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XVII

In aller Frühe war der Hein auf den Füßen. Es lief ein Gerücht durch die Lagergassen, und er ging ihm nach. Als er nach einer halben Stunde zurückkehrte, rötete ihm der Zorn die Stirn, und der Barthel sah seinem erregten Gang an, daß er der Träger schlechter Nachrichten sei.

»Ist die Kapitulation aufgehalten worden? Ist der Kaiser doch noch nach Paris hineingelangt?«

»Der Kaiser hat sich in dieser Nacht noch nach Fontainebleau begeben, wo er sein Schicksal erwartet. Und die Kapitulation ist eine vollzogene Tatsache.«

»Ja, Hein, dann verstehe ich deine heftige Gemütsbewegung nicht. Freude sieht anders aus.«

Da trat der Hein dicht vor den Bruder und Waffengefährten hin.

»Blick mich mal an, Barthel. Von oben bis unten und recht genau. Und dann sag, was du bemerkst.«

Verwundert ließ der Barthel den Blick über den Hein gleiten. »Ich sehe einen wetterfesten und gebräunten Mann mit funkelnden Augen, vor denen einem bange werden könnte. Eine echte und rechte Kriegerseele bemerke ich.«

»Du hast eben noch den Pulverstaub von einem Dutzend Schlachten in den Augen, mein Junge, und deshalb kannst du nicht sehen, was jeder wohlerzogene und anständige Mensch sieht: daß wir von der Schlesischen Armee nämlich unsere Schuhe nicht geschont haben, als es hieß, Paris zu erreichen, daß wir keine sauberen Handschuhe behielten, als es hieß, den Feind bei der Gurgel zu packen, daß uns die Schönheit der Uniform einen Pfeifendeckel wert war, wenn es hieß, durch Gräben und Verhaue kriechen und sich in den Batterien um die Kanonen balgen. Schmierfinken sind wir, und Paris – o Gott, Paris ist ein Salon, den man nur mit Lackstiefeln und in weißen Handschuhen betritt, um sich vor den hochverehrten Herren Franzosen nicht barbarisch schämen zu müssen.«

»Was soll das alles, Hein?«

»Was das soll? Und das fragst du noch? Wir, wir, wir haben den Krieg geführt und alle Hauptschläge getan, wir, die Schlesische Armee unter Blücher. Wir haben gekämpft und geblutet und wieder gekämpft und gesiegt, ob uns auch die Kleider in Fetzen gingen und das Blut uns am Leibe festklebte. Hinter uns spazierte die Hauptarmee und hielt sich die Finger fein säuberlich. Und jetzt – und jetzt, wo es darauf ankommt, den Parisern den Sieger zu zeigen, Männer zu zeigen, für die es kein Hindernis gab, und wenn es Napoleon hieß, da hat das Auge des Höchstvermögenden herausgefunden, daß wir zwar brave Kerle, aber durchaus nicht salonfähig seien, sondern ziemlich heruntergekommene Schmutziane, die man einem so feinen Volk wie den Parisern nicht präsentieren dürfe. Also, mein Barthel, aus diesen Gründen bleiben die Truppen Blüchers und Yorcks vom Siegeseinzug in Paris ausgeschlossen.«

»Es ist nicht möglich, Hein!«

»Bei uns ist alles möglich. Uns sitzt nun einmal der Götzendienst vor allem Fremden zu tief in den Knochen, und ein Rock mit Orden gilt mehr als ein Mann mit Wunden. Wir werden noch viel erleben in Deutschland, bis wir den deutschen Stolz gefunden haben.«

»Wir – marschieren – nicht mit ein? Wir sollen – nicht in Paris hinein?«

»Barthel,« sagte der Hein, und es tat ihm leid, den Bruder so bestürzt zu sehen, »wir werden auch das überwinden. Wir haben die Arbeit getan. Das Bewußtsein kann uns keiner nehmen, und ich schäme mich fast, daß ich im ersten Augenblick den Kopf verlor. Fröhlich, Alter. Was geht uns der Pomp und der Prunk an? Der Vater würde lachen.«

Aber der Barthel fand sich noch nicht zurecht. »Was fangen wir an, Hein? Wir müssen doch in die Stadt?«

»Und wir kommen auch hinein. Nur einen Tag später. Ich werde morgen zum Kommandeur gehen und uns beide zum Besuch der Stadt beurlauben lassen. Wir tragen das Eiserne Kreuz. Man wird uns unser Gesuch nicht abschlagen, besonders« – und nun lachte er selber – »besonders, wenn der Joseph als Kleiderkünstler herangezogen wird.« –

Um die Mittagstunde erfolgte der feierliche Einzug der Verbündeten.

Ein Musikkorps zu Pferde voran, setzte sich der glänzende Zug in Bewegung. Eine machtvolle Reiterschwadron nahm die Breite der Straße ein. Hinter ihnen ritten ernst und erhaben der russische Kaiser und der Preußenkönig, mit ihnen Fürst Schwarzenberg als Vertreter Österreichs. Denn der Kaiser von Osterreich nahm Abstand, zur Entthronung seines Schwiegersohnes im Festzug zu erscheinen. Die jungen Hohenzollernprinzen führten das Gefolge der Prinzen und Generale. Dann erbebte die Erde von dem Paradeschritt der Elitetruppen. Dreißigtausend Mann waren es, preußische und russische Garden und österreichische Grenadierbataillone in blitzenden Uniformen.

