H. Clauren
Der Blutschatz
H. Clauren

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Mittlerweile war Nicolas auf das Rathhaus gegangen, um Klotilden zu sehen. Sie stand eben, hold und heilig wie der Genius des Friedens, zwischen zwei kriegführenden Mächten, einer armen gemißhandelten Bürgerfrau, und einem rauhen Kürassieroffizier, der dieser das Essen vor die Füße geworfen und sie blutrünstig geschlagen hatte, und jetzt mit lautem Lärmen ein anderes Quartier verlangte. Klotilde erschöpfte sich in sanften Vorstellungen und ruhigem Beschwichtigen; und als sie, um sein Ehrgefühl zu wecken, äußerte, daß es ihm wohl besser geziemt haben würde, die Stärke seines Arms für den Feind aufzuheben, als sie an einem schwachem Weibe zu versuchen, und daß dieß Betragen einer sogenannten großen Nation unwürdig sey, riß er, in der Wuth seiner ungemessenen Hitze, das Schwert aus der Scheide, und wollte auf Klotilden loß; doch Nicolas, und mit ihm zehn Franzosen, sprangen dazwischen, und bändigten den Wüthrich. Nicolas mußte nicht ohne Bedeutung sein, denn der Offizier erwiederte, ungeachtet ihm Nicolas, in der ersten Überwallung mit einer Fluth von Vorwürfen über sein tadelnwerthes Benehmen überhäufte, keine Sylbe, und bat, da Nicolas erwähnte, daß dieser Auftritt im gegenwärtigen Feldzuge nicht dessen erster dieser Art sey, und bei dieser Gelegenheit etwas von Meldung beim Marschall fallen ließ, eben so eingeschüchtert, als er vorhin trotzig war, die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Der armen Bürgerfrau gab Nicolas ein Goldstück Schmerzengeld, empfahl dem Offizier, in sehr gemessenen Ausdrücken, sich künftig bescheidner und mit billigerer Rücksicht auf die Umstände seiner Wirthsleute zu benehmen, und ließ beide in Frieden ziehen. Im Weggehen murmelte der Gedemüthigte mit verbissenem Ingrim in den wilden Schnauzbart, daß er, wenn der Marschall nur nicht der Herr Vetter wäre, dem jungen Laffen, dem Geldzähler, dem Mosje Nicolas, wohl den Hals brechen wolle; dieser aber hörte es nicht, denn er hatte nur das blondlockige Mädchen, die bildhübsche Klotilde, im Auge; aber er konnte kein Wort mit ihr sprechen, denn zwanzig Menschen warteten auf sie, und jeder hatte Dringendes bei ihr vorzubringen, so daß sie keinen Augenblick frei war.

Mißmuthig schlich er nach Hause. Der wunderbare Eindruck, denn dieß Mädchen auf ihn gemacht hatte, beschäftigte seine ganze Seele. In der fernen Heimath, als Kind, hatte er Klotilden schon gesehen. Er lächelte bei dem Gedanken still vor sich hin, aber je mehr er ihn festhielt, desto ähnlicher ward Klotilde dort der heiligen Mildwida,Die Legenden nennen sie auch Mildwida, und Mildvitha. Sie war eine Königstochter celtischer Abkunft, und starb im Jahr 676; der 17te Januar ist der Feier ihres Andenkens bestimmt. die im Altarblatte in der Kirche der Benediktinerinnen von St. Saveur, ihn immer so unbeschreiblich angezogen hatte. Mit seltsamen Schauder gedachte er jenes Bildes, wo im düstern Tannenwalde, ein junger Pilger, unter den blutbespritzten Dolchen erbarmenloser Raubmörder, sein Leben aushauchte, und die Heilige, vom blühenden Gebüsch umschattet, und darum von den Verbrechern ungesehen, angstvoll die Hände gen Himmel rang, und auf ihren Knieen um Hülfe flehte; und die in der zweiten Hälfte des Bildes die Wolken sich theilen, und die Engel des ewigen Friedens Blumenketten herablassen, um das Opfer der unmenschlichsten Raubgier, in die himmlische Wohnung der Seligen empor zu heben. Mit treuer, so erzählte die Legende, mit reiner Liebe war die heilige Mildwida dem Pilger zugethan, und als sie mit eigenen Augen, den Liebsten dieser Welt so schmachvoll enden sah, gelobte sie sich dem Himmel und nahm den Schleier; allen Mägdlein zum Muster, führte sie ein frommes gottgeweihtes Leben, daß, zum Lohne für ihren rein christlichen Wandel, und zum Ersatze für das grausame Opfer ihrer Liebe, sie mit Wunderkräften versehen ward, vermöge deren sie große Dinge that, und noch heute, wenn im Geist der Wahrheit angerufen wird, der keuschen, leidenden Liebe eine kräftige Schutzheilige ist.

Als hätte Klotilde jenem gemüthvollen Künstler, für die Kirche der frommen Benediktinerinnen von St. Saveur gesessen, so glich sie seinem Bilde. Das war die schlanke, reizvolle Gestalt; das die Jungfräulichkeit im ganzen Wesen jener Heiligen. Aber das Ueberirdische, das in diesem himmelblauen Auge lag, hatte der arme Maler freilich nicht erreichen können; wie dort, schmückte auch hier den schönen Madonnenkopf das seidenartig glänzende Goldhaar in ringelnden Locken und zierlichen Flechten; aber die weiße Alabasterpracht, in der hier Brust und Hals und Nacken prangten, im Bilde anzudeuten, war keine Farbe in der Welt zart genug; wie dort, war auch hier der kleine Purpurmund nach den Regeln der strengsten Kunst geformt, aber freilich, wenn Klotilde ihn öffnete, wenn sie sprach, wenn sie lächelte, wo blieb da die stümperhafte Kunst! Und dieses engelgleiche Mädchen sollte in den gefahrvollsten Tagen unserer Zeit, wo jede züchtige Jungfrau in die innersten Gemächer ihres väterlichen Hauses flüchtete, hier tagtäglich, jedem rohen Krieger Preis gegeben, unter der Last eines öffentlichen Amtes schmachten? Er zersann sich, wie er das arme Wesen von dieser Last frei mache, denn daß sie Klotilden bestimmt sey, lag bei ihm außer allem Zweifel; da stieß ihm der junge Herr Boas auf, der Gehülfe eines Armeelieferanten, beider Sprachen mächtig, und zu jeglichem Geschäftchen wohl brauchbar.

