu verlieren, und das war die ungesehene Schöne sicher nicht werth.

Ich schwor es mir also, immer auf meiner Hut zu seyn, und, die Sache mochte nun zusammenhängen, wie sie wollte, gegen jede Frauensperson, der ich im Schlosse begegne, die strengste Gleichgültigkeit zu –

Was Henker, was war das –? Da drüben in der blühenden Schneeballparthie schlüpfte quer über den Weg ein ganz allerliebstes –

Aber Herr Secretarius, Herr Secretarius, rief ich mir heimlich zu; und kommandirte mich, aus dem Siebenmeilenstiefelschritt, in den ich beim Erblicken der Feengestalt, meiner unbewußt, fiel, wieder in meinen gemessenen, ruhigen Gang zurück: wo sind Ihre Vorsätze, Ihre Grundsätze, Ihre Absätze, wo Ihr Schicksals-Dämon, der Schneider? Gemach, gemach lieber junger Herr! jede Hecke hat hier tausend Ohren, durch jedes Blatt sehen hier tausend Augen. Wenn Ihnen nun das reizvolle Mädchen, das aus dem Schneeballgebüsch hier über den Weg schwebte, absichtlich in den Wurf geschickt ward, um Sie mit Ihrer Festigkeit und gerühmten Gleichgiltigkeit zu sondiren! Wie, wenn Sie von zehn Spionen belauscht würden, und alle zehn dem Grafen berichteten, in welche gränzenlose Ekstase, in welchen beflügelten Sturmschritt der bloße Anblick der schönen Versucherin Sie versetzte!

Ich drängte durch die ernstesten Vorstellungen mir das Blut aus dem klopfenden Herzen in seine Adern, wohin es gehörte, zurück und zwang mich, an das entschwebte Zauberbild gar nicht zu denken, aber es war nicht möglich. Nur einen Augenblick hatte ich es gesehen, und ich hätte es malen wollen. Die Gestalt sehr zart, im schwarzen Lockenköpfchen ein Paar Tschirnhausensche Brenngläser; das Füßchen behende und niedlich. Es mußte, der völlig ausgebildeten Grazien-Figur ungeachtet, noch ein halbes Kind seyn, denn es sprang einem bunten Schmetterlinge nach, ohne des Secretär-Tagvogels nur im mindesten zu achten, der vom Entzücken über die Erscheinung wie durchbebt, wie eine Marmorsäule dastand und nach Luft schnappte. Das Gewand der Schmetterlings-Diana – man hat in Japan aus dem Gespinst der Phalaena noctua serici, ein so feines Gewebe, daß zehn daraus gefertigte Damenkleider noch kein Pfund wiegen; von einem solchen Luftgewebe mußte dies modische, blendend weiße Gewand auch seyn; denn es umfloß den schönen Körper des Mädchens wie ein leichtes Nebelgewölk, daß es fast schien, als schwebe das Götterkind über den Erdball hinweg.

Die Thurmuhr schlug, ich sah nach dem Zeiger, er wies auf drei viertel auf zwei; dieß war ja die Zeit; wo ich dem Grafen vorgestellt werden sollte. Eine unbeschreibliche Bangigkeit überfiel mich auf einmal wieder; ich vergaß die Schmetterlings-Jägerin, sammt ihrem japanesischen Nebelgewölke, rekapitulirte, während ich mit einem sehr feierlichen Gesichte nach dem Schlosse zuging, bei mir im Stillen, was ich Sr. Excellenz alles sagen wollte, ward an dem Schloßthore von einem Heiducken, der dahin postirt zu seyn schien, um mich zu erwarten, in Empfang genommen, und folgte diesem schweigend über den Hof und durch eine lange Reihe von Zimmern.

Die weiten, hohen Gemächer, das reiche köstliche Geräth, die Riesenspiegel, die tiefe Stille in allen diesen Zimmern, der glatte Fußhoden – das Große, Prächtige im ganzen Styl – mir ward sehr sonderbar zu Muthe; schon als wir die Treppe hinaufkamen, war es mir in die Waden gefahren; jetzt, auf der spiegelglatten Täfelei, ich spannte alle Sehnen straffer, um hier nicht etwa eine Lerche zu schießen und bekam ein solches leises Zittern über den ganzen Körper, daß ich kaum auftreten konnte.

In einem kleinen Salon stand ein runder Eßtisch mit drei Gedecken; wahrscheinlich speis'te hier Se. Excellenz mit dem alten Freunde, und dem jungen Schmetterlinge; im nächst anstoßenden Zimmer überlieferte mich der Heiduck dem Herrn, den ich für den Kammerdiener angesehn hatte, und dieser öffnete das Kabinet des Grafen und ließ mich eintreten. Se. Excellenz saßen, mir den Rücken zugewendet, an einem kleinen Tischchen, und speis'ten ganz allein.

Ich stellte mich ihm zur linken Seite, und während meiner stummen Verbeugung fiel mein erster Blick auf den Stern und die Orden, die ihm auf der Brust und im Knopfloche prangten, und mein zweiter auf das Gesicht, in dem ich den Bruder des alten Herrn erkannte.

Es ist mir lieb gewesen, sagte der Graf vornehm lächelnd, und stand vom Tische auf: daß wir uns auf diese Weise kennen lernten. Ich bin auch jung gewesen und habe die älteren höhergestellten Personen suchen müßen, und ich weiß, wie mir da allemal zu Muthe war, und daß mir das Beßte, was ich hatte sagen wollen, immer erst auf dem Heimwege einfiel. Darum, und also um Ihrer willen war es mir angenehm, daß Sie mich für einen andern nahmen. Sie sprachen unbefangener, und Ihr Gespräch und Ihr Benehmen ersetzten mir den Mangel der Zeugnisse und Empfehlungen. Ich habe in meinem Leben viel Menschen kennen gelernt, deßhalb bin ich aber in der schwierigsten Kunst, die uns von keinem Katheder gelehrt wird, und die wir späterhin oft mit unserem theuersten Schatze, mit unserem Glauben an die Menschen erkaufen, in der Kunst der Menschenkenntniß noch nicht gar weit gekommen; indessen mit ihnen glaube ich den Versuch wagen zu können. Bewahren Sie die Unverdorbenheit Ihres Gemüths, und Sie werden für die Schwächen und Mängel, denen wir ja Alle unterworfen sind, und die mir unser näheres Beisammenseyn also auch bei Ihnen kund machen wird, einen nachsichtigen Richter in mir finden. Nehmen Sie die Winke und die wohlgemeinten Regeln, die ich Ihnen in vorkommenden Fällen zu geben für nöthig finden werde, mit der Herzlichkeit an, mit der ich sie Ihnen, lediglich um Ihres Beßten willen ertheile, und bleiben Sie offen und wahr.

