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XIV

Die spielenden Kinder wußten nichts von Wintersnot und Kriegsgefahr. Ihr kleiner Menschheitsfrühling besaß die Wunderkraft, ein Stücklein Erde für die Welt zu nehmen, das Jagen und Haschen in Garten und Feld für die Jagd nach dem Glück, die Wenigen, deren Liebe und Sorge sie waren, für die ganze Menschheit und das Geborgensein in der Burg für den Frieden der Welt.

»Die Kinder beschämen uns,« sagte Barthel zu Maria. »Ihre Anspruchslosigkeit sollte uns Großen zu denken geben.«

»Ich meine oft,« erwiderte Maria und blickte nicht von ihrer Handarbeit auf, »daß diese kindliche Anspruchslosigkeit die letzte Spur göttlicher Weisheit wäre, die wir mit auf die Erde bringen, um sie uns gegen menschliches Wissen abhandeln zu lassen.«

»Ja, Maria, Wissen ist nicht Weisheit. Denn Wissen kann unglücklich machen, und der Weise ist es nicht.«

»Die Kinder sind weise,« sagte sie still.

Er sah ihr zu, wie sie die langen hölzernen Stricknadeln bewegte und zuweilen prüfend an der Arbeit zupfte.

»Wird das ein Winterkamisol für den Johannes?«

»Nein,« sagte sie lächelnd und blickte auf, »so arbeitet man doch nicht ein Kamisol für Knaben. Es wird ein Unterröckchen für die kleine Brigitte.« Er wurde rot und nahm das Wollenzeug verlegen zwischen die Hände.

»Ich weiß so wenig von den einfachsten Dingen des Lebens, Maria. Ich hab' nur immer drauflosgeträumt zwischen meinen Heiligen in der Werkstatt und, wenn ich herauskam, in jedem Menschen die Züge der Heiligen gesucht. Jedes Kind konnte mich betrügen.«

»Du bist gewiß – ein sehr guter Mensch, Barthel.«

»Das kann keiner von sich sagen, solange er dem Leben gegenüber blind ist oder sich blind stellt. In hundert Fällen kann es Schwerfälligkeit sein und das Gefühl des Unvermögens, sich mit den Dingen mutig auseinanderzusetzen. Und das ist es bei mir immer gewesen. Auch die innere Furcht vor allem Groben und Lauten. Als ob man selber dabei laut und grob geartet werden müßte!«

Sie strickte emsig weiter und hörte ihm zu.

»Wie ganz anders hast du dich bewährt, Maria. Du bist still und frauenhaft geblieben und hast doch in das Gröbste des Lebens hineingegriffen, um deinen Sohn zu einem feinen und klugen Menschenkind zu erziehen, dem an Leib und Seele nichts mangelte. Gott, was hätte ich mit meiner kleinen Brigitte anfangen sollen, wenn ich sie nicht hierher hätte flüchten können. Ich glaube, mir wäre aus lauter Sorge um das Kind jeder Pinselstrich daneben gegangen.«

»So mußt du das nicht vergleichen,« sagte sie leise. »Ein Kind, das wir geboren haben, liegt uns wohl zeitlebens unter dem Herzen, und daher entspringt alles, was wir Frauen tun, einem ganz natürlichen Gebot.«

Er nickte. »So sollte es sein. Und es wird es wohl auch, wenn die Natürlichkeit bei der Frau noch vorhanden ist. Sieh, Maria, ich meine immer, die Frau müsse selber viel mehr Kind bleiben und in einem Stück Garten die Welt sehen und in ein paar guten und klugen Kameraden die Menschheit, als begierig durch alle Höhen und Tiefen hindurchzuhasten und doch nirgends etwas so Schönes und Glücklichmachendes zu finden wie die verlorene oder weggeworfene Kindlichkeit. Ja, so meine ich es. Und dann ist und bleibt ihr auch das Kind, das sie unter dem Herzen getragen hat, etwas Heiliges, und Freude und Sorge, die das Kind ihr schafft, etwas Natürliches. So war es bei dir. Aber der Mann? Sollte es da anders sein? Der Mann hat doch in erster Linie zu sorgen und müßte doch so gut dem Kind die Mutter ersetzen können, wie die Mutter den Vater ersetzt. Da stehe ich aber oft mit aller meiner Liebe vor meiner grenzenlosen Unerfahrenheit still.«

»Sollte das,« sagte Maria leise, »nicht wohl seinen Grund darin haben, daß der Mann das Kind als einen Zoll betrachtet, den ihm das Leben schuldet, der ihn erfreut, aber über den er nicht weiter nachgrübelt? Während die Frau in dem Kind ein Gnadengeschenk sieht, das sie erst zur Frau macht, eine Offenbarung, die ihr alles Leben und Lieben wiedergebiert? Denn die Jugend der Frau liegt in ihren Kindern, wie die Jugend des Mannes in seinem Schaffen und Wirken.«

Er blickte auf ihre Hände und fragte: »Weshalb strickst du für meine Brigitte und nicht für deinen Johannes?«

Da lächelte sie wieder vor sich hin wie eine Mutter, die über einen großen Jungen lächelt und es ihn nicht sehen lassen will.

