H. Clauren
Der Blutschatz
H. Clauren

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Klotilde, die von allen diesen künstlichen Berechnungen nichts wußte, lebte still und friedlich. Nach den ihr zugekommenen Beschreibungen von der Tante Flümer, hatte sie sich diese viel schlimmer gedacht, und war zufrieden, daß sie sich geirrt hatte. Wohl vermißte das arme, an die Residenz gewöhnte Mädchen, manche Lebensannehmlichkeit, das Theater, die sehr fröhlichen Zirkel in des Vaters Hause, den Kreis der Jugendfreundinnen, die Konzerte und Bälle; und so jung auch das Kind noch war, so schwebten ihm doch schon die Bilder von dem und jenem hübschen jungen Manne vor der Seele, von dem es glaubte, durch irgend eine kleine Aufmerksamkeit ausgezeichnet worden zu seyn. Ein Weiteres war im Felde der Liebe hier noch nicht geschehen. Noch schlug dieses kindliche Herz ruhig in der zarten Brust, die sich täglich stolzer hob; noch glühte das geistige Feuer im großen blauen Auge, ohne die Allmacht seiner Kraft zu kennen, und sprühte blos zuweilen in den Lichtfunken des jugendlichen Muthwillens auf. Dazu gaben die Huldigungen des stets liebefertigen Herrn Sextus nur zu bald Gelegenheit. Der lose Schmetterling war bisher im ganzen Städtchen von Blume zu Blume geflogen. Postmeisters Sabinchen hatte er durch jahrelangen Umgang im Flümerschen Hause mit allen Offizinalkräutern sattsam bekannt geworden, anfänglich sein Himmelschlüsselchen genannt, jetzt schimpfte er sie, wegen ihres weißen, schwammigen Wesens, einen Puffball; Rectors Hannchen war sonst sein Königskerzchen; jetzt spottete er ihrer, zuweilen wohl etwas übertriebenen Sentimentalität und nannte sie eine Hiobsthräne; Einnehmers Lili betete er ehedem, wegen ihrer schwarzen Haare, als sein Engelsüßtüpfelfarn an; jetzt verglich er die Vergessene, wegen ihrer Galläpfelsäure, mit dem Natterwurzknöterich. Selbst Madame Flümer, die ihn alle Sonn- und Festtage zu Tische bat; ihn beim Schlachten unausbleiblich mit frischer Wurst bedachte, und am Weihnachtabende, bei seinem Geburttage und bei ähnlichen Veranlassungen, ihm ihr zärtliches Wohlwollen durch selbst genähte Jabots, seine Leibwäsche oder dergleichen, sattsam beurkundete, hatte er früher als seinen Herzklee, als seinen Liebesapfelnachtschatten verehrt; jetzt zog er, freilich nur unter der Hand, gegen sie los, daß kein gut Haar an ihr blieb; bald taufte er sie zum Rasselkraut, bald zur Teufelsklaue um. Tildchen, Tildchen faßte er in das Auge. Lange schon war bei Flümers vom reichen Schwager Kammerrath die Rede gewesen. Wenn der Apotheker auf das Kapitel von dem fürstlichen Aufwande dieses Hauses kam, ward er immer noch einmal so groß und aufgeblasen, und Madame Flümer erwähnte oft, daß sie es eben so gut hätte haben können, als ihre selige Schwester; um ihre Hand habe sich der Kammerrath zuerst beworben; damals sey aber der Mensch nichts weiter als Steuer-Kanzellist gewesen, dem sie den Korb gegeben; später, als ihre Schwester Frau Kammerräthinn geworden, Kutsche und Pferde, und in jeder Stube eine Servante mir Silberzeug und Porzellain gehabt, habe es ihr wohl oft leid gethan, indessen wäre das nun einmal nicht mehr zu ändern gewesen. Diese und ähnliche Reden gingen jetzt an dem innern Ohre des heirathlustigen Sextus vorüber; er hielt sich im ganzen Städtchen für den einzigen jungen Mann von feiner Lebensart; er ward in alle Zirkel gezogen; er hatte literarische Déjeuners, Singethee und dramatische Abendunterhaltungen eingerichtet; im Spätherbst, wenn die Familien mit dem Sauerkrauteinlegen fertig waren, und im Frühjahre, ehe die Feldarbeit anging, ordnete er allemal zwei glänzende Bälle an; er hatte hier zuerst den Cottillon eingeführt, mit Noth und Mühe einen Journal-Zirkel etablirt, und stand im Begriff, ein Liebhabertheater zu begründen. Es konnte ihm nicht fehlen. Tildchen, das noch gar nichts von Liebe wußte, das noch jedes Eindruckes fähig war, konnte ihm nicht entgehen. Er setzte ihr bei der ersten Gelegenheit mit einem Gedichte zu; das Gefühl, besungen zu seyn, war ihr gewiß noch neu, und hatte er nur erst einen Grad wohlwollender Neigung gewonnen, so war es ihm ein Leichtes, hier, wo ihm niemand in das Gehege kam, wo er ganz allein Hahn im Korbe war, dieses engelschöne, liebenswürdige, steinreiche Kind als Braut heim zu führen. Mit des Mädchens großem Vermögen mußte es seine Richtigkeit haben; denn Flümer, bei dem er jetzt einige Male auf diesen kitzlichen Punkt fein getippt hatte, war der Antwort und statt daß er sonst stundenlang jeden silbernen Kaffeelöffel des Schwager Kammerraths aufzuzählen wußte, dem weiteren Gerede über dieß Kapitel absichtlich ausgewichen.

Gerade dieß galt dem schlauen Sextus als ein untrügliches Zeichen, das Tildchen zu der seltenen Gattung der Goldfischchen gehöre; denn wäre des Vaters Hinterlassenschaft der Vermuthung nicht entsprechend ausgefallen, und Klotilde darum unter die Kirchenmäuschen zu setzen gewesen, so hätte Herr Flümer, wie ihn der Sextus zu kennen glaubte, mit dem Vermögen des Mädchens, um dieses je eher je lieber unter die Leute zu bringen, erst recht geprahlt. Ein Hauptbeweis für Klotildens Wohlhabenheit lag ihm aber darin, daß Flümers das Mädchen hielten, wie eine kleine Prinzessinn; dieß that den ganzen lieben langen Tag so viel wie nichts, klimperte ein Stündchen auf dem Klavier, ein halbes auf der Guitarre; nähte und stickte ein bischen, tändelte mit den Kindern und mit dem Kätzchen, nahm und gab Besuche und führte das neidenswertheste Leben. Wie hätte Herr Flümer, so weit er dessen Knickerei kannte, des Mädchens Kunstfertigkeiten nicht für sein Haus benutzt, wie hart und karg es behandelt, wenn dieß in der Lage gewesen wäre, bei ihm das Gnadenbrot zu essen.

