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XIX

Als ob der Wald wanderte, so war es an einem blauen Junitage. Die ganze Dorfjugend kam den Höhenweg hinabgezogen, und die kleinen Burschen und Mädchen verschwanden unter der Last der Birken- und Buchenzweige, der gewaltigen Trachten an Eichenlaub und dunkelglänzendem Waldefeu. Aus den Hausgärten brachten die Frauen hochgefüllte Schürzen mit Blumen hinzu. Und vor allen Türen saßen die großen und kleinen Menschen und banden Girlanden und wanden Kränze. Morgen – morgen kamen die Söhne heim.

Quer über die Straße schaukelten die Girlanden mit den blumenbekränzten Willkommsprüchen, Ehrenpforten hoben sich an den Dorfeingängen, und vor den Häusern, aus denen ein Sohn mit hinausgemußt hatte ins Feld, prangten Transparente mit kriegerischen Bildern, und Kerzen beleuchteten Schilderei und Inschrift: »Heil dem tapferen Helden!« »Hoch lebe der Sieger!« »Segen dem Streiter für das Vaterland!«

Der Schullehrer als Leiter des Gesangvereins übte mit seiner Schar den Begrüßungschor, die alten Sankt-Sebastianus-Schützen putzten Uniformen und Gewehre, und der alte Schmitz ging mit wuchtenden Schritten in seinem Zimmer auf und ab und stieß mit rollender Stimme Kernsätze hervor, denn er überhörte sich eine Rede. Die Sommersonne lag auf den Gassen und in den Stuben, in den Herzen und auf den Gesichtern der Alten und Jungen, und die Rosen blühten so überschwenglich, daß das ganze Dorf in Rosenduft gebadet schien.

Heimkehr – Heimkehr! ...

In der Burg saßen sie bis zum Abend und flochten und wanden und banden, und Tore und Türen wurden geschmückt und die Fensterbänke mit Kerzen besteckt. Die Frauen erzählten den Kindern Geschichten und wußten selber nicht, was sie sprachen, und die Kinder hörten nur mit halbem Ohre hin, denn ihre Seelchen waren den Heimkehrenden schon entgegengeflattert. Der Alte kam von Zeit zu Zeit aus seinem Zimmer, verweilte einen Augenblick und verschwand wieder im Hause. Die alte Barbara aber nähte ein paar lange Seidenbänder an ihre Haube. »Dä Juseph well och ene schöne Familjenanblick. Mr moß dem Franzuseläufer klarmaache, dat et och zo Hus noch staatse Frauminscher gitt.« Da bügelte das Rikchen noch in der Nacht heimlich ihre weißen Röcke.

Am anderen Tage wurden die Fahnen aus den Häusern gehängt, und auf dem Turm der Burg zog sie der Alte selber hoch an die Eisenstange. Die Leute standen in Sonntagskleidern auf den Gassen herum und redeten aufgeregt aufeinander los. Von Remagen her wollte man Böllerschüsse gehört haben. Nur um wenige Stunden konnte es sich noch handeln. Man lief in die Häuser, sah nach dem Essen, lief wieder auf die Straße hinaus und rief die Nachbarn an. Keine Minute blieben sie auf dem gleichen Flecke.

In der Burg schritten Sibylle und Maria durch die Räume. In allen Zimmern standen Rosen und Sommerblumen in Vasen und Krügen, und durch die Gänge schmeichelte der Duft, der aus dem Garten kam. Die Frauen gingen Arm in Arm. Sie sprachen nicht viel, aber oft und immer öfter drückte die eine den Arm der anderen, und dann nickten sie wie aus frohen Träumereien heraus.

»Hier werden sie zusammen schlafen,« sagte endlich die Sibylle. »Ob sie sich auch gut vertragen werden?«

»Warum denn nicht, Sibylle?«

»Vielleicht besteht der Barthel darauf, daß du viel schöner seist als ich, und der Hein will es nicht von vornherein zugeben.«

»Ach du Spötterin. Der Barthel hat Künstleraugen, und die werden den Unterschied schnell genug herausfinden. Ich fürcht' mich fast neben dir.«

»So? Er kennt aber auch meine Unarten von klein an, und Hein kennt sie gerade so gut, und von dir wissen sie nur, daß du ein Engel bist.«

Die Maria seufzte. »Der Barthel wird bald dahinter kommen, daß ich eigentlich nur ein recht kleines Mädchen bin.«

Da lachte die Sibylle und nahm das Gesicht der Freundin in beide Hände. »Ja, hoffen wir, daß er recht bald dahinter kommt, du!«

»Sibylle!«

Aber das übermütige Mädchen hörte nicht auf den Einwurf. »Es gibt nur eins, Liebste, daß die Männer nicht ins Vergleichen hineingeraten und wir beide die Kosten zu tragen haben. Wir müssen sorgen, daß sie hier nicht zu lange zusammen kampieren, und daß einer von ihnen das Feld räumt.«

»Das soll wohl der Barthel sein?«

»Siehst du, wie eigennützig du denkst? Nun, wenn es der Barthel sein muß, können wir ihn ja für den Verlust des Hein entschädigen.«

Die Maria stand rotübergossen. Dann warf sie den Kopf zurück und umschlang die Freundin und küßte sie.