Durch die Porte de Pantin ging es unter schmetternden Fanfaren nach der Place de la Concorde, durch die staunende Bevölkerung hindurch, die die Boulevards in dichten Massen besetzt hielt, zu den Elysäischen Feldern. Die verbündeten Herrscher nahmen die Parade ab. Hochrufe aus der Menge wurden laut und pflanzten sich fort. Fluchworte auf Napoleon erschallten. Der besiegte Kaiser war zum Abenteurer hinabgesunken, und die Bildsäule Napoleons mußte von seinen Siegern beschützt werden. – –

Der nachgesuchte Urlaub war Hein und Barthel gewährt worden. Joseph begleitete sie auf dem schweigsamen Gang durch Paris, der sie zuerst zum Stadthaus führte. Die Adresse des französischen Generals, um die Barthel bat, war nicht aufzufinden, wohl aber die seines Bruders, eines Mitglieds des Senats. Schwieriger gestaltete sich die Ermittlung des Chevaliers. Aber man glaubte, den Herren doch einen Wink geben zu können, und nannte ihnen ein Gasthaus, in dem die Schauspielgesellschaften abzusteigen pflegten.

»Du wirst dort Sibylle treffen,« erklärte Hein dem Joseph, »und du wirst ihr sagen, daß ich erst dem Barthel bei der Erledigung seiner Geschäfte behilflich sein müßte, daß ich aber am Nachmittag bei ihr zu sein hoffte. Bring ihr meine Grüße und erwarte mich.« Dann waren sie gegangen und hatten die Wohnung des Senators aufgesucht und hatten lange im Vorzimmer warten müssen. Der Diener kam zurück und meldete, daß sein Herr sehr beschäftigt sei und um Nennung ihrer Wünsche bäte.

»Sagen Sie Ihrem Herrn,« gebot ihm der Hein, »daß wir ihn in einer Familienangelegenheit zu sprechen wünschten, die weder einen Aufschub noch ein fremdes Ohr vertrüge.«

Und wieder dauerte es eine Weile, bis der Diener zurückkehrte und sie kurz ersuchte, ihm zu folgen.

In einem Arbeitszimmer fanden sie einen modisch gekleideten Herrn über sein Schreibwerk gebeugt.

»Sie wünschen?« fragte der Herr, ohne aufzublicken.

Der Barthel wollte sprechen, aber der Hein hinderte ihn. So standen sie ruhig, bis der Herr zu ihnen aufsah. Da nannten sie mit einer leichten Verbeugung ihre Namen und ließen den Blick nicht von ihm, bis er sich erhob und die Vorstellung erwiderte.

»Ich verfüge leider nur über so wenig Zeit, meine Herren Offiziere, daß ich Sie bitten muß, sich recht kurz zu fassen.«

»Die Kürze unserer Unterredung,« erwiderte Hein, »wird ganz von Ihrer Höflichkeit und Bereitwilligkeit abhängen, mein Herr.«

»Sie wollen freundlichst nicht vergessen, daß Sie sich in einem Privathause befinden, und daß die Bürger von Paris unter dem Schutze der Souveräne stehen.«

»Ich wünschte,« versetzte der Hein, »Sie hätten diese Grundbedingungen auch in Feindesland befolgt. Dann wäre uns diese unerwünschte Verhandlung erspart geblieben. Leider pflegte Ihre Gesittung an der Grenze Ihres Landes haltzumachen.«

»Mein Herr, eine solche Sprache dulde ich nicht in meinem Hause.«

»Mein Herr, wir gehören zum Blücherschen Korps. Unser Feldmarschall, der sich seiner Offiziere wie ein Vater anzunehmen pflegt, würde wohl eine noch unliebsamere Sprache führen, wenn wir ihn um Erledigung unserer Angelegenheit bäten.«

»Ah,« sagte der Hausherr, »wir erhitzen uns und wünschen doch alle das Beste. Nämlich unsere Zeit nicht nutzlos zu verlieren. Verzeihen Sie mir, wenn ich dränge. Aber ich bin im Senat vonnöten. Nehmen Sie Platz, meine Herren Offiziere.«

Sie saßen nieder, und der Barthel begann mit schwerer Stimme. »Ich bitte um die Adresse Ihres Bruders, mein Herr.«

»Welches Bruders?«

»Des kaiserlichen Generals.«

»O – er lebt längst nicht mehr.«

»Er lebt nicht mehr? Und sonst – wissen Sie nichts von ihm?«

»Er ist beim Übergang über die Beresina umgekommen. Es war schade um ihn. Wünschen Sie mehr noch zu wissen?«

»Ich wünschte zu wissen,« sagte der Barthel mit schwerer Zunge, »ob Sie nicht eine Frau gekannt haben, die ihm von Köln aus nach Paris – folgte?«

»A – Madame Josepha?«

»Ja, Josepha.«

»Mein Herr, das sind so zarte Angelegenheiten, daß ich nicht weiß, ob ich das Recht habe –«

»Ihre Ritterlichkeit in Ehren. Aber es handelt sich – um meine Frau.«

»Verzeihung, mein Herr. Es ist mir naturgemäß sehr unangenehm. Und mein Bruder ist nicht mehr in der Lage, sich zu verteidigen.«

Der Barthel schüttelte den Kopf. Ruhig sah er den Bruder des Toten an.

