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Drittes Buch.
Thalia

Drittes Buch

1. Gegen diesen Amasis zog Kambyses, der Sohn des Kyros, mit seinen Untertanen, und namentlich mit den hellenischen, Ioniern und Äoliern, aus folgender Ursache in den Krieg: Kambyses hatte einen Herold nach Ägypten geschickt und den Amasis um seine Tochter gebeten, und zwar auf den Rat eines Ägypters, der dies tat, weil er auf Amasis einen Groll hatte, der unter allen ägyptischen Ärzten gerade ihn von Weib und Kind gerissen und nach Persien ausgeliefert hatte, als Kyros zu Amasis schickte und um den besten Augenarzt bat, der in Ägypten sei. Aus solchem Groll trieb nun der Ägypter den Kambyses mit beständigem Zuraten dahin, daß er den Amasis um seine Tochter ersuchte. Er dachte, wenn er sie hergebe, werde ihm das Kummer machen; wenn er sie aber nicht hergebe, müsse er sich den Kambyses zum Feinde machen. Amasis selbst war ärgerlich über die Macht der Perser und fürchtete sie, konnte sich nicht zum Hergeben und nicht zum Weigern entschließen, weil er wohl wußte, daß sie Kambyses nicht zu seiner Frau, sondern zum Kebsweibe nehmen werde. Infolge dieser Erwägung machte er's also: Es war vom vorigen König Apries eine gar große und wohlgebildete Tochter als die Letzte ihres Hauses übrig, mit Namen Nitetis. Diese Jungfrau sandte Amasis, mit Kleidern und Gold ausgeschmückt, an den Perser, als ob sie seine Tochter wäre. Doch als er sie nach einiger Zeit grüßte und bei des Vaters Namen nannte, sprach die Jungfrau zu ihm: »König, du bist, ohne es zu wissen, von Amasis betrogen, indem er mich mit Schmuck ausgestattet, dir zugesandt und mich für seine Tochter ausgegeben hat, während ich in Wahrheit die des Apries bin, seines ehemaligen Herrn, gegen den er sich mit den Ägyptern empört und ihn ermordet hat.« Ebendies Wort und diese Ursache trieben den Kambyses, den Sohn des Kyros, in großem Zorn gegen Ägypten. Das sagen die Perser.

2. Aber die Ägypter wollen sich den Kambyses aneignen, indem sie behaupten, er sei ein Sohn von ebendieser Tochter des Apries. Kyros nämlich sei's, der zu Amasis um seine Tochter geschickt habe, und nicht Kambyses. Was sie aber da sagen, ist unwahr. Auch ist ihnen mitnichten verborgen (da sie die persischen Gebräuche so gut kennen wie irgendwer), daß erstlich nach dortigem Brauch kein Bastard König wird, solange noch ein echter Sohn da ist, und weiterhin, daß Kambyses ein Sohn der Kassandane war, der Tochter des Pharnaspes, eines Achämeniden, und nicht ein Sohn der Ägypterin. Aber sie verdrehen die Geschichte, weil sie mit dem Hause des Kyros verwandt sein wollen. So verhält sich's hiermit.

3. Noch hört man auch eine Geschichte, die mir nicht glaubhaft erscheint. Es habe eine persische Frau die Frauen des Kyros besucht und beim Anblick der wohlgebildeten und großen Kinder, die neben der Kassandane standen, in vielem Lob ihre große Bewunderung geäußert. Darauf sprach Kassandane, die Frau des Kyros: »Und ich, die Mutter solcher Kinder, werde doch keineswegs von Kyros geehrt, sondern die Ägypterin, die er sich geholt hat, die hält er in Ehren.« Als sie aus Ärger über die Nitetis also sprach, habe Kambyses, der ältere ihrer Söhne, gesprochen: »So will ich denn auch, Mutter, wenn ich erst Mann bin, in Ägypten das Oberste zuunterst und das Unterste zuoberst kehren.« So habe er, ungefähr zehn Jahre alt, zur Verwunderung der Frauen gesprochen. Es sei ihm aber auch im Gedächtnis geblieben, und er habe wirklich, als er zum Manne gereift und zum Königtum gelangt war, den Feldzug gegen Ägypten unternommen.

4. Dann ereignete sich bei Gelegenheit dieses Kriegszuges auch noch folgender Fall. Unter den Hilfsvölkern des Amasis war ein geborner Halikarnassier, mit Namen Phanes, so gewandt im Rate wie tapfer im Kriege. Dieser Phanes, der dem Amasis aus irgendeinem Grunde gram war, entrann zu Schiff aus Ägypten, in der Absicht, mit Kambyses zu sprechen. Da er nun in großem Ansehen unter den Hilfsvölkern stand, auch die genaueste Kenntnis von Ägypten hatte, so setzte ihm Amasis nach, und es war ihm darum zu tun, ihn zu bekommen. Er setzte ihm also durch seinen vertrautesten Verschnittenen nach, den er auf einem Dreiruderer hinter ihm herschickte. Dieser bekam ihn wirklich in Lyzien, brachte ihn aber dennoch nicht nach Ägypten zurück, weil Phanes ihn überlistete, indem er seine Wächter betrunken machte und zu den Persern entwich. Eben wollte Kambyses zum Feldzug nach Ägypten aufbrechen, war aber noch wegen seines Zuges in Verlegenheit, da er nicht wußte, wie er durch die wasserlose Wüste kommen solle, als jener dazukam und ihm nicht nur alle Umstände des Amasis verriet, sondern ihm auch angab, wie er ziehen müßte, indem er ihm nämlich riet, den König der Araber durch Gesandte zu ersuchen, daß er ihm sichern Durchzug verstatte.

5. Denn dort allein sind rechte Eingangspässe nach Ägypten. Von Phönizien an nämlich bis zu den Grenzen der Stadt Kadytis gehört das Land den sogenannten palästinischen Syriern; von Kadytis an, einer Stadt, die meines Dafürhaltens nicht viel kleiner als Sardes ist, gehören die Häfen am Meer bis zur Stadt Jenysos dem König der Araber; von Jenysos an geht wieder das Syrische bis zum serbonischen See, bei dem sich das kasische Gebirge ans Meer zieht, und vom serbonischen See, in dem nach der Sage Typhon verborgen liegt, fängt schon Ägypten an. Zwischen der Stadt Jenysos und dem kasischen Gebirge und dem serbonischen See, eine nicht geringe Strecke, ja immerhin ein Weg von drei Tagen, herrscht große Wasserarmut.

[Anmerkung:] 5. Typhon: Ein Erdriese mit hundert Drachenhäuptern, der Zeus die Herrschaft zu entreißen suchte, aber von ihm in den Ätna hinabgeschleudert wurde. Als die Griechen ihn dem ägyptischen Wüstengotte Seth, dem Mörder des Osiris, gleichsetzten, suchten sie die Erdtiefe, in die er hinabgestürzt worden sei, im serbonischen See.

 

6. Nun will ich etwas erwähnen, das wenige von denen, die nach Ägypten fahren, beachtet haben. Es werden aus Hellas überallher, dazu auch aus Phönizien, alljährlich zweimal irdene Krüge, mit Wein gefüllt, nach Ägypten eingeführt, und doch bekommt man sozusagen auch nicht einen leeren Weinkrug dort zu sehen. Wo kommt denn aber, wird man fragen, alles das hin? Das will ich angeben. Jeder Ortsvorsteher muß alle Krüge aus seiner Stadt zusammenbringen und nach Memphis liefern; in Memphis aber müssen sie mit Wasser angefüllt und dann in ebenjene wasserlose Wüste Syriens geschafft werden. So wird, was je von Krügen nach Ägypten geht und dort geleert wird, zu den alten hin nach Syrien geschafft.

7. Dieser Eingang nach Ägypten ist auf die besagte Art mit Wasservorräten von den Persern versehen worden, sobald dieselben Ägypten eingenommen hatten. Da nun aber damals noch kein Wasser in Bereitschaft stand, so schickte Kambyses, unterrichtet von dem Fremden aus Halikarnassos, Gesandte an den Araber und erhielt die nachgesuchte Sicherheit, wobei sie miteinander einen Vertrag eingingen.

8. Die Araber gehören zu denen, die ihre Verträge am meisten heilig halten. Sie machen dieselben auf folgende Weise: Wollen zwei einen Vertrag schließen, so macht ihnen ein dritter, der zwischen den beiden steht, mit einem scharfen Stein einen Einschnitt in die innere Hand am Daumen, nimmt alsdann aus dem Gewand eines jeden eine Faser und bestreicht mit ihrem Blute sieben Steine, die zwischen ihnen liegen, wobei er den Dionysos und die Urania anruft. Wenn dieser das vollzogen hat, so empfiehlt der, welcher den Vertrag eingeht, seinen Freunden den Fremdling oder den Bürger, falls solcher mit einem Bürger eingegangen wird, und dann gilt auch den Freunden selbst der Vertrag für heilig. Den Dionysos halten sie für den einzigen Gott nebst der Urania und scheren ihr Haar, wie sie behaupten, nach derselben Schur, wie sie Dionysos hat, nämlich in einem Kranz bis zu den Schläfen herauf. Und den Dionysos nennen sie Orotal, die Urania Alilat.

[Anmerkung:] 8. Der dem Dionysos gleichgesetzte Orotal ist Fruchtbarkeitsgott und Sonnengott, Alilat die Mondgöttin.

 

9. Nachdem nun der Araber mit den Gesandten, die von Kambyses gekommen waren, den Vertrag geschlossen hatte, traf er folgende Anstalt: Er füllte Kamelschläuche mit Wasser und belud damit alle seine lebendigen Kamele, worauf er in die wasserlose Wüste zog und dort das Heer des Kambyses erwartete. Und das wäre die glaubwürdigere Sage; nun muß ich aber auch die minder glaubwürdige, da sie einmal vorhanden ist, erzählen. Es ist ein großer Fluß in Arabien, mit Namen Korys, welcher sich in das sogenannte Rote Meer ergießt. Nun soll der König der Araber aus Rinderfellen und sonstigen Häuten eine Rinne zusammengenäht haben, die von ebendiesem Fluß bis in die Wüste reichte, und durch dieselbe das Wasser geleitet, in der Wüste selbst aber große Behälter gegraben haben, um das Wasser aufzunehmen und zu erhalten. Es ist aber ein Weg von zwölf Tagen von dem Fluß in diese Wüste, und er soll das Wasser durch drei Rinnen an dreierlei Orte geleitet haben.

10. An der sogenannten pelusischen Mündung des Nils hatte Psammenitos, der Sohn des Amasis, sein Lager aufgeschlagen und erwartete Kambyses. Denn den Amasis traf Kambyses bei seinem Zuge wider Ägypten nicht mehr am Leben, sondern König Amasis starb nach einer Herrschaft von vierundzwanzig Jahren, in denen ihm nie ein sonderliches Mißgeschick begegnet war. Nach seinem Tode ward er einbalsamiert und in der Gruft im Heiligtum bestattet, die er sich selbst erbaut hatte. Aber unter dem König der Ägypter, Psammenitos, dem Sohne des Amasis, kam in Ägypten die ganz sonderbare Erscheinung vor, daß es im ägyptischen Theben regnete, das niemals, weder vorher noch nachher bis auf meine Zeit, beregnet worden ist, wie die Thebaner selbst sagen. Denn in Oberägypten regnet es überhaupt gar nicht; damals aber wurde Theben mit feinem Staubregen benetzt.

11. Nachdem die Perser die Wüste durchzogen hatten und den Ägyptern nahe genug zum Treffen standen, stellten die Hilfsvölker der Ägypter, Hellenen und Karer, aus Groll gegen Phanes, der ein fremdes Heer wider Ägypten führte, folgendes ihm zuleide an: Phanes hatte Söhne in Ägypten zurückgelassen. Diese führten sie ins Lager und ihrem Vater vor die Augen, stellten dann einen Mischkrug zwischen beide Lager, führten einen Knaben nach dem andern vor und schlachteten ihn über dem Mischkrug. Als sie mit allen Knaben fertig waren, taten sie Wein und Wasser hinein, und nun tranken alle Hilfsvölker von dem Blut; dann gingen sie ins Treffen. Es kam zu einer hitzigen Schlacht, in der sehr viele von beiden Kriegsheeren fielen: die Ägypter wurden geschlagen.

12. Dort sah ich auch ein großes Wunder, womit mich die Eingeborenen bekannt machten. Bei den Gebeinen nämlich, die von den in der Schlacht Gefallenen beiderseits besonders aufgeschüttet sind (denn die Gebeine der Perser liegen für sich, wie sie gleich damals gesondert wurden, und auf der andern Seite die der Ägypter), sind die Köpfe der Perser so schwach, daß einer bloß mit einem Steinchen zu werfen braucht, um sie zu durchlöchern, dagegen die der Ägypter so stark, daß man sie kaum mit einem Stein zerschlagen kann. Davon, sagten sie, sei die Ursache (was mir auch nicht schwer wurde zu glauben) daß die Ägypter gleich von Kindheit an ihre Köpfe bescheren, da denn der Schädel an der Sonne fester wird. Ebendas ist auch die Ursache, daß es keine Kahlköpfe gibt. Denn bei den Ägyptern bekommt einer unter allen Menschen die wenigsten Kahlköpfe zu sehen. Das ist also bei diesen die Ursache, daß sie starke Köpfe haben, während bei den Persern die Schwäche der Köpfe darin ihre Ursache hat, daß sie von Anfang an durch die hohen Filzhüte, die sie tragen, die Sonne fernhalten. Daß aber diese Schädel so sind, habe ich gesehen, und habe auch in Papremis wieder solche gesehen von denen, die mit Achämenes, dem Sohne des Dareios, durch Inaros, den Libyer, erschlagen worden sind.

[Anmerkung:] 12. Der libysche Fürst Inaros empörte sich 463 v. Chr. gegen die Perser. Achämenes schlug ihn 462, fand aber dabei selbst den Tod. 456 wurde Inaros gefangengenommen und hingerichtet.

 

13. Die geschlagenen Ägypter flohen aus der Schlacht ohne Ordnung. Als sie nun nach Memphis hineingedrängt waren, sandte Kambyses den Fluß hinauf ein mytilenisches Schiff mit einem Herold, einem Perser, und forderte die Ägypter auf, sich mit ihm zu verständigen. Als diese das Schiff nach Memphis hereinkommen sahen, stürzten sie haufenweis aus den Mauern und zerstörten das Schiff, rissen die Mannschaft in Stücke und trugen sie so in ihre Mauern hinein. Hierauf wurden die Ägypter belagert, bis sie sich endlich ergaben. Die angrenzenden Libyer fürchteten, daß es ihnen ergehen werde wie den Ägyptern. Daher ergaben sie sich ohne Schwertstreich, setzten selbst für sich eine Abgabe fest und sandten Geschenke. Auch die Kyrenaier und Barkaier machten es ebenso, aus derselben Furcht wie die Libyer. Kambyses nahm die Geschenke von den Libyern freundlich an; hingegen mit den kyrenaiischen war er unzufrieden, wie mir vorkommt, weil sie zu gering waren. Was nämlich die Kyrenaier schickten, waren fünfhundert Minen Silber; diese nahm Kambyses in die Hand und warf sie eigenhändig unter seinem Kriegsvolk aus.

14. Aber am zehnten Tage, nachdem Kambyses die Burg von Memphis eingenommen hatte, ließ er den König der Ägypter, Psammenitos, der sechs Monate König gewesen war, zum Schimpf in die Vorstadt setzen, nebst andern Ägyptern, und versuchte sein Gemüt folgendermaßen.

Er schickte die Tochter desselben, gekleidet in Sklaventracht, hinaus nach Wasser, mit einem Wasserkruge, und mit ihr noch andere Jungfrauen, die er von den ersten Männern auserlesen hatte, in gleicher Tracht wie die Königstochter. Als nun die Jungfrauen mit Geschrei und Weinen an ihren Vätern vorbeikamen, schrien alle Väter laut und weinten mit, da sie ihre Kinder in solchem Elend erblickten; Psammenitos aber schaute hin, sah es wohl und wandte den Blick zur Erde. Als die Wasserträgerinnen vorübergegangen waren, schickte er zum zweiten ihm seinen Sohn hinaus, mit zweitausend andern Ägyptern, desselben Alters, alle mit Stricken um den Hals und mit Zäumen im Munde. Diese wurden hinausgeführt zur Buße für die Mytilenaier, die zu Memphis mit ihrem Schiff umgekommen waren. Denn so hatten die königlichen Richter gerichtet, daß für jeden Mann zehn von den vornehmsten Ägyptern umkommen müßten. Psammenitos aber sah sie vorübergehen, sah auch wohl, daß sein Sohn zum Tode geführt werde, und während alle die um ihn sitzenden Ägypter weinten und sich's sehr zu Herzen nahmen, machte er's ebenso wie bei seiner Tochter. Als auch diese vorübergegangen waren, traf sich's, daß einer von seinen Tischfreunden, ein ältlicher Mann, der um das Seine gekommen und nichts anderes als ein Bettler war, die Soldaten um Almosen bat und an Psammenitos, dem Sohne des Amasis, und jenen Ägyptern vorbeikam, die in der Vorstadt saßen. Wie Psammenitos den sah, weinte er heftig, rief den Freund bei Namen und schlug sein Haupt.

Nun hatte er aber seine Wächter, die sein ganzes Benehmen bei jedem Zuge dem Kambyses anzeigten. Kambyses wunderte sich über dieses Benehmen, sandte einen Boten zu ihm und ließ ihn fragen: »Kambyses, der Gebieter, fragt dich, Psammenitos, warum du deine Tochter in solchem Elend und deinen Sohn auf dem Weg zum Tode gesehen hast, ohne zu schreien oder zu weinen, den Bettler aber, der doch – wie er sich sagen ließ – gar nicht mit dir verwandt ist, so hochgeachtet hast.« Das war seine Frage, und darauf antwortete jener: »Sohn des Kyros, mein häusliches Unglück war zu groß zum Weinen; aber das Elend eines Freundes ist der Tränen wert, der um all seinen Wohlstand und an den Bettelstab gekommen ist an der Schwelle des Alters.« Da ihm dies also hinterbracht wurde, dünkte es ihm wohlgesprochen. Wie man von den Ägyptern hört, weinte Kroisos, der auch dem Kambyses nach Ägypten gefolgt war, es weinten auch die anwesenden Perser, und Kambyses selbst wandelte Mitleid an, so daß er gleich befahl, seinen Sohn unter denen, die sterben sollten, zu retten und ihn selbst aus der Vorstadt zu ihm herzuführen.

15. Den Sohn fanden jedoch die nachgeschickten Leute nicht mehr am Leben: er war zuerst hingerichtet worden. Aber den Psammenitos selbst holten sie zu Kambyses, bei dem er fortan lebte und über nichts zu klagen hatte. Hätte er's nur verstanden, ruhig zu bleiben, er würde Ägypten zur Verwaltung erhalten haben. So pflegen die Perser wirklich die Söhne der Könige in Ehren zu halten: wenn diese von ihnen abgefallen sind, geben sie doch ihren Söhnen die Herrschaft wieder. Es läßt sich aus vielem abnehmen, daß sie dieses im Brauch haben, namentlich aber daraus, daß der Sohn des Libyers Inaros, Thannyras, die Herrschaft wiederbekam, die sein Vater hatte, und so auch der Sohn des Amyrtaios, Pausiris, seine väterliche Herrschaft wiederbekam, unerachtet niemand den Persern mehr Böses getan hat als Inaros und Amyrtaios. So aber, da Psammenitos böse Anschläge machte, bekam er seinen Lohn, indem er bei der Aufwieglung der Ägypter ergriffen wurde. Wie nämlich dieses von ihm bekannt wurde, mußte er, auf Kambyses' Befehl, Stierblut trinken und starb auf der Stelle. So endete dieser.

[Anmerkung:] 15. Die Hinrichtung durch das Trinken von Stierblut wird im Altertum öfter erwähnt. Da frisches Stierblut vollkommen unschädlich ist, muß es sich um zersetztes oder um vergiftetes handeln.

 

16. Kambyses aber ging von Memphis nach der Stadt Saïs, um das zu tun, was er dort wirklich tat. Sowie er nämlich in den Palast des Amasis kam, gebot er sogleich, den Leichnam des Amasis aus seinem Grab herauszuschaffen; als man dies vollzogen hatte, gebot er, ihn zu geißeln, die Haare ihm auszuraufen, ihn zu stechen und sonst alle mögliche Schmach ihm anzutun. Als sie sich dabei müde gearbeitet hatten, weil der Tote, da er einbalsamiert war, widerstand und nicht zerfiel, gebot Kambyses, ihn zu verbrennen, was ein sündhafter Befehl war. Denn die Perser halten das Feuer für einen Gott. Überhaupt ist das Verbrennen der Toten bei beiden durchaus nicht Brauch: bei den Persern nämlich aus dem angeführten Grunde, weil man einem Gotte den Leichnam eines Menschen nicht darbringen dürfe, und bei den Ägyptern gilt das Feuer für ein lebendiges Tier: dasselbe verzehre alles, was es bekomme, und wenn dasselbe voll sei von seinem Fraße, sterbe es mitsamt dem Verzehrten. Nun ist es aber bei ihnen keineswegs Brauch, den Toten einem Tiere zu geben, sondern sie balsamieren ihn gerade deshalb ein, damit er nicht im Grabe von Würmern gefressen werde. So war es also wider die Gebräuche beider, was Kambyses befahl. Wie indessen die Ägypter sagen, geschah dieses nicht mit Amasis, sondern mit einem andern Ägypter, der von gleichem Alter war wie Amasis. Ihm taten die Perser Schmach an, in der Meinung, sie dem Amasis anzutun. Sie sagen nämlich, Amasis habe durch Weissagung erfahren, was über ihn nach seinem Tode ergehen solle, und sodann zur Verhütung des Drohenden einen Menschen, der damals starb, ebenjenen, der gegeißelt wurde, in seiner Gruft vorn an der Türe begraben lassen, dagegen seinem Sohne befohlen, ihn selbst ganz hinten in den Winkel der Gruft zu legen. Jedoch von diesem Befehl des Amasis, sein Begräbnis und jenen Menschen anlangend, glaube ich, daß es nicht wirklich so herging, sondern daß die Ägypter die Sache beschönigen.

17. Darauf nahm sich Kambyses drei Feldzüge vor: gegen die Karthager, gegen die Ammonier und gegen die langlebenden Äthiopier, die Libyen nach dem südlichen Meere zu bewohnen. Er beschloß, gegen die Karthager sein Schiffsheer auszusenden, gegen die Ammonier einen Teil vom Fußvolk, gegen die Äthiopier aber vorerst Kundschafter, einmal um nach dem angeblichen Sonnentisch der Äthiopier zu sehen, ob wirklich ein solcher dort sei, und dann überhaupt, um alles auszuspähen, angeblich jedoch nur, um dem Könige derselben Geschenke zu bringen.

[Anmerkung:] 17. Der Sonnentisch gehört zum Kult des Sonnengottes, der zugleich Fruchtbarkeitsgott ist. Das Sonnenmahl ist eine symbolische Handlung. Die Erzählung vom bewußten Betrug durch Obrigkeiten und Priester ist typisch für den Rationalismus, dem Herodot bisweilen nachgibt, während er ihn an anderen Stellen ablehnt.

 

18. Mit dem Sonnentisch soll es nämlich diese Bewandtnis haben. Es ist eine Wiese in der Vorstadt, voll gekochten Fleisches von allen vierfüßigen Tieren. Dort soll bei Nacht das Fleisch von den jeweiligen Stadtbeamten verstohlen hingelegt werden, und bei Tag darf, wer will, herkommen und speisen; die Eingeborenen aber sollen behaupten, die Erde lasse das immer wieder hervorkommen. Diese Bewandtnis soll es mit dem sogenannten Sonnentisch haben.

19. Da nun Kambyses beschlossen hatte, die Kundschafter auszuschicken, ließ er sogleich aus der Stadt Elephantine von den Fischessern die holen, welche die äthiopische Sprache verstanden. Während man nach diesen ging, gab er dem Schiffsheer den Befehl, gegen Karthago auszufahren. Aber die Phönizier erklärten, das nicht tun zu wollen, da sie durch teure Eide gebunden seien und auch nicht recht daran tun würden, gegen ihre eigenen Kinder in den Krieg zu ziehen. Da nun die Phönizier nicht wollten, so waren die übrigen nicht kampffähig. So entkamen die Karthager der Knechtschaft der Perser. Denn Gewalt erlaubte sich Kambyses gegen die Phönizier nicht, weil sie sich freiwillig den Persern ergeben hatten und die ganze Seemacht von den Phöniziern abhing. Auch die Zyprier waren mit freiwilliger Übergabe an die Perser gegen Ägypten gezogen.

20. Als die Fischesser aus Elephantine ankamen, sandte sie Kambyses zu den Äthiopiern mit dem Befehl, was sie sagen sollten, und mit Geschenken: einem Purpurgewand, einer goldenen Halskette, Armbändern, einem Salbenbüchschen und einem Faß Palmwein. Diese Äthiopier, zu denen Kambyses sandte, sollen, wie man sagt, die größten und schönsten unter allen Menschen und in ihren Bräuchen überhaupt von den andern Menschen ganz verschieden sein, namentlich aber in der Art, wie sie ihre Könige wählen. Wen sie nämlich im Volk für den Größten und auch nach Maß der Größe für stark erachten, dem erkennen sie das Königtum zu.