»Kinder machen untereinander keinen Unterschied, und wir dürfen sie nicht daran gewöhnen. Kind ist Kind. Und hier auf der Burg ist doch alles Gemeingut.«

Das gefiel ihm, wie sie es so schlicht dahinsagte. Und ihr einfaches Wesen gab ihm Mut, und er bat sie: »Du mußt mir öfters helfen, Maria, wenn ich mich nicht zurechtfinden kann.«

»Ich –?« fragte sie ganz erschrocken, ließ die Arbeit sinken und sah ihn aus ängstlichen Augen an. »Mein Gott, ich – ich bin ja nur ein einfältiges Geschöpf.«

»Nein, nein,« rief er und schüttelte lachend den Kopf, »etwas Einfältigeres als mich großen Menschen gibt es wirklich nicht.«

Sie horchte, als ob sie aus dem Garten Stimmen vernommen hätte. »Ob die Kinder auch Mützen und Schals haben? Bei ihrem Rennen und Jauchzen vergessen sie, daß es kalt ist.« Und sie rollte ihre Arbeit zusammen und ging, um nachzuschauen.

Der Barthel folgte ihr. Und er sah, wie sie den kleinen, strampelnden Joseph auf den Arm nahm und, verfolgt von Johannes und Brigitte, die sie zu haschen suchten, über die Wege rannte. Seltsam, dachte er, da nimmt sie den kleinen Joseph. Weshalb sich wohl Frauen zu den kleinsten Kindern immer am stärksten hingezogen fühlen? ...

Als aber die Jagd an ihm vorüberbrauste, da nahm auch er an der Verfolgung teil, und, den Johannes auf dem Rücken, die Brigitte auf dem Arm, sprang er kreuz und quer durch den kahlen Garten, und das wilde Kindergeschrei klang ihm wie Musik in den Ohren.

Die Maria aber wurde zutraulicher zu den Menschen auf der Burg, denn sie hatte bisher nicht geglaubt, daß es noch Ärmere und Einsamere gab, als sie sich selber wähnte, und das Bewußtsein, selber helfen zu können mit ihren kleinen Frauenmitteln, machte sie insgeheim froh, erweckte sie täglich mehr und erschloß in ihr die mütterliche Sorge gegen Große und Kleine.

Denn auch der Vater, dessen abgeklärtes Wesen sie wie eine Tochter verehrte, beanspruchte ihre gute Kameradschaft und zog sie in der Zeit, die die Leitung und Überwachung des Landsturms von ihm verlangte, zur Führung der Bücher und zur Unterstützung im Briefschreiben heran. Und sie war stolz, wenn er ihr am Abend dankbar übers Haar fuhr. Dem alten Schmitz aber brachte sie, so oft er kam, unaufgefordert den Tabakkasten und stellte Glas und Weinflasche vor ihn hin, daß er schmunzelnd äußerte: »Mir geht et zu gut. Ich heirat mein Lebtag nit widder.« Des Josephs Herz jedoch hatte sie damit gewonnen, daß sie dem ewig putzenden und wirtschaftenden Rikchen den Jungen abnahm und ihn nicht um eine Linie anders behandelte wie die Hauskinder, mit denen er gnädig Spielsachen und Zuckerwerk teilte. Denn die alte Barbara konnte doch nicht mehr, wie sie am liebsten wollte, und hatte gegen den warmen Ofenplatz nicht viel mehr einzuwenden.

»Dä Jung hät e Lewwe we Gott in Frankreich,« sagte er, wenn er seinen Stolz am Halse Marias hängen sah, und klapste ihm eins hinten auf, damit er die väterliche Autorität nicht ganz vergäße.

Eines Abends erscholl das Signal, das die Landstürmer zusammenrief, als Barthel und Maria die Kinder zu Bett brachten. Kurz darauf hörten sie eine Tür schlagen und den Alten die Treppe Hinuntereilen.

»Du solltest auch hinaus,« sagte Maria und errötete.

»Ich –?« fragte er verwundert. »Ich bin doch kein Landstürmer, Maria?«

»Du steckst viel zu viel im Haus, und es täte dir gut,« erwiderte sie und errötete noch tiefer. »Ein Mann gehört unter Männer.«

Er wollte ihren Vorschlag leichthin von sich tun. Da merkte er, daß sie um seinetwillen rot geworden war und seiner Schwerfälligkeit wegen.

»Ich danke dir,« sagte er, gab ihr die Hand und ging dem Vater nach.

Sie blieb in der Nacht auf, bis die Männer zurückkamen. In Unkel und dem benachbarten Scheuren hatten die Franzosen zu furagieren gesucht, waren aber von dem herbeieilenden Landsturm nach kurzem Gefecht gezwungen worden, in die Kähne zu springen und ans andere Ufer nach Oberwinter zurückzukehren. Der Barthel lachte aus hellen Augen, als er von der nächtlichen Beschleichung und dem plötzlichen Hallo erzählte. Er war kotbespritzt bis in die Haare und trug in den starken Armen einen kräftigen Dreschflegel.