Klotilde, so viel hatte der weitsehende Sextus schon weg, war ihm nicht gram. Sie lachte immer, wenn sie ihn sah; sie besuchte die von ihm begründeten Gesellschaften gern, und wenn sie gleich sagte, daß sie in die von ihr oft scharf bekrittelten kleinstädtischen Zirkel blos komme, weil sie nichts besseres hier habe, so wußte er ihr Erscheinen doch besser zu deuten. Es war gewiß, ihn in diesen Kreisen zu finden, und darum blieb das lose Kind nie aus.

Mittlerweile hatten Prelloni, der Konditor Klebrig, die Weinhandlung Fläschleins seligen Wittwe, der Hofschlächter und viele andere aus der Residenz, Herrn Flümer mit ellenlangen Noten incommodirt, und drohten, nach wiederholten verdrüßlichen Erinnerungen, im Falle noch länger ausbleibender Zahlung, mit Prozeß-Weitläufigkeiten.

Der Quälgeister endlich los zu werden, machte sich Flümer, nachdem er zur Vermeidung ähnlicher Verwechselung-Unfälle, als der mit der Eselspringgurke war, die strengsten Maßregeln getroffen hatte, auf den Weg in die Residenz, um einigen Schuldnern des verehrten Schwagers, ihre eben jetzt fälligen Wechsel zu präsentiren.

Vier- und fünfmal sprach er bei dem und jenem vor, kein Mensch war zu Hause; zwei und drei Stunden saß er bei dem und jenem im Bedientenstübchen; der erwartete Herr vom Hause kam immer nicht.

Endlich, nach achttägigem Laufen, und zehnmaligem Wiederkommen; gelang es ihm, bei einem der Schuldner, bei dem Geheimen Rath von Schlauenheim, vorgelassen zu werden. Der humane Mann ließ Flümer gar nicht zum Worte kommen. Ich weiß, was Sie wollen, sagte er, ihm zum Empfange die Hand freundlich reichend. Unser lieber, guter, seliger Kammerrath, – wir haben beide an ihm unersetzlich verloren. Setzen Sie sich – Johann, eine Flasche Liebfrauenmilch, Achtundvierziger – hat mir oft von Ihnen erzählt. Liebes und Gutes. Freut mich, endlich Ihre werthe Bekanntschaft persönlich zu machen, mein lieber, lieber Herr Flümer! – Hielt viel Stücke auf Sie, der selige Mann; Gott, noch entsinne ich mich, als ob es erst heute gewesen wäre, kam der gute Kammerrath einen Abend, legt mir da, auf das Tischchen da, tausend Stück Louis'dor und dringt mir, so zu sagen, das liebe Geld ordentlich auf; ich wollte damals das Seitenstich'sche Haus unten am Kneiphofe kaufen; hatte daß der Selige gehört, und bringt mir ungebeten das Geld; ich bin in so was ängstlich, delikat; ich wollt's nicht nehmen; ich lasse vorwandweise fallen, daß – es muß mir geschwant haben – daß wir alle sterblich wären, daß beim Verfall des Wechsels er das Zeitliche gesegnet haben könnte; daß mich vielleicht zufällig gerade dann die Wiederbezahlung geniren könnte, daß – fällt mir der Mann – Sie kannten – lieber Gott, Sie kannten seine Weise, fällt mir der Mann in das Wort, sterbe ich, sagte er, es ist, als ob ich ihn noch hörte, hier saß er, auf der Stelle, wo Sie sitzen – trinken Sie doch liebster Herr Flümer, daß Weinchen ist ächt, für den kann ich stehen, liegt schon seine sechs, sieben Jahre in meinem Keller – sterbe ich, sagte er, hat mein Schwager, mein lieber Flümer, mein ganzes Vermögen zu verwalten. Ich, sagte er, ich bin – verzeihen Sie, aber es sind seine eigenen Worte, ich bin ein guter Kerl, aber gegen mich ist Flümer ein Engel. Der wird sie nicht drücken, der nicht. – Auch die Todten sollen leben, sagt Schiller, kommen Sie, alter lieber Freund, stoßen Sie an, auch die Todten sollen leben; so ein Mann, wie unser Kammerrath, wird nicht wieder jung.

Flümer trank. Es kribbelte ihn in der Nase, so weinerlich war ihm bei der Gesundheit geworden, und der trauliche Mann hatte ihn tief gerührt; so herablassend, so treuherzig hatte noch kein Großer mit ihm gesprochen, und dieser hier trug zwei Sterne auf der Brust und eine ganze Bandbude im Knopfloch, war aus einer der ältesten, ausgebreitetsten Familien im Lande, nannte ihn seinen alten, lieben Freund, und schenkte den Achtundvierziger ein, als gälte die Flasche sechs Dreier. Er hatte in seinem dummen Finsterberge, nach gemeiner Leute Art, auf die Großen und Vornehmen oft geschimpft, und sie kaltherzige, stolze, eigensüchtige Menschen gescholten. Hier, diesem Biedermanne gegenüber, ward er anderes Sinnes; die Stunde seiner Bekehrung hatte geschlagen, und die zweite Flasche Liebfrauenmilch spülte das letzte Giftrestchen seines kleinstädtischen Grolls auf die Standes-Bevorrechteten der Residenzwelt glücklich hinunter.

Der Geheime Rath sprach jetzt mit freundlicher Theilnahme von Flümers Lage, erzählte, wie der selige Kammerrath immer bedauerte, daß ein so tüchtiger Pharmaceutiker in dem kleinen Neste Finsterberge versauern müsse, ließ gesprächweise und unter dem Siegel der Verschwiegenheit fallen, daß in Kurzem die große Salomons-Apotheke am Schloßplatze solle versteigert werden, sicherte ihm, wenn er Lust habe, das Ding unter der Hand für sehr billige Bedingungen zu erlangen, Geld-Vorschüsse und alle mögliche Unterstützung zu, und malte ihm das künftige Salomonsleben mit solchen bezaubernden Farben, daß Flümer, der in Gedanken schon alle Hof- und Leib-Aerzte in der Tasche hatte, den ersten Häusern der Stadt die furchtbarsten Rechnungen schrieb, Kutsche und Pferde hielt, große Gastgebote gab, und unermeßliche Schätze zurücklegte, vor lauter Entzücken, dem himmlischen Geheimen Rathe die Hand küßte und von der Liebfrauenmilch bis auf den Grund der Seele durchweicht, erbsengroße Thränen weinte. Die dritte Flasche kam, allein Flümer bat den übermenschlich gütigen Wohlthäter dringend, sie nicht zu öffnen, denn er fürchtete, daß, tränke er noch einen Tropfen, er aus der Rührung sich gar nicht wieder herausfinden und die weichliche Freudenstimmung seines Gemüthes sich auf mißfälligen Wege Luft machen möchte. Müssen auch noch mit unserer Geldgeschichte in Ordnung kommen, Alterchen, hob der Geheime Rath an, als fiele ihm der verfallene Wechsel zufällig ein, und holte ein Papier aus dem Büreau: da hab' ich auf ein Jahr einen neuen Wechsel ausgestellt, wenn der fällig ist, leg' ich Euch das Geld da wieder auf das Tischchen, wo es der selige Kammerrath hingelegt hatte, und wir trinken dann wieder eins zusammen.