21. Als die Fischesser zu diesen Leuten kamen, übergaben sie die Geschenke dem König derselben und sagten: »Kambyses, der König der Perser, der dein Freund und Gastverwandter zu werden beabsichtigt, hat uns abgesandt und will, daß wir mit dir reden; auch gibt er dir diese Geschenke, deren er selbst sich mit Vorliebe bedient.« Der Äthiopier aber, der merkte, daß sie als Kundschafter kämen, sprach zu ihnen: »Nein, der Perserkönig hat euch mit den Geschenken nicht gesandt, weil er meine Gastfreundschaft so hoch anschlägt, und ihr redet die Wahrheit nicht: denn ihr kommt als Kundschafter in mein Reich. Auch ist er kein rechtschaffener Mann. Denn wäre er rechtschaffen, so hätte er nicht nach anderem Lande als dem seinigen sich gelüsten lassen und nicht Menschen in Knechtschaft gebracht, die ihn mit nichts beleidigt haben. Nun aber gebt ihm diesen Bogen und sprecht dazu: ›Der König der Äthiopier rät dem Perserkönig, wenn einmal die Perser so leicht die Bogen von solcher Größe spannen, alsdann gegen die langlebenden Äthiopier mit Überzahl ins Feld zu ziehen; bis dahin aber den Göttern Dank zu wissen, daß sie den Kindern der Äthiopier nicht in den Sinn geben, fremdes Land zu ihrem eigenen zu erobern.‹«

22. Nach diesen Worten spannte er den Bogen ab und übergab ihn den Boten. Dann nahm er das Purpurgewand und fragte, was das sei, und wie es angefertigt worden sei. Als ihm die Fischesser die Wahrheit vom Purpur und von der Färbung angaben, sagte er, trüglich seien die Menschen, trüglich auch ihre Kleider. Zweitens fragte er nach der goldenen Halskette und den Armbändern. Als ihm die Fischesser ihren Gebrauch zum Schmuck erklärten, sprach er mit Lachen, da er sie für Fesseln ansah: »Wir haben stärkere Fesseln als diese.« Drittens fragte er nach dem Salböl. Als sie von der Bereitung und Salbung redeten, urteilte er darüber wie über das Gewand. Da er nun an den Wein kam und sich seine Zubereitung sagen ließ, da tat er, voll Wohlgefallen an dem Trank, die Frage, was denn des Königs Speise sei, und wie lange zum höchsten ein Perser lebe. Sie sagten, seine Speise sei Brot, erklärten ihm die Natur des Weizens und versicherten ihm, achtzig Jahre seien zum höchsten das volle Maß für ein Menschenleben. Darauf erwiderte der Äthiopier, ihn wundere es nicht, daß sie nur so wenige Jahre lebten, da sie Kot speisten; ja sie würden nicht einmal so lange leben können, wenn sie nicht an dem Trank sich erholten, wobei er vor den Fischessern auf den Wein deutete; denn in dem Stücke seien sie schwächer als die Perser.

23. Als darauf die Fischesser den König ihrerseits über Leben und Lebensweise befragten, hieß es, auf hundertundzwanzig Jahre brächten es die meisten von ihnen, einige aber auch drüber; ihre Speise sei gekochtes Fleisch, ihr Trank Milch. Auf die Verwunderung der Kundschafter über jene Zahl von Jahren soll er sie zu einer Quelle geführt haben, in der sie sich wuschen und einen neuen Glanz bekamen, als wenn's Öl wäre; davon gehe ein Duft aus wie von Veilchen. Das Wasser dieser Quelle sei so leicht, sagten die Kundschafter, daß da nichts obenauf schwimmen könne, weder Holz, noch was leichter ist als Holz, sondern das sinke alles zugrunde. Wenn nun das Wasser wirklich so ist, wie man sagt, so kommt es wohl davon her, daß sie so langlebige Leute sind, indem sie sich desselben durchweg bedienen. – Von der Quelle weg seien sie auch in das dortige Gefängnis geführt worden, wo die Ketten eines jeden Gefangenen von Gold seien. Das Erz ist bei diesen Äthiopiern am allerseltensten und allerteuersten. Nach Beschauung des Gefängnisses beschauten sie auch den sogenannten Sonnentisch.

24. Hierauf beschauten sie zuletzt ihre Sarkophage, die aus Kristall folgendermaßen angefertigt werden sollen: Wenn sie den Leichnam ausgetrocknet haben, sei es nun nach Art der Ägypter oder irgendwie anders, überziehen sie ihn ganz mit Gips, malen ihn alsdann schön an und geben ihm so sehr wie möglich das alte Aussehen. Darauf stellen sie ihn in eine hohle Säule hinein, die aus Kristall gemacht ist, der bei ihnen von bester Art in Menge gegraben wird. Der Leichnam ist nun rundum durch die Säule sichtbar, ohne einen unangenehmen Geruch zu verursachen, noch sonst irgend etwas Mißfälliges, und alles ist sichtbar, wie unmittelbar an der Leiche. Diese Säule haben ein Jahr lang die nächsten Angehörigen in ihrem Hause, geben ihr die Erstlinge von allem und bringen ihr Opfer dar. Dann tragen sie sie hinaus und stellen sie vor der Stadt auf.

25. Nach Beschauung alles dessen kehrten die Kundschafter wieder um. Sobald sie es berichteten, geriet Kambyses in Zorn und zog gegen die Äthiopier zu Felde, ohne eine Ausrüstung mit Speisevorrat zu befehlen oder sich zu überlegen, daß sein Feldzug an die Enden der Erde gehen solle; sondern er zog, rasend, wie er war, und nicht recht bei Verstande, gleich nach Anhörung der Fischesser mit seinem ganzen Landheer aus. Nur die Hellenen, die da waren, wies er an, dort zu bleiben. Als er nun auf seinem Zuge nach Theben kam, sonderte er vom Heere fünfzigtausend Mann aus und gab diesen auf, die Ammonier zu Sklaven zu machen und das Orakel des Zeus zu verbrennen; er selbst aber führte das übrige Heer wider die Äthiopier. Ehe nun der Heereszug den fünften Teil des Weges zurückgelegt hatte, war ihnen schon alles, was sie an Speisevorrat hatten, ausgegangen, und nach dem Vorrat ging ihnen auch das Zugvieh aus, das sie verzehrten. Hätte nun Kambyses dies eingesehen und sich eines andern besonnen und sein Heer wieder zurückgeführt, so wäre er trotz dem Fehler, den er anfangs gemacht hatte, ein kluger Mann gewesen; so aber nahm er keine Rücksicht und ging immer vorwärts. Die Soldaten fristeten erst, solange sie noch etwas in der Erde fanden, ihr Leben mit Grasessen; als sie in die Sandwüste kamen, da begingen ihrer etliche die arge Tat, daß sie aus zehn Mann einen Kameraden auslosten und ihn aufaßen. Wie das Kambyses erfuhr, ward ihm bang vor dem Aufessen untereinander, und so gab er die Unternehmung gegen Äthiopien auf und begab sich auf den Rückweg. So kam er, nachdem er einen großen Teil seines Heeres verloren hatte, wieder in Theben an. Von Theben ging er nach Memphis hinunter und entließ dort die Hellenen zur Heimfahrt. Dieses Schicksal hatte die Unternehmung gegen die Äthiopier.

26. Von den andern aber, die gegen die Ammonier ins Feld geschickt wurden, ist so viel offenkundig, daß sie von Theben mit Führern ausgezogen und bis nach der Stadt Oasis gekommen sind, die von Samiern, wie man sagt, aus dem aischrionischen Stamme bewohnt ist. Diese sind von Theben durch eine Sandstrecke, sieben Tagereisen lang, getrennt, und der Name ihrer Landschaft ist, nach unserer Sprache, »Insel der Seligen«. Bis zu dieser Landschaft also, sagt man, ist das Heer gekommen; aber des weitern vermag (die Ammonier allein ausgenommen, oder wer es von diesen gehört hat) kein Mensch etwas von ihnen zu sagen. Denn zu den Ammoniern kamen sie nicht und kehrten auch nicht wieder heim. Von den Ammoniern selbst aber hört man, daß jenen auf dem Zuge wider sie von Oasis durch den Sand und so ziemlich in der Mitte zwischen ihnen und Oasis, plötzlich, während sie das Frühmahl nahmen, ein unmäßig starker Wind aus Süden entgegengeblasen und sie unter den Sanddünen, die er herantrieb, begraben habe, und so seien sie verschwunden. So, sagen die Ammonier, sei es mit diesem Heere gegangen.

[Anmerkung:] 26. Als Insel der Seligen bezeichneten die Samier die Oase im Gegensatze zur umgebenden Wüste. Die Inseln der Seligen waren der Ort, in den die frömmsten Menschen nach dem Tode gelangten. Da das ganze Totenreich im Westen gesucht wurde, sah man später die Kanarischen Inseln als die Inseln der Seligen an.

 

27. Als Kambyses in Memphis angekommen war, erschien den Ägyptern der Apis, den die Hellenen Epaphos nennen. Bei dessen Erscheinung trugen die Ägypter sogleich ihre schönsten Kleider, und überall waren Festlichkeiten. Wie nun Kambyses die Ägypter das tun sah, traute er ihnen nichts anderes zu, als daß sie wegen seines Unglücks diese Lustbarkeiten anstellten, berief die Vorsteher von Memphis und richtete, als sie vor ihn traten, die Frage an sie, warum denn früher bei seinem Aufenthalt in Memphis die Ägypter nichts der Art getan, sondern gerade jetzt, da er nach dem Verlust eines großen Teiles seines Heeres wieder bei ihnen sei. Sie erklärten, ihr Gott sei erschienen, der nur nach langer Zeit wieder zu erscheinen pflege, und wenn er einmal erscheine, dann feierten alle Ägypter ein Freudenfest. Darauf erklärte Kambyses, sie lögen, und bestrafte sie als Lügner mit dem Tode.

[Anmerkung:] 27. Der Apis war dem Lichtgotte Ptah heilig, mit dem dann der Fruchtbarkeitsgott Osiris verschmolzen wurde. Die Seele des Osiris lebte im Apis. In spätägyptischer Zeit wurde der Kultus des Osiris-Apis, ägyptisch Osar-Hape, als Sarapiskult der verbreitetste Geheimdienst. Den Epaphos gebiert Io, als sie aus der Kuhgestalt wieder in die menschliche zurückverwandelt worden ist, in Ägypten. Die Gleichsetzung des Apis und des Epaphos vollzog sich leicht, weil beide von einer Kuh stammten.

 

28. Nachdem er diese umgebracht hatte, rief er zweitens die Priester vor sich; da auch die Priester ein Gleiches antworteten, sagte er, das solle ihm nicht verborgen bleiben, ob ein zahmer Gott zu den Ägyptern gekommen sei. Nach dieser Rede hieß er die Priester den Apis herbeiholen, und sie gingen, um ihn zu holen. Dieser Apis nun oder Epaphos ist ein Kalb von einer Kuh, die nicht mehr in den Fall kommen kann, noch eine Leibesfrucht zu bekommen. Die Ägypter sagen, ein Strahl vom Himmel falle auf die Kuh, und davon gebäre sie den Apis. Es hat aber dieses Kalb, der sogenannte Apis, folgende Abzeichen: er ist schwarz und trägt auf der Stirn ein weißes Viereck, auf dem Rücken das Abbild eines Adlers, am Schweif zweierlei Haare und unter der Zunge einen Käfer.

29. Als nun die Priester den Apis brachten, zog Kambyses, halbtoll, wie er war, seinen Dolch, wollte ihn dem Apis in den Bauch stoßen und traf ihn am Schenkel. Darauf lachte er und sprach zu den Priestern: »O ihr Elenden, das sollen also Götter sein, die Fleisch und Blut haben und das Eisen spüren? Ja, solch ein Gott ist der Ägypter würdig. Aber doch soll es euch nicht wohl bekommen, daß ihr mich verhöhnt habt!« Nach diesen Worten befahl er denen, die solches Amt haben, die Priester durchzupeitschen und jeden Ägypter, den sie über der Festfeier beträfen, zu töten. Das Fest der Ägypter mußte aufgehoben werden, die Priester mußten büßen, und der Apis starb von dem Stich in den Schenkel, auf den Boden des Tempels hingestreckt. Sofort nach seinem Tod an dieser Wunde begruben ihn die Priester hinter dem Rücken des Kambyses.

30. Kambyses aber ward, wie die Ägypter sagen, wegen dieses Frevels alsobald rasend, da er schon vorher nicht recht bei Verstande war. Die erste seiner Übeltaten verübte er an seinem Bruder Smerdis, seinem leiblichen Bruder von Vater und Mutter, den er aus Ägypten nach Persien aus Neid zurückgeschickt hatte, weil er allein unter den Persern jenen Bogen um zwei Finger breit gespannt hatte, den die Fischesser vom Äthiopier mitbekommen hatten, während dazu keiner von den übrigen Persern imstande war. Als nun Smerdis nach Persien abgegangen war, sah Kambyses im Schlafe folgendes Gesicht. Es träumte ihm, ein Bote komme aus Persien mit der Botschaft, daß Smerdis, auf dem königlichen Throne sitzend, mit dem Haupt an den Himmel rage. Auf das hin schickte er, aus Angst, selbst von seinem Bruder um der Herrschaft willen getötet zu werden, seinen vertrautesten Perser, den Prexaspes, nach Persien, daß er ihn töte. Der ging hinauf nach Susa und tötete den Smerdis, nach einigen draußen auf der Jagd; andere sagen, daß er ihn aufs Rote Meer geführt und dort in den Fluten ersäuft habe.

[Anmerkung:] 30. Smerdis: An dem Felsen von Bisutun sind Reliefdarstellungen erhalten, die Dareios I., den von ihm unterworfenen Magier und den Gott Ahuramasda zeigen. Dabei befindet sich eine dreisprachige, persische, elamische und babylonische Inschrift, nach der Kambyses (persisch Kabujiya) seinen Bruder tötete, ehe er nach Ägypten ging: »Dem Kabujiya war ein Bruder, Bartiya mit Namen, von gleicher Mutter und gleichem Vater; nachher tötete Kabujiya diesen Bartiya; als Bartiya getötet war, war Erblosigkeit des Reichs; nachher ging Kabujiya nach Ägypten; da wurde das Reich gottlos.«

 

31. Das also ist das erste, womit, wie man sagt, die Übeltaten des Kambyses begannen. Zweitens brachte er auch seine Schwester um, die ihm nach Ägypten gefolgt war, und die er geheiratet hatte, obwohl sie seine rechte Schwester von beiden Eltern war. Geheiratet hat er sie auf folgendem Wege, da zuvor die Perser keineswegs im Brauch hatten, sich mit ihren Schwestern zu verbinden. Kambyses war in eine seiner Schwestern verliebt: und wie er nachgerade sie heiraten wollte, berief er, da er etwas Ungebräuchliches zu tun gedachte, die königlichen Richter und fragte sie, ob es ein Gesetz gebe, daß einer, wenn er es wolle, mit seiner Schwester zusammenleben könne. Die königlichen Richter sind aus den Persern dazu erlesen und bekleiden ihr Amt bis an ihren Tod oder doch so lange, bis etwas Ungerechtes an ihnen erfunden werden sollte. Diese sprechen den Persern Recht und sind Ausleger ihrer väterlichen Satzungen, und alles beruht auf ihnen. Die Frage des Kambyses beantworteten sie nun so, daß es recht und doch auch unverfänglich war, mit der Erklärung: sie fänden kein Gesetz, das es gutheiße, wenn der Bruder mit der Schwester zusammenlebe; indessen finde sich ein anderes Gesetz, dem König der Perser stehe frei, zu tun, was er wolle. So lösten sie das Gesetz nicht auf trotz ihrer Furcht vor Kambyses; um aber auch nicht selbst über der Wahrung des Gesetzes unterzugehen, machten sie ein anderes Gesetz ausfindig zugunsten der Heiratsabsichten auf Schwestern. Da heiratete Kambyses die Geliebte, nahm jedoch nicht lange darauf noch eine andere Schwester. Von diesen hat er dann die jüngere, die ihm nach Ägypten gefolgt war, umgebracht.

32. Über ihren Tod aber geht, wie bei Smerdis, eine doppelte Sage. Die Griechen sagen, Kambyses habe ein Löwenjunges mit einem jungen Hunde kämpfen lassen, wobei auch diese Frau zugesehen habe. Wie nun der junge Hund unterlag, habe sich sein Bruder, auch ein junger Hund, losgerissen und sei ihm beigesprungen, und so seien, da sie nun ihrer zwei waren, die jungen Hunde des Löwenjungen Meister geworden. Dabei habe Kambyses mit Vergnügen zugeschaut, sie aber an seiner Seite geweint. Kambyses habe sie, wie er's bemerkte, gefragt, warum sie weine, und nun habe sie geantwortet, sie weine über den Anblick des Hundes, der für seinen Bruder gekämpft habe, weil sie dabei habe an Smerdis denken und sich sagen müssen, für diesen stehe kein Kämpfer mehr auf. Wegen dieses Wortes, behaupten die Hellenen, habe sie Kambyses sterben lassen, die Ägypter aber, es hätte die Frau bei Tische einen Lattich genommen, ihn ganz entblättert und dann die Frage an ihren Mann gerichtet, ob wohl der entblätterte Lattich schöner sei oder der volle. Darauf habe er versichert, der volle, und sie erwidert: »Aber du hast doch das Gleichnis dieses Lattichs gemacht, da du des Kyros Haus entblättert hast!« Er habe nun wütend mit den Füßen sie gestoßen, die schwanger war, und darauf sei sie an der Fehlgeburt gestorben.

33. Das sind die Ausbrüche von Kambyses' Raserei gegen sein eigenes Haus, sei es nun, daß es vom Apis kam oder ohne das, wie ja viel Unheil über die Menschen zu kommen pflegt. Sagt man doch auch, Kambyses habe eine erbliche schwere Krankheit gehabt, die einige die heilige nennen. So wäre es nun kein Wunder, daß sein Verstand nicht gesund blieb, während sein Körper an einer schweren Krankheit litt.

[Anmerkung:] 33. Die Epilepsie wurde die heilige Krankheit genannt, weil die von ihr befallenen Menschen als machtlose Opfer der Götter erschienen. Der Arzt Hippokrates (460-377 v. Chr.), ein jüngerer Zeitgenosse Herodots, nannte diese Bezeichnung in seiner Schrift »Über die heilige Krankheit« falsch und unwissenschaftlich.

 

34. Folgendes aber sind seine Ausbrüche gegen die übrigen Perser. Man sagt nämlich, er habe zu Prexaspes gesprochen, der bei ihm besonders in Ehren stand (wie ihm denn derselbe auch die Botschaften zutrug, und sein Sohn Mundschenk bei Kambyses war, was auch keine geringe Ehre ist) – zu diesem, sagt man, habe er gesprochen: »Prexaspes, für was für einen Mann halten mich die Perser? Wie lauten ihre Reden über mich?« Dieser antwortete: »Mein Gebieter, du wirst in allem andern sehr gelobt; nur dem Weine, sagen sie, seiest du zu sehr ergeben.« So viel habe dieser von den Persern gesagt, jener aber wütend entgegnet: »Sagen die Perser, ich wäre dem Wein sehr ergeben, unsinnig und nicht bei Verstand, so waren also auch ihre frühern Reden nicht wahr.« Früher nämlich hatte Kambyses in einer Sitzung mit den Persern und mit Kroisos gefragt, für welch einen Mann er gelten könne, neben seinen Vater Kyros gestellt. Worauf sie antworteten, er sei größer als sein Vater: denn alles, was dieser besessen habe, besitze auch er und habe noch dazu Ägypten gewonnen samt dem Meere. Das sagten die Perser; Kroisos aber, der auch dabei und mit diesem Urteil nicht zufrieden war, sprach also zu Kambyses: »Mir, Sohn des Kyros, scheinst du doch deinem Vater nicht gleich zu sein; denn noch hast du keinen Sohn, wie er einen in dir hinterlassen hat!« Das hörte Kambyses mit Wohlgefallen und lobte das Urteil des Kroisos.

35. Dessen soll er also nun gedacht und im Zorn zu Prexaspes gesagt haben: »Merke du nun selber, ob die Perser die Wahrheit sagen oder, wenn sie dieses sagen, selbst unsinnig sind. Wenn ich nämlich deinen Sohn, der da im Vorhofe steht, mitten ins Herz treffe, so ist es klar, daß, was die Perser sagen, nichts ist; wenn ich ihn aber fehle, so mögen die Perser die Wahrheit sagen und ich nicht bei Besinnung sein.« So soll er gesprochen, den Bogen gespannt und auf den Knaben geschossen haben. Als der Knabe gefallen war, habe er geboten, ihn aufzuschneiden und nach dem Schusse zu sehen. Wie nun erfunden ward, daß der Pfeil im Herzen stak, habe er zum Vater des Knaben lachend und voll Freude gesprochen: »Prexaspes, daß ich nicht rasend bin, also die Perser unsinnig sind, ist dir nun offenbar. Jetzt aber sage mir: wen sahst du in aller Welt, der so scharf treffen konnte?« Darauf habe Prexaspes, der sah, der Mensch sei nicht ganz bei Verstande, und der für sein eigenes Leben bangte, geantwortet: »Herr, nicht einmal der Gott selbst, glaube ich, kann so gut schießen.« Das verübte er damals, und ein andermal ließ er zwölf Perser vom ersten Range aus einem ganz unzureichenden Grunde lebendig, den Kopf unten, eingraben.

[Anmerkung:] 35. Der Gott: Apollo. Seneka zitiert die Stelle in der Abhandlung »Über den Zorn« (III, 14), läßt aber den Prexaspes sagen: »Apollo hätte nicht sicherer schießen können.« Dazu gibt der römische Stoiker seinem Zorn über das Benehmen des Höflings vor der Leiche seines Sohnes Ausdruck, bemerkt aber, trotz allem beweise diese Geschichte, daß der Zorn unterdrückt werden könne. Würdiger aber findet es Seneka, in einem solchen Falle der Sklaverei durch freiwilligen Tod ein Ende zu machen.

 

36. Da er dieses tat, glaubte Kroisos, der Lyder, ihn ermahnen zu müssen mit folgenden Worten: »König, überlaß dich nicht ganz deiner Jugend und Leidenschaft, sondern halte und beherrsche dich! Es ist etwas Gutes, vorbedacht zu sein, und Weisheit ist die Vorsicht. Du aber tötest Männer, deine eigenen Bürger, ohne einen zureichenden Grund zu haben, und tötest Kinder. Wenn du viele solche Taten vollführst, so sieh dich vor, daß die Perser nicht von dir abfallen! Mir hat es dein Vater Kyros ernstlich anbefohlen, dich zu ermahnen und dir an die Hand zu geben, was ich für gut erfinde.« Mit diesem Rate zeigte er ihm seine gute Meinung. Aber Kambyses erwiderte darauf: »Du unterstehst dich, auch mir zu raten, der du so schön dein eigenes Vaterland verwaltet und so gut meinem Vater geraten hast, da du ihn über den Araxesfluß gehen hießest, gegen die Massageten, die selbst in unser Land herüberkommen wollten, der du wie dich selber, als schlechter Vorstand deines Vaterlandes, so auch den Kyros zugrunde gerichtet hast, als er dir folgte? Doch soll dir's nicht wohl bekommen, da ich schon längst begehrt habe, eines Vorwandes wider dich habhaft zu werden.« Nach diesen Worten nahm er den Bogen und machte Miene, ihn zu erschießen. Kroisos aber entsprang und lief hinaus. Da er ihn nun nicht schießen konnte, befahl er den Dienern, ihn zu fangen und zu töten. Die Diener aber, die seine Art schon kannten, verbargen den Kroisos, indem sie darauf rechneten, ihn, wenn es den Kambyses gereue und er sich nach Kroisos sehne, hervorzuholen und so für die Lebenserhaltung des Kroisos Geschenke zu bekommen; wofern es ihn aber nicht gereue und er nicht nach ihm verlange, ihn umzubringen. Nun verlangte Kambyses wirklich nicht lange Zeit darauf nach Kroisos, da denn die Diener, wie sie dessen innewurden, meldeten, daß er noch am Leben sei. Darauf versicherte Kambyses, er freue sich mit Kroisos, daß er noch lebe, indessen werde er denen, die ihn errettet hätten, das nicht hingehen lassen, sondern sie umbringen. Und das tat er auch.

37. Auf diese Art ließ er vielfach seine Raserei gegen die Perser und die Bundesgenossen aus, während er immer in Memphis saß, da er auch alte Grüfte öffnete und die Leichen besah. So ging er auch in das Hephästosheiligtum und spottete weidlich über das Bild des Gottes. Dieses Bild des Hephästos kommt nämlich den phönizischen Zwergbildern am nächsten, welche die Phönizier am Vorderteil ihrer Dreiruderer führen. Wer nun diese noch nicht gesehen hat, dem sage ich zur Bezeichnung, daß es das Abbild eines Pygmäen ist. Auch ging er in das Heiligtum der Kabiren, in das niemand gehen soll als nur der Priester. Diese Bildnisse verbrannte er mit großem Hohn. Sie gleichen ebenfalls dem Bilde des Hephästos, dessen Kinder sie auch heißen.