»Vater,« erklärte er, »von heute an bin ich immer dabei. Fechten und Schießen habe ich ja schon als Junge unter dir gelernt und das ganze Exerzierreglement. Das sitzt mir alles noch in den Knochen.«

Maria lachte ihn an und brachte den Männern ein Glas Glühwein. –

Jetzt aber übertrieb der Barthel fast seinen Eifer. Freiwillig meldete er sich zu allen Posten und Gängen, und die Kindheitserinnerungen kamen ihm zugut, die ihn bald bei Nacht und Nebel jeden Weg und Steg finden ließen. Er magerte ein wenig ab, aber seine Sehnen strafften sich und sein gutmütiges Gesicht wurde wettergebräunt und hatte scharf um sich blickende Augen bekommen.

Schrammen im Gesicht, verwildert und beschmutzt kam er an einem Morgen heim, und Maria tat einen Entsetzensschrei, als sie ihn sah.

»Wo kommst du her? Jetzt mache ich mir Vorwürfe, daß ich dir zu dem wilden Leben geraten habe.«

»Gib mir mal zuallererst ein Glas Wein. Ist der Vater schon auf?«

»Wein bekommt dir so früh nicht.«

»Mir bekommt jetzt alles. Nimm dich in acht, daß ich dich nicht fresse. Wein her, Maria!«

Da erfüllte sie ihm seinen Wunsch und freute sich im stillen, daß er so verwandelt und frisch und trotzig war.

Der Vater stand schon in der Verandatür. »Was war, Barthel?«

Und der Barthel rückte sich militärisch zusammen und berichtete.

»Wir waren auf Patrouille, und ich führte. Es waren Klagen gekommen aus den Gehöften oberhalb Honnefs, daß die Kosaken sich schwere Übergriffe zuschulden kommen ließen und ihre Offiziere dazu die Augen schlössen. Wir waren hundert Mann, und ich führte quer über die Weinbergswege. Da hörten wir durch die Nacht einen Heidenspektakel und betrunkene Lieder. In fünf Minuten waren wir am Platz. Den Bauer und seine Frau hatten die Kerls an den Tischbeinen festgebunden, und sie selber, fünfzig an der Zahl, soffen und johlten in allen Räumen und schlugen, was sie nicht mitnehmen konnten, in der Trunkenheit kurz und klein. Ich ließ sofort rund um das Gebäude doppelte Kette bilden und gab hintereinander ein paar Schüsse ab, die sie hervorlockten. Sie sprangen aus Türen und Fenstern, aber bevor sie in der Dunkelheit blank ziehen konnten, hatten wir sie in den Armen und keilten sie mit den Köpfen gegen die Mauern, bis sie klein beigaben. Dann nahmen wir ihnen die Waffen ab und brachten die fünfzig zum Major, der gerade in Königswinter war. Der Major ließ sie dem russischen Kommandanten zuführen als Beispiel russischer Disziplin. Mich ernannte er zum Offizier im Landsturm, nachdem er meine Jungens befragt hatte.«

»Ich gratuliere dir, Barthel.«

»Danke schön, Vater. Ich mußte mir doch auch mal ein Lob von dir holen.«

An diesem Abend stand der Barthel aufrechter neben Maria, als die Kinder zu Bett gebracht wurden. Der Johannes schlief mit der Brigitte in demselben Zimmer, und beide sprachen sie ihr Kindergebetchen und erbettelten sich nach dem Gutenachtkuß von ihrer Pflegerin einen zweiten.

»Und wo bleibe ich? rief Barthel und blies drohend in seinen Bart.

Aber sie fürchteten sich nicht, griffen nach dem Bart und küßten ihn schallend auf die Wangen. Maria mußte sie in die Decken wickeln, damit sie Ruhe gaben. Da folgten sie augenblicklich, verdrehten schlafmüde die Augen und entschlummerten.

»Wie die Kinder an dir hängen,« sagte Barthel, als sie die Treppe hinabschritten und das Eßzimmer aufsuchten. »Du bist die geborene Mutter.«

»Natürlich bin ich geboren,« erwiderte sie lachend, um das Lob abzuwehren.

»Ich meine,« beharrte der Barthel, »Frauen müssen den Mutterberuf mit auf die Welt bringen, wie sie ihr Herz mit auf die Welt bringen. Anerziehen läßt sich das nicht. Dann bleibt's im höchsten Falle ein Spiel, wie das Klavierklimpern, um den Leuten über die Gefühlsweit einen schönen Dunst vorzumachen.«

»Du sprichst plötzlich so martialisch, Barthel.«

»Wir Deutschen sind so lange Träumer, bis wir an den Prügeln merken, daß wir irgendwo nicht richtig abgehärtet sind.«

Sie sah ihn heimlich von der Seite an, trug das Abendessen auf und setzte sich zu ihm. »Vater wird wohl erst später kommen. Er ist seit Mittag unterwegs und bat, daß wir mit dem Abendbrot nicht auf ihn warteten.« Und sie sprachen vom Vater mit der frohen gedämpften Stimme, mit der man von geliebten Menschen spricht, die über die Liebe hinaus ehrwürdig geworden sind.