Damit reichte er mir mit freundlichem Wohlwollen die Hand, und ich gelobte ihm in dieselbe, Treue und Fleiß nach meinen Kräften.

Essen Sie mit uns, hob er hierauf an; und dann machen Sie, daß Sie bald wieder nach Hause kommen, um je eher je lieber mit Ihrem gegenwärtigen Herrn Prinzipal sich auseinander zu setzen, und Ihr Amt hier anzutreten; vorher aber beantworten Sie mir doch einmal das Billet des Domherrn von Liborius, der mich auf morgen zu sich eingeladen, unter irgend einem schicklichen Vorwande, abschläglich; nur machen Sie mich nicht krank, denn, setzte er scherzend hinzu; man muß den Teufel nicht an die Wand malen.

Er hatte eben gegessen und wie ich aus den Schüsseln auf dem Nebentische abnehmen konnte, war das kein bloßes Gabelfrühstück gewesen, und doch sagte er, essen Sie mit uns! – wer waren denn die uns? – Am Ende speis'te das weiße Hirschchen mit, und er sah nur zu! Doch – der Tisch im kleinen Saale war auf drei Gedecke eingerichtet, also mußte noch jemand daseyn! – Immer offen und wahr sollte ich seyn, hatte er gesagt, und er wer es gar nicht gegen mich. Gleich die erste Stunde unseres Beisammenseyns spielte er die Rolle eines Fremden. Wie hing sein ehrerbietiges Benehmen gegen den Lakey mit seiner vornehmen Haltung zusammen? Warum nannte er mir die Bedingungen nicht, unter denen er mich bei sich anstellen wollte? Warum gab er mir ein Billet des Domherrn von Liborius, das dieser in seinem Leben nicht geschrieben hatte, denn dessen Hand kannte ich auf's Daus, da Herr Knipps ihm in mehrern Prozeßsachen bedient war, und der Domherr fast wöchentlich an diesen ellenlange Briefe schrieb? Warum hatte er den Domherrn französisch schreiben lassen, der wenigstens nach dem Aeußern zu urtheilen, gewiß kein französisches Wort verstand. Alle diese Fragen flogen mir, während ich mich setzte und mir die Feder spitzte, durch den Kopf, und hatte der Graf über Mangel an Menschenkenntniß geklagt, so jammerte ich im Stillen über das gänzliche Abgehen dieser goldenen Wissenschaft, noch zehnmal mehr. Im Ganzen gefiel mir der Graf und sein schönes Buchenhayn, auch mochte die reitzende Schmetterlingsjägerin zu dem Entschlusse, mein Heil hier zu versuchen, das ihrige beitragen; aber wenn ich mir auf der andern Seite des Grafen sonderbares Betragen zersetzte – doch – ich sollte ja schreiben.

39.

Ich hatte kaum angefangen, so erzählte mir der Graf, unter der hingeworfenen Bitte, mich nicht stören zu lassen, daß er einen neuen Lakey in seine Dienste genommen, und daß er, bei der Unterweisung dieser Art Menschen eine ganz eigne Methode befolge, der er die gewandtesten, höflichsten und brauchbarsten Domestiken verdanke. Vier ganze Wochen nämlich, müsse der Mensch den Herrn spielen, und er übernähme dagegen die Rolle des Bedienten. Wenzel, der Lakey, der ihm vorhin die Pfeife brachte, habe heute von gedachten vier Lehrwochen, den letzten Tag. Einen ganzen Monat habe er den Wenzel aus- und angezogen, ihm bey Tische aufgewartet, jeden seiner Winke befolgt, und ihm mit der allerausgezeichnetesten Artigkeit begegnet. Dieß sey die einzige Manier, den Leuten dieses Schlages recht in die Augen fallend zu zeigen, wie sie sich in ihrem Berufskreise zu nehmen und ihren Herrn und jeden Fremden zu behandeln hätten. Wenzel speise heute zum letzten Male an der Tafel, und ich müsse nicht übel nehmen, mich in solcher Gesellschaft zu sehen; allein Wenzel repräsentire ihn im vollen Sinne des Wortes, dergestalt, daß er über Küche und Keller, wie er selbst gebieten könne. Er bat mich hierauf, dem Wenzel recht fleißig einzuschenken, und ihm tapfer zuzutrinken, denn ohne dieß könne Wenzel sein Meisterstück nicht vollgiltig ablegen; dieß bestehe nämlich darin, daß Wenzel nach dem Essen einen Teller, mit einem bis an den Rand gefüllten Glase Wasser in der Hand, eine halbe Stunde lang im Garten hinter ihm her, auf und abgehen müsse. Schwappe das Glas über, so sey dieß ein Zeichen, daß der Mensch, wenn er Wein getrunken, keine feste Hand habe, und dann könne ihm das Porzellain und das Glas und Krystallgeschirr, das ihm eigentlich untergeben werden solle, nicht anvertraut werden, denn man müsse befürchten, er lasse alles aus den Händen fallen; bliebe aber der Teller unbenetzt, so sey daraus abzunehmen, daß selbst bei großen Gastmählern, wo die Bedienten gewöhnlich sich auch eine kleine Güte thäten, das dem Wenzel anvertraute zerbrechliche Gut, in seinen Händen wohl und sicher aufgehoben sey.

40.

