H. Clauren
Das Dijon-Röschen / 1
H. Clauren

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24.

Ich schloß im Uebermaße der Freude den theilnehmenden Mann in meine Arme, und dankte ihm mit dem gerührtesten Herzen. Auf einmal aber fiel mir etwas ein, und mitten aus meinem Himmel gestürzt rief ich schmerzlich aus: ich kann nicht Freund, ich kann nicht; die Stelle ist mir verloren!

Na, was ist denn das wieder? fragte Stremler, halb lachend, halb ernst.

Ich stockte.

Heraus mit der Sprache Menschenkind, sagte Stremler ermuthigend: Was können Sie nicht? warum sehen Sie die Stelle für verloren an?

Es war mir nicht möglich zu antworten.

Haben Sie zu Ihrem Freunde so wenig Vertrauen? sagte Stremler verweisend.

Ich tippte vor Verlegenheit, ihm meine Armuth gestehen zu sollen und in der ängstlichen Besorgniß, dem redlichen Menschen, der es so gut mit mir meinte, mir abwendig zu machen, schweigend auf meine Beinkleider.

Da seh ich nichts, versetzte Stremler, dessen Blick meiner verzweiflungvollen Pantomine gefolgt war. So sprechen Sie doch rein heraus.

Sie erwähnten, hob ich endlich mit gepreßter Stimme an: daß ich den Mitgliedern des Raths meine persönliche Aufwartung machen solle; das wollte ich auch recht gern, allein meine Garderobe. –

Da sitzt der Knoten? rief lachend Freund Stremler: nun warten Sie, das läßt sich machen. Elegant, möglichst elegant müssen Sie auftreten, das ist unerläßlich; die Art Menschen sieht auf das Äußere; es schmeichelt sie, einen schmucken Mann aus der feinen Welt in ihr Raths-Gremium einzuführen. Fast alle Rathsmitglieder ohne Ausnahme haben, zwei und mancher gar fünf, sechs herangewachsene heirathbare Töchter. Gefallen sie der Mutter, so giebt der Mann Ihnen seine Stimme ohne Bedenken. Herr, die Welt ist nun einmal nicht anders; also mit dem Strome geschwommen, ist am besten. Sie sind ein junger netter, wohlgemachter Mann, es müßte ja mit Kräutern zugehen, wenn Sie durchfielen. Wie aus dem Ei geschält, müssen Sie morgen auftreten. Mein Schneider, Herr Heftlinger, metamorphosirt Sie mit seinen acht Gesellen, bis morgen früh eilf Uhr, zum zierlichsten Adon; und wegen der Bezahlung will ich schon mit ihm sprechen; sein Schwiegersohn ist der Rathskellerpachter, dem kann der künftige Herr Viertelsmeister auch einmal wieder einen Gefallen thun. Kommen Sie nur gleich mit, denn wenn der Mann zu rechter Zeit fertig werden soll, ist keine Minute zu versäumen.

25.

Wir stürmten fort zu Herrn Heftlinger. Freund Stremler setzte ihn, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, vom Zusammenhange der Sache, so viel ihm zu wissen nöthig, in Kenntniß, empfahl ihm, vom feinsten und besten jeder Gattung zu nehmen, prägte ihm ein, den Schnitt nach der allerneuesten Mode zu wählen, nahm ihm sein Schneiderwort ab, daß Alles morgen früh zehn Uhr fertig seyn müsse, und wollte ihn jetzt wegen der Bezahlung vertrösten. Herr Heftlinger aber bat, über diesen Punkt gänzlich zu schweigen; er habe, meinte er, die Ehre in mir den künftigen Herrn Protector seines Schwiegersohns, des Rathskeller-Wirths zu sehen, und da wisse er wohl, was er dem künftigen Glücke des letztern schuldig sey.

So wohl mir auch die ersten Huldigungen, die aus dem Munde des höflichen Kleidermachers der mir bevorstehenden Würde dargebracht wurden, an sich thaten; so war mir immer, wenn mir der Mann beim Maßnehmen mit seinem Papierstreifen zu nahe kam, als würde ich, wegen der Schuld, in die ich mich jetzt auf gut Glück stürzen mußte, dereinst einmal in Ketten und Banden gelegt werden.

Ich hatte dreimal gebeten, Tuch und Kasimir von einer mittleren Sorte zu nehmen; allein Stremler, vom Schneider unterstützt, drang auf das Beste; dieß halte am längsten, stehe in Kostüm und Farbe am festesten, und Hinsicht des Macherlohns betrage der Unterschied keinen Groschen.

Des Schneiders Rechnung mußte, nach diesem Zuschnitt, weit über hundert Thaler betragen; der schwärzeste Abgrund, that sich vor meinen Augen auf, wenn ich, bisher noch im ganz ärmlichen Leben völlig schuldenfrei geblieben, an diesen Sprung dachte, und fühlte, wie die große Möglichkeit, daß ich die Stelle nicht bekam, und dann vielleicht fünf, sechs Jahre lang in Herrn Hefterlingers Händen blieb, sich über mir wie eine Verderben bringende Wetterwolke zusammenthürmte.

26.

Von hier mußte ich gleich mit in Stremlers Wohnung, und dort meine Eingabe aufsetzen. In eigenen Angelegenheiten, meinte dieser, schriebe man immer nicht so unbefangen, als in gewöhnlichen, das Interresse Anderer betreffenden Dienstsachen. Er empfahl mir, in der Abfassung meiner Vorstellung nicht zu demüthig zu seyn, mich aber auch nicht zu sehr auf das hohe Pferd zu setzen, denn der Rath bestehe hier fast größtentheils aus sehr achtbaren Mitgliedern, die wohl im Stande wären, mich aus meinem Machwerke zu beurtheilen.

Ich concipirte, während er auf seinem Flügel spielte, meinen Aufsatz, gab ihm selbigen zur Durchsicht, ließ mir einige kleine Abänderungen darin gern gefallen, mundirte ihn selbst, und Stremlers Dienstmädchen trug das Anstellunggesuch, mit meinem Segen, und von Stremler, im Scherz mit drei Kreuzen begleitet, zum amtführenden Bürgermeister.

Endlich erinnerte mich Freund Stremler, heute noch, wegen des empfehlenden Zeugnisses, wenn solches vom Magistrate werde gefordert werden, mit Herrn Knipps zu sprechen, und ihn zugleich um Verschweigung der Sache gegen Jedermann zu ersuchen, damit nicht vor der Zeit davon gesprochen, und vielleicht von irgend einer Seite ein Querstrich durch unsere Rechnung gemacht werde.

27.

Als ich in unsere Straße bog, kam eben Gundelchen mit dem Vater gefahren, ich zog den Hut; beide grüßten recht freundlich; ich beeilte meine Schritte, um zu gleicher Zeit mit ihnen am Hause einzutreffen und Gundelchen aus dem Wagen heben zu können.