Als Maria abgedeckt hatte, saßen sie wieder unter der Lampe zusammen, und der Kamin warf seinen roten Lichtschein ins Zimmer, und es war warm und behaglich in allen Ecken. Das genoß Maria mit tiefem Wohlbefinden, die Hände lässig im Schoß, ein paar Minuten lang, bevor sie den Handarbeitskorb an sich zog. »Hier ist der Friede, Barthel. So denke ich mir die geweihten Stätten, die ein Asylrecht boten.«

»Laß die Arbeit heute ruhen, Maria. Es gibt Abende, an denen man nur still plaudern kann. Das ist wie ein Gottesdienst unter vier Augen.«

Da ließ sie die Hände wieder in den Schoß sinken und blickte in das leise singende Feuer des Kamins.

»So habe ich nie gesessen, Barthel, und es tut so gut ...«

»Ja,« erwiderte er, »es tut über die Maßen gut. Und darum heißt es: Feierabend.«

»Wie heilig das klingt – –,« sann sie laut, »und ist für Arm und Reich und jeden, der nicht am Schönsten vorüberläuft.«

Er betrachtete sie in ihrer Versonnenheit und zeichnete im Geist ihre zarte, vom Willen gestählte Gestalt nach mit der schweren blonden Haarkrone und den Mädchenaugen, die den Mutterblick mit auf die Welt gebracht hatten. »Selbst wir Heimatlosen,« sagte er aus seinen Gedanken heraus, »dürfen den Feierabend halten.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, Barthel, wer ein Kind hat, ist nicht heimatlos.«

»Wer ein Kind hat ...,« wiederholte er. »Eigentlich habe ich es erst, seitdem ich wieder in diesem alten Gemäuer bin. Seitdem erst habe ich ein Kind, wie Kinder sein sollen mit ihrem großen und heißen Verlangen nach Liebe und Sonne und Fröhlichkeit, von dem wir Großen so wenig ahnen ... Wie kann nur eine Mutter ihr Kind verlassen!«

Ganz still und traulich und feierlich war es in dem alten Burgzimmer. Und der Barthel empfand es, und es war ihm, als strich eine Hand über seine bedrängte Stirn und wollte die Schwere aus seinem Leben nehmen. Da begann er zu sprechen und merkte selber kaum, daß er sprach und wovon er sprach, und er sprach von den Jahren seiner Ehe und der Frau, die den Schein für das Sein genommen und nichts gewußt hatte von den Stimmungen des Feierabends, und der er Frondienste geleistet hatte.

»Sie war die erste Frau, die ich ansah, und da ihr Leib so schön war, wie der der Heiligen, die ich malte, und wohl schöner noch, glaubte ich nicht anders, als daß es mit der Seele gleich bestellt sein müsse und viel herrlicher noch. Was wußte ich von den Frauen. Ich dachte in meinem Künstlerhirn: Schönheit verpflichtet. Und wer schön ist, hat es nicht in geheimer Eitelkeit für sich zu sein, sondern soll andere dadurch erheben und begeistern. So denke ich auch heute noch.«

Die Lampe brannte ruhig, und der Kamin verstreute sein rotes Licht.

»Erzähl du auch ein wenig, Maria. Ich hör' deine Stimme so gern.«

Und sie sprach, wie er gesprochen hatte, fast ohne es zu bemerken.

»Mein Vater, der gestorben ist, plagte sich mit Unterrichtsstunden, und da er arm war, glaubte er an die Segnungen, die die Freiheitsmänner aus Paris versprachen, und saß des Abends mit ihnen im Klub. Da lernte ich früh, aus wenigem viel machen, und als ich selbst noch der Mutter bedurfte, mußte ich den Vater versorgen, der seinen Irrtum erkannt hatte, und in einer Zeit, da keiner mehr ein Wort zu reden wagte, zur Feder griff und Anklagen schmiedete und Aufrufe an den deutschen Geist verfaßte. Das gab viel Not und Unrast im Hause, und ein paarmal holten sie ihn und sperrten ihn ein, und ich hatte nichts mehr zu sorgen. Da kam der Johannes. –«

Und sie sah mit weiten Augen in das stille Kaminfeuer.

»Der kam daher wie aus einer anderen Welt, und ich war achtzehn Jahre und staunte ihn an, wie ein Mädchen den ersten Mann anstaunt. Und er war der wildeste seiner Kameraden, und wenn er bei mir saß, wurde er gesittet nachdenklich und sagte mir, daß ich die Gabe hätte, ihn besser zu machen. Ich glaubte es ihm, und glaubte es so gern, weil ich wieder etwas zu sorgen bekam, und da das Regiment an jedem Tage Marschbefehl erhalten konnte, so willigte ich über Nacht ein und wurde seine Frau ...

»Kaum eine Woche dauerte unsere Ehe. Da marschierte er und hatte das kleine Mädchen, dem er wie ein Spielzeug seinen Namen geschenkt hatte, vergessen ...

»Nein, ich darf nicht undankbar sein. Ich habe mehr von ihm als seinen Namen. Ich bin reich durch ihn geworden. Ich habe das Kind.«

Sie hob den Kopf, blickte verträumt im Zimmer umher und nickte dem versonnenen Mann zu.