Ich wäre über die verdammte originelle Bedienten-Seminaristen-Anstalt gern in lautes Lachen ausgeplatzt, hätte der Graf mich nicht, während dieser Mittheilung, wenigstens fünfmal gefragt, ob ich mit meiner Antwort noch nicht fertig sey; ich zwang mich also, auf die fernere Ausführung seines Systems nicht weiter zu hören, warf die Antwort schnell hin, sagte in dieser, im Nahmen des Grafen, daß ich ohnehin schon längst dem Herrn Domherrn meine Aufwartung hätte machen gewollt, und daß es mir daher um so unangenehmer sey, seiner heutigen geneigten Einladung nicht folgen zu können, indem ich selbst Besuch erwarte, daß ich mir aber vorbehalte, ihm ehestens die besondere Hochschätzung persönlich zu bethätigen, mit der ich die Ehre hätte zu seyn, u. s. w. und überreichte dem alten Herrn mein Probstück mit unbeschreiblichem Herzklopfen. Der Graf las das Billet zweimal durch und schien mit der Hand nicht unzufrieden zu seyn; hinsichtlich des Styls, meinte er, daß er noch ein wenig deutsch-französisch sey, daß dieß sich aber mit der Zeit, bei mehrerer Übung, wohl geben werde. Zugleich fragte er aber auch, warum ich geschrieben, daß er Gesellschaft erwarte, da ich ja hätte äußern können, daß er deren, – er wies recht artig auf mich – eben habe. Ich entgegnete, – ohne zu thun, als merke ich sein feines Kompliment, – indem ich mich doch unmöglich für eine Gesellschaft des Grafen ansehen konnte, daß, wenn ich von Gesellschaft haben spräche, der Domher die Unwahrheit leicht erfahren und daher jenen Vorwand für leere Ausflucht annehmen könne, da ich aber die Gesellschaft erwarten ließ, so müsse der Domherr, wenn er gleich später erführe, daß niemand hier war, immer noch glauben, die Gesellschaft sey durch irgend einen Zufall ausgeblieben.

Recht gut, recht gut, entgegnete der Graf, und öffnete die Thür, um mit mir in den Speisesal zu gehen. Ich wollte ihm natürlich den Vortritt lassen: er erklärte aber, daß ich heute sein Gast sey, und ich ging nun, ohne umständliche Weigerung voran. Vor den Domestiken, deren hier fünf oder sechs waren, nahm er sich gegen mich, als hätte er einen jungen Mann seines Standes bei sich; wir sprachen und lachten, doch gab ich immer möglich Acht auf mich, um nicht aus dem Takte zu fallen; ich war zwar unbefangen, so viel ich es seyn konnte, indessen ich vergaß nicht, daß der Graf mein künftiger Prinzipal war.

41.

Das dritte Gedecke gehörte gewiß irgend einem Stallknecht oder ähnlichen Dienstneuling, dem der Graf auf seine Weise die nöthigen Sitten beibringen wollte und mich verlangte schon zu wissen, wie mein Tischgespräch mit den Domestiknovizen ablaufen werde, als die Salthür aufging und mein weißer Engel aus der Schneeballparthie eintrat.

Das Mädchen war höchstens sechszehn Jahre alt; das Haar schwarz, das große seelenvolle Auge kornblumenblau; Brust und Hals glänzten lilienweiß, und auf den Wangen blühten die frischesten Dijonröschen; so kam es, mehr tanzend als gehend, herein, küßte dem Grafen die Hand, und verbeugte sich gegen mich mit reizvoller Anmuth.

Demoiselle Dumesnil, sagte der Graf, die Kleine mir vorstellend, und fragte sie, indem er ihr das dunkelblaue Auge küßte, daß mir das Wasser im Munde zusammenlief, französisch, wie sie geschlafen und ob sie sich schon ein wenig umgesehen habe.

Also auch eine Novize hier! Aber stellte sie Tochter, Mündel, Verwandte oder Freundinn vor? Ersteres konnte sie nicht seyn, denn Herr Heftlinger hatte gesagt, der Graf habe außer seinem Sohn in Italien, weder Kind noch Kegel, und dann hätte sie auch nicht Dumesnil heißen können. Dumesnil! Dumesnil! so hieß ja die berühmte Schauspielerinn in Paris, die vor ungefähr zwölf, fünfzehn Jahren, in ihrem 91sten Jahre starb, und von der ich erst vor Kurzem einen Band Memoiren gelesen hatte. Französin war das Kind, das gab die Geläufigkeit ihres Plappermäulchens, das Wohltönende ihrer Aussprache und ihre ganze ungebundene und doch so unbeschreiblich anmuthige Flattermanier. Ich war naiv genug, zu fragen, ob sie mit jener Familie verwandt sey, und wie verklärt rief sie aus: Kannten Sie meine alte Urgroßmutter? die ist alt geworden! zwei Jahre vor meiner Geburt ist sie gestorben; ich soll ihr gleichen; finden Sie das?

42.

Die Antwort auf die komische Frage mußte ich ihr schuldig bleiben, denn der Graf, der jetzt seinen Bedientenposten bereits angetreten, und, seit die Suppenterrine aufgetragen worden war, alle Viertelminuten an der Thür gehorcht hatte, um zu sehen, ob sein gnädigster Pseudo-Gebieter nicht bald komme, riß jetzt hastig beide Flügel auf und der Lackay-Schüler trat in seiner Parade-Livree, wie ein großer Herr, herein.

Wir setzten uns sogleich, und der Graf faßte den Teller unter dem Arm, hinter Wenzel, Posto.

Es ist nicht möglich, eine komischere Situation sich zudenken. So etwas von Anstand und Feinheit, von Aufpassen und Genauigkeit im Serviren, war mir, selbst in der Phantasie noch nicht vorgekommen. Der Graf hatte Wenzels Gesicht, in dem gegenüber befindlichen Spiegel, und Wenzels Gedeck, beständig im Auge; er griff keinen Teller mit der bloßen Hand an, sondern alles mit der Serviette; Wenzel durfte sich nur rühren, so flog der Graf gleich heran und sah nach, wo es fehlte, und das alles ging so geräuschlos vor sich, daß man von ihm und von sämmtlichen sechs, hinter unsern Stühlen beschäftigten, diese Marterschule bereits passirten Bedienten, keinen Tritt, kein Tellerklappern oder dergleichen störendes, bei Tische oft unerträgliches Rasaunen vernahm. Wenzel kümmerte sich wenig um die Excellenz; er wußte, daß er heute zum letzten Male den Herrn spielte, daß er fordern konnte, was er wollte, und daß er den Grafen böse machte, wenn er es sich nicht ordentlich schmecken ließ; einen Monat bereits an seine Rolle gewöhnt, verlangte er die schwersten Weine, und aß, als ob er morgen hängen solle. An meiner Unterhaltung mit Demoiselle Dumesnil nahm er keinen Theil, weil er keine Sylbe französisch verstand; blos mit mir sprach er zuweilen von höchst gleichgiltigen Dingen, hielt sich jedoch immer nicht sehr lange bei unserer Unterhaltung auf, um zu seinem ihm viel wichtigeren Geschäft, zum Essen, die edle Zeit nicht zu verlieren.