Es flog mir zwar so im Fluge die Idee durch die Seele, daß das Mädchen vielleicht in Kurzem eine kleine Frau Viertelsmeisterin seyn könnte, und daß solches ihr gar nicht übel stehen würde; allein ganz reif ward der Gedanke nicht, den der Lohnkutscher rief Brr, und ich öffnete, fast ohne Athem, die Thür des Wagens.

Papa schien meine Aufmerksamkeit sehr hoch aufzunehmen; er sprach, während er krächzend und langsam herauskrebste, von sich unnöthiger Weise incommodiren, von sehr geneigter Attention und dergleichen, und freute sich, an allen Fenstern der Nachbarschaft Leute zu bemerken, die es mit angesehen hatten, wie der junge Herr Amanuensis dem Herrn Prinzipal, dienender Weise, unter die Arme griff.

Gundelchen war viel leichter und behender; sie schwebte, auf meinen Arm gestützt, recht zierlich aus dem Wagen herab, drückte mir, für meine Hülfe dankbar die Hand, und lispelte heimlich lachend, aber mit sichtbar freundlicher Theilnahme: Guten Abend, mein lieber Herr Viertelsmeister.

28.

Im Teylerschen Museum zu Harlem befindet sich die berühmte Electrisirmaschine von Cuthbertson, die größte vielleicht in der Welt. Ein Schlag ihrer, aus 230 Flaschen bestehenden Batterie zerspaltet Eichbäume, schlimmer, als hätte der Blitz solche getroffen.

Genau so, als wäre Herr Cuthbertson mit seiner ganzen Batterie in alle meine Gebeine gefahren, war mir zu Muthe, als Gundelchen des Viertelsmeisters gedachte. Woher, rief ich, sie auf der Treppe ereilend, leise: sagen Sie um Gottes willen, woher wissen Sie, daß ich mich viertheilen lassen will?

Der hat es mir gesagt, entgegnete sie lachend, und tippte auf den kleinen Zeigefinger ihrer Linken, der weiß Alles; mit diesem alten verbrauchten Spase schlüpfte sie in das Zimmer der Mutter, und ich zerbrach mir den Kopf, wie es möglich sey, daß mein Geheimniß schon halb stadtkundig hatte werden können.

29.

Halt! – Daß der Weinlich gestorben, hatte Papa Knips gewiß eben so gut erfahren als Freund Stremler. Papachen war mit Kunigunden ausgefahren. Letztere hatte gemeint, daß es eine Stelle für mich sey, und Papa hatte ihr versprechen müssen, sich meinetwegen beim Rathe zu verwenden. So hing die Sache zusammen, und ich konnte jetzt nichts besseres thun, als gleich zu Herrn Knipps zu gehen, und ihn, ohne mir merken zu lassen, daß zwischen ihm und Gundelchen die Sache schon verhandelt war, von meinem bereits abgegebenen Anstellgesuche, unter höflicher Bitte um sein Fürwort, in Kenntniß zu setzen. Weiß schon Alles, sagte Herr Knipps wohlwollend, und sah wahrscheinlich auch schon, in der Ferne, seine Gundel als Frau Viertelsmeisterin an meiner Seite: bei unserer Heimfahrt traten wir zufällig einen Augenblick bei Bürgermeisters ab; da kam ihr Schreiben, das zeigte mir der Herr Bürgermeister und fragte mich um mein Zeugniß, und da solches, wie nicht anders zu erwarten ist, für sie recht vortheilhaft ausfiel, so forderte er mich auf, ihm dasselbe morgen schriftlich zukommen zu lassen. Ich büße Sie zwar nicht gern ein, doch mag ich Ihnen in Ihrem Glück auch nicht hinderlich seyn, und wir können in Zukunft vielleicht einander wieder brauchen.

30.

Als ich beim Abendessen der Mama Knipps gegenüber saß, fiel mir erst meine Schlosserarbeit wieder ein; ich entschuldigte mein Außenbleiben tausendmal, und bat um die Erlaubniß, die Kleinigkeiten in ihrem Schlafzimmer heute Abend noch vornehmen zu dürfen.

Was denn für Kleinigkeiten? fragte Herr Knipps etwas barsch; und als ich ihm des Breiteren aus einandersetzte, was es da alles zu machen gäbe, sagte er mit einem mir recht auffälligen Seitenblick auf Mama: das Alles ist ja Ihre Arbeit nicht; dazu könntest Du allenfalls den Schlosser holen lassen.

Das wollte Madam Knipps auch, fiel ich ihm, mit einer Art Verwendung für diese, in das Wort: indessen ich pestele gern, und da habe ich mich selbst erboten –

Ach lassen Sie das Pesteln seyn, erwiederte er verdrießlich; das ist für uns Schreibmenschen kein Geschäft.

31.

Noch spät Abends fand ich ein von mir bereits gefertigtes von ihm aber aus Versehen noch nicht unterzeichnetes Billet, das, wegen eines morgenden Termins, heute Abend noch abgesendet werden mußte.

Es blieb mir daher nichts anders übrig, als ihm dasselbe zur Unterzeichnung gleich vorzulegen, und ich ging deßhalb nach seiner Wohnstube. Im Vorzimmer hörte ich ein sehr lebhaftes Zwiegespräch, ich stand eine Weile und wußte nicht, ob ich eintreten sollte, oder nicht; ein so lauter Wortwechsel konnte fast Zank genannt werden, und wie Ehegatten von Bildung sich in eine solche Gemeinheit verlieren konnten, war mir und meinen Begriffen von der gegenseitigen Achtung, welche der Grundstein dieses zarten Verhältnisses seyn muß, wenn es ein glückliches genannt werden soll, eine ganz neue Erscheinung.

Aber ich habe ihm einmal mein Wort gegeben, sagte er, und schlug auf den Tisch; ich habe in der ganzen Raths-Klique keinen, der mir recht zugethan ist, und darum hoffe ich, soll er mir dort aus Dankbarkeit recht gute Dienste thun.

Der Mensch ist aber, sage ich Dir, ein Esel, ein grundstockdummes Kalb, mit dem man Thüren einrennen könnte; was soll Dir der für Dienste thun.

Dumm? das möchte ich nicht behaupten; er macht seine Sächelchen wie ein Daus.

Gott, was weißt Du von dumm oder nicht dumm! Seine Federkritzeleien kann er verstehen; aber was Lebensklugheit anbelangt, und das ist ja die eigentliche, die wahre, da versichere ich Dich, da ist, weiß der Himmel, mein Mops klüger als er.