Flümer tauschte den neuen gegen den alten Wechsel aus, und wenn es ihm auch nicht ganz recht war, statt des Geldes ein Papierchen zu bekommen, so konnte er in diesem Augenblicke sich dagegen doch nicht äußern; Schlauenheim sollte und wollte ihm ja die Salomonsapotheke um ein Billiges verschaffen – und zur Bezahlung der Läpperschulden des Kammerraths blieb ihm genug Geld übrig, wenn die übrigen jetzt zahlbaren Wechsel eingingen.

Mit der eben nach Finsterberge abgehenden Botenfrau schrieb Flümer, als er zurück in seinen Gasthof kam, an seine Frau, daß diese schier glaubte, er wäre in der Stadt verrückt geworden. Herrlicher Mann, krakelte er mit trunkenseligen Zügen, noch keine Viertelstunde, und wir beide die dicksten Specialissimi. Wenn ich an unsern hochnäsigen Stachelbeeribizel von Oberamtshauptmann dagegen denke, welch' Discrimen! Große Apotheke am Schloßplatze! vorn der gekrönte Sohn Davids mit der Bathseba, hinten ein Springbrunnen; ich unten, hinterm Tische von Akoujou, Du oben im prunkvollen Gastzimmer, als vornehme Madame. Der Leibmedikus küßt Dir die Hand, der Hofchirurgus bückt sich vor Dir bis zur Erde. Ich komme; tiefe Reverenzen von allen Seiten; zwölf Schüsseln, sechserlei Weine. Kaffee mit Rhum. Spazierfahrten; Abends Theater. So geht nun das Leben alle Tage; ich aber bin

Dein treuer      

König Salomon genannt Flümer.

Erst als er zu Hause Nachmittags den Rausch ausgeschlafen hatte, fiel ihm auf, daß von den rückständigen Zinsen gar nicht die Rede gewesen war. Gewiß hatte diese der Geheime Rath im neuen Wechsel mit zum Kapital geschlagen; er sah diesen erst jetzt nach; heute am Morgen hatte er ihn zwar eingeblickt, aber der Liebfrauenmilch-Flor hatte ihm die Augen dermaßen getrübt, daß es ihn gedünkt hatte, als schwämmen die Buchstaben und Zahlen auf dem Papiere alle bunt durch einander.

Nein, von den Zinsen war keine Sylbe erwähnt, und statt des einen Jahres, lautete der neue Wechsel auf vier.

Er wollte Anfangs gleich wieder hin und das kleine Versehen berichtigen lassen, aber – die Salomonsapotheke! – der Geheime Rath konnte empfindlich werden– und er selbst büßte ja nichts ein, das Geld gehörte ja Tildchen.

Noch diesen Abend stieg er dafür zum Director von Leisekorn; das war des seligen Schwagers Kasscurator und vieljähriger Freund. Die goldbetreßten Bedienten hatten den Mahnenden schon viermal abgewiesen; heute waren der Herr Director endlich zu Hause. Ein gutes halbes Stündchen mußte Flümer im Vorzimmer warten. Im ganzen großen, hohen Hause war eine Todtenstille. Dem Ungewohnten fing es an, in diesen heimlichen Umgebungen bange zu werden. Kein Mensch rührte sich, die Ampel im Kabinette leuchtete schwach, mit Mühe erkannte er in den, an den Wänden herumhängenden prachtvollen Kupferstichen, lauter biblische Geschichten; ein frommer Mann, der Herr Director! dachte Flümer im Stillen vor sich hin, und holte kaum Athem, so beklommen war ihm von der Lautlosigkeit in dem Hause, und von dem düstern Schimmer der milchweißen Alabasterampel. Auch der Prinzipal seiner künftigen Apotheke, der König Salomo, war in einem dieser herrlichen Kupfer meisterhaft dargestellt, und zwar in dem Augenblicke, wie er den heimlichen Befehl gibt, seinen Bruder Adonai und einige ihm verdächtige demagogische Große zu ermorden. Vom oben erwähnten Oberamtshauptmann seines Ortes hatte Flümer früher einmal gehört, daß Salomo's Tempelbau, Salomo's Siegelring, kurz der ganze König Salomo für die Brüder Freimaurer und Rosenkreuzer von hoher symbolischer Bedeutung sey, und er grübelte in seiner profanen Dummheit eben darüber nach, wie gerade der Herr Salomo, ein Bastard und Brudermörder, zu der Ehre gekommen, noch heute in hohem Ansehen zu stehen, bei einem Bunde, in dem Unbeflecktheit und Bruderliebe die Hauptgesetze seyen, als es durch die Oede des weiten Hauses schellte, daß er heftig erbebte und vor Schrecken den Schlucken bekam.

Zwei Diener, in jeder Hand, einen vierarmigen Leuchter, traten schweigend ein, baten, ihnen zu folgen, und geleiteten ihn mit ihren sechszehn brennenden Wachskerzen durch mehrere Zimmer bis zum gnädigen Herrn. Hier, in der Arbeitstube des Directors brannte eine düstere Oellampe, von einem tiefen Blechschirme verdeckt.

Herr von Leisekorn, ein baumlanger dürrer Mann, angethan mit einem weißen Flausrocke, erhob sich von seinem Sessel, und fragte in einem tiefen Basse, aber kaum vernehmlich, was sein Begehren sey.

Flümers Antwort war ein gellender Schluckauf. Er sah den dürren Riesen mit heimlichem Zittern an; so, accurat so guckten draußen beim Brudermörder Salomo, die blutdürstige Tücke, die erstickte Mordlust auch aus dem scheuen Blicke; nur machte das Erdfahle dieses widrigen Gesichts hier, die Sache noch grauenhafter und die verhaltene Baßstimme rollte aus der Tiefe der hohlen Brust herauf, wie der Donner aus den Schluchten tausend Fuß hoher Felsen.

