Johann Gottfried Herder
Briefe zu Beförderung der Humanität
Johann Gottfried Herder

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Erste Sammlung.

(1793.)

 

1.

Mit Freude und Zustimmung, mein Freund, ist Ihr Vorschlag zu einem Briefwechsel über die Fort- oder Rückschritte der Humanität in älteren und neueren, am Meisten aber in denen uns nächsten Zeiten von unsern sämmtlichen Freunden aufgenommen und bewillkommt worden. »Ich bin ein Mensch,« sagte D., »und nichts, was die Menschheit betrifft, ist mir fremde.Nach Terenz (Hec., I. 1. 25): »Homo sum, humani nihil a me alienum puto.« Herder brauchte den Spruch auch als Motto zum zweiten Theile seiner »Ideen«. – D. Mit jedem Jahr des Lebens fällt uns ein beträchtlicher Theil des Flitterstaats nieder, mit dem uns von Kindheit auf, so wie in Handlungen, so auch in Wissenschaften, in Zeitvertreib und Künsten die Phantasie schmückte. Unglücklich ist, wer lauter falsche Federn und falsche Edelsteine an sich trug; glücklich und dreimal glücklich, wem nur die Wahrheit Schmuck ist und der Quell einer teilnehmenden Empfindung im Herzen quillt. Er fühlt sich erquickt, wenn Andre, blos Menschen von außen, rings um ihn winseln und darben; im allgemeinen Gut, im Fortgange der Menschheit findet er sich gestärkt, seine Brust breiter, sein Dasein größer und freier.«

»Sein Dasein größer und freier,« fiel L. ein; »denn indem er sich über den schleichenden, alltäglichen Gang der Dinge erhoben fühlt, athmet er ein reineres Element; er vergißt den niedrigen Kummer, der ihm da und dort das Herz drückte, wenn er den Strom der Zeit stockend und sich in einen stehenden Sumpf gesenkt glaubte. Der Strom der Zeit steht nie still; jetzt rieselt er sanft, jetzt rauscht er gewaltig; allenthalben aber weht auf ihm Othem des Lebens.«

»In die Gedanken- oder Handlungssphäre andrer größerer Menschen versetzt,« sagte B., »nehmen wir Theil an ihrem Geist; wir denken mit ihnen, auch wenn wir mit ihnen nicht wirken konnten, und freuen uns ihres Daseins. Je reiner die Gedanken der Menschen sind, desto mehr stimmen sie zusammen; die wahre unsichtbare Kirche durch alle Zeiten, durch alle Länder ist nur eine

»Und in diese wollen wir rein eintreten, meine Freunde,« fügte A. hinzu, »mit ungetheiltem Herzen, mit reinen Händen. Kein Parteigeist soll unser Auge benebeln, keine Schmeichelei unser Angesicht schänden. Unter uns ist, wie jener ApostelPaulus an die Galater, 3. 28. – D. sagte, kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier, kein Mann noch Weib; wir sind Eins und Einer. Indem wir an uns und nicht an die Welt schreiben, gehen wir aller eitlen Rücksichten müssig; warum sollten wir heucheln? Das lohnte der Mühe nicht, die Feder einzutunken; wir dürften sodann nur lesen.«

»Lesen!« sagte das ganze Chor und ging in ein Detail über das, was Jener hier, Dieser dort gelesen hatte; Alle waren darüber einig, daß es der Seele eine Arznei sei, wenn sie vom zertheilten, vielfachen Lesen in sich zurückgezogen werde und, wie durch ein Gelübde oder vor einem heiligen Gericht, über das, was sie gehört, gelesen, gesehen hat, sich selbst redliche Rechenschaft gebe.

»Diese Rechenschaft wollen wir uns einander geben,« fügte ich hinzu; und so ward ein Bund der Humanität geschlossen, vielleicht wahrer, wenigstens unanmaßender und stiller, als je einer geschlossen ward. Fangen Sie nun an, mein Freund! Unsre Freunde sind, wie Sie wissen, hie und da zerstreut; alle sind bereit, sie warten auf Ihren Anklang.Die Namen der correspondirenden Freunde und unter die Briefe nicht gesetzt; denn was könnten uns Buchstaben bezeichnen, das die Briefe nicht selbst erklärten? – H. [Herder, der sich als Herausgeber darstellt, unterscheidet die Anmerkungen des Herausgebers (A. d. H.) von denen der einzelnen correspondirenden Freunde. Wir haben die von Herder als Herausgeber herrührenden Anmerkungen mit einem beigefügten »H.« bezeichnet. – D.

2.

Endlich ist mir die Lebensbeschreibung eines meiner Lieblinge in unserm Jahrhundert, Benjamin Franklin's, von ihm selbst für seinen Sohn geschrieben, zu Händen gekommen; aber bedauern Sie's, nur in der französischen Uebersetzung, und nur ein kleines Stück derselben, die früheren Lebensjahre des Mannes, ehe er völlig in seine politische Laufbahn trat.Sie sind jetzt auch deutsch übersetzt: »B. Franklin's Jugendjahre, übersetzt von Bürger«. Berlin 1792. – H. Sollte die Politik der Engländer vermögend sein, das Uebrige und Ganze in der Ursprache zu unterdrücken, so bedauern Sie mit mir den sinkenden Geist der Nation und lassen indessen dies Buch ja unter uns circuliren.