»Gott,« sagte die Sibylle, »wenn die Männer wüßten, daß wir uns hier in ihrem Zimmer geküßt haben. Komm – komm!«

Und lachend stoben sie hinaus und suchten ihre Stübchen, um auch sich zu schmücken.

Der Alte von der Burg hörte in seinem Zimmer das Lachen und Eilen der jungen Frauen. Noch lange horchte er hinterher, und sein Blick streifte die holzgeschnitzte Mater Dolorosa mit den sieben Schwertern im Herzen und kehrte zu ihr zurück.

»Es will Abend werden,« sagte er, »und das Tagewerk ist nun bald verrichtet. Schmerzen die Schwerter noch? Nein? Dann weiß ich, daß ich nicht umsonst meinen Platz hier festgehalten habe, ihr Mütter, und daß auf den Abend ein Morgen folgt.« Er erhob sich, und seine Finger glitten über die Holzfigur.

»Wenn der Hein zurück ist, du eine, und wenn der Barthel zurück ist, du andere, und die Sibylle ist da und für den Johannes der kleine Johannes mit seiner Mutter – dann, glaube ich, darf ich in den Garten gehen und rote Rosen heraufholen und sie an die Stelle der Schwerter stecken. Nein, nein, die Wunden werden nicht mehr bluten. Sie werden sich schließen, und ihr werdet friedlich schlafen, wie ich einmal friedlich zu schlafen gedenke.«

Und er ging den gleichen Weg, den die jungen Frauen gegangen waren, durch das ganze Haus, und sah nach den Blumen in den Vasen und Krügen und stand in dem Zimmer, das den Hein und den Barthel gemeinsam beherbergen sollte. In seinen Ohren klang noch das frohe Lachen der Frauen, und als er sich umwandte, um das Zimmer zu verlassen, lag auch auf seinen Zügen ein stilles Lächeln.

Auf der Veranda fielen die Kinder über ihn her und beschwerten sich, daß sie so lange in ihren weißen Kleidern stillsitzen müßten, und bettelten, bis er ihnen eine Geschichte erzählte aus der Zeit, als der Großvater noch ein kleiner Junge war. Dann kamen die Frauen in ihren weißen Festgewändern, Plötzlich ganz still geworden und mit vor sich hinblickenden Augen. Und die alte Barbara kam mit dem blank aufgeputzten Rikchen, und zwischen sich führten sie den kleinen Joseph, der eine kriegerische Hahnenfeder am Hute trug, eine Schärpe um den Leib und einen Holzsäbel daran. Sie alle setzten sich in den Kreis, strichen über ihre Kleider und saßen still.

Und das ganze Dorf war still und atmete nur leise vor Erwartung.

Spätnachmittag war es, und regungslos tranken die Bäume die Sonne.

Der Alte von der Burg hob den Kopf. Seine Brust atmete schneller. »Sie kommen,« sagte er und stand auf. Der Jubelschrei der Kinder antwortete ihm.

Sie schritten über die Kieswege des Gartens. Schon flogen die Kinder voraus und öffneten die Torflügel des alten Steinportals. Da krachten die ersten Böllerschüsse vom Dorfeingang her, und ein Brausen und Rufen verschlang die Stille.

»Sie kommen – sie kommen!«

Von Unkel her zog der Trupp heran. In Koblenz waren sie entlassen worden, bei Remagen waren sie über den Rhein gesetzt. Verbrannt und bestaubt, perlende Tropfen auf der Stirn, Feldmütze und Rock mit Blumen besteckt, marschierten die Rheinbreitbacher in kräftigem Schritt und Tritt durch die Ehrenpforte, erwiderten die brausenden Hochrufe der Dorfgenossen aus voller Kehle, machten halt und stürzten sich in den Knäuel, um zu den Ihrigen zu gelangen. Und jedes Wort ging unter in dem Geschrei der erregten Menge.

Jetzt bogen die drei von der Burg in die Gasse ein, die hinauf zum alten Burgtor führte. Der Alte stand mit den Frauen und Kindern entblößten Hauptes vor dem Portal. Sein weißes Haar schimmerte in der späten Sonne. Er wollte etwas sagen und gelangte nicht dazu. Der Hein war den anderen vorausgeeilt und hatte ihm die Arme um den Hals geworfen.

»Junge – mein Junge ...« Und er preßte ihn an sich und gab ihn lange nicht frei.

Dann war der Barthel herangekommen, und der Alte streckte die Hand nach ihm aus und hielt nun beide an seiner Brust.

»Willkommen daheim. Gott segne eure Einkehr.«

»Willkommen,« sagten die Sibylle und die Maria, und die Maria schob die kleine Brigitte vor, die mit einem Jubelruf den Leib des Vaters umklammerte. Da gab der Alte die Söhne frei, und der Barthel hob sein kleines Mädchen hoch in die Luft und herzte und küßte es ab, und der Hein wandte sich der Sibylle zu, und beider Hände zitterten heftig, als sie sich begegneten, und die Sibylle sagte: »So küß mich doch, Hein.« Die Maria aber stand mit Tränen in den Augen und hielt den Johannes an der Hand. Und der Barthel beugte sich schnell herab und nahm den Johannes auf den Arm. Und sie küßten ihn beide, die Frau und ihr Knabe.

Der Joseph aber hatte immer noch das Rikchen am Hals und den kleinen Joseph an den Beinen hängen.