Mit diesem trat er in das Heiligthum der Piplinge, in das, seit dem Einmarsch der Truppen ganz verwais'te Weinstübchen, ließ sich eine Flasche vom Beßten geben, und seinem sehr verstimmten Wirth, Herrn Flümer, durch Boas bedeuten, daß er zwar bei ihm einquartirt sey, daß er aber täglich bei seinem Oheim, dem Marschall speise, und daher ihm nicht beschwerlich fallen werde. Was er übrigens an Frühstück, Licht, Holz und dergleichen Kleinigkeiten brauche, dafür werde er sich mit Herrn Flümer täglich durch einen goldenen Napoleon abfinden; er wisse wohl, daß ihm dieß Alles, nach leidigem Kriegsgebrauch, eigentlich unentgeldlich gebühre, allein er wolle, seiner Seits, das allgemeine Elend der harten Zeit nicht vermehren, und daher habe er sich zum Gesetz gemacht, überall so zu verfahren, so lange ihm dieß seine eigenen Mittel erlaubten; ihm sey nichts drückender, als von denen, die durch die Macht der Gewalt gezwungen wären, ihn in ihrem Hause beherbergen zu müssen, mit unfreundlichen Worten und Mienen behandelt zu werden; er bitte daher, ihn auf die kurze Zeit seines von ihm unverschuldeten Aufenthalts als Mitglied der Familie anzusehn, und werde sich auf alle mögliche Weise bemühen, sich dieses, ihm hier besonders theuern Glücks, werth zu machen u. s. w. Dem Armeeverhungerungbehülflichen Herrn Boas gingen diese, allem Kriegsgebrauch entgegenstrebenden Worte mit schwerer Mühe über die Lippen; denn er plagte, für seine werthe Person, die Unbeneideten, die das Unglück hatten, ihn zur Einquartierung zu bekommen, mit den unerschwinglichsten Forderungen, und nach seiner Meinung konnten die gebotenen täglichen Napoleonsd'or zu weit ergötzlichern Zwecken verwendet werden; indessen übersetzte er doch treulich, was ihm Nicolas in den Mund legte, und Herr Flümer traute seinen Ohren kaum, denn ein solcher Antrag war wohl gewiß noch von keinem Quartierberechtigten der großen Armee, so lange die dreifarbige Kokarde existirte, gemacht worden. Er kratzte hinten und vorn aus, bückte sich, den Jabot mit beiden Händen zusammen pressend, bis zur Erde, und sagte, um seinen Dank dem Franzosen auch in dessen Sprache zu verständigen, die Wörter Serviteur und obligirt, zehnmal in einem Athem.

Nach einer kleinen Pause äußerte, durch Herrn Boas, Nicolas die Nothwendigkeit, jetzt, wo Deutschland der Schauplatz des Krieges wahrscheinlich mehrere Jahre lang seyn werde, Deutsch zu lernen; fragte Flümern, ob er hier nicht jemand wisse, der ihm darin Unterricht geben könne, und machte, als dieser entgegnete, daß an diesem Artikel hier gänzlicher Mangel, und daher er selbst genöthigt gewesen sey, seine eigene Nichte, zur Verwaltung des Rathsdollmetscheramts herzugeben, den Vorschlag, dieser den gewünschten Unterricht zu übertragen.

Flümer zog die Achseln bis über die Ohrläppchen, schüttelte mit dem Kopfe und sagte: non possible. Er setzte dem Herrn Boas auseinander, wie unentbehrlich Tildchen auf dem Rathhause sey, und fügte, mit der Bitte, dieß jedoch hier in der Stadt nicht weiter zu verbreiten, lügenhafter Weise hinzu, daß er dafür täglich einen blanken holländischen Dukaten Auslösung erhalte, und bei seinen bedrängten Umständen und den fürchterlichen Kriegsausgaben, diesen schönen Zuschuß nicht entbehren könne. Da ihm indessen Nicolas darauf erwiedern ließ, daß er einen mit der Armee, aus dem Elsaß gekommenen, und beider Sprachen mächtigen Bedienten wisse, den Flümer unter viel billigern Bedingungen an Tildchens Stelle vorschlagen könne, und der ohnehin hier zurück bleiben müsse, weil er, kränklicher Umstände halber, dem Heere zu folgen, außer Stande sey; daß es des Oheims unwürdig scheine, seine Nichte, mit ihrer feinen Erziehung und ihrem Zartgefühl für Schicklichkeit und Anstand, mitten unter den rohesten, aller Zucht und Sitte jahrelang entwöhnten Krieger zu stellen; daß er gern das, was die arme Stadt an Diäten bewilligt, doppelt berichtigen werde, und daß er, aus Dankbarkeit für die Gefälligkeit, dem verehrten Herrn Flümer, und keinem andern, die große Medikamentenlieferung für das im benachbarten Jagdschlosse Rehburg, auf 5000 Betten zu errichtende Militairlazareth zuzuweisen, sich bei seinem Onkel, dem Marschall, bemühen werde, da schlug es bei Flümer durch. Er sagte unbedingt zu, ließ etwas von bonjour sequens – Maire – Rappell und Lection fallen, womit er wahrscheinlich sagen wollte, daß am folgenden Morgen schon vom Bürgermeister, Klotilde zurückgefordert werden und ihren Unterricht anfangen solle, und stürzte, er konnte sich vor heimlichen Entzücken nicht länger halten, zum Weinstübchen hinaus, um seiner Frau das Vorgefallene kund zu thun. Er kauderwälschte dieser im ersten Ergusse seines Entzückens alles bunt durch einander, pries den jungen Franzosen als einen Engel, und rief: hol nun der Teufel den ganzen König Salomo mit seiner mir vorgewindbeutelten Apotheke in der Residenz; Kaiser Napoleon ist mein Mann; unser schwarzer Mohr, Mäuschen, soll uns reich machen; Rehburg ist mein Peru, mein Guinea, und jedes der 5000 Lazarethbetten ist eine brasilische Goldgrube. Statt ChinaDas Pf. kostet 2½ Rthlr. das Flümersche Surrogat 6 gr. gebe ich Weidenrinde mit Bolus- und Sandelholz gefärbt; statt AmbraDas Loth kostet 1 Rthlr. das Flümersche Surrogat 2 gr. ein bischen Storax; statt des ächten BibergeilsDas Pf. kostet 124 Rthlr. das Flümersche Surrogat 15 gr. englisches, und statt MoschusDas Pf. kostet 384 Rthlr. das Flümersche Surrogat kaum 1 Rhl. mein Mixtum compositum von Benzoe, Judenpech und Bocksblut.