43.

Desto lebendiger war meine Unterhaltung mit der kleinen Klotilde; ich hatte mir eingebildet, ein recht gewandtes französisch sprechen zu können, aber alle Augenblicke verbesserte sie, bald meine Aussprache, bald an der Wahl meiner Ausdrücke, an der Wortfügung und dergl.; sie machte das nicht im hofmeisternden Tone ab, und noch weniger lachte sie dazu, sondern sie sprach ungefähr in der freundlichen Weise darüber, wie man mit einem kleinen Kinde spricht, das gern plaudern will, und sich mit der Redekunst noch nicht recht befassen kann; aber wenn sie selbst in das Schwatzen kam, und dem geläufigen Züngelchen den Zügel schießen ließ, so mußte ich mit der angestrengtesten Aufmerksamkeit aufpassen, und dennoch ging mir immer ein Drittel von dem, was sie sprach, verloren. War es die Richtigkeit, die Bestimmtheit, die Nettigkeit, mit der sie ihre feinen Bemerkungen, ihre Witzspiele, ihre Scherze hinwarf, oder waren es die frischen Lippen, die blendend weißen, kleinen Zähne, das unbeschreiblich süße Lächeln des sehr schön geschnittenen Rosenmündchens, der Wohllaut ihrer Silberstimme, und das lebendige Zuspiel der beredten dunkelblauen Augen, – ich hätte bis tief in die Mitternacht hier sitzen und ihr zuhören mögen. Als der alte Herr, den sie bei allem ungebundenen Plaudern doch immer im Auge behielt, einmal nach dem Büffet ging und uns den Rücken kehrte, lispelte sie mir rasch zu: essen Sie mehr, sonst wird er böse.

Gott, wenn man dem guten Mann damit einen Gefallen thun kann, dachte ich, so soll es mir nicht schwer fallen, mir sein Wohlwollen zu gewinnen, und ich aß nun mit Wenzel um die Wette; auch Plaudermäulchen, die niedliche Klotilde langte zu, als wolle sie sich in des alten Herrn Gunst einessen und so machten wir von nun an alle Schüsseln leer, daß man hätte glauben sollen, es säße eine recht ausgehungerte Einquartierung am Tische. Aber das ist wahr, der Graf sah jetzt viel freundlicher, weit heiterer aus, als vorher.

Der erhaltenen Order gemäß, wollte ich Wenzeln wacker einschenken, allein der brave Mensch ließ mich dazu nicht kommen; er besorgte dieß Geschäft selbst, und zwar mit einer Aufmerksamkeit, die mich in Staunen setzte, denn alle Augenblicke gab er dem Grafen eine leere Flasche über die Achsel zurück. Vermuthlich hatte der gute Wenzel in Absicht meiner einen ähnlichen Auftrag bekommen, denn er nöthigte entsetzlich, frischte immer an, meinte, daß ich mit ihm gleichen Strang ziehen, d. h. so viel trinken müsse, als er und hatte dergleichen niedliche Späßchen mehr; auch Klotilde schien es darauf anlegen zu wollen, mir einen Haarbeutel einzubinden, denn sie schenkte mir jetzt einen köstlichen Burgunder selbst ein, und als ich das zweite Glas dieses Feuerweins verbat, legte sie in die Frage, ob ich denn ihrem Landsmann, dem Romanée hier, gar keinen Geschmack abgewinnen könne, eine so stillschweigende Aufforderung, mir, aus bloßer Achtung vor der Landsmannschaft, einen Habemus zu trinken, daß ich nun schon nicht umhin konnte, der reizenden Hebe Glas und Kopf Preis zu geben. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich zugleich, daß Klotilde eine Burgunderinn war. Bekannt mit der Urgeschichte ihres vaterländischen Departements, erwähnte sie mit einer Art von Stolz, in dem aber eigentlich die feinste Artigkeit für uns Alle hier liegen sollte, daß sie, wie sämmtliche Burgunder, ursprünglich von jenen Deutschen abstamme, die in der heutigen Neumark und dem südlichen Theile von Westpreußen, zwischen der Oder und Weichsel gewohnt hätten, und daß sie daher sich noch halb und halb zu den Deutschen zähle.

Ich entgegnete ihr zwar, daß das keine Deutsche, sondern Vandalen gewesen wären, die, von der damaligen deutschen Gewohnheit ganz abweichend, in Burgen gewohnt, mit andern germanischen Völkern aber im fünften Jahrhunderte in Gallien eingefallen, sich im jetzigen Burgund niedergelassen und von gedachten Burgen, dem Lande wahrscheinlich den noch heute geltenden Namen Burgund gegeben hätten, allein sie ließ sich, ächt französisch, auf dergleichen gelehrte Spitzfindigkeiten, wie sie meine Auseinandersetzung nannte, nicht ein, meinte, Deutsche und Vandalen wären einerlei, und in ihrem Lande müsse man besser wissen, wo man hergekommen sey als hier, und schloß mit der Bemerkung, daß sie, für die Zukunft bestimmt hier zu leben, deutsch lernen müsse, daß sie dazu sehr große Lust habe, daß sie, als eigentlich deutscher Abkömmling, glaube, damit bald fertig zu werden, und daß ich ihr darin den erforderlichen Unterricht gehen solle. Sie fing gleich ihre Lektion an, und ich mußte ihr Brot, Salz und Hecht deutsch nennen; allein an ihrem Brutt, Saahls und Echt, merkte man, daß sie von ihren Stamm-Eltern, den Vandalen, keine deutsche Zunge geerbt hatte, denn sie zerquälte sich zwar möglichst, und gab sich alle ersinnliche Mühe, aber, und wenn sie auch, um das o in Brot herauszubringen, den kleinen Purpurmund bis zu einem förmlichen Karpfenschnäutzchen verunstaltete, der hervorgebrachte Laut klang immer wie Brutt. Das Salz, ungeachtet ich es ihr zehnmahl vorsagte, dehnte sich ellenlang und mit dem armen Hechte konnte sie platterdings nicht fertig werden. Sie machte, über sich selbst lachend, ein wunderhübsches Fitznäschen, hauchte dann aus der vollen Brust heraus, als wolle sie eine Windmühle in Bewegung setzen, und immer kam Echt, statt Hecht heraus. Wenzel knüpfte sich einen Knoten in die Serviette, und biß darauf, weil er vor Lachen sich fast nicht länger zu halten vermochte, Klotilde aber, wieder ächt französisch, war sehr zufrieden mit sich, und meinte, daß sie recht viel Anlage zu der Sprache habe, daß letztere zwar etwas schwer zu seyn scheine, daß sie aber binnen sechs Monaten sich Jedem hier vollkommen verständlich machen wolle.

