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Elftes Kapitel
Die letzten Vorbereitungen für den großen Tag

Der Mai stand vor der Türe.

Eine ungewöhnliche Wärme, die den Sommer schon ahnen ließ, lag schwer über Stadt und Teich. Ein ganzes Heer von tanzenden und singenden Müßiggängern war den Puppenwiegen entschlüpft und freute sich des neuen Lebens in ungebundener Freiheit. Durch die klare Frühlingsluft schwirrten glänzende Libellen, spiegelten sich im Teiche und machten mancher Mücke den raschen Garaus. Dazwischen sprangen und hüpften die schwarzen Springschwänze und spielten die Rolle der Hanswurste in diesem Zirkusfest der Käfer. In all das lustige Zirpen, Summen und Brummen klang seltsam feierlich das Glockengeläuts der Unken aus der Tiefe.

Ein Vorfest des Maien, der morgen seinen Einzug halten wollte, feierten auch die Grünen und Braunen des Teiches, die mit den nimmersatten Libellen im fröhlichen Jagen auf das lebenslustige Käfervolk wetteiferten. Und doch mahnte auch sie das klagende Geläute aus der Tiefe an die Vergänglichkeit alles Erdenlebens.

Wart doch vor vierzehn Tagen ihr alter Erbfeind, der stolze Ritter Dagobert von Langbein mit seiner gleichfalls hochgeborenen Gemahlin Isabella aus Afrika zurückgekehrt und hatte seinen Sitz in seiner Stammburg auf der Zinne des alten Stadttores aufgeschlagen! Aus dem Lande der Pharaonen brachte er aber nicht nur seine langen Stelzbeine mit, sondern auch seinen unverwüstlichen Appetit auf deutsche Frösche. Warum war er nicht bei den Pyramiden und den fetten Nilfröschen geblieben? Seine Raubzüge im Teiche hatten schon manchem Gesangverein der Grünen und Braunen den besten Tenorsänger entrissen, und statt der frohen Frühlingslieder mußten sie des öfteren ihre Kehlen zu Trauer- und Klagemelodien stimmen.

Was mochte der heutige Tag wohl bringen? Man darf den Tag nicht vor dem Abend loben, und die Sonne stand noch hoch am Himmel.

Gesättigt und träge saßen Harald und die Seinen auf den Schilfblättern und nickten ihren Mittagsschlaf. In unmittelbarer Nähe am Ufer wiegten sich auf einem jung begrünten Strauch der Laubfrosch Pankraz mit seiner Familie.

Da schwirrten vom Stadttor her Xaver und Sabine an.

»Wid-widewid!« – »Quak-quak!«

Das dunkle Gewand leuchtete stahlblau und die Stirn- und Kehlstreifen wetteiferten in ihrem tiefen Braun mit den Kastanien, während die Unterseite in der Sonne wie Gold brannte.

Das ganze Festgewand strahlte in seiner Pracht das heiße Mutterglück wider, das in Sabinens Herzen glühte. Die beiden kamen eben von ihrer jungen Brut, die wohlgeborgen im Schwalbenhaus unter dem alten Stadttor ruhte.

»Wid-widewid! Grüße von unseren Kindern, Freund Pankraz!« rief Xaver mit heller Stimme.

»Was machen die lieben Kleinen? Alle munter und wohlauf?« fragte Pankraz voll Teilnahme.

»Danke! Eins gesünder als das andere, eins sperrt sein Mäulchen weiter auf als das andere«, antwortete Sabine mit freudigem Stolz.

»Da habt Ihr gerade genug zu tun, um die hungrige Gesellschaft satt zu bringen«, meinte Pankraz. »Na, ihr Flieger könnt es euch leisten! Wir Hüpfer bekämen elende Kreuzschmerzen, werden müde, bis wir unseren eigenen Magen füllen.«

»Heute werde ich noch oft in Eurem Jagdrevier streifen«, sagte mit wichtiger Miene Xaver, »denn morgen, lieber Freund, ist bei uns im Tor Halljahr!«

»Was soll das sein?« fragte erstaunt der Laubfrosch, »mein Blick geht ja mit Leichtigkeit in die Zukunft, aber dies geheimnisvolle Wort verstehe ich trotzdem nicht.«