Sie wissen, was ich von Franklin immer gehalten, wie hoch ich seinen gesunden Verstand, seinen hellen und schönen Geist, seine Sokratische Methode, vorzüglich aber den Sinn der Humanität in ihm geschätzt habe, der seine kleinsten Aufsätze bezeichnet. Auf wie wenige und klare Begriffe weiß er die verworrensten Materien zurückzuführen! Und wie sehr hält er sich allenthalben an die einfachen, ewigen Gesetze der Natur, an die unfehlbarsten praktischen Regeln, ans Bedürfniß und Interesse der Menschheit! Oft denkt man, wenn man ihn liest: »Wußte ich das nicht auch? aber so klar sahe ich's nicht, und weit gefehlt, daß es bei mir schlichte Maxime des Lebens wurde.« Zudem sind seine Einkleidungen so leicht und natürlich, sein Witz und Scherz so gefällig und fein, sein Gemüth so unbefangen und fröhlich, daß ich ihn den edelsten Volksschriftsteller unsers Jahrhunderts nennen möchte, wenn ich ihn durch diesen mißbrauchten Namen nicht zu entehren glaubte. Unter uns wird er dadurch nicht entehrt! Wollte Gott, wir hätten in ganz Europa ein Volk, das ihn läse, das seine Grundsätze anerkennte und zu seinem eignen Besten darnach handelte und lebte; wo wären wir sodann!

Franklin's Grundsätze gehen allenthalben darauf, gesunde Vernunft, Ueberlegung, Rechnung, allgemeine Billigkeit und wechselseitige Ordnung ins kleinste und größte Geschäft der Menschen einzuführen, den Geist der Unduldsamkeit, Härte, Trägheit von ihnen zu verbannen, sie aufmerksam auf ihren Beruf, sie in einer milde fortgehenden, unangestrengten Art geschäftig, fleißig, vorsichtig und thätig zu machen, indem er zeigt, daß jede dieser Uebungen sich selbst belohne, jede Vernachlässigung derselben im Großen und Kleinen sich selbst strafe. Er nimmt sich der Armen an, nicht anders aber, als daß er ihnen Wege des Fleißes mit überwiegender Vernunft eröffnet. Mehrmals hat er es erwiesen, wie hell und bestimmt er in die Zukunft sah, wie entwirrt die verworrensten Geschäfte der Leidenschaft in einfachen Resultaten vor seinem Auge lagen. Einen solchen Mann von sich selbst sprechen, am Rande des Lebens ihn seinem Sohn erzählen zu hören, wer er sei, und wie er, was er ist, geworden: wen das nicht reizend belehrte!

Hören Sie nun den guten Alten, und Sie finden in seiner Lebensbeschreibung durchaus ein Gegenbild zu Rousseau's »Confessionen«. Wie Diesen die Phantasie fast immer irre führte, so verläßt Jenen nie sein guter Verstand, sein unermüdlicher Fleiß, seine Gefälligkeit, seine erfindende Thätigkeit, ich möchte sagen: seine Vielverschlagenheit und ruhige Beherztheit. Begleiten Sie ihn in diesem Betracht aus der Bude des Lichtziehers in die Werkstätte des Messerschmiedes, in die Buchdruckerei, von Boston nach New-York, nach Philadelphia, London u. s. w., und bemerken, wie er allenthalben zu Hause ist, sich zu finden weiß, Freunde gewinnt, überall ins größere Allgemeine blickt und in jedem Verhältniß einen fortstrebenden Geist zeigt. Die Galerie seiner Bekannten und Mitgenossen, die er dabei aufstellt, wie Dieser hier verdirbt, dort Jener zu Grunde geht, und wie er dies oft voraussieht und zu seinem Besten gebraucht, ist äußerst lehrreich. Für junge Leute kenne ich fast kein neueres Buch, das ihnen so ganz eine Schule des Fleißes, der Klugheit und Sittsamkeit sein könnte als dieses. Und wie ruhig ist's gedacht! wie angenehm scherzhaft erzählt der liebenswürdige Alte! Glücklich, wer auf sein Leben zurücksehen kann wie Franklin, dessen Bestrebungen das Glück so herrlich gekrönt hat! Nicht der Erfinder der Theorie elektrischer Materie und der Harmonika ist mein Held (obwol auch in diesen ruhmwürdigen Erfindungen ein und derselbe Geist wirkte); der zu allem Nützlichen und Wahren aufgelegte und auf die bequemste Weise werkthätige Geist, er, der Menschheit Lehrer, einer großen Menschengesellschaft Ordner sei unser Vorbild! Auch außer denen ihm freilich äußerst vortheilhaften Zeit- und Landesumständen mag er uns dieses sein; denn Franklin's Geist fände sich überall zurecht, auch da, wo wir leben.

Zu diesem Zweck werden Sie in seinem Leben besonders bemerken, wie er sich, trotz seiner Armuth und mechanischen Berufsart, selbst literarische Bildung gab, seinen Stil formte und jedes Mittel, auch die Buchdruckerei, dazu anwandte; wie er in dieser die popularsten Wege, Zeitungen, Kalender, einzelne Blätter, die gemeinsten und beliebtesten Einkleidungen auffand, um Ideen unter das Volk zu bringen und sich durch die Stimme der Nation zu belehren; wie endlich von frühen Jahren an er nicht sowol gelehrte als belehrende Gesellschaften liebte, deren Mitglieder sich mit einander übten. Auch dieserhalb wünschte ich jedem gutartigen Jünglinge diese Jugendjahre Franklin's in die Hände. Der Unbegüterte, der sich selbst nicht verläßt, wird finden, daß er von Gott durch dessen großes und vielfaches Organ, die Menschheit, nie verlassen werde; er wird auf das zurückgeführt, was der edle Jüngling Persius für den Zweck aller menschlichen Weisheit erkannte:

»Quid sumus et quidnam victuri gignimur; ordo
Quis datus aut metae quam mollis flexus et unde;
Quis modus argento; quid fas optare; quid asper
Utile nummus habet; patriae carisque propinquis
Quantum elargiri deceat; quem te Deus esse
Jussit et humana qua parte locatus es in re,
Disce
Vgl. Herder's Werke. VIII. 101. – Die letzten Worte bilden das Motto des ersten Bandes der »Ideen«. – D.