Stirbt heute ein Kranker, so lebt er in den Listen noch acht – vierzehn Tage, und nimmt immer frisch weg ein; und die Rechnungen werden nicht mit doppelter, sondern mit zehnfacher Kreide geschrieben; dafür verklebt man billigerweise den Sanitätoffizieren, den Oberärzten und Aufsehern Augen, Ohren und Maul mit goldenem Kleister; leben und leben lassen, ist mein Symbolum, und fangen wir hier es beim rechten Ende an, schlagen wir ein Heidengeld zusammen; bitten wir nur Gott den Allmächtigen, daß der Krieg hübsch lange dauere, dann sollst Du mal die Frau Apotheker Flümer mit ihren Pointkleidern, und ihren reichen Pelzen und den brillantenen Schmucksachen sehen. Donner und Victoria – nur ein zehn, zwanzig Jährchen Krieg, und die Flümers sind gemachte Leute.

Die Pointkleider und die Pelze und die Juwelen gefielen Madame Flümer wohl, nur nicht daß Klotilde dem jungen hübschen Nicolas deutsche Stunde geben sollte; das schicke sich nicht, meinte sie, und erglühte im Geheimen vor Eifersucht; Gelegenheit macht Diebe, sagte sie mit scheinheiliger Sittsamkeit: man muß keinen auf das Eis führen, und zum brennenden Schwefel kein Pulverfaß setzen.

Pah! erwiederte lachend Herr Flümer: Tilde ist alt genug, um bei ihrer Tugend selbst Schildwache zu stehen! Wir können sie doch nicht hüten. Wenn Er wollte, könnte Er von dem kranken Bedienten das Deutsche eben so gut lernen, als von Tilden; aber – i – so viel habe ich wohl weg, er scheint ein ganz absonderliches Auge auf das Mädchen zu haben.

Scheint er das? fragte Madame Flümer rasch, und ihr Auge rollte dunkler: und Du wolltest dem Menschen, dem – – es ward ihr schwer, das Wort auszusprechen, denn es ging ihr nicht vom Herzen, – dem Feinde, das Kind ordentlich absichtlich in die Arme werfen?

Herzensputhühnchen, rief der geldsüchtige Gatte: lege in die eine Wagschale fünftausend Krankenbetten, und in die andere das dumme Ding, die Tilde – was wiegt schwerer? Müssen in der jetzigen Zeit doch alle unsere Herren Geheimen Obermedicinalräthe, Präsidenten und Minister ihre Söhne hergeben; was ist denn Mamsell Tildchen Besseres? – und fällt sie, so – so fällt sie auch für das Vaterland! denn durch sie erhalte ich die Lazarethlieferung; die Lebendigen bringen mir da drinn keinen Nutzen, sondern die Todten, die in den Listen noch ein Paar Wochen wenigstens, als lebend fortgeführt werden, und an denen soll es nicht fehlen, dafür laß mich sorgen. Wie die Fliegen sollen die Kerle sterben, und wenn unsere Marschälle und Generale einen Orden verdienen muß ich zwei bekommen; denn was diese nicht im Felde auf das Haupt schlagen, will ich in meinen 5000 Betten schon mürbe machen.

Klotilde stutzte nicht wenig, als ihr der Oheim mit freundlichem Gesichte eröffnete, daß sie der lästigen Rathsdollmetscherstelle entbunden sey, dafür aber der Einquartierung Unterricht im Deutschen geben müsse.

Der dunkelste Purpur überflog im Augenblicke ihre Wange; sie fühlte, daß sie roth wurde und wußte doch nicht deutlich warum. Sie freute sich wohl, von jenem ihr vom Anfange an widrigen Posten erlös't zu sein; allein nun wieder zu diesem sonderbaren Amte commandirt zu werden! – Ja,. wenn Nicolas sie darum gebeten – dann hätte sie ihm gewiß den Gefallen recht gern gethan; sie war ihm ja Dank schuldig; er hatte sie gegen den wüthenden Kürraßieroffizier geschützt; aber so – unbekannt mit dem Gewebe, in das sie Flümers Eigennutz verstrickt hatte, fand sie in der Manier etwas Unzartes, etwas – sie war selbst nicht recht im Klaren mit sich. Nu, Du sagst ja gar nichts dazu, hob endlich der Oheim an: Du wirst blos roth bis über die Ohren, und antwortest keine Sylbe.

Was soll ich entgegnen? sagte Klotilde verlegen: sobald Sie es befehlen, muß ich es thun, nur –

Nu, fuhr Flümer auf, der, wenn sie sich weigerte, schon den Franzosen böse werden und dann sein Jagd- und Lustschloß Rehburg, sammt den 5000 Betten, wie ein Traumbild verschwinden sah: nu, was haben wir denn wieder einmal für Bedenklichkeiten! Vergiß nicht, was wir an Dir Alles gethan haben, und noch thun. Der Mensch hat mein Glück in der Hand. Ich muß ihm gefällig seyn; er wünscht Deutsch zu lernen; hier ist kein Mensch, der dazu taugt, als Du: also kann ich, sollte ich meinen, diese kleine Aufmerksamkeit von Dir wohl erwarten; sie wiegt, das wirst Du selber fühlen, all das Gute und Liebe, was Du bei uns genossen, noch lange nicht auf.

Ich will ja auch, sagte sanft bittend, die arme Klotilde: nur finde ich nicht recht schicklich, daß ich mit dem jungen Mann stundenlang allein, –

Sehr richtig, fiel ihr Madame Flümer beifällig in das Wort. Sieh Männchen, das verstehst Du nicht; Ihr Herren habt von der Blödigkeit, von der schamhaften Schüchternheit unsers Geschlechts keine Idee; Du könntest mir Geld über Geld bieten, ich sollte mit so einem fremden jungen Mann stundenlang allein seyn, besonders mit dem; ich weiß nicht, setzte sie hinzu, wahrscheinlich um Klotilden vor ihm bange zu machen, und jede Annäherung zwischen beiden möglichst zu entfernen: ich weiß nicht, er hat – wenn man ihm in die pechschwarzen Augen sieht, wird es einem ganz deutlich – er hat einen großen, so scheint mir es wenigstens, einen sehr großen Hang zum Tiefsinn; ich fürchtete mich zu Tode, wenn ich mit dem allein seyn sollte; indessen – er wünscht den Unterricht, und Du mein Schatz bestehst darauf, und so will ich, Dir zu Liebe, gern das Opfer bringen, und selbst mit gegenwärtig seyn. Dann ist der Anstand unsers Hauses nicht verletzt, und ich kann den jungen Menschen immer in dem gehörigen Respect halten.

Tildchen war das eigentlich nicht recht; warum wußte sie selbst nicht deutlich; aber sie mußte schon so thun, als danke sie der Tante für den mütterlichen Schutz, dessen sie, nach ihrem Gefühl, gar nicht bedurfte.