»Haste mer – och – Franzuse – metgebraach', Vatter?«

»Ene janze Fuhrmannsladung voll, Jusephche. Äwwer mr wollt die Mosjöhs nit mieh zollfrei ereinlasse, un da han ich se zom Düwel gejagt.« Seine lustig umherblinkenden Augen hatten die alte Barbara entdeckt und die neuen Seidenbänder ihrer Haube. In seinem Gesicht begann es zu arbeiten. Er schlenkerte mit den Beinen, um den kleinen Joseph loszuwerden, er wies eine neue Umarmung des Rikchens zurück. Und nun stolperte er vorwärts und nahm die Alte in beide Arme.

»Mutter – ming ahl Mutter ...«

Und er drückte den Kopf an ihre eingefallene Brust und heulte laut auf.

Die Greisin heulte kräftig mit. Und während die hager gewordenen Hände ihn betasteten, murmelten ihre Lippen: »Juseph – Juseph – du bes un bliwws doch ene domme Jung.« –

Der Burgherr trat ins Tor. »Kommt herein, kommt herein. Wir haben nur eine Stunde für uns, denn heute gehören unsere Krieger dem ganzen Dorf, das allen Heimgekehrten die gleichen Ehren erweisen will. Sputet euch – sputet euch!«

Da drängten sie sich durch das Burgtor, und jeder wünschte an der Seite der Heimgekehrten zu bleiben, aber die Kinder behielten den Vorrang. Und als der Hein und der Barthel wieder erschienen, erfrischt und vom Staub gesäubert, und der Vater ihnen den Willkommbecher bot, war der Abend herabgesunken, die Burg erstrahlte im Licht der Kerzen, und über dem ganzen Dorf lag ein festlicher Lichterschein.

Und nun setzten die Kirchenglocken ein.

Der Vater schritt mit der alten Barbara vorauf. Hinter ihnen gingen die Kinder, den kleinen Joseph in der Mitte. Der Barthel und der Hein, von Maria und Sibylle geleitet, folgten, und der Joseph machte mit Rikchen den Schluß. So schritten sie die Dorfgasse hinunter und ordneten sich vor der Kirche in den Zug ein und traten durch das Portal in die Kirche, die angefüllt war von den mächtigen Klangwogen der Orgel, dem Schein der Kerzen und dem Duft der Blumen auf den Altären.

Da begrüßte der Geistliche die siegreich heimgekehrten Söhne des Dorfes und dankte ihnen im Namen der Gemeinde und des Vaterlandes und gab Gott die Ehre.

In dem Organisten aber wurde der Künstler wach, und während er die alten Kirchenlieder spielte, klang es aus seiner Begleitung wie ferne Schlachtenmusik, daß die Herzen der Hörer erschauerten und sie noch inbrünstiger dem Vater der Heerscharen dankten für das glückliche Geleit der Heimgekehrten und um seinen Segen baten für die, die draußen geblieben waren auf den blutigen Feldern, vor dem Feind.

Der Gottesdienst war zu Ende. Von den Dorfältesten geleitet, zogen die Krieger durch die geschmückten heimatlichen Gassen, die im Lichterschein der Kerzen und Öllämpchen hell erglänzten, und in weitem Bogen zum girlandenumwundenen Wirtshaus. Im Gastzimmer, das nach der Straße lag, stand ein Tisch bereit für die Ehrengäste. Noch drängte sich das Volk erwartungsvoll auf der Gasse. Der Tanzsaal wurde erst später geöffnet.

»Se kumme – se kumme!«

»Platz, Platz! Stillestonn! Loßt doch die klein Kinder in de erste Reih! Jetzt äwwer Mul gehalde!«

In der Ferne, wo die Dorfstraße in die Landstraße nach Honnef einbog, flammte es rot auf. Und der rote Lichtschein kam näher, und man unterschied die fackeltragenden Turner und Sankt-Sebastianus-Schützen. Fünf Mann Musik marschierten vorauf, ein Geiger, ein Hornist und ein Flötenbläser, dazu der Mann mit der großen Trommel und dem Tschingdadeckel und ein Bursche mit der Triangel. Eine gewähltere und vollzähligere Musik war nicht zu beschaffen gewesen. Brauchte doch jedes Dorf und jedes Städtchen im Umkreis heut seine Musikanten selber.

Aber die fünf taten ihr Bestes, und wenn es ihnen nicht möglich war, beim Marschieren peinlich auf ein harmonisches Zusammenspiel zu achten, so gaben sie doch des Tones die Fülle, und ihr Ehrgeiz war, die große Trommel, die sich wie wild gebürdete, plötzlich jäh zu übertönen und streckenweise die Führung zu behalten, bis sich Kalbsfell und Tschingdadeckel wieder durchgearbeitet hatten.

Die heimgekehrten Rheinbreitbacher aber, die an den Fenstern des Gastzimmers aufgereiht standen, hörten aus allem nur die große Ehrung heraus, die ihnen von der Gemeinde zugedacht war, und sie blickten stolz und gerührt dem Zug entgegen. Die Musik schwenkte ab und hielt. Der Gesangverein nahm das Vordertreffen ein und sammelte sich nach Tenören und Bässen geordnet um seinen Dirigenten. Die Fackelträger bildeten einen Halbkreis und sperrten die Straße ab.

Die Musikanten spielten unverdrossen, bis sich der Aufmarsch vollzogen hatte. Jetzt brachen sie ab. Der Dirigent hatte den Stab erhoben. Und unter des Lehrers fester Führung setzten die klingenden rheinischen Stimmen ein zum Sängergruß an die Vaterlandsverteidiger.

»Gott war mit euch, er maß die Prüfungszeit,
Er gab euch Mut, den großen Kampf zu enden.
Er hat durch euch vom Feinde uns befreit,
Und Sieg empfangen wir aus seinen Händen,
Ihr kämpftet treu für Gott und Vaterland,
Das deutsche Recht erkämpftet ihr euch wieder,
Die edle Freiheit, feste Treue, deutsche Lieder
Sind nun des Vaterlandes Unterpfand.«

Eine mächtige Gestalt schob sich vor. Der alte Schmitz trat vor seine Dorfgenossen.

»Ruhe,« flüsterte man im Kreis. »Still, domet mer doch versteiht.«

Aber die Mahnung war überflüssig. Die Stimme des alten Schmitz rollte wie Donner über die Köpfe hinweg und erdrückte jedes fremde Wort.

»Meine lieben Rheinbreitbacher! Dat is bei Gott en Freudentag, wie wir ihn nit oft erleben. Und wir wollen drum nit traurig sein. Denn erlebten wir ihn öfter, dann wär' ja auch öfter Krieg. Un davon haben wir nu de Hülle un Fülle gehabt un hätten ihn noch, wenn nit unsere tapferen Söhne mit einem eisernen Besen hinausgezogen wären un hätten Deutschland reingefegt von welschem Übermut un wären über den Rhein gegangen, immer die Nase auf den Napoleon, un hätten ihn und seine Legionen zusammengedroschen wie alt Korn auf der Tenne. Hab' ich recht oder hab' ich nit recht?«

Die Musik griff vor. Sie spielte einen Tusch und gab sich zufrieden.

»Meine lieben Rheinbreitbacher! Weil unsere Söhne sich so bewährt haben als deutsche Männer un nit Not un Tod gescheut haben, um unseren schönen Rhein wieder deutsch zu machen, deshalb is dat en Freudentag, un wenn auch in manche Häuser geweint wird um welche, die nit mehr mit zurückgekommen sind. Die aber, die wir hier am Fenster der Gastwirtschaft erblicken, bringen uns Ersatz, denn sie bringen neben dem erprobten Arm un dem gefestigten deutschen Bewußtsein die erweiterte Lebenserfahrung, un alles dat kömmt der Gemeinde in erster Linie zugut. Dorf bleibt zwar Dorf, aber et kömmt drauf an, ob et bloß Bauern oder ob et freie Männer auf dem Land sind. Is dat verständlich?«

»Et is so – so is dat!«

»Meine lieben Rheinbreitbacher! Ich bin kein Redner, aber so viel sag' ich doch: den Männern, die heut heimgekehrt sind vom Felde der Ehre, is die ganze Gemeinde unauslöschlichen Dank schuldig, un wir wollen ihn zahlen, indem wir jeden, der mitgefochten hat, ganz gleich, wie er heißt un wat seine Beschäftigung is, von Stund' an ganz besonders achten un hochschätzen als einen Tapferen, der sein Leben dafür eingesetzt hat, Deutschland aus der Schmach der Unterdrückung un – un – na ja, dat läßt sich einfach gar nit aufzählen – aus der Schmach der Zeit zu befreien. Dat sin Kerls, wie sie der Herrgott un sein Freund, der Blücher, gern hat, und deshalb fordere ich euch auf, alt un jung, Männer und Frauen, begeistert mit mir einzustimmen in den Ruf: die Tapferen von Rheinbreitbach – sie sollen leben – hoch – hoch – hoch!!«

Diesmal behielt die große Trommel die Oberhand. Geiger, Hornist und Flötenbläser mußten es anerkennen. Und während die Menge Hoch und Vivat jubelte und die Fackelträger Spalier bildeten, begab sich der alte Schmitz in das Gastzimmer und führte die Gefeierten hinaus, hin und zurück durch das Spalier und dann unter Vorantritt der Musik geradenwegs in den Tanzsaal. Die Musikanten erkletterten die freihängende Bühne, ließen sich in der Geschwindigkeit einen Schoppen reichen und spielten auf.

»Achtung!« gebot der alte Schmitz. »Ehrenrunde für unsere tapferen Helden!«

Und die heimgekehrten Krieger winkten ihren Schönen, die sich errötend Bahn brachen, und begannen den Rundtanz. Der Barthel tanzte mit der Maria, der Hein mit der Sibylle. Und dann wurde der Ball für eröffnet erklärt.

Auf schwergefügtem Gestell ruhte ein Faß Wein, eine Spende des alten Schmitz, und die Bedienerinnen liefen mit den Schoppengläsern und kamen nicht mehr zur Ruhe. Die Männer holten ihre Pfeifen heraus und schlugen Feuer. Blau zog der Tabaksqualm durch den Saal und legte sich wie ein Nebel um die Öllampen. Von Zeit zu Zeit wurden die Fenster geöffnet und ein Durchzug verursacht. Dann tauchten wie aus einer Wolke die Musikanten auf ihrer hochhängenden Bühne auf, und man sah, daß auch der wackere Hornist eine brennende Tabakspfeife in der Linken hielt, aus der er, sobald er ein paar Takte Pause hatte, einen redlichen Qualm entwickelte. Überall aber wurden die Köpfe röter, und einer nahm den anderen beim Rockknopf und versicherte ihn ausdrücklich seiner Freundschaft.

»Et is furchtbar gemütlich,« sagte der alte Schmitz und klopfte des Freundes Knie.

Und der Alte von der Burg nickte ihm zu und erwiderte ihm: »Sie kommen alle über die gefürchtete Weichheit des Wiedersehens hinweg und finden schneller das vermittelnde Wort.«

Vor ihnen wogte und hüpfte es unermüdlich, klingelten die Gläser und lachten die braunen Mädchen auf. Hier und dort an den Tischen begann man zu singen, Rheinlieder und Soldatenlieder. Die Geige lief dem Horn davon, die Flöte blies sie wieder zusammen, die große Trommel feuerte die Ermüdeten an, und die Triangel sang ohne Unterlaß einen süßen Takt.

Die Kinder wurden müde und rieben sich verstohlen die Augen. Maria sah es und winkte den anderen zu. Da erhoben sie sich geräuschlos, schüttelten dem alten Schmitz die Hand und gewannen das Freie. Die Kinder waren auf den Armen der Männer eingeschlafen, als sie durch das Burgtor schritten. Droben flimmerte und blinkte der Sternenhimmel, und in den Büschen trieben Hunderte von grünflammenden Leuchtkäferchen einher.

Vom Turm aber rauschte leise die Fahne über Träume und Schlaf der Burg. – –

»Hast du ein wenig Zeit für mich übrig, Vater?« fragte am anderen Morgen der Barthel.

»Ja, für wen anders habe ich denn meine Zeit als für euch? Willst du mit mir auf mein Zimmer kommen?«

»Es hat sich manches ereignet,« sagte der Barthel und saß dem Vater gegenüber, »was ich nicht schreiben konnte, weil es zu kalt und auch zu selbstsüchtig auf dem Papier steht. Ich mochte nicht, daß es aussehen sollte, als empfände ich nicht mit dem Unglück einer anderen. Josepha ist tot, Vater. Sie starb in Warschau.«

Der Alte blickte ihn ruhig an. »Ich stehe zu nahe am Wegende, Barthel, um nicht die Begriffe Glück und Unglück einer Nachprüfung unterzogen zu haben. Deshalb wundere dich auch nicht, wenn mich deine Nachricht nicht tiefer erschüttert. Der Tod kann auch als Glücksbringer kommen. Hier scheint er es mir gewesen zu sein. Was wäre Josepha jetzt und später, wenn sie nicht in Warschau begraben läge ...«

»Vater, ich habe gedacht wie du. Wir wollen die Toten ruhen lassen, die wir selber längst begraben hatten. Hier ist ein Brief und ein Dokument, das über ihr Hinscheiden berichtet und es amtlich beglaubigt.«

Der Alte nahm die Papiere, las sie schweigend durch und blickte den Sohn an.

Der Barthel schöpfte Atem. »Es ist zwischen dir und uns nie der Brauch gewesen, schmückende Worte zu erfinden für das, was in uns vorgeht. Ich habe Maria lieb, Vater. Mehr weiß ich nicht zu sagen.«

»Wünschest du, daß ich für dich werbe, Barthel?«

»Nein, Vater, ich möchte nur deiner Zufriedenheit gewiß sein.«

»So geh zu ihr und sei davon überzeugt, daß ich euch immer lieber zu zweit vor mir sehen werde als den einzelnen, den ich doch auch sehr lieb habe.«

Der Barthel erhob sich. »Ich hoffe, Vater, daß dein Wunsch in Erfüllung gehen wird.«

Draußen suchte er Maria auf und nahm sie mit in den Garten hinein. »Du mußt mir schon ein halbes Stündchen opfern und, wenn du willst, auch mehr.«

»Es ist heute viel zu sorgen, Barthel. Wir möchten mit der Küche Ehre einlegen.«

»Ich glaube nicht, daß ich heut viel davon bemerke. Aber etwas anderes – ja – das möchte ich recht deutlich bemerken.« Und als sie schweigend neben ihm herging, fuhr er fort: »Ich möchte dich fragen, ob du mich liebhast, Maria?«

Sie hielt den Kopf gesenkt, daß er ihr Gesicht nicht sah. Und er fragte wieder: »Hast du mir zugehört?«

»Ja.«

»Hast du mich lieb, Maria?«

»Ja.«

»So sieh mich doch an.«

Da tat sie es, und ihre Wimpern zitterten über den Augen, und ihre Lippen zitterten.

Er nahm sacht ihre Hand auf. »Das Brigittchen ist mutterlos, Maria, und wenn seine Mutter auch nicht gestorben wäre, es hätte nie eine Mutter gehabt. Wirst du ihm eine so glückliche Kindheit schaffen wie deinem – wie unserem Johannes?«

»Wie unserem Johannes,« wiederholte sie.

»Ich habe dem Vater versprochen, Maria, daß ich dich zu ihm bringen würde. Aber ich meine, das hat noch ein wenig Zeit. Und du –?«

»Ach,« sagte sie, »Barthel,« und legte ihm die Hand auf die Schulter und hob den Kopf mit geschlossenen Augen. »Wir sind doch längst so zusammengewachsen, Barthel, daß wir – daß ich – und du –«

Er staunte ihr glückliches Gesicht an, und das Gefühl, daß er, er ihr mehr bedeute, als er selber je von sich gehalten hatte, ergriff ihn übermächtig.

»Sprich nicht weiter,« bat er, beugte sich über sie und schloß ihr den Mund. – –

Bei der Mittagsmahlzeit sagten sie es den anderen, daß sie hinfort zusammenbleiben wollten als Mann und Weib. Und es wurde eine stille und andächtige Feier.

»Wir möchten uns nicht allzulange mehr missen,« sagte der Barthel, »und mich selbst zwingt es auch nach der Werkstatt. Da habe ich denn an Düsseldorf gedacht. Nächst Rheinbreitbach habe ich mich nirgend so wohl gefühlt wie dort, wo ich als junger Anfänger in die Kunst hineinschritt. Dort möchte ich auch in unser gemeinsames Leben hineinschreiten. Dann ist mir Düsseldorf in doppeltem Sinne Heimat.«

Und sie besprachen, daß er schon morgen reisen und Werkstatt und Wohnung suchen sollte. Und mit Eifer erklärte er, wie er gleich auf dieser Reise Kirchenpatrone und geistliche Auftraggeber aufzusuchen gedenke, um nicht mit leeren Händen in seiner Werkstatt zu sitzen. »Wenn ich dann wiederkomme, sind Maria und die Kinder marschbereit, und wir fahren zu Schiff durch den Sommer in den neuen Hafen.«

Sie wanderten alle mit ihm, als er aufbrach, um die Poststation zu erreichen. Nicht laut singend, wie bei seinem ersten Auszug nach Düsseldorf, aber ein Singen und Klingen in sich selber erhorchend. Und als der Postillion das Horn ansetzte, schüttelten sie dem Barthel die Hand und wandten sich dem Rheine zu, um Maria nicht zu bemerken, die noch am Wagen zurückgeblieben war. Dann kam Maria ihnen nach und verspürte so große Sehnsucht nach den Kindern, daß sie bat, nach Hause zurückkehren zu dürfen, und der Vater bot ihr den Arm und führte sie heim. Der Hein aber und die Sibylle riefen einen Kahn an, denn sie wollten nach Nonnenwert und weiter ans andere Ufer, in den Wald. Und sie glitten über den Strom und sprachen kein Wort und blickten erst zueinander auf, als sie im Bogen um die alte Wohnstätte der Nönnchen herumfuhren. Da lachten sie beide heiter auf, denn sie dachten an Sibylles Erziehungsfahrten und was sich alles auf ihnen zugetragen hatte.

Der Kahn fuhr weiter, und als er drüben in den Sand knirschte, sprang die Sibylle mit leichtem Satz hinaus und lief über die Landstraße in den Wald hinein. Und der Hein lohnte den Fährmann ab und folgte ihr.

»Sibylle! –« rief er durch die hohle Hand, »Sibylle!«

»Such – mich – –!« tönte es zurück, und er hatte die Richtung und sprang auf eine mächtige Buche zu, hinter der er sie ergriff.

»Warte,« stieß er atemlos hervor, »ich werde dich lehren, mich immer auf die Suche zu schicken. Jetzt hab' ich dich und halt' ich dich, und du hältst mir still.«

»Hein – ich muß dir erklären – –«

»Erklärungen werden nur von dem besiegten Feinde entgegengenommen. Erst muß ich meinen Zorn gekühlt haben.«

»Herrgott,« stammelte sie und küßte ihn wieder, »wenn das dein Zorn ist – wie muß dann wohl – deine Liebe – sein –«

»Ich habe auf deine Augen einen Zorn,« sagte er und küßte ihre Augen, »und ich habe auf deinen Mund einen Zorn, und auf das ganze Mädchen, das ich endlich im Arm habe, habe ich einen Zorn ...«

»Noch immer – Hein –?«

»Nimm dich in acht – er steigert sich.«

»Du – du –!« rief sie und preßte sich an ihn. »Ich geb' mich ja besiegt – auf Gnade und Ungnade.«

»Mädchen, Mädchen, wie schön du bist – wie schön das ist.«

Und einer den Arm des anderen um die Hüften, schritten sie weiter in den Wald hinein und stiegen die Höhe hinauf und sahen den Rolandsbogen unter sich liegen und das sonnenschimmernde Rheintal mit seinen blanken Städtchen und Dörfern. Und drüben, zwischen Rebenhügeln, Rheinbreitbach und das heimatliche Burghaus ganz in Grün gebettet.

»Weißt du auch, worauf wir stehen, Sibylle? Auf dem Rodderberg, auf dem alten Vulkan, der noch wenige Jahre vor Christi Geburt Feuer und Flammen spie. Als er sich endlich beruhigt hatte, blickte er sich staunend um und sah, daß er geholfen hatte, dies schöne Tal zu bilden.«

»Wenn ich die Augen schließe, glaube ich den Vater zu vernehmen.«

»Und wenn du sie öffnest, Sibylle?«

»... sehe ich ihn, als wenn ich seine Jugend sähe, die wohl auch mit Feuer und Leidenschaft angefüllt war, aber mit einem Feuer, das schöne, stille Täler schuf.«

Sie lagerten auf dem feinen Moosgrund eines Kiefernwäldchens, das neben dem alten Krater aus dem Lavageröll emporgeschossen war, und die Sonne lockte den kräftigen Harzduft aus den Bäumen und überschüttete sie damit. Lang hingestreckt, den Kopf im Moos, lagen sie engverschlungen und atmeten aus tiefster Brust die Kraft des Waldes ein.

»Beichte, weshalb du in Paris vor mir auf und davon flogst?«

»Ist es so nicht schöner, Hein –?«

»Ja,« sagte er, »es ist schöner. Aber du hast mir nicht geantwortet, Sibylle.«

»Warst du in meinem Gasthof? Hast du den Chevalier gesprochen?«

»Ich war in deinem Gasthof, in dem du nicht mehr warst, und sprach den Chevalier. Aber ich fand schon alles – geordnet.«

»Hast du gespürt, daß ich vor dir da war? Daß ich dir die Bahn – flugfrei gemacht hatte?«

»Ich habe es gespürt, Sibylle, und war innerlich stolz auf deinen Mut und deine Tatkraft. Aber weshalb wartetest du nicht und flogst weiter?«

Da nahm sie hastig seinen Kopf und drückte ihn gegen ihre Brust, daß er das laute Schlagen ihres Herzens hörte und das Singen seines eigenen Blutes.

»Fühlst du es? Fühlst du nun, weshalb ich nicht wartete und weiterflog?«

Er antwortete nicht mehr. Er lag ganz still, damit er keinen Schlag ihres Herzens verlöre, und sie ließ sein Haar, das in der Sonne wie eine goldene Flamme leuchtete, durch die Finger gleiten. »Mein lieber Mann ...«

Und ihm war, als könnte er jetzt einschlummern und gewänne aus diesem Schlummer tausend neue Manneskräfte. –

»Auf, Hein! Auf! Wir müssen heim!«

»Ich bin ja schon daheim,« murmelte er.

»Vorwärts! Wir wollen an den Rhein und auf dem Rhein nach Hause.«

Da sprang er auf und zog sie hoch, und sie liefen durch den Bergwald hinab, bis sie das Rauschen des Rheines hörten und seinen Spiegel blitzen sahen. Und sie winkten, bis von Honnef ein Kahn herüberkam, und nahmen selber Ruder und Steuer und fuhren die Wasserbahn gegen den Strom, wie sie so oft als Kinder gefahren waren. »Gegen den Strom,« rief er, »aber in den Hafen.«

In der kleinen Rheinbreitbacher Bucht landeten sie und gingen durch die Felder, die nach reifendem Korn dufteten, und gingen durch die Weingärten, in denen die Reben der Traube entgegenblühten, und fanden das alte Burghaus auf sich warten. –

Am Abend aber, als die Frauen die Kinder zu Bett brachten und manches miteinander zu bereden hatten, nahm der Hein des Vaters Arm und ließ sich durch das Gartentor hinaus ins Freie führen. Das klare Auge des Vaters sah auf den Sohn, und der Sohn merkte es wohl.

»Ja, Vater, nun ist der Barthel fort, um sein Nest zu bauen. Und nun darf ich auch an mich denken und zu dir kommen und dich plagen.«

»Plag du mich nur recht, mein alter Junge. Dann weiß ich doch, daß du mich noch brauchen kannst.«

»Hat Sibylle mit dir gesprochen, Vater? Ich meine, wegen ihrer Scheidung. Denn alles andere ist dir ja nie ein Geheimnis gewesen.«

»Sie hat mir gesagt, daß der Chevalier in die Scheidung eingewilligt habe und sie den Gerichtsbeschluß bald erwarte.«

»Vater,« fragte der Hein, »ist dir diese Regelung nicht ein wenig schmerzlich? Unsere Kirche erkennt das Recht auf Scheidung nicht an, und ich möchte deine Gedanken darüber wissen.«

»Einer Anerkennung der Kirche,« erwiderte der Alte, »bedarf es in eurem Falle gar nicht. Sibylle ist in Frankreich nur zivilrechtlich getraut, und ihre Scheidung berührt die Kirche deshalb auch nicht. Aber selbst wenn die Trauung kirchlich vollzogen wäre, würde ich nicht verallgemeinern, wie es die Kirche zu tun beliebt. Es gibt etwas, das höher steht als das Dogma: das Gewissen. Gerate ich mit meinem Gewissen in Widerstreit, so helfen mir alle Dogmen der Welt nichts, und ich muß, um nicht vor mir und vor Gott als ein feiger Heuchler dazustehen, den Weg meines Gewissens gehen. Das ist freilich nichts für die kleinen und haltlosen Geister, die Begierde und Unstetheit mit Gewissen verwechseln, und die Kirche tut gut daran, für diese Menschenklasse eine strenge Aufsichtsbehörde zu bilden. Aber überall dort, wo das Wohl und Wehe von Menschenseelen in Frage kommt, wo Verirrte auf den rechten Weg wollen oder Unglückliche aus dem lebenslänglichen Elend heraus, da sollte sich auch die Kirche nicht das Recht zusprechen, an Gottes Statt hindern oder verdammen zu dürfen, denn Gott ist größer als seine Kirche. Ich würde euch sagen: Reicht euch die Hände als Mann und Weib und laßt eure Liebe der Welt das Urteil sprechen. Und ich hoffe, daß der Tag, an dem auch die Kirche ihren Standpunkt mit einem weitherzigeren und warmherzigeren vertauschen wird, einmal kommen soll, damit sie in Wahrheit der gute Hirte und der liebende Vater wird, der die Schmerzen hilfsbereit von seinen Kindern nimmt. Die Kirche, mein Hein, wird gewinnen und sich viele Seelen retten, die ihr sonst aus Verzweiflung verloren gehen.«

Im ruhigen Fluß der Rede sagte es der Alte, und der Hein hörte ihm ernst und aufmerksam zu und hörte heraus, daß der Vater über seine und Sibylles Angelegenheit hinaus das durchdachte Wort führte. Er drückte des Vaters Arm und ging schweigend neben ihm her.

»Ich möchte nur eins noch hinzufügen,« fuhr der Alte fort. »Man spricht so viel und so gern von der Sünde wider den heiligen Geist und züchtet ihn doch selber groß. Oder glaubst du, daß die Menschen, denen die Kirche ein ›Nein‹ spricht, nicht dennoch in ihren Gedanken täglich und stündlich zueinander drängten, ob sie wollen oder nicht? Die Kirche sieht es nicht, aber Gott sieht es, und vor ihm ist die Gemeinsamkeit der Seelen und der Leiber gleich. Wenn unsere Kirche von der Verallgemeinerung absieht und mit ernster Liebe die Prüfungen und Unterscheidungen vornimmt, wird sie einen starken Gewissenszwang aufheben und Unzählige aus der Gewissensnot befreien. Und das – meine ich – wäre eine hohe kirchliche und menschliche Aufgabe.«

Langsam gingen sie durch den Abendfrieden und hatten ein Auge für alles, was um sie war.

»Es ist schön, zu leben,« sagte der Hein.

Und der Alte erwiderte: »Wir brächten Gott ein Mißtrauen entgegen, wenn wir anders dächten.«

Am Arme des Vaters kehrte der Hein zurück, und er freute sich über die Rüstigkeit des weißhaarigen Alten und schaute ihn oft und heimlich von der Seite an, um die schlichte Schönheit der Patriarchengestalt ganz in sich aufzunehmen. Eine Woche war verflossen, da schwenkte die Maria einen Brief in der Hand.

»Von ihm – von ihm! Bis zu dieser Seite darf ihn der Vater vorlesen. Das andere – nein, das andere ist nichts für euch.«

»Dann erzähle du lieber selber, damit nicht unwissentlich eine Grenzverletzung geschieht,« meinte der Vater lächelnd.

»Also hört: Der Barthel ist zunächst in Köln ausgestiegen und hat den Tag bis zum Abgang der nächsten Post benutzt, um seinen alten Gönnern und Auftraggebern seinen Besuch abzustatten. Sie haben ihn um seine Mitwirkung im Feldzug befragt und ihn belobt, auch Aufträge gegeben und in Aussicht gestellt. In Düsseldorf angekommen, hat der Barthel gleich Werkstatt und Wohnung gemietet, von seinem alten Meister an der Kunstschule eine gute Aufnahme erfahren und das Versprechen, ihn gern bei eiligen Arbeiten heranzuziehen. So läßt er dich denn bitten, Vater – das Aufgebot zu bestellen.«

»Das höre ich gern,« sagte der Alte, »denn es ist gut, wenn zwei Menschen den Aufstieg zusammen beginnen.«

Und Sibylle erhielt in diesen Tagen die Entscheidung des französischen Gerichtshofes, der ihre Ehe schied. Nach dem Gesetz durfte sie eine neue Ehe nicht vor dem nächsten Frühjahre eingehen.

Sie sagte es Hein, und er nahm sie in den Arm und sagte: »Nun, wohl denn.« Aber es war ihnen beiden schwer ums Herz.

»Es ist nicht lange,« meinte der Alte. »Ihr müßt an der Zeit messen, die hinter euch liegt.« Und nach drei Wochen kam der Barthel, und am Sonntage wurde ihm Maria in der Kirche zu Rheinbreitbach angetraut.

Nur ein kleines Mahl hielten sie, und der Vater sprach ihnen das Geleitwort.

»Wer durch die Not des Lebens hindurchgegangen ist, erkennt das Glück an den Augen, nicht an seinem Füllhorn. Schaut euch an, und ihr wißt, es ist nicht weit. Und wollt ihr des Glückes volles Maß, so ruft eure Kinder hinzu – und es gibt kein Schweres mehr. So geht mit Gott auf die Reise.«

Aber auch der alte Schmitz wollte noch seinen Trinkspruch haben.

»Ich bin kein Redner,« hob er an, »aber wenn ihr nach Düsseldorf kommt, dann liegt da en Faß Elferwein im Keller, dat kann besser sprechen als ich. In diesem Sinne – Prosit.«

Und alle lachten und schüttelten dem alten Freunde die Hände.

Der Wagen brachte den Barthel und die Maria mit den Kindern nach Königswinter. Dort wollten sie ein Schiff besteigen, das sie rheinabwärts führen sollte in die neue Heimat.

»Kommt,« sagte der Alte von der Burg zu den Zurückbleibenden, »der Tag ist zu schön, um zu trauern. Wir wollen näher zusammenrücken und gute Gedanken tauschen.« – – –

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