Der Director fragte noch einmal, was Flümers Begehr sey, und da dieser sich hierauf als des Kammerraths Schwager ihm präsentirte, und seine Wünsche wegen hochgeneigter Berichtigung des Wechsels verlautbarte, nahm der lange dürre Mann das Papier aus Flümers Hand, und riß es, ohne eine Miene zu verziehen, in vier Stücke. Flümern rührte vor Entsetzen fast der Schlag. Herr Director, gnädigster Herr Director, rief er halb todt vor Angst; um Gotteswillen, mein Document – das sind Kindesgelder.

Teufelsgelder sind es, entgegnete Herr von Leisekorn mit kalter Ruhe. Ihr Schwager war ein leichtsinniger, gott- und pflichtvergessener Mann; ich mußte einst mit meinen Kollegen seine Kasse revidiren; eine halbe Stunde vor dem Geschäft entdeckt er mir, daß er 5000 fl. Defect habe. Auf seinen Knieen bat er mich hier in diesem Zimmer ihn nicht zu entdecken; ich bin ein frommer christlicher Mann, ich lasse mich erweichen und stellte ihm über jene Summe einen Wechsel, verstehen Sie, zum Schein aus, daß er ihn in die Kasse statt baaren Geldes lege. Nach vollzogener Revision soll er das fehlende Geld in die Kasse schaffen, und mir mein Papier zurückgeben; statt dessen legt sich der Mann hin und stirbt, und nun kommen Sie und verlangen das Geld, das ich von Ihrem in seinen Schulden erstickten Herrn Schwager in meinem Leben nicht bekomme habe.

Allverehrtester, gnädigster Herr Director, wimmerte Flümer, über die neue Art von Wechseleinlösung noch ganz außer sich: was Sie da zu erzählen belieben, muß ich als Apotheker Flümer glauben, aber als dem Vormund meiner Nichte, erlauben Sie mir hochgeneigtest, solches in unterthänigen Zweifel stellen zu dürfen. 5000 fl. – ich bitte doch um Gotteswillen, die sind – ich habe vor dem verehrten Herrn Director gewiß allen ersinnlichen Respekt! – aber 5000 fl. sind heut zu Tage kein Pappenstiel, und die obervormundschaftliche Behörde wird meines Mündels Rechte gewiß bündigst vertreten.

Glauben Sie, oder glauben Sie nicht, erwiederte der Director, ohne im mindesten aus der Fassung zu kommen. Aber wollen Sie mich einer Gewaltthat zeihen, thun Sie gegen meine Ehre einen einzigen Schritt, so – ich habe Ihren Schwager noch unter der Erde in meiner Hand. Bei seiner letzten Kassenrevision, – das wissen Sie nicht, das können Sie nicht wissen, – bei seiner letzten Kassenrevision ergab sich ein Defect von 42000 Gulden. Er wartete diese Revidirung nicht ab, sondern nahm ein Paar Gran Schlafmohn und legte sich damit zur ewigen Ruhe. Ich – ich, Herr Flümer, habe aus christlicher Liebe, aus Attachement zu dem armen verlassenen Kinde zu dem Tildchen, und aus schuldiger Achtung vor der ganzen Familie des Kammerraths – Flümer, dem bei den Neuigkeiten beinahe Hören und Sehen verging, kratzte bei der ehrenvollen Erwähnung der Familie, mit beiden Beinen devotest unter dem Stuhle – die ganze schmutzige Geschichte mit dem Manne begraben lassen, ich habe es durch mein Bischen Konnexionen dahin gebracht, daß ein ewiger Schleier darüber geworfen ist. Nun! in Gottes Namen, rühren Sie es auf. Sie haben, wie ich vermuthen kann, noch mehr Wechsel von hiesigen achtbaren Männern in den Händen. Blasen Sie Lärm; klagen Sie! Ihre obervormundschaftliche Behörde wird Sie darum als wackern Vormund loben; aber mein lieber Herr Apotheker, thun Sie diesen Schritt, so muß – muß ich den zweiten thun. Ich trete nun auch auf, mache die Gaunerstreiche Ihres sauberen Herrn Schwagers kund, lege zum Beßten des Fisci, auf den Betrag aller Ihrer Wechsel Beschlag, und lasse den landesherrlichen Kassenbetrüger, Ihren Herrn Schwager, noch nach seinem Tode, in effigie an den Galgen schlagen.

An den Galgen! wisperte Flümer angstvoll heimlich nach.

Was haben Sie dann gewonnen? nichts, gar nichts. Klotildchen bekommt von allen Ihren Wechseln keinen Kreuzer, denn diese betragen, wenn sie auch alle eingehen, gewiß kaum die Hälfte des Defects, und was darauf an Geld einkommt, das ziehe ich für die Staatskasse ein; der Name des Mädchens aber, und der ganzen Familie ist mit gebrandmarkt; welcher rechtliche junge Mann wird jenem die Hand bieten, wer mit dieser noch verkehren können? – Wollen Sie also klug handeln und liegt Ihnen des Kindes Wohl und Ihre eigene Ehre am Herzen, so schweigen Sie mit allen Ihren Forderungen; verbrennen Sie die nichtsnutzigen Papiere, und werfen Sie die Asche derselben auf des Kammerrath Grabhügel. Was hier aber noch in seiner Wohnung an Mobilien und Tischgeräth, Wäsche, Wein und dergleichen vorräthig ist, das setzen Sie in Geld um und tilgen Sie damit die kleinen Läpperschulden des Mannes; auf diese Weise retten Sie seine öffentliche Ehre vor der Welt, und das ist dem Mädchen, dem Klotildchen, auch eine schöne Mitgift.

Mit diesen Worten stand der Director auf, als hätte er nun nichts mehr zu sagen, und klingelte den Bedienten. Diese traten mit ihren sechszehn Lichterleuchtern wieder ein; Flümer hatte Schlucken und Besinnung verloren, er verbeugte sich, ohne ein Wort zu sprechen, und ging wie ein begossenes Hündlein von dannen.

Der Schwager! der Kammerrath an den Galgen! das war von dem Director ein tückischer Einfall. Flümer sah den Mann schon hängen. Wenn sie das Bild nahmen, das der seligen Kammerräthinn Putzzimmer schmückte, mit dem goldenen Rahmen, die blaue Hyacinthe im Knopfloche des braunsammetnen Tressenkleides und die goldene Dose in der Manschettenhand, und die diamantenen Gürtelschnallen in den apfelgrünen Atlasmodesten – wenn sie das Bild an das dreibeinige Lusthaus draußen auf dem Kavillerberg hingen, Flümer hätte den Tod gehabt. Was hatte er in Finsterberge nicht alles vom reichen und angesehenen Schwager Kammerrath erzählt! Wie hatte ihn bei den dortigen Honoratioren diese Verwandtschaft nicht gehoben und in der Höhe erhalten, – und nun – nein das ging nicht, das ging in aller Welt nicht. Der Director hatte Recht. Lieber Ehre und guten Namen gerettet, die schönen Wechsel Preis gegeben, und die kleinen Schulden des Seligen berichtigt. Tildchen – nun, lieber Gott, es gab mehr arme Mädchen. Warum hat der Vater das Kind nicht besser bedacht!