»Ich spüre nur den Frieden,« sagte der Barthel. »Wie wohl das tut. So ein Feierabend auf der Burg. – –«

Über den Hausflur stampfte ein schwerer Schritt, und es pochte an die Tür. Der alte Schmitz steckte seinen Kopf ins Zimmer.

»Is et erlaubt, Kinder? Ich kann et zu Haus nit warm kriegen.« Er trat ein und rieb sich die Hände. »Ich stör' doch nit?«

»Nein, nein, Onkel Schmitz, Sie stören nie.«

»Wär' mir auch ganz gewiß egal. Warum soll et der Barthel besser haben? Kann mich noch ganz gut neben ihm sehen lassen, un überhaupt, wenn et nach dem Gewicht ging', schlüg' ich ihn sicher um hundert Pfund.«

»Na, na, Onkel Schmitz.«

Der Alte saß auf einem schweren Holzstuhl und tat ganz verwundert, als Maria ihm den Tabakkasten brachte und bald mit dem Wein zurückkehrte. »Kind, ich glaub' wahrhaftig, Sie haben Absichten? Reelle? Dat sollt' mich freuen. Ich kann et Ihnen ja im Vertrauen sagen, un der Barthel spricht nit darüber: Et geht mir gerade so.«

»Prost, Onkel Schmitz.«

»Nu onkelt sich dat schon. Kind, Sie haben 'nen guten Geschmack, dat muß ich loben, un wat meinen Geschmack betrifft – na, da kucken Sie bloß mal in den Spiegel.«

»Onkel Schmitz, Sie wollen sich über mich lustig machen.«

»Ja, wenn dat nit lustig macht, wat man bei Ihnen zu sehen kriegt – Juseph Maria, Barthel, sei nit so lästig und laß uns junge Liebesleut' mal allein.«

»Ich werde mich schwer hüten, Onkel Schmitz. Ich bin auch nicht blind.«

Der Alte schlürfte behaglich den Wein. »Is gut,« meinte er dann. »Eigentlich sehen ja vier Augen auch besser als zwei. Da wollen wir die junge Frau denn mal zwischen uns nehmen.« Und er klopfte einladend mit der Hand auf den leeren Stuhl an seiner Seite.

In Maria erwachte die Frau, und es ging ihr bei der Huldigung der Männer warm und wohl durchs Blut. Sie saß zwischen ihnen, hielt die Hände im Schoß und blickte still lächelnd vor sich nieder.

»Dat is, als wenn in meine alten Knochen der Frühling käm',« sagte der alte Schmitz. »Bei so 'nem Lächeln vergißt mr ganz, dat et draußen schon arg Winter is. Geht et dir nit grad so, Barthel? Sag nur ruhig deine Meinung.«

»Ist es denn wirklich Winter, Onkel Schmitz? Das hab' ich noch gar nicht bemerkt.«

»O du scheinheiliger Klugschwätzer,« knurrte der Alte. »Wir werden dich doch mal in den Garten schicken, damit du wat merkst.«

»Gern, Onkel Schmitz, aber die Maria hat es auch nicht bemerkt. Sollen wir mal nachsehen, Maria?«

Der Alte sah verdutzt auf. »Nee, nee,« wehrte er, »ihr könnt euch schon auf mein Wort verlassen. Mich hier sitzen lassen, dat ich widder et Frieren krieg', dat könnt euch wohl so passen. Da will ich doch mal lieber dat Händchen in Verwahrung nehmen.«

Und er streichelte zärtlich Marias Hand und zwinkerte ihr verliebt aus den Augenpolstern zu.

Sie saß still zwischen den Männern und hörte die Worte kaum und fühlte nur das Wohlbefinden und das Geborgensein. Die Lampe leuchtete so friedlich, und der Kamin strahlte seine Wärme durch das alte Gemach. Die Kastenuhr tickte unverdrossen, und draußen löste sich der erste Schnee vom Himmel und spielte lautlos an den Fenstern. Und nun saßen auch die Männer ganz still und schauten andächtig nach ihren Augen, die so ruhig seit Jahren nicht in den Winter hineingesehen hatten.

»Feierabend auf der Burg ...,« sagte sie und bewegte die Lippen kaum. – – –

»Guten Abend!« scholl eine Stimme von der Tür herüber. »Das ist ein Empfang nach meinem Herzen: das Haus im Frieden.«

»Guten Abend, Vater,« rief Maria und sprang rasch herbei, um ihm den hochbeschneiten Mantelkragen abzubinden. Und sie nahm ihm den Hut aus der Hand und lief nach den Hausschuhen und nach einem Imbiß.