[Anmerkung:] 37. In den Gräbern zu Memphis finden sich Bilder, die Ptah (Hephästos) als Zwerg darstellen. Vom Kampfe der Pygmäen, eines Zwergenvolkes am Okeanos, mit den Kranichen berichtet Homer in der »Ilias« (III, Vers 5 und 6). Auch in Goethes »Faust« (Vers 7606-7675) treten die Pygmäen als »Fettbauch-Krummbein-Schelme« auf.

 

38. Mir ist nun auf alle Weise klar, daß Kambyses an schwerem Wahnsinn litt; sonst hätte er's nicht gewagt, das, was heilig und gebräuchlich ist, zu verlachen. Denn wenn man alle Menschen vor die Wahl stellte, sie sollten sich die besten Bräuche auslesen aus allen Bräuchen, so würden nach der Untersuchung alle ihre eigenen vorziehen; so sehr gelten allen ihre eigenen Bräuche bei weitem für die besten. Also kann nicht wohl ein anderer als nur ein rasender Mann solche Dinge zum Gelächter machen. Daß es aber mit ihren Bräuchen alle Menschen so zu halten pflegen, läßt sich überhaupt aus vielen Beweisen ermessen, und namentlich aus folgendem. Während seiner Herrschaft rief einmal Dareios die Hellenen, die bei ihm waren, und fragte sie, um welchen Preis sie sich wohl verständen, ihre toten Väter zu essen. Darauf versicherten sie, das täten sie um alles nicht. Darauf rief Dareios die sogenannten Kalatier, ein indisches Volk, das seine Eltern zu essen pflegt, und fragte sie in Gegenwart der Hellenen, denen ein Dolmetscher die Reden der andern übermittelte, um welchen Preis sie darauf eingehen würden, ihre gestorbenen Väter zu verbrennen. Darauf schrien diese laut auf, er solle doch nichts Unheiliges aussprechen. Das gilt so in der Welt, und der Dichter Pindar dünkt mir recht zu haben, wenn er sagt, der Brauch sei König über alle.

[Anmerkung:] 38. Pindar (518-446 v. Chr.) sagt:
Das Gesetz, Sterblicher wie
Unsterblicher König und Herr!
Plato zitiert dieselbe Stelle im »Gorgias« (Kap. 39), bringt aber gerade das Naturgesetz, von dem Pindar redet, in Gegensatz zu den Satzungen der Menschen. Pindar fährt nämlich fort:
Es führet herbei mit obsiegender Hand
Die Untat und heiliget sie.
Vergleicht man die Äußerungen Herodots und Platos, so kommt man zu dem Ergebnis, daß die Stelle offenbar in den Auseinandersetzungen der Sophisten, ob das Gute und Sittliche von Natur oder nur durch Übereinkunft der Menschen bestehe, eine große Rolle spielte und ganz verschieden ausgelegt wurde. Herodots Meinung geht dahin, daß man sich hüten soll, alte Bräuche zu verletzen, wenn sie auch nur von Menschen festgesetzt sind. Die Sophisten waren anderer Meinung. Sie würden aus den entgegengesetzten Bräuchen, die Herodot anführt, folgern, daß sich kein denkender Kopf durch solche Gesetze innerlich gebunden fühlen könne.

 

39. Während Kambyses gegen Ägypten zu Felde zog, machten auch die Lazedämonier einen Feldzug gegen Samos und Polykrates, den Sohn des Aiakes, der sich durch einen Aufstand in Samos zum Herrn gemacht hatte. Er hatte dann zunächst den Staat dreifach geteilt und seinen Brüdern Pantagnotos und Syloson ihren Anteil gegeben, brachte aber nach Ermordung des einen und nach Vertreibung Sylosons, des jüngern, Samos ganz unter sich. Als er so weit war, schloß er mit Amasis, dem Könige von Ägypten, Gastfreundschaft durch Sendung von Geschenken und Empfang von Gegengaben. In kurzer Zeit stieg des Polykrates Macht empor und war in aller Munde durch ganz Ionien und das übrige Hellas; denn wohin er seine Waffen richtete, ging ihm alles nach Wunsch vonstatten. Er hatte hundert Fünfzigruderer und tausend Bogenschützen und plünderte und beraubte alle ohne Unterschied. Denn auch dem Freunde behauptete er es mehr zu Danke zu machen, wenn er ihm wieder gebe, was er ihm genommen habe, als wenn er ihm überhaupt nichts nehme. So hatte er ein gut Teil der Inseln erobert und viele Städte des Festlandes. Die Lesbier namentlich, die mit gesamter Macht den Milesiern gegen ihn zu Hilfe kamen, nahm er in einem Seesiege gefangen, und sie haben als Kriegsgefangene den ganzen Graben um die Stadtmauer von Samos ziehen müssen.

40. Es entging dem Amasis nicht, welch großes Glück Polykrates hatte, sondern es machte ihm Sorgen. Da dessen Glück noch immer höher und höher stieg, schrieb er folgenden Brief und sandte ihn nach Samos: »Amasis an Polykrates. Wohl ist es lieblich zu erfahren, daß es einem Freunde und Gastverwandten wohl ergehe; doch gefällt mir dein großes Glück nicht, nach meiner Erkenntnis, wie mißgünstig die Gottheit ist. Und ich wünsche für mich und die, die mir am Herzen liegen, Glück in einem Teil, in einem andern Widrigkeiten zu finden und so die ganze Lebenszeit im Wechsel zu stehen, nicht aber in allem Glück zu haben. Denn noch habe ich von keinem gehört, der nicht zuletzt ein ganz und gar schlechtes Ende nahm, wenn er in allem Glück hatte. Willst du nun mir folgen, so tue also gegen dein vieles Glück: Besinne dich, und was du für dein teuerstes Gut hältst, dessen Verlust dir am meisten in der Seele weh tut, das wirf so von dir, daß es nie mehr in Menschenhände kommen kann! Und wenn von jetzt ab dein Glück noch nicht mit Leiden abwechselt, so hilf auf die von mir angegebene Weise nach!«

41. Als Polykrates dies gelesen hatte und ihm klar geworden war, daß des Amasis Rat gut sei, untersuchte er, welches von seinen Kleinodien ihn, wenn er es verliere, am meisten betrüben werde. Da fand er dieses. Er hatte einen Siegelring an seiner Hand, einen in Gold gefaßten Smaragd, ein Werk des Theodoros, des Sohnes des Telekles aus Samos. Da es ihm nun gut dünkte, diesen wegzuwerfen, machte er's also. Er bemannte einen Fünfzigruderer, stieg dann selbst ein und befahl, in die hohe See zu stechen. Wie er nun ferne von der Insel war, zog er den Siegelring ab und warf ihn vor den Augen aller Schiffsgenossen in die See. Alsdann fuhr er zurück, und zu Hause überließ er sich dem Schmerze.

42. Den fünften oder sechsten Tag darauf begegnete ihm folgendes. Ein Fischer hatte einen schönen, großen Fisch gefangen und achtete ihn wert, dem Polykrates geschenkt zu werden; er ging damit an die Türe und sagte, er wolle zu Polykrates. Es ward ihm gewährt, und nun sprach er bei Überreichung des Fisches: »König, den hab' ich gefangen, und da hielt ich es nicht für recht, ihn zu Markte zu bringen, wenn ich schon von meiner Hände Arbeit leben muß, sondern ich fand ihn deiner wert und deiner Herrlichkeit, und so bring' ich ihn dir zum Geschenke.« Polykrates freute sich über diese Worte und erwiderte: »Du hast ganz wohlgetan und verdienst Dank für beides, deine Rede und das Geschenk, wir laden dich zum Mahl.« Der Fischer, dem dies eine große Ehre war, ging in den Palast, und den Fisch schnitten die Diener auf, und finden in seinem Bauch den Siegelring des Polykrates. Nicht so bald hatten sie ihn gesehen, als sie ihn nahmen und mit großer Freude dem Polykrates brachten. Indem sie ihm seinen Siegelring gaben, sagten sie auch, wie er sich gefunden habe. Da gedachte er, das sei göttliche Fügung; er schrieb die ganze Geschichte, was er getan habe, und wie's ihm damit gegangen sei, in einem Brief und schickte diesen nach Ägypten.

[Anmerkung:] 42. Die von Schiller im »Ring des Polykrates« behandelte Sage vom weggeworfenen und wiedergefundenen Ringe kommt auch in Kalidasas Drama »Schakuntala« (5. Jahrhundert n. Chr.), im deutschen Volksbuch von der »Schönen Magelone« und in Grimmelshausens »Simplicissimus« (VI, 8) vor. Auf Polykrates hat man die Wandersage wohl deshalb übertragen, weil er wirklich einen von dem berühmten Steinschneider Theodoros von Samos geschnittenen Siegelring besaß, dessen Bild eine Leier darstellte. Der älteste Teil der Sage ist ein Verschlingungsmärchen, eine symbolische Darstellung der Sonnenfinsternis, der goldene Ring ein Sonnensymbol. Die Geschichte von Jonas und dem Walfisch ist eine andere Form derselben Sage.

 

43. Als Amasis den Brief des Polykrates gelesen hatte, merkte er, es sei unmöglich, daß ein Mensch den andern seinem bevorstehenden Schicksal entziehe, und es stehe dem Polykrates kein gutes Ende bevor, da er in allem Glück habe und auch das, was er wegwerfe, wiederfinde. Er schickte einen Herold nach Samos und ließ ihm die Gastfreundschaft aufsagen. Das tat er aber deswegen, damit seine Seele, wenn ein arges und gewaltiges Geschick über Polykrates komme, sich nicht betrüben müsse für seinen Gastfreund.

44. Gegen diesen Polykrates also, der in allem Glück hatte, zogen die Lazedämonier aus, zu Hilfe gerufen von den Samiern, die nachmals Kydonia auf Kreta besiedelt haben. Es hatte Polykrates den Kambyses, den Sohn des Kyros, als derselbe ein Heer gegen Ägypten zusammenzog, durch Gesandte ersucht, er möge doch Gesandte nach Samos schicken und auch ihn um ein Heer angehen. Kambyses sandte, als er dies hörte, gern nach Samos und forderte den Polykrates auf, ihm ein Schiffsheer nach Ägypten mitzugeben. Da las dieser die Bürger aus, von denen er argwöhnte, daß sie am meisten zum Aufruhr neigten, und schickte sie auf vierzig Dreiruderern ab, ließ aber dem Kambyses sagen, er möge sie nicht wieder nach Hause schicken.

45. Nun sagen einige, die von Polykrates abgeschickten Samier seien nicht nach Ägypten gekommen, sondern seien, als sie auf ihrer Fahrt bei der Insel Karpathos waren, mit sich zu Rate gegangen und zu dem Entschlusse gekommen, nicht weiter zu fahren. Andere sagen, sie seien nach Ägypten gekommen und bewacht worden, aber von da entwichen. Als sie nun nach Samos heimfuhren, kam ihnen Polykrates zu Schiff entgegen und lieferte eine Schlacht, in der die Heimkehrenden siegten und dann auf der Insel landeten. Hier aber unterlagen sie in der Landschlacht, und so schifften sie nach Lazedämon. Zwar sagen auch etliche, die von Ägypten Kommenden hätten Polykrates besiegt, aber meines Dafürhaltens mit Unrecht. Denn sie hätten nicht nötig gehabt, die Lazedämonier zu Hilfe zu rufen, wenn sie selbst imstande gewesen wären, mit Polykrates fertig zu werden. Und überdies ist auch nicht anzunehmen, daß ein Mann, der fremde Söldner und eigne Bogenschützen in so großer Menge hatte, von der kleinen Anzahl der heimkehrenden Samier überwunden wurde. Auch schloß Polpkrates die Weiber und Kinder der Bürger, die er unter sich hatte, in den Schiffshäusern ein, um sie alsbald, wenn jene zu den Heimkehrenden überträten, samt den Schiffshäusern zu verbrennen.

46. Als nun die von Polpkrates vertriebenen Samier in Sparta angekommen waren und vor die Obrigkeiten traten, redeten sie viel und baten eindringlich. Darauf gaben ihnen jene bei der ersten Zusammenkunft die Antwort, den Anfang ihrer Rede hätten sie vergessen und das Ende verständen sie nicht. Bei der zweiten Zusammenkunft sprachen sie daher weiter nichts, als daß sie, einen Brotsack in der Hand, sagten, der Sack wolle Brot haben. Darauf gaben ihnen jene zur Antwort, mit dem Sack sei es schon zuviel; indes fanden sie für gut, ihnen beizustehen.

[Anmerkung:] 46. Mit dem Sack sei es schon zuviel: In lakonischer Kürze war mit drei statt vier Worten auszukommen: »Wir brauchen Brot.«

 

47. Darauf rüsteten sich die Lazedämonier und zogen gegen Samos, wie die Samier sagen, zum Entgelt empfangener Wohltat, weil sie selbst vorher ihnen mit Schiffen gegen die Messenier beigestanden hätten; wie aber die Lazedämonier sagen, zogen sie nicht sowohl nach der Bitte der Samier um Hilfe aus als in der Absicht, Rache für den Raub des Mischkugs zu nehmen, den sie dem Kroisos hatten bringen wollen, und des Panzers, den ihnen Amasis, der König von Ägypten, zum Geschenke geschickt hatte. Denn auch den Panzer hatten, ein Jahr früher als den Mischkrug, die Samier zur Beute gemacht, einen Linnenpanzer, reich mit Gebilden durchwebt und verziert mit Gold und Baumwolle; was ihn aber bewundernswert macht, das ist jeder einzelne Faden des Panzers. Denn bei seiner Feinheit besteht doch jeglicher wieder aus dreihundertundsechzig Fäden, und sie sind alle sichtbar. Dem gleich ist der, den Amasis der Athene in Lindos geweiht hat.

48. Auch die Korinther bemühten sich eifrig, daß der Zug gegen Samos zustande kam. Denn auch gegen sie war eine Beleidigung von den Samiern vorgefallen, drei Menschenalter vor diesem Zuge, um dieselbe Zeit, da der Raub des Mischkruges geschah. Es schickte nämlich Periandros, der Sohn des Kypselos, dreihundert kerkyräische Knaben, Söhne der vornehmsten Männer, nach Sardes an Alyattes zur Verschneidung. Als nun die Korinther, welche die Knaben führten, bei Samos anlegten und die Samier die Sache erfuhren, wozu sie nach Sardes geführt würden, wiesen sie zuerst die Knaben an, sich in das Heiligtum der Artemis zu flüchten, und als nun, da sie nicht zuließen, daß man die Schützlinge aus dem Heiligtum reiße, die Korinther den Knaben alle Speise abschnitten, stellten die Samier ein Fest an, das sie auch jetzt noch ebenso abhalten. Mit dem Einbruch der Nacht nämlich führten sie, solange die Knaben als Schützlinge dasaßen, Reigen von Jünglingen mit Jungfrauen auf, und bei der Aufführung der Reigen führten sie den Brauch ein, Eßwaren von Sesam und Honig darzubringen, damit sie die Kerkyräerknaben zu ihrer Nahrung wegnähmen. Und das geschah so lange, bis die Korinther, die Wächter der Knaben, allein abfuhren, worauf die Samier die Knaben nach Kerkyra zurückbrachten.

49. Hätten indessen nach Periandros' Tod die Korinther mit den Kerkyräern Freundschaft gehabt, dann würden sie nicht des Zuges gegen Samos aus dieser Ursache sich angenommen haben. Nun aber sind sie seit der Besiedelung der Insel immer unter sich in Zwietracht. Daher gedachten's die Korinther den Samiern im Bösen. Daß Periandros die Kinder der vornehmsten Kerkyräer aussuchte und nach Sardes zur Verschneidung schickte, geschah aus Rache, weil die Kerkyräer zuerst gegen ihn eine frevelhafte Tat verübt hatten.

50. Nachdem nämlich Periandros seine Frau, Melissa, getötet hatte, geschah es ihm, daß zu diesem Unglück noch folgendes andere sich gesellte. Er hatte von Melissa zwei Söhne, von denen der eine siebzehn, der andere achtzehn Jahre alt war. Diese ließ ihr mütterlicher Großvater, Prokles, der Tyrann von Epidauros, zu sich kommen und tat ihnen Liebes, wie billig, als Kindern seiner Tochter. Als er sie nun wieder entließ, sprach er beim Abschiedsgeleit: »Wißt ihr auch, Kinder, wer eure Mutter getötet hat?« Dieses Wort beachtete der ältere gar nicht; der jüngere aber, mit Namen Lykophron, betrübte sich so darüber, daß er bei der Ankunft in Korinth den Vater, als den Mörder seiner Mutter, nicht anredete, sich auch in kein Gespräch mit ihm einließ, auch auf seine Fragen gar keine Antwort gab. Zuletzt kam Periandros so in Zorn, daß er ihn aus dem Hause stieß.

51. Nach dessen Verstoßung fragte er den ältern, was der Großvater mit ihnen gesprochen habe. Jener erzählte ihm darauf, wie er sie mit Liebe ausgenommen habe; aber des Wortes, womit sie Prokles entließ, gedachte er nicht, weil er sich es nicht zu Herzen genommen hatte. Periandros aber behauptete, das sei unmöglich, er müsse ihnen etwas gesagt haben, und bestürmte ihn mit Fragen, bis er sich erinnerte und es nun auch sagte. Periandros, der es sich nun auch zu Herzen nahm und nicht nachgeben wollte, schickte dahin, wo sein verstoßener Sohn sich aufhielt, und verbot den Leuten, ihn ins Haus zu nehmen. Sooft nun dieser, so vertrieben, in ein anderes Haus ging, ward er auch daraus vertrieben, weil Periandros die bedrohte, die ihn aufnahmen, und ihnen befahl, ihn zu verstoßen. Also fortgetrieben, wandte er sich wieder an ein Haus von Freunden, die ihn dann, als Sohn des Periandros, wenn schon mit Ängsten, aufnahmen.

52. Zuletzt ließ Periandros öffentlich ausrufen, jeder, der ihn in sein Haus nehme oder mit ihm rede, verfalle dem Apollo in eine Buße, die soundso hoch sei. Nach diesem Ausruf wollte niemand mit ihm reden, noch ihn ins Haus aufnehmen; ja er selbst erlaubte sich's nicht, das Versagte zu versuchen, sondern ließ nicht ab, immer nur unter den Säulengängen sich hemmzutreiben. Am vierten Tag sah ihn Periandros ungewaschen und vom Hunger gequält, wie er jetzt leben mußte. Da jammerte ihn seiner, und er ließ ab vom Zorne, trat zu ihm hin und sagte: »Was ist, mein Sohn, die bessere Wahl: das, wie du es jetzt hast, oder die Herrschaft und die Güter, wie ich sie jetzt habe, als ein Sohn nach dem Herzen seines Vaters zu bekommen? Und du, der du mein Sohn und König des gesegneten Korinth bist, wählst ein Bettlerleben aus Widerspenstigkeit und Zorn gegen den, dem gegenüber es dir am wenigsten ziemt! Denn wenn in unserem Haus ein Unglück geschehen ist, weshalb du Argwohn gegen mich hegst, so ist das ja mein Unglück, und ich trage daran in dem Maße schwerer, als ich es selbst verübt habe. Du aber, da du erkannt hast, um wieviel besser es ist, beneidet als bejammert zu werden, dazu auch, was es heißt, den Eltern und den Mächtigeren zu grollen, geh wieder nach Haus!« Damit suchte ihn Periandros zu gewinnen. Er aber antwortete seinem Vater nichts darauf, als daß er sagte, dieser sei dem Gotte die Buße schuldig, weil er mit ihm geredet habe. Da nun Periandros erkannte, daß das Übel in seinem Sohn unheilbar sei und nicht zu besiegen, schickte er ihn aus seinen Augen fort auf einem Fahrzeug nach Kerkyra; denn er beherrschte auch dieses. Nach seiner Entfernung aber zog Periandros gegen seinen Schwiegervater Prokles zu Felde, als den Hauptschuldigen an seinem Unglück, und nahm Epidauros ein, nahm auch den Prokles selbst lebendig gefangen.

53. Als Periandros aber im Verlauf der Zeit gealtert war und sich selbst gestand, daß er nicht mehr imstande sei, die Geschäfte zu übersehen und zu verwalten, sandte er nach Kerkyra und rief den Lykophron zurück zur Herrschaft; denn von seinem ältern Sohne hielt er nichts, sondern fand ihn augenscheinlich zu schwachsinnig. Aber Lykophron würdigte den Botschafter keiner Antwort. Darauf schickte Periandros, der von dem Jüngling nicht lassen konnte, zweitens die Schwester desselben, seine eigene Tochter, an ihn ab, in der Hoffnung, ihr werde er am ehesten folgen. Diese kam und sagte: »Bruder, willst du denn, daß die Herrschaft in fremde Hände falle und das Haus des Vaters zerstückelt werde, statt daß du hingehst und es selber hast? Geh nach Hause, hör auf, dich selbst zu strafen! Ehrsucht ist ein schlimmes Gut; heile nicht Übel mit Übel! Viele ziehen dem Recht das Billige vor, und wiederum haben viele, da sie das Mütterliche suchten, das Väterliche verloren. Herrschaft ist ein schlüpfriges Ding; viele hat sie zu Liebhabern, und der Vater ist schon gealtert und ein Greis. Gib nicht Fremden deine eigenen Güter!« So sprach sie zu ihm, wie sie's der Vater gelehrt hatte, auf das beweglichste. Darauf gab er ihr zur Antwort, daß er nimmer nach Korinth gehe, solange er seinen Vater noch am Leben wisse. Als sie das berichtete, sandte Periandros drittens einen Herold und ließ sagen, er wolle selbst nach Kerkyra gehen, und jener solle nach Korinth kommen, um sein Nachfolger in der Herrschaft zu werden. Hierauf ging der Jüngling ein, und sie machten sich reisefertig, Periandros nach Kerkyra, sein Sohn nach Korinth. Aber die Kerkyräer waren genau von dem allen unterrichtet, wollten nicht, daß ihnen Periandros ins Land komme, und brachten den Jüngling um. Dafür also wollte Periandros sich an den Kerkyräern rächen.

54. Die Lazedämonier aber kamen mit großer Heeresmacht und belagerten Samos. Bei der Berennung der Mauern hatten sie schon den Turm, der am Meere bei der Vorstadt steht, erstiegen, als Polykrates selbst mit einem starken Haufen herbeieilte, so daß sie wieder hinausgeworfen wurden. Bei dem Turme oberhalb der Stadt auf dem Rücken des Berges machten die Hilfstruppen und mit ihnen auch Samier in großer Anzahl einen Ausfall, hielten indes den Lazedämoniern nur kurze Zeit stand und flohen dann zurück, worauf jene sie verfolgten und niedermachten.

55. Hätten nun an diesem Tage alle Lazedämonier, die dabei waren, dem Archias und Lykopas es gleichgetan, so wäre Samos genommen worden. Archias nämlich und Lykopas stürzten allein, als die Samier in die Mauern zurückflohen, mit hinein und fielen, da ihnen der Rückweg abgeschnitten war, in der Stadt der Samier. Mit einem Nachkommen dieses Archias im dritten Glied, auch einem Archias, dem Sohn des Samios, eines Sohnes des Archias, bin ich selbst zusammengekommen in Pitane; denn aus diesem Gau war er. Der ehrte von allen Gästen die Samier am meisten, und sein Vater, sagte er, habe den Namen Samios bekommen, weil dessen Vater Archias in Samos ein preiswürdiges Ende gefunden, und die Samier ehre er deshalb, weil sein Großvater von den Samiern auf öffentliche Kosten bestattet worden sei.

56. Als nun aber den Lazedämoniern vierzig Tage über ihrer Belagerung von Samos hingegangen waren, ohne daß ihr Unternehmen vorwärts rückte, zogen sie wieder nach dem Peloponnes ab. Wie aber eine abgeschmackte Sage will, hätte Polykrates einheimische Münze in Menge aus Blei geschlagen, übergoldet und ihnen gegeben, und erst als sie diese bekommen hätten, wären sie abgezogen. Dies ist der erste Feldzug nach Asien, den die lazedämonischen Dorier machten.

57. Die Samier, die gegen Polykrates ins Feld gezogen waren, fuhren nun auch, sobald die Lazedämonier sie verließen, hinweg nach Siphnos; denn sie brauchten Geld, und die Siphnier standen zu der Zeit in ihrer Blüte, waren auch unter den Inselbewohnern die reichsten, weil auf ihrer Insel Gold- und Silbergruben waren, so daß von dem Zehnten der daraus fließenden Einkünfte ein Schah in Delphi geweiht ist, der zu den reichsten gehört, und die alljährlichen Einkünfte verteilten sie unter sich. Damals nun, als sie den Schatz anlegten, holten sie beim Orakel darüber einen Spruch ein, ob ihnen ihr gegenwärtiger Wohlstand auch lange bleiben könne. Darauf gab ihnen die Pythia den Spruch:

Doch wenn in Siphnos weiß erst wird das heilige Rathaus,
Weiß erst flimmert der Markt: dann bedarf es des klugen Beraters,
Sich vor der hölzernen Schar und dem rötlichen Herold zu sichern.

Nun hatten die Siphnier damals ihren Markt und das Rathaus mit parischem Marmor ausgeschmückt.