Den folgenden Morgen schon räumte Flümer im Nachlasse des Schwagers auf, versilberte Geräthe und Meubles, bezahlte Prelloni und alle andere Gläubiger, und fuhr mit dem kleinen Ueberreste des Geretteten nach Hause.

Madame Flümer fiel über die sauberen Neuigkeiten beinahe in Ohnmacht; sie griff nach ihrem Bisambüchschen, und erstarrte so gänzlich, daß sie kein Wort hervorbringen konnte. Endlich schloß sie die Schleusen ihrer Redseligkeit auf, und als sie sich über des seligen Schwagers Schlechtigkeit und über ihres Mannes Dummheit, sich vom Director gleich in das Bockshorn jagen zu lassen, sattsam ergossen, und die Aufhebung der noch in Händen habenden Wechsel, zur unbedingten Pflicht gemacht hatte, fragte sie, vor Aerger über das verlorne Nadelgeld glühroth, was nun mit Klotilde werde, und ob die noch wie eine Prinzessinn im Hause gehalten werden solle. Ihrer Meinung nach, sey es das Gerathenste, sie auf dem Fleck fortzuschaffen; die Baronin Knoll in Knüppelhausen suche so eben eine Kammerjungfer; dort möge die Mamsell Bimpernell ihr Heil suchen.

Flümer aber war schlauer. Sehen die Leute hier, meinte er: daß das Mädchen kammerjungfert, so sind wir mit blamirt. So lange wir also nicht eine Gelegenheit haben, das Ding weit weg, am liebsten außer Landes zu bringen, so lange muß es, um unserer Familien-Ehre willen, bei uns bleiben. Damit es aber sein Brot nicht umsonst esse, will ich den Jeremias abdanken, der ohnehin nicht viel taugt, und Tilden in seine Stelle nehmen; wir sagen dann, es wäre bei ihr Liebhaberei, wir hätten sie selbst gebeten, sich mit dergleichen, für ihren Stand unpassenden Beschäftigungen nicht abzugeben, allein das Apothekern wäre nun einmal bei ihr eine wahre Passion. Ihr aber müssen wir anders beikommen; von ihrer Verarmung muß sie nichts wissen; sie kann, wie alle solche junge Kälber, nicht schweigen; in den ersten zwei Stunden weiß es die halbe Stadt, und dann lachen die Leute hier, die so schon, wegen unserer hohen Sippschaft, auf uns mit scheelen Augen sehen, uns nur aus. Ich bringe ihr das in einem Säftchen bei; ich sage, Du hättest sie immer mehr lieb gewonnen, und wenn sie Deine ganze Gunst erwerben wollte, so sollte sie es Dir ein bischen in der Apotheke erleichtern. Laß mich nur machen. Anfänglich lassen wir das Alles sachtchen angehen; die ganze Geschichte muß ihr ordentlich spielig vorkommen, und erst nach und nach bündeln wir ihr Eins nach dem Andern auf, und Du brauchst am Ende gar nicht mehr in die Apotheke zu gehen. Du kannst dann alle Nachmittage in Deine Gesellschaften, das ist auch etwas werth, und was Jeremias kann, wird sie mit ihrem anschlägigen Köpfchen bald lernen, und dann ersparen wir auch einen schönen Thaler Geld. Finden wir aber mit der Zeit eine gute Gelegenheit, ihr die Schippe zu geben – fort mit ihr.

So war denn der Stab über die arme Klotilde gebrochen, und so mag durch die Schuld des leichtsinnigen Vaters manches Kind des Lebensglückes hienieden auf ewig verlustig gehen.

Schon den folgenden Morgen ließ Flümer gegen Klotilden gesprächweise fallen, daß es seiner Frau oft recht beschwerlich zu werden anfange, tagtäglich in der lieben Apotheke ab und zu gehen. Auf den Jeremias sey kein Verlaß, und er selbst könne, wegen seiner anderen Geschäfte (früh im Weinhause, Abends beim Solo) auch nicht immer auf dem Platze seyn, er müsse jetzt sich nach einer Person umsehen, die seiner guten Frau die Last ein wenig erleichtere.

Klotilde ließ ihn nicht ausreden; mit der freundlichen Herzlichkeit, die in diesem schönen jugendlichen Gemüthe lebte, erklärte die Zartfühlende, daß sie da doch wohl die erste sey, welcher die Pflicht obliege, der Tante das Leben so angenehm als möglich zu machen, und daß es ihr wohlthue, dem Onkel für die vielen Beweise von Wohlwollen, mit denen er sie während ihres Aufenthaltes in seinem Hause überhäufte, wenigstens auf einige Art ihre Verbindlichkeit zu bezeigen. Flümer wollte noch einige scheinbare Einwendungen von Sichnichtschicken, Zuvornehmseyn, und dem Urtheil der Welt vorbringen, allein Klotilde nahm ihn lachend an den Arm, zog ihn unter Tanzen und Springen in die Apotheke, bat, ihr nur recht viel zu thun zu geben, und versprach ihre Sächelchen schon zu machen, daß die Leute mit ihr zufrieden seyn sollten.

Einen niedlichern Apothekerlehrling gab es vielleicht in der ganzen Welt nicht. Das Mädchen wußte gar nicht, wie schön sie war. Das goldig-glänzende Haar, das selenvolle blaue Auge, der Alpenschnee der zarten Haut, das rosige Grübchen in der blühenden Wange das sich nur bildete, wenn das Engelskind ein sanftes Lächeln überflog, der einzig schön geschnittene kleine Purpurmund, die Perlenpracht im Schmelz der Zähne, die fein geformte Hand, der volle, weichgerundete Arm, die herrliche frische Jugendgestalt – wie ewig Schade, daß dieses liebliche Wesen hier zwischen Salben und Pflastern, zwischen Pulvern und Tränkchen verkümmern sollte! Geht nur hin in die Provinzialstädte, in die vom Residenz-Dünkel verschrieenen kleinen Nester, in die stillen Dörfer, auf die Pfarreien und Pachthöfe, auf die Land- und Rittersitze, und in die waldumgürteten Forsthäuser! Was blühen da auf Gottes lieber deutscher Erde, ungesehen und ungekannt, für wunderhübsche Kinder! Dort, dort, in jenem glücklichen Stillleben, wo die Jungfrau, abgeschieden von der verdorbenen großstädtischen Welt, deren Freuden nur aus den Träumen ihrer Phantasie kennt, dort wohnen noch die Liebe und die Treue.