Nächstens sende ich Ihnen Franklin's Plan zu einer seiner früheren Gesellschaften; lassen Sie unsre Freunde daraus oder dabei bemerken, was für uns dient; denn das Philadelphia, für welches diese Gesellschaft gestiftet ist, kann überall liegen.

3.

Fragen
zu Errichtung einer Gesellschaft der Humanität

von Benjamin Franklin.

»Haben Sie heut Morgen die Fragen durchgelesen, um zu erwägen, was Sie der Gesellschaft über eine derselben zu sagen haben möchten, nämlich:

»1. Ist Ihnen irgend etwas in dem Schriftsteller, welchen Sie zuletzt gelesen, aufgestoßen, das merkwürdig oder zur Mittheilung an die Gesellschaft schicklich ist? besonders in der Geschichte, Moral, Poesie, Naturkunde, Reisebeschreibungen, mechanischen Künsten oder andern Theilen der Wissenschaften?«

Mich dünkt, die Frage ist für uns geschrieben. Wie einst die Pythagoreer, so sollte jeder Rechtschaffene am Abend sich selbst fragen, was er, vielleicht unter vielem Nichtswürdigen, heut wirklich Nützliches gelesen und bemerkt habe. Jeder gebildete Mensch wird sich auf diesem Wege in Kurzem nach einem andern sehnen, dem er sein Merkwürdiges mittheile, und der ihm das seinige mittheile; denn das einsame Lesen ermattet; man will sprechen, man will sich ausreden. Kommen nun verschiedne Menschen mit verschiednen Wissenschaften, Charakteren, Denkarten, Gesichtspunkten, Liebhabereien und Fähigkeiten zusammen, so erwecken, so vervielfachen sich unzählbare Menschengedanken. Jeder trägt aus seinem Schatze vom Wucher seines Tages etwas bei, und in jedem Andern wird es vielleicht auf eine neue Art lebendig. Geselligkeit ist der Grund der Humanität, und eine Gesellung menschlicher Seelen, ein wechselseitiger Darleih erworbener Gedanken und Verstandeskräfte vermehrt die Masse menschlicher Erkenntnisse und Fertigkeiten unendlich. Nicht Jeder kann Alles lesen; die Frucht aber von dem, was der Andre bemerkte, ist oft mehr werth als das Gelesene selbst.

»2. Haben Sie etwa neuerlich eine Geschichte gehört, deren Erzählung der Gesellschaft angenehm sein könnte?«

So gemein diese Frage scheint, so ein fruchtbares Samenkorn kann sie in der Hand verständiger Menschen werden. Aus Geschichte wird unsre Erfahrung; aus Erfahrung bildet sich der lebendigste Theil unsrer praktischen Vernunft. Wer nicht zu hören versteht, versteht auch nicht zu bemerken; und aus dem Erzählen zeigt sich, ob Jemand zu hören gewußt habe. Franklin's beste Einkleidungen gingen aus solchen verständig angehörten lebendigen Thatsachen hervor; von ihnen empfingen sie ihre gefällige Gestalt, ihre leichte Wendung. In Zeiten, da man viel hörte, viel erzählte und wenig las, schrieb man am Besten; so ist's noch in allen Materien, die aus lebendiger Ansicht menschlicher Dinge entspringen müssen und dahin wirken. Schrift und Rede ist bei uns oft zu weit von einander getrennt; daher sind Bücher oft Leichname oder Mumien, nicht lebendig beseelte Körper. Griechen und Römer, auch unter Galliern und Briten die erlesensten Schriftsteller waren sprechende oder gar handelnde Personen; der Geist der Rede und Handlung athmet also auch in ihren Schriften. Ueberhaupt äußert sich in den entscheidendsten Fällen der wahre Geist der Humanität mehr sprechend und handelnd als schreibend. Wohl dem Menschen, der in lobwürdiger und angenehmer lebendiger Geschichte lebt!

»3. Hat irgend ein Bürger nach Ihrem Bewußtsein neulich in seinen Verrichtungen Fehler begangen? und was war nach Ihrer erhaltenen Nachricht die Ursache davon?«

»4. Haben Sie neulich vernommen, daß irgend einem Bürger etwas besonders geglückt sei? und durch welche Mittel? Haben Sie z. B. gehört, auf was Weise ein jetzt reicher Mann hier oder sonst irgendwo zu seinem Vermögen kam?«

Fragen, die in einem aufstrebenden jungen Handelsstaat von der nützlichsten Wirkung sein konnten und in keinem Staate unnütz sein werden, in dem Industrie, Erfindung, Unternehmung noch nicht gar ausgetilgt sind. Ein auf den Mitbürger neidisches Auge schadet sich selbst am Meisten; wo findet dies aber mehrere Nahrung als in despotischen Verfassungen, wo von Schmeichelei, Gunst, Betrug und Willkür so Vieles abhängt? In Verfassungen von freier Concurrenz der Verstandes- und Gemüthskräfte sowie der Kunst und des Fleißes ist das Auge der Mitkämpfer und Mitwerber gewiß nicht träger, aber verständiger auf einander gerichtet. Man gewöhnt sich, Glück und Unglück, Reichthum und Armuth, Verdienst und Trägheit natürlich anzusehen, forscht den Mitteln nach, wodurch Jener sich hob, Dieser sank; so lernt man von Beiden. Schon der alte Hesiodus unterschied zwei Gattungen der Eifersucht, die böse und die gute; diese beschreibt er als nützlich, jene als niederträchtig und schädlich.Werke und Tage, II ff. – D. Je mehr sich die Einrichtung menschlicher Dinge bessert, um so mehr muß auch der falschen Eifersucht Zaum und Zügel angelegt werden, indem nämlich die freie und edle Eifersucht emporkommt. Wer sollte sich nicht einen Zustand denken können, in welchem alle Handlungen und Vortheile der Menschen natürlich betrachtet, mithin auch also geschätzt und erworben werden? Da tritt sodann das Gute und Böse gleich ans Licht; Jeder darf frei darüber sprechen und daran lernen. Wie weit wir aber noch von diesem Ziele sind, mag nur der Markt der Wissenschaft zeigen. Wie selten urtheilt ein Beurtheiler fremder Werke nach der strengen Frage: »Welche Fehler hat mein Mitbürger begangen? und was ist die Ursache davon? Hat dieser, redlich betrachtet, seine Sache weiter gebracht? wodurch ist's ihm gelungen? und was steht andern Mitbürgern noch zurück?« Und doch ist diese Frage die einzig billige, nützliche und gerechte; sonst urtheilen nur Sclaven oder Despoten. Von uns sei dieser Geist des kleinen Neides oder des übermüthigen Stolzes gleich fern; aber die edle Eifersucht auf alles Gute, Nützliche und Schöne, dessen die menschliche Natur fähig ist, sei unsre Göttin!