58. Diesen Spruch konnten sie nicht verstehen, gleich damals nicht und auch nicht bei der Ankunft der Samier. Sobald nämlich die Samier bei Siphnos angelegt hatten, schickten sie eines ihrer Schiffe mit Abgesandten in die Stadt. Ehemals waren aber alle Schiffe mit Mennig angestrichen, und das war's, was die Pythia den Siphniern geweissagt hatte: sie sollten sich vor der hölzernen Schar und dem rötlichen Herold sichern. Als nun die Boten ankamen, ersuchten sie die Siphnier, ihnen zehn Talente zu leihen, und als die Siphnier nein dazu sagten, verheerten die Samier ihre Ländereien. Auf diese Kunde eilten die Siphnier gleich zur Wehre, wurden aber im Treffen mit ihnen überwunden, und die Samier schnitten ihrer viele von der Stadt ab. Dann erpreßten sie von ihnen hundert Talente.

[Anmerkung:] 58. Ein Talent entspricht 4500 Mark. Das Talent hatte 60 Minen.

 

59. Von den Hermionern aber übernahmen sie für Geld die Insel Hydrea beim Peloponnes, und vertrauten sie den Troizeniern an, als sie Kydonia auf Kreta besiedelten, wohin sie nicht in dieser Absicht gefahren waren, sondern um die Zakynthier aus der Insel zu vertreiben. Nun blieben sie daselbst, und es ging ihnen fünf Jahre lang gut, so daß sie die jetzt in Kydonia befindlichen Heiligtümer errichtet haben, namentlich den Tempel der Diktynna; im sechsten Jahre aber wurden sie von den Ägineten und Kretern in einer Seeschlacht besiegt und in Knechtschaft verseht. Die Feinde hieben auch von ihren Schiffen die Vorderteile mit den Eberköpfen ab und weihten sie ins Heiligtum der Athene auf Ägina. Das taten die Ägineten aus altem Groll gegen die Samier. Früher nämlich hatten die Samier unter dem König Amphikrates von Samos in einem Kriegszug gegen Ägina den Ägineten großen Schaden zugefügt, allerdings auch selbst gelitten. Das war also die Ursache.

[Anmerkung:] 59. Unter dem Namen Diktynna, der Netzgöttin bedeutet, wurde die Jagdgöttin Artemis auf Samos verehrt.

 

60. Über die Samier habe ich mich weitläufiger ausgelassen, weil drei ihrer Werke die allergrößten bei den Hellenen sind: erstens in einem Berge von hundertfünfzig Klaftern Höhe ein Tunnel, der von unten heraufgeht mit einer Mündung auf jeder Seite. Die Länge des Tunnels beträgt sieben Stadien, die Höhe und Breite je acht Fuß. Ganz durch diesen hin geht ein anderer Graben von zwanzig Ellen Tiefe, in der Breite von drei Fuß, durch den das Wasser von einem großen Brunnquell in Röhren herabgeleitet und in die Stadt geführt wird. Der Baumeister dieses Grabens war Eupalinos, der Sohn des Naustrophos, aus Megara. Das wäre denn eins von den drei. Das zweite ist ein Damm im Meer um den Hafen, in einer Tiefe von zwanzig Klaftern; die Länge dieses Dammes aber beträgt über zwei Stadien. Ihr drittes Werk ist der größte von allen Tempeln, soviel wir wissen, dessen erster Baumeister Rhoikos war, der Sohn des Phileas, aus Samos selbst. Um dieser Werke willen habe ich mich weitläufiger über die Samier ausgelassen.

[Anmerkung:] 60. Herodot wurde um 460 v. Chr., als in Halikarnassos Parteikämpfe ausbrachen, aus seiner Vaterstadt vertrieben, floh nach Samos und hielt sich dort einige Jahre lang auf. Daher ist er über Samos so genau unterrichtet. Der große Tempel war der Hera geweiht und lag an der Südküste der Insel. Seine Grundmauern wurden von 1910 bis 1914 durch die von den Berliner Staatlichen Museen unternommenen Ausgrabungen freigelegt.

 

61. Gegen Kambyses aber, den Sohn des Kyros, empörten sich, da er in Ägypten blieb und den Verstand verlor, zwei Brüder, Magier, von denen Kambyses den einen als Verwalter seines Hauses zurückgelassen hatte. Ebender empörte sich gegen ihn, da ihm wohl bekannt war, daß der Tod des Smerdis verheimlicht werde und nur wenige der Perser darum wüßten, während die meisten ihn noch am Leben glaubten. Darauf baute er seinen Anschlag und streckte die Hand nach der Krone aus. Er hatte einen Bruder, den ich als Teilnehmer an dem Aufstande schon genannt habe. Dieser war an Gestalt dem Smerdis, dem Sohne des Kyros, ganz ähnlich, dem Bruder des Kambyses, den dieser getötet hatte; wie er an Gestalt dem Smerdis glich, so hatte er auch den gleichen Namen, Smerdis. Diesem Manne redete der Magier Patizeithes ein, er werde alles für ihn ausrichten, und setzte ihn auf den Königsthron. Als er das getan hatte, sandte er Herolde nach allen Seiten, einen auch nach Ägypten, um dem Heer zu entbieten, daß dem Sohne des Kyros, Smerdis, fürderhin zu gehorchen sei, nicht aber dem Kambyses.

62. Wie nun alle Herolde dies kundtaten, so machte namentlich auch der nach Ägypten abgeordnete zu Agbatana im Syrischen, wo er den Kambyses mit seinem Heere fand, jedermann kund, was der Magier anbefohlen hatte. Kambyses, der das aus dem Munde des Herolds hörte und wirklich glaubte, es sei wahr und er sei also von Prexaspes verraten (dieser nämlich, den er zu Smerdis' Ermordung abschickte, hätte sie nicht vollzogen), sprach mit einem Blick auf Prexaspes: »So, Prexaspes, hast du mir ausgerichtet, was ich dir zu tun aufgab?« Darauf sprach dieser: »Mein Gebieter, das ist nicht wahr, daß je dein Bruder Smerdis sich wider dich empört hat, noch daß von diesem ein Streit, groß oder klein, dir kommen kann. Denn ich selbst habe ihn, nachdem ich getan hatte, was du mir befohlen hattest, mit meinen eigenen Händen begraben. Wenn nun die Toten aufstehen, so mache dich darauf gefaßt, daß auch der Meder Astyages gegen dich aufstehen wird; ist es aber noch wie vordem, so ist's, wenigstens von jenem aus, unmöglich, daß dir eine Unordnung erwachse. So bin ich nun der Meinung, wir sollten dem Herold nachsetzen lassen und ihn ausfragen, von wem er herkommt mit seinem Gebot, daß wir dem König Smerdis gehorchen sollen.«

[Anmerkung:] 62. Agbatana in Syrien ist von Agbatana (oder Ekbatana) in Medien zu unterscheiden. Magier heißen die Priester medischen Stammes. Der Aufstand sollte die Herrschaft der Meder über die Perser wiederherstellen. Die zu Kapitel 30 zitierte Felseninschrift von Bisutun macht darüber folgende Angaben: »Böstat nahm zu im Lande Persien, Medien und den anderen Provinzen. Da war ein Mann, ein Magier, Gumata mit Namen; dieser erhob sich von dem Berge Arakadrisch und log so gegen das Reich: Ich bin Bartiya, Sohn des Kurusch, Bruder des Kabujiya; darauf ward das ganze Reich aufrührerisch gegen Kabujiya und trat zu jenem über, sowohl Persien und Medien als die anderen Provinzen; er ergriff die Herrschaft am 9. des Monats Garmapada; darauf starb Kabujiya vor allzu großem Zorn. So raubte Gumata der Magier dem Kabujiya die Herrschaft, welche von alters her unseres Stammes war; er vollbrachte nach seinem Begehr, er ward König« (K. Abicht in seinem Herodot-Kommentar, Band II, Leipzig 1872, S. 65). Der unbeherrschte Charakter des Kambyses tritt in der Felseninschrift ebenso deutlich hervor wie in Herodots Erzählung.

 

63. Auf dieses Wort des Prexaspes ward auch gleich, da es dem Kambyses gefiel, der Herold eingeholt und kam zurück. Als er da war, fragte ihn Prexaspes: »Mensch, du sagst ja, du seiest ein Bote von Smerdis, dem Sohne des Kyros; nun aber sprich die Wahrheit, damit du dann in Frieden hinziehen mögest: hat dir Smerdis selbst, so daß du ihn mit Augen gesehen hast, deinen Auftrag erteilt oder nur einer von seinen Dienern?« Er antwortete: »Ich habe Smerdis, den Sohn des Kyros, seit König Kambyses nach Ägypten gezogen ist, niemals gesehen, sondern der Magier, den Kambyses zum Hüter seines Hauses bestellt hat, der hat mir den Auftrag gegeben, mit dem Bedeuten, Smerdis, der Sohn des Kyros, gebe mir das an euch auf.« So sagte er ihnen die unverfälschte Wahrheit. Darauf sprach Kambyses: »Prexaspes, du bist nun, da du als wackrer Mann getan hast, wie dir befohlen war, frei von Schuld; aber wer von den Persern ist wohl der Empörer gegen mich, der sich den Namen des Smerdis anmaßt?« Darauf antwortete er: »Ich glaube, diese Geschichte zu durchschauen, mein König. Diese Empörer gegen dich sind die Magier: der von dir als Hausverwalter zurückgelassene Patizeithes mit seinem Bruder Smerdis.«

64. Wie Kambyses den Namen Smerdis hörte, traf ihn mit einem Schlag die Wahrheit dieser Rede und jenes Traumes, da es ihm im Schlaf vorgekommen war, es bringe einer ihm die Botschaft, daß Smerdis sich auf den Königsthron gesetzt habe und mit seinem Haupte an den Himmel rage. Nun sah er ein, daß er umsonst seinen Bruder habe umbringen lassen, und beweinte den Smerdis. Nach diesem Beweinen und großem Jammer über sein ganzes Schicksal schwang er sich aufs Pferd, gesonnen, stracks nach Susa zu ziehen wider den Magier. Indem er aber sich aufs Pferd schwang, fiel von der Scheide seines Schwertes das Ortband herunter, und das entblößte Schwert stach ihn in den Schenkel. So war Kambyses ebenda verwundet, wohin er selbst früher den ägyptischen Gott Apis gestochen hatte, und weil ihn dünkte, der Stoß sei ins Leben gegangen, so fragte er, welchen Namen die Stadt habe. Sie antworteten: »Agbatana.« Nun war ihm schon früher aus der Stadt Buto der Spruch geworden, er werde in Agbatana sein Leben endigen. Aber er glaubte, im medischen Agbatana, wo er sein Heimwesen hatte, werde er im Alter sterben; doch der Orakelspruch bezog sich auf das syrische Agbatana. Wie er jetzt auf seine Frage den Namen der Stadt erfuhr, kam er durch die Bestürzung über sein Mißgeschick mit dem Magier und die Verwundung zu Verstande, begriff den Götterspruch und sprach: »Hier ist dem Kambyses, dem Sohne des Kyros, bestimmt zu sterben.«

65. So viel sprach er damals. Aber ungefähr zwanzig Tage später ließ er von den anwesenden Persern die angesehensten zu sich kommen und redete zu ihnen, wie folgt: »Ich bin dahin gekommen, o Perser, daß ich gerade die Sache, die ich am allermeisten verborgen habe, euch jetzt entdecken muß. Ich habe nämlich, als ich noch in Ägypten war, ein Gesicht im Schlafe gehabt, das ich niemals hätte sehen sollen. Es schien mir, ein Bote komme aus der Heimat mit der Botschaft, daß Smerdis sich auf den Königsthron gesetzt habe und mit seinem Haupt an den Himmel rage. Aus Furcht, durch meinen Bruder der Herrschaft beraubt zu werden, handelte ich nun mehr rasch als klug, da es ja nie in der menschlichen Natur liegen kann, das bevorstehende Schicksal abzuwenden: ich Tor sende den Prexaspes nach Susa zur Ermordung des Smerdis. Nach dieser schlimmen Missetat lebte ich sonder Furcht, ohne je in Betracht zu ziehen, daß sich nach Smerdis' Wegräumung noch ein Mensch gegen mich empören könne. In gänzlicher Verkennung des bevorstehenden Geschicks bin ich ganz nutzlos zum Brudermörder geworden, und nun bin ich nichtsdestoweniger meines Königtums beraubt. Denn es war ja der Magier Smerdis, den mich die Gottheit im Traumgesicht als Empörer vorhersehen ließ. Die Tat habe ich einmal getan, und den Smerdis, den Sohn des Kyros, das merkt euch, habt ihr nicht mehr; sondern die Magier haben eure Königskrone in Händen: der von mir zurückgelassene Verwalter des Hauses und sein Bruder Smerdis. Der, an dem es nun zuerst wäre, für die Schmach, die mir die Magier angetan haben, Rache für mich zu nehmen, der ist eines ruchlosen Todes gestorben durch seine nächsten Angehörigen. Da ich nun diesen nicht mehr habe, so bin ich in zweiter Reihe euch, Perser, aufzutragen genötigt, was mein letzter Wille ist, mit dem ich sterbe. So lege ich's denn mit Anrufung der königlichen Götter, wie euch allen, so besonders den anwesenden Achämeniden auf, die Oberherrschaft nicht wieder auf die Meder übergehen zu lassen, sondern, wenn sie mit List in ihren Besitz kämen, daß sie ihnen wieder genommen werde mit List durch euch, und wenn sie durch Gewalt sie unter sich brächten, daß ihr mit Macht sie wieder aufrichtetet durch Gewalt. Und tut ihr also, dann soll euch die Erde Frucht bringen, und sollt ihr fruchtbare Weiber und Herden haben, dabei frei sein allezeit; aber richtet ihr eure Herrschaft nicht wieder auf und versucht auch nicht, sie aufzurichten, dann bete ich das Gegenteil von allem dem auf euch herab und zudem, daß es zuletzt mit jeglichem Perser so ausgehen möge, wie es mit mir ausgegangen ist.«

66. Bei diesen Worten beweinte Kambyses sein ganzes Geschick. Wie nun die Perser ihren König in Weinen ausbrechen sahen, zerrissen alle, was sie von Kleidern anhatten, und erhoben laut ein großes Wehklagen. Als sodann der Knochen sich entzündet und gleich auch der Brand im Schenkel um sich gegriffen hatte, ward Kambyses, der Sohn des Kyros, dahingerafft, nachdem er im ganzen sieben Jahre und fünf Monate König gewesen war, und zwar ohne alle Nachkommenschaft männlichen oder weiblichen Geschlechts. Die anwesenden Perser aber wollten durchaus nicht glauben, daß die Magier die Herrschaft hätten, sondern waren überzeugt, Kambyses habe aus Falschheit gesagt, was er über den Tod des Smerdis gesagt hatte, damit diesem ganz Persien verfeindet werde. So beharrten sie bei der Meinung, Smerdis, der Sohn des Kyros, sei als König aufgestanden, wie denn auch Prexaspes hartnäckig leugnete, den Smerdis getötet zu haben, weil es für ihn gefährlich war, nach Kambyses' Ende herauszusagen, daß er den Sohn des Kyros eigenhändig umgebracht habe.

67. Jener Magier war also nach Kambyses' Ende, fußend auf die Gleichnamigkeit mit Smerdis, dem Sohne des Kyros, sonder Furcht König die sieben Monate lang, die dem Kambyses zu vollen acht Jahren abgingen. In dieser Zeit erwies er allen seinen Untertanen große Wohltaten, so daß nach seinem Tode ganz Asien ihn schwer vermißte, mit Ausnahme der Perser selbst. Denn es ließ der Magier an alles Volk seiner Herrschaft die Ankündigung ergehen, es sei Freiheit vom Kriegsdienst und Abgaben auf drei Jahre. Diese Ankündigung erließ er gleich beim Antritt seiner Herrschaft.

68. Im achten Monat aber ward er folgendermaßen erkannt: Otanes, der Sohn des Pharnaspes, an Geschlecht und Vermögen einer der Ersten in Persien, hatte zuerst den Magier im Verdacht, daß er nicht des Kyros Sohn Smerdis sei, sondern der, der er war. Er schloß es daraus, daß er nie aus seiner Burg ging, noch je einen der angesehenen Perser vor sein Angesicht rief. Zufolge seines Verdachts machte es nun dieser Otanes also: Kambyses hatte seine Tochter, mit Namen Phaidyme, zur Frau gehabt; dieselbe hatte jetzt der Magier auch, der mit ihr, wie überhaupt mit allen Frauen des Kambyses, verkehrte. Zu dieser Tochter schickte Otanes und erkundigte sich, wer es sei, mit dem sie schlafe, ob mit Smerdis, dem Sohne des Kyros, oder mit einem andern. Darauf schickte sie ihm die Antwort, sie kenne ihn nicht, da sie den Sohn des Kyros, Smerdis, niemals gesehen habe, noch von ihrem Gatten wisse, wer er sei. Da schickte Otanes zum zweitenmal zu ihr und ließ ihr sagen: »Wenn du selbst Smerdis, den Sohn des Kyros, nicht kennst, so erkundige du dich bei Atossa, wer das sei, der ihr und dein Gatte ist; denn sie muß doch ihren eigenen Bruder kennen.« Die Tochter schickte ihm die Antwort: »Mit Atossa kann ich so wenig ins Gespräch kommen wie überhaupt eine aus der Frauensippschaft sehen, weil uns dieser Mann, wer er auch ist, sowie er zum Königtum kam, sogleich getrennt und jede an einen besonderen Ort gesetzt hat.«

69. Wie das Otanes hörte, leuchtete ihm die Sache noch mehr ein. Er sandte ihr eine dritte Botschaft zu, des Inhalts: »Meine Tochter, du mußt, als Edelgeborne, einen Versuch wagen, den dein Vater dich wagen heißt. Denn wenn er nicht der Sohn des Kyros, Smerdis, ist, sondern der, für den ich ihn halte, so darf ihm nicht so hingehen, daß er dein Bett teilt und das Zepter der Perser hat, sondern er muß dafür büßen. Nun mach es so: Wenn er wieder eine Nacht bei dir ist und du merkst, daß er eingeschlafen ist, so betaste seine Ohren. Wenn du da findest, daß er Ohren hat, so sei überzeugt, daß Smerdis, der Sohn des Kyros, dein Gatte ist; wenn er aber keine hat, dann ist es der Magier Smerdis.« Darauf schickt ihm Phaidyme die Antwort, sie wage nichts Geringes, wenn sie das tue; denn im Fall, daß er keine Ohren habe und sie nun über dem Betasten ertappe, so wisse sie wohl, daß er sie aus der Welt schaffen werde. Indessen werde sie es doch tun. Sie versprach ihrem Vater also, das auszuführen. Jenem Magier Smerdis aber hatte Kyros, der Sohn des Kambyses, da er herrschte, die Ohren abschneiden lassen für eine nicht geringe Schuld. Diese Phaidyme also, die Tochter des Otanes, erfüllte ganz, was sie dem Vater versprochen hatte, indem sie, als an ihr die Reihe zur Zusammenkunft mit dem Magier war (die Perser lassen nämlich ihre Weiber in umlaufender Ordnung kommen), zu ihm schlafen ging, und als er fest schlief, nach den Ohren des Magiers tastete. Da sie ohne Schwierigkeit, ja ganz leicht bemerkte, daß der Mensch keine Ohren hatte, sandte sie, sowie es Tag war, ihrem Vater die Anzeige davon zu.

70. Hierauf nahm Otanes den Aspathines und Gobryas zu sich, die zu den vornehmsten Persern gehörten und denen er rückhaltlos trauen durfte, und erzählte ihnen die ganze Sache. Sie hatten ohnehin schon den Verdacht, daß dem also sei. Wie nun Otanes die Sache vorgetragen hatte, stimmten sie bei und beschlossen, jeder solle noch einen Perser zum Genossen nehmen, dem er am meisten vertraue. So zog Otanes den Intaphernes zu, Gobryas den Megabyzos, und Aspathines den Hydarnes. Als diese sechs beisammen waren, kam in Susa Dareios, der Sohn des Hystaspes, an, von Persis her, über das sein Vater Statthalter war. Bei dessen Ankunft beschlossen die sechs Perser, auch den Dareios zum Gefährten zu nehmen.

71. Diese sieben also traten jetzt zusammen in einen Bund und Rat. Als die Reihe an Dareios kam, seine Meinung darzutun, sprach er also zu ihnen: »Ich habe geglaubt, allein zu wissen, daß der Magier den König macht, und Smerdis, der Sohn des Kyros, tot ist; komme auch deswegen in Eile hierher, um über den Magier den Tod zu verhängen. Da es sich nun aber so getroffen hat, daß auch ihr es wißt und nicht ich allein, so halte ich es für notwendig, gleich zu handeln und nichts aufzuschieben, weil das nicht frommt.« Ihm erwiderte Otanes: »Sohn des Hystaspes, du hast einen wackern Mann zum Vater und erweisest dich in Wahrheit nicht schlechter als dein Vater. Indes beschleunige diesen Anschlag nicht so unbedacht, sondern nimm ihn wohl in Erwägung! Es müssen nämlich erst unser mehr sein: dann führen wir den Schlag.« Darauf antwortete Dareios: »Ihr anwesenden Männer, wenn ihr's nach der von Otanes vorgeschlagenen Art halten wollt, so seid überzeugt, daß ihr schmählich umkommen müßt! Denn dem Magier wird's einer angeben, der daraus sich selbst einen Vorteil macht. Zwar hättet ihr vor allem bloß auf eure Faust es tun sollen; da ihr aber dafür wart, mehrere beizuziehen, und es auch mir anvertrautet, so handeln wir entweder heute, oder wißt, daß kein anderer Ankläger, wenn ihr diesen Tag vorübergehen laßt, mir zuvorkommen soll, sondern daß ich selbst euch beim Magier anzeigen werde.«

72. Darauf antwortete Otanes, als er die Hitze des Dareios sah: »Weil du uns zur Beschleunigung zwingst und keinen Aufschub zuläßt, wohlan, so gib selbst an, auf welche Art wir in die Königsburg kommen und den Angriff auf sie machen sollen. Denn die Wachen, die, wie du wohl selbst – wenn nicht vom Sehen, doch vom Hören – weißt, dort eine hinter der andern stehen – wie sollen wir durch die hindurchkommen?« Die Antwort des Dareios war: »Otanes, vieles ist, was sich nicht mit Worten beweisen läßt, aber mit der Tat; anderes ist wohl in Worten möglich, wird aber nicht zu einer glänzenden Tat. Nun wißt ihr, daß es mit dem Durchkommen durch die aufgestellten Wachen keine Schwierigkeit hat. Denn einmal steht da keiner, der uns, Männer dieses Standes, nicht durchließe, sowohl aus Ehrerbietung wie auch aus Furcht; sodann aber habe ich einen ganz ausgezeichneten Vorwand, mit dem wir durchkommen, daß ich nämlich eben aus Persis käme und einen Auftrag meines Vaters dem König melden wolle. Denn wenn es not tut, eine Lüge zu sagen, da lüge man! Wir gehen ja auf eines aus, die Lügenden wie die immerdar Wahrhaftigen. Die einen lügen dann, wenn sie jemand durch Lügen überreden und daraus Vorteil ziehen können. Die andern bleiben bei der Wahrheit, um durch die Wahrheit einen Vorteil zu erhalten und desto mehr Vertrauen zu genießen. So tun wir zwar nicht dasselbe, aber es ist uns um dasselbe zu tun. Wenn nichts dabei zu gewinnen wäre, würde ebensogut der Wahrhaftige lügenhaft sein, und der Lügner wahrhaftig. Nun aber soll es dem von den Türhütern, der uns gutwillig durchläßt, inskünftige frommen; wer aber Widerstand wagt, soll sofort als Feind angesehen werden. Sodann werfen wir uns hinein und schreiten zur Tat!«

73. Darauf sprach Gobryas: »Ihr Freunde, kann es eine schönere Möglichkeit geben, entweder die Herrschaft wieder aufzurichten oder, wenn wir, sie wieder zu ergreifen, nicht fähig sind, zu sterben? Denn jetzt werden wir Perser von einem Meder beherrscht, einem Magier, der noch dazu keine Ohren hat. Soweit ihr mit am Krankenbette des Kambyses standet, seid ihr wohl noch dessen eingedenk, was er den Persern am Ende seines Lebens auferlegt hat, wenn sie nicht versuchten, die Herrschaft wieder zu gewinnen. Damals wollten wir das allerdings nicht annehmen, sondern glaubten, Kambyses spreche so aus Bosheit. Jetzt aber stimme ich dafür, dem Dareios zu folgen und aus dieser Versammlung nicht mehr auseinander, sondern stracks auf den Magier loszugehen.« Das redete Gobryas, und dem gaben alle Beifall.