Herr Flümer brachte seinen Zögling ganz behutsam an die Kette. Im Anfange war Jeremieschen noch da; Tildchen brauchte da nur ab und zuzugehen; als Spiel, als Zeitvertreib, lehrte sie der scherzhafte Oheim, Morsellen machen; sie selbst fand Vergnügen daran, zu wissen, wie die Dingerchen verfertigt würden, die ihr als Kind so vortrefflich geschmeckt hatten. sie kochte wie ein Meister, ihren Zucker mit Wasser bis zur Tafel-Consistenz, nahm zur Probe etwas mit dem Spatel heraus, schnellte es in die Luft, und wenn es sich als eine Flaumfeder zertheilte, nahm sie den Zucker vom Feuer, rührte ihn unter Zusatz von etwas Weingeist, bis er abzusterben anfing, mengte dann die vorgeschriebenen Stoffe, vor dem Erkalten, schnell unter, goß das Gemenge in die befeuchtete hölzerne Morsellenform, zerschnitt es, vor dem gänzlichen Erkalten, in schmale viereckige Stückchen, und ihre Morsellchen waren fix und fertig. Man mußte das mit ansehen, um zu diesem Zuckerwerk einen unwiderstehlichen Appetit zu bekommen. Auch rotuliren lernte sie, und wenn sie ihre Zuckermasse tropfenweise auf das dazu eingerichtete Blech fallen ließ, und die Brustküchelchen dutzend- und hundertweise aus der schöpferischen Hand hervorgingen, und sie selbst so reinlich und appetitlich aussah, daß man das ganze Mädchen für ein Brustküchelchen hätte halten mögen; so konnte man wohl begreifen, warum jetzt die liebe Jugend von Finsterberge die Klingel der Apothekenthür mehr als je in Bewegung setzte, denn die Brustküchelchen waren im schwarzen Mohren nie so delikat gewesen. Selbst der Sextus schloß sich zuweilen an den Nachtrab seiner theuern Schuljungen, und bar, wenn diese abgefertigt waren, mit süssen Worten, seinen Heilholder, seine Hygiea, wie er Tildchen im Ergusse seiner Zärtlichkeit nannte, um ein Paar herzerquickliche Morsellen; als diese ihm aber eines Morgens, in einer muthwilligen Anwandlung, um seiner für immer los zu werden, und sein stürmisches Herzklopfen, über das er mit bedeutsam girrenden Blicken klagte, aus dem Grunde zu heilen Mannamorsellen reichte, kam er nicht wieder; denn es ward ihm darauf so mißlich zu Sinne, daß er mitten in einem Satze seines lateinischen Lesebuchs, den vor Angst preßhaft zusammengeknippenen Gedicke in der Hand, seine Klasse eilig verlassen mußte, und selbst diesen Abend noch, den plastisch-mimischen Theezirkel bei Postmeisters zu besuchen nicht die geringste Lust hatte. Er kam zwar, auf dringend wiederholtes Bitten, aber ungewöhnlich spät; er hatte versprochen, diesen Abend den Apoll von Belvedere darzustellen; aber dazu war er schlechterdings nicht zu bewegen; er meinte, mit einem zärtlich strafenden Seitenblick auf Tildchen, daß ihm heute gar nicht apollerig zu Muthe sei, und ließ sich nur durch vieles Zureden bestimmen, dafür den Laokoon zu machen. Des Rectors Aeltester und Postmeisters Davidchen waren seine Söhne, zwei zusammengebundene Shawls vertraten die Stelle der Schlangen. Der Sextus saß, in der ihm heute vorzüglich zusagenden Stellung mit vorwärts gekrümmten Unterleibe, und erreichte im Gesichterschneiden eine so furchtbare Wahrheit, daß Alle sich vor ihm entsetzten, nur Klotilde, der dabei manches einfallen mochte, konnte sich des heimlichen Lachens nicht erwehren. Der Sextus breitete, nach der Vorstellung, über die Geschichte jener grauenvollen Gruppe, zum Staunen des ganzen Kreises, seine Gelehrsamkeit des Weitern aus; erzählte, wie sie Agesander von Rhodus gearbeitet, wie sie 1506 in den Bädern des Titus gefunden worden und wie sie Papst Julius im Belvedere habe aufstellen lassen, als ob er dabei gewesen wäre, und wandte sich dann unvermerkt, mit scherzhaftem Drohfinger zu Tildchen und sagte blümlicher Weise: Laokoon war der Priester des Apollo, dieser aber der Vater des Aesculap; Sie heilloses Heiden-Ysopchen, was würde der Vater meines Prinzipals, zu Ihnen, seinem jüngsten Zögling sagen, wenn ich Sie bei ihm verklagte. Noch will ich glauben, daß ein bloßes Vergreifen am Vorfalle Schuld gewesen ist und muß eigentlich dem Zufalle danken; denn mir ist heute um Vieles leichter, und die Flügelkraft meiner Phantasie entfesselter als je; aber Tildchen, Engelkätzchen, wenn das nicht Fehlgriff, wenn das boshaft berechnete Absicht gewesen wäre! –

Klotilde versicherte, daß sie nicht wisse, was er wolle, und wußte, ob es gleich ein starkes Stück war hier das Lachen zu verbeißen, doch das Madonnengesichtchen so ernst zusammen zu halten, daß der purificirte Sextus, in seiner inneren Jury das nicht schuldig laut über sie aussprach.

Der seelenschwarze Mohrenkönig Flümer sah mit stillem Entzücken, daß Klotilde sich zum Apothekerburschen anließ, als wäre sie vom Himmel dazu berufen. Nachdem der erste Grundunterricht gelegt war, ging es an das Pulvern, Raspeln, Granuliren, Koliren und Filtriren; er unterwies die Gelehrige im Reiben, Zerquetschen, Ausschwingen und Abschäumen; sie lernte Emulsionen, Pulpen, Pasten und Konserven, Pflaster und Salben bereiten, destilliren und dispensiren und drehte ihr Pillchen nach Noten.