»5. Ist Ihnen irgend ein Mitbürger bekannt, der neulich eine würdige Handlung gethan hat, welche Preis und Nachahmung verdient? oder der einen Fehler begangen, welcher uns zur Warnung und zu dessen Vermeidung dienlich sein kann?«

»6. Welche unglückliche Wirkungen haben Sie neulich an der Unmäßigkeit, Unvorsichtigkeit, an der Hitze oder irgend einem Laster oder Thorheit wahrgenommen? Welche glückliche Wirkungen hingegen haben Sie von der Nüchternheit, Klugheit, Mäßigkeit oder irgend einer andern Tugend erfahren?«

So fragt ein Lehrer der Humanität; so frage jeder Vater und Hausvater die Seinen. Wie weit wären wir gelangt, wenn über alle Fehler und Tugenden der Menschen, in Beziehung auf ihre Folgen, nur so klar und unbewunden gesprochen werden könnte, als wir bei uns gedenken! Was die falsche Bescheidenheit oder gar eine demüthige Heuchelei hier verschweigt, das entdeckt und übertreibt dort eine kecke Lästerzunge desto ärger. So wird endlich der Sinn der Menschheit verrückt und das moralische Auge geblendet. Alles scheint uns natürlich, nur die Natur des Menschen nicht, deren Weisheit und Thorheit mit ihren klaren Folgen uns unanschaubare Dinge, unaussprechliche Räthsel bleiben sollen. Und doch, welche Natur von außen und innen läge uns näher als die Natur des Menschen?

»7. Sind Sie oder Jemand ihrer Bekannten neulich krank oder verwundet gewesen? Welche Mittel wurden gebraucht, und welches waren die Wirkungen?«

So hoch die Arzneikunst gestiegen ist, so hat jeder geschicktere Arzt anerkannt, daß sie zum Wohl des Menschengeschlechts noch viel höher steigen könne und steigen werde. Daher die fast schon unzählbaren Bemerkungen einzelner Aerzte; daher die Bemühungen großmüthiger Menschen, erprobte Mittel aus der Dunkelheit ans Licht zu ziehen; daher endlich die Bemühungen ganzer Gesellschaften, aus andern Welttheilen, wäre es auch von Wilden, dergleichen Heil- und Hilfsmittel zu gewinnen und in Europa zu verbreiten. Ist das Wort Humanität kein leerer Name, so muß sich die leidende Menschheit dessen am Meisten zu erfreuen haben.

»8. Fällt Ihnen etwas ein, wodurch die Versammlung dem Menschengeschlecht, Ihrem Vaterlande, Ihren Freunden oder sich selbst nützlich sein könnte?«

»9. Ist irgend ein verdienter Ausländer seit der letzten Zusammenkunft in der Stadt angekommen? und was haben Sie von seinem Charakter oder Verdiensten vernommen oder selbst bemerkt? Glauben Sie, daß es im Vermögen der Gesellschaft stehe, ihm gefällig zu sein oder ihn, wie er es verdient, aufzumuntern?«

»10. Kennen Sie irgend einen jungen verdienten Anfänger, der sich neulich etablirt hat, und welchen die Gesellschaft auf irgend eine Weise aufzumuntern vermögend wäre?«

»11. Haben Sie einen Mangel in den Gesetzen Ihres Vaterlandes neulich bemerkt, um deswillen es rathsam wäre, die gesetzgebende Macht um Verbesserung anzusprechen? Oder ist Ihnen ein wohlthätiges Gesetz bekannt, was noch mangelt?«

»12. Haben Sie neulich einen Eingriff in die rechtmäßigen Rechte des Volks bemerkt?«

»13. Hat irgend Jemand neulich Ihren guten Namen angegriffen, und was kann die Gesellschaft thun, um ihn sicher zu stellen?«

»14. Ist irgend ein Mann, dessen Freundschaft Sie suchen, und welche die Gesellschaft oder ein Glied derselben Ihnen zu verschaffen vermögend ist?«

»15. Haben Sie neulich den Charakter eines Mitgliedes angreifen hören, und auf welche Weise haben Sie ihn geschützt? Hat Sie irgend Jemand beeinträchtigt, von welchem die Gesellschaft vermögend ist, Ihnen Genugthuung zu verschaffen?«

»16. Auf was Weise kann die Gesellschaft oder ein Mitglied derselben Ihnen in irgend einer Ihrer ehrsamen Absichten beförderlich sein?«

»17. Haben Sie irgend ein wichtiges Geschäft unter der Hand, bei welchem Sie glauben, daß der Rath der Gesellschaft Ihnen dienlich sein könnte?«