74. Während diese so berieten, fügte sich's, daß folgendes geschah: Auch die Magier berieten, und es dünkte ihnen gut, den Prexaspes zum Freunde zu gewinnen, da er von Kambyses die ruchlose Mißhandlung erfahren hatte, daß er ihm seinen Sohn erschoß, und weil er auch allein um den Tod des Smerdis, des Sohnes des Kyros, wußte, als dessen eigenhändiger Mörder, dazu noch wegen der so ausnehmenden Ehre, in der Prexaspes bei den Persern stand. Aus diesen Gründen ließen sie ihn rufen und machten ihn zu ihrem Freunde, mit Abnahme der eidlichen Verpflichtung, daß er's bei sich behalten und keinem Menschen den Betrug verraten wolle, den sie den Persern spielten, wofür sie ihm tausend Herrlichkeiten auf einmal versprachen. Als nun Prexaspes darauf einging, das zu tun, machten ihm die Magier, da sie ihn hierzu bewogen hatten, den weiteren Vorschlag, daß sie alle Perser unter die Mauer der Königsburg zusammenrufen wollten, und da sollte er oben vom Turm herab eine Rede halten, daß sie von dem Sohne des Kyros, Smerdis, beherrscht würden und von keinem andern. Das trugen sie ihm auf, weil er anscheinend das größte Vertrauen bei den Persern genoß und auch oftmals die Erklärung abgegeben hatte, der Sohn des Kyros, Smerdis, lebe noch, seinen Mord aber geleugnet hatte.

75. Da sich Prexaspes, auch dies zu tun, bereit erklärte, ließen ihn die Magier nach Zusammenberufung der Perser auf den Turm steigen und hießen ihn die Rede halten. Nun vergaß er aber das, worum sie ihn ersucht hatten, mit Fleiß, fing von Achämenes an und sagte die ganze Ahnenliste des Kyros her und endigte, als er auf diesen herabgekommen war, mit Darlegung all des Guten, das Kyros den Persern verschafft habe; als er damit fertig war, entdeckte er die Wahrheit, mit der Erklärung, bisher habe er's verheimlicht, da es gefährlich für ihn gewesen sei, das Wahre zu sagen; jetzo aber müsse er es notgedrungen entdecken. Dann verkündete er, den Sohn des Kyros, Smerdis, habe er selbst, genötigt durch Kambyses' Machtwort, umgebracht, und die Magier seien auf dem Königsthron. Darauf stürzte er sich mit einem schweren Fluch über die Perser, wenn sie nicht ihre Herrschaft sich wiedergewännen und die Magier büßen ließen, kopfüber vom Turm hinab. So starb Prexaspes, sein Leben lang ein ehrenhafter Mann.

76. Jene sieben Perser nun gingen, nachdem sie beschlossen hatten, sogleich Hand an die Magier zu legen und nichts zu verschieben, unter Gebet zu den Göttern hin, ohne von dem Vorfall mit Prexaspes etwas zu wissen. So hatten sie gerade die Hälfte ihres Weges zurückgelegt, als sie die Geschichte mit Prexaspes erfuhren. Da traten sie aus dem Wege und besprachen sich von neuem, wobei von seiten des Otanes durchaus die Meinung herrschte, zu verschieben und in der allgemeinen Gärung nichts zu unternehmen; von seiten des Dareios aber, sogleich hinzugehen und das Beschlossene zu tun, nicht aber zu verschieben. Während dieses Wortwechsels zeigten sich sieben Falkenpaare, die zwei Geierpaare jagten und zausten und verwundeten. Auf diesen Anblick gaben alle sieben der Meinung des Dareios ihren Beifall und gingen sofort nach der Königsburg, im mutigen Vertrauen auf die Vögel.

77. Als sie ins Tor traten, ging es so, wie Dareios vermutet hatte, indem sie die Wachen, aus Ehrerbietung vor den vornehmsten Männern Persiens und weit entfernt davon, sie eines solchen Vorhabens zu verdächtigen, durchließen. Sie gingen unter göttlichem Geleit, und es stellte nicht einmal einer eine Frage. Dann aber kamen sie in den Vorhof und stießen auf die immer zu den Anmeldungen aufgestellten Verschnittenen, die sie ausfragten, in welcher Absicht sie kämen, und unterm Ausfragen zugleich die Torhüter bedrohten, weil sie dieselben durchgelassen hatten. Sie hielten die sieben, die weiter hineingehen wollten, auf. Diese machten aber einander Mut, zogen ihre Dolche und stießen jene, die sie aufhalten wollten, auf der Stelle nieder, und dann ging es im Lauf in den Männersaal.

78. Die Magier waren gerade damals beide darin und eben in der Beratung des Streiches des Prexaspes begriffen. Als sie nun sahen, daß die Verschnittenen, die auch schrien, in ein Getümmel kamen, liefen sie rasch wieder zurück, merkten, was vorging, und griffen zur Wehre. Der eine nämlich erwischte noch geschwind den Bogen, der andere griff zum Spieß. Da gerieten sie ins Handgemenge. Der, welcher den Bogen zur Hand hatte, konnte, da ihm die Feinde schon so nahe auf dem Leibe waren, nichts damit anfangen. Der andere aber wehrte sich mit dem Spieße und stieß zuerst den Aspathines in den Schenkel, dann den Intaphernes ins Auge, und wirklich verlor durch diese Wunde Intaphernes sein Auge, starb jedoch nicht daran. Diese verwundete also der eine Magier; der andere floh, weil er mit seinem Bogen nichts ausrichten konnte, ins Gemach, das an diesen Männersaal stieß, und wollte da die Türe schließen. Aber zwei von den sieben stürzten mit ihm hinein, Dareios und Gobryas. Da nun Gobryas mit dem Magier rang, stand Dareios unschlüssig daneben, aus Besorgnis, da es dort ganz finster war, den Gobryas zu treffen. Gobryas aber, der ihn so ruhig dastehen sah, fragte, warum er seine Hand nicht brauche. Er antwortete: »Aus Besorgnis, dich zu treffen.« Da entgegnete Gobryas: »Stoß zu, und wenn du uns beide triffst!« Da stieß Dareios mit seinem Dolche zu und traf gerade den Magier.

[Anmerkung:] 78. Da es dort ganz finster war: Das Gemach hatte keine Fenster, sondern bekam sein Licht durch die Tür, die der Magier zugeworfen hatte.

 

79. Nach Ermordung der Magier schnitten sie ihnen die Köpfe ab. Sie ließen dann ihre zwei Verwundeten daselbst zurück, sowohl wegen ihrer Schwäche als zur Bewahrung der Burg. Die fünf andern liefen nun mit den Köpfen der Magier hinaus und riefen mit Schreien und Lärmschlagen alle Perser herbei, erzählten die Sache, wiesen die Köpfe vor und töteten dabei jeden Magier, der ihnen in den Weg kam. Als aber die Perser mit der Handlung der sieben zugleich den Betrug der Magier erfuhren, hielten auch sie es für recht, ein Gleiches zu tun, zogen ihre Dolche und töteten die Magier, wo sie einen fanden, und hätten, wäre nicht die Nacht dazu gekommen, keinen Magier übriggelassen. Diesen Tag feiern die Perser sämtlich am höchsten unter allen Tagen und halten an ihm ein großes Fest, das von den Persern das Magierblutfest genannt wird. An ihm darf kein Magier zum Vorschein kommen, sondern alle Magier halten sich den ganzen Tag in ihren Häusern.

80. Als nun das Getümmel zum Stillstand gekommen und fünf Tage vorüber waren, berieten die gegen die Magier verschworenen Männer die politische Lage, wobei Reden gesprochen wurden, die zwar einigen Hellenen unglaublich vorkommen, darum aber doch gesprochen worden sind. Otanes nämlich wollte, das gemeine Wesen solle dem Volke der Perser selbst überlassen werden, indem er sprach: »Ich halte dafür, daß hinfort nicht mehr einer von uns Alleinherrscher sei, weil das weder angenehm noch gut ist. Denn ihr wißt selbst, wie weit der Übermut des Kambyses gegangen ist, und habt auch den Übermut des Magiers miterlebt. Wie sollte aber auch die Alleinherrschaft eine ordentliche Sache sein, die ja die Freiheit hat, zu tun, was beliebt, ohne Verantwortlichkeit? Muß sie doch selbst den allerbesten Mann, mit der Einsetzung in diese Herrschaft, aus dem Geleise seiner gewohnten Gesinnungen bringen! Denn durch das viele Gute, das er genießt, muß er in Übermut geraten, und Mißgunst hat der Mensch ohnehin schon von Geburt. Wer aber diese zwei hat, der hat alle Schlechtigkeit beisammen, indem er teils aus Übermut viele Untaten begeht, teils aus Mißgunst. Freilich, ein Gewalthaber sollte frei von Mißgunst sein, da er selbst jegliches Gute hat; aber er ist gegenüber den Bürgern gerade das Gegenteil in seiner Art. Denn er mißgönnt es den Besten, daß sie wohl und am Leben sind, und freut sich der Schlechtesten im Volk, ist im Anhören von Verleumdungen der Beste, und was das Wunderlichste von allem ist: wenn du ihn mit Maß bewunderst, ärgert er sich, daß ihm nicht stärker der Hof gemacht wird, macht ihm aber einer stark den Hof, so ärgert er sich über ihn als Schmeichler. – Und nun komme ich noch zum Schlimmsten: er stößt die väterlichen Bräuche um, tut Weibern Gewalt an, tötet ohne Richterspruch. Das Volk dagegen, wenn es herrscht, hat erstlich den schönsten Namen von allen, Gleichheit vor dem Gesetz, und tut zweitens nichts von alledem, was der Alleinherrscher tut. Es bestellt seine Obrigkeiten durch das Los, macht die Ämter rechenschaftspflichtig und überträgt der Gemeinschaft alle Entschließungen. So gebe ich nun meine Meinung dahin ab, daß wir die Alleinherrschaft fahren lassen und das Volk erheben. Denn im Volke liegt alles.« Diese Meinung brachte Otanes vor.

[Anmerkung:] 80. Roscher zitiert diese Debatte über die beste Staatsform am Anfang seiner »Politik« (Naturgeschichte der Monarchie, Aristokratie, Demokratie. Naunhof 1933, S. 1) und meint, »es habe dieser Abschnitt, etwa ums Jahr 445 v. Chr. vorgetragen, auf die damaligen Verfassungskämpfe in Athen anspielen wollen«. Ebenso betrachtet Ranke in seiner Weltgeschichte (I, Kapitel 4) die staatspolitische Debatte als eine Dichtung. Herodots Versicherung, das Streitgespräch habe wirklich stattgefunden, beweist nur, daß es eine entsprechende Sage gab, die unter den Griechen umlief. Die Perser nahmen überhaupt keine andere Staatsform als die Monarchie ernst. Die freie Ausgestaltung der eingeschobenen Reden gilt im ganzen Altertum als eine künstlerische Pflicht des Historikers, während wir erfundene Reden Napoleons oder Bismarcks nur im historischen Roman für erlaubt halten und nicht einmal dort mit rechtem Behagen lesen.

 

81. Megabyzos aber wollte, man solle einer Minderzahl die Herrschaft geben, indem er sprach: »Was Otanes gegen die Alleinherrschaft spricht, das sag' auch ich: daß er aber für das Volk die oberste Macht verlangt, darin hat er die beste Meinung nicht getroffen. Denn es gibt nichts Unverständigeres und Übermütigeres als den Haufen, der zu nichts zu gebrauchen ist. Und nun, um eines Gewalthabers Übermut zu entgehen, dem Übermut einer zügellosen Volksmenge in die Hände zu fallen, das ist nicht auszuhalten. Jener nämlich tut doch, was er tut, mit Einsicht; im Volk aber ist kein Verstand. Denn wie hätte es Einsicht, da es in nichts belehrt ward, nichts Gutes noch Anständiges weiß und so ohne Verstand über die Geschäfte herfällt und sie fortreißt gleich einem jähen Bergstrom? Wer es also mit den Persern übel meint, der halte es mit der Volksmenge. Wir aber wollen einer Auswahl der besten Männer die Obermacht zuteilen, unter denen ja auch wir sein werden. Von den besten Männern kommen aber natürlich die besten Ratschlüsse.« Diese Meinung brachte Megabyzos vor.

82. Dareios aber tat als dritter seine Meinung kund, indem er sprach: »Ich halte, was Megabyzos über die Volksmenge spricht, für richtig, aber was er über eine Herrschaft der Minderzahl sagt, für unrichtig. Denn von drei Möglichkeiten, wobei ich von jeder den besten Fall sehe, von der besten Volksgemeinde, Herrschaft der Minderzahl und Alleinherrschaft, setze ich die letzte weit über alle. Denn offenbar ist nichts trefflicher, als wenn ein einziger Mann herrscht, der beste, der nun immer in solcher Gesinnung über das Volk ohne Tadel waltet, und dessen Ratschlüsse gegen den Feind auch am ehesten verschwiegen bleiben. Aber bei einer Regierung der Minderzahl, in der viele um Verdienste für die Allgemeinheit sich bemühen, entstehen gern starke persönliche Feindschaften. Während nämlich jeder selbst der Erste sein und seinen Sinn immer durchsetzen will, geraten sie untereinander in heftige Feindschaften, woraus Parteiungen entstehen und aus den Parteiungen Mord, und aus dem Mord geht's zuletzt in Alleinherrschaft über, wodurch eben dargetan wird, wie sehr diese das Beste ist. Hinwiederum ist es unmöglich, daß nicht Schlechtigkeit entstehe, wenn das Volk herrscht. Entsteht aber Schlechtigkeit im gemeinen Wesen, so entstehen keine Feindschaften unter den Schlechten, wohl aber starke Freundschaften: indem die Schädlinge der Gemeinschaft sich unter eine Decke stecken. Und das geht so, bis sich einer an die Spitze des Volkes stellt und ihnen das Handwerk legt. Alsbald wird nun dieser vom Volke hoch gefeiert, und sonach zeigt er sich schon als Alleinherrscher, wodurch aber auch dieser einen Beweis liefert, daß die Alleinherrschaft das Vortrefflichste ist. Endlich, um alles zusammen mit einem Worte zu sagen: woher halben wir unsere Freiheit? Von wem haben wir sie bekommen? Vom Volke, von der Minderzahl oder von einem Alleinherrscher? Also bin ich der Meinung: wie wir durch einen Mann frei geworden sind, so sollen wir das festhalten und überdies die väterlichen Bräuche nicht auflösen, die gut sind; denn das frommt nicht.«

83. Diese drei Meinungen lagen vor, die vier übrigen aber von den sieben traten der letzten bei. Da nun Otanes, der allen Persern die Gleichheit vor dem Gesetz geben wollte, mit seiner Meinung unterlag, machte er ihnen folgenden Vorschlag: »Verschworene Genossen, da es nun klar ist, daß einer von uns König werden muß, sei's nun durchs Los oder indem wir es dem Volke der Perser überlassen, ihn zu wählen, oder auf einem andern Wege: so will ich nicht mit euch in die Schranken treten; denn ich mag weder herrschen, noch beherrscht werden. Unter der Bedingung steh' ich von der Herrschaft ab, daß ich von keinem von euch beherrscht werde, weder ich selbst, noch jemals meine Nachkommen.« Da die sechs, als er das sagte, auf seine Bedingungen eingingen, stellte sich dieser nicht mit in die Schranken, sondern trat aus. So ist dies jetzt noch immer das einzige freie Haus der Perser, das nur so weit unter der Herrschaft steht, als es selber will, solange es die Bräuche der Perser nicht verletzt.

84. Nun hielten die übrigen von den sieben Rat, wie sie am besten einen König einsetzten. Sie beschlossen zunächst, es solle dem Otanes und seinen Nachkommen jederzeit, wenn einer der sieben außer ihm König werde, alljährlich zur Auszeichnung ein medisches Kleid gereicht werden samt allem, was in Persien das höchste Ehrengeschenk ausmacht. Daß ihm dies gereicht werde, beschlossen sie deshalb, weil er zuerst den Anschlag gemacht und sie in den Bund gebracht hatte. Diese Auszeichnung gewährten sie dem Otanes, für alle gemeinsam aber bestimmten sie, es solle jeder der sieben, wann er wolle, ohne Anmeldung in die Königsburg gehen dürfen, wenn der König nicht gerade im Frauengemach schlafe, und der König dürfe aus keinem andern Geschlecht freien als unter den Mitverschworenen. Dann machten sie über das Königtum aus, daß derjenige, dessen Pferd bei Sonnenaufgang, während sie in der Vorstadt ritten, zuerst einen Laut geben werde, das Königtum haben solle.

[Anmerkung:] 84. Das Roß war dem Sonnengotte Mithra heilig. Das Orakel erinnert an den Bericht des Tacitus in der »Germania« (10): »Sie beobachten das Wiehern und Schnauben weißer Rosse. Keinem Vorzeichen wird mehr Vertrauen geschenkt, nicht nur vom Volke, sondern auch von den Vornehmen, von den Priestern.«

 

85. Nun hatte Dareios einen Stallknecht, einen klugen Menschen, mit Namen Oibares. Zu diesem sprach, nachdem sie auseinandergegangen waren, Dareios also: »Oibares, wir haben über das Königtum den Beschluß gefaßt, daß derjenige, dessen Pferd bei Sonnenaufgang, während wir reiten, zuerst einen Laut von sich gibt, das Königtum haben soll. Wenn du nun etwas Kluges weißt, so stelle es an, damit wir diesen Preis gewinnen, und kein anderer.« Darauf antwortete ihm Oibares: »Wenn es nur daran liegt, mein Gebieter, ob du König wirst oder nicht, so sei deshalb getrost und habe guten Mut, daß kein anderer als du König wird: dazu hab' ich meine Mittel.« – »Nun«, sagte Dareios, »wenn du so einen klugen Kunstgriff weißt, so ist's Zeit, solches ohne Aufschub anzustellen, da morgenden Tages der Wettkampf erfolgt.« Als das Oibares hörte, machte er's folgendermaßen. Er nahm, als es Nacht war, von den Stuten eine, die dem Pferd des Dareios am liebsten war, band sie draußen in der Vorstadt an und führte dann das Pferd des Dareios dazu, und nachdem er's erst vielmals um die Stute herumgeführt und sie hatte streifen lassen, ließ er es sie schließlich bespringen.

86. Als der Morgen dämmerte, stiegen die sechs verabredetermaßen zu Pferde, und sobald sie beim Ausreiten in der Vorstadt an die Stelle kamen, wo in der vergangenen Nacht die Stute angebunden war, so sprang des Dareios Pferd an und wieherte; zugleich fiel auch, wie das Pferd dies tat, ein Blitz aus heiterer Luft und ein Donnerschlag. Diese Zeichen, die dem Dareios zuteil wurden, als ob auch sie verabredet worden wären, gaben ihm die Weihe. Die andern sprangen von den Pferden und warfen sich vor Dareios, als ihrem König, nieder.

87.So hat es nach einigen Oibares gemacht, nach andern aber folgendermaßen (es wird nämlich auf beide Weisen von den Persern erzählt): er habe die Geschlechtsteile der Stute mit der Hand gestrichen und diese dann in die Hosen gesteckt. Als nun mit Sonnenaufgang die Pferde abgehen sollten, habe ebendieser Oibares seine Hand hervorgezogen und dem Pferde des Dareios unter die Nüstern gehalten, so daß dieses bei dem Geruch mit Schnauben wieherte.

88. So wurde denn Dareios, der Sohn des Hystaspes, König, und ihm waren außer den Arabern alle Völker Asiens untergeben, die Kyros und ferner nach ihm Kambyes unterworfen hatten. Aber die Araber ergaben sich den Persern niemals in Knechtschaft, sondern wurden befreundet mit ihnen, indem sie den Kambyses nach Ägypten durchließen. Denn gegen den Willen der Araber hätten die Perser nicht in Ägypten eindringen können. Dareios freite nun die ersten Frauen in Persien: einmal zwei Töchter des Kyros, Atossa und Artystone, von denen Atossa schon vorher die Gemahlin ihres Bruders Kambyses und dann die des Magiers gewesen war, Artystone aber Jungfrau war. Ferner freite er eine Tochter des Smerdis, des Sohnes des Kyros, mit Namen Parmys. Dazu hatte er auch die Tochter des Otanes, die den Magier entlarvt hatte. Nun ward seine Macht vollkommen. Da ließ er zuerst ein Bildnis von Stein machen, das er aufstellte, worauf ein Reiter abgebildet war, und dazu eine Inschrift, die so viel besagt: »Dareios, der Sohn des Hystaspes, ist mittelst der Tugend seines Pferdes (mit Namensangabe) und des Oibares, seines Stallmeisters, König der Perser geworden.«

89. Nachdem er das in Persien getan hatte, setzte er zwanzig Statthalterschaften fest, die sie Satrapien nennen. Nach Festsetzung der Statthalterschaften und Einsetzung von Statthaltern ordnete er die Einlieferung der Abgaben nach den Völkern an, wobei er den Völkern auch ihre Nebenländer beiordnete und über die Grenznachbarn hinaus dem einen das, dem andern jenes fernere Volk zuteilte. Die Statthalterschaften aber und die jährliche Abgabeneinlieferung verteilte er folgendermaßen: die, welche Silber entrichten, hatten das Talent nach babylonischem Gewichte, und die, welche Gold entrichten, nach euböischem zu entrichten. Das babylonische Talent beträgt aber siebzig euböische Minen. Unter der Herrschaft des Kyros und dann des Kambyses war nämlich nichts über die Abgaben festgesetzt, sondern sie lieferten Geschenke. Wegen dieser Anordnung der Abgaben und anderen ähnlichen Einrichtungen sagen die Perser, Dareios sei ein Krämer gewesen, Kambyses ein Herrscher, Kyros ein Vater; jener, weil er aus allem ein Geschäft machte, der andere, weil er hart und rücksichtslos war, der dritte, weil er mild war und ihnen alle Güter verschaffte.

[Anmerkung:] 89. Der Unterschied, den Herodot zwischen freiwilligen Geschenken und feststehenden Abgaben macht, führt irre. Die älteste Verwaltung war die der Assyrier, sie wurde von den Babyloniern übernommen, die babylonische dann von den Persern. Die wesentliche Neuerung, die Dareios einführte, war die Vergrößerung der Verwaltungsbezirke: er teilte das Reich unter seine Anhänger auf. Diese stellten größere Ansprüche als die assyrischen Beamten. Über die seit Dareios bestehende Verwaltung war Herodot durch seine ausgedehnten Reisen im Perserreiche genau unterrichtet. Als er aufwuchs, stand Halikarnassos unter persischer Herrschaft. Die Perser haben Herodot, als er seine Reisen machte, nicht als einen Fremden betrachtet, sondern die Beamten gaben ihm über alles Auskunft, worüber überhaupt gesprochen werden durfte. Was er erfuhr, war, soweit es nicht das Verhältnis zu den Griechen betraf, die offizielle persische Geschichte, die »achämenidische Legende«, die beispielsweise Dareios zu einem Abkömmling des Kyros machte, weil das neue Herrscherhaus die Verbindung mit dem allverehrten alten brauchte. Daß die Angaben Herodots durch die ebenfalls offiziellen Felsinschriften bestätigt werden, ist unter diesen Umständen nicht weiter verwunderlich.

 

90. Von den Ioniern nun, den asiatischen Magnesiern, den Äoliern, Karern, Lyziern, Milyern und Pamphyliern (denn für diese hatte er eine gemeinsame Abgabe angeordnet) gingen vierhundert Talente Silber ein. Das war der erste Kreis, den er festsetzte. Von den Mysiern, Lydern, den Kabaliern, die da Lasonier heißen, und den Hygennern fünfhundert Talente. Dies war der zweite Kreis. Von den Hellespontiern zur Rechten der Einfahrt und den Phrygiern, den asiatischen Thraziern, den Paphlagoniern, Mariandynern und Syriern betrug die Abgabe dreihundertundsechzig Talente. Dies war der dritte Kreis. Von den Ziliziern dreihundertundsechzig weiße Pferde, von jedem Tage eins, samt fünfhundert Talenten Silber. Davon wurden hundertundvierzig für die wachthabende Reiterei im zilizischen Gebiete aufgewandt, die andern dreihundertundsechzig flossen dem Dareios zu. Dies war der vierte Kreis.

91. Von der Stadt Poseideion, die Amphilochos, der Sohn des Amphiaraos, an den Grenzen der Zilizier und Syrier anbaute, von da an bis Ägypten, mit Ausnahme des Anteils der Araber, der nämlich frei war von Zins, betrug die Abgabe dreihundertundfünfzig Talente. Zu diesem Kreise gehört aber ganz Phönizien, das sogenannte palästinische Syrien und Zypern. Dies ist der fünfte Kreis. Von Ägypten, den an Ägypten angrenzenden Libyern und Kyrene samt Barka (die nämlich zum ägyptischen Kreise gefügt wurden) gingen siebenhundert Talente ein, neben dem vom Mörissee kommenden Gelde, das von den Fischen einkam. Also außer diesem Gelde und dem Korn, das abgeliefert werden mußte, gingen siebenhundert Talente ein; an Korn müssen sie nämlich überdies den in der weißen Burg zu Memphis liegenden Persern samt ihren Hilfstruppen hundertundzwanzigtausend Maß verabreichen. Dies ist der sechste Kreis. Die Sattagyden, Gandarier, Dadiker und Aparyter, die zusammengenommen wurden, entrichteten hundertundsiebzig Talente. Dies ist der siebente Kreis. Von Susa und dem übrigen Kissiergebiete waren es dreihundert. Dies ist der achte Kreis.