44.

Nach aufgehobener Tafel trat der Graf wieder in die Rolle des Herrn und nun ging Wenzels Probemarsch an. Wir spazirten, der Graf die zarte Klotilde am Arm, bis an das Ende des Gartens; Wenzel, ein bis an den Rand gefülltes Glas Wasser auf einem glatten Porzellainteller in der Hand, hinter uns drein. Er überstand sein Meisterstück glücklich, kein Tropfen war übergelaufen, und der Graf trank in dem Wasser Wenzels Gesundheit, schenkte ihm einen Doppel-Louisd'or, ernannte ihn auf der Stelle zu seinem Lackay, und übertrug ihm zugleich die künftige Aufwartung bei meiner werthen Person.

Als wir in das Schloß zurückkamen, standen in dem einen Zimmer zwei köstliche Flügel, ein Wiener von Katholnik, und ein Pariser von Erard dicht neben einander, und der Graf ersuchte Klotilden und mich, ihm etwas vorzuspielen. Letztere holte aus dem vorfindlichen Musikalienvorrathe eine der schwersten Doppelsonaten von Dussek heraus, erzählte, während wir uns setzten, und ich einige leise Anfälle von Manschettenfieber in mir verspürte, daß der Komponist ein geborner Böhme, mehrere Jahre in Berlin, im Hause des Prinzen Ludwig von Preußen gelebt, dann beim Fürsten Isenburg als Kapellmeister gestanden, und zuletzt in Paris, wo sie von ihm noch als Kind den ersten Untericht genossen, die kleine Kapelle des Fürsten von Benevent geleitet habe, und that jetzt auf ihrem volltönigen Instrumente ein Paar Griffe, die durch Leichtigkeit und Geschmack die gelehrige Schülerin des großen Meisters sattsam verriethen.

Zum Glück war mir die Sonate, die unterrichtete Klavierspieler just nicht zu den Anfangsaufgaben rechnen werden, nicht ganz fremd; ich faßte Muth, und die Sache ging viel besser als ich dachte; die Kleine rief, wenn ich eine recht schwierige Passage ohne Anstoß durchführte, mir ein aufmunterndes Bravo über das andere zu, und ich gewann, durch ihren gemüthvollen Vortrag noch mehr befeuert, es über mich, nicht allein fertig, sondern auch ihr möglich gleich, mit Geist und Seele zu spielen. Der Graf, der, wahrscheinlich um meine anfängliche Verlegenheit zu mindern, bis jetzt hinter uns im Fenster stand, trat näher, stellte sich uns gegenüber, und in seinem immer freundlicher werdenden Gesichte war deutlich zu sehen, daß ihm die Sache nicht übel gefalle. Die Brust ward mir jetzt freier und ich nahm mir das Herz, die Eilige, die mit ihrem Burgunderblute immer rascher und rascher fortstürmte, und der ich bis dahin aus blöder Artigkeit fügsam nachgegeben hatte, im Takte fest zu halten; der Graf, der Musikkenner seyn mußte, merkte dieß bald, und nickte mir beifällig zu, und als wir geendet hatten, beehrte er uns Beide mit dem lautesten Beifall; Klotilde aber klatschte in die kleinen Hände, und versicherte dem Grafen, daß ihr hier nun die Zeit nicht mehr werde lang werden.

45.

Du singst ja auch, sagte der alte Herr, und mich überfiel eine neue Angst, denn das holde Kind kramte von Neuem unter den Noten, und brachte das Duett aus dem zweiten Akt der Vestalin zum Vorschein.

Der Zufall wollte mir wohl, ich hatte das Duett mehr denn fünfzigmal gesungen, und konnte es daher so gut als auswendig; um mir aber bei meinen Leutchen, die mich für das erste Mal denn doch auch fast ein wenig zu sehr in das Gebet nahmen, denn nöthigen Respect zu verschaffen, entgegnete ich auf Klotildens Frage, ob ich dieß Duett kenne, mit scheinbarer Befangenheit, daß ich es wohl einigemal in der Oper gehört, es aber selbst noch nicht gesungen habe. Da geht es auch nicht, erwiederte Klotilde, und wollte andere leichtere Singsachen von Martin, Mehul, oder Isouard suchen; indessen der Graf meinte, es komme auf einen Versuch an, wir könnten ja immer aufhören, wenn wir umwürfen, und so setzte ich mich an das Klavier, und wir begannen. Was hatte das Mädchen für eine wunderherrliche glockenreine Bruststimme! was für eine himmlische Manier im Gesange, was für eine Kraft und welchen Umfang! Der alte Graf verlor alle Haltung; er staunte sie minutenlang an, und nahm sie, mitten im Duett, als sie in die süßesten Flötentöne ihre ganze Seele aushauchte, beim Kopf, und küßte sie im Uebermaaß seines Entzückens vor meinen Augen so herzhaft ab, daß mir alle Laute in der Kehle erstarben. Fortgerissen vom Zauber dieses Engelwesens, that auch ich, was ich vermochte, und so konnte ich, als wir fertig waren, und der Graf mir seine Verwunderung darüber zu erkennen gab, daß ich ein so schweres Duett a prima vista so wacker sänge, mit aller Ehrlichkeit betheuren, daß ich in meinem Leben nie so gesungen habe, daß aber meine heutige Leistung rein das Werk der Begeisterung sey, in die Klotildens mir gewiß ewig unvergeßlicher Seraph-Gesang mich versetzt habe.