»18. Welche Gefälligkeiten sind Ihnen neulich von einem nicht anwesenden Mann erzeigt worden?«

»19. Ist irgend eins Schwierigkeit in Angelegenheiten vorhanden, welche sich auf Meinungen, auf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit beziehen, und die Sie gern auseinandergesetzt haben möchten?«

»20. Finden Sie irgend etwas in den jetzigen Gebräuchen oder Verfahrungsarten der Gesellschaft fehlerhaft, welches verbessert werden könnte?«

Ohne alle Anmerkung sprechen diese Fragen zum Herzen wie zum Verstande. Manche geheime Gesellschaft, die zur Besserung der Menschheit wirken wollte, mag auch dahingegangen sein; diese kann vor den Augen der Welt allenthalben als ein Bund der Edlen und Guten fortdauern; denn sie ist auf die Tugend selbst gegründet.

Folgendes waren die Fragen, die Jeder, der in der Gesellschaft aufgenommen werden wollte, die Hand auf seine Brust gelegt, beantworten mußte:

»1. Haben Sie irgend eine besondre Abneigung gegen eins der hiesigen Mitglieder?«

»2. Erklären Sie aufrichtig, daß Sie das Menschengeschlecht, ohne Rücksicht von welcher Hantierung oder Religion Jemand sei, überhaupt lieben?«

»3. Glauben Sie, daß Jemand an Körper, Namen oder Gut, blos speculativer Meinungen oder der äußerlichen Art des Gottesdienstes wegen, gekränkt werden müsse?«

»4. Lieben Sie die Wahrheit um der Wahrheit willen, und wollen Sich bestreben, sie unparteiisch zu suchen und, wenn Sie sie gefunden, auch Andern mitzutheilen?«

»Die Hand aufs Herz, meine Brüder! Ja, Amen!«


4.

Glauben Sie nicht, mein Freund, daß Sie der einzige Liebhaber Franklin's in unsrer kleinen Zahl sind. Alle Brüder reichen Ihnen die Hand auf seine Fragen, und von F. werden Sie nächstens ein Kästchen von amerikanischem Holz empfangen, in dem Sie eine Sammlung kleiner und größerer Aufsätze Franklin's finden, unter welchen Ihnen wahrscheinlich Manches neu sein wird. Freund F. hat sie mit vieler Sorgfalt zusammengesucht und glaubt daran einen moralisch-politischen Schatz zu haben.Es wird davon eine niedliche Ausgabe im Deutschen veranstaltet werden; denn die meisten, alle sehr interessante Stücke, sind zerstreut oder gar nicht bekannt. – H.

Ist es nicht sonderbar, daß in alten und neuen Zeiten die höchste und fruchtbarste Weisheit immer aus dem Volk entsprungen, immer mit Naturkenntniß, wenigstens mit Liebe zur Natur und Ansicht der Dinge verbunden, immer von ruhiger Unbefangenheit des Geistes, von heiterm Scherz begleitet gewesen und am Liebsten unter der Rose gewohnt hat? Doch warum nenne ich dies sonderbar, da es Natur der Sache selbst ist. Nur wer die Menschen kennt, kann für sie sorgen; nur wer, durch das Bedürfniß geweckt, durch Noth gereizt, in mancherlei Verhältnissen umhergetrieben, die süße Frucht der Mühe schmeckte, kann diese auf die bequemste Art Andern zu kosten geben. Er hat sich die schwere Wahrheit leicht gemacht; so macht er sie auch Andern angenehm und faßlich.

Daß Franklin's Leben ganz und im Original erscheinen werde, will ich nicht zweifeln. Dem bessern Theil der englischen Nation ist es bekannt genug, daß er kein Aufrührer gewesen, daß er zum Frieden und zur Aussöhnung die einsichtvollsten Vorschläge gethan habe, die, wie Weissagungen eines Propheten, die Zeit genugsam bestärkt hat. Aeußerst schwer ging er an den Gedanken, daß England und Amerika sich trennen sollten; er fand es diesem Lande selbst nicht vortheilhaft und hielt auch das für gefährlich, daß es zur Freiheit so bald gelangte. Da nun die Zeit hierüber mit einer gebietenden Stimme bereits entschieden und England auf andre Weise schadlos gehalten hat, so glaube ich, daß nur wenige Augen sich schließen dürfen, und Franklin's Lebensgeschichte wird uns gegönnt sein und bleiben. Lesen Sie in beikommendem NekrologNekrolog auf das Jahr 1790. Enthaltend Nachrichten von dem Leben merkwürdiger in diesem Jahre gestorbener Personen. Gesammelt von Friedrich Schlichtegroll. Zwei Bände. Gotha 1791. – H. [Er erschien ununterbrochen, aber auf Deutschland beschränkt, bis 1806. – D.] die wenigen Fragmente seines politischen Lebens, und Sie werden den schönen Friedensstern, der in Franklin leuchtete, bis auf den Augenblick, da er in der westlichen Welt untergeht, segnen. Die letzte Rede, mit der er den Beitritt der widersinnigen Provinzen zur Constitution bewirkte, so ganz in seinem Geist und Charakter, ist der scheidende Strahl dieses Sternes.