»Ich bin nicht gekommen, um seine Verteidigung entgegenzunehmen. Sie waren beide schuld, der Mann und die Frau. Und es hat wohl zuletzt jeder das Recht, seinen Lebensweg selber zu bestimmen – wenn andere nicht mit betroffen werden. Das aber war hier der Fall. Und deshalb bin ich gekommen. Ich muß Klarheit schaffen.«

»Fragen Sie. Ich werde Ihnen gern antworten, soweit meine Kenntnisse reichen.«

»Wohin hat sich meine – wohin hat sich Frau Josepha – von Paris aus gewandt?«

»Sie ist meinem Bruder nach Warschau vorausgefahren. Dort blieben sie, bis –«

»Bis –?« wiederholte Barthel und mühte sich, unhörbar zu atmen.

»Sie wissen es nicht?« fragte der Hausherr. »Es wird mir schwer, der Überbringer zu sein. Aber wenn Sie es wollen –?«

»Ich will es.«

»Sie erlag dem Leben. Sie nahm sich nicht in acht und blieb unvorsichtig, als die Krankheit schon in ihr war. Es herrschte eine Epidemie unter den Hunderttausenden von Menschen, die sich vor dem Kriegszug in Warschau sammelten. Und da sich Frau Josepha nicht zurückhalten wollte, so ging es schnell. Sie starb unter großen Schmerzen, wenige Tage bevor die Brigade meines Bruders Warschau verließ. So schrieb es mir mein Bruder, der sie sehr liebte und sie aufs ritterlichste behandelt hat. – Es tut mir sehr leid, mein Herr.«

Der Barthel hatte ihn angestarrt, als begriffe sein Kopf die Folge der Bilder nicht und die Verschiebung aller seiner Gedanken und Pläne. Jetzt bewegten sich seine Lippen. Aber nur ein Gemurmel wurde hörbar. Und er empfand ein Unvermögen, zu denken und zu sprechen, und warf einen wirren Blick auf den Hein und preßte die geballten Hände vor die Augen.

»Ich bitte,« sagte der Hausherr peinlich bestürzt, »den Überbringer nicht für die Nachricht verantwortlich zu machen.«

Der Barthel wollte sich stumm erheben. Aber der Hein drückte ihn sanft auf seinen Sitz zurück.

»Wir sind noch nicht fertig, mein Herr,« begann er schnell. »Sie besitzen den Brief Ihres Bruders noch?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich müßte unter meinen Papieren nachsehen.«

»Ich bitte darum. Und haben Sie auch – den Totenschein gesehen?«

»Wenn er existiert – und er wird es zweifellos –, so muß er sich bei der Hinterlassenschaft meines Bruders befinden. Aber es wird viel Zeit kosten, ihn ausfindig zu machen. Es wurde mir nach seinem Tode eine ganze Kiste mit Papieren übermittelt, die ich nur flüchtig durchsah.«

»Ich bin überzeugt,« sagte der Hein, »daß Ihre Ritterlichkeit es als erstes Gebot betrachten wird, noch heute im Laufe des Tages den Schein hervorzusuchen. Ich könnte die Papiere durch das Kommando mit Beschlag belegen lassen. Aber wir wollen die Toten nicht stören, wenn den Lebenden ihr Recht wird. Sie haben es in der Hand.«

Der Hausherr verbeugte sich stumm.

»Sie wollen gestatten, daß wir gegen Abend noch einmal vorsprechen, um das Dokument in Empfang zu nehmen.«

Sie erhoben sich und verabschiedeten sich mit höflicher Verneigung. Dann waren sie auf der Straße, und der Hein schob Barthels Arm in den seinen und führte den immer noch Halbbetäubten durch das Gassengewirr bis zu einer stillen Parkanlage an der Seine.

»Mein Gott – welche Lösung,« sagte der Barthel und ließ sich auf einer Bank nieder.

Der Hein streichelte ihm die Hand. Ein Trostwort schien ihm eine Unwahrheit.

»Da sorge ich mich nun seit Jahr und Tag,« fuhr der Barthel fort, »und wage mich mit keinem Gefühl an die Oberfläche, und der Herrgott hat längst gesorgt – aber er tat es auf schreckliche Weise. Gestorben und verdorben.«

»Quäl dich nicht,« sagte der Hein. »Wir wissen so wenig von der Seele des anderen Menschen und haben nichts als unsere Vermutungen. Daher möchte ich fast glauben, daß Josepha im Glück gestorben ist, aus dem Leben heraus, das sie ihr Glück nannte. Und wenn es ein Ende in Schmerzen war, so dachte sie doch wohl nicht an den Tod, weil sie den Mann bei sich sah, dem ihre Leidenschaft gehörte.«

»Den anderen Mann – – –«

»Ich spreche das so offen aus, Barthel, weil du über den alten Schmerz hinaus bist und kein neuer aufkommen darf.«