Klotilde sah mich ganz sonderbar von der Seite an, als ob sie sagen wollte, daß ich da in Gegenwart des alten Herrn wohl ein wenig zu viel sage; dieser aber ging, höchlich zufrieden und vergnügt, in das Nebenzimmer, und schien etwas holen zu wollen; wahrscheinlich ein Violinkonzert, sammt Geige, denn es war ja einmal Doctorexamen.

46.

Klotilde suchte unterdessen wieder in den Singsachen, trudelte den Anfang der hervorgeholten Piecen und legte sie dann immer wieder weg, vermuthlich weil sie ihr nicht gefielen, oder zu leicht waren. Zufällig stieß sie, in den vielfältig angefangenen Texten, auf das Wort aimer, und fragte, wie das auf deutsch heiße; sie wiederholte die ihr gegebene Uebersetzung mehrere Male, und meinte, daß das Wort im Deutschen viel zarter, weicher klinge, als im Französischen; ich mußte ihr das Präsens vorconjugiren; und sie sprach es gelehrig nach, nur hing sie, ich mochte predigen, so viel ich wollte, das n allemal hinten an, und meinte, es klänge ihr so besser. Ich lieben, wiederholte sie vor sich, und lächelte über den Wohllaut dieses Wortes: Du lieben, fuhr sie fort, und setzte mir einem sonderbaren Seitenblick auf mich hinzu, Er lieben. Sie fing wieder von vorn an: Ich lieben, und sagte dieß so ungefähr in der Manier, als wenn ein deutsches Mädchen recht herzlich sagen würde, ich bin Dir gut. Das Er lieben aber sprach sie jetzt aus, als hätte sie das Feuer gesehen, das mir in der Brust loderte und über dem Kopf zusammen zu schlagen drohte; wären mir nicht der Ort, der Graf und der Schneider eingefallen, ich hätte mich zu Klotildens Füßen geworfen, und ihr die Gluth der Leidenschaft gestanden, in der vom ersten Augenblicke, da ich das Mädchen sah, mein Herz fast verschmolz. Mich vergessend zog ich ihre kleine Hand an meine bebenden Lippen, lispelte leise, ihren Sprachfehler verbessernd, Er liebt und mußte von ihr wenigstens halb verstanden worden seyn, denn das Mädchen erglühte in holder Verwirrung, und ihre Minnesterne warfen mir einen in himmelreiner Azurbläue freundlich aufflammenden Blick zu, in welchem ich, als ihm der meinige begegnete, fast das süße Wort, wir lieben, zu lesen vermeinte.

47.

Der Graf trat ein.

Zum Glück hatte er die Augen auf ein Papier, das er in der Hand hielt, gerichtet, sonst hätte er sehen müssen, wie heftig ich erschrocken war; ich phantasirte mit der Rechten – denn in der Linken hatte ja eben ihre Lilienhand geruht, mit dieser hätte ich jetzt um keinen Preis etwas anrühren können – auf meinem Katholnik herum; sie fingerte auch ein bischen verlegen auf ihrem Erard, faßte sich jedoch – wie in der Regel die Mädchen und Frauen in solchen Fällen fast immer – weit schneller, lief dem Grafen entgegen, und plapperte wie ein Staarmätzchen ihre eben erlernten Herrlichkeiten: ich lieben, du lieben, er lieben, ihm lachend vor; dieser aber wendete sich zu mir, und sagte mit sehr verbindlichen Wendungen, daß er hoffe, in mir den Mann gefunden zu haben, den er suche: daß ich, außer dem Schreibe und Kassengeschäft, was er mir hiermit übertrage, ihn verpflichten würde, wenn ich täglich mit Klotilden einige Musikübungen halte, und ihr in der deutschen Sprache gründlichen Unterricht ertheile, und daß er mir dagegen für diesen vierfachen Posten, außer völlig freier Station, einen Bedienten und zwei Reitpferden, tausend Thaler jährlich bestimme. Er gab mir hierüber eine schriftliche Zusicherung, händigte mir zugleich ein Paar Zeilen an Herrn Knipps ein, in welchen er diesen ersuchte, mich in acht Tagen meiner Stelle zu entlassen, und bemerkte daß der Wagen bereit stehe, um mich nach Käferlingen zurückzubringen.

Menschen, denen es immer gut gegangen ist, und die daher von dem drückendsten Peiniger, von der Nahrungssorge nichts wissen, können die Freude nicht ermessen, die mich bei dieser wahrhaft hochgräflichen Eröffnung überströmte. Ich hatte für das Gefühl meines Dankes keine Worte; ich küßte dem alten Herrn, wie das Kind dem Vater, die Hand, und wiederholte ihm das Gelöbniß der Dauer meiner Diensttreue, bis an mein Lebensende, und an dem fröhlichen theilnehmenden Gesichtchen, was Klotilde machte, als sie vom Grafen hörte, daß mein Hierbleiben nun fest begründet sey, konnte ich abnehmen, daß ihr letzteres nicht unlieb war.

Der Graf und Klotilde begleiteten mich bis zum Wagen, und im Einsteigen drückte mir ersterer, mit den heimlichen Worten: zur ersten Einrichtung, zehn Dukaten in die Hand. Vier rasche Rappen zogen an, und im gestreckten Trabe flog ich in meinem zurückgeschlagenen niedlichen Wagen, meinen neugebackenen Lackey Wenzel vor mir auf dem Bocke, zum Hofe hinaus.

48.

Kein Prinz der Erde konnte in diesem Augenblicke glücklicher seyn, als ich. Vor wenigen Stunden noch der preßhafteste Märtyrer einer unerschwinglichen Schneiderrechnung, und jetzt ein Krösus; auf meinem Hergange rings um mich nichts als Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, und nun, eine lachende Zukunft vor mir, in deren fernen Hintergrunde meine frevelnde Phantasie gern schon die reizende Klotilde stellte. Sah ich recht, so brachte mir das kaum erkennbare Nebelbild der Angebeteten, die Blumenkrone meines Lebensglückes dar. Aber so, so ist der Mensch! Das Glück reicht ihm kaum den Finger, so will er gleich die ganze Hand; noch kenne ich im unersättlichen Geschlecht keinen, den Fortuna ganz zufrieden gestellt hätte.