Doch in den ersten Stunden schon belehrte sie sich eines andern. Vor der Gefahr, die sich hier vor ihrem innern Auge aufschloß, konnte sie kein Engel, am wenigsten Tante Flümer schützen. Ja! diese hatte Recht; in seinem Blicke lag etwas ganz eigenes; aber Tiefsinn war es nicht; das unnennbar Heilige der zartesten Liebe war es, das Entzücken der ersten Regungen in dem Tiefsten seiner reinen Brust; Klotilde saß ihm anfangs gegenüber; aber sie konnte das nicht lange aushalten, sah sie ihm in das große, sanfte, schwarze Auge, so meinte sie in eine Kirche zu sehen, so fromm und still und feierlich ward ihr zu Sinne; aber sie mußte lächeln, wenn sie das Schelmengrübchen in der blühenden Wange gewahrte, und laut lachen, wenn sich die frischen Lippen des kleinen hübschen Mundes grausam zerplagten, das schwere Deutsch herauszumartern. Sie ließ ihn neben sich sitzen, aber da ward das Uebel nur ärger; sie sahen beide in ein Buch; sie hatte gemerkt, daß ihm die Worte, wo das r vor einem Mitlauter stand, am schwersten auszusprechen waren; um ihn daher zu üben, hatte sie mehrere Wörter dieser Art aufgeschrieben; z. B. Donnerkeil, Karpfen, Sterben, Marter, sie hielt mit dem rosigen Zeigefinger der Rechten eben die Worte Sterben und Marter, fest, die er lesen sollte; dreimal setzte er mit dem Sterben und Marter an, und blieb immer stecken; er bog sich jetzt näher, als könne er die schweren Worte des Barbaren-Deutsch nicht recht erkennen, zog, von der Tante, der sie den Rücken zuwendeten, ungesehen, die kleine Hand dem Munde näher, drückte ihr in aller Geschwindigkeit einen Kuß darauf, und senkte so, ohne daß er es selbst wußte, das süße Gift der heimlichen Liebe in Klotildens empfängliches Herz; das Mädchen erschrack über den kecken Streich, aber die Tante saß ja hinter ihr; sie schwieg, und ein leiser Schauer, wie sie ihn zuvor nie kannte, überwehete sie sonderbar; sie zitterte in allen Fiebern, und doch konnte sie dem tollen Menschen, der sie so erschreckt hatte, nicht zürnen. Ging es doch dem armen Nicolas in dem seligen Augenblicke, als das Blumenthor in seinem bis jetzt noch völlig liebefrei gebliebenen Herzen, dem stürmenden Amorettenschwarme sich zum ersten Male öffnete, um kein Haar besser. Er weidete sich an Klotildens mädchenhafter Verlegenheit, und war selbst verlegener als sie; er sah am Zittern ihrer Busenschleife, wie gewaltsam sie erschüttert war, und ihm selbst war es, als hätte eine unsichtbare elektrische Macht ihm alle Pulse zerschlagen; er verlor sich in dem stillen Schmachten ihrer himmelblauen Augen, und war, vor Entzücken über die halb dunkele Ahnung, diesem süßen Mädchen nicht ganz gleichgültig zu seyn, unvermögend, ein Wort zu sprechen, weder ein französisches noch ein deutsches. Als aber Madame Flümer, der die Pause etwas zu lange wurde, aufstand, um zu sehen, ob etwa das in der Kehle stecken gebliebene Wort dem jungen Menschen das Leben gekostet habe, fuhr er zusammen, und sprach das Sterben und die Marter mit so furchtbar hohler Stimme aus, als solle noch heute im ganzen Hause keiner am Leben bleiben.

Flümer machte mittlerweile ungeheure Geschäfte. Nicolas hatte Wort gehalten; die ganze Medikamentenlieferung in das Lazareth zu Rehburg war dem Glücklichen zugefallen. Nicolas war sein Abgott, und Klotilde, der er unstreitig diese Goldquelle zu verdanken hatte, stieg wieder bei ihm im Preise. Das Flümersche Haus ward jetzt der Sammelplatz der ersten Beamten von der Sanitätparthie, vom Kommissariate, und von der Kasse; der schlaue Flümer verstand recht gut die große Kunst, eine solche Sache beim rechten Ende anzufangen; er gab eine Fete über die andere; ließ auftragen, daß die Tische hätte brechen mögen, und vergoldete die Finger der Bestechlichen in vollem Maaße.

Madame Flümer hatte jetzt mit ihrem, auf einmal in die höchst möglichste Eleganz gestürzten Hauswesen, mit den Arrangements zu den ewigen Festins, mit dem Empfange der beständigen Visiten so vollauf zu thun, daß sie den Wachtposten bei Klotilden und Nicolas bald aufgab. Der Mensch gefiel ihr auch gar nicht mehr so, wie anfangs; hübsch war er, das mußte ihm der Neid lassen; aber doch auch gar zu blöde; und hinsichtlich des guten Tildchens war, meinte sie, noch weniger zu besorgen. Ihr machte er zuweilen ein artiges Geschenk, Klotilden hatte er noch keinen Pfifferling gegeben; ihr küßte er jedesmal, wenn er ging und kam, ehrerbietig die Hand; Klotilden sah er nicht an. Mit ihr sprach er, wenn sie große Gesellschaften hatten, fast unaufhörlich; mit Klotilden beinahe kein Wort. Sie hatte übrigens in der französischen Sprache, durch den täglichen Umgang mit ihm und andern Franzosen, recht tüchtige Fortschritte gemacht, so daß die Köchin und das Dienstmädchen und selbst der Mann, oft ihr blaues Wunder darüber hatten; so rief sie z. B. dem Dienstmädchen über die ganze Gesellschaft weg, es solle die Bouillon-Fleischbrühe herumgeben; Nicolas fragte sie, ob man ihm auch einen botte-valet besorgt habe; sie bat ihn um eine lumiere-ciseaux, und da sie das Licht zufällig ausputzte, sagte sie, sich entschuldigend: il est sorti. Dem Marschall, der sie auf Nicolas Veranstaltung mit seinem Besuche beehrte, präsentirte sie ihren Mann, als Klotildens avant-bouche, entgegnete ihm, als er über die Ungefälligkeit der hiesigen Leute gegen seine Soldaten klagte, mon dieu, est il possible; il donne donc ici un tres bon coup des hommes, rückte auf das Sopha zu, und bat ihn, zu thun, als ob er a maison wäre.

Nicolas schritt dagegen im Studium der deutschen Sprache gediegener vor. Wenn Klotilde redete, horchte er in stiller Behaglichkeit dem Wohllaute ihrer Worte; er sog jede Sylbe von ihren Purpurlippen, und meinte, vom Zauber ihres gewählten Ausdrucks bestochen, daß keine Sprache der Welt reicher sey, als die Deutsche.

