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XVIII

Frühlingswarm lag es in der Luft. Aus den Knospen der Kastanien rann der harzige Saft, und über Nacht sprangen sie auf und entfächerten ihre grünen Blätter. Der Garten der Burg schwamm in einem Duft von blauen Veilchen, die zu Tausenden unter den Sträuchern standen, die Rabatten umfaßten und unter den alten Bäumen große Siedlungen bildeten. Die Zugvögel waren zurückgekehrt, und die Männchen putzten sich heraus und warben mit hellem Gezwitscher um die Weibchen. Das geheimnisvolle Treiben begann in der Natur, das Anschwellen der Säfte und Kräfte, das Drängen und Sehnen. Und über alles warf die Sonne ihr goldfeines Netz, und was in seine Maschen geriet, verfiel ins Träumen und wunderte sich verwirrt über sich selbst, weil es nicht wußte, ob es lachen oder weinen sollte vor lauter Glücksahnungen.

Wenn zur Nachtzeit ein Brausen durch die Wipfel zog, horchten die Menschen auf, aber sie fürchteten sich nicht. Denn der Frühlingssturm säuberte die Bäume von allem morschen und toten Holzwerk und schaffte den jungen Trieben Luft, daß sie sich am kommenden Tage ihren Platz an der Sonne sicherten, das neue Leben spürten und sich insgeheim daran berauschten. In der Morgenfrühe war es, als hörte man die Atemzüge des erwachenden Gartens, der die Lungen vollsog an erquickendem Tau und wärmender Sonne. Um die Mittagszeit klang und knisterte es in den Blütenbüschen wie Kichern und Flüstern. Und der blau verdämmernde Abend war voll von Erwartung auf das Morgen.

Der Mensch aber fühlte sich als die erste Kreatur des Schöpfers und ihm am nächsten verwandt. Das Haupt, das im Winter sorgenbang niedergehangen hatte, hob sich freier auf den Schultern, die Augen schauten wie nach versprochenen Wundern aus, die Freude gewann dem Leid die Herrschaft ab, und der Gang wurde straffer und bewußter in all der jungen Herrlichkeit zu Füßen.

Frühmorgens schon schritt Maria durch die langen Gartenwege und sah nach den Blumen, deren Keime sie erst am vergangenen Tage wahrgenommen hatte und die jede Nacht heimlich um ein Stück emporschossen, sich entfalteten, Knospen trieben und in die Blüte drängten. Jeden Morgen sah sie danach, als wären es ihre Gedanken, die sie hier behütete und die sich dennoch der Sonne offenbarten. Dann lief sie ins Haus zurück und weckte die Kinder mit einem Kuß, sprach, warm von dem Spaziergang, das Morgengebet mit ihnen, half ihnen beim Ankleiden und beantwortete die hundert Fragen der Kinderseele, die sich noch mit jedem neuen Tage zurechtfinden muß in den verwunderlichen Neuerscheinungen ihrer kleinen Welt.

»Weshalb scheint jetzt schon die Sonne, und weshalb schien sie gestern abend nicht?«

»Habt ihr es nicht gesehen, wie sie drüben hinter den Eifelbergen zu Bett ging? Kinder, da stand doch ein purpurrotes Bett aufgeschlagen.«

»Ja, aber jetzt ist sie doch im Westerwald aufgestanden. Wie kommt das?«

»Die Sonne möchte auch gern länger schlafen, so wie ihr, kleine Gesellschaft. Aber dann kommt der liebe Gott und kriegt sie beim Krips zu fassen und wirft sie aus dem Bett. Da liegt sie denn ganz unten, und weil sie sich schämt, klettert sie an der anderen Seite wieder hinauf.«

»Ach so! ...« sagten die Kinder. Denn das verstanden sie von der Sonne.

»Gehen wir heute wieder an den Rhein?« fragte die kleine Brigitte.

»Spielst du denn lieber am Rhein als im Garten, Herzchen?«

Die Kleine nickte. »Du hast mir doch gesagt, daß der Papa drüben ist. Da seh' ich ihn doch zuerst, wenn er wiederkommt.«

»Wir werden jeden Tag an den Rhein gehen, Herzchen, damit wir den Papa nur ja nicht verfehlen.«

Und sie lief die Treppe hinab und deckte den Frühstückstisch, und das Rikchen trug die zinnerne Kaffeekanne auf die Veranda.

Oben hörte man schon den Hausherrn in seinem Arbeitszimmer. Jetzt kam er und führte, an einer Hand den Johannes und an der anderen das Brigittchen, denn es war das Vorrecht der Kinder, daß sie den Großvater jeden Morgen zuerst begrüßen und zum Frühstück holen durften.

»Hast du gut geschlafen, Maria?« fragte der Hausherr und drückte ihr die Hand. »Was ist das wieder für ein köstlicher Tag, und die Kinder spüren es auch, denn ich habe ihnen schon in aller Eile die wunderschöne Geschichte vom Schneewittchen in den Sieben Bergen bei den sieben Zwergen erzählen müssen.« Die Kinder klatschten in die Hände. »Noch einmal, Großvater, noch einmal.«

Und der Alte ließ sich in seinem Strohsessel nieder, und die Kinder hockten links und rechts von ihm auf den Stühlen. Und wahrend Maria ihm das Frühstück zubereitete und seine klaren Augen die Schönheit des Morgens tranken, begann er geduldig das Märlein von vorn.

»Wie prachtvoll du es verstehst, Vater, mit Kindern umzugehen. Daß du nie müde dabei wirst.«

»Müde? Ich gehe doch auch täglich in meine Pflanzungen und lockere immer wieder das Erdreich und jäte und gieße, und keinem fällt ein, zu fragen, ob ich es nicht müde würde. Kinder haben einen so feinen Organismus, daß man ihn bei Tage und bei Nacht nicht aus den Augen lassen darf, und die kleinen Menschenseelen, die wir noch im Schlummer glauben, unternehmen viel eher ihre Tastversuche, als es die meisten wissen. Siehst du, da bedarf es einer ganz zarten Hand, um sie von früh an zu lenken. Laute und scheltende Worte machen sie ängstlich oder störrisch und unwahr oder – selber zu lauten und scheltenden Menschen. Wenn ich keine Geduld mit den feinsten Blumen, den Menschenblumen, hätte, was wäre dann wohl meine Geduld an Kohl und Rüben wert? Sag selbst, Maria.« Und er lachte froh.

»Ich lerne so viel von dir, Vater.«

»Da muß ich dir widersprechen. Du hast das, was ich in vielen Worten sage, in einem einzigen mütterlichen Gefühl beisammen.«

»Aber du gibst die Erklärung von all dem Dunkeln, und ich weiß, ob ich auf dem rechten oder falschen Wege bin.«

»Kind,« sagte der Alte warm, »diese beneidenswerte Kunst würde ich gern mit deinen jungen Jahren tauschen. Aber das Alter hat auch seine Freuden. Und weil die Jahre kürzer werden, drängen sie sich mehr zuhauf. Da bringen die Kinder die Enkel.«

»Du bist sehr reich, Vater.«

»Und ich hoffe doch, immer noch reicher zu werden.«

Er erhob sich, nickte Maria und den Kindern zu und ging langsamen Schrittes wie ein rechter Genießender durch den Garten und durch das Tor ins Freie, um seine Leute bei der Arbeit anzuweisen. Maria aber besorgte das Haus, schlüpfte zu Rikchen in die Küche, sah nach der Mittagsmahlzeit auf dem Herd und begrüßte die alte Barbara, die aus ihrer Wohnung in die Küchenstube zu kommen pflegte, um gemütlich im Lehnstuhl sitzend für alles Lebendige in der Burg einen Vorrat an Strümpfen zu stricken.

»Wie geht es, Barbara? Immer fleißig?«

»Mer moß sing Dag usnötze. Es mer ers gegange, weiß mer nit, wann mer widderkütt.«

»Ach, Barbara, Sie werden auch noch für des Josephs Enkelkinder Strümpfe stricken.«

Die alte Frau hielt mit Stricken inne. Sie streckte den Kopf vor und fragte flüsternd: »Hat'r jet gehört vom Juseph?«

»Nur Heldentaten, Barbara. Wenn der nur nicht als Feldmarschall wiederkommt, wie der Jan van Werth!«

»Dä domme Jung,« sagte die Alte mit aller Zärtlichkeit. Und ihre Stricknadeln klapperten aufs neue.

Und die Maria rief den kleinen Joseph, nahm die Kinder bei der Hand und lief mit ihnen durch die grünsprießenden Felder barhaupt und mit fliegenden Röcken zum Rhein. Ein Segelboot trieb mit dem Wind zu Tal, und sie riefen ihm aus hellen Kehlen »gute Fahrt« zu, und die Schiffersleute, Mann und Frau und Kind und Knecht, schrien in holländischer Sprache einen Dank. Ein zottiger Spitz aber, der auf dem Bootsrand das Gleichgewicht zu halten suchte, kläffte zum Ufer hinüber, bis das Boot zwischen den Inseln Nonnenwert und Grafenwert den Blicken entschwand.

Die junge Frau lagerte sich im Ufersand und schaute über den Rhein hinüber. Und die Kinder sprangen die grasbewachsenen Böschungen hinauf und hinab und suchten die ersten Marienblümchen und trugen sie alle in den Frauenschoß.

Die Frauenhände strichen darüber hin. »Was wollen wir tun mit all den Blumen?«

»Kränze winden,« bat das Brigittchen, und der Johannes half ihr bitten, und der kleine Joseph sagte ganz langsam und ernsthaft: »For – minge – Pappa.«

Da nahm sie den Kleinsten um den Leib und warf sich zurück in den Sand und hob ihn hoch über sich.

»Auch für meinen Papa,« rief das Brigittchen und umtanzte die lachende Maria, und der Johannes verspürte die erste ritterliche Regung und wünschte einen Kranz für den Onkel Hein. »Ja, ja,« rief die junge Frau und setzte das strampelnde Josephchen in den Sand, »sie sollen alle ihren Kranz haben.«

Die Kinder lagen, die Ärmchen auf ihren Schoß gestützt, um sie herum und sahen auf ihre flinken Finger, die die Blümchen an ihren Stengeln hochschnellten und sie sträußchenweise zusammenflochten. Nun rundete sie den ersten Kranz, und nun den zweiten und den dritten, und bei jedem erzählte sie eine Geschichte von Kämpfen und Siegen, daß es den Kindern feierlich ums Herz und heiß in den Backen wurde.

»Mein Vater war auch im Krieg,« sagte der Johannes, als holte er aus weiter Ferne ein Bild.

»Und mein Vater ist immer noch im Krieg,« seufzte das Brigittchen, weil es Sehnsucht bekam.

Da warf die junge Frau die Kränze hin und zog die Kinder hastig an ihre Brust. Denn die Kleinen sollten nicht gewahren, daß sie nasse Augen hatte, um den einen und um den anderen. Aber der kleine Joseph hatte es doch bemerkt und kroch näher heran und fuhr ihr mit seinen schmutzigen Händchen über das Gesicht. »Juseph – is – artig. Nit – weine, Tant'!«

»Warum weinst du denn?« riefen die anderen bestürzt und stemmten die Hände gegen ihre Brust, um sie ansehen zu können. Sie aber zog die Kinder nur noch fester an sich und wiegte sich mit ihnen im Sande. »Weil ich mich so freue, Kinder, weil ich mich so schrecklich freue.«

»Darüber, daß wir die Kränze haben?«

»Weil es wieder Frühling geworden ist, Frühling, Kinder, Frühling! – – –«

Und sie sprang auf, rannte durch Ufersand und Rheinkies und ließ sich in den Wiesen von der aufjauchzenden Gesellschaft haschen.

In Oberwinter schlug die Kirchenuhr. Zwölf lang nachsummende Schläge schallten über den Rhein. Die Maria zählte sie erschrocken.

»Mittag, Kinder. Wir haben wahrhaftig vor Träumen und Spielen die helle Tageszeit vergessen. Daran ist nur der Frühling schuld, und wir müssen uns sputen, damit uns nicht die Mittagselfen erwischen.«

»Wer sind denn das – die Mittagselfen?«

»Das sind lustige Geisterchen, die den Menschen, die das Mittagessen verträumen, den Kopf zwischen zwei Ohren setzen. Lauft!«

Da liefen die Kinder, was sie laufen konnten, und selbst des Josephchens kurze Beine hasteten behend durch das Feld. Der Johannes aber als der älteste hatte sich die Sache überlegt und nach den Ohren getastet. »Ach,« rief er plötzlich verlegen und beschämt, »die Menschen haben doch alle den Kopf zwischen zwei Ohren sitzen. Dann gibt es auch ganz gewiß keine Mittagsessen.«

»Gott sei Dank,« sagte die Maria, blieb stehen und strich sich das flatternde Haar aus der Stirn, »dann hätten wir auch gar nicht so zu laufen gebraucht.«

Da lachten die Kinder wie über den gelungensten Scherz, und eins rief mit dumpfer, verstellter Stimme dem anderen zu: »Soll ich dir mal den Kopf zwischen zwei Ohren setzen?« Und nur der kleine Joseph wehrte sich energisch. »Juseph – is artig. Juseph – haut!«

»Jetzt müssen wir manierlich durchs Dorf gehen,« gebot die Maria, zupfte ihnen die Anzüge zurecht und legte einem jeden sein Kränzlein ins Haar. Und die Kinder gingen mit strahlenden Gesichtern, als ob sie als Sieger aus dem Kriege heimkehrten. Und der Alte von der Burg, der sie am Tor erwartete, nickte der Maria zu: »Nun? Bist du müde dabei geworden?«

Die schüttelte nur den Kopf und lief an ihm vorüber, um schnell noch einen Blick über den Mittagstisch zu werfen.

Am nächsten Tage aber zogen sie wieder hinaus und alle die folgenden Tage, wenn die Sonne schien und die häuslichen Pflichten Maria losließen.

»Die Zeit vergeht bei den Kindern wie im Fluge!« gestand sie dem Vater. »Man kommt gar nicht zu sich selber, und darüber bin ich nicht böse.«

Der Alte sah ihr mit seinen klaren Blicken freundlich nach. –

Am Abend kam der alte Schmitz, wie er nun schon seit Jahren allabendlich kam, wenn das Podagra ihn nicht zwickte und unwirsch machte. »Dat Reißen,« pflegte er zu sagen, »is bei Gott nix anderes als die Wut des Deuwels, dat hä meine zweihundertfünfzig Pfund nit beiseite schaffen kann. Aber dä soll sich noch wundern. Wann ich ihn krieg', ersäuf' ich ihn im Weinglas.« Und er ersäufte ihn mehrere Male.

Heute stand ein großer Ernst auf seinem Gesicht zu lesen. Er schritt auf den Hausherrn zu und faßte des Freundes Hand. Lange vermochte er kein Wort herauszubringen, so mächtig arbeitete es in seiner breiten Brust. Dann bezwang er sich.

»Et is Friede. Paris is unser.«

Erschüttert sah ihm der Alte von der Burg in die Augen. »Gelobt sei Gott! ...«

»Soeben is en Kurier durchgekommen. Et is de Wahrheit. Der Blücher hat dat Spiel beendigt.«

Und der Alte von der Burg wiederholte: »Gelobt sei Gott ...«

»Ich bin auf der Stell' zu Ihne gelaufe, so rasch mich die schweren Bein' tragen wollten, aber unnerwegs hab' ich erst doch noch dem Pastor auf die Fenster geklopft un et ihm zugerufen, damit Gott zuerst die Ehr' hat. Hören Se, da läßt der Pastor schon die Glocken läuten. En braver Mann, der Herr Pastor.«

Die Rheinbreitbacher Glocken riefen durch den Abend, und die Glocken von Unkel und Honnef riefen zur Linken und zur Rechten, und vom anderen Ufer drang es im Chor über den Strom, daß das ganze Rheintal in Glockentönen schwamm.

Der Alte von der Burg ging durch den gewölbten Flur zur Küche, wo er die Frauen versammelt fand. Durch die weitgeöffneten Fenster zog der Glockenklang herein, machte die Arbeit ruhen und ließ die Herzen aufhorchen.

»Ihr Frauen,« sagte der Alte, und seine Stimme zitterte ein wenig, »es ist Friede. Unsere Heere haben Paris genommen. Freut euch auf die Heimkehr der Unseren.«

Die Frauen standen unbeweglich. Die Freude wollte noch nicht in ihr Hirn und fand keine Worte. Nur die alte Barbara murmelte, wie es der Hausherr getan hatte: »Gelobt sei Gott – gelobt sei Gott ...«

Da hob das Rikchen die Schürze an den Mund und schluchzte wild hinein. Und die Maria legte schnell die Arme um ihre Schultern, denn das Rikchen wollte sich nicht beruhigen und schrie aus tiefster Seele: »Minge Mann! – Minge Juseph! ...«

»Nun kommt er ja, Rikchen,« sagte die Maria, »nun kommt er ja bald,« und sie streichelte und tröstete die Aufgeregte, bis auch die eigene Erregung niedergekämpft war. Das Rikchen aber wimmerte immer noch: »Minge Mann – minge Juseph ...«

Der Alte von der Burg horchte in das Haus hinauf. Droben waren die Kinder von dem Glockengeläut wieder erwacht, und er ging hinauf an ihre Betten und sagte ihnen, was geschehen sei. »Jetzt werdet ihr den Papa und den Onkel Hein und den Joseph bald wiederhaben. Schlaft wohl.«

Als er in das Eßzimmer zurückkehrte, fand er den alten Schmitz in tiefem Grübeln vor. Er zog sich einen Stuhl heran und setzte sich zu ihm.

»Wie schön der Abend ist. Diese Glocken rheinauf und rheinab.«

Der alte Schmitz nickte nur kurz. »Sagen Sie mal, Freund, Ihre aufrichtige Meinung. Ob der Blücher die Friedensbedingungen diktiert oder die Federfuchser.«

Die neue Sorge des Freundes stimmte den Hausherrn heiter. »Soviel mir bekannt geworden ist,« erwiderte er lächelnd, »ist die deutsche Rechtschreibung nicht die starke Seite des Feldmarschalls. Da wird er wohl das Schreibwerk den Diplomaten überlassen müssen.«

»Wat? Richtig schreiben kann der Blücher nit? Aber richtig Haue austeilen, dat kann'r, deutsche Haue, auf hochdeutsch und auf plattdeutsch, wie et beliebt wird, und dat is doch wohl die Hauptsache. Antreten lassen soll er die Franzosenkerls, die uns so viel Blut und bittere Not gekostet haben, un anblasen soll er se, dat ihnen die Seele heult: ›Heraus mit allem deutschen Land, ihr nixnutzig Volk, un Garantien her, dat ihr euch in alle Zukunft anständig betragt. Un den Beutel gezogen und all die Witwen und Waisen entschädigt, die ihr auf dem Gewissen habt!‹ Dat is doch wahrhaftig kurz un bündig, un mer braucht doch nit mehr als eine Gänsefeder dazu, um dat zu Papier zu bringen.«

»Mir aus der Seele gesprochen, Schmitz.«

»Hab' ich et getroffen? Dat freut mich! Aber wenn der Blücher nit zu Wort kommt – ich fürcht – ich fürcht – die Gäns' in Frankreich werden arg viel Federn lassen müssen, bis die Diplomaten die paar Wörter zusammengestoppelt haben. Und dann is et widder ganz wat anders.«

Der Alte von der Burg schlug ihm aufs Knie. »Jetzt keine Grillen fangen. Freuen wollen wir uns, daß wir so weit sind.«

»Dat is wahr!« Und der alte Schmitz streckte die Hand aus, schob sie auf der Tischplatte hin und her, suchte und riß weit die Augen auf.

»Wat is denn dat? Ha – ham'mer wirklich noch nit gedrunke? Noch nit Viktoria gedrunke?«

»Freund, diesmal haben die Glocken schöner geläutet als die hellsten Pokale.«

»Dat war für die Seele. Aber der Mensch besteht aus Leib un Seele. Un wenn die Seele fröhlich is, dann gebührt dem Leib auch sein Teil. Is dat nu wahr oder nit wahr?«

»Wir wollen den Elfer trinken, Schmitz. Den aus dem Kometenjahr. Damit hat es so recht eigentlich begonnen.«

»Ich stimm' auch dafür. Nit, weil et damit begonnen hat, sondern weil der Elfer der feinste Bursch is, den wir auf der Flasch' haben.«

»Auch gut,« sagte der Hausherr. Und er ging und gab dem Rikchen Auftrag, den Wein aus dem Keller heraufzuholen, und die Maria brachte ihn ins Zimmer und brachte die Gläser und den Tabakskasten.

Die Gläser klirrten ein wenig, als sie sie auf den Tisch setzte, und der Vater hielt ihre Hand fest.

»Freust du dich, Maria?« Sie schaute ihm in die klaren Altersaugen und nickte ihm stumm zu.

»Nimm dir ein Glas und setz dich zu uns. Es ist Feierabend in der Welt, Maria. Und wir wollen ihn heiligen und auf eine glückliche Wiederkehr der Menschen trinken, die wir lieben und draußen wissen.«

Da klangen die Gläser mit gutem Klang aneinander, und die Maria saß zwischen den Männern und horchte auf ihr Gespräch und horchte darüber hinaus in die Ferne. –

Mit der ersten Sonne war der Hausherr auf. Es duldete ihn nicht länger daheim, und er machte sich auf den Weg zur nächsten Poststation, um nach Briefen und Zeitungen zu fragen. Am Nachmittag kehrte er zurück, und er rief Maria, die er im Garten auf und ab schreiten sah. »Ich habe Briefe aus dem Felde.« Und sie war bei ihm, als hätte sie nur auf diesen Anruf gewartet.

Auf einer Gartenbank faltete der Alte die Briefschaften auseinander. Von den grün überhangenen Wegen schallten die Stimmen der spielenden Kinder.

»Es sind nur wenige Bleistiftzeilen, Maria, aber sie enthalten eine Fülle des Glückes, sie enthalten das Wort Friede.«

Und er las ihr Heins kurzes Schreiben vor.

»Mein lieber Vater! Dein Brief kam vor Paris in meine Hände. Joseph brachte ihn mir, als die Adjutanten von Truppe zu Truppe galoppierten und den Frieden ausriefen. Paris ist unser, und ich hoffe, der Krieg ist beendet. Wir liegen am Feuer und singen angesichts der bezwungenen Stadt Heimatlieder. Morgen soll der Einzug erfolgen. Aber bevor ich mich zur Ruhe strecke, sollen diese Zeilen an Dich abgehen und Dir sagen, daß wir uns wohl und glücklich befinden, der Barthel, der Joseph und ich, und daß wir Euch vielmals danken für die guten Nachrichten von daheim. Was ich alles aus Deinem Brief herauslas, mein lieber Vater, das weißt Du, und wir haben uns immer mit wenigen Worten verstanden. Zu werden wie Du, ist schwer, aber es ist eine schöne und hohe Lebensaufgabe. Ich werde in Paris nicht von Barthels Seite gehen, bis wir die Dinge zu seinen Gunsten gewendet haben. Dann suche ich unsere Sibylle auf. Grüße unsere Schwester Maria, das Rikchen, die alte Barbara, den Onkel Schmitz. Küsse die drei Kinder. Und sei umarmt von Deinem getreuen Sohn Hein.«

»Unsere Schwester Maria ...« wiederholte die junge Frau, als liebkose sie die Worte.

»Ob dieser andere Brief, den ich nicht öffnete, auch von der Schwester Maria spricht,« meinte der Alte lächelnd, »weiß ich nicht. Er ist an dich gerichtet.«

Sie nahm ihn entgegen und mühte sich, ruhig zu erscheinen. »Weshalb hast du ihn nicht geöffnet, Vater? Er ist von Barthel.«

»Lies ihn nur, Maria. Steht Wichtiges darin, so wirst du es mir schon sagen.«

Sie öffnete ihn und beugte sich tief über das Blatt. Und der Alte saß auf der Bank still neben ihr und schaute nach den Schwalben, die hoch oben im Blauen hin und her schossen und sich plötzlich niedersenkten, um die Nistplätze auszukundschaften. »Zierip – zierip,« klang es von allen Seiten.

»Sie wollen bauen,« sagte der Alte. »Die Zeit ist da.«

Maria strich sich mit der Hand über die Stirn, blickte auf und reichte ihm den Brief. »Er ist gesund und frohen Mutes, Vater –«

»Das freut mich von dir zu hören. Aber wenn du willst, überzeuge ich mich selber.« Und er las den Brief für sich.

»Meine liebe Maria! Paris ist unser. Und alles das, was mir in der Welt noch bevorstehen kann, hoffe ich auch noch zu überwinden. Denn dann erst kann auch ich vom Frieden sprechen, von dem sie an allen Lagerfeuern singen. Du hast so viel Gutes an mir getan mit freundlichem Zuspruch in den Feierabendstunden auf der Burg und mit frohmachenden Briefen, die mir im Felde die Heimat erstehen ließen, Dich und die Kinder und den Vater und alles, was meine besten Gedanken umschließen, daß ich weiß, Du wirst auch auf dem Gang nach Paris mir zur Seite sein. Wenn Du diesen Brief erhältst, so küsse mein Brigittchen, als ob ich es küßte, damit sie verspürt, daß sie in besserer Hut als früher ist. Ich habe ein so großes Vertrauen zu Dir, Maria, und eine solche Ruhe überkommt mich, wenn ich an Euch beide denke, daß mir oft ist, als wärest Du die Mutter meines Kindes. – Dem Vater und allen lieben Menschen dort meine Grüße. Ich bin Dein dankbarer Barthel.«

»Ja,« sagte der Alte, faltete den Brief und gab ihn ihr zurück, »das ist ein großes Vertrauen, und es ehrt euch beide.« Er sah ihr in die Augen. »Tränen, Maria? Ich hoffe, die Freude über das Vertrauen eines ehrlichen Mannes treibt sie dir in die Augen.«

»Ja, Vater –«

»Er ist ein Mann, Maria, der nichts will als Glück schaffen und sich selbst ein wenig daran wärmen.« Sie schüttelte hastig den Kopf. »Nicht doch, Vater. – Nicht ein wenig wärmen – nicht ein wenig nur. Er darf gar nichts anderes empfinden als Wärme. So meine ich es.«

»Das ist sehr viel, Maria, und es gehört viel Liebe dazu.«

Sie schwieg, und ihre Hände strichen unruhig über ihre Knie.

Der Alte fuhr fort: »Menschen, die das Unglück kennen gelernt haben, sind sich die besten Helfer, mein liebes Mädchen. Willst du ihm nicht helfen?«

»Vater, ich habe ihn so lieb, daß ich meinen Johannes bei der Hand nehmen kann und ihm folgen, wohin er gehen will.«

Des Alten Hand legte sich auf ihren Scheitel. Und sie lehnte ihren Kopf fest gegen seine Schulter. So saßen sie und hörten die Stimmen der spielenden Kinder durch den Garten schallen und das Zierip der segelnden Schwalben.

»Nun ist mir ganz frei ums Herz,« sagte die Maria und regte sich nicht.

Und die Schwalben schossen um die Burg, und wo der Wintersturm die alten Nester heruntergejagt hatte, kreisten sie eine Weile und suchten einen anderen, gesicherteren Platz. Und der Alte wies Maria darauf hin.

Fern auf den Feldern sangen die Menschen in den Frühlingsabend hinein. –

Die Kinder kamen herbei und schmeichelten sich zum Gutenachtgruß auf die Bank. Und Maria hielt ihre Händchen in den ihren. Dann rief das Rikchen, daß die Abendsuppe für die Kinder fertig sei, und Maria führte die Kinder ins Haus und brachte sie zu Bett und saß lange bei ihnen.

Vom Dorf her fuhr ein Wagen die Gasse hinauf. Er hielt vor dem Burgtor, und der Kutscher knallte mit der Peitsche. Der Alte erhob sich von seiner Bank und ging durch den Abendfrieden, um dem Besucher zu öffnen. Er hatte von den Kindern geträumt, die vor langen Jahren in diesem Garten spielten.

»Sibylle,« sagte er, »da bist du ja.«

Sie tat ein paar Schritte ihm entgegen, und das Tor fiel hinter ihr zu. Die Reisetasche lag auf der Erde. In furchtbarer Erregung streckte sie die Hände vor, und der Alte ergriff die Hände und zog die Heimgekehrte an seine Brust. »Guten Abend, meine kleine Sibylle.«

Da löste sie ihre Hände aus den seinen und schlang sie ihm fest um den Nacken. »Guten Abend, Vater – guten Abend, Vater – –«

»Siehst du,« sagte er, »es ist hier alles geblieben, wie es war. Du brauchst gar nichts umzulernen.«

»Vater – Vater – daß ich nur fortgehen konnte! Daß ich nur von hier jemals fortgehen konnte.«

Der Alte hob ihr Gesicht. »Kind, du hast keinen Grund, dich zu schämen. Du bist einem starken Jugenddrange gefolgt, weil du dich und uns nicht unglücklich machen wolltest, und kehrst nun heim und machst dich und uns glücklich. Das ist nur ein Grund zur Freude und zum Dank.«

»Ich freue mich,« murmelte sie, »ich freue mich so sehr, daß ich dir kaum danken kann.«

Da nahm er ihr Gesicht in beide Hände und küßte sie herzlich auf den Mund.

»Willkommen daheim, kleine Sibylle. Dein Jungmädchenzimmer steht für dich bereit und wartet auf dich. Ich werde dich hinaufbegleiten, denn du wirst gewiß recht müde sein.«

»Ich bin gar nicht müde, Vater, nicht ein wenig müde, seit ich hier bin.« Aber sie ließ sich doch auf ihr Zimmer führen, und der Vater ging vor ihr hinauf, als wäre sie erst gestern gegangen und nicht Jahre um Jahre fort geblieben unter Menschen und Dingen, die er nicht kannte, und sie folgte ihm, und jeder Schritt war ein tieferes Atemholen, und ihre Hand streifte heimlich die Wände.

Der Alte öffnete die Tür zu ihrem Mädchenstübchen Da lag es, weiß und blank, Frühlingsblumen standen auf dem Tisch, und die Abendsonne streute ihre purpurnen Lichter darüber.

»Wer hat an mich gedacht?« stammelte Sibylle und sah ringsum und sah auf die Blumen.

»Kind, wir alle haben an dich gedacht und täglich mit dir geplaudert. Und für die Blumen im ganzen Haus sorgt die Maria.«

»Die Maria,« wiederholte sie. »Werde ich sie bald sehen?«

»Ich schicke sie dir, und sie soll dir einen Imbiß heraufbringen und dich zu Bett legen. Nein, nein,« beharrte er, als sie widersprechen wollte, »du bist ja ganz herunter von der Reise, und alles, was wir uns zu erzählen haben, soll bei hellem Tage geschehen.«

Da fühlte sie, daß er sie mit Fragen schonen wollte und ihr die Nacht zur Sammlung gab, damit sie aufrecht wie in alten Tagen durch Haus und Garten schreiten sollte. Das Gefühl tat ihr so wohl, daß ihr Blut ruhiger wurde und ihre Stimme sicherer.

»Ich bin deine gehorsame Sibylle, Vater. Und wenn du es willst, sage ich dir so bald schon gute Nacht.«

»Schlafe gut, Kind. Und vergiß nicht, daß du mir eine große Freude gemacht hast.« –

Nun saß er schon seit einer halben Stunde auf der Veranda im Lehnstuhl und wußte Maria oben. ›Es ist doch schön, alt zu sein,‹ dachte er, und der Abendfriede dann um ihn her, ›die eigenen Wünsche schweigen, und das ganze Herz steht offen für all das Glück, das man in der Jugend übersieht.‹

Er hörte einen leisen Schritt und schaute auf. »Maria,« sagte er.

»Sie ist eingeschlafen wie ein Kind, Vater, und ich habe ihr alles sagen müssen.«

»Frauenherzen finden sich schnell, wenn sie gleiche Wünsche tragen. Habt euch nur recht lieb. Ihr gehört zueinander.«

»Wie schön sie ist, Vater. Ich wäre am liebsten die ganze Nacht bei ihr sitzen geblieben.«

»Kommt schon wieder die Mutter bei dir zum Durchbruch, Maria? Nein, du brauchst nicht zu erröten. Ich sagte es dir schon früher einmal, daß du die geborene Mutter bist, und das ist der größte Ruhmestitel, den man einer Frau geben könnte. Und nun wollen wir die Sibylle schlafen lassen und auch selber früh zu Bett gehen.«

Aber als er sein Zimmer aufgesucht hatte, litt es ihn nicht darin, und er mußte leise hinaufgehen vor Sibylles Stübchen und an ihrer Tür auf ihre Atemzüge horchen. Ja, dachte er, Maria hat recht, sie schläft wie ein Kind Es muß doch ein Segen an der Heimat haften ...

Die Sibylle aber war schon auf, als der Alte in der Frühe aus seinem Zimmer kam, und sie saß frisch und froh bei der alten Barbara und erzählte ihr von ihren Sohne Joseph, und wie der Joseph sie aus der Stadt und in den Postwagen hinein gebracht hätte. Und das Rikchen, das sich zuerst scheu beiseite gehalten hatte, wurde schnell zutraulicher, und endlich vergaß es den Kaffee zu kochen und hatte hundert Fragen: wie der Joseph aussähe, ob er Arme und Beine noch hätte und den großen Appetit, und ob es im Franzosenland viele junge Witwen gäbe nach dem heidnischen Krieg.

»Minge Gott,« sagte die alte Barbara, »dä Juseph es schun doll, äwwer beim Rikche es et noch doller zon Usbruch gekumme.«

Da schämte sich das Rikchen und sorgte, daß das Frühstück auf den Tisch kam. Und in der Küche war helles Lachen.

Der Alte rief fröhlich Sibylles Namen. »Bist du schon mit der Sonne heraus?« Und sie kam in ihrem weißen Kleid zu ihm und reichte ihm beide Hände zur Begrüßung: »So gut habe ich seit Jahren nicht geschlafen und so sorglos nicht.« Und sie fragte nach Maria.

»Die Maria ist bei den Kindern und frühstückt mit ihnen auf ihrem Zimmer. Ich habe sie im Verdacht, daß sie uns diesen ersten Morgen allein überlassen will.«

»Man muß sie liebhaben, Vater. Auch ohne den Barthel. Sie ist so weich und doch so sicher in all ihrem Tun. So ganz frauenhaft.«

»Du bist eine gute Menschenkennerin geworden, Sibylle.« Und sie saß bei ihm und bediente ihn.

»Wollen wir jetzt einen Spaziergang durch dein altes Kinderreich machen?« fragte der Vater und erhob sich »Du wirst sehen, es fehlt nichts.«

»Doch. Es fehlt etwas.«

»Und was ist es?«

»Der Hein fehlt mir!« Und ihre Augen lachten. »Ach, Vater, du hältst mich wohl für sehr übermütig, aber ich kann es dir doch nicht verschweigen und sag' es dir noch einmal: Der Hein fehlt mir, und ich hoffe, nicht lange mehr.«

»Komm einmal her, mein Mädchen,« sagte der Alte von der Burg und zog sie nahe an sich heran. Er sah ihr mit seinem klaren Blick tief in die Augen, und sie erwiderte mit weitgeöffneten Augen seinen Blick. »Ja, ja, Vater,« sagte sie leise, »du findest nichts Fremdes vor. Ich komme heil an Leib und Seele, und ich könnte es keinem anderen sagen als dir – und dem Hein, der es weiß.«

»Er hat mir davon gesprochen, mein Kind. Und noch was, was ich nur dir sage: ich habe euch alle gleich lieb, aber der Hein – siehst du, der Hein war zuerst da, und so ist da noch eine Art ›Extraliebe‹. Von heute an – von heute an, Sibylle, sollt ihr beide euch darin teilen.«

Eine seltsame Erregung war über ihn gekommen, und er küßte sie auf Augen und Mund und bot ihr den Arm und führte sie in den Garten.

Ganz feierlich war ihr zumute, als er so hoch und stattlich neben ihr herschritt. Und ohne eine Frage abzuwarten, öffnete sie ihr Herz und ließ ihn hineinsehen und sagte ihm alles, was gewesen war und was werden sollte. Er hörte ihr zu, ohne sie zu unterbrechen, aber er führte sie noch sorgsamer an seinem Arm, und sie nahm es als seine Antwort.

»Wär' erst der Hein hier,« sagte sie, »wär' erst der Hein hier und könnte es dir noch einmal sagen.«

»Bald werden wir wieder beisammen sein,« erwiderte der Alte. »Dort über den deutschen Rhein wird er kommen und nach seinem Lohn fragen.«

»Ich will jetzt zu den Kindern, Vater.«

»Und ich will einen weiten Spaziergang machen. Auf Wiedersehen, Sibylle.«

Sie wußte, daß er ihretwegen hinaufstieg in die Wälder. Um für sie alles zu bedenken – für sie und den Hein. Und sie sah ihm lange nach ... »Der Vater!«

Die Kinder gaben sie nicht mehr frei, wie sie Maria nicht freigaben. Und die beiden Frauen ließen sich gefangennehmen, und während sie die jungen warmen Leiber in ihre Arme drückten, stieg es heiß in ihnen auf wie eine Sehnsucht nach immer neuen Reichtümern ...

Am Abend kam der alte Schmitz, und er stand staunend und riß die gepolsterten Augen auf. »Wer bin ich?« rief die Sibylle, hielt ihm die Augen zu und gab ihm ohne Zagen einen Kuß.

»Wart,« sagte der alte Schmitz, »ich komme schon auf den Geschmack. Wahrhaftig – uns Sibyllchen.«

»Ja, Onkel Schmitz, ich hatte mich verlaufen, aber die Burg lief hinter mir her und – da bin ich wieder.« –

Jeden Tag gingen sie hinaus und durchwanderten das Land, und die Sibylle zeigte dem Vater und der Maria alle die Stellen, wo sie als Kinder gespielt, sich bekämpft, sich immer wieder gefunden hatten. Der April war vergangen, und nun war auch der Mai vorüber. Mit zornrotem Kopf kam der alte Schmitz und fragte nach dem Burgherrn.

»Was ist Ihnen, Freund? Sie müssen sich mehr schonen.«

»Ich schon' mich ja,« rief der schwere Mann grimmig, »aber die Federfuchser in Paris schonen mich nit. Wenn ich en Haut wüßt', in die ich hineinpaßte, führ' ich wahrhaftigen Gotts aus der meinen heraus.«

»Ein Glas Wein, Schmitz?«

»Nit einen Droppen! Auch noch dat Werk begießen, damit et besser gedeiht? O nee. Nit einen Droppen.«

Er setzte sich breitbeinig auf einen Holzsessel und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Da brachte ihm die Maria den Tabakkasten.

»Na ja,« lenkte er ein, »rauchen is nit drinken. Un beim Rauchen kann man wenigstens auf die Kerls wat blasen.« Und er stopfte seine Pfeife und blies starke Rauchwolken hervor. »Ach so, ich soll nu auch sagen, wat los is. Also die Unterzeichnung des Friedens hat zu Paris nu endlich stattgefunden. Die Gelehrten sind sich einig. Un wir sind die Dummen. Darüber sind wir uns wohl immer einig gewesen. Sonst wissen wir et seit heute. Mr hat, hol mich der Deuwel, vor den Franzosen 'ne Verbeugung nach der anderen gemacht, un et wundert mich nur, dat mr ihnen nit dat ganze linke Rheinufer gelassen hat, denn Elsaß-Lothringen und von der Rheinpfalz Landau und Saarlouis hat mr ihnen gelassen, un ihnen auch schön die Grenzen nach Italien un Belgien erweitert. Garantien? Der Napoleon sitzt auf Elba, so nah wie möglich an Frankreich heran. Dat sind die Garantien. Un Kriegskosten als Entschädigung für die Witwen und Waisen? Nit einen Stüber! Dat war doch nit kavaliermäßig, so seine Herren gegenüber, als wie die Franzuse sind. Ich krieg' den Schlag, wann ich noch weiter red'!«

»Und Deutschland? Was wird mit den Staaten und Völkern?«

»Et is en Kongreß in Wien ausgeschrieben. Da wird et wohl nit so fein zugehen als in Paris.«

»Schmitz,« sagte der Alte von der Burg und rüttelte ihn an der Schulter, »Geduld, wir werden schon noch alles hereinholen. Die Völker sind aufgewacht.«

»Onkel,« bat die Sibylle, »du hast die Hauptsache vergessen.« Und die Maria nickte mit erwartungsvollen Augen.

»Wat? Is dat immer noch nit genug an Hauptsachen? Für meine Bedürfnisse is damit hinreichend gesorgt.«

»Du hast uns noch nicht gesagt, wann die Armee – zurückkehrt, Onkel Schmitz.«

»Die is schon auf dem Marsch.«

Da fielen die beiden Frauen von links und rechts über den Grimmbart her und umarmten und drückten ihn.

»Das ist doch allein die Hauptsache, das ganz allein. Alles andere durftest du dir schenken.«

Zuerst schaute der Alte verblüfft auf. Dann lachte er, daß es durch das Zimmer rollte. »Freund,« rief er dem Hausherrn zu, »Freund, dat is auch en Standpunkt. Aber mr muß en Frauenzimmer sein, um auf so gescheite Gedanken zu kommen.«

*

 


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