Jetzt ward, unter dem Vorwande nöthiger Einschränkung, Jeremias entlassen; Flümer der Heuchler, gestand ihr, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, daß er hie und da einige Einbußen gehabt, und nicht so viel erübrige, sich einen Gehülfen halten zu können; Klotilde, das sanfte gutmüthige Wesen freute sich, so weit vorgeschritten zu seyn, daß sie dem Oheim an die Hand gehen, und ihm die erzielte Ersparniß bewirken konnte. Allmählig trat nun auch Madame Flümer mit der Schattenseite ihres Charakters hervor. Fallen diese Blätter in die Hand eines armen Mädchens, das so unglücklich ist, von gewissen- und charakterlosen Verwandten das sogenannte Gnadenbrot annehmen zu müssen; so wird dieses Klotildens Lage, die sich von Tage zu Tage verschlimmerte, zu ermessen vermögen. Was die Willfährige anfänglich aus Gefälligkeit, aus Bereitwilligkeit, halb zum Scherz, zur eigenen Lust gethan hatte, ward ihr jetzt als Pflicht angerechnet, und wenn jemand in ihrer Gegenwart äußerte, daß die Tochter des seligen Herrn Geheimen Kammerrath doch wahrhaftig nicht nöthig hätte, zu so schwerer, ungewohnter Arbeit sich herzugeben, fiel ihm das Flümersche Ehepaar gleich lächelnd in die Rede und versicherte, daß dieß auch seine Meinung sey, daß aber das komische Mädchen auf das Apothekerwesen ganz versessen sey, und aller Vorstellungen ungeachtet, diese Liebhaberei nicht aufgeben könne. Klotilde konnte und durfte nicht widersprechen; sie that, was sie that, in ihrem Wahne ja zum Beßten der zurückgekommenen Familie.

Wohl ward das Kreuz, das ihr das Geschick aufgelegt hatte, immer schwerer; wohl fühlte sie das Mißverhältniß ihrer früheren Erziehung zu ihrer jetzigen Lage; aber Oheim und Tante waren in der ersten Zeit ihres Hierseyns, ihr mit so vielen Aufopferungen entgegengekommen; hätte sie sich nicht selbst des schwärzesten Undankes anklagen müssen, wenn sie jetzt, da sie ihren Wohlstand erschüttert glaubte, nicht mit Beiden getragen hätte?

Zu den neuen Industriezweigen, die Flümer seit kurzem cultivirte, gehörte auch das heilige Parallelopipedum; so hatte der witzige Sextus eine kleine Gesellschaft getauft, die sich an den unbesetzten Abenden der Woche, bei Flümer, in einem an die Apotheke stoßenden Zimmer von der genannten Form versammelte, und sich mit Kardinal, Grog, Bischof, Wein und Punsch, alles Flümersches Gebräu, sattsam vergnügte. Ein Grundgesetz dieses geistreichen Vereins, der darum auch nur aus Männern bestand, war, daß jeder der Gesellschaft das Recht hatte, den andern, selbst mitten im Trinken, nach dem schweren Losungworte der heiligen Versammlung, Parallelopipedum, zu fragen, und daß dieser, wenn er es nicht ohne Anstoß sprach, den halben Geldbetrag seines Glases in die allgemeine Trinkkasse, als Strafgebühr erlegen mußte. Der pfifige Sextus hatte zu dieser traulichen Bruderschaft unter andern auch mehrere reiche Bürger: Becker, Brenner, Brauer, Schlächter, Gerber, Riemer und dergleichen gezogen, denn diese spieckten die Trinkkasse zum allgemeinen Beßten reichlich, weil sie über das verdammte Wort selten glücklich hinwegkamen, sondern zur lauten Freude der Tafelrunde, fast allemal beim Pip stecken blieben; darum belegten auch Spottvögel, denen nicht das Glück zu Theil wurde, in das Parallelopipedum aufgenommen zu werden, die Mitglieder derselben mit den Spitznamen Pipvögel, Piplinge oder Pipisten.

Ein solcher war der Weißgerbermeister Schabig, ein alter reicher Kauz; der kam gewöhnlich zu allererst, damit er sein Viertelchen in Ruhe trinken konnte, ohne über das fatale Losungwort zu stolpern. Eines Abends trat er auch, ziemlich früh noch am Tage, in die Apotheke, besah sich, im Vorbeigehen, Tildchen mit ganz besonders aufmerksamen Auge, bot ihr einen freundlichen guten Abend, brummelte etwas von gnädiger Frau, vor sich lächelnd, in den Bart, winkte Flümer mit dem elfenbeinernen Stockknopfe, ihm zu folgen und schritt quer über in das Parallelopidedum.

Er ließ sich statt des üblichen Viertelchens heute eine Halbe, und dann noch eine Ganze geben; Flümer mußte mittrinken und sie plauderten von diesem und jenem, und als der WendeweinIn Flümers Wohnorte giebt es bekanntlich drei Sorten selbst gewonnenen Weines; Wendewein, Schulwein und Dreimännerwein. Wer die erste Sorte trinkt, muß sich des Nachts umwenden und auf die andere Seite legen lassen, damit das Getrunkene die Eingeweide nicht durchfresse; der Schulwein ist von noch besserer Qualität, man droht damit den Kindern, wenn sie nicht in die Schule gehen wollen; die Prima Sorte aber ist der Dreiwännerwein, also benannt, weil man ihn in der Regel nicht anders trinkt, als wenn einen zwei Männer halten, und der dritte den Labetrunk eingießt. dem Alten das Herz erwärmt hatte, rückte er Flümern näher, und sagte: Gevatter, ein Wort im Vertrauen! Wie steht es mit der draußen? Es ist jemand eines Abends hier gewesen, hier in unserem Pip, dem hat sie ganz grausam gefallen, und wenn wir hier zusammenkommen, – er machte mit der Rechten die Pantomime des Geldzählens in die hohle Linke – so ist Euch die Mamsell in vier Wochen eine gnädige Frau, mir nichts, dir nichts. Er erzählte nun mit weitschweifiger Umständlichkeit, daß er gestern draußen in Dippelpfützigen auf dem Edelhofe zweihundert Stück Sterblingsfelle gekauft, und daß ihm bei dieser Gelegenheit der gnädige Herr sein ganzes Herz aufgeschlossen habe.

Der Dippelpfützinger Herr, rief Flümer ganz verwundert! der alte Herr von Fettsteertken?

Herr Schabig aber meinte lachend, daß es der junge, der Sohn sey, der unlängst von dem Militair den Abschied genommen, und jetzt beim Vater auf dem Gute lebe.