Mag sein, mag sein, Frauchen, aber ich habe ihm das empfehlende Zeugniß einmal versprochen. –

In dem Augenblick klatschte es, als ob es Ohrfeigen regnete, und sie schrie, während er immer: Frauchen, Frauchen, Du bist ja heute wieder einmal auch gar zu böse, dazwischen rief, wüthend dazu: Du Gimpel, miserabler, ich sage Dir ja, Du sollst ihm das Attest nicht geben, Du darfst nicht, Du mußt nicht – ich kann den Menschen nicht leiden, und ich breche Dir den Hals, wenn er Viertelsmeister wird. Aus dem Hause muß er mir, und das sobald als möglich, hast Du mich nun verstanden? Strohkopf?

Ja mein Mäuschen, antwortete Stümperchen mit weinerlicher Stimme, und ich ging, auf Viertelsmeister und Zukunft verzichtend, zum Zimmer hinaus.

32.

Nach acht Tagen erhielt ich vom wohllöblichen Magistrate die schriftliche Eröffnung, daß, da das Zeugniß meines bisherigen Prinzipals, der meine Dienstbrauchbarkeit am meisten beurtheilen könne, mehr als schwankend wäre, zugleich sich aber auch ein zweiter Mitbewerber um die nachgesuchte Stelle gemeldet habe, dem, als dem Sohne eines hier ansäßigen Bürgers, sein Näherrecht nicht verkümmert werden dürfe, meinem Antrage nicht zu willfahren sey.

Dieser mein Rival war Mosje Jäckel, der Sohn eines hiesigen reichen Kaufmanns; ein lüderlicher Wüstling, der erst anderthalb Jahre auf der Universität gewesen war, der fast kein Collegium besucht, sondern die Zeit auf den umliegenden Vergnügensorten, in ganz verworfener Gesellschaft und am Pharotische zugebracht hatte, und der jetzt eilig und schleunig herbeigeholt worden war, um ihn, halb unreif und verdorben an Leib und Seele, in den Rath zu schicken.

Im höchsten Unmuthe meiner bittern Kränkung eilte ich zu Freund Stremler, und fiel ihm, ja, ich will es nicht läugnen, weinend um den Hals.

Komischer Mensch. sagte er ruhig: Sie sind, merke ich, noch nicht lange in der Welt. Ich bin zwar nicht gar viel älter als Sie, aber an das peinigende Gefühl, dumme Jungen über mich wegsteigen und mir die einträglichsten Stellen wegschnappen zu sehen, habe ich mich nun schon ziemlich gewöhnt. Es ist dem Stolze des Mannes, der das Seinige gelernt hat, und unbescholtnen Wandels ist, eine heimliche und darum um so blutigere Marter, Menschen an Ehre und Einkommen nachstehen zu müssen, die nicht durch Kenntnisse, nicht durch den Ruf ihres moralischen Werthes, sondern durch Geld, durch Verbindungen, durch Geburt, oder durch Drängen und Treiben sich empor schwingen, aber soll ich darum den höchsten Schatz, den mir Gott verlieh, meine gute Laune verlieren? soll ich darum mein ganzes Leben hindurch brummen, murren und mit dem Geschick hadern? Glauben Sie nur, die sich auf Unkosten Anderer, über Alle weg, in die Höhe treiben, ohne die zu ihrem Posten erforderlichen Kenntnisse zu besitzen, sie schlafen auch nicht auf Rosen. Die durch sie Benachtheiligten und deren Freunde, stellen ihnen ein Bein, wo sie nur können und benutzen die erste Gelegenheit, die Hochgestellten um das Vertrauen der Obern und um die gute Meinung des Publikums zu bringen, und ihnen, wenn auch natürlich hinter dem Rücken, alles ersinnliche Herzeleid zuzufügen, so daß jene mit ewigen Kränkungen und hinterlistigen Ränken zu fechten haben. Das ist so bei uns hier in Käferling, wie in der Residenz und in der ganzen Welt, und weil das immer so war, und immer so seyn wird, und wir beide das nicht ändern können und werden, so behalten Sie den Kopf oben. Jäkel erhält, vermöge der Verbindungen seines reichen Vaters, die Stelle, wird, wie ich heute bestimmt gehört, übermorgen mit unserer Knippsgundel seine Verlobung feiern, und Sie werden, da die Alte, ich weiß nicht warum, Sie nicht leiden kann, und bei der dicken Schwägerin in der Marktbude bereits ein neuer Amanuensis sammt einem Kopisten verschrieben ist, nächstens Ihre Aufkündigung erhalten; aber lassen Sie sich darum nicht leid seyn, Gott hat noch keinen Sperling vom Dache fallen lassen!

Aber der Schneider! brach ich, den Viertelsmeister, das Hunderttausendthaler-Gundelchen und meinen Amanuensis, in Einem Athemzuge in die Fichten gehen sehend, schmerzvoll aus.

Wie denn der Schneider? sagte Stremler: was hat denn der mit den Sperlingen auf den Dächern zu thun?

Ach scherzen Sie nicht mein Freund, entgegnete ich mit weicher Bitte; Sie wissen ja, der Schneider Heftlinger und seine furchtbare Rechnung.

Nun deshalb lassen Sie sich kein graues Haar wachsen, entgegnete Stremler gutmüthig lachend: der Mann kennt Sie nicht, ich habe mich daher für Sie verbürgt, mithin können Sie vor dem ganz ruhig schlafen.

Verbürgt? rief ich, ihn umarmend: mein edler Freund! nun drückt mich die Schuld doppelt!

Da sehe ich nicht viel edles, warf Stremler leicht hin: ich war die erste Veranlassung, daß Sie sich zur Ergänzung Ihrer Garderobe entschlossen, folglich muß ich auch vor dem Risse stehen. Aengstigen Sie sich darum nicht. Wer weiß, wozu das Alles noch gut ist; ein feiner, sauberer Rock – es ist leider Gottes wahrhaftig wahr, empfiehlt oft mehr, als das zierlichste Empfehlungsschreiben eines bedeutenden Mannes.

33.

Ich habe schlecht erzählt. Ich erwähnte gleich beim Eingange der schlaflosen Nacht, in der ich mit meinem tükischen Geschicke schmollte, und diese Nacht trat jetzt erst in die Reihe meiner Begebenheiten, als ich spät Abends vom Freund Stremler nach Hause kam, und wie dieser prophezeit hatte, richtig ein Billet des Herrn Knipps vorfand, in dem er, unter schalen Vorwänden, mir dergestalt kündigte, daß in vierzehn Tagen unser Verhältniß als aufgehoben anzusehen sey.