»Erst essen und trinken, Vater. Mit dem Erzählen hat's Zeit. Du gehst vor.«

»Es ist auch nicht viel zu berichten, Kinder, und ich bringe von dem langen Ritt eigentlich nur einen gesegneten Hunger heim.«

Nach einer Weile aber fragte der alte Schmitz: »Gar nix Neues, Freund?«

»Unser Hauptquartier liegt fest in Frankfurt am Main. Die drei Verbündeten sind dort, und auch die Rheinbundfürsten stellen sich ein und bitten um gut Wetter. Man berät über die Friedensbedingungen und will Napoleon das linke Rheinufer lassen.«

»Schockschwerenot! Himmelherrgottsdonnerwetter! Ich hab' mich wohl verhört, wie?«

»Der Blücher, lieber Schmitz, soll ganz genau so geflucht haben wie Sie. Nur daß er noch von galgenreifen Schuften sprach.«

»Recht hat'r! Recht hat'r! Wer is denn nu widder der Weinpantscher?«

»Der österreichische Minister Metternich will dem Schwiegersohn seines Herrn noch mal goldene Brücken bauen.«

»O ja, dat glaub ich. Aus ander Leuts Leder is gut Riemen schneiden. Aber der Blücher tut nit mit. Der nit.«

»Der Freiherr vom Stein ist in Frankfurt eingetroffen und hat sich auf Blüchers Seite gestellt. Auch der Kaiser von Rußland drängt auf den Marsch über den Rhein.«

»Ah – der Freiherr vom Stein. Dat is en Patriot. Dat is en echter Deutscher.«

»Sie können ruhig sein, Schmitz. Napoleon nimmt die Friedensbedingungen nicht an, er hält die Unterhändler nur hin, um den letzten Mann Frankreichs unter die Fahnen rufen zu können.«

»Bei dem kostet et Dutzend Menschenleben keinen halben Stüber,« knurrte der Grimmbart. »Aber Achtung muß mr vor dem Totschläger doch haben. Kurasch hat er, dat die anderen von ihm lernen könnten.«

»Er setzt sein letztes Geldstück,« sagte der Alte von der Burg. »Dazu gehört kein Mut mehr, dazu gehört Spielerwahnsinn.«

Am nächsten Morgen brachte die Post einen Brief von Hein. Der Alte hielt ihn lange in der Hand und betrachtete die Schriftzüge des Sohnes mit starker Bewegung. Dann las er ihn sorgsam durch. »Der Hein steht als Leutnant im Hauptquartier Blüchers. Leipzig hat ihm und vielen Kameraden das Eiserne Kreuz eingetragen. Seine Wunden sind längst geheilt, und er fühlt sich wohl, weil – ja, nun kommt es – weil es demnächst über den Rhein gehen soll und nach Frankreich hinein. Nicht gegen Frankreich, gegen den Kaiser.«

Er gab Barthel den Brief und ging auf sein Zimmer.

»Er hat ihn sehr lieb,« sagte Barthel, »vielleicht am liebsten, weil der Hein ihm am ähnlichsten geworden ist.«

»Er hat uns alle lieb,« sagte Maria.

Mit Beginn des neuen Jahres sollte der Krieg in Feindesland hinübergetragen werden, so wollte es endlich der Beschluß der Fürsten. Und in den ersten Tagen des Dezember traf ein Brief Sibylles an Barthel ein.

»Ich sitze in Frankfurt, lieber Bruder, und es geht mir nicht sonderlich glänzend. Kannst Du mir sagen, wo der Hein steckt?« Und sie gab ihre Wohnung an und den Tag, bis zu dem sie bleiben würde.

Der Vater las den Brief.

»Das ist ein Notruf, Barthel. Wenn unsere Sibylle schreibt, es ginge ihr nicht sonderlich glänzend, so würde das bei anderen lauten, daß ihnen das Schicksal an der Kehle säße. Du mußt auf der Stelle hin, Barthel.«

»Ja, Vater. Ich wollte dich eben um die Erlaubnis bitten.«

»Die Post fährt nicht schnell genug. Es liegen noch überall französische Haufen, und du mußt quer über den Westerwald nach Limburg und von dort auf Frankfurt weiter. Ich beurlaube dich aus dem Landsturm und werde es dem Major melden. Du nimmst die Kalesche, und der Joseph fährt. Wann könnt ihr fertig sein?«

»In einer Stunde, Vater.« Und er ging und packte seinen Mantelsack, und die Maria kam auf sein Zimmer und half ihm.

»Gib mir auf mein Brigittchen acht, Maria –«

»Als wär' es mein Johannes, Barthel.«

Er war reisefertig und bot ihr die Hand. Und sie bot ihm den Mund. So nahmen sie schweigend Abschied.

»Tu, was in deinen Kräften steht,« sagte der Vater. »Und nimm den Hein zur Hilfe. Es wird euch gelingen.«

Der Joseph saß, in seinen Wettermantel gehüllt und die Klappmütze über die Ohren gezogen, auf dem Bock. Gerade reichte er dem heulenden Rikchen den kleinen Joseph zurück und rief der alten Barbara zu: »Paß op ding Gesondheit, Mutter. An ahl' Hüser un ahl' Wieber es luter jet zo flicke.«

»Hä bliewt ömmer der Schnieder,« sagte die alte Barbara und kopfschüttelte hinter dem Wagen her. –

Wochen vergingen, ehe die erste Nachricht von der glücklichen Ankunft eintraf. Das Weihnachtsfest wurde auf der Burg gefeiert, und die Kinder jauchzten dem Lichterbaum zu. Die letzte Woche des alten Jahres lag wie ein Alp auf dem Rheintal.