Der Barthel blickte zu ihm auf. »Ich verstehe dich. Und ich will nicht weiter grübeln. Nur eins will mir immer noch nicht in den Sinn: daß Josepha meine Liebe beiseite schieben konnte, um zu einem anderen zu gelangen, der doch nicht besser war als ich.«

»Nein, Barthel,« sagte der Hein, »er war nicht so gut wie du, er stand tief unter dir. Aber es gibt wohl Frauen, die um so stärker lieben, je tiefer sie hinabsteigen. Weil sie ihre Triebe und Instinkte nicht mehr zu verbergen brauchen, die sie auf der Höhe adeln sollen.«

»Es ist möglich, Hein, daß es auch solche Frauen gibt ...« Und plötzlich hielt er des Freundes Hand fest. »Hein, ich habe dir noch zu danken. Daß du mitgekommen bist. Ich hätte ja gar nicht den Ton gefunden, und an die Urkunde hätte ich nie gedacht. Du aber hast nichts aus den Augen gelassen.«

»Es ist nicht mein Verdienst,« wehrte der Hein, »es ist die Erziehung des Vaters. Ich habe länger mit ihm gelebt als ihr.«

Und nach einer Weile, während sie still dasaßen und in die junge Sonne blickten, sagte der Barthel mit einem tiefen Seufzer: »Frei! – – –«

Das Wort weckte den Hein, und er erhob sich schnell.

»Willst du mich irgendwo erwarten, oder wirst du in wenigen Stunden den Besuch allein wiederholen können? Mit Sonnenuntergang müssen wir uns im Lager zurückmelden.«

»Du willst zu Sibylle? Nein, nein, ich gehe allein, es ist ja jetzt alles klar in mir. Und wir treffen uns im Lager.«

»Dann leb wohl. Soll ich Sibylle grüßen?«

»Das tu von Herzen.«

Sie schüttelten sich die Hand, und der Hein schlug den Weg zur Stadt ein, um sich nach dem entlegenen Gasthaus durchzufragen. –

Dem Joseph hatte es wenig Schwierigkeiten gemacht, sich schon am Mittag hinzufinden. Auf seine Anfrage hatte man ihn in ein oberes Stockwerk gewiesen, und eine junge Frau hatte ihm die Tür geöffnet.

Er versuchte Französisch zu sprechen. Da faßte ihn die junge Frau bei den Armen, zog ihn ins Zimmer und fiel ihm um den Hals.

»Sibylle ...« stammelte er in seinen Schnauzbart, »Billa – Billachen – Pardon, ich muß wol Madame saage –«

»Joseph – alter, treuer Joseph – halt mal den Mund, damit ich mich erst gründlich freuen kann.«

»Ich sin doch nit der Hein, Sibyllche. Äwwer mir kann et rääch sin.«

»Es bleibt für den Hein noch genug übrig. Joseph, Joseph, wie ich mich über dein Gesicht freue!«

»Dat es mech en Ehr' un en Vergnüge. Un et geit mr akkurat so met dinge Geseech'.«

»Also sag endlich, wie es dem Hein geht. Ist er gesund? Ist er fröhlich? Und wie hast du mich denn gefunden? Heute wollte ich schreiben.«

»Der Hein, dat es ene wilde Kriegsmann geworde. Un de Franzuse hätt'r verhaue, als mößt'r dat ganze Volk usrodde. Äwwer gesunge hät'r un gepiffe, dat selvs der Barthel widder an Sonndag un Kirmesdag gegläuwt hät.«

»Der Barthel? Ist der Barthel denn auch bei der Armee?«

»Na un nit zu knapp. Da hat de Franzuse jet andersch op die Botz gemalt als Herrgottsbildche.«

Die Sibylle lachte, und jetzt, da sie so hell lachte, wie in Kindertagen, verlor der alte Knabe die letzte Scheu.

»Uns' Sibyllche! Uns' Sibyllche! Hei, dat han uns de Franzuse nit wegparlamentiere könne. Jet schmal em Geseech', äwwer de Auge so blank und so löstig we en Bochfink. Un esu en lecker Dingk – noja, ich well dem Hein die beste Komplimente nit vörwegnemme.«

Sie fuhr ihm mit der Hand über das lachende Gesicht. »Ich bin ja so froh – ich bin ja so froh ... Aber nun sag doch, wie hast du mich aufgestöbert? Ihr wußtet doch keine Wohnung, und Paris ist so groß?«

Da berichtete der Joseph von ihrem Gang nach dem Stadthaus und sagte seinen Auftrag her.

»Er geht immer den geraden Weg,« murmelte die Sibylle. »Erst dem Barthel helfen, dann an sich denken. Daran erkenn' ich ihn auch. Geht es denn – um Frau Josepha, Joseph, um Barthels Frau?«

»Ja,« meinte der Joseph kopfschüttelnd, »daröm geit et ömmer noch. Ich verstonn dat nit un sin ja och keine gelehrte Här. Äwwer dat weiß ich, wör mech ming Frau dörchgegange, ich hätt' ene Krütz geschlon un gebet': ›Hät der Düwel den Bäcker geholt, dann kann'r och der Backowe kriege‹«

Die Sibylle ging durchs Zimmer. Ihre Augen waren groß und strahlend, als wenn frohe Gedanken hinter ihrer Stirn säßen, und der schlanke Körper hob und dehnte sich. Ich muß ihm helfen, ging es ihr durch den Sinn, ich muß dem Hein helfen, damit er sieht, ich bin auch was wert und nehm' ihm die Arbeit ab, die auf meinen Teil kommt. Ich möcht' immer neben ihm stehen, in der gleichen Schulterhöhe. – Ein wilder Kriegsmann, sagt der Joseph. Und schleppt mich gar als Beute fort. Nein, Hein. Nein, du lieber, lieber Mensch. Ich muß dir mehr als eine Beute sein. Und sie lachte in sich hinein. Ich muß dir ein Lohn sein. Täglich, stündlich, wie du es willst. Aber – ein Lohn. Mit dir – in der gleichen – Schulterhöhe. Sonst holt uns der – Werktag.