Umsonst suchte er in der seinigen den sinnigen Unterschied zwischen tändeln und läppischen, umsonst die zarten Worte lieblich und kosen. Nur die gemüthvolle deutsche Liebe, die unter tausend muthwilligen Neckereyen, unter dem süßen Spiel des schuldlosesten Scherzes ihre ersten Knospen entfaltet, nur diese könne solche bezeichnende Worte erfunden haben. Aus einem der ersten Häuser des südlichen Frankreichs, im Kreise einer sittenreinen Familie erzogen, von den Segnungen einer frommen Mutter begleitet, war Nicolas, als eins der hunderttausend Schlachtopfer des grausamen Konscriptionsgesetzes, den Adlern des despotischen Zwingherrn gefolgt. Der nahen Verwandtschaft mit dem Marschall hatte er die gefahrlosere Anstellung bei der Kriegskasse zu danken. Im Geheimsten seines Herzens bittern Haß gegen den großen Würgengel der Welt, zog ihn das Mitgefühl des Elends, in dem er Deutschland schmachten sah, unwiderstehlich zu dem niedergedrückten Volke. Wir sind Nachbarkinder, sagte er mit freundlicher Gutmüthigkeit. Euer deutscher Rhein und meine Rhone – nur zwei Stunden weit von einander entspringen beide auf den St. Gotthard. Warum sollen wir einander Feinde seyn, warum uns hassen? Was that ich Euch? was ihr mir? Er verrieth in den traulichen Stunden, die er jetzt mit der verständigen Klotilde allein war, und in welchen ihm diese das Glück des vormaligen Landfriedens und die Greuel der jetzigen Lage mit lebendigen Farben schilderte, bald seine Ansichten, und die kleine Scheidewand, die das deutsche Mädchen zwischen sich und dem einnehmenden Franzosen anfänglich aus Patriotismus und Franzosenhaß mühsam zusammen gemauert hatte, fiel bald aus einander, als sie den vermeintlichen Feind ihres Vaterlandes so sprechen hörte. Das Geheimniß seines politischen Glaubens heilig bewahrend, gewann sie ihn um seiner Bescheidenheit, seiner sanften Milde, seines fröhlichen reinen Herzens willen, immer lieber, und als er ihr aus einander setzte, daß die drei Farben seiner Kokarde, roth, weiß und blau, ihm in seinen Augen auf nichts als auf Liebe, Unschuld und Treue deuteten, und ihr sein Blick deutlich sagte, daß er in diesem Sinne dieß Panier einzig und allein in ihrem Dienste trage, verstummte allmählig auch der Widerwille, der sie früher jedesmal überwallt hatte, wenn sie jenes Zeichen der trotzigen Waffengewalt am Andern erblickte.

Bei der Rohheit des Flümerschen Ehepaares bedurfte er keines besondern Scharfblicks, um Klotildens Verhältnisse bald kennen zu lernen, die ihr in diesem Hause um so drückender seyn mußten, als sie, in ihrer gepreßten Lage, der Kälte, der Lieblosigkeit, der härtesten Indolenz, nichts als Sanftmuth und Duldung entgegen zu setzen hatte. Klotilde klagte nie, auch wenn sie die ungerechteste Behandlung erlitt; aber an ihrem Schmerzgesichtchen, an ihren verweinten Augen, die wahrhaftig nicht so bezaubernd schön geschaffen waren, um über solche Gemeinheiten eine Thräne zu vergießen, nahm er immer mit bekümmerter Theilnahme, wahr, wie unwürdig sie wieder einmal behandelt worden war. Bisher hatte er den stummen Leidtragenden gespielt; als er aber fortwährend die Gewaltthaten bemerkte, die man sich gegen das hüflose Kind erlaubte, und die in dem Maße zunahmen, in welchem Flümers fühlten, sich in der Gunst der Sanitätoffiziere so festgesetzt zu haben, daß sie Nicolas Verwendung nun nicht mehr bedurften, konnte er dem innern Grimme nicht länger wehren.

Er nahm die erste Gelegenheit war, Klotilden auf ihre unverdiente widrige Stellung aufmerksam zu machen, entschuldigte sein unberufenes Einmischen mit seiner Theilnahme, mit seiner – er sprach das Wort zum ersten Male aus – mit seiner Liebe, und bat, ihm die Mittel zu nennen, sie von der Verbindung mit diesem Hause loszumachen.

Klotilde hörte dem Strome seiner Eiferrede, der seinem edlen Herzen so heiß und lebendig entquoll, mit wohlgefälliger Rührung zu; sie sah tief gebückt vor sich nieder, um die Thränen vor ihm zu verbergen, die ihr still über die Wange hinab tropften. Seit des Vaters Tode hatte mit solchem freundlichen Antheil, mit solcher innigen Sorglichkeit, mit solcher gutmüthigen Wärme, noch Niemand zu ihr gesprochen. Im ganzen Kreise ihrer Bekanntschaft war Keiner, der die Verlassene geschützt, Keiner, der ihr Rath und Hülfe bot. Wunderbare Fügung! Der blutige Krieg, der unermeßliches Elend über die Erde brachte, sollte ihr, aus weiter Ferne, von den Küsten des mittelländischen Meeres her, den rettenden Freund zuführen. Sie schüttelte, ohne aufzusehen den Kopf und sagte unter sanftem Weinen leise: mir kann Niemand helfen. Da umschlang Nicolas die Tiefgebeugte, und sagte ernst und bewegt, daß er das so nicht länger mit ansehen könne. Er habe bereits an seine Mutter geschrieben, ihr sein Herz entdeckt, und um das Glück gebeten, Klotilden ihr als Tochter zuzuführen. Von den Ansichten der Mutter dürfe er eine bejahende Antwort mit Gewißheit erwarten; noch beim Abschied habe sie halb im Scherz halb im Ernst gesagt, daß er aus Deutschland, wo die Mädchen unterrichteter, häuslicher und fleißiger wären, als in Frankreich, eine hübsche Frau mitbringen solle; in Klotilden habe er die Genügung aller jener Erfordernisse vereinigt gefunden; wolle Klotilde also, wie er, und glaube sie an ihn, an seine Schwüre, so solle sie dort, im mütterlichen Hause, Ersatz für die bisherigen Entbehrungen alles Lebensgenusses, und in seiner Liebe, in seiner Treue das Anerkenntniß ihres Liebreizes, ihres Werthes, ihrer Tugend finden. Ich kann, schloß er tief bewegt, und die Augen standen ihm voll Wasser: leider Dich nicht selbst in meine friedliche Heimath geleiten; aber Du sollst dort in dem milden Klima, in der himmlischen Gegend, in unsern Lorbeer- und Myrthenhainen, im Schatten duftender Orangen, im lauschigem Halbdunkel unserer blaßgrünen Oliven- und Mandel-Wälder, in unserer, von Lavendel und Melisse balsamisch durchwürzten Luft, und im Kreise guter Menschen, bald die Kränkungen vergessen, mit welchem Dich hier das Geschick verfolgte; und kehre ich dann, nach wiederhergestelltem Weltfrieden, zurück in mein herrliches Frankreich, und ich finde Dich dort an dem Ufer der Rhone, im Schooße meiner Familie, und sie schmücken Dir das Haar mit den schönsten Kränzen unserer Myrthen – Klotilde – meine einzige, meine über Alles geliebte Klotilde, meine heilige Mildwida von St. Saveur, sage Ja, und der seligste Mensch dieses Erdenrundes liegt zu Deinen Füßen.