»Ach, Xaver muß immer seine besondere Sprache haben«, mischte sich Sabine ein, »kurz und gut: das große Torgeheimnis wird morgen enthüllt!«

»Richtig«, antwortete Pankraz und machte zur Erleichterung seiner Gedankengänge einen Luftsprung, »habe ich doch selbst die Prophezeiung in den alten Turm geschickt. ›Eins – zwei – drei – im wunderschönen Mai – wird sich das Rätsel lösen – im wunderschönen Mai – eins – zwei – drei!‹ Die Aurelie hat sie bei mir geholt. Und morgen ist der große Tag. Freut mich, freut mich!«

Und Pankraz sprang ausgelassen noch zweimal hoch in die Luft.

»Ja«, fuhr Sabine wichtig fort, »heute abend wird Seppl, der Weberknecht, zu allen Sippen, die im Stadttor hausen, die Botschaft tragen, daß morgen allgemeiner Burgfriede herrschen und Urfehde geschworen werden muß.«

»Quak, quak, ganz klar!« entgegnete Pankraz, »bis jetzt getrennt marschiert, morgen aber wird vereint geschlagen. Eure Isidora hat wunderbar den Plan ausgesponnen.«

»Die Erfüllung wird noch wunderbarer sein«, zwitscherte Sabine in freudiger Erregung; wenn ich nicht in der Kinderstube die letzten Tage so viel zu tun gehabt hätte, würde ich es fast nicht mehr ausgehalten haben. Seit Ritter Dagobert auf der Zinne eingezogen ist, meinte ich, jeden Tag müßte es losgehen!«

»Ihr habt jedenfalls von meiner Prophezeiung nichts gewußt, sonst hättet Ihr Euch das vergebliche Hoffen und Warten ersparen können«, sagte in etwas gekränktem Tone Pankraz.

»Freilich«, stimmte Xaver ein, der gerade vom Stadttor zurückkam, wohin er seinen Kindern einige Portionen feinsten Mückenbratens gebracht hatte, »wir lauschten immer dem Bundeslied und vergaßen darüber, uns genau nach dem Zeitpunkte zu erkundigen«.

»Wenn Ihr die Vase Aurelie seht, bitte, grüßet sie von mir! Sie soll mich so bald als möglich aufsuchen, um mir alles zu erzählen.«

»Gewiß, gewiß«, zwitscherten Xaver und Sabine zu gleicher Zeit Antwort.

Dann stießen beide hoch empor und machten die luftigen Jagdgründe unsicher. Zum Tor und wieder zurück, ungezählte Male, bis Fini, das jüngste Schwalbentöchterlein, sich das Mäulchen wischte und es ganz nachdrücklich zuklappte.

Sabine, die gar nicht an ein Sattwerden der Kinder glauben konnte, brachte wieder einen zarten Fliegenbissen und wollte ihn dem Nesthäkchen zustecken.

Aber Fini öffnete nur ihr Mäulchen, um zu rufen: »Danke, Mama, bin satt, nudeldicksatt!«

Schließlich kam zu dieser glücklichen Erkenntnis auch Ernst, der größte Schwalbenjunge, der es mit allem gründlich zu nehmen schien. Er schloß nicht nur abwehrend den Schnabel, sondern auch die Augen, und deutete damit kurz und bündig an, daß man ihn mit Mücken und Liebe in Ruhe lassen sollte.

Am Teich ging es nicht so friedlich zu.

Die Grünen und Braunen waren eben in ihren besonderen Gesangvereinen zusammengekommen und der Kapellmeister wollte ein neues Maienlied einüben, als plötzlich Pankraz in die Höhe sprang und rief: »Gefahr! Deckt euch! Dagobert naht!«

Hei, war das ein Geplätscher und ein Geklatsche im Teich! Als ob der Wirbelwind mit Peitschenschlägen darüber gefahren wäre!

Im Nu waren die Schilf- und Seerosenblätter leer, und nur kleine und große Ringe liefen über das Wasser und verrieten, wohin sich die Braunen und Grünen geflüchtet hatten.