Aber ach, indem ich Ihnen den Nekrolog zusende, wie trübe sinkt mein Blick! Kein Stern mehr; ich wandle auf einem Kirchhofe und schaue traurig zur Erde nieder, insonderheit unter den deutschen Gebeinen. Die Pyramide hinten auf dem Umschlage dünkt mich Cestius' Pyramide zu Rom, neben welcher der Ausländer-Protestanten, meistens der deutschen, Körper ruhn, verscharrt hier in der Fremde. Welch eine niederschlagende Erinnerung giebt uns das Leben der Meisten!Die in der Folge angeführten Namen sind alle aus dem ersten Jahrgänge des »Nekrologs«. Mehrere waren damals noch nicht erschienen. – H. Arm geboren, fleißig, redlich, einestheils talent-, anderntheils verdienstreich, kamen sie nicht weiter, als daß sie ihr Leben entweder mühsam durchlebten oder in der Hälfte desselben fast unbemerkt niedergingen und starben. Loudon glänzt als ein Gestirn in diesem Todtenthale; aber lesen Sie, wie es auch ihm gegangen, wie schwer es ihm gemacht worden, und wie er zuletzt sein Grabmal von Trümmern einer unerstürmten Pforte sich selbst als ein castrum doloris aufgerichtet! Aus dem Württemberger Hahn, diesem wahrhaftig Newtonischen Kopfe, aus Schäffer, Ferber, Reiz, Meier und so manchen Andern, was wäre in England geworden? (Was aus Herschel nicht geworden wäre, wenn er in der Hannoverschen Hofkapelle diente!) Und wie ging's dem verdienten Crollius in Zweibrück, dem guten Meggenhofen in Baiern! wie verschwand Crugot, dieser sanft- und hellleuchtende Stern, so bald unter Wolken! Auf welche Irrwege ward Basedow geführt, und wie traurig schreitet der arme Ephraim Kuh seine Laufbahn danieder! Diese liegen nun neben Joseph II., neben Elliot, Howard, Franklin, Kreitmayr hier begraben. Sie schlafen freilich neben einander allesammt in Frieden; aber der Name auf ihren Leichsteinen giebt mehr zu denken, als selbst in Gray's »Elegie auf dem Landkirchhofe« ausgedrückt sein möchte. Dem Todten, meine Freunde, gebührt eine Thräne; so manchem deutschen Todten gebührt mehr als ein Seufzer.


5.

Der Trübsinn, der Sie bei dem Nekrolog angewandelt hat, ist nicht ganz ohne Grund. Lassen Sie uns diesen aber näher beleuchten. Sollte die Grabstätte selbst, die hier errichtet worden, daran nicht etwa mit Schuld sein?

Der Name »Todtenregister« ist schon ein trauriger Name. Laß Todte ihre Todten begraben; wir wollen die Gestorbnen als Lebende betrachten, uns ihres Lebens, ihres auch nach dem Hingange noch fortwirkenden Lebens freuen und eben deshalb ihr bleibendes Verdienst dankbar für die Nachwelt aufzeichnen. Hiemit verwandelt sich auf einmal das Nekrologium in ein Athanasium, in ein Mnemeion; sie sind nicht gestorben, unsre Wohlthäter und Freunde; denn ihre Seelen, ihre Verdienste ums Menschengeschlecht, ihr Andenken lebt.

Damit veränderte sich auch der Entwurf dieses Buches, und gewiß zu seinem Vortheil, wenn anders der Entwurf auszuführen wäre.

1. Nur Deren Leben gehörte in diese Sammlung, die zum Besten der Menschheit wirklich beigetragen haben; und es wäre Hauptblick des Erzählers: wie sie dies thaten; wie sie Die wurden, die sie waren; womit sie zu kämpfen, was sie zu überwinden hatten; wie weit sie's brachten und was sie Andern zu thun nachließen; endlich wie sie ihr Geschäft, das Werk ihres Lebens, selbst ansahn. Eine treue Erzählung hievon, wo möglich aus dem Munde oder den Schriften der Entschlafnen, oder von Denen, die sie nahe gekannt und bemerkt haben, wäre wie eine Stimme aus dem Grabe, wie ein Testament des Verstorbnen über sein eigenstes Eigenthum, über seinen edelsten Nachlaß.

2. Hieraus folgte, daß bei Männern der Wissenschaft man sich nothwendig auf den Werth und die Wirkung ihrer Schriften, bei thätigen Geschäftsmännern auf den Beruf einlassen müßte, in welchem sie der Menschheit dienten. Bei Crugot z. B. sind seine »Predigten vom Verfasser des Christen in der Einsamkeit« nicht genannt, mit denen er doch, zumal im zweiten Theil, seinen Zeitgenossen so weit vorschritt. Crugot's wenige Schriften verdienen zu bleiben, so lange die deutsche Sprache bleibt; und es war mir ein angenehmer Umstand, hier zu finden, daß Carmer den »Christen in der Einsamkeit« zum Druck gefördert habe. Wie nun? sollte der helldenkende, liebenswürdige Mann, dessen Moral so ganz die reine Humanität Christi athmet, ohne hinterlassene, des Drucks würdige Schriften gestorben sein? Und sollte Carmer, sollten die zwei Prinzen und die Prinzessin, die, wie die Biographie sagt, ihren verdienstvollen Lehrer in ihm ehrten und liebten, sollten die Freunde, die ihn näher kannten, dies Geschenk für Welt und Nachwelt verloren sein lassen? Ich hoffe nicht; denn nebst Sack und Spalding war Crugot nicht nur in jenen Gegenden, sondern für Deutschland überhaupt einer der ersten Verbreiter des guten Geschmacks und einer hellen Philosophie im Kreise seines Berufes. Er muß nicht todt sein, sondern er lebe!

3. Da schwerlich etwas Langweiligeres als ein unbestimmtes Leichenlob sein kann, so sind eben die zartesten Saiten des menschlichen Herzens auch hier, wie mich dünkt, aufs Leiseste zu berühren. Familien-, Freundes-, Privatsituationen, wenn sie nicht auf einem hellen Detail beruhen, ertragen in allgemeinen Ausdrücken selten ein langes Lob; man überschlägt's oder ermüdet. Ueberhaupt ist das, was der Lehrer der Menschen vom Innern der Moralität sprach, auch in Absicht auf die Darstellung derselben wahr: was fürs Auge des Allsehenden allein gehört und vor ihm gethan ward, will nicht vor dem Auge der Menschen prangen, gesetzt, daß es auch der wahrste Freund des Verstorbnen vorzeigte. Anders ist's mit bestimmten Thatsachen; die sprechen durch sich selbst, sie ermahnen, lehren, trösten.