92. Von Babylon und dem übrigen Assyrien gingen ihm tausend Talente Silber ein und fünfhundert verschnittene Knaben. Dies ist der neunte Kreis. Von Ekbatana und dem übrigen Medien, den Parikaniern und den Orthokorybantiern vierhundertundfünfzig Talente. Dies ist der zehnte Kreis. Die Kaspier und Pausen, die Pantimather samt den Dareiten entrichteten zweihundert Talente als gemeinsame Abgabe. Dies ist der elfte Kreis. Von den Baktriern bis auf die Aigler betrug die Abgabe dreihundertundsechzig Talente. Dies war der zwölfte Kreis.

93. Von Paktyika und den Armeniern und ihren Grenznachbarn bis zum Schwarzen Meere vierhundert Talente. Dies ist der dreizehnte Kreis. Von den Sagartiern, Sarangern, Thamanaiern, Utiern, Mykern und denen, die auf den Inseln im Roten Meere wohnen, auf die der König die sogenannten Landesverwiesenen versetzt, von diesen sämtlich betrug die Abgabe sechshundert Talente. Dies ist der vierzehnte Kreis. Die Saker und Kaspier entrichteten zweihundertundfünfzig Talente. Dies ist der fünfzehnte Kreis. Die Parther, die Chorasmier und Sogder samt den Ariern dreihundert Talente. Dies ist der sechzehnte Kreis.

94. Die Parikanier und asiatischen Äthiopier entrichteten vierhundert Talente. Dies ist der siebzehnte Kreis. Den Matianern, Saspeiren und Alarodiern waren zweihundert Talente auferlegt. Dies ist der achtzehnte Kreis. Den Moschern, Tibarenern, Makronen, Mosynoiken und Maren waren dreihundert Talente angesetzt. Dies ist der neunzehnte Kreis. Die Inder, bei weitem das größte Volk unter allen, soviel wir wissen, entrichteten auch eine Abgabe wie keine von den andern allen, dreihundertundsechzig Talente Goldsand. Dies ist der zwanzigste Kreis.

95. Das babylonische Geld nun, aufs euböische Talent umgerechnet, macht neuntausendfünfhundertundvierzig Talente. Rechnet man das Gold dreizehnfach, so ergibt der Goldsand eine Summe von viertausendsechshundertundachtzig Talenten. So ist denn der Gesamtbetrag von allem, was dem Dareios als jährliche Abgabe einlief, an euböischen Talenten vierzehntausendfünfhundertundsechzig, wobei ich das, was noch von kleineren Einkünften dabei ist, hier weglasse.

[Anmerkung:] 95. 14 560 Talente zu je 4500 Mark ergeben ein Gesamtsteueraufkommen von etwa 65 Millionen Mark, also nur den Bruchteil des Etats einer unserer Großstädte. Herodot bestaunt Finanzen, die uns heute recht geringfügig vorkommen.

 

96. Diese Abgaben gingen dem Dareios von Asien ein und von einem kleinen Teile Libyens. Nach einiger Zeit gingen ihm aber auch von den Inseln noch Abgaben ein, und aus Europa von den Völkern bis nach Thessalien herab. Diese Abgaben legt der König auf folgende Art in den Schatz: Er gießt sie geschmolzen in irdene Fässer und nimmt, wenn ein Geschirr voll ist, die irdene Schale davon weg. Sooft er dann Geld braucht, schlägt er so viel ab, als er eben braucht.

97. Das waren die Statthalterschaften und angesetzten Abgaben. Die Landschaft Persis aber habe ich nicht unter den zinspflichtigen angegeben, weil die Perser eine steuerfreie Landschaft haben. Für die folgenden war zwar keine Abgabe angesetzt, sie lieferten aber Geschenke: Die an Ägypten grenzenden Äthiopier, die sich Kambyses auf seinem Zuge wider die langlebenden Äthiopier unterwarf, die um das heilige Nysa wohnen und dem Dionysos ihre Feste feiern. Diese Äthiopier und ihre Nachbarn haben denselben Samen wie die kalantischen Inder, und ihre Wohnungen sind unterirdisch. Diese entrichteten beide zusammen, alle zwei Jahre, was sie auch noch bis auf meine Zeit entrichten, zwei Choinix ungeläutertes Gold, zweihundert Stämme Ebenholz, fünf äthiopische Knaben und zwanzig große Elefantenzähne. Auch die Kolcher legten sich Geschenke auf und ihre Grenznachbarn bis zum kaukasischen Gebirge, da bis zu diesem Gebirge die persische Herrschaft reicht, während sich alles, was gegen den Nordwind vom Kaukasus liegt, nicht mehr um die Perser bekümmert. Diese also lieferten als selbstauferlegte Geschenke noch bis auf meine Zeit alle vier Jahre hundert Knaben und hundert Jungfrauen. Die Araber lieferten alljährlich tausend Talente Weihrauch. Diese brachten also dem Könige solche Geschenke neben seinen Abgaben.

98. Jenes viele Gold nun, von dem die Inder dem Könige den besagten Goldsand bringen, gewinnen sie auf folgende Art. Der Strich vom indischen Lande nach Sonnenaufgang ist Sand. Soviel wir nämlich wissen, und soweit bestimmte Kunde geht, sind die Menschen, die zunächst am Morgen und Sonnenaufgange in Asien wohnen, die Inder. Denn von den Indern gegen Morgen ist alles nur Wüste wegen des Sandes. Nun gibt es viele Völkerschaften der Inder, und sie haben auch nicht die gleiche Sprache, und von ihnen sind einige Wandervölker, andere nicht. Wieder andere wohnen im Marschlande ihres Stromes und speisen rohe Fische, die sie von ihren Rohrkähnen aus fangen. Von diesem Rohre gibt jedes Knotenstück einen ganzen Kahn. Diese Inder tragen ein Binsenkleid, indem sie die Binsen, die sie am Flusse schneiden und weichklopfen, nach Art einer Matte zusammenflechten und dann wie einen Panzer anziehen.

99. Andere Inder, die gegen Morgen von diesen wohnen, ein Wandervolk, sind Rohfleischesser und heißen Padaier. Ihre Gebräuche, sagt man, sind folgende: wenn einer von ihren Mitbürgern krank wird, sei's Mann oder Weib, da töten immer den Mann die Männer seiner nächsten Umgebung, mit der Behauptung, die Krankheit zehre ihn ab und verderbe ihnen sein Fleisch; er leugnet zwar, daß er krank sei, aber sie bringen ihn ohne Nachsicht um und verspeisen ihn. Wenn ein Weib krank wird, machen es die Weiber ihrer nächsten Umgebung ebenso wie die Männer. Es wird auch, wer ins Alter kommt, als Opfer von ihnen verspeist. Aber in diesen Fall kommen nicht viele von ihnen, weil sie jeden, der in eine Krankheit verfällt, vorher töten.

100. Wiederum gibt es Inder, welche die andere Sitte haben, daß sie nichts Lebendiges töten, auch nichts säen, auch keine Häuser besitzen, sondern sie essen Gras, und haben eines von der Größe einer Hirse in einer Schote, das von selbst aus der Erde wächst, das sie sammeln, samt der Schote kochen und essen. Wenn einer von ihnen in eine Krankheit verfällt, geht er in die Einöde und legt sich nieder, und niemand kümmert sich darum, ob er tot oder krank ist.

101. Bei allen diesen Indern, die ich aufgezählt habe, ist die Begattung öffentlich wie beim Vieh; auch haben alle die gleiche, mit den Äthiopiern übereinstimmende, Hautfarbe. Ihr Same, mit dem sie die Weiber befruchten, ist nicht wie bei den andern Menschen weiß, sondern schwarz wie die Hautfarbe, wie denn auch die Äthiopier solchen Samen haben. Diese indischen Völker wohnen noch ferner von den Persern, und zwar gegen den Südwind, waren auch dem Könige Dareios niemals untergeben.

[Anmerkung:] 101. Die Fabel vom andersgefärbten Samen berichtigt schon Aristoteles. Über das Fabelland Indien war Herodot nicht durch eigene Reisen unterrichtet. Daher überwiegen hier die märchenhaften Partien.

 

102. Andere Inder sind die Grenznachbarn der Stadt Kaspatyros und der Landschaft Paktyika, wohnen gegen Mitternacht und den Nordwind von den andern Indern und führen ein ähnliches Leben wie die Baktrier. Dies sind auch die streitbarsten von den Indern und eben die, welche nach dem Golde geschickt werden. Dort nämlich ist jene Sandwüste, und in derselben Wüste und diesem Sande gibt es Ameisen, an Größe zwar kleiner als Hunde, aber größer als Füchse. Man hat nämlich auch solche bei dem Könige der Perser, die dort gefangen sind. Diese Ameisen also graben, indem sie sich unter der Erde Höhlen bauen, den Sand auf, wie die Ameisen bei den Hellenen, ganz auf dieselbe Art, und sehen auch geradeso aus; der aufgegrabene Sand aber ist goldhaltig. Nach diesem Sande werden die Inder in die Wüste geschickt. Jeder schirrt drei Kamele an, auf beiden Seiten ein männliches, das frei an der Hand läuft, und in der Mitte ein weibliches, das er selbst besteigt, und zwar sucht er hierzu mit Fleiß immer eines aus, das noch recht kleine Junge hat, von denen es nun weg ins Geschirr muß. Ihre Kamele geben nämlich den Pferden an Schnelligkeit nichts nach und können außerdem viel größere Lasten tragen.

[Anmerkung:] 102. In den Hochflächen Tibets leben zahlreiche Murmeltiere, die meist vor ihren Höhlen sitzen und so den Goldsand zu hüten scheinen. Sie wurden von den Indern, weil sie den Sand mit ihren Höhlen durchwühlten, Ameisen genannt. Daraus hat sich die Sage von der Verfolgung der Goldsucher durch die Ameisen entwickelt, die auch in Goethes »Faust« (Vers 7598-7601) übergegangen ist:
Allemsig müßt ihr sein,
Ihr Wimmelscharen;
Nur mit dem Gold herein!
Den Berg laßt fahren.

 

103. Die Gestalt, die das Kamel hat, will ich, da sie den Hellenen bekannt ist, nicht beschreiben; aber was ihnen daran nicht bekannt ist, will ich bezeichnen. Das Kamel hat an seinen Hinterbeinen vier Schenkel und vier Knie, und seine Geschlechtsteile sind zwischen den Hinterbeinen hindurch dem Schwanze zugekehrt.

[Anmerkung:] 103. Das Kamel hat an den Hinterbeinen zwei schwielige Stellen, die eine am Knie, die andere am Unterschenkel. Daß trotzdem nur ein wirkliches Knie vorhanden ist, betonte schon Aristoteles gegenüber der Angabe Herodots.

 

104. Jene Inder reiten nun immer, nachdem sie die Kamele auf diese Art und Weise angeschirrt haben, nach dem Golde so aus, daß berechnetermaßen ihr Raub in die heißeste Zeit fällt, weil die Ameisen sich vor der Hitze in der Erde verstecken. Am heißesten ist aber die Sonne bei diesen Leuten am Morgen, nicht wie bei den andern am Mittag, sondern von ihrem Aufgang bis zur Stunde, da der Markt leer wird. In dieser Zeit ist es viel heißer als in Hellas zu Mittag, so daß man vernimmt, die Leute ständen dann ganz im Wasser. Die Tagesmitte ist bei den Indern fast genau so heiß wie bei den andern Menschen, aber in der Nachmittagszeit ist die Sonne bei ihnen wie bei den andern die Morgensonne; von da an wird es nun immer kälter, bis es zuletzt bei Sonnenuntergang ganz kalt ist.

[Anmerkung:] 104. Herodot nimmt an, daß der im Osten aufgehenden Sonne das östlichste Volk bei ihrem Aufgange am nächsten ist, daher am Morgen die größte Sonnenhitze auszuhalten hat.

 

105. Wenn nun die Inder an Ort und Stelle kommen, füllen sie den Sand in Säcke, die sie bei sich haben, und reiten dann eiligst zurück. Denn alsbald kommen die Ameisen, die es, wie die Perser sagen, am Geruche merken, hinter ihnen drein; sie sollen aber von einer Schnelligkeit wie nichts anderes sein, so daß von den Indern, wenn sie nicht einen Vorsprung gewännen, während die Ameisen sich sammeln, keiner davonkäme. Da würden denn die beiden männlichen Kamele, die ohnehin schlechtere Läufer als die weiblichen seien, auch eher müde und könnten nicht gleichmäßig mitlaufen; aber die weiblichen dächten an ihre zurückgelassenen Jungen und gäben nicht nach. Auf diese Art gewinnen die Inder das meiste Gold, nach Aussage der Perser; anderes, nur viel weniger, wird auch in ihrem Lande gegraben.

106. Den äußersten Enden der Welt sind überhaupt die Edelgüter beschieden, gleichwie die alleredelste Mischung der Jahreszeiten Hellas beschieden ist. Gegen Morgen ist nämlich das äußerste Land der Welt das indische, wie ich vor kurzem erst gesagt habe. Hier sind erstens die vierfüßigen Tiere und die Vögel viel größer als in den andern Gegenden, außer den Pferden (darin werden sie nämlich übertroffen von den medischen, den sogenannten nisaiischen Pferden); zweitens findet sich daselbst unermeßlich viel Gold, das sowohl gegraben als auch aus goldführenden Flüssen, als auch, wie ich erzählte, durch Raub gewonnen wird. Auch tragen daselbst die wilden Bäume als Frucht eine Wolle, die an Feinheit und Güte die Schafwolle weit übertrifft und den Indern ihre Kleider liefert.

107. Gegen Mittag ist Arabien das äußerste aller bewohnten Länder der Welt. Hier ist es, wo allein unter allen Ländern der Weihrauch wächst und die Myrrhe, Kassia, Zimt und Gummi. Alles das, die Myrrhe ausgenommen, gewinnen die Araber nicht ohne Mühe. Den Weihrauch nämlich bekommen sie, indem sie Styrax, den die Phönizier ins Hellenische ausführen, anzünden; dessen Verbrennung brauchen sie dazu. Denn die Weihrauchbäume hüten geflügelte Schlangen von geringer Größe, von buntem Aussehen, die in großer Menge bei jeglichem Baume sind, dieselben, die auch gegen Ägypten ziehen. Sie lassen sich mit nichts anderem von den Bäumen vertreiben als mit Styraxdampf.

108. Dazu sagen die Araber, daß die ganze Erde dieser Schlangen voll wäre, wenn es nicht mit ihnen ginge, wie es mit den Vipern geht. Überhaupt ist die Vorsehung der Gottheit, wie natürlich, gar weise bestellt. Denn was feigherzige und eßbare Tiere sind, die hat sie sämtlich sehr fruchtbar gemacht, damit sie nicht alle aufgegessen werden, die bösen und lästigen aber allesamt wenig fruchtbar. So ist der Hase, weil er von jedem Tiere und Vogel und Menschen gejagt wird, ungemein fruchtbar und hat allein unter allen Tieren Nachschwängerung, so daß er, wenn ein Junges in seinem Leibe schon behaart, eines noch unbehaart ist und eines eben in der Gebärmutter sich bildet, noch eins empfängt. So verhält sich das also. Aber die Löwin, dieses gewaltigste und wildeste Tier, hat einmal im Leben ein Junges. Denn bei der Geburt wirft sie zugleich mit dem Jungen die Gebärmutter ab. Davon ist dies die Ursache. Wenn das Junge im Mutterleibe sich zu bewegen anfängt, das unter allen Tieren die schärfsten Klauen hat, da ritzt es die Gebärmutter, und wie es größer wird, kommt es immer weiter im Zerkratzen, und wie's an der Niederkunft ist, da hat es gar nichts mehr gelassen, was noch ganz daran wäre.

[Anmerkung:] 108. Auch die Fabel, daß die Löwin nur einmal ein Junges bekommt, hat schon Aristoteles berichtigt.

 

109. So könnte auch, wenn die Vipern und bei den Arabern die geflügelten Schlangen nach ihrem natürlichen Vermögen sich fortpflanzten, kein Mensch mehr leben. Nun bekommt aber, wenn sie sich paarweise begatten und eben das Männchen in der Entäußerung begriffen ist, noch während es den Samen läßt, das Weibchen seinen Hals zu packen, bleibt daran hängen und läßt nicht eher los, bis es ihn durchgebissen hat. Das Männchen stirbt also auf die besagte Art. Das Weibchen muß dafür dem Männchen dadurch büßen, daß die Kinder im Mutterleibe schon ihren Vater rächen, indem sie die Gebärmutter aufessen und den Mutterleib durchbeißen, um so herauszukommen. Die andern Schlangen aber, die den Menschen nicht schädlich sind, legen Eier und brüten eine Menge Junge aus. Während es nun aber überall auf der Erde Vipern gibt, sind die geflügelten in Arabien in ganzer Fülle beisammen und sonst nirgends, wodurch denn ihre Zahl groß erscheint.

110. So gewinnen also die Araber ihren Weihrauch, die Kassia aber, wie folgt. Erst verbinden sie sich mit Rindsleder und sonstigen Häuten den ganzen Leib und das Gesicht, die Augen allein ausgenommen, und so gehen sie auf die Kassia aus. Diese wächst in einem See, der nicht tief ist; um ihn aber und in ihm hausen gewisse geflügelte Tiere, den Fledermäusen zumeist vergleichbar, die furchtbar zischen und sich gehörig wehren können. Diese müssen sie von ihren Augen abhalten, wenn sie die Kassia abschneiden.

[Anmerkung:] 110. Kassia: Wilder Zimt.

 

111. Den Zimt aber sammeln sie noch wunderbarer ein. Denn wo er entsteht und welches Land ihn hervorbringt, sind sie nicht einmal imstande anzugeben, nur daß einige behaupten, was auch einigermaßen wahrscheinlich ist, er wachse in den Gegenden, in denen Dionysos erzogen ward. Und große Vögel, sagen sie, seien es, welche die Stengel bringen, die wir von den Phöniziern Kinnamomon zu nennen gelernt haben, und zwar brächten sie die Vögel mit zu Nestern, die sie mit Kot an jähe Felsen anbauten, wo kein Mensch hinkommen könne. Dafür hätten denn die Araber folgendes kluge Mittel. Sie zerschneiden das Fleisch von gefallenen Rindern, Eseln und sonstigem Vieh in recht große Stücke, tragen dieselben in jene Gegenden und lassen sie nahe bei den Nestern liegen, während sie selbst weit davon weggehen. Da fliegen die Vögel herunter und tragen die Stücke von dem Großvieh hinauf in ihre Nester, die das aber nicht aushalten können und auf die Erde herunterstürzen. Darauf gehen die Araber hin und sammeln so den Zimt ein, der dann von ihnen aus in die andern Länder kommt.

112. Aber der Gummi, den die Araber Ladanon nennen, ist in seiner Herkunft noch wundersamer, da er vom Allerübelriechendsten herkommt und das Allerwohlriechendste ist. Denn er wird in den Bärten der Ziegenböcke gefunden, wo er ausgeschwitzt wird wie Harz aus dem Holze. Er ist zu vielen Salben dienlich; auch räuchern damit die Araber vornehmlich.

113. Hiermit sei genug vom Räucherwerke gesagt; das arabische Land duftet aber auch himmlisch. Ferner gibt es bei ihnen zwei bewundernswerte Arten von Schafen, die es sonst nirgends gibt. Von denen hat die eine Art Schwänze, die nicht kürzer als drei Ellen sind, und ließe man sie dieselben nachschleppen, so bekämen sie Wunden, da die Schwänze sich auf der Erde aufreiben müßten. Nun aber versteht sich von den Hirten jeder so weit auf die Holzarbeit, um Wägelchen zu machen, die sie ihnen unter die Schwänze binden, so daß jedem Stück Vieh der Schwanz auf ein eigenes Wägelchen gebunden wird. Die andere Art Schafe hat Schwänze, die eine Elle breit sind.

114. In dem Striche von Mittag gegen Sonnenuntergang zieht sich als das äußerste Land der bewohnten Länder Äthiopien hinab, und dieses bringt Gold in Menge hervor, riesige Elefanten, wilde Bäume aller Art, Ebenholz und Menschen von höchster Größe, Schönheit und Lebensdauer.

115. Das sind die äußersten Länder in Asien und in Libyen. Von den äußersten Ländern Europas nach Westen hin bin ich aber nicht imstande, etwas Bestimmtes zu sagen. Denn ich nehme nicht an, daß ein Strom von den Barbaren Eridanos genannt werde, der in das Meer gegen den Nordwind sich ergösse, von dem der Bernstein, nach der Sage, herkäme; noch wüßte ich, daß es Zinninseln gibt, aus denen unser Zinn kommt. Denn erstens gibt sich der Eridanos als Name schon selbst als hellenisch und nicht barbarisch zu erkennen, als Schöpfung eines Dichters, und dann kann ich trotz aller Mühe, die ich mir gebe, von keinem Augenzeugen etwas über ein Meer jenseits von Europa hören. Indessen kommen aus den äußersten Ländern das Zinn und der Bernstein zu uns.

[Anmerkung:] 115. Der in das Nordmeer fließende Strom, bei dem der Bernstein gefunden wird, ist die Weichsel, und die Zinninseln (Kassiteriden), von denen die Phönizier Zinn holten, sind die Inseln westlich der Bretagne. Herodot bekam von den Phöniziern keine näheren Angaben, weil sie den Handel nicht in griechische Hände kommen lassen wollten. Seine Darstellung verrät den Ärger, den ihm die absichtlich unklaren Antworten verursachten.

 

116. Im Norden von Europa findet sich offenbar bei weitem das meiste Gold. Wie es aber gewonnen wird, darüber bin ich wieder nicht imstande, etwas Bestimmtes zu sagen. Man sagt, den Greifen werde es gestohlen von den Arimaspen, einäugigen Menschen. Das glaube ich aber wieder nicht, daß es Menschen gibt, die einäugig auf die Welt kommen und sonst die gleiche Natur wie die andern Menschen haben. So enthalten also wirklich die Enden der Welt, welche die andern Länder umschließen und nach innen begrenzen, die Güter, die uns als die schönsten und seltensten gelten.

[Anmerkung:] 116. Greifen: Geflügelte Fabeltiere mit Löwenleib und Adlerkopf.

 

117. In Asien ist auch eine Ebene, rings von einem Gebirge umschlossen, und dieses Gebirge hat fünf Schluchten. Diese Ebene gehörte ehedem den Chorasmiern, liegt auch an den Grenzen der Chorasmier, sowie der Hyrkanier, Parther, Sarangen und Thamanaier, gehört aber, seitdem die Perser die Herrschaft haben, dem Könige. Aus diesem Gebirgskranze fließt ein großer Strom, mit Namen Akes. Dieser bewässerte vordem, fünffach zerteilt, die eben genannten Länder, indem er durch jede Schlucht einem derselben zufloß. Seit sie aber unter dem Perser stehen, sind sie in folgende Lage gekommen: der König hat die Schluchten des Gebirges verbaut und Schleusen vor jede Schlucht gesetzt, so daß dem Wasser der Ausgang versperrt und also die Ebene innerhalb des Gebirges ein See geworden ist, da der Fluß immer Wasser zuführt, ohne irgendeinen Ablauf zu haben. Daher leiden jene, die vordem gewöhnt waren, das Wasser zu haben, und es jetzt nicht mehr haben können, beständig große Not. Denn im Winter regnet ihnen zwar der Gott auch, wie den andern Menschen; im Sommer aber, wenn sie Hirse und Sesam säen, hätten sie Wasser nötig. Wenn ihnen nun kein Wasser mehr zuteil wird, gehen sie nach Persien mit ihren Weibern, stellen sich dem Könige vors Tor und erheben ein Geheul. Darauf gibt der König für die, welche es am nötigsten haben, Befehl, die in ihr Land führenden Schleusen zu öffnen; wenn dann ihr Boden vom Wasser satt getränkt ist, so werden diese Schleusen wieder gesperrt: und er gibt wieder den Befehl zur Öffnung für andere, die es jetzt gerade unter allen am nötigsten haben. Wie ich mir habe sagen lassen, nimmt er für dieses Öffnen schweres Geld, neben den Abgaben. So verhält sich dieses.

118. Von den sieben Männern, die sich ehemals gegen den Magier empört hatten, hatte einer, Intaphernes, gleich nach jener Verschwörung das Schicksal, daß er durch folgenden Frevel seinen Tod fand: Er wollte in die Königsburg gehen, um mit dem Könige zu verhandeln, und da bestand das Gesetz für die ehemals gegen den Magier Verschworenen, daß sie zum Könige ohne Meldung Zutritt haben sollten, wenn der König nicht gerade einer Frau beiwohnte. So fand es denn Intaphernes nicht nötig, sich anmelden zu lassen, sondern wollte, der er einer von den sieben war, hineingehen. Der Türhüter aber und der Anmelder ließen das nicht zu, mit dem Bedeuten, der König sei bei einer Frau. Da tat Intaphernes, in der Meinung, sie lögen ihm etwas vor, folgende Tat: er zog seinen Säbel, hieb ihnen Ohren und Nase ab, steckte dieselben auf den Zügel seines Rosses, band sie ihnen alsdann um den Hals und verließ sie so.