»Joseph,« bat sie und blieb vor ihm stehen, »hast du mich wirklich noch lieb, Joseph?«

»Maach kein schön Auge, Sibyllche. Ich donn et ja doch.«

»Ich hab' nicht daran gezweifelt, Joseph,« und sie atmete auf. »Du sollst mir einen Dienst erweisen, und du wirst es tun. Geh jetzt hinunter und erwarte mich auf der Straße. Ich hoffe, in einer halben Stunde bei dir zu sein.«

»Et es got, Sibyllche..« Und er nahm seine Mütze und ging.

Noch einen Augenblick wartete sie. Dann betrat sie den Korridor und klopfte an einer Nebentür.

Sie lauschte, und da sich nichts regte, klopfte sie noch einmal, drückte auf die Klinke und trat ins Zimmer.

Der Chevalier lag auf einer alten Ottomane und rieb sich schlaftrunken die Augen. »Wer ist da? Ah, Madame, ich habe Sie nicht erkannt.«

Und er erhob sich, griff nach seinem Rock und zog ihn eilig an. »Ich hatte es mir bequem gemacht. Darf ich fragen, Madame, was mir die Ehre Ihres Besuches verschafft?«

Sie blieb vor ihm am Tisch stehen. Ein leises Zittern war in ihren Füßen gewesen. Jetzt war es vorbei.

»Ich komme heute auf die Unterredung zurück, die wir nach meiner Rückkehr von Frankfurt hatten. Damals überstürzten sich die Kriegsereignisse so sehr, daß Sie mich ersuchten, ruhigere Tage abzuwarten. Auch wollte ich nicht in der schwersten Zeit fahnenflüchtig werden. Nun aber haben wir den Frieden, und der neue Herr, der auf den Thron kommen wird, wird auch der Schauspielkunst wieder bedürfen. Sie sehen, ich habe an alles gedacht, und es gibt keinen günstigeren Tag für mich – und für Sie.«

»Madame,« sagte der Chevalier, »Sie betrüben mich aufrichtig.«

Er bot ihr einen Stuhl, und sie nahm ihn mit dankendem Kopfnicken.

»Ich bin überzeugt,« begann sie wieder, »auch Sie haben inzwischen alles überlegt und werden zu dem gleichen Schluß gekommen sein. Deshalb, meine ich, sollten wir uns den letzten Schritt nicht unnötig erschweren. Getan muß er werden, und es ist zu unser beider Bestem.«

»Ich bitte mich ausnehmen zu wollen, Madame. Ich sehe die Notwendigkeit immer noch nicht ein. Es liegt ganz an Ihnen, ob Sie mit der alten Frische und dem künstlerischen Temperament, das mich einst so sehr an Ihnen entzückte, Ihren Beruf wieder aufnehmen wollen.«

»Und wenn ich Ihnen sage, daß mir das ganz unmöglich ist?«

»Es ist eine Laune, Madame, wie es bei Ihrer Rückkehr von Frankfurt eine Laune war, mir Ihre künstlerische Mitwirkung aufzukündigen.«

Sie lächelte nur. »Sie sollten mich,« meinte sie, »in den Jahren unseres Beisammenseins doch so gut kennen gelernt haben, daß Sie unüberlegte Launen bei mir ausschließen dürften. Und Sie haben mich auch so gut kennen gelernt, so gut, daß ich sicher bin, Sie haben bei der Zusammenstellung der neuen Truppe schon eine andere Dame für meine Rollen in Rechnung gestellt. Sie können es mir ruhig zugestehen.«

Der Chevalier stieß die gepflegten Finger gegeneinander.

»Ich habe eine große Verantwortung meinen Mitgliedern gegenüber, und deshalb bin ich gezwungen, Geschäftsmann zu sein. Selbst dort, wo mein Herz anders spricht. Mein Herz, Madame, würde es wünschen, Sie allabendlich in früherer Schönheit auf der Bühne zu sehen, hinreißend durch das klangvolle Wort und berückend durch das harmonische Spiel der Glieder. Als Direktor aber muß ich Vorsorge treffen, daß der Gang der Vorstellungen keine Störung erleidet, und da ich in der Tat Ihren festen Sinn zu kennen glaube, so habe ich, wenn auch unverbindlich, Bedacht auf einen Ersatz genommen.«

Sibylle blickte ihn ruhig an. »Ich danke Ihnen für Ihre offenen Mitteilungen und bitte Sie, die Verbindlichkeit einzugehen. Denn es bleibt bei meinem unumstößlichen Entschluß, die Bühne nicht mehr zu betreten.«