»Beruhigt euch,« sagte der Alte von der Burg, »es werden keine Wagen mehr durch die Linien gelassen, bis der Übergang bewerkstelligt ist.«

Die Neujahrsnacht kam, und der Alte stand mit den Frauen und Kindern auf dem Turm, und selbst der alte Schmitz hatte seinen schweren Leib hinaufgetragen. Sie alle spürten die schneidende Kälte nicht. Ihre Blicke waren ins Rheintal gerichtet und wanderten stromauf und stromab. Fern auf den Höhen des Westerwaldes leuchtete es auf. Nun auf der Erpeler Ley und der Unkeler Ley. Nun auf den Bergspitzen des Siebengebirges. Lodernd stiegen die Signalflammen in den Winterhimmel, in die Neujahrsnacht, und ihr Widerschein färbte den Rhein purpurrot. »Gesegnetes neues Jahr,« sagte der Alte von der Burg und reichte die Hand rundum.

Und alle wiederholten, feierlich und bewegt: »Gesegnetes neues Jahr!«

Von unten rief ein Mann herauf nach dem Eremiten von Breitbach. Der Alte beugte sich über die Brüstung: »Hier steht er. Was ist?« Und der Mann schrie zurück: »Befehl vom Major: Sturmglocken läuten. Den Landsturm sammeln. Richtung auf Bonn!«

»Schmitz, Sie bleiben wohl bei den Frauen. Auf Wiedersehen!« Und wenige Minuten später stürmten die Glocken das ganze rechte Rheinufer entlang, und die Landstürmer eilten aus ihren Häusern, und der Eremit von Breitbach führte seine Schar Rheinbreitbacher und Honnefer in strammem dreistündigen Marsch durch die rotglühende Winternacht, bis sie Bonn gegenüber waren. Von drüben her klang Generalmarsch. Die Besatzung war auf den Beinen. Kein Mensch durfte an den Rhein.

Der Major des Landsturms ritt auf den Eremiten von Breitbach zu: »Der preußische General St. Priest geht nahe Neuwied über den Rhein. Blücher will bei Caub hinüber. Wir haben Befehl, durch Alarm die Besatzungen Bonns und Kölns festzuhalten. Im übrigen Wachtkette zu bilden und beim Abzug der Franzosen, der in wenigen Tagen vor sich gehen dürfte, Bonn zu besetzen und zu schützen. Prosit Neujahr, Herr von Einsiedel.«

»Prosit Neujahr, Herr Major.«

Und die Salven der Landstürmer krachten über den Rhein hinüber und hielten die Franzosen ab, ihre Regimenter nach Andernach zu werfen und den Preußen den Übergang zu bestreiten.

In den nächsten Tagen sah man Verstärkungen aus Köln heranrücken. Sie zogen mit einem Teil der Bonner Truppen bis Oberwinter und stießen auf die Kosaken. Von morgens bis abends schlug man sich zäh herum. Aber der Übergang war schon bewerkstelligt, und Russen und Preußen besetzten Sinzig und streiften weit ins Ahrtal. Remagen wurde von den Franzosen geräumt. Sie zogen sich auf Bonn zurück. Dort standen schon die französischen Beamten und das Lyzeum zur Flucht bereit. In dunkler Nacht schlichen sich die Truppen zur Stadt hinaus. Kein Bürger durfte ans Fenster, bei Strafe des Erschießens. So zogen die Franzosen scheu und hastend die Straße nach Köln. Zwanzig Jahre waren verflossen. Zwanzig Franzosenjahre am Rhein! ...

Noch waren die letzten nicht aus den Toren, als aus den Rheingassen das Volk herausbrach. Von Tagedieben und Gelegenheitsarbeitern angefeuert, warfen sie sich auf die Palisaden und schlugen sich mit Äxten und Beilen ihren Wintervorrat an Brennholz heraus. Aus allen Gassen stürmte Gesindel hinzu. Die Lage für die Bürger schien bedrohlich zu werden.

Da sprang der Eremit von Breitbach in einen Kahn und ließ sich mit einem halben Dutzend Gefährten hinüberrudern. Die Menge rannte ihm entgegen. Ein alter Polizeisergeant, der sich den Umschwung der Verhältnisse so rasch nicht erklären konnte, fuchtelte mit der Klinge. »Im Namen des Gesetzes arretiere ich euch!« schrie er den Männern im Kahn entgegen.

Der Eremit von Breitbach lachte aus vollem Hals. »Im Namen des Landsturms,« rief er zurück und hob die Pistole, »schieß' ich dich alten Esel über den Haufen, wenn du das Maul nicht hältst.«

Da löste sich die Spannung in einem brausenden Gelächter, das Volk bildete Kette, und der Polizeisergeant wurde von Hand zu Hand gereicht, bis er in der Ferne im Laufschritt verschwand.