Da sank Klotilde fröhlich weinend an sein Herz und der erste Wechsel-Kuß der reinsten Liebe besiegelte den schönen Bund.

In diesem süßen Augenblicke, in dem das überraschte Mädchen nicht wußte, ob es wache oder träume; in dem die bräutlichen Schauer schüchterner Befangenheit, Herz und Seele überflogen; in dem die Phantasie den Schwärmenden die reizendsten Bilder der Zukunft, an den blumigen Gestaden des mittelländischen Meeres, vorzauberte; in dem eins das andere fragte, wie das Alles so sonderbar komme, wie eins dem andern betheuerte, ihm gleich vom ersten Augenblicke an, mehr als gut gewesen zu seyn; in dem sie unter Lachen und Scherzen zurückgingen auf die frühere launige Geschichte ihrer Bekanntschaft, wo der Rathsdiener Schnäpsler, den schlafenden Nicolas der erschrockenen Klotilde als einen Todten präsentirt hatte; in dem sie dieß alles sich einander in fröhlicher Unschuld mittheilten, und tausend Pläne schufen, und statt der Kommata und Interpunctionen; die Rede, über alle grammatikalische Gebühr, mit Kosen und Küssen unterbrachen; in diesem überseligen Augenblicke begannen Napoleons Trommeln, unter dem Fenster der Glücklichen, mit rasendem Wirbeln, den Generalmarsch zu schlagen, und an allen Ecken durchkreuzten eilige Trompeter mit verhängtem Zügel die Straßen, und bliesen Alarm.

Was ist das? fuhren beide erschrocken auf, und flogen an das Fenster; aus allen Häusern stürzten die Einquartirten mit Sack und Pack heraus; Alles jagte und lief zu den Sammelplätzen, und Nicolas sprang geisterbleich und athemlos zum Marschall.

Klotildens schönste Stunde des Lebens hatte geschlagen. Nicolas kam in wenigen Minuten zurück, und berichtete, daß Order zum schleunigsten Aufbruche eingetroffen sey; er tröstete mit gebrochenem Herzen die Verzagende; er betheuerte von Neuem ihr seine treue Liebe bis zum Tode: versprach posttäglich zu schreiben; bat, wenn Briefe an ihn eintreffen sollten, sie zu öffnen; beschwor Klotilden, die Gelegenheit, die er für sie zur Reise in sein Vaterland ehestens ausfindig zu machen hoffe, nicht zurückzuweisen, und stellte sie, da eben Flümers eintraten, um nach der Ursache des schnellen Aufbruchs zu fragen, diesen zu ihrem größten Erstaunen, als seine verlobte Braut vor, die er nach hoffentlich bald beendigtem Feldzuge, in dem Hause seiner Mutter zu finden gedenke, um sich dann dort im Kreise seiner Familie mit ihr auf immer zu verbinden.

Klotilde hörte von dem Allem kaum die Hälfte. Ihr vom Schmerz der Trennung zerrissenes Herz lös'te sich in die bittersten Thränen auf. Sie fühlte jetzt erst, mit welcher namenloser Liebe sie den ihr aus fremder Ferne Zugeführten umfaßte. Sie hatte ihm noch tausend Dinge zu sagen, noch tausend ihn zu fragen, und nun sollte er fort, jetzt im Augenblicke fort, dem verhängnißvollen Geschick des blutigen Krieges entgegen. Die letzte Minute ihres Beisammenseyns, vielleicht die allerletzte in ihrem Leben, konnte sie nicht einmal allein mit ihm genießen. Flümers, Adjutanten, Bedienten, Offiziere, Alles kam und rannte wider und über einander, daß Beide nicht zu sich selbst kommen konnten. Das Dunkel der trüben Zukunft in der bangen Seele, die glühendste reine Leidenschaft im liebenden Herzen, lagen im schrecklichen Augenblicke des Scheidens beide einander in den Armen. Treue bis zum Tode, war Beider letztes Wort, und Klotilde sank, als Nicolas vom Adjutanten des Marschalls an den endlichen Aufbruch freundlich erinnert, sich losriß und zum Hause hinaus schwankte, ohnmächtig auf das Sopha nieder.

Als sie zurück in das Leben kam, hatte Nicolas schon seinen flüchtigen Braunen unter sich und die Thore der Stadt im Rücken; sein Bursche kam in gestreckter Karriere zurück, und brachte ihr vom Herrn den Schlüssel zum Büreau, den dieser, vorgeblich aus Vergeßlichkeit, mitgenommen hätte, und viel tausend herzliche Grüsse.

Klotilde öffnete das Büreau, in der Erwartung, vielleicht einige Worte des Abschieds von ihm darin zu finden. Die arme Getäuschte! wo konnte er, bei diesem Drängen der Umstände, an das Schreiben gedacht haben! – und doch – im letzten Schubfache rollte ihr eine saubergepackte ansehnliche Goldrolle entgegen, mit der Ueberschrift: Der geliebten Klotilde zur baldigen Reise in Nicolas Heimath.

Nicht der gewichtige Inhalt der schweren Rolle war es, was Klotildens Schmerzgesichtchen ein dankbares Lächeln abgewann, – denn Gold hat für die engelreine Liebe eines solchen Herzens keinen Werth, sondern die zarte Weise, mit der er, mitten im Gedränge der letzten Augenblicke, des Mittels gedacht hatte, sie in den Schooß seiner Familie zu geleiten, und mit der er sich der Verlegenheit überhoben hatte, von Klotildens Dank beschämt zu werden. Ich will hoffen, und an ihn glauben, sagte Klotilde leise vor sich hin, und sendete ihm der Küsse heimlichste nach.