Flümer konnte sich platterdings nicht entsinnen, ihn hier gesehen zu haben, aber Schabig betheuerte solches, entsann sich, daß es am letzten Viehmarkte war, wo mehrere Fremde in den Pip mitgebracht wurden, und beschrieb ihn als einen jungen barschen Mann, das Haar staar und struppig, ein bischen wild im Blick, die Gesichtfarbe etwas gelblich, und bei seinem Hierseyn wäre er mit einem grünen Rocke angethan gewesen. Das beiseite, Gevatter, fuhr der Gerber traulich fort: die Hauptsache ist's Geld; das Mädel gefällt ihm, aber ohne Klingendes ist es nichts. Ihr wißt schon, wo der Edelmann um ein Bürgerding freit, da hat's in der Regel einen Haken. Wir haben draußen ein bischen schlecht gewirthschaftet. Kein Ziegel auf dem Dache ist mehr unser. Denkt Euch, das delikate Schaafheu, das dort fällt, Alles haben sie verkauft, und nun ist nichts mehr zu füttern da, und die Schaafe, deren Fell ich kaufte, sind vor Hunger crepirt. Das Dippelpfützingen ist wohl ein schönes Gut, aber es gehören ein 16–20,000 Thälerchen hinein, sonst sind wir kapores. Nu seht, Gevatter – es soll auch für Euch was abfallen, versteht Ihr mich – aber wie steht es mit dem Beßten? schenkt reinen Wein ein; mir dürft Ihr keine Flausen machen. Habt immer viel gebrascht vom reichen Kammerrath! was hat die draußen nun eigentlich? mütterliches ist nicht viel da, denn Eure Frau hatte auch nichts; aber der alte Kammerrath –

Flümern stand der Schweiß auf der Stirne. Der alte Weißgerber war ein durchtriebener Fuchs und dazu einer seiner Hauptkunden; der Mann brauchte jährlich eine gewaltige Menge Alaun, dem getraute er sich nicht, auf eine so ernste Frage mit einer Windbeutelei zu antworten; er erzählte ihm also klar und bar die ganze Geschichte, schonte dabei des seligen Schwagers, so viel als möglich, fluchte weidlich auf die nichtsnützigen Wechsel, und bat den Alten um geziemende Verschwiegenheit.

Dieser aber hatte den elfenbeinernen Vogel seines Stockknopfs im Munde und lachte.

Haben Euch da wieder einmal recht betippelt, Flümerchen, die klugen Herren in der Stadt, sagte der alte Schabig und schüttelte spöttelnd das Haupt. Wo die Schelme hinauswollen, liegt ja am Tage. Der geheime Rath, der Schlauenheim, hat Euch mit seiner Liebfrauenmilch zum dummen Teufel umgetauft, und mit seinen pestilentialischen Komplimenten beschwindelt. Zeit gewonnen, Alles gewonnen; darum gibt er Euch einen neuen Wechsel, und macht aus dem besprochenen einem Jahre vier. Die Zinsen rechnet er aber auf seinen Achtundvierziger. Ihr Apotheker, Ihr Neunundneunziger schreibt, wenn es auf das Rechnen ankommt, doch eine schöne Kreide, aber der Schlauenheim versteht es doch noch besser. Leisekorn ist aber der eigentliche Matador! reißt seinen Wechsel vor Euern sichtlichen Augen in Stücken, und schüchtert Euch mit seinem Galgen dermaßen ein, daß Ihr Eure Papierchen ruhig zu Hause nehmt, und selber Gott dankt, wenn nur weiter keine Rede davon ist. Mit nichten! Die Füchschen müssen alle aus dem Loche heraus, und der saubere Herr von Leisekorn zuerst; seyd ganz ruhig, er wird vom seligen Kammerrath nicht Lärmen schlagen; er nicht. Er war der Kassenkurator, und wird die Geschichte mit den Defecten recht ruchbar, und kommt sie vor die Behörde, wohin sie gehört, so muß der Herr Kurator das Fehlende ersetzen und riskirt seinen Posten. Aber Ihr, Flümerchen, taugt nicht, das durchzufechten. Gebt's Mädel mit den Wechseln dem Fettsteertken, der ist von Adel, hat Connexionen, spricht mit allen Ministern, wie wir beide mit einander, und wird schon die Papiere zu Gelde machen. Ihr seyd der Vormund gewesen, und habt das Ding eine lange Weile gefüttert, Ihr müßt auch was davon abhaben; 1000 fl. sind Euer, die verspreche ich Euch in des Edelmanns Namen.

Topp! sagte Flümer, und schlug ein, und Klotilde war verrathen und verkauft.

Der Postknecht der Liebe, der Gerbermeister Schabig, fuhr den folgenden Tag schon nach Dippelpfützingen, überbrachte dem, unter der Last seiner Schulden zärtlich harrenden Bräutigam das Resultat der gepflogenen Unterhandlungen, und stellte ihm anheim, des ehesten nun in höchsteigener Person nach Finsterberge zu kommen, um das fragliche Mädchen seines Herzens näher kennen zu lernen.

Dieser aber meinte, mit dem Kennenlernen hätte es bis nach dem Beilager Zeit; er hätte Tildchen schon hinlänglich ge- und besehen; der Hauptpunkt sey das Geld; er dringe auf abschriftliche Mittheilung der erwähnten Wechsel; mit diesen wolle er erst in die Residenz, und horchen, wie weit es möglich, sie durch seine Verbindungen in Geld umzusetzen; und wenn sich das machen ließe, so wiederhole er das Versprechen, Flümern 1000, und dem Herrn Schabig 500 fl. zu zahlen, und damit könnten, würden und müßten beide Herren zufrieden seyn.

Der weißgerbende Liebesbote kam mit diesem Bescheide zurück: Flümer copirte die Wechsel, sandte die Abschriften mit einem höflichen Brieflein nach Dippelpfützingen, und ließ an den Marterschrauben, unter denen das arme Tildchen bisher im Stillen geseufzt hatte, jetzt etwas beträchtliches nach, denn er sah in dem Mädchen schon die gnädige Frau leibhaftig vor sich. Der Sextus hatte Recht; hundertmal hatte dieser, in seiner Extase, die schöne Jungfrau, ihres stolzen Wuchses wegen, eine Königsblume, wegen ihrer vornehmen Haltung, seinen Edelgamander, wegen der Majestät ihres himmelreinen Blicks sein Sonnenauge genannt. Ja, das war die edle Frau von Fettsteertken auf Dippelpfützingen, wie sie leibte und lebte. Er schämte sich, ihr bisher solche, ihres Standes unwürdige Arbeiten aufgebürdet zu haben, dispensirte sie von diesem und jenen, und machte fast Alles selbst, so daß Tildchen, das freilich die Gründe dieser Umwandlung nicht ahnen konnte, fast auf die kränkende Vermuthung gerathen wäre: ihr Ungeschick hätte den Oheim vermocht, sich auf einmal den Geschäften, die sie bisher besorgt hatte, wieder selbst zu unterziehen, aber er war ja freundlicher, als seit langer Zeit; und – Tante Flümer, von der sie, ungeachtet aller Anstrengungen, ihre Zufriedenheit zu gewinnen, noch vor kurzem nichts als Scheltworte gehört hatte, war jetzt die Güte selbst, denn Papa Flümer hatte ihr aus seinen 1000 Kuppelgulden wieder ein erkleckliches Nadelgeld versprochen, ihr aber zugleich dringend empfohlen, gegen Tildchen möglichst gut zu seyn, damit dieses, wenn der Bräutigam aus der Residenz komme, nicht Ursache habe, gegen ihn über die erlittene Behandlung im Hause zu klagen.


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