»Madame – Madame! Bedenken Sie doch, Ihr Talent!«

»Ich habe nur Talent zur Frau. Alles anders war jugendliche Begeisterung für das Schöne und Hohe, das mein Mädchenüberschwang nicht in der Wirklichkeit zu finden glaubte. Jetzt weiß ich es besser. Und ich kehre um und dorthin zurück, wo meine Art Begeisterung am Platze ist.«

»Madame, Sie vergessen, daß auch mir die Bestimmung darüber zusteht.«

»Nein, das vergesse ich nicht, und deshalb sehen Sie mich hier. Aber Sie haben soeben erst den Geschäftsmann betont, und ich glaube nicht, daß dieser sich ein Hemmnis und einen unnützen Esser dazu ohne Not anhängen lassen sollte. In dem Augenblick, in dem ich gehe, sind auch Sie frei, und es steht in Ihrem Willen, sich Ihr Leben aufs neue nach Ihrem Geschmack einzurichten. Ich meine, das sollte doch in die Wagschale fallen.«

Der Chevalier setzte sein Spiel mit den Fingerspitzen fort. Und ohne von den Händen aufzublicken, warf er ein: »Madame, Sie unterschätzen Ihre Vorzüge.«

Und ohne den Ton ihrer Stimme zu ändern, entgegnete Sibylle: »Ich habe keine anderen Vorzüge für Sie als die der Schauspielerin. Fallen sie fort, so bleibt nichts. Und sie sind schon fortgefallen.«

»Sie setzen mir die Pistole auf die Brust, Madame.«

»Es ist ein Irrtum,« antwortete sie. »Ich nehme sie Ihnen von der Brust, und Sie empfinden es als eine Befreiung. Nicht doch, wir wollen hier nicht um die Palme der Ritterlichkeit streiten. Sie sind mir Freund und Helfer gewesen, und Ihr Betragen gegen mich hielt in der Hauptsache immer die Grenzen ein, die ich mir ausbedungen hatte. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Aber wir haben uns beide getäuscht, und Sie sich schwerer in mir, als ich Ihnen weiter noch zumuten dürfte, auch wenn ich an eigenes Glück gar nicht denken wollte. Nun denke ich aber doch daran, und da es mit dem Ihren zusammenfällt, so ist uns beiden geholfen.«

Der Chevalier hatte das Spiel der Hände eingestellt. Seine Augen, halb geschlossen, blickten ins Weite.

»Ich finde, Madame, wir sind ehrlich zueinander. Von übergroßer Liebe war nicht die Rede.«

»Es würde,« sagte Sibylle, »heute das erste Mal davon die Rede sein. Und wir wollen zum Abschied nicht lügen.«

»Erlaubten es mir,« fuhr der Chevalier fort, »meine Mittel, im Luxus zu leben, so würde ich auf Ihre Wünsche keinesfalls eingehen. Aber ich bin leider darauf angewiesen, den Tag in Rechnung zu ziehen und mich von den glücklichen Wechselströmungen der Zeit treiben zu lassen. Die nächsten Tage werden uns die Bourbonen zurückbringen, und mein Adel ist ein bourbonischer. Da dürfte es leicht sein, daß sich der Hof bei genügender Nachhilfe meiner erinnerte und meiner Truppe eine besondere Stellung sicherte. Aber ich muß die Hände frei haben und den Kopf vor allen Dingen. Das müssen Sie einsehen, Madame – auch ohne zärtliche Gefühle.«

»Ja,« sagte Sibylle, und ihr Atem ging befreit, »ich sehe es ein. Sie sollen an nichts anderes mehr zu denken haben als an Ihre Geschäfte, die Sie jetzt beanspruchen. Und daß Sie sich eine gute Freundin auf der Welt geschaffen haben.«

Der Chevalier verneigte sich. »Es wird Ihnen leicht, wie ich bemerke. Was gedenken Sie zu tun?«

»Es ist ja schon alles getan,« erwiderte sie ernst. »Und Sie wissen es. Wir haben unsere Angelegenheit, seit ich von Frankfurt zurück bin, so gründlich und ausführlich besprochen, daß wir uns zu jeder Stunde die Hand zum Abschied reichen konnten. Mein Advokat, den ich Ihnen nannte, hat alle Vollmachten, von mir. Es bedarf nur noch Ihrer Zustimmung, und das Band, dem wir vor der Welt den Namen Ehe gegeben hatten, ist geschieden. Ich bitte Sie, diese Zustimmung heute noch erteilen zu wollen. Und Sie können über Ihre Zukunft verfügen – wie ich über die meine.«

Sie erhob sich, und der Chevalier mit ihr.

»Es ist schade – es ist sehr schade um Sie,« murmelte er.