Langsam kam Dagobert über die Wiese geschritten, zu seiner Rechten Isabella, seine Gemahlin. Stolz und würdevoll hob er sein Haupt und sprach: »Im Turm ist alles in Erregung, wild und heiß! Man könnte meinen, in Afrika zu sein und nicht im kühlen, nüchternen Deutschland! Die Enthüllungsurkunde ist ausgefertigt und das Glückssiegel habe ich daraufgedrückt.«

Isabella klapperte Beifall und sagte: »Geliebter Gemahl! Mit freudigem Stolz empfinde ich es, daß wir einem Geschlechte angehören, das sogar die anspruchsvollen Menschen als Glücksboten heilig halten und lieben.«

»Ja«, meinte Dagobert, »es geht eine alte Überlieferung von Mensch zu Mensch, von Storch zu Storch. Sie erbt sich hüben und drüben von Ahne zu Enkelkind fort. Wir müssen sorgen, daß dies Erbteil auch bei unseren Nachkommen lebendig bleibt.«

»Zu gerne hätte ich es unseren Kindern gegönnt«, sprach etwas erregt Isabella, »daß sie den morgigen Tag mit Bewußtsein miterlebten. Nun sind sie leider noch in den Eierschalen.«

»Schadet nichts«, tröstete in gemessenem Tone Dagobert, »sie erfahren alles in wundersamen Wiegenliedern, die ihnen deine mütterliche Zärtlichkeit dichten und singen wird.«

»Ja, ja«, stimmte Isabella ein, »vom Turmgeheimnis und dem unglücklichen Manne, der am Gold verdarb und übers Meer zog, Liebe und Gold zu tauschen, und darüber starb, vom verborgenen Schatz und von seinen treuen Hütern, von Hans Jakob und den anderen Verbündeten, vom guten, alten Turmherrn und von der lieblichen, blonden Annemarie.«

Dagobert fiel mit ernster Würde ein: »Und vor allem nicht zu vergessen, daß wir mit unserer Ankunft auf der Turmzinne erst das Glück wieder zu den Menschen trugen. Das muß den Seelen unserer Kinder ganz besonders tief eingeprägt werden.«

Unter diesen Gesprächen war die hochedle Familie Adebar dem Teiche ganz nahe gekommen. Ein paar Grüne aus der Sippe des Pankraz hatten sich bei einem Spaziergang verspätet und trafen nun plötzlich mit ihrem Erbfeinde zusammen. Ehe sie sich ihres jähen Schreckens bewußt wurden, fühlten sie sich aufgehoben und mußten eine kurze Rutschpartie in einem langen Schachte machen. Bei ihrer Ankunft in der Tiefe hatten sie ausgelebt.

Nachdem Dagobert und Isabella noch eine Ringelnatter und einige Kröten zu sich genommen, kehrten sie in allerlei erbaulicher Unterhaltung zu ihrer Burg zurück.

Leise sank der Abend nieder.

Im Schwalbenhaus speisten Xaver und Sabine ihr einfaches Nachtmahl und sprachen dabei vom morgigen Tage und was er alles bringen würde.

»Glaubst du wohl, daß wir es schaffen?« fragte etwas besorgt Xaver.

»Aber, Mann, wer wird so kleinmütig sein?« entgegnete in zuversichtlichem Tone Sabine. »Wir tun es doch aus Liebe und da fällt nichts zu schwer.«

»Du hast recht, Binchen«, stimmte Xaver zu und blinzelte mit schläfrigen Augen nochmal über das Nest.

Da kam eben Sepp, der Weberknecht, in Eile heraufgeklettert.

»Servus!« rief er in ziemlich großem Abstand vom Schwalbenhaus, »schon gespeist?«

Xaver mußte über die Vorsicht des Kankers lachen und sprach: »Botschafter des Geheimbundes sind gefeit, auch wenn wir noch nicht gesättigt wären, lieber Sepp! Und dazu ist Burgfriede!«

»Erst von Mitternacht an!« erwiderte Sepp und blieb in der vorigen Entfernung unbeweglich auf seinem Posten. »Meine Tante Isidora sendet mich zu Euch, um Euch zu melden, daß von Glock 12 Uhr heute nacht alle Fehde zu Grabe getragen sein muß, die zwischen den Familien des Stadttores lebt!«

»Wie lange, Sepp?« fragte Sabine, die sich eben die Schlafhaube aufsetzte.