Mein Posten war mir jetzt fast Nebensache; Klotilde beschäftigte mein Herz mehr, als Alles. Wer sie eigentlich sey, wie sie hierher kam, was sie hier zu thun habe, was ging das Alles mich an! Sie war engelschön, wohl unterrichtet, fröhlichen Sinnes, herzensgut, und mir nicht gram; mehr brauchte ich nicht zu wissen. Der alte Herr hatte einen weißen Kopf und ich war vier und zwanzig Jahre alt; also sah ich sein freundliches Wesen zu dem zauberischen Mädchen, und dessen kindliches Anschmiegen an den alten Herrn, mit aller Ruhe an, und dachte, daß sich das Übrige schon von selbst finden werde; meine einzige Besorgniß, denn ganz ungetrübt kann der Mensch keine Freude genießen, war jetzt nur, daß ich heute Abend zu spät in Käferlingen eintreffen und die Leute mich daher in meiner prächtigen Equipage nicht mehr sehen würden. Doch die vier Rappen hielten in ihrem Vogelfluge aus, und noch stand die Sonne am Himmel, als ich zu den Barrieren der guten Stadt Käferlingen hineingeras't kam. Die vier schaumbedeckten stolzen Pferde lang gespannt, das glänzende Geschirr, die reich galonirte Livree des Kutschers und meines Wenzels, das geschmackvolle blizzende Wägelchen – alle Fenster flogen auf, alle Menschen blieben auf der Straße stehen, und starrten den jungen Herrn geheimen Secretair, der sich selbstgefällig auf den Marokinkissen hin und her schaukeln ließ, mit offenem Munde an; hunderte zogen vor der Eleganz der Equipage, denn mich selbst kannte keiner, ehrerbietig den Hut. – Eine halbe Tonne Goldes hätte man mir für diesen Augenblick bieten können, ich hätte sie für diesen ersten Ersatz meiner bisherigen lebenslänglichen Entbehrung nicht genommen. Um das Maß meiner Genugthuung voll zu machen, lagen Herr und Madame Knipps sammt dem geviertelten Gundelchen und dem Bräutigam, als ich vor das Haus gebraus't kam, in den Fenstern. Wenzel schoß wie ein Pfeil vom Bocke, öffnete mir die Wagenthür, schlug die Tritte aus einander, war mir beim Aussteigen behilflich, und fragte sehr laut und ehrerbietig, ob der Herr geheime Secretair noch etwas zu befehlen hätten. Ich trug ihm eben so laut und vernehmlich blos auf, dem Herrn Grafen meinen Respect zu versichern, und Demoiselle Dumesnil mich beßtens zu empfehlen, drückte ihm und dem Kutscher, jedem einen blanken Thaler in die Hand und schlüpfte in die Thür unseres Hauses.

49.

Auf dem ganzen Rückwege hatte ich mir schon ausgesonnen, wie ich dem Herrn Knipps und der werthen Familie die Geschichte meines heutigen Glücktages erzählen wollte; ich gedachte dabei, mich ein bischen auf das große Pferd zu setzen, und sie fühlen zu lassen, daß ich zu etwas besserem bestimmt sey, als wozu sie mich hatten herabwürdigen wollen. Auf der Treppe aber – Gott weiß, wie das kam – fiel mir meiner seligen frommen Mutter mir oft gelehrter sanfter Denkspruch ein: im Unglücke Stolz, im Glücke Demuth.

Ich entschuldigte mich zuvörderst bei Herrn Knipps, daß ich, ohne seine Urlaubbewilligung abzuwarten, heute früh ausgegangen wäre, und rückte dann mit der schriftlichen Amtszusicherung des Grafen Dingelheim ihm unter die Augen.

Freie Station? Tausend Thaler, schrie er, und leis noch einmal: wer hat Sie empfohlen? wer hat sie dahin recommandirt? habe zehn gehabt, die auf die Stelle lauerten; haben mir Gold über Gold geboten! Wie sind Sie da hinaus gekommen? Herr, wissen Sie, daß Sie sich in allen Ehren, auf der Stelle noch ihre zwei, dreitausend Thälerchen nebenbei machen können?

Wenn ich in allen Ehren ein Schurke seyn will, entgegnete ich, ganz ruhig: vielleicht; ich für meine Person bin mit dem, was mir der Graf giebt, vollkommen zufrieden.

Komische, neumodische Ansichten, entgegnete Knipps lächelnd: wissen Sie nicht, wie Friedrich der Große einen Kriegs-Kommissair nannte, der in bitterer Armuth verstarb, und dessen Wittwe und Waisen den König um eine Pension ansprachen? Einen Esel nannten ihn Se. Majestät, den Allerhöchstdieselben an die Krippe gebunden, und der sich nicht satt gefressen habe.

Ein so albernes, ein so grausames Witzwort hat der große König nie gesagt; gewissenlose Beamte haben ihm das zur Beschönigung ihrer Ehrlosigkeit nur in den Mund gelegt! erwiederte ich im bittern Groll über die Schlechtigkeit des Gauners, und eilte zu meinem Freund Stremler, und zu meinem ehrlichen Heftlinger, um ihnen mein Glück zu verkünden, denn diesen beiden hatte ich ja doch die erste Begründung desselben zu danken.

50.

Der alte Schneidermeister betheuerte, daß, und wenn der Graf ihn selbst zu seinem geheimen Secretair machte, er nicht mehr Freude darüber haben könnte, als über mein Glück, nahm die Abschlagzahlung, die ich ihm aus meinem Ducaten-Vorrathe reichte, dankbarlich an, bat, mich mit Abtragung des Restes nicht zu übereilen, und wiederholte, unter nochmaliger Hindeutung auf den jährlichen Vigogne-Frack, mehr denn zehnmal das Gesuch, ihm die Kundschaft des hochgräflichen Hauses nunmehr auch wieder zu verschaffen.