4. Eingänge zu Lebensbeschreibungen durch einen Allgemeinsatz sind höchst mißlich. Welcher Allgemeinsatz erschöpft ein menschliches Leben? welcher verführt nicht öfter, als er zurechtweist? In den lateinischen memoriis sind solche Gemeinplätze hergebracht; hier, wünscht man, wachse die Bemerkung an ihrer natürlichen Stelle im Fortgange der Erzählung hervor, oder sie versiegle zuletzt den Eindruck des Ganzen. Ueber manches dieser Leben hätte viel Starkes können gesagt werden, bald mit einem strengen Blick, bald mit einem herzdurchdringenden Seufzer.

5. Denn freilich, mein Freund, ist's wahr: Deutschland weint um manche seiner Kinder; es ruft: Sie sind nicht mehr, sie gingen gekränkt, beistand- und trostlos unter. Hier also auf dem Grabe des Verstorbnen, als auf einer heiligen Freistätte, müssen Wahrheit und Menschlichkeit, diese sanft und rührend, jene unparteiisch und strenge, ihre Stimmen erheben und sprechen: »Dieser Mann ward unterdrückt, jener gemißbraucht, dieser verlockt und gestohlen. Ohne Recht und Urtheil schmachtete er viele Jahre im Felsenkerker; das Auge seines Fürsten weidete sich an ihm; seine späte Entlassung ward Gnade, und nie bekam er die Ursache seines Gefängnisses zu wissen, bis an den Tag seines Todes.«Eine sehr bekannte deutsche Geschichte, über welche jetzt der zweite Theil von Schubart's selbst geschriebenem Leben Auskunft giebt. – H. Wahre Begegnisse dieser Art müßten von Munde zu Munde, von Tagebuch zu Tagebuch fortgepflanzt werden; denn wenn Lebendige schweigen, so mögen aus ihren Gräbern die Todten aufstehn und zeugen.

Auf diese Weise geführt, was wäre lehrreicher und nützlicher als ein solches Register der Todten? Es ist kein Bösewicht auf der Erde, den nicht, wenn sein schuldloser oder gar edler Gegner mit hingestreckten Armen daliegt und die Todtenglocke über ihm ertönt, das, wodurch er ihm im Leben wehe that, jetzt im Herzen steche und nage. Die Schlangen der Rache, des Neides und Undanks entschlafen am Grabe des Todten und wenden sich gegen den lebenden Verbrecher. Hier also sitze, wie dort auf Ajax' Grabe, Tugend und MenschenwürdeVgl. Werke, VII. 132. – D. und wäge und richte!

Ich weiß wohl, wie schwer dies Alles auszuführen sei, Zumal in Deutschland. Eben aber, daß Möser's patriotische Phantasie »Aufmunterung und Vorschlag zu einer westphälischen Biographie« hier in einem weiteren Umfange erfüllt werden könnte, daß, wenn sonst nirgend, wenigstens auf einem Gottesacker die verdienten Männer mehrerer und aller deutschen Provinzen sich zusammenfänden und endlich doch in der Erde sich als Landesleute, als Brüder, als Mitarbeiter an einem Werk des Menschenberufs erkennten: das allein schon sollte jeden Gutgesinnten aufmuntern, aus seiner Gegend, wie er weiß und kann, zur Vervollkommnung des Ganzen mit beizutragen.

6. Vor allen Dingen aber wünschte ich eigne Biographien erlesner merkwürdiger Menschen. Wie weit stehen wir Deutsche hierin andern Nationen, Franzosen, Engländern, Italienern, nach! Wir lebten, dachten, müheten uns; aber wir konnten nicht schreiben. Die rauhe oder ermattete Hand, die das Schwert, den Scepter, das Handwerk- und Kunstwerkzeug, wol auch die breite Canzleifeder führte, verachtete meistens die Reißfeder mühsamer Selbstschilderung; mit der alten Chronikenzeit ging auch das häusliche und Familiengefühl, für die Seinen und mit ihnen fortzuleben, großentheils zu Grabe. Was also von merkwürdigen alten Selbstbeschreibungen gerettet, was von neuen hie und da entdeckt werden kann, sollte gerettet und genützt werden, bis (ich weiß gewiß, daß die Zeit kommt) merkwürdige Geschäfte auch freiere Gesinnungen, und diese den Geist einer edeln Publicität erwecken werden, bei dem alle Stände im Lichte wandeln. »Praecipuum munus Annalium, ne virtutes sileantur utque pravis dictis factisque ex posteritate et infamia metus sitTac. Ann., III. 65. – D.


              Der Patriot.

    Von allen Helden, die der Welt
Als ewige Gestirne glänzen,
Durch alle Gegenden bis an der Erde Grenzen,
O Patriot, bist Du mein Held.

    Der Du, von Menschen oft verkannt,
Dich ganz dem Vaterlande schenkest,
Nur seine Leiden fühlst, nur seine Größe denkest
Und lebst und stirbst fürs Vaterland.

    Umsonst sucht von der Tugend Bahn
Der Eigennutz Dich zu verdrängen,
Und führet wider Dich mit Jauchzen und Gesängen
Die lockende Verführung an,

    Und ihr Gefolg', die güldne Pracht,
Den stolzen Reichthum mit der Ehre,
Die Pfauenflügel schwingt, und einem Freudenheere,
Das um die süße Wollust lacht.