»Bis das Geheimnis enthüllt und der verborgene Schatz in den Händen unseres Turmherrn ist«, meldete Sepp in etwas leierhaftem Tone, so daß man gleich merkte, er sagte etwas Eingelerntes her.

»Hab Dank für die Botschaft!« sprach herablassend Xaver, »den Botenlohn sollst du morgen erhalten«.

»Na, zwei Beine habe ich mir bereits abgelaufen, und Mühe genug hat es mich gekostet, bis ich den Auftrag richtig im Gedächtnis behielt.«

»Wie ich hörte, hast du doch das große Bundeslied auswendig gekonnt?« fragte Xaver.

»Das war eine Kleinigkeit«, meinte Sepp, »das reimte sich klipp und klapp. Drum bat ich meine Tante, sie solle mir die letzte Botschaft auch in Versen geben, aber sie sagte: »Sepp, ein gewissenhaftes Geschöpf muß gebunden und ungebunden seine Pflicht tun. Na, verstanden habe ich's ja nicht, aber was wollte ich machen? Und nun, gute Nacht! Auf Wiedersehen morgen im Maiensonnenschein!«

»Der wird Euch aber bös auf die Augen und Nerven fallen!« sagte Xaver.

»Macht nichts«, rief leichtfertig der Kanker, »morgen ist ein Freitag für uns Turmbewohner, da müssen auch wir Nachttiere das Licht des Tages ertragen. Gute Nacht!«

Schon war der leichtfüßige Gesell verschwunden. Als er außen am Turme in die Höhe kletterte, um bei Amanda auch seinen Auftrag zu erledigen, flatterte ihm aus dem alten Schranke der Burg Hans Jakobs eine ganze Schar junger Mottenkinder entgegen. Indes aus dem Innern leise Ticktackschläge erklangen, tanzten die Motten hinaus, sich zurufend: »Zum Licht! Zum hellen Licht!«

Die zierlichen Geschöpfe trugen ihre Flügel, die mit einer zarten Farbe duftig gezeichnet waren, dachförmig. Auf den vorderen schauten dunkle Punkte aus dem gelben Grunde, während das Hintere Paar graugelb schimmerte. Alle hatten auf den Köpfchen lehmgelbes wollenes Haar. Nun waren sie im Freien und suchten im Dunkel ihre Sonne. –

In Jörgs Stube brannte die Lampe, bei deren Licht der Turmherr den neuen Bücherranzen, den Annemarie morgen zu ihrem ersten Schulgang bei ihm holen sollte, zum wiederholten Male von allen Seiten anguckte, ob er auch wirklich untadelig sei. Dann lehnte er sich in seinen Stuhl, und seine Gedanken wandelten langsam, dann immer rascher und rascher zurück, bis sie endlich bei einem schönen Maientage angekommen waren. An dem stolzierte mit keck erhobenem Kopfe ein frischer, brauner Bub, ausgerüstet mit einer riesigen Zuckertüte, auch zum ersten Male in die Schule. Und er ging allein, nicht die Mutter und nicht der Großvater durften ihn begleiten, weil's doch eine Schande für einen Buben wäre, wenn sich der nicht allein in das große Schulhaus und zum strengen Herrn Lehrer trauen würde!

Über Jörgs Gesicht flog ein kurzes Lachen, der braune Bub war er ja selbst gewesen.

Freilich, die Annemarie war ein Mädel und bei solchen darf schon der Großvater den ersten Schulgang begleiten!

Die Annemarie! Das einzige Kind seiner Großtochter! Und einer armen Witwe!

Jörgs Gedanken zogen nun in anderer Richtung, und da ging es langsam und immer langsamer. Es mußte Hindernisse und Hemmungen geben, und Steine lagen im Wege, und es schien oft dunkel, und die Augen des Alten waren wohl zu schwach, die Finsternis zu durchdringen.

»Ja, die Zukunft, wer die bauen könnte, wie man es möchte für herzgeliebte Kinder! Geld regiert die Welt, und Glück hat nicht immer, aber doch zumeist goldene Hände!«

Dabei kam der Jörg ins Sinnen und Grübeln, bis ihn zuletzt all das Denken müde machte und ihm die Augen schloß.

Nun flatterten die Mottenkinder zum offenen Fenster herein.