119. Nun zeigten sie sich dem Könige und berichteten ihm, warum sie diese Mißhandlung erfahren hätten. Dareios, der befürchtete, es möchten dies die sechs miteinander so ausgemacht haben, ließ einen nach dem andern kommen und erforschte ihren Sinn, ob sie mit der Tat einverstanden wären; da er sich aber überzeugte, daß Intaphernes nicht im Einverständnisse mit ihnen das getan hatte, ließ er ihn samt allen seinen Kindern und Verwandten ergreifen, weil er starken Verdacht hegte, daß er mit seinen Angehörigen eine Verschwörung gegen ihn angelegt habe. Deshalb ließ er alle ergreifen und in Fesseln legen, um hingerichtet zu werden. Da ging die Frau des Intaphernes immer vor das Tor des Königs und weinte und wehklagte; als sie damit beständig fortfuhr, bewegte sie den Dareios zum Mitleid. Er sandte denn einen Boten und ließ ihr sagen: »Frau, der König Dareios schenkt dir einen von deinen Verwandten zur Lösung aus den Banden, den du selbst aus allen wählen magst.« Darauf ging sie mit sich zu Rate und gab zur Antwort: »Wenn mir der König von einem das Leben schenkt, so nehme ich mir aus allen meinen Bruder heraus.« Als Dareios das erfuhr, wunderte er sich über ihre Antwort und ließ ihr die Worte sagen: »Frau, der König fragt dich, was du dir dabei gedacht hast, daß du deinen Mann samt deinen Kindern im Stiche gelassen und die Erhaltung deines Bruders vorgezogen hast, der dir doch ferner steht als deine Kinder und nicht so teuer ist wie dein Mann.« Darauf erwiderte sie: »König, einen Mann kann ich wieder bekommen, wenn die Gottheit es will, und auch andere Kinder, wenn ich diese verliere; aber da Vater und Mutter mir nicht mehr leben, kann ich einen Bruder auf keine Weise mehr bekommen. Dies dachte ich in meinem Sinne, als ich die Antwort gab.« Das schien auch dem Dareios wohlgesprochen von der Frau, und er gab ihr zu dem, den sie sich ausbat, auch den ältesten ihrer Söhne frei, aus Wohlgefallen an ihr. Die andern aber tötete er alle. Von den sieben also kam einer gleich anfangs auf die angegebene Weise um.

[Anmerkung:] 119. Die Gattin des Intaphernes gibt dieselben Gründe an, die Antigone anführt, als sie gegen das Gebot Kreons ihren Bruder Polyneikes bestattet hat. Die Verse lauten in der Übersetzung von Heinrich Viehoff:
Ich hätte nimmer, wäre selbst ein eigen Kind
Und wäre sterbend mir der Gatte hingewelkt,
Der ganzen Stadt zum Trotze diese Tat gewagt.
Was aber gibt zu solchem Worte mir ein Recht?
Stirbt mir der Gatte, wird mir wohl ein andrer noch,
Vom andern Mann ein andres Kind auch, starb mir eins.
Doch wenn der Hades Mutter mir und Vater birgt,
Kann's nicht geschehn, daß mir ein neuer Bruder sproßt.
Die Übereinstimmung ist so auffällig, daß August Ludwig Jacob 1821 erklärte, die Verse der »Antigone« stammten nicht von Sophokles her, sondern seien von einem Späteren auf Grund der Herodotstelle eingefügt. Goethe sagte am 28. März 1827 zu Eckermann, er wünsche, daß ein guter Philologe die Unechtheit der Stelle beweise, »die nach meinem Gefühl in dem Munde einer zum Tode gehenden Heldin die tragische Stimmung stört, und die mir überhaupt sehr gesucht und gar zu sehr als ein dialektisches Kalkül erscheint«. – Dieser Einwand würde auch Herodot treffen. Aber das spitzfindige Rechnen mit sittlichen Werten, das Goethe tadelt, war durch die Sophisten zu einer Zeitmode geworden. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß sowohl Herodot als auch Sophokles eine in den Rednerschulen übliche Erörterung in ihre Werke herübernahmen. Donner hat in seiner Übersetzung der »Antigone« die Stelle 1839 gebracht, sie aber in den späteren Auflagen als unecht gestrichen, was schon insofern sehr bedenklich ist, als Aristoteles in seiner »Rhetorik« (III, 16) die Verse als echt zitiert.

 

120. So ziemlich um die Zeit der Krankheit des Kambyses geschah auch folgendes: Von Kyros war zum Statthalter in Sardes Oroites, ein Perser, eingesetzt worden. Dieser faßte ein frevelhaftes Verlangen, indem er Polykrates, den Samier, ohne etwas von ihm erlitten oder ein schlechtes Wort von ihm gehört, ja ohne ihn noch gesehen zu haben, in seine Gewalt zu bekommen und umzubringen wünschte, und zwar, wie die meisten sagen, aus folgendem Grunde: Oroites habe vor dem Tore des Königs gesessen mit einem andern Perser, namens Mitrobates, der Statthalter des Kreises von Daskyleion war. Da seien sie im Gespräche in einen Streit geraten, und als sie um den Vorrang rechteten, habe Mitrobates gegen Oroites den Vorwurf ausgestoßen: »Ja, du bist auch ein Mann, der du dem Könige die Insel Samos, die bei deinem Kreise liegt, nicht erobert hast, die doch so leicht zu unterwerfen ist, daß sie ein Eingeborener in einer Empörung mit fünfzehn Bewaffneten genommen hat und jetzt ihr Herr ist!« Auf diese Rede hin, behaupten die einen, und aus Verdruß über den Schimpf, habe er nicht so sehr begehrt, an dem Sprecher dieser Worte Rache zu nehmen, als auf alle Weise den Polykrates umzubringen, wegen dessen er geschmäht worden war.

121. Die weniger verbreitete Erzählung lautet, Oroites habe einen Herold nach Samos geschickt mit irgendeinem Gesuche; denn was es war, das wird eben nicht dabei gesagt: da habe Polykrates, der gerade im Männersaale lag und auch den Anakreon von Teos bei sich hatte, entweder mit Vorbedacht gar nichts von Oroites wissen wollen, oder der Zufall habe es nur so gefügt, daß nämlich Polykrates, während der Herold vortrat und zu ihm redete, sich von der Wand, gegen die er gerade gekehrt war, gar nicht umgekehrt und auch keine Antwort gegeben habe.

[Anmerkung:] 121. Anakreon von Teos, der griechische Zecherdichter, lebte bis 522 v. Chr. am Hofe des Polykrates, von da ab an dem des ebenso kunstsinnigen Hipparchos, des Sohnes des Peisistratos, in Athen.

 

122. Diese beiden Ursachen werden vom Tode des Polykrates angegeben, und jeder hat die Wahl, zu glauben, welche er will. Oroites also, der in Magnesia saß, der Stadt über dem Mäanderflusse, sandte Myrsos, des Gyges Sohn, einen Lyder, nach Samos, mit einer Botschaft, die zeigte, daß er den Sinn des Polykrates gut kannte. Polykrates ist nämlich, soviel wir wissen, der erste von den Hellenen, dessen Sinn auf Seeherrschaft ging, Minos, den Knossier, ausgenommen, und wer etwa sonst noch vor diesem Herr zur See war; aber soweit man von Menschen redet, ist Polykrates der erste, der von der Hoffnung erfüllt war, über Ionien und die Inseln Herr zu werden. Weil nun Oroites gut wußte, daß ihm dies im Sinne liege, sandte er ihm eine Botschaft des Inhalts: »Oroites gibt dem Polykrates zu wissen: ich erfahre, daß du mit großen Dingen umgehst, daß aber deine Geldmittel deinen Anschlägen nicht gleichkommen. Tue nun aber folgendes, so wirst du dich emporbringen und mich erretten. Denn mir trachtet der König Kambyses nach dem Leben, wie ich davon sichere Kunde habe. Nimm nun du mich zu dir hinüber mitsamt meinen Schätzen, behalte davon einen Teil, und den andern laß mich behalten; so wirst du vermöge der Schätze Herr von ganz Hellas werden. Wenn du mir nicht glaubst, was die Schätze anbelangt, so sende nur den vertrautesten Menschen, den du hast, daß ich sie ihm zeige.«

123. Das hörte Polykrates mit Wohlgefallen und geneigtem Willen und schickte fürs erste, weil ihn gar sehr nach den Schätzen gelüstete, um sie zu besehen, den Maiandrios, den Sohn des Maiandrios, ab, einen seiner Bürger, den er als Schreiber hatte; dieser hat nicht lange darauf den Schmuck vom Männersaale des Polykrates, eine sehenswürdige Sache, samt und sonders in das Heraheiligtum geweiht. Nun machte es Oroites, als er wußte, daß er jetzt den Kundschafter zu erwarten habe, folgendermaßen. Er füllte acht Kisten mit Steinen an, bis auf einen ganz kleinen Streifen am Rande, überdeckte dann das Oberste mit Gold, verschloß die Kisten wieder und hielt sie in Bereitschaft. Maiandrios kam, sah's an und berichtete darnach dem Polykrates.

124. Dieser schickte sich nun zur eigenen Abreise an, trotz aller Abmahnungen seiner Seher, wie auch seiner Freunde, ja trotzdem daß seine Tochter folgendes Traumgesicht sah: es kam ihr vor, ihr Vater schwebe in der Luft und werde von Zeus gebadet und von der Sonne gesalbt. Auf dieses Gesicht hin tat sie alles mögliche, daß Polykrates nicht auf die Reise zu Oroites gehe, und namentlich, als er sich schon auf den Fünfzigruderer begab, rief sie ihm noch Ahnungsworte nach. Da drohte er ihr, wenn er gesund heimkomme, solle sie noch lange Jungfrau bleiben. Da bat sie die Götter, das möchte in Erfüllung gehen; denn gern wolle sie um so viel länger Jungfrau bleiben, als sie ihren Vater nicht verliere.

125. Polykrates fuhr nun, taub gegen allen Rat, zu Oroites, in Begleitung vieler Gefährten, insbesondere auch des Demokedes von Kroton, des Sohnes des Kalliphon, eines Arztes, der zu seiner Zeit der Erste in seiner Kunst war. Als Polykrates in Magnesia ankam, erlitt er ein schmähliches, seiner und seiner Gesinnung unwürdiges Ende; denn außer den Herrschern, die in Syrakus auftraten, ist sonst kein einziger hellenischer Herrscher würdig, mit Polykrates an würdevoller Prachtentfaltung verglichen zu werden. Oroites brachte ihn auf eine nicht zu erzählende Art um und hängte ihn dann ans Kreuz. Von seinem Gefolge aber ließ er alle, die Samier waren, mit der Weisung gehen, sie sollten ihm dafür Dank wissen, daß sie jetzt frei seien; alle aber, die Fremde und Knechte im Gefolge waren, behielt er als seine Sklaven bei sich. An Polykrates ging nun, da er aufgehängt war, das Gesicht seiner Tochter ganz in Erfüllung, indem er von Zeus gebadet wurde, sooft es regnete, und von der Sonne gesalbt, da sein eigener Leib Feuchtigkeit ausschwitzte. Also lief dem Polykrates sein vieles Glück zuletzt darauf hinaus, wie es ihm Amasis, der König von Ägypten, prophezeit hatte.

[Anmerkung:] 125. Herrscher in Syrakus: Gelon (491-478) und sein Bruder Hieron (478-467). Die Dichter Aischylos, Simonides, Pindar und Bakchylides lebten an ihrem Hofe.

 

126. Doch nicht lange Zeit hernach ereilten den Oroites die Rachegeister des Polykrates. Nach dem Tode des Kambyses und der Königsherrschaft der Magier blieb Oroites in Sardes, ohne etwas für die Perser zu tun, da ihnen durch die Meder die Herrschaft entrissen war; in dieser Verwirrung ermordete er auch noch den Mitrobates, den Statthalter von Daskyleion, der ihn hinsichtlich des Polykrates gescholten hatte, desgleichen den Sohn des Mitrobates, Kranaspes, angesehene Perser, und beging sonst noch allerhand Frevel, wie daß er einen Sendboten, den Dareios ihm zugesandt hatte, weil ihm die Botschaft nicht nach Wunsch gewesen war, auf dem Heimwege durch Männer, die er an der Straße in einen Hinterhalt legte, töten und den Getöteten samt seinem Pferde verschwinden ließ.

127. Als nun Dareios die Herrschaft hatte, verlangte ihn danach, den Oroites büßen zu lassen wegen seiner Verbrechen überhaupt, vornehmlich aber für Mitrobates und dessen Sohn. Geradezu aber ein Heer gegen ihn zu schicken, dünkte ihm nicht gut, da um ihn noch alles in Gärung war und er seine Herrschaft kaum angetreten hatte, und da er Kunde hatte von der großen Macht des Oroites, der über eine Leibwache von tausend Persern und über den phrygischen, lydischen und ionischen Kreis gebot. Daher stellte Dareios folgendes an: Er rief die angesehensten Perser zusammen und sprach zu ihnen: »Wer von euch, ihr Perser, will mir diese Aufgabe vollenden mit Klugheit, ohne Gewalt und Lärm? Denn wo es der Klugheit bedarf, da wird mit Gewalt nichts geschafft. Also wer von euch will mir den Oroites lebendig liefern oder ums Leben bringen, der den Persern gar nichts Gutes getan, wohl aber die ärgsten Schlechtigkeiten verübt hat, da er erstens zwei von euch, den Mitrobates und seinen Sohn, aus der Welt schaffte und dann die Gesandten, die in meinem Namen ihn aufrufen, mit einem offenbaren Frevelmute tötet, der nicht zu ertragen ist? Eh' er also den Persern noch ein ärgeres Übel antut, müssen wir ihm den Tod antun.«

128. So fragte Dareios, und dreißig Männer wollten sich dieser Aufgabe unterziehen, jeder war für sich allein dazu bereit. Dareios tat ihren Streit damit ab, daß er sie das Los werfen hieß, und da sie miteinander losten, traf es den Bagaios, den Sohn des Artontes. Da es ihn getroffen hatte, machte es Bagaios, wie folgt. Er schrieb viele Briefe über vielerlei Dinge, drückte das Siegel des Dareios darauf und ging damit nach Sardes. Als er dort vor das Angesicht des Oroites gekommen war, erbrach er einen Brief nach dem andern und gab sie dem königlichen Schreiber zu lesen. Königliche Schreiber haben nämlich die Statthalter alle. Und zwar gab Bagaios die Briefe ab zur Versuchung der Leibwächter, ob sie zum Abfalle von Oroites fähig seien. Da er nun sah, daß sie große Ehrfurcht vor den Briefen und noch größere vor ihrem Inhalte hatten, gab er jetzt einen ab, der die Worte enthielt: »Perser, der König Dareios verbietet euch, des Oroites Leibwächter zu bleiben.« Wie sie das hörten, legten sie vor ihm die Lanzen nieder, und als Bagaios ihren Gehorsam gegen den Brief sah, da gab er schon ganz getrost dem Schreiber seinen letzten Brief, in dem geschrieben stand: »Der König Dareios befiehlt den Persern in Sardes, den Oroites zu töten.« Wie die Trabanten das hörten, zogen sie ihre Säbel und töteten ihn auf der Stelle. So ereilten den Perser Oroites die Rachegeister des Samiers Polykrates.

129. Nachdem die Schätze des Oroites nach Susa hinaufgebracht waren, begab sich's nicht lange Zeit hernach, daß sich der König Dareios auf der Wildjagd bei einem Sprunge vom Pferde den Fuß verrenkte. Diese Verrenkung war so stark, daß ihm der Knöchel aus den Gelenken wich. Da er nun schon zuvor diejenigen ägyptischen Ärzte, die für die Ersten galten, immer bei sich hatte, so ließ er sich von ihnen behandeln. Diese machten aber mit gewaltsamem Einrichten des Fußes das Übel ärger. So ließ den Dareios sieben Tage und sieben Nächte sein Übel nicht schlafen, bis am achten Tage, da ihm gar schwach war, einer kam, der schon früher in Sardes von der Kunst des Krotoniaten Demokedes etwas gehört hatte, und es dem Dareios kundtat. Dieser befahl, ihn auf dem schnellsten Wege herzuholen. Sie fanden ihn irgendwo unter den Sklaven des Oroites, ganz vernachlässigt, und brachten ihn herbei in den Ketten, die er schleppte, und in den Lumpen, die er anhatte.

130. Da er so vorgestellt ward, fragte ihn Dareios, ob er die Kunst verstände. Er aber gestand es nicht zu, aus Furcht, wenn er sich entdeckte, für immer auf Hellas verzichten zu müssen. Dareios merkte aber, daß er die Kunst verstand und sich nur verstellte, und befahl denen, die ihn gebracht hatten, Geißeln und Stacheln herbeizuschaffen. Da entdeckte er sich mit der Erklärung, genau verstehe er sich eben nicht darauf, nur durch Umgang mit einem Arzte habe er einiges schwache Geschick. Als sich Dareios ihm darauf anvertraute, brachte er's durch hellenische Heilmittel, indem er nämlich nach den starken nunmehr gelinde Mittel anwandte, dahin, daß sich der Schlaf wieder einstellte, und machte ihn in kurzer Zeit wieder gesund, obwohl er die Hoffnung, jemals wieder auf die Füße zu kommen, bereits aufgegeben hatte. Darauf beschenkte ihn Dareios mit zwei Paar goldenen Ketten. Da fragte er ihn, ob er ihm mit Fleiß sein Unglück verdopple, weil er ihn gesund gemacht habe. Dies Wort gefiel dem Dareios, und er schickte ihn zu seinen Frauen, wo ihn die Verschnittenen herumführten und zu den Frauen sagten, das sei der, welcher dem Könige das Leben gerettet habe. Da schöpfte jegliche mit einer Schale aus ihrem Goldkasten ein so reichliches Geschenk für Demokedes heraus, daß sein Diener, der hinter ihm ging, mit Namen Skiton, von den aus den Schalen herabfallenden Stateren, die er auflas, sich einen ganzen Haufen Gold sammelte.

131. Dieser Demokedes war folgendermaßen von Kroton aus zum Verkehr mit Polykrates gekommen. In Kroton hatte er an seinem Vater einen zornmütigen Mann, mit dem er's zuletzt nicht mehr aushalten konnte, und so ging er nach Ägina. Als er dort seinen Aufenthalt genommen hatte, übertraf er im ersten Jahre die ersten Ärzte, obgleich er von vorn anfing und aller Werkzeuge zu seiner Kunst entbehrte. Im zweiten Jahre mietete ihn die Volksgemeinde der Ägineten um ein Talent, im dritten Jahre die Athener um hundert Minen und im vierten Jahre Polykrates um zwei Talente. So kam er nach Samos. Vornehmlich durch diesen Mann sind die krotonischen Ärzte zu ihrem Ruhme gekommen. Das geschah nämlich, als die krotonischen Ärzte die ersten in Hellas genannt wurden, die kyrenaiischen die zweiten. Zur selben Zeit hießen auch die Argiver die Ersten unter den Hellenen in der Musik.

132. Jetzt hatte Demokedes nach der Heilung des Dareios ein sehr großes Haus in Susa, war Tischgenosse des Königs, und abgesehen davon, daß er nicht nach Hellas zurück konnte, ging ihm nichts ab. Zunächst erlöste er die Ägyptischen Arzte, die den König vorher behandelt hatten und auf Pfähle gespießt werden sollten, weil sie sich von einem hellenischen Arzte hatten übertreffen lassen, durch seine Fürbitte beim König vom Tode; sodann erlöste er auch einen Seher aus Elis, der aus dem Gefolge des Polykrates stammte und unter den Sklaven verkommen war. Niemand vermochte mehr beim Könige als Demokedes.

133. Kurze Zeit darauf begab sich folgendes: Atossa, die Tochter des Kyros und Frau des Dareios, bekam ein Gewächs an der Brust, das zuletzt aufbrach und weiter um sich griff. Solange es noch klein war, verheimlichte sie's, schämte sich auch und entdeckte es niemand; als ihr aber das Übel zu groß ward, ließ sie Demokedes rufen und zeigte es ihm. Er nahm ihr nun unter dem Versprechen, sie gesund zu machen, einen Schwur ab, daß sie ihm dafür den Gegendienst leisten wolle, den er sich ausbitten werde. Er werde sich aber nichts ausbitten, was ihr zur Schande gereichen könne.

134. Als er sie nun behandelt und ihre Gesundheit wiederhergestellt hatte, da richtete Atossa nach der Anweisung des Demokedes im Bettgemache folgende Rede an Dareios: »König, bei deiner großen Macht sitzest du still, ohne den Persern noch ein Volk oder neue Macht zu gewinnen. Es sollte aber doch ein Mann, so jung und so vieler Schätze Herr, etwas Ausgezeichnetes von sich sehen lassen, damit auch die Perser innewürden, daß sie von einem Manne beherrscht werden. Und dieses zu tun, gereicht dir zu doppeltem Vorteil: sowohl daß die Perser sich überzeugen, es sei ein Mann, der an ihrer Spitze steht, als auch daß sie durch den Krieg beschäftigt werden und nicht Muße haben, Anschläge auf dich zu machen. Nun aber mußt du ebenjetzt durch ein Werk dich auszeichnen, da du noch jung an Jahren bist; denn mit dem Wachstume des Leibes wächst auch zugleich der Geist, und mit dem Altern des Leibes altert er gleichfalls und wird zu allen Geschäften zu stumpf.« Dies sagte sie angewiesenermaßen. Darauf gab er die Antwort: »Alles, was du da sagst, Frau, habe ich selbst schon im Sinne zu tun; denn ich bin entschlossen, über eine Brücke, die ich schlagen will, aus unserm Festlande in das andere Festland gegen die Szythen ein Heer ins Feld zu führen. Und das soll in kurzem zustande kommen.« Da sprach Atossa: »Sieh zu, daß du den Zug gegen die Szythen vorerst bleiben läßt; denn die werden immer noch, wann du willst, dein sein. Nein, ziehe mir gegen Hellas zu Felde! Denn ich möchte gern, wovon ich mir habe sagen lassen, Lakonerinnen zu meinen Dienstmädchen bekommen und Argiverinnen und attische und korinthische. Auch hast du den allertauglichsten Mann, um dir in jedem Stücke über Hellas Anweisung und Auskunft zu geben, an dem Arzte, der deinen Fuß geheilt hat.« Darauf antwortete Dareios: »Nun, Frau, wenn du es denn für gut hältst, daß wir's zuerst mit Hellas versuchen, so halte ich fürs beste, zuerst von meinen Persern mit dem Manne, von dem du sprichst, Kundschafter hinzuschicken, daß sie von allem Kunde und Einsicht nehmen und uns dann Bericht erstatten. Bin ich erst genau unterrichtet, dann will ich mich gegen sie wenden.«

135. Das sagte er, und wie gesagt, so getan. Sobald nämlich der Morgen dämmerte, berief er gleich fünfzehn angesehene Perser, denen er befahl, unter Führung des Demokedes den ganzen Küstenstrich von Hellas zu durchreisen. Sie sollten aber den Demokedes ja nicht ausreißen lassen, sondern ihn durchaus wieder mitbringen. Nach solchem Befehle an diese berief er dann den Demokedes selbst und bat ihn, wieder zurückzukommen, wenn er die Perser durch ganz Hellas geführt und es ihnen gezeigt habe. Dabei hieß er ihn, alles, was er von Hause mitnehmen könne, für Vater und Brüder zusammenpacken, mit dem Versprechen, ihm solches wohl wieder zu ersetzen; überdies wolle er auch zu seinen Geschenken ihm noch ein Schiff mit allen möglichen Gütern beladen und es mitfahren lassen. Das verhieß ihm Dareios, meines Dafürhaltens, ohne alle Arglist. Demokedes aber, der befürchtete, Dareios wolle ihn auf die Probe stellen, stürzte nicht gierig darauf los und nahm alles Dargebotene an, sondern erklärte, das Seine wolle er im Lande lassen, um es bei seiner Rückkunft wieder zu haben; aber das Lastschiff, das ihm Dareios zum Geschenke für seine Brüder verheiße, nehme er an. Nachdem nun Dareios auch ihm diesen Befehl gegeben hatte, sandte er sie nach dem Meere.

136. So gingen sie hinab nach Phönizien, und zwar nach der Stadt Sidon im Phönizischen, wo sie alsbald zwei Dreiruderer ausrüsteten und nebst diesen auch ein großes Rundschiff mit allem möglichen Gute. Als alles fertig war, fuhren sie nach Hellas, wo sie immer anhielten, um den Küstenstrich zu besichtigen und zu verzeichnen, bis sie nach Besichtigung des größten und namhaftesten Teiles nach Tarent in Italien kamen. Da nahm aus Gefälligkeit gegen Demokedes Aristophilides, der König von Tarent, die Steuerruder von den medischen Schiffen weg; dann hielt er auch die Perser selbst fest, weil sie Kundschafter seien. Während ihnen dies widerfuhr, entwich Demokedes nach Kroton. Erst, als dieser zu Hause angekommen war, ließ Aristophilides die Perser los und gab ihnen, was er von ihren Schiffen genommen hatte, zurück.