Stremler aber nannte meinen Schritt einen dummen Streich. Die Großen, hob er, für meine Zukunft besorgt theilnehmend an: sind, wie der fromme Emir Hiob zu Damaskus schon vor 3000 Jahren gesagt hat, nicht immer die Weisesten; der Graf ist ein jähzorniger Mensch, voll unerträglicher Launen, keiner kann länger als ein Paar Monate bei ihm aushalten; er bezahlt fürstlich, aber dafür verlangt er auch tyrannisch; das Alter hat ihn, wie man meint, in der letztern Zeit etwas mürber und ruhiger gemacht, allein ohne Ohrfeigen, Fußtritte und Peitschenhiebe ist bis jetzt noch keiner seiner Secretaire von ihm gekommen. Einen Hauptpunkt zum baldigen Scheitern meines Glücks fand Stremler in der kleinen frisch angekommenen Französin. Er steckte mir mit seiner Weltkenntniß über das Verhältniß dieses, übrigens von ihm nicht gekannten Mädchens zum Grafen, das gehörige Licht auf, und bat mich um Gotteswillen, in meinem Benehmen gegen das Burgunder Kind auf meiner Hut zu seyn; in diesem Punkte sey der Graf ganz verdammt kitzlich, und man erzähle sich ein Beispiel, daß dieser vor einigen Jahren einen meiner vielen Vorgänger, der sich in das Kabinet einer jungen, damals in den nämlichen Verhältnissen zu Buchenhayn lebenden Circasserin verirrte, auf dem Flecke erstochen, und nachher einen unschuldigen Blutsturz vorgegeben habe, an dem der junge Mensch plötzlich verstorben sey. Der Graf traue keiner Seele, er halte sich immer für hintergangen und betrogen, und darum sey dessen einzige und beständige Lieblingbeschäftigung, den Leuten aufzupassen, sie auf die Probe zu stellen, und auf allen Schritten und Tritten zu bewachen. Durch besondere Vorrichtungen in seinem ganzen Schlosse, könne er unbemerkt in alle Zimmer sehen und die darin geführten leisesten Gespräche hören, und damit ihm nichts entgehe, habe er unter seiner Umgebung ein complettes Spionensystem organisirt. Einer gebe auf den Andern Acht; Einer behorche und belausche den Andern, und sobald Einer irgend etwas in seiner Art von Bedeutung bemerke, sey er gehalten, dem Grafen unmittelbar sofort Anzeige zu machen; darum erfahre und wisse der Graf die geringste Kleinigkeit in seinem Hause und darum rathe er mir, da ich nun einmal die Stelle angenommen habe, und jetzt nicht wohl zurücktreten könne, beständige Aufmerksamkeit auf mich, besonders in meinem Umgange mit dem Mädchen; so viel er den Grafen kenne, werde dieser mich bestimmt, besonders im Anfange, mit seiner Burgunderin viel allein lassen, um sie und mich zu prüfen; ich solle ja nicht glauben, daß ich da unbeobachtet sey; denn alle Wände hätten dort Ohren, in allen Thüren wären Ritzen oder kleine Löcher, und bei der allerersten, an sich noch so unschuldigen Vertraulichkeit, die zwischen uns beiden vorfiele, sähe er schon in Gedanken den Grafen, bei derlei Gelegenheiten gewöhnlich mit einem stattlichen Ochsenziemer versehen, aus einer vorher nie bemerkten Tapetenthür treten und dann unmenschlich strenges Gericht halten über die Ertappten.

51.

In den Erwartungen von meinem neuen Wonneleben, durch Stremlers, des Weltkundigen Ansichten, sehr herabgestimmt, schlich ich nach Hause, und Gundelchen rief mich zum Abendbrot. Der unausstehliche Herr Jäkel war nicht da; wir speis'ten ganz allein, aber wider Gewohnheit, vortrefflich, und Papa und Mama waren auch, wider Gewohnheit, gegen mich die Artigkeit, die Freundlichkeit selbst. In der Liebe war ich zwar noch schrecklich unerfahren, aber wenn ich in Gundelchens Augen sah, las ich immer, ich möchte Dich viel lieber, als den neuen Viertelsmeister Jäkel. Hätte Gundelchen gestern Abend mich so angesehen, mit dem verlangenden, schmachtenden Blicke; ich glaube, ich wäre vor Seligkeit unter den Tisch geflossen. Heute aber, – meine kleine Diana mit den Burgunderröschen auf den Wangen und den Lilien auf Hals und Busen, und den Kornblumen in den Augen; neben der hielt die Knippsgundel doch platterdings keinen Vergleich aus; die hundert tausend Thaler klangen mir jetzt wie Blei; was war mir das viele Gold nöthig, ich hatte ja, was ich brauchte, ich hatte ja viel mehr, auch ohne einen rothen Kreuzer war mir meine niedliche Klotilde Dumesnil hunderttausendmal lieber als Kunigunde Knipps.

Nach aufgehobener Tafel entfernte sich Gundel auf einen Wink der Mutter, und diese fing dann von weitem über die Nothwendigkeit meiner nunmehr baldigen Verheiratung, in ihrer Manier recht witzig an zu scherzen; auch der Vater mischte sich in das Gespräch, und meinte, daß er ein recht gutes Kind wisse, das nicht ganz blos sey, und für mich, wie zur Frau geschaffen wäre; das Mädchen sey zwar mit einem Anderen so gut wie versprochen, indessen ihn koste es nur ein Wort, und jene Parthie sey annullirt. Das hieß den mit andern Worten so viel, als Du hast, wenn Du meinen guten Rath befolgst, zehnmal mehr Einnahme, als Jäkel, folglich wollen wir Dir unsere Gundel lieber geben, als diesem; sprich ein Wort, und sie ist mit ihren dereinstigen 100,000 Rthlr. dein.

Ich sprach aber das Wort nicht, denn das holde Kind aus dem Departement der Côte d'or stak mir im Kopfe, sondern that, als sehe ich das Ganze nur für einen gewöhnlichen Scherz an, wich jeder näheren Erklärung darauf aus, und meinte hingeworfener Weise, daß ich zum Heirathen noch viel zu jung sey, daß ich aber, wenn mir je dazu die Lust ankommen sollte, mich, wegen dießfälliger Vorschläge, an niemand mit mehrerem Vertrauen würde wenden können, als an Herrn und Madame Knipps, und zog auf diese Manier den Kopf aus der Schlinge, ohne sie böse zu machen.


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