    Siegprangender, als Cäsar war,
Schlägt sich durch diesen furchtbarn Haufen
Die große Seele durch, mit Gold nicht zu erkaufen,
Nicht zu erschüttern durch Gefahr.

    Denn wie ein Fels, der unbewegt,
Wann Wogen sich auf Wogen thürmen,
Im Oceane steht und ruhig in den Stürmen
Den ganzen Zorn des Himmels trägt:

    So stehest Du mit festem Muth
Und trotzest, ohne Freund, verlassen,
Dem Grimm der Mächtigen, der Bösen, die Dich hassen,
Und ihrer ungerechten Wuth.

    Das Vaterland beglückt zu sehn,
Ist Dir die göttlichste der Freuden,
Ist Dir Ambrosia, selbst in dem härtsten Leiden,
Wann Bürger Dich undankbar schmähn;

    Bis Dich der Himmel wieder ruft,
Die lichte Wohnung wahrer Helden,
Und wer Du warest, einst des Volkes Thränen melden,
Verströmt um Deine stille Gruft.

    Unrühmlich, unbeweint im Tod,
Vermodern in vergessnen Höhlen
Die Bürger schlimmer Art, in deren kleinen Seelen
Nur niedrer Eigennutz gebot.

    Die Schändlichen! Das Vaterland,
Das ihnen, was sie hatten, Leben,
Ruh', Ehr' und Ueberfluß und sichre Lust gegeben,
Bat hilflos mit erhobner Hand;

    Sie aber wichen scheu zurück
Und nützten den erzürnten Himmel
Zu häßlichem Gewinn und dachten im Getümmel
Nur sich und ihres Hauses Glück.

    Ihr Haus entflieht der Rache nicht,
Die endlich den Verbrecher findet;
Was mit verruchter Hand ein Bösewicht gegründet,
Zerstört ein andrer Bösewicht.

    Des Bürgers Glück blüht mit dem Staat,
Und Staaten blühn durch Patrioten.
Athen besiegten Stolz und Eigennutz und Rotten,
Noch eh es Philipp's Ehrsucht that.

    Und so fiel Rom, die Königin
Der Könige von allen Zonen,
Von ihrem Thron gestürzt, und ihre güldnen Kronen
Nahm ein erkaufter Barbar hin.

    Oft wann in schauervoller Nacht
Ihr Schutzgeist ihren Schutt umflieget,
Stillschweigend übersieht, wie Rom im Staube lieget,
In Trümmern seiner alten Pracht,

    Und dann die großen Thaten denkt,
Die sein geliebtes Volk vollbrachte,
So lang fürs Vaterland der Bürger Liebe wachte,
Von niedrer Absicht unbeschränkt,

    Als alles fremden Goldes Feind,
Ein Curius und Scipione
Und die Fabricier und männliche Catone
Noch lebten, mit dem Staat vereint:

    Dann klagt er laut: »Sie sind nicht mehr!
Des Kolosseum's öde Mauern
Beginnen rund umher antwortend mit zu trauern,
Tief brausend wie ein stürmisch Meer:

    »Sie sind nicht mehr, und Rom starb nach!
Erhoben durch die Patrioten,
Fiel mein geliebtes Rom, als allen Bürgerrotten
Ein patriotisch Herz gebrach!«

    Daß dieser Fall der großen Stadt
Die sicher-stolzen Völker lehre,
Der größte Staat sei schwach, der ungezählte Heere,
Doch keine Patrioten hat!

                                                                Uz.Im fünften Buche der lyrischen Gedichte. – D.


6.

Ein Athanasium, ein Mnemeion Deutschlands! Wahrlich, unser Vaterland ist zu beklagen, daß es keine allgemeine Stimme, keinen Ort der Versammlung hat, wo man sich sämmtlich hört. Alles ist in ihm zertheilt, und so Manches schützt diese Zertheilung: Religionen, Secten, Dialekte, Provinzen, Regierungen, Gebräuche und Rechte. Nur auf dem Gottesacker kann uns etwa eine Stelle gemeinsamer Ueberlegung und Anerkennung gestattet werden.

Aber warum nur hier? Arbeiten nicht in allen, vom höchsten bis zu den niedrigsten Ständen sichtbare und unsichtbare Kräfte, diese gemeinsame Ueberlegung und Anerkennung zu erleichtern, zu bewirken? Ein Theil Deutschlandes hatte sich vor dem andern mit unleugbaren Vorschritten ein großes Voraus gegeben; der andre Theil eifert ihm nach, und wir können bald an der Stelle sein, ein Ebenmaaß zu finden. Jeder biedre Mensch muß sich bestreben, dieses zu fördern, und glücklicherweise scheinen mir Diejenigen, die die biedersten Deutschen sein sollen, die Fürsten, auf denselben Weg zu treten. Gewiß, der Unterschied der Religionen macht es nicht; denn in allen Religionen Deutschlands giebt es aufgeklärte, gute Menschen. Der Unterschied von Dialekten, von Bier- und Weinländern macht es auch nicht, was uns von einander hält und sondert: ein leidiges Staatsinteresse, eine Anmaßung mehreren Geistes, mehrerer Cultur auf der einen, auf der andern Seite mehreren Gewichts, mehreren Reichthums u. s. w. war es, was uns entzweit; und dem, dünkt mich, muß und wird die allmächtige Zeit obsiegen.

Denn sagen Sie, was hindert uns Deutsche, uns allesammt als Mitarbeiter an einem Bau der Humanität anzuerkennen, zu ehren und einander zu helfen? Haben wir nicht Alle eine Sprache? ein gemeinschaftliches Interesse? eine Vernunft? ein und dasselbe menschliche Herz? Der Philosophie und Kritik hat man nirgend den Weg versperren können; sie arbeitet sich überall durch, sie wird in allen guten Köpfen rege. Ihre Regeln sind