137. Die Perser fuhren nun von da dem Demokedes nach, bis sie in Kroton ankamen, wo sie ihn auf dem Markte fanden und Hand an ihn legten. Nun war ein Teil der Krotoniaten aus Furcht vor der persischen Macht bereit, ihn preiszugeben; ein anderer aber legte auch Hand an und schlug mit seinen Stöcken auf die Perser ein, die ihnen mit den Worten entgegentraten: »Ihr Krotoniaten, seht zu, was ihr tut: ihr wollt einen Mann losbekommen, der dem König entlaufen ist! Wird sich der König Dareios diese Mißachtung gefallen lassen? Und wird euch der Streich gut bekommen, wenn ihr Raub an uns begeht? Gegen welche Stadt werden wir dann eher in den Krieg ziehen als gegen diese? Und welche werden wir eher zu verknechten suchen als diese?« Das sagten sie, ohne jedoch die Krotoniaten zu bewegen, sondern sie mußten ihnen den Demokedes überlassen und mit ihm das Rundschiff, das sie bei sich hatten, hergeben und so nach Asien zurückschiffen. Auch dachten sie nicht mehr daran, Hellas noch weiter zu befahren und kennenzulernen, da sie ihren Führer verloren hatten. So viel indessen trug ihnen Demokedes noch auf, als sie abfuhren, daß sie dem König Dareios sagen sollten, Demokedes vermähle sich mit Milons Tochter. Vom Ringer Milon war nämlich beim König häufig die Rede. Ebendeswegen beschleunigte auch nach meiner Meinung Demokedes diese Heirat mit großem Kostenaufwande, damit Dareios sähe, er sei auch in seiner Heimat ein angesehener Mann.

[Anmerkung:] 137. Der Ringer Milon siegte dreiunddreißigmal bei den öffentlichen Spielen. Bei den olympischen Spielen trug er allein ein vierjähriges Rind über die Rennbahn und verzehrte es an einem Tage.

 

138. Als die Perser von Kroton abgefahren waren, wurden ihre Schiffe nach Japygien verschlagen, und sie kamen daselbst in Knechtschaft, aus der sie aber Gillos, ein verbannter Tarentiner, loskaufte und zum Könige Dareios zurückführte. Dieser war bereit, ihm dafür zu geben, was er wolle. Da wählte Gillos seine Heimführung nach Tarent, nachdem er sein Schicksal erzählt hatte. Um aber nicht zugleich Hellas zu beunruhigen, wenn seinetwegen ein großes Schiffsheer nach Italien fahren sollte, versicherte er, daß die Knidier allein genügten, um ihn heimzuführen; er hoffte auch, durch diese, als Freunde der Tarentiner, am ehsten seine Wiederkehr zu erlangen. Das versprach ihm Dareios und führte es aus, indem er einen Boten nach Knidos sandte, mit dem Geheiß, den Gillos heimzuführen nach Tarent. Dem leisteten die Knidier Folge, konnten aber die Tarentiner nicht bewegen und waren auch nicht imstande, Gewalt zu brauchen. So ging das zu, und bei dieser Gelegenheit kamen die ersten Perser aus Asien nach Hellas und suchten es aus dem angeführten Grunde zu erkunden.

[Anmerkung:] 138. Iapygien: Kalabrien.

 

139. Sodann nahm König Dareios Samos zuerst ein unter allen hellenischen und barbarischen Städten, und zwar aus folgender Ursache: Als Kambyses, der Sohn des Kyros, gegen Ägypten Krieg führte, kamen überhaupt viele Hellenen nach Ägypten, einige, wie natürlich, des Handels wegen, andere zum Kriegsdienste, andere aber auch, um das Land selbst zu sehen. Unter diesen war Syloson, der Sohn des Aeakes, ein aus Samos verbannter Bruder des Polykrates. Diesem Syloson begegnete folgender glückliche Zufall: Bekleidet mit einem hochroten Mantel, war er in Memphis auf den Markt gegangen, als Dareios, der noch Trabant des Kambyses und ohne sonderliche Bedeutung war, ihn erblickte und solche Lust nach dem Mantel bekam, daß er auf ihn zutrat und ihn zu kaufen suchte. Wie nun Syloson Dareios' große Lust nach dem Mantel sah, sagte er, nicht ohne göttliche Fügung: »Ich verkaufe ihn um keinen Preis; allein ich schenke dir ihn, wenn es durchaus so sein soll.« Dazu sagte Dareios mit Freuden ja und nahm das Gewand von ihm an.

140. Syloson war der Meinung, daß ihm seine Gutmütigkeit einen Streich gespielt habe. Wie aber im Verlaufe der Zeit Kambyses starb, die sieben sich gegen den Magier empörten und von den sieben Dareios das Königtum bekam, erfuhr Syloson, daß ebender Mann zum Königtume gelangt sei, dem er einst auf seine Bitte in Ägypten das Gewand geschenkt hatte. Nun ging er nach Susa hinauf, setzte sich in die Vorhalle des königlichen Palastes und erklärte, er sei ein Wohltäter des Dareios. Das richtete der Türhüter dem König aus, der ihm verwundert entgegnete: »Wie! Ein Hellene soll der Wohltäter sein, dem ich zu Dank verpflichtet sein soll, während ich kaum erst an der Regierung bin, und, wenn's viel ist, einer von ihnen zu uns heraufgekommen ist! Ich wüßte nicht, was ich von einem Hellenen hätte. Führt ihn aber doch herein, damit ich sehe, was er mit dieser Behauptung sagen will.« Der Türhüter führte den Syloson herein, und da ward er vorgenommen und von den Dolmetschern befragt, wer er sei, und was er getan habe, daß er sich des Königs Wohltäter nenne. Nun erzählte Syloson die ganze Geschichte mit dem Mantel, und daß er selbst jener Geber sei. Da antwortete Dareios: »O du edelster Mensch, du bist der, welcher mir, als ich noch gar keine Macht hatte, ein Geschenk machte? Mag es auch gering gewesen sein, so soll doch mein Dank dafür derselbe sein, als wenn ich jetzt etwas noch so Großes empfinge; du sollst dafür Silber und Gold in Fülle von mir haben, auf daß dich's nie gereue, dem Dareios, dem Sohn des Hystaspes, Gutes erzeigt zu haben!« Darauf sagte Syloson: »Gold, mein König, oder Silber schenke mir nicht, sondern richte mein Vaterland Samos wieder auf, das jetzt nach Ermordung meines Bruders Polykrates durch Oroites einer unserer Knechte hat. Das möchte ich von dir bekommen, ohne Blutvergießen und ohne Verknechtung.«

141. Auf diese Bitte sandte Dareios ein Heer ab unter dem Feldherrn Otanes, einem der sieben, dem er befahl, alles, was Syloson von ihm verlangen würde, zu vollführen. Otanes ging ans Meer hinab und setzte das Heer in Bewegung.

142. In Samos aber hatte Maiandrios, der Sohn des Maiandrios, die Obergewalt, dem die Herrschaft von Polykrates zur Verwaltung übergeben war, und der sich als den gerechtesten Mann hatte erweisen wollen, aber damit nicht zustande kam. Sobald ihm nämlich der Tod des Polykrates gemeldet wurde, machte er's, wie folgt: Zuerst errichtete er einen Altar für Zeus den Befreier und steckte rings darum den heiligen Bezirk ab, der jetzt in der Vorstadt ist. Als er das veranstaltet hatte, berief er eine allgemeine Bürgerversammlung und sprach: »Ich habe, wie ihr schon wißt, das Zepter und die ganze Macht des Polykrates in Verwaltung, und es steht jetzt bei mir, euer Herrscher zu werden; aber was ich an meinem Nächsten schelte, das will ich selbst, soweit es in meiner Macht steht, nicht tun. Denn weder an Polykrates gefiel mir sein Schalten über seinesgleichen, noch an irgendeinem andern, der solches tut. Nun aber hat Polykrates sein Schicksal erfüllt, und ich übergebe die Herrschaft an alle und verkünde euch die Gleichheit vor dem Gesetz. Indessen halte ich noch für recht, daß mir folgende Ehrengaben anheimfallen: vom Vermögen des Polykrates sollen sechs Talente für mich abgesondert werden, außerdem begehre ich für mich und für meine Nachkommen auf alle Zeiten die Priesterschaft Zeus' des Befreiers, wie ich denn sein Heiligtum selbst gegründet habe und euch die Freiheit verleihe.« Das kündigte er den Samiern an, aber sofort trat einer von ihnen vor und sagte: »Ja, du verdienst aber auch nicht, unser Herrscher zu sein, nach deiner niedrigen Abkunft und verderblichen Gesinnung, sondern du hast uns Rechenschaft abzulegen über die Schätze, die du verwaltet hast.«

143. Das sagte ein unter den Bürgern angesehener Mann, mit Namen Telesarchos. Da Maiandrios nunmehr begriff, wenn er die Herrschaft aufgebe, werde bald ein anderer statt seiner zum Machthaber werden, hatte er nicht mehr im Sinne, sie aufzugeben, sondern zog sich sofort auf die Burg zurück, ließ einen nach dem andern holen, als wolle er Rechenschaft über die Schätze ablegen, ließ sie ergreifen und in Bande legen. So kamen sie ins Gefängnis, den Maiandrios aber überfiel dann eine Krankheit. Sein Bruder, mit Namen Lykaretos, glaubte, daß er sterben werde, und brachte, um leichter mit Samos fertig zu werden, die Gefangenen alle um. Die Samier wollten ja doch, wie es schien, keine Freiheit.

144. Als nun die Perser, die den Syloson heimführten, nach Samos kamen, hob niemand eine Hand gegen sie auf, und die Anhänger des Maiandrios, wie auch Maiandrios selbst, erklärten sich bereit, einen Vertrag zu schließen und die Insel zu räumen. Nachdem Otanes hierauf eingegangen und der Vertrag geschlossen war, ließen sich die Edelsten der Perser auf Thronsitzen im Angesichte der Burg nieder.

145. Maiandrios aber, der Machthaber, hatte einen Bruder von halbtoller Gemütsart, mit Namen Charilaos, der gerade irgendeines Vergehens halber in einem unterirdischen Kerker steckte. Als dieser vernahm, was vorging, aus seiner Grube hervorschaute und die Perser ganz ruhig dasitzen sah, schrie er laut und rief, er wolle mit Maiandrios sprechen. Wie das Maiandrios vernahm, ließ er ihm die Ketten abnehmen und ihn vor sich bringen. Sobald dieser vorgeführt wurde, trieb er ihn mit Schmähen und Schimpfen zu einem Angriffe auf die Perser, indem er sprach: »Mich, du heilloser Mensch, der ich dein Bruder bin und kein Verbrechen begangen habe, für das man Ketten verdient, hast du der Kerkerstrafe für schuldig gehalten; von den Persern aber läßt du dich verstoßen und heimatlos machen und hast nicht den Mut, sie zu züchtigen, da sie doch so leicht zu überwältigen sind? Nun denn, wenn du Furcht vor ihnen hast, so gib mir die Söldner, und ich will sie für ihr Kommen büßen lassen; dich aber bin ich bereit, von der Insel zu entsenden.«

146. Das sagte Charilaos, und Maiandrios nahm den Vorschlag an, aber, soviel ich glaube, nicht deshalb, weil er so von Sinnen gekommen wäre, um seiner Macht die Überwindung der königlichen zuzutrauen, sondern vielmehr, weil er es dem Syloson nicht gönnte, ohne Mühe die Stadt in ihrem besten Zustande zu übernehmen. Daher wollte er durch Aufhetzung der Perser Samos so schwach als möglich machen, bevor er es übergebe, sattsam überzeugt, daß die Perser, wenn sie Schaden litten, gegen die Samier erbittert werden würden. Für sich aber glaubte er, immer noch einen sichern Ausweg aus der Insel zu haben, sobald er nur wolle. Denn er hatte sich eigens einen verborgenen Gang graben lassen, der aus der Burg an das Meer führte. So fuhr Maiandrios selbst von Samos fort, Charilaos aber waffnete alle Söldner, öffnete die Tore und warf sich auf die Perser, die sich nichts der Art versahen und wirklich meinten, es sei schon alles in Ordnung. Die Söldner fielen über die Perser auf den Tragsesseln, als die Angesehensten, her und töteten sie. Das taten diese; das übrige persische Heer eilte aber zur Hilfe heran, und nun wurden die Söldner bedrängt und in die Burg zurückgeworfen.

147. Wie nun der Feldherr Otanes den großen Schaden sah, den die Perser erlitten hatten, ließ er die Befehle, die ihm Dareios mit auf den Weg gegeben hatte, keinen Samier zu töten oder zu verknechten, sondern die Insel unbeschädigt dem Syloson wiederzugeben – diese Befehle schlug er sich aus dem Sinne und entbot dem Heere, alles, wie es in ihre Hand falle, groß oder klein, zu töten. So belagerte das Heer zum Teil die Burg, zum Teil töteten sie, was ihnen in den Weg kam, im Heiligtume so gut wie draußen.

148. Maiandrios aber, der aus Samos entkommen war, fuhr nach Lazedämon und tat nach seiner Ankunft und Ausladung der Habe, mit der er abgegangen war, folgendes: Sooft er seine silbernen und goldenen Trinkgeschirre sich hatte aufstellen lassen, reinigten sie seine Diener, und während dieser Zeit führte er den Kleomenes, den Sohn des Anaxandridas, Spartas damaligen König, im Gespräche heran bis an sein Haus. Wenn nun Kleomenes die Trinkgeschirre sah, geriet er in staunende Bewunderung, worauf jener ihn davon mitnehmen hieß, soviel er wolle. Als dies Maiandrios zwei- oder dreimal gesagt hatte, erwies sich Kleomenes als den gerechtesten Mann, indem er, selbst etwas von ihm zu nehmen, nicht recht fand, wohl aber bedachte, daß jener sich durch Geschenke an andere Bürger Hilfe verschaffen könne. Daher ging er zu den Ephoren und sagte, es wäre geratener für Sparta, den Fremden aus Samos aus dem Peloponnes zu entfernen, damit er nicht ihn selbst oder einen andern Spartiaten zu einer Schlechtigkeit vermöchte. Das befolgten sie und wiesen den Maiandrios aus dem Lande.

149. Samos aber durchzogen die Perser, indem sie eine Menschentreibjagd veranstalteten, und übergaben es dem Syloson menschenleer. Hernach aber half es der Feldherr Otanes bevölkern, infolge eines Traumgesichts bei einer Krankheit, die er an den Schamteilen bekam.

150. Während des Seezuges gegen Samos fielen die Babylonier ab, nach einer sehr vollkommenen Vorbereitung. Denn solange der Magier herrschte und die sieben sich empörten, hatten sie, während dieser Zeit der Verwirrung, sich auf die Belagerung vorbereitet, und konnten das wirklich noch heimlich tun. Als sie dann offenermaßen abfielen, taten sie folgendes: Nach Aussonderung der Mütter las sich jeder noch eine Frau aus seinem Hause aus, die er wollte, und die übrigen schleppten sie zusammen und erwürgten sie alle. Die eine nämlich las sich jeder aus, damit sie seine Speisen bereite, und die andern erwürgten sie, damit sie ihnen nicht den Speisevorrat aufzehrten.

151. Auf die Nachricht hiervon sammelte Dareios seine ganze Macht und rückte gegen sie ins Feld. Und er zog vor Babylon und belagerte es, ohne daß sie sich um die Belagerung kümmerten. Die Babylonier stiegen vielmehr auf die Zinnen der Mauer und verhöhnten und verspotteten den Dareios mit seinem Heere. Einer von ihnen sprach folgende Worte: »Was liegt ihr hier, ihr Perser? Geht doch lieber heim! Denn einnehmen werdet ihr uns, wenn einmal die Maultiere gebären.« Das sprach ein Babylonier in der Zuversicht, kein Maultier werde je gebären.

152. Als bereits ein Jahr und sieben Monate verflossen waren, grämte sich das ganze Heer mit Dareios, daß es nicht vermögend war, Babylon einzunehmen, obschon Dareios alle Listen und Kunstgriffe gegen die Stadt angewandt hatte. Dennoch aber konnte er sie nicht einnehmen, auch nicht, als er unter andern Versuchen diejenige List, durch die Kyros die Stadt einnahm, versucht hatte. Denn die Babylonier waren gewaltig auf ihrer Hut, und er brachte die Einnahme nicht zustande.

153. Da geschah im zwanzigsten Monate dem Zopyros, dem Sohne des Megabyzos, der mit unter den sieben Männern war, die den Magier niedermachten – dem Sohne dieses Megabyzos, Zopyros, geschah das Wunderzeichen, daß von den Mauleselinnen, die ihm den Speisevorrat trugen, eine gebar. Wie ihm das hinterbracht ward und zur Steuer seines Unglaubens Zopyros selbst das Junge gesehen hatte, untersagte er denen, die es gesehen hatten, den Vorfall bekannt werden zu lassen, und ging mit sich zu Rate. Nun gedachte er der Worte jenes Babyloniers, der gleich zu Anfang geäußert hatte, wenn einmal die Maultiere gebären würden, dann würde die Feste erobert werden – im Gedanken an diese Äußerung dünkte dem Zopyros Babylon bereits der Eroberung verfallen, indem nicht ohne göttliche Fügung jener so gesprochen und ihm sein eigenes Maultier geboren habe.

154. Da ihm nun bereits die Eroberung über Babylon verhängt dünkte, ging er zu Dareios und wollte erfahren, ob ihm so gar viel daran liege, Babylon einzunehmen. Da er erfuhr, daß er großen Wert darauf lege, ging er wieder mit sich zu Rate, wie er selbst die Einnahme vollbringen könnte, so daß sie sein Werk wäre. Solche verdienstliche Taten gereichen nämlich unter den Persern zu großer Ehre und werden besonders gefeiert. Nun bedachte er aber, daß er kein Mittel habe, sie zu Fall zu bringen, als wenn er sich verstümmle und so zu ihnen überlaufe. Da achtete er's denn nicht für Raub, sich ganz heillos zu verstümmeln, indem er sich Nase und Ohren abschnitt, dazu sein Haar schmählich abschor und sich zergeißelte. So ging er zu Dareios.

155. Dareios aber hielt es fast nicht aus, den angesehensten Mann so schmählich verstümmelt zu sehen, und sprang von seinem Throne mit einem Schrei und der Frage auf, wer ihn so verstümmelt habe, und warum. Da sprach er: »Kein Mensch außer dir hat solche Macht, um mich also zuzurichten; auch hat keine fremde Hand, mein König, dieses an mir getan, sondern ich selbst: so unerträglich war mir's, daß die Assyrier der Perser lachen sollten.« Dareios antwortete: »Du entsetzlicher Mensch, der schändlichsten Tat gibst du den edelsten Namen, daß du nämlich um der Belagerten willen dich so heillos zugerichtet habest! Werden nun, du Tor, da du verstümmelt bist, die Feinde sich um so schneller ergeben? Hast du nicht vielmehr den Verstand verloren, daß du dich so verunstalten konntest?« Da sprach er: »Wenn ich mein Vorhaben dir erst vorgelegt hätte, so hättest du mir's nicht erlaubt; nun habe ich auf meine eigene Faust gehandelt. Wenn du es nicht an dir fehlen läßt, so nehmen wir jetzt Babylon ein. Ich nämlich will, wie ich da bin, in die Feste überlaufen und dort aussagen, du habest mich so mißhandelt. Bringe ich sie zu dem Glauben, daß dem also sei, dann werden sie mir, wie ich glaube, ein Heer geben. Du aber stelle von dem Tage, da ich in die Feste gehe – von da am zehnten Tage stelle von demjenigen Teile deines Heeres, um den es nicht eben schade ist, tausend Mann an das sogenannte Tor der Semiramis, und nach diesem zehnten Tage wieder am siebenten stelle mir andere zweitausend an das sogenannte Tor des Ninos, und nach diesem siebenten laß zwanzig Tage aus: dann schicke mir wieder vor das sogenannte Chaldäische Tor viertausend hin. Doch sollen weder die Frühern noch diese eine andere Waffe haben als ihre Dolche, die man ihnen lassen mag. Nach dem zwanzigsten Tage aber befiehl geradezu dem ganzen Heere, die Feste ringsum zu berennen: nur die Perser stelle mir an das sogenannte Belische und Kissische Tor. Denn ich bin überzeugt, nach solcher Ausführung von großen Taten werden die Babylonier mir alles anvertrauen, namentlich auch die Schlüssel der Tore. Alsdann aber will ich mit den Persern dafür sorgen, was weiter zu tun ist.«

156. Nachdem er ihm dies aufgetragen hatte, ging er unter häufigem Zurückblicken aufs Tor los, als wäre er ein richtiger Überläufer. Da nun die dazu Aufgestellten ihn von den Türmen herab erblickten, liefen sie hinunter, machten den einen Torflügel ein wenig auf und fragten, wer er sei, und was er wolle. Er gab ihnen den Bescheid, daß er Zopyros sei und als Überläufer zu ihnen komme. Auf diese Antwort führten ihn die Torwächter vor die Obrigkeiten von Babylon. Als er vor diesen stand, ergoß er sich in Klagen und gab an, daß ihm Dareios das angetan hätte, was er sich selbst angetan hatte, und zwar deshalb, weil er ihm den Abzug des Heeres angeraten hätte, da ja kein Weg zur Eroberung zu sehen sei. »Und nun«, fuhr er fort, »komme ich euch, ihr Babylonier, zum größten Vorteile, dem Dareios aber und seinem Heere und den Persern zum größten Schaden. Denn wahrlich, es soll ihm nicht so hingehen, daß er mich derartig mißhandelt hat, und ich kenne alle Windungen seiner Pläne.«

157. So sprach er, und die Babylonier, die den angesehensten Perser an Ohren und Nase verstümmelt und mit Blutstriemen bedeckt sahen, glaubten zuversichtlich, er sage die Wahrheit und komme zu ihnen, um auf ihrer Seite zu kämpfen, und waren bereit, ihm, was er verlangte, anzuvertrauen. Er verlangte aber ein Heer. Als er dieses von ihnen bekommen hatte, machte er's so, wie er's mit Dareios verabredet hatte. Er führte nämlich am zehnten Tage das Heer der Babylonier hinaus, umzingelte die tausend, die er den Dareios zuerst hatte aufstellen lassen, und hieb sie zusammen. Nun waren die Babylonier überzeugt, daß er seinen Worten mit den Taten nachkomme, freuten sich gewaltig und waren vollends bereit, alles nach seinem Willen zu tun. Nach Auslassung der bestimmten Tage führte er dann wieder eine erlesene Schar der Babylonier hinaus und hieb die zweitausend vom Kriegsvolke des Dareios zusammen. Da hatten die Babylonier, auf diese neue Tat hin, den Zopyros mit beständigem Lobe auf der Zunge. Wiederum nach Auslassung der bestimmten Tage führte er sie auf den vorher verabredeten Platz hinaus, wo er auch die viertausend umzingelte und zusammenhieb. Als er nun auch dieses ausgeführt hatte, da war Zopyros alles in Babylon und wurde zu ihrem Heerführer und zum Verteidiger der Festung ernannt.

158. Als aber Dareios die Feste verabredetermaßen ringsum berennen ließ, da zeigte Zopyros erst seine ganze List. Denn während die Babylonier auf die Mauern stiegen und das anstürmende Heer des Dareios abwehrten, öffnete Zopyros das sogenannte Kissische und Belische Tor und ließ die Perser ein in die Feste. Diejenigen Babylonier nun, die den Streich sahen, flohen in das Heiligtum des Zeus Belos; die es aber nicht sahen, blieben überall auf ihren Posten, bis auch sie innewurden, daß sie verraten waren.

159.So wurde Babylon zum zweitenmal eingenommen. Dareios aber ließ, sobald er der Babylonier Herr war, erstlich ihre Mauern einreißen und alle Tore abbrechen, während Kyros bei der frühern Eroberung von Babylon beides nicht getan hatte; sodann ließ Dareios gegen dreitausend der hervorragendsten Männer auf Pfähle spießen, und den übrigen Babyloniern gab er die Stadt wieder zur Wohnung. Daß aber die Babylonier Weiber hätten, von denen sie eine Nachkommenschaft bekämen, dafür sorgte Dareios auf folgende Weise. Weil nämlich die Babylonier ihre eigenen, wie anfangs berichtet worden ist, aus Sorge um die Lebensmittelbeschaffung erwürgt hatten, so legte er den umwohnenden Völkerschaften auf, Weiber nach Babylon zu liefern, und zwar den einzelnen in verschiedenen Lieferungen so viel, daß die Gesamtzahl der Weiber fünfzigtausend ausmachte. Von diesen Weibern stammen die jetzigen Babylonier ab.

160. Zopyros aber ist an verdienstlichen Taten nach dem Urteile des Dareios von keinem Perser übertroffen worden, weder nach ihm noch vor ihm, außer von Kyros allein: mit diesem sich zu vergleichen, erlaubt sich nämlich niemals ein Perser. Oft soll Dareios die Äußerung getan haben, er wolle lieber den Zopyros frei von seiner Verunstaltung als noch zwanzig andere Städte wie Babylon haben. Auch ehrte er ihn hoch, indem er ihm die Geschenke, die bei den Persern die ehrenvollsten sind, alljährlich schenkte und ihm für sein ganzes Leben Babylon zu verwalten gab, ohne daß er die eingehenden Abgaben abzuliefern hatte. Dieses Zopyros Sohn ist Megabyzos, der in Ägypten gegen die Athener und ihre Bundesgenossen Feldherr war, und dieses Megabyzos Sohn ist Zopyros, der aus Persien als Überläufer nach Athen kam.

[Anmerkung:] 160. In Ägypten kämpften die Athener als Verbündete des Inaros (s. Anm. zu Kapitel 12).

 


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