»Geben Sie mir Ihr Wort,« bat sie noch einmal, »daß Sie dem Advokaten heute noch Ihre Zustimmung erteilen.«

Der Chevalier strich sich durch sein graues Haar. »Was soll ich tun? Ich gehöre der Kunst, und die Kunst verlangt Opfer von mir. Nie wieder bietet sich eine Gelegenheit wie heute, mit meiner Truppe in die angemessene Stellung einzurücken. Es wird mir schwer – es wird mir sehr schwer.«

»Nein,« sagte Sibylle, »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Ich habe Ihnen nicht viel Freude gemacht und tue es vielleicht erst heute, indem ich gehe.«

»Madame – Madame!«

»Nehme ich Ihr Wort mit mir? Kann ich Ihnen aus freiem Herzen danken?«

»Gut,« sagte der Chevalier. »Da Sie es wollen.«

Sibylle trat auf ihn zu. Ihre Augen waren verschleiert, aber ihre Haltung war aufrecht. »Ich danke Ihnen für alles – für alles Große, was Sie mit mir vorhatten. Möge es Ihnen bei einer anderen besser glücken.«

Er beugte sich stumm über ihre Hand und führte sie an die Lippen.

Diesen Handkuß, dachte sie, bringe ich nun heim als das Ergebnis meiner Künstlerjahre! Aber es war ihr leicht ums Herz, als wäre sie aus einem Traum erwacht und sähe von ihrem Mädchenbett aus den Morgen, den Morgen über dem Rheintal.

»Leben Sie wohl,« sagte sie. »Wir wollen beide an das Glück glauben.«

»Befehlen Sie über mich, Madame, ob ich Ihnen noch zu Diensten sein kann.«

»Ja,« erwiderte sie. »Mein Pflegebruder wird kommen, um mich aufzusuchen. Wenn Sie ihm sagen wollten, daß ich ihn zu Hause erwarte. Zu Hause –«

»Leben Sie wohl, Madame.«

Sie ging in ihre Gasthausstube hinüber und packte nur das Wenige in ihre Reisetasche, dessen sie auf der Fahrt bedurfte. Dann legte sie den Mantel um und band die Hutbänder unter dem Kinn. Nach Hause, sang es hinter ihrer Stirn, und sie schritt die Treppe hinab und ging über die Straße und fand Joseph auf der Wacht.

»Joseph,« sagte sie, »ich will nach Hause, auf die Burg, und du sollst mir helfen. Du sollst mich zum Tor hinausbringen und durch das Lager. Denn von dort fährt ja täglich der Feldpostwagen, der jetzt, da es Friede ist, auch Passagiere mitnehmen wird. Du kannst sagen, daß die Schwester zweier Offiziere aus dem Blücherschen Korps in die Heimat zurückkehre. Ach, Joseph, sag, was du willst. Ich bin ja so froh.«

Der Joseph hatte sich schon ihrer Reisetasche bemächtigt. »Dat hat ich mr gedaach' – dat hat ich mr gedaach'. Äwwer wann der Hein kütt, un der Vugel es nit mieh em Nest, Mariajuseph, dat gitt ene gesunde Spektakel.«

»Traust du dich nicht?«

»Da Juseph traut sich an alles. Un wann en Uzerei im Spil es, dann ers rääch.«

»Ach, Joseph, diesmal ist es ernst. Und wenn der Hein dich schilt, daß du mich nicht festgehalten hättest, dann sag ihm: die Sibylle hätte Flügel wie ein Falke, und sie gebrauchte sie noch einmal, damit er nachkommen solle.«

»Ich well dat wol bestelle un de Ohre stief halde. Parole es Heimat!«

Und während sie im Menschenstrom das Tor passierten und den Weg das Lager entlang einschlugen, traf der Hein vor dem Gasthof ein. Er fragte nach Sibylle und fand den Chevalier. Der Schauspieldirektor erkannte ihn auf der Stelle.

»Ah, das ist mein junger Freund aus Bonn. Es waren große Tage dazumal, aber sie brachten eine gemischte Gesellschaft auf. Und die Tage, die nun kommen werden, stehen im Zeichen des Geburtsadels und eines durch Generationen vererbten Kunstgeschmacks. Ich bin sehr glücklich, mein Freund, aber auch ebenso beschäftigt.«

»Ich möchte Sie keineswegs aufhalten, mein Herr,« erwiderte der Hein. »Mein Besuch sollte in erster Linie meiner Pflegeschwester Sibylle gelten.«

»Ihre Pflegeschwester läßt sich entschuldigen, mein Herr. Ich habe den Auftrag, es Ihnen auszurichten.«

»Sibylle – will mich nicht sehen? Sie belieben zu scherzen.«

»O – o – das ist nicht der Ton, den ich liebe. Sie haben immer noch den Chevalier de Montbrun vor sich.«

»Sagen Sie mir, wo Sibylle ist, und ich werde mich gern entschuldigen.«

»Ihre Pflegeschwester ist ein großer Charakter. Sie sah die Unzulänglichkeit ihrer Kunst ein und gab mir ohne Zögern den Weg zum Ruhme frei. Mein Herr, wir werden auf das bestimmteste die Ehre haben, vor dem Hofe zu spielen.«

»Sibylle – ist nicht mehr bei Ihnen?«

»Nein,« sagte der Chevalier, »Sie müssen nicht denken, daß ich die neue und glückliche Wendung der Dinge kaltblütig ausgenutzt hätte. Das stünde mir und Ihrer Pflegeschwester, die ich bewundere, nicht an. Wie es großen Menschen allein gegeben ist, so haben wir uns getrennt. In aller Berücksichtigung und Würdigung der beiderseitigen Lage.«

»Sibylle – ist nicht mehr – Ihre Frau?«

»Meine Frau ...,« wiederholte der Chevalier wehmutig. »Sie hätte es sein können, aber sie lehnte es ab.«

Der Hein trat erregt auf ihn zu. Ihm wirbelte der Kopf, und doch fühlte er, daß er jetzt wie nie des klaren Verstandes bedurfte.