Sie spreizten ihre Flüglein, wie Tänzerinnen ihre Röcklein fassen, und drehten sich in einem kecken Ringelreihen um die brennende Lampe.

»Au«, schrie Suschen, die kleinste. Sie hatte sich allzusehr dem weißen Schirm genähert und sich ein Fußspitzchen verbrannt.

»Seid vorsichtig, Kinder«, rief Eva Marg, die Führerin, die Wissende und Beauftragte des Geheimbundes. »Das Lied muß einstimmig gesungen werden und mit vollem Brustton, daß es feine Wirkung nicht verfehlt! Bleibt in gemessener Entfernung von der Sonne, sonst versengt sie Euch das zarte Herz! Euren Text werdet ihr hoffentlich alle gelernt haben?«

»Kannst du alle Verse?« fragte Suschen leise die Nachbarin.

»I wo«, lachte leichtfertig Elschen, »Eva Marg singt uns doch den Satz vor, und wir müssen ihn dann zusammen wiederholen. Da denk ich nicht weiter drüber nach und spitze nur Sie Ohren, wenn das Neue kommt.«

»Hast recht«, sagte Suschen, »so mache ich's auch. Denn ich kann nur den ersten und letzten Vers.«

»Natürlich«, erwiderte kichernd Elschen, »weil sie ganz gleich sind. Kunststück!«

Nun schwirrte Eva Marg durch die Gesellschaft.

»Und jetzt Ernst, meine Damen! Alle Kraft zusammengerafft! Hans Jakob klopft den Takt von oben. Spitzt Eure Ohren, dann werdet Ihr den richtigen Einsatz finden. Horcht! Also!

›Flieg, Motte, flieg!
Der Hausfrau Kampf und Krieg!‹«

Eva Marg hatte mit lauter Stimme gesungen, und nun begannen die Motten den Text in der gleichen Melodie zu wiederholen.

Eva Marg sang:

»Die Eier legt ins warme Nest!
Die Wolle ist das Allerbest!«

Die Motten sangen dasselbe.

Die Führerin begann aufs neue:

»Dem Würmlein schmeckt sie fein und gut!
Es mästet prächtig sich die Brut.«

Kräftig wiederholten die tanzenden Motten den Reim.

Eva Marg fuhr fort:

»Und ist zu End' der feine Schmaus,
Dann fliegt die Mottenfrau heraus.«

Im tollen Wirbel tanzte die singende Gesellschaft um das Licht.

Die Führerin war zum letzten Vers gekommen:

»Flieg, Motte, flieg!
Der Hausfrau Kampf und Krieg!«

Da wachte Jörg von dem Geschwirr und dem Mottengesang auf. Angstvoll stoben sie auseinander und flatterten zum Fenster hinaus. Nur Suschen und Elschen waren vom Tanze so müde und vom Lichte so geblendet, daß sie ohnmächtig zu Boden sanken.

Jörg aber sagte laut, indem er das Fenster schloß: »Dies Mottengesindel! Immer dem Lichte nach! Bis es den Lichthunger mit dem Leben bezahlt! Aber Zeit wird's, daß ich in dem alten Speicherkasten nachschaue. Will doch mein Sterbekleid mir nicht zerfressen lassen, wäre ja ein Diebstahl an dem schmalen Erbteil meiner Annemarie.«

Lange noch las der Alte in seinem dicken Buche.

Isidora saß in ihrem Spinnenhaus und freute sich des morgigen Maientages.

Oben sagte Hans Jakob zur heimkehrenden Eva Marg: »Ihr habt gut gesungen und Takt gehalten. Dafür habe ich ein feines Verständnis. Hoffentlich habt Ihr nicht allzusehr in dem Kram gewütet!«

»Nicht mehr als nötig, um unseren Hunger zu stillen«, entschuldigte sich Eva Marg, »wir wollen noch zu Annemaries Häuslein fliegen und auch dort unser Lied singen, 's wird für alle Fälle gut sein; doppelt genäht, hält besser!«

Auf der Turmzinne trennten sich Till und Ludmilla mit dem bedeutungsvollen Gruße: »Auf morgen! Glückauf!«

Eine helle Mondnacht schaute auf das alte Stadttor herab.


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