Eine Abteilung des Landsturms fuhr über den Rhein. Der Alte ließ die Tore besetzen und ordnete die Bewachung des Eigentums an. Der Tumult in der Stadt aber wuchs von Stunde zu Stunde bis zum Aufruhr. Bauern stürmten aus der Umgegend herbei, erzwangen sich mit List den Zugang und warfen sich mit den umherziehenden Rheinarbeitern und Handwerksgesellen auf das Tabakmagazin, das sie erbrachen. In dichten Knäueln wälzten sie sich in die Lagerräume, kämpften sie um Treppen und Gänge. Ein Handwerksbursche, der seine Beute bedroht sah, schüttete kurz entschlossen ein Fäßchen Schnupftabak über die Anstürmenden aus und gewann bei dem Getöse des Niesens und atemlosen Schimpfens mit seinem Pack glücklich das Freie. Ein Milchmädchen, das eine Tonne Knaster geleert hatte, wurde von hinten gepackt und kopfüber in die Tonne gestürzt, daß die Röcke stoben. Den Männern wurden die Rockschöße abgerissen, den Weibern die Kleider. Bald konnte niemand weder aus noch ein. Einer riß dem andern die Beute aus den Händen. Nur im obersten Stockwerk arbeitete am offenen Fenster ein alter, verwitterter Rheinarbeiter so ruhig, als ob er an Bord eines Schiffes Säcke lüde. Er hatte Frau und Töchter mitgebracht und sie in weiser Voraussicht auf der Straße aufpostiert. »Achtung, 'ne Ladung,« rief er und beförderte Tabakrolle auf Tabakrolle zum Fenster hinaus in die hochgehobenen Unterröcke der Seinen. »Achtung, 'ne Ladung. Achtung, da kütt als widder eins.«

Vom Tabakmagazin ging es zum Douanenhaus. Die verhaßten Zöllner waren schon vor dem Abmarsch der Truppen auf und davon, und die zahlreichen Ballen Seidenstoffe, Samte und Tuche, die unter Zollverschluß lagen, waren ohne Bedeckung geblieben. Schon zerrte man die ersten Ballen der kostbaren Zeuge auf die Straße. Da klang Generalmarsch, und vereint mit einem Trupp einrückender Kosaken trieben die Landstürmer das Gesindel auseinander und fegten die Straßen rein. Bis zum Morgen durchzogen die Patrouillen die Stadt, wechselten die starkbesetzten Torwachen. Es herrschte Ruhe. Und die Landstürmer kehrten über den Rhein zurück und ritten nach Hause, bis das neue Signal sie rief.

Auch der Alte kehrte nach der Burg zurück. Der Siebzigjährige hatte harte Tage hinter sich, aber vor den Leuten zeigte er keine Ermüdung. Ruhig und freundlich durchschritt er die Dorfgassen und öffnete das alte Burgtor. Da schrie es ihm entgegen: »Vater! Großvater!« Und er beugte sich vor und öffnete die Arme weit.

»Ich will nun ein paar Stunden schlafen,« sagte er dem alten Schmitz. Und plötzlich blieb er wieder stehen und rief Maria an. »Ist der Barthel nicht zurück?«

»Nein, Vater, aber es sind Briefe gekommen, und einer darunter mit Barthels Aufschrift.«

»Bring sie mir auf mein Zimmer, Kind.«

Sie trug ihm die Briefschaften hinauf, und er suchte zuerst den Brief Barthels hervor.

»Warte nur,« sagte er lächelnd, als sie sich entfernen wollte, »du wirst doch gewiß auch wissen wollen, wie es unserem Reisenden ergeht.«

Er las – und las lange und schwieg.

»Schlechte Nachrichten, Vater?« fragte sie ängstlich.

»Nein,« sagte der Alte ernst, »es sind keine schlechten Nachrichten, und wir wollen Gott um einen guten Abschluß bitten.«

»Vater – darf ich es wissen?«

»Der Barthel schreibt, daß er den Hein gesund angetroffen und mit ihm Sibylle aufgesucht habe. Sibylle sei am nächsten Tage weitergereist. Das Nähere habe sich Hein vorbehalten mitzuteilen. Er selbst aber, Barthel, habe eine Spur seiner Frau entdeckt und müsse dieser Spur um seines Friedens willen nach Frankreich folgen. Er sei unter Blücher eingetreten und gehe an Heins Seite über den Rhein. Der Joseph sei als Bursche bei ihnen. Ein Postknecht aus der Königswinterer Gegend bringe Wagen und Pferd bei guter Gelegenheit. Maria!«

»Es ist nichts, Vater –«

»Maria,« sagte der Alte und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter, »er schreibt, daß er um seines Friedens willen der Spur folgen müsse. Wann und wo hat der Barthel Frieden gehabt, als in diesem Jahr und hier? Also wird er wohl um dieses Friedens willen mit nach Frankreich sein.«

Da sah sie ruhig und ernst zu dem Alten auf.

»Geh jetzt, Kind, und sag es Josephs Frau und seiner Mutter. Du mußt es hinstellen wie einen Spaziergang und die Alte zum Schelten bringen. Dann lacht das Rikchen, und der Schreck ist vorüber.«

»Ja, Vater,« sagte sie und ging.

Sie ist in einer guten Lebensschule gewesen, dachte der Alte. Und dann lag er wach auf seinem Lager und dachte an Sibylles Weiterreise und dachte an Hein – an seinen Hein, der ihm am ähnlichsten geworden war. – –

*

 


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