Eine volle Börse in der Tasche, sein sicheres Brot im wohlgeordneten Hause, schwatzt es sich recht gut vom Vertrauen auf die Vorsehung, von der Werthlosigkeit des lieben Geldes, vom Glücke des Genügsamen, und von dergleichen goldenen Sächelchen mehr. Aber in dieser unvergeßlichen Nacht konnte ich die Nichtigkeit aller jener, dem Unglücklichen nicht recht vorhaltenden Trostgründe erkennen, und eben, weil ich in jenen stillen Stunden, die dem Sorglosen Ruhe und Erquickung gewähren, den ganzen Abgrund meines Elends in seiner unergründlichen Tiefe vor mir geöffnet sah, und weil sie auf mein Gemüth einen fast unauslöschlichen Eindruck machte, war meiner Feder der Fehler enteilt, damit die Geschichte meines Lebens anzufangen.

Gundelchens Verlust ging mir eigentlich weniger zu Herzen; ein Mädchen aufzugeben, das mir gut zu seyn schien und in acht Tagen einem Andern, einem durch sein wüstes Leben mir so werthlos gewordenen Mann ihre Hand zu reichen vermochte, konnte mir bei ruhiger Prüfung nicht schwer fallen. Auch die vereitelte Hoffnung auf die gesuchte Stelle im Rath schmerzte mich an sich nicht so tief, denn bei meinen Zweifeln an meinem Glück, hatte ich vom Anfange an, auf die Erhaltung dieses Postens nicht sehr gerechnet, und mich zu den Schritten, die ich dieserhalb that, lediglich von Freund Stremler verleiten lassen. Näher lag mir die Kündigung meines jetzigen Verhältnisses; was hatte ich der Frau gethan, daß sie mich aus ihrem Hause verbannt wissen wollte? Später ahnte ich wohl, was Madame Knipps-Potiphar so gegen mich aufgebracht haben konnte, aber damals in dem reinen Bewußtseyn meiner Schuldlosigkeit, war ich, bei aller ersinnlichen Strenge, mit der ich jedes Wort, jede meiner Handlungen mir vorhielt, nicht im Stande, mir eine Ursache des Vorwurfs zu ergrübeln. Wo sollte ich jetzt hin, wer gab mir, dem, aus einem der ersten Häuser des Orts Verwiesenen, Arbeit und Brot? Mehr aber, als alles drückte mich der Schneider. Die ganze Zunft seiner Genossen hätte mich mit glühenden Nähnadeln blutig stippen können, es hätte mich weniger geschmerzt, als die quälende Angst, wie ich dem Manne einmal gerecht werden könne. Er hatte auf Anrathen Stremlers, der es mit mir recht gut meinen mochte, Alles viel feiner und besser geliefert, als es eigentlich nöthig gewesen wäre; es war die erste und die einzige Schuldpost meines Lebens; ich sah im ganzen Bereiche meiner Aussichten kein Mittel, ihn je bezahlen zu können, und Stremler, der uneigennützige, der selbst nicht bemittelte Freund, hatte sich für mich verbürgt!

Wer nur einiges Zartgefühl besitzt, wird jetzt die Marter jener Nacht ermessen, und Gott, der die Schwächen des menschlichen Herzens, den Blödsinn des menschlichen Verstandes in seiner Allwissenheit kennt, wird mir verzeihen, wenn ich in jenen finstern Augenblicken, in düsterster Schwermuth, an seiner Hülfe verzweifelte.

34.

Ein Dienstgeschäft nöthigte mich sehr früh auszugehn. Noch war es ziemlich leer auf den Straßen; der einzige Bekannte, der mir begegnete, war der Mensch, der mir vielleicht für mein ganzes Leben mit der schweren Hand des Rechts auf mir lastete, Meister Heftlinger; er hatte ein Packt Kleidungsstücke, in einen Teppich geschlagen, unterm Arme, schien sehr eilig zu seyn, ging auf der andern Seite der Straßen-Ecke, winkte mir hinüber zu kommen, und bat umzukehren und ein Stückchen mit ihm zu gehen, weil er schnell zu einem Kundmanne müsse und keine Zeit zu verlieren habe.

Lieber, bester Herr Heftlinger, hob ich bittend an, und er mußte in meinem Armensünder-Gesichte lesen, daß ich ihm meine fehlgeschlagene Viertelsmeister-Hoffnung und die dadurch bewirkte Unmöglichkeit, ihn jetzt bezahlen zu können, eröffnen wollte, denn er hob freundlich an: weiß schon alles, bin gestern Abend spät noch beim Herrn Actuarius Stremler gewesen; seyn Sie ganz ruhig; habe manche hübsche Leute im Buche stehen, Jahre lang; einen mehr oder weniger, thut nichts zur Sache. Sie sind ein ehrlicher Mann, und können Sie heute nicht wie Sie wollen, geht's vielleicht späterhin. Ist mir nur verdrießlich, daß Sie die Stelle nicht bekommen haben, wegen meines Schwiegersohns; der arme Schelm hat auch einen schweren Stand; nun er muß sich durchflicken, so gut er kann. Nein, aber was ich eigentlich wollte, da hat, wie mir diesen Augenblick auf dem Markte der Küster aus Buchenhayn erzählt, der Graf dort seinen Secretair Knall und Fall fortgejagt; können Sie Französisch?

Sprechen und schreiben, entgegnete ich, im Schnellschritt neben ihm hertrottirend und horchte, was da weiter kommen sollte.

Herrlich, rief er, freundlich theilnehmend; dann kann es Ihnen gar nicht fehlen; machen Sie sich gleich auf die Strümpfe, aber gleich und halten Sie beim Grafen um die Stelle an. Herr, wenn Sie sich dort zu schicken wissen, so lachen Sie den Viertelsmeister, Herrn Knipps, und uns alle aus.

Aber was ist denn das für ein Graf? fragte ich, und die Brust ward mir weiter, und ich schritt aus, daß mir Herr Heftlinger kaum folgen konnte.

Mein Gott, kennen Sie den Grafen Dingelheim nicht? erwiederte mein helfender Bügeleisengenius, und nahm zur Abwechselung, sein Packt unter den andern Arm. Sehen Sie, das ist der kurioseste Kauz unter der Sonne; aber Geld hat er, mehr wie wir beyde; alle Stunden einen Louisd'or! Er ist Gesandter gewesen, in der halben Welt ist er gewesen; er spricht alle Sprachen wie Wasser; seine Bauern sind seine Kinder, aber seine Leute haben einen schweren Stand; bezahlt werden sie honett, das muß man sagen: weiß Gott, seine Bedienten stehen sich besser wie unsere Viertelsmeister, aber dafür liegen sie den ganzen Tag, wie an der Kette. Kein Kind, kein Kegel im großen Schloße; sein einziger Sohn, der durch das Mutter-Erbtheil vielleicht noch reicher ist, als der Vater, lebt in Italien; der alte Herr sieht keinen Menschen bei sich, und doch bleibt, wenn das Jahr um ist, kein Groschen übrig; alles giebt er weg an die Armen, und an die Schulen, und läßt bauen, immer ein Dorf schöner als das andere; die ganze Herrschaft ist ein Garten. Da machen Sie, daß Sie hinkommen. Französisch müssen Sie können, denn darum hat er eben seinen jetzigen Secretair fortgejagt; der hat gesagt, daß er es verstände, und wie es zum Treffen kommt, hat er nichts weiter gewußt, als; wotter dreh simpel Servitör, erzählt der Küster. Buchenhayn ist vier Stunden, wenn Sie sich gleich auf den Weg machen, und tüchtig zustiefeln, sind Sie spätestens um eilf Uhr draußen; vor allen Dingen aber ziehen Sie meine neuen Sachen an, denn dafür hat die alte Excellenz eine wahrhaft lächerliche Schwäche. Ich hatte sonst das Haus. Herr, das war ein Haus! Er selber zieht keine Nachtjacke an, wenn sie nicht aus London oder Paris ist; seine Hosen bekommt er aus Rom, da meint er, würden die besten gemacht; ich hatte nur die Dienerschaft und den Stall; Herr, alle Jahre neue Livreen, faustbreit mit ächten Tressen und Borden verschamerirt; aus der besten Meinung von der Welt, bloß um ihm das Geld nicht mit Händen zum Fenster hinaus werfen zu lassen, nehme ich einmal Dreithalertuch; da denke ich, der alte Mann fährt aus der Haut; nach einem Donnerwetter von einer halben Stunde, in dem er mich unter den grausamsten Flüchen in allen Sprachen, mehr denn zwanzigmal fragte, ob ich glaubte, daß er schon bankerott wäre, ob seine Leute wie gemeine Soldaten montirt gehen sollten; und dergleichen Schraubenanzüglichkeiten mehr, bezahlte er mir meine Rechnung zu Heller und Pfennig, packte mich sammt allen meinen Livreen auf einen Wagen, ließ mich nach Hause fahren, und hat seitdem keinen Stich wieder bei mir machen lassen. Herr, wenn Sie mir die Kundschaft wieder verschaffen können, alle Jahre einen neuen Frack vom feinsten Vigogner. – Mit diesen Worten zog er an der Klingel des Hauses, in dem er sein Kleiderpackt abzugeben hatte, wünschte mir glückliche Reise und gute Geschäfte und trat in die vor uns sich öffnende Thür, die hinter ihm zufiel.

Da stand ich, wie, mit Respect zu sagen, gewisse, in der Kunst die Zukunft zu berechnen eben nicht sehr bewanderte Thiere mit zwei Hörnern, am Berge.

35.

Wohl waren der Gründe für und wider mancherlei; die mir entworfene Schilderung machte mir vor dem Grafen bange, aber konnte – durfte ich denn wählen? blieb mir denn etwas anderes übrig? und wenn die Skizze über den Character des Mannes, dem ich meine Kräfte und meine Dienste anbieten sollte, noch zehnmal abschreckender ausgefallen wäre, – auch in den Dornstrauch greift der im Wasser Verunglückte, um sich von dem Untergehen zu retten.

Ich eilte nach Hause, wo Alles noch schlief, schrieb an Herrn Knipps einen etwas patzigen Brief, in dem ich ihm aus einander setzte, daß er mir, da ich mich auf einmal außer Brot sehe, nicht verargen könne, wenn ich wegen meines anderweiten Unterkommens, mich auf einen Tag beurlaube, warf mich der Weisung meines Freundes Heftlinger gemäß, in meinen neuen Gallafrack, und ging mit schwerem Herzen zur Stadt hinaus.

36.

Je näher ich Buchenhayn kam, desto banger ward mir. Das war am Ende nichts weiter, als eine kühne Speculation des Herrn Heftlinger, zu seinen Gelde zu gelangen. Bei Gott ist kein Ding unmöglich; folglich lag es auch in dem Kreise der Möglichkeit, daß ich die Secretairstelle wegfischen konnte, und dann hatte Herr Heftlinger die sichere Aussicht, seine Forderung einziehn zu können.

Wie durfte ich, steinfremd, und ohne alle Empfehlung, erwarten, daß der gewandte Weltmann, der seine Leute mit Geld aufwog, und also bei jeder Vacanz gewiß auf hundert Anstellunggesuche rechnen konnte, mich berücksichtigen würde.

Meine Muthlosigkeit nahm so überhand, daß ich schon im Begriff stand, wieder umzukehren – aber wie ein drohendes Schreckbild, wie den in der nordischen Mythe berühmten Wolf Fenris, der, wenn er den Rachen aufsperrt, das Weltall verschlingt, dachte ich mir Herrn Heftlinger hinter mir. Ich mußte vorwärts.

Hinter einer verfallenen Meierei trat ich in das Gebiet des Grafen.

Mein erster Blick fiel auf eine große Tafel an einem hohen Pfahl. Erstere enthielt ein, in Hinsicht der Kunst nicht mißlungenes, dem Gegenstande nach aber höchst schreckenvolles Gemälde. Ein Unglücklicher, wie ein Wanderer gekleidet, hatte seine zwei Hände auf einem Blocke liegen, die ihm ein blutroth angethaner Henkersknecht, dessen teuflisch grinsendes Fratzengesicht an dem Höllengeschäft eine wahre Satansfreude zu haben schien, mit einem großen Beile abschlug. Unter diesem furchtbaren Gemälde stand in rother Schrift: Gerechte Strafe des Baumfrevels.

Mich schauderte.

Das war also der Willkommen, mit dem der Graf den Fremden beim ersten Schritte in sein Besitzthum gastlich begrüßte. In diesem einzigen Zuge characterisirte sich der ganze Mensch! Lieber Himmel, wenn nun auch einmal ein Rüthchen, ein Zweig, eine Frucht abgebrochen ward! Gott unser Herr hat nirgend eine solche grausende Warnungtafel aufgestellt, und doch blüht seine schöne Welt, Jahr aus Jahr ein, in tausend neuen Reizen auf. Der Graf ist ein Unmensch! rief ich halb laut hin, und wollte Kehrt machen, aber der Schneider! –

Mit gepreßtem Herzen ging ich weiter; eine schnurgerade Kunststraße, mit einer vierfachen Reihe von blühenden Äpfelbäumen, führte mich dem vor mir liegenden blanken Dörfchen zu. Ein Meer von Wohlgerüchen duftete mir aus dem Blüthenschnee der herrlichen Fruchtbäume entgegen; sie standen alle so frisch und kerngesund, daß mir das Herz im Leibe lachte.

Ich holte ein junges Bauer-Mädchen ein, das vom Felde kam und heim ging; sie grüßte freundlich und antwortete auf meine Fragen bescheiden; das feine Leinen, in das sie gekleidet war, ihr Anstand und ihre verständige Rede – es mußte etwas apartes seyn, und ich äußerte daher mit einer Art galanter Wendung, daß ich wohl das Vergnügen hätte, mit der Tochter des Herrn Schulzen –

Ihr beliebt zu scherzen, guter Herr, entgegnete das niedliche Mädchen, halb geschmeichelt, halb verlegen, wo denkt Ihr hin, die Schulzentochter! die sieht bei uns aus ganz anderen Augen! ich bin, setzte sie mit leichtem Lächeln hinzu: gerade die Aermste und Geringste im Dorfe; mein Vater ist der Hirte: indessen – ich hin ja auch noch nicht hungrig zu Bette gegangen.

Ich war über die Manier, über das ganze Wesen des sittigen Hirtenkindes vor Verwunderung ganz außer mir; sie verrieth im Laufe des Gesprächs, ohne im Mindesten damit glänzen zu wollen, das Wissen einer Menge Dinge, von denen Gundel Knipps und hundert Schönen in Käferlingen bestimmt kein Wort wußten, und ließ sich über das Alles mit einer so zarten Anspruchlosigkeit aus, daß ich die mir lange auf den Lippen geschwebte Frage, woher sie das Alles wisse, und wie sie überhaupt zu der bei Mädchen ihres Verhältnisses seltenen Bildung gelangt sey, mir nicht länger versagen konnte.

Ach Gott, ich weiß noch wenig, entgegnete sie in lieblicher Einfalt: da sollt Ihr mit andern Mädchen des Dorfes, die auf das Lernen mehr Zeit verwenden können, und mit unseren jungen Burschen reden; da sind welche darunter, mit denen ich mich nicht messen kann.

Aber Kind, hob ich, die nie geahnte Vollkommenheit eines solchen dörflichen Unterrichts laut belobend an: woher kömmt das alles hier?

Woher das kömmt? erwiederte sie mit einer Art heimathlicher Selbstgefälligkeit: das kömmt alles aus der Allee her.

Aus der – wollte ich fragen, denn wie die Allee mit des Mädchens vorzugweiser Bildung in Beziehung stehe, wollte mir nicht recht einleuchten; aber es ließ sich nicht unterbrechen, und erzählte, daß diese Aepfelbaum-Allee hier, bis zum Dorfe, jährlich für den festen Zins von 1600 Thaler verpachtet sey, daß diese Summe an die beiden Schullehrer ihres Dorfes und an eine Lehrerinn als Gehalt gezahlt werde; daß das von den Eltern der Kinder außerdem noch zu entrichtende geringe Schulgeld zum Ankauf von Büchern, Musikalien und dergleichen bestimmt sey; daß beide Lehrer auf der Hochschule studirt hätten, und gar gelehrte, liebe Herren wären; daß die Frau des Einen die Mädchen des Dorfes in allen weiblichen Arbeiten unterrichtete, u. s. w. Unsere Allee, fuhr sie fort: ist schon über 25 Jahre alt; unser Herr hat sie anlegen lassen; anfangs sind, wie der Vater oft erzählt hat, fast in jeder Nacht, mehr denn zwanzig, dreißig Stämmchen abgehauen und verstümmelt worden; seit aber die Tafel am Eingange steht, hat doch keiner auch nur ein Blatt angerührt.

Da hatte ich, für mein vorschnelles Urtheil über jenes Schreckenbild, meinen Klapps weg.

Die Tafel mag recht gut seyn, hob ich an, und wollte mit dieser Einleitung auf den Grafen selbst kommen: aber wer Euern Herrn nicht kennt, der sollte, wenn ihm die Exekutionsgeschichte in dem Gemählde zu Gesicht kommt, denken, Wunder, wie streng er wäre.

Das ist er auch, antwortete sie: er ist wie unser Herr Gott; streng, wo er muß; und milde, wo er kann. Noch neulich habe ich von ihm eins mit der Reitgerte gekriegt, daß ich zeitlebens daran denke.

Du? rief ich, und betrachtete das zarte hübsche Kind mit schmerzlicher Theilnahme. Ein Satan, ein recht eingefleischter Satan mußte der Mensch seyn, und hätte ich seine ganze Herrschaft geschenkt bekommen sollen, es wäre mir nicht möglich gewesen, dieses schuldlose, idyllische Mädchen nur unziemlich anzusehen, geschweige den so barbarisch zu behandeln!

Ich klagte es dem Vater, fuhr das Hirtenkind fort: der meinte aber, es sey mir ganz recht geschehen; ich hatte nähmlich die Kälber unsers Dorfs eines Morgens auf die Hutung getrieben; dicht an diese stößt eine junge Birkenschonung, und während ich am Grabenrande sitze, und mir einen Blumenkranz winde, spaziren ein Paar Kälbchen in die Schonung, und lassen es sich ganz trefflich schmecken. Unglücklicherweise kommt der alte Herr um die Ecke geritten, und in der ersten Hitze bot er mir da über die Achsel weg mit der Reitgerte einen guten Morgen, daß ich das Danken vergaß, – doch, sagte sie, ihr trauliches Plaudern unterbrechend, und trat in das erste Häuschen des Dorfes, das uns aus einem blühenden Frucht- und Blumengarten freundlich entgegen lachte: wollt Ihr, guter Herr, nicht ein wenig eintreten und ausruhen? Kann ich Euch mit einem Glase frischer Milch dienen?

Ich dankte höflich und ging, denn mir war Essen und Trinken vergangen. Wenn das am grünen Holze geschah, was war nicht alles für das dürre zu befürchten! Wenn der alte hochgräfliche Belzebub ein solches wunderhübsches Kind durch körperliche Züchtigungen verunglimpfen konnte, was hatte ich von seiner ersten Hitze, wie das sanfte Mädchen seinen rasenden Jähzorn nannte, bey dem leichtesten Versehen nicht alles zu erwarten! Es war mir, als schleppe mich mein Schicksal einer endlosen Marterbank entgegen; noch einmal wandelte mich der Entschluß an umzukehren; aber der Schneider!

Das Dörfchen war das schönste, was ich in meinem Leben sah, lauter neue, geschmackvoll gebaute steinerne Gehöfte; vor jedem Hause Blumen und Obstbäume, hinter jedem Gemüse- und Küchengärten in der Pracht ihres Reichthums und alles reinlich und nett, und still und friedlich beisammen. Die Kinder, die hie und da auf der Straße spielten, grüßten alle ohne Ausnahme höflich; viele kamen an mich heran, und boten mir die Hand, fragten, wo ich hin wolle, und wiesen mir den an sich nicht zu verfehlenden Weg nach Buchenhayn, wohin wieder eine mit Kirschbäumen vierfach besetzte Kunststraße führte.

37.

Da lag das große prächtige Schloß vor mir; der mit Kupfer gedeckte Thurm ragte aus dem frischen Maygrün des umgebenden Gartens hoch empor. Je näher ich kam, desto enger ward mir die Brust. Zum großen Hofthor wollte ich nicht hinein gehen, da fiel ich vielleicht gleich einem groben Bedienten in die Hände, der mich ohne Umstände abwies; dann hatte ich den weiten Weg umsonst gemacht. Eine offen stehende Gartenthür, die ich in der Ferne bemerkte, schien mir einladender. Wollte mir das Glück wohl, so traf ich auf einen Gärtner oder Arbeiter, der, durch meine freundliche Ansprache gewonnen, mich dem Kammerdiener oder einem Lakey mit theilnehmender Verwendung zuführte, und dann durfte ich hoffen, auf diese Weise dem Grafen eher vorgestellt zu werden.

Schüchtern und befangen streifte ich einige Blätter von einem blühenden Kastanienbaum ab; wischte mir damit den Staub von den Stiefeln, trat in den Garten und lauerte, meinen Weg nach dem Schlosse zu nehmend, wo ich eines Menschen möchte gewahr werden.

Ein dicker Herr lustwandelte im Schatten einer unabsehbaren blauen Fliederhecke, und an dem höflichen Tone, in dem er sich mit einem, ihm in einiger Entfernung folgenden Livreebedienten unterhielt, konnte ich abnehmen, daß es vermuthlich ein Gast des Grafen war, denn er nannte den Lackey Sie, und bat ihn, doch so gut zu seyn und ihm eine gestopfte Pfeife zu bringen; auch das Feuerzeug oder das Brennglas, ersuchte er ihn, nicht zu vergessen. Ein hübscher alter Mann, stark in die Sechszig; einen Schlafrock von allerfeinsten weißen Piqué; Stiefeln und Sporen; eine lange Pfeife im Munde und ein rothes Sammet-Barret auf dem Kopfe.

Suchen sie Jemand? fragte er leicht hin, als er mir nahe kam, und grüßte mit einer kleinen Handbewegung; es mußte ein sehr vornehmer Herr seyn, denn sonst hätte er das rothe Sammetmützchen wenigstens etwas gelüftet, aber so rührte er es nicht einmal an.

Auf meine Entgegnung, daß ich mich nach einem von der Bedienung umgesehen habe, der mich bei Sr. Excellenz, dem Herrn vom Hause melde, fragte er mich, ob ich letzteren bereits kenne und als ich dieß verneinte, sagte er, daß der Graf ausgeritten sey, hoffentlich aber bald wieder kommen werde, und fragte, indem er sich auf eine Ruhebank niederließ, und mich, mit vornehmen Handwinke zum Setzen einladete, ob mir eine Erfrischung gefällig sey. Ich hatte zwar einen Löwenhunger, aber die Angst vor dem baldigen Erscheinen Sr. Excellenz benahm mir allen Appetit.

Der Graf ist heute bei Laune, sagte der alte Herr, und schien ein bischen neugierig auf das zu seyn, was ich hier zu bringen oder zu holen habe: wenn Sie also etwas bei ihm suchen, so sind Sie zu einer guten Stunde gekommen.

Das milde Wort des fremden Herrn gab mir den Muth, ihm mein Anliegen zu vertrauen.

Das wird schwer halten, entgegnete er, als ich endete. Die Stelle, die Sie wünschen, verlangt einen sehr zuverlässigen, gediegenen Mann, der wenigstens einige Tausend Thaler Kaution stellen kann; denn es ist die Führung einer nicht unwichtigen Kasse damit verknüpft, und der Graf hat, wie er mir erzählt, erst kürzlich die sehr unangenehme Erfahrung gemacht, daß ihm ein solcher treuloser Beamter mit einer nahmhaften Summe zum Henker ging.

Dann ist jeder weitere Schritt vergebens, entgegnete ich trostlos, und stand auf. Selbst Kaution zu stellen bin ich nicht vermögend; und die genügende Bürgschaft durch einen Dritten zu bewirken, habe ich keine Freunde; bei dieser Lage der Sache wäre es daher überflüssig, Se. Excellenz selbst zu behelligen. Ich dankte dem alten Herrn für seine Mittheilung und empfahl mich.

Nun, lassen Sie nur mit sich reden, junger Herr, rief er, über meine Raschheit etwas spitz: vielleicht läßt sich die Sache doch machen. Ich meines Theils sehe die Kaution für keine so unbedingte Nothwendigkeit an; auch ohne solche ist der ehrliche Mann in meinen Augen ein vertrauenvoller Mann, und vielleicht sieht der Graf, wenn ich mit ihm ein vernünftiges Wort spreche, von dieser Forderung ab; setzen Sie sich.

Ich setzte mich zwar, doch sah ich sein Ausfragen über mein bisheriges Leben und meine Kenntnisse für bloße Neugierde des alten Mannes an, dem die Zeit hier lang zu werden schien, und der sie sich, bis der Graf komme, auf diese Weise mit mir verplaudern wolle.

Ich antwortete daher anfänglich auf alle seine Fragen kurz und verstimmt; doch, als er auf die Erkundigung kam, wie es mit meiner französischen Sprachkenntniß stehe, da fiel mir mein Verhängniß, der Schneider wieder ein; der hatte mir ja gesagt, daß diese ein Haupterforderniß sey; ich ward wieder gesprächiger und gewann aus des alten Herrn beifälligen Aeußerungen im Geheimen allmählig die Hoffnung, daß es am Ende auch ohne die verwünschte Kaution doch noch gehen könnte.

Ich dachte, der Patron würde nun tüchtig zu parliren anfangen, aber wahrscheinlich mochte er selbst nicht recht sattelfest seyn, er brachte kein französisches Wort über die Lippen.

Jetzt kam der Bediente mit der Pfeife; er stand auf, dankte ihm freundlich, und bat ihn, den Herrn Grafen, sobald dieser zurückkehre, zu ersuchen, hieher in den Garten zu kommen, weil ein fremder Herr ihn zu sprechen wünsche. Ich wagte zwar die Aeußerung, daß es mir schicklicher zu seyn scheine, Sr. Excellenz im Schlosse aufzuwarten; der alte Herr meinte aber, der Morgen sey so schön, daß es schade wäre, eine Minute davon einzubüßen; und im Freien spräche sich's auch besser, als im Zimmer.

Wir fuhren jetzt in unserer Unterhaltung fort, und er meinte, daß der Graf, nach dem zu urtheilen, was er darüber noch heute früh habe fallen lassen, vorzüglich gern sehen würde, wenn der neue Secretair, außer den übrigen erforderlichen Qualitäten, auch musikalische Kenntnisse besitze; bisher habe dieser darauf nicht gesehen, weil, so lange er den Grafen und das Schloß kenne, hier keine Note gespielt worden sey, als höchstens von einem oder dem anderen Gaste, weshalb auch für dergleichen Besuche die hier befindlichen Flügel immer in Stimmung erhalten würden, und ein vollständiger Vorrath von andern Instrumenten und Musikalien da sey; indessen jetzt lege der Graf, aus bewegenden Gründen, bei der Wahl des neuen Secretairs ein ganz besonderes Gewicht mit darauf, daß er Musik verstehe; bei dieser Gelegenheit mischte der alte Herr sehr feiner Weise die Erwähnung des eben Knall und Fall verabschiedeten Secretairs ein, der mehr zu können vorgegeben, als er nachher zu leisten vermocht hatte, und schien mir damit andeuten zu wollen, daß ich mich nicht etwa einer gleichen Ueberhebung schuldig machen möge.

Indessen hier war ich meiner Sache gewiß, und als ich ihm erzählte, daß ich Klavier und Violine spiele, daß ich in meiner frühen Jugend, und selbst auf der Universität, mit dem Unterricht in beiden, mir meines Lebens Unterhalt mitverdiente, daß ich als Schüler im Chore sang, und daß bei dem Theater in meiner Universitätstadt die Tenorparthien in den Chören sämmtlicher Opern mir zugetheilt waren, da erheiterte sich sein ganzes Gesicht merklich; er legte seine Hand auf mein Knie und meinte, daß dieß uns beim Grafen hoffentlich über die Kautionklippe wegbringen werde. Nur einen Punkt haben wir noch, lieber Freund, hob er an, und fixirte mich mit scharfem Blicke, wie stehen wir mit den Frauenzimmern?

Einen blutjungen unschuldigen Menschen das so querfeldein zu fragen, war eine sonderbare Manier. Mein Blick schoß zur Erde, und mein ganzes Blut mir in's Gesicht. Ich spielte mit meinem Stöckchen im Sande, und frug, wahrscheinlich mit einem rechten Schaafgesicht, denn der alte Herr lachte beinahe laut auf, – wie er das eigentlich meine.

Sehen Sie Freund, erwiederte er mit vertraulichem Tone, und zündete sich seine Pfeife mit dem Brennglase an: in dem Punkte ist der Graf streng, sehr streng. Er kennt die Welt, vornehmlich die jetzige junge, und hat oft seinen tiefsten Unwillen über die Sittenlosigkeit der letztern ausgelassen. Die Mädchen – kommen sie mir doch wahrhaftig wie das Brennglas hier vor! sie erhalten ihr Feuer vom Himmel, und entzünden, was in ihren Brennraum kömmt; ich habe in Paris das berühmte Glas von Tschirnhausen gesehen, das 33 Zoll im Durchmesser hat, und 160 Pf. wiegt; in Zeit von einer halben Minute verschmolz und verglas'te es die härtesten Metalle, entzündete nasses Holz, und brachte Eis zum Sieden. Accurat so machen es auch die Mädchen. Darum darf mir keiner hintreten und prahlen mit seiner Festigkeit, mit seiner Unempfänglichkeit, mit seiner Kälte, keiner. Stehen wir im Brennpunkte eines hübschen Mädchens, so werden wir alle, einer wie der andere, sammt unseren beßten Grundsätzen, ohne Erbarmen, in Feuer und Gluth gebracht und am Ende gar pulverisirt! Sie wissen, das Brennglas thut nur dann seine Wirkung, wenn das in den Brennraum fallende Sonnenbild völlig kreisrund erscheint. Sehen Sie einmal in das Feuerauge eines schönen Mädchens! Da haben Sie das vollständige Sonnenbild, und Sie sind unrettbar verloren.

Brisson und Lavoisier haben in der neuern Zeit an den Brenngläsern viel gekünstelt, und mögen daran manches verbessert haben; aber gegen die Brenngläser, die der liebe Herr Gott den Weibern in den Kopf gesetzt, ist Beider Werk doch eitel Stümperei. Wissen Sie also nun, was ich meine, wenn ich Sie fragte, wie Sie mit den Frauenzimmern stehen?

O ja, recht gut, entgegnete ich ernsthaft: und ich kann betheuern, daß ich zur Zeit noch in keines Mädchens Brennraum gestanden. Ich konnte das auch mit ganz reinem Gewissen sagen, denn von dem was mit mir und Madame Knipps und Gundelchen sich zugetragen, war ich weder verglas't, noch pulverisirt worden; doch begriff ich nicht recht, warum der fremde Herr auf meine ehrliche Antwort so entsetzlich lachte, und was er überhaupt bei dem ganzen Rigorosum beabsichtigte; denn wie mir das Hirtenmädchen in der Aepfelbaumallee erzählte, hatte der Graf weder eine Frau, noch eine Tochter, noch, außer vielleicht ein Paar Scheuer- und Aufwaschmädchen, sonst ein weibliches Wesen im Hause.

Schön, schön! fuhr der alte Herr ernster werdend fort: der beßte Rath, und den befolgen Sie, junger Mann, hier pünktlich, und mit eiserner Festigkeit, der beßte Rath ist, bleiben Sie in dieser Entfernung von allem, was hier Mädchen oder Frau ist. Sie sind ein schmucker junger Mann; Sie haben in der Kräftigkeit Ihrer Gestalt, in der Frische Ihrer Farbe, in Ihrem Anstande, kurz in Ihrem ganzen Aeußern etwas, was den Weibern wohl gefallen mag, auch ziehen Sie sich geschmackvoll und gewählt an; es kann daher nicht fehlen, daß Sie, wie die leichtsinnige heutige Männerbrut das so zu nennen pflegt, beim zweiten Geschlechte Glück machen würden, wenn Sie darauf ausgingen; aber ist Ihnen an der Begründung Ihres Glückes, ist Ihnen an der Achtung des Grafen etwas gelegen, so ziehen Sie sich, wenn Ihnen hier ein weibliches Wesen naht, immer in die gehörige Entfernung zurück, und meiden Sie alle Gelegenheit, mit ihm in Berührung zu kommen. Kann Ihnen der Graf in diesem Punkte erst trauen, mit voller Gewißheit trauen, so –

Der Kammerdiener, dafür hielt ich wenigstens den stattlichen Mann, der längs der Fliederhecke jetzt herauf kam, meldete, daß Se. Excellenz eben zu Hause gekommen, und den gnädigen Herrn ersuchen ließen, sich auf einen Augenblick zu ihm zu bemühen.

Lassen Sie sich unterdessen die Zeit nicht lang werden, sagte der alte Herr im Abgehen: sehen Sie sich im Garten ein wenig um, und gegen zwey Uhr lassen Sie sich durch den da, er wies auf den Kammerdiener – beim Grafen melden.

Vermuthlich stand der sogenannte der da, den ich für Sr. Excellenz Kammerdiener gehalten hatte, in dem Dienst des alten Herrn selbst; denn Letzterer machte mit ihm bei weitem nicht so viel Ceremonien, als vorhin mit dem Lakay des Grafen.


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