Flümers betrugen sich gegen Klotilden ziemlich artig, denn sie hörten von den Beamten des noch in Rehburg zurückgelassenen Lazareths, daß Nicolas aus einer alten reichen Familie sey, die im ganzen Departement der Rhonemündungen wegen ihrer Rechtlichkeit und ihren Verbindungen in der Residenz, allgemein geachtet werde, und daß Nicolas der künftige alleinige Erbe eines Vermögens sey, das fast einem fürstlichen gleiche. Bei Beaucaire und Arles lägen die Besitzungen seiner Mutter, und von dem Ertrage der, in diesen befindlichen Oliven- und Mandelwälder, und von dem dort wildwachsenden Ueberflusse an Centifolien, Myrthen, Melisse, Lorbeeren, Rosmarin, Lavendel und Salbei erzählten seine Landsleute so viel, daß Flümer schon im Stillen sich beim reichen Neffen Nicolas ausbedung, die Apotheke mit gedachten Artikeln unentgeldlich zu versorgen.

Zweimal erhielt Klotilde von dem Geliebten Briefe. Beides waren der Erguß seiner Sehnsucht; beide verriethen die bange Besorgniß über die Ewigkeit, in der er sie nicht wieder sehen werde, und besonders war die Sprache im letzten so weich und düster, daß er Klotilden, so oft sie ihn las, die heißesten Thränchen kostete. Es können Jahre vergehen, schrieb er unter andern: ehe unser Glücksstern uns wieder zusammen führt. Klotilde, meine einzige Klotilde, mein deutsches, treues Mädchen, Du hast geschworen, mein zu seyn, bis zum Tode, aber darf ich denn wagen, dieß zu glauben? War es nicht ein Wort der Übereilung? durfte ich es denn fordern? darf ich denn zürnen, darf ich Dich denn meineidig nennen, wenn Du es brichst? Wenige Monate kannten wir uns, und Du sollst mir für das ganze Leben angehören? Ich wohl, ich werde Dein bleiben, bis in alle Ewigkeit; aber so kannst Du mich auch nicht lieben, als ich Dich! Ich denke nichts, als Dich. Ich sehe, ich höre nichts, als Dich; ich träume von Nichts; als von Dir. Ich wiederhole mir jedes Deiner Worte. Ich sehe nur in Dir. Leben und Welt sind mir ohne Dich nicht denkbar. Ich möchte Dir zehntausendmal hinschreiben: Ich liebe Dich; ich möchte es Dir mit meinem Blute hinschreiben! aber Du weißt es ja! Ach nein, Du weißt es nicht, Du kannst es nicht wissen! Mit der schwarzen bittersauren Dinte, mit meiner elenden Feder soll ich Dir sagen! ach, warum nicht mit einem Blicke? warum nicht mit einem Kusse. Klotilde – warum nicht? – Hat denn schon Einer nach mir auf Deinem Stübchen gewohnt? liebe Tilde! um Gotteswillen nicht! Sag deinem Onkel, er solle Schwefelleber machen, Tag und Nacht, und tausendmal mehr als damahls, da er mich mit seinem Pestilenz-Weihrauch wegbannen wollte. Gott – ich kann noch scherzen, und das Herz blutet mir, und die Augen stehen voll Wasser. – Von der Mutter habe ich noch keine Antwort. Das ängstigt mich – nicht weil ich an ihrer Einwilligung zweifle, denn deren bin ich, nach dem, was ich ihr über Dich schrieb, im Voraus völlig gewiß, sondern weil ich für ihre Gesundheit fürchte. Meine gute, meine herrliche Mutter! ihre bange Bekümmerniß um mich trübt ihr jede Stunde, und ich bin so glücklich und so elend! O – Allmächtiger, sende aus Deinem Himmel den Engel Deines Friedens auf die blut- und thränenbedeckte Erde – dann Klotilde, meine einzige, mit deutscher Treue geliebte Klotilde, dann segnen uns, Deinem Ebenbilde der heiligen Mildwida von St. Saveur gegenüber, meine Mutter und die Kirche zu dem Bunde ein, den nichts, auch selbst der Tod nicht trennen soll.

Mit Gelegenheit eines Kouriers, den Klotilde kannte, und der eben durchging, um dem Marschall Depeschen zu überbringen, beförderte sie einige Zeilen an Nicolas. Mein einziger, mein innig geliebter Freund, schrieb sie unter andern: Du thust mir wehe, wenn Du an mir zweifelst. Du bist ja mein Alles. Nur durch Dich hat das ärmliche Leben mir neue Reize gewonnen. Ich klage nicht über die tausend Hindernisse, die der Erreichung unsers Ziels im Wege liegen; gerade diese sind mir Bürge, daß mir das Glück werden wird, Dich dereinst mein nennen zu können. Du bist mir das Höchste meines Lebens, und wer das Höchste erringen will, muß, das liegt ja in der Natur der Sache, mit mancher Schwierigkeit kämpfen, ehe er den ersehnten Gipfel erklimmt. Ich weine wohl, wenn ich allein bin, und härme mich, daß Du fern bist, und nicht dicht neben mir in meinem lieben Schmollstübchen, wo Dir immer so behaglich war; aber jetzt, in dem seligen Augenblicke, wo ich die lieben Schriftzüge Deiner Hand vor mir liegen habe, wo ich mit Dir plaudere, kann ich nur fröhlich seyn, daß mir wenigstens das Glück geblieben ist, durch die Feder, die weiter reicht, als das beßte Sprachrohr, mit Dir in vertrauter Beziehung zu bleiben. Rings um mich liegen lauter Bücher über Frankreich. Ich bin schon in Deinem Vaterlande zu Hause, als wär' ich darin geboren, und freilich, wenn ich an die blumenbedeckten Ufer Deiner Rhone, und an Eure Mandel- und Olivenwälder denke, wollen mir unser Kalmus und unser Sumpfporst am Mühlbache, und die dürren Kiefern des Finsterberger Stadt-Forstes nicht mehr gefallen; dorthin zieht es mich mit der süßen Gewalt der Liebe; dort, und nur dort grünen die Saaten meiner glücklichen Hoffnungen.

Wenige Tage nach Empfang dieses Briefes hörte Klotilde mit klopfendem Herzen von einer bedeutenden Schlacht, in der das Corps, bei dem Nicolas stand, total geschlagen, und bei dieser Gelegenheit die ganze Kriegskasse erbeutet sey.

Die ganze Stadt, in der wenig Einquartierung sich noch befand, überließ sich dem lautesten Jubel, und die Patrioten benutzten die Veranlassung, sich diesen Abend im Flümerschen Pipstübchen etwas zu Gute zu thun. Einer wußte immer mehr als der andere zu erzählen, und der letzte hatte seine Neuigkeiten noch nicht aufgetischt, als schon die ganze feindliche Armee dermaßen zusammengeschossen war, daß sich auch nicht Ein Mann mit dem Leben hatte retten können. Klotilde verlor den Athem aus der Brust. Sie sollte sich mit freuen, mit anstoßen auf Tod und Verderben aller Franzosen! Der Sextus kam, und brachte, außer sich vor Lust und Seligkeit über die erquicklichen Anzeichen vom schlechten Stande des französischen Kriegsglücks, Flümern die Todespost, daß das Rehburger Lazareth über Hals und Kopf evacuirt werde. Morgen, rief er, und stürzte ein Glas Dreimännerwein in die heisere Kehle, als sey es der süßeste Nektar: morgen feiern wir das Siegesfest; ich habe schon mit dem Bürgermeister Alles besprochen. Punkt acht Uhr zieht die ganze Stadt vom Rathhause in die Kirche; auf beiden Thürmen Trompeten und Pauken. Ich führe den Zug; vorn die Schule, dann alle Jungfrauen der Stadt; dann die löblichen Gilden und Bürger, hinter diesen die Frauen; zuletzt der Magistrat, von den Honoratioren begleitet; vorn und hinten die Schützen; Alles geschmückt mit Eichenzweigen, woran sich Eicheln befinden, denn diese deuten auf die Frucht unserer Opfer. – Der anwesende Stadtförster äußerte sich zwar sehr heftig gegen den Schluß dieses Vorschlags, und schob die Bedürftigkeit der Kämmereikasse vor; die den hieraus offenbar entstehenden Ausfall der Mastnutzung gegenwärtig nicht vertragen könne; doch der Sextus rief im glühenden Eifer; was Eichelmast, was Schweine; wir sind auch mager geworden und haben gehungert; der Henker wird das liebe Schwarzvieh nicht holen, wenn es dießmal auf den deutschen Siegesschmuck verzichtet. Während des Triumphzugs lasse ich räuchern; die ganze Prozession muß in einem Qualme von Wohlgerüchen die Straßen entlang schwanken. Flümerchen, Ihr liefert den Weihrauch wohl gratis. Bei Rehburg habt Ihr redlich verdient; das bischen Wachholderbeere und Mastix wird Euch ja den Hals nicht gleich kosten, und Sie, fuhr er zu Klotilden sich wendend fort: Sie, meine stolze Siegwurzel, Sie sollen meine Triumphatrix, meine Victoria machen. Einen Lorbeerkranz im goldgelockten Haar, einen Palmzweig in der Hand, mit Flügeln angethan, und in weißem weitfaltigen Gewande, so stellten die Griechen ihre Nike dar, und so sollst Du, götterschöne Tochter der Titanen, Pallas und der Styx, traute Schwester des Zelos und Kratos und der Bia,Des Muthes, der Stärke und der Gewalt. morgen, im Festzuge, von zwei Brauknechten und zwei Schneidergesellen, hoch über dem Volke getragen werden. Inzwischen wird, was an Halbgenesenen allhier zurückgeblieben ist, unter der Hand, von sichern Leuten in den stillen Orkus befördert, und wir singen im Tempel Te Deum laudamus.

Ein Trupp von zwanzig Husaren, der diesen Abend spät, zufällig in Finsterberg eintraf, rettete, ohne seine Großthat zu ahnen, dem, mit der schmählichsten Kürzung bedrohten Schwarzvieh seine Eicheln, Flümern seinen Wachholder und Mastix, den Halbgenesenen aber das Leben, und überhob Klotilden der widrigen Rolle der Siegesgöttinn. Kein Mensch in der ganzen Stadt that, als sey ihm nur im Entferntesten der Gedanke eines Triumphmarsches in den Sinn gekommen, und statt des geträumten Freudenjubels, herrschte auf allen Straßen eine solche öde Stille, daß Flümer in der Trauer über den Verlust seiner brasilianischen Goldgrube, seines Rehburger Lazareths, und die arme Klotilde, in ihrer bangen Besorgniß um Nicolas, durch nichts gestört wurden.

Bei dem sehr bedeutenden Vermögen, das Flümer durch seine Weise, die Lazarethunternehmung zu benutzen, in wenigen Monaten zusammengeschlagen hatte, konnte es an Neidern nicht fehlen; man nannte ihn laut und heimlich einen Franzosenanhänger, einen Landesverräther, einen Blauangelaufenen; indessen, er schimpfte, sobald er merkte, daß der Wind dich drehte, wie ein Rohrsperling auf die Hallunken, die ihm den Betrag der in der letzten Woche gelieferten Arznei nicht bezahlt hätten; betheuerte, daß er nur gethan, als ob er es mit ihnen hielte, um den Lazarethbürgern die nöthigen Schlaftränkchen gehörig beibringen zu können, log mit dreister Stirne, daß er mehr geliefert habe, als mancher General im offenen Felde, und gewann damit so ziemlich wieder das Vertrauen seiner Mitbürger.

Desto empfindlicher mußte Klotilde büßen. Das trauliche Verhältniß, was zwischen ihr und Nicolas obgewaltet hatte, war nicht unbemerkt geblieben; Flümers Plaudersucht hatte dem und jenem, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, das Geheimniß, daß Klotilde die förmlich erklärte Braut des reichen Nicolas sey, verlautbart; diese und jene hatten die interessante Neuigkeit, natürlich allemal unter dem Siegel der Verschwiegenheit, weiter verbreitet, und so war Klotildens Allerheiligstes in wenigen Tagen stadtkundig. Vielleicht, – gewiß hätte in Klotildens Lage, keine der Finsterberger Schönen, dem liebenswürdigen Nicolas gegenüber, anders gehandelt; aber die Mißgunst, der Neid, die Eifersucht spritzten jetzt in vollem Maaße ihr Gift über das unglückliche Mädchen. Alle verdammten es einmüthiglich, und der Patriotismus mußte das Bollwerk seyn, aus dem sie die Vertheidigunglose mit den glühenden Kugeln des Spottes und der Verachtung, ohne Schonung bewarfen. Man höhnte sie hinter ihrem Rücken mit dem Spitznamen der französischen Mamsell; stichelte in ihrer Gegenwart auf Mädchen der lüderlichsten Klasse, die den Franzosen nachgelaufen waren; ärgerte sie absichtlich mit bald wahren bald erdichteten Geschichten der schändlichsten vom Feinde begangenen Greuelthaten, und quälte sie – alles im Wahne, dadurch einen Beweis seines Patriotismus zu geben, – auf so mannichfaltig hämische Weise, daß sie jedesmal weinend nach Hause kam, und sich jetzt das Versprechen abgewann, in die Kreise dieser Menschen, die sich mit berechneter Bosheit ein wahres Vergnügen daraus machten, sie vor der ganzen Stadt herabzuwürdigen, keinen Fuß wieder setzen zu wollen.


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