»Wollen Sie die Güte haben, mir zu sagen, wo ich Sibylle finde? Sie werden doch sich er wissen, wohin sich die Frau, die bisher Ihren Namen trug, gewandt hat?«

Der Chevalier hob abwehrend die gepflegte Hand. »Ich gab sie frei, mein Herr. Es war mir ein großes Opfer. Aber ich gab sie dennoch frei, und übernahm es sogar, Ihnen einen Auftrag auszurichten. Vor einer Stunde übernahm ich es.«

»Vor einer Stunde erst?« Und atemlos stieß er hervor: »Sprechen Sie – ich bitte darum.«

»Es ist nicht von Bedeutung. Ich soll Ihnen ausrichten, daß Ihre Pflegeschwester Sie zu Hause erwarte. Zu Hause.«

»Das ist – nicht von Bedeutung?« Und mit einem Male lachte der Hein auf. Ein Lachen, das aus tiefster Brust kam und alle Bande der Beklemmung sprengte und wie ein übermütiges Knabenlachen durch das Zimmer klang. »Zu Hause!« Er hatte verstanden.

»Ich danke Ihnen auf das herzlichste, mein Herr. Und ich wollte nur, ich könnte Ihnen eine gleich große Freude bereiten.«

Der Chevalier hob die Augenbrauen. »Warten Sie, mein Herr. Ich könnte Sie beim Wort nehmen. Es sind große Schwierigkeiten zu überwinden, um meine Künstler hoffähig herauszustellen, und meine Kapitalien liegen infolge der wirren Zustände noch immer fest. Das ist gerade jetzt für mich sehr peinlich, wo es den großen Fischzug gilt. Sie wollen mir einen Dienst erweisen, mein Freund. Wie wäre es, wenn Sie sich mit einer Summe an meinem Unternehmen beteiligten?«

Der Hein lachte noch immer.

»Ein Kriegsmann von heute führt zwar keine Beutewagen mit sich, aber ich habe die Offizierslöhnung von einem Jahr.« Er suchte seine Brieftasche hervor.

»Wir wollen ehrlich teilen, mein Herr. Ich opfere die Hälfte auf dem Altar der Kunst.«

»Sie werden von mir hören,« sagte der Chevalier und bewahrte seine Würde.

Der Hein war auf der Straße und blickte nach dem Joseph aus. Die Mütze saß ihm schief im Nacken, der Säbel klirrte auf der Erde. »Wo steckt er nur, der Herumtreiber?« Dann fiel ihm ein, daß er Sibylle begleitet haben würde, und eiligst machte er sich auf den Weg ins Lager.

Den Barthel fand er schon vor. Er stand ernst und gesammelt vor dem Feuer, das lustig in den Aprilabend hinein loderte.

»Nun?« rief der Hein. »Glücklich zurück?«

»Ich habe das Schriftstück erhalten,« antwortete der Barthel, »aber das Erleben von heute ist doch wohl nicht geeignet zur lauten Freude.«

Da fiel ihm der Hein um den Hals. »Mensch, Mensch, so hör doch – Sibylle ist fort.«

Verwundert reckte sich der Barthel auf. »Sie ist – fort? Und du jubelst darüber?«

»Fort von ihm, von dem ich komme. Fort nach der Heimat, um mich zu erwarten. Frei – frei!«

Der Barthel hielt ihn fest bei den Schultern. »Erzähle – erzähle!« Und seine schwere Stimmung war verflogen vor der Freude des anderen.

Und der Hein berichtete. Was er wußte und was er in schnellen Gedankensprüngen folgerte. Und immer das gleiche. Daß sie sie wieder hatten. Sibylle.

Es wurde Nacht, und die Lagergasse hinauf drückte sich scheu eine Gestalt. Der Hein spähte scharf hinüber.

»Hier, Joseph! Antreten, Mann! Soll ich dich einsperren lassen, Kerl?«

»Godden Owend,« sagte der Joseph und trat unsicher in den Lichtkreis des Feuers.

»Wo ist die Sibylle? Wo hast du sie gelassen? Was ist das für ein Komplott? Heraus mit der Sprache!«

»Et Sibyllche läß' schön grüße ...«

»Ist das alles, was du mir zu sagen hast? Nie im Leben nehm' ich dich wieder mit nach Paris hinein.«

»Et Sibyllche läß' vermelde: Die Sibylle hätt' Flügel wie esu en Falk, un se däht se noch emol bruche, domet der Hein – jo, so wor et – domet der Hein nachkumme soll. Em övrigen es se glücklich met der Post affgefahre.«

Der Hein stand und horchte in die Ferne. Als ob er das Rollen des Postwagens durch die Nacht vernähme und das Horn des Postillions, das vom Rheine sang. Und das frohe Knabenlachen schwebte um seinen Mund wie in den glücklichsten Jahren der Kindheit.

»An den Rhein! – – An den Rhein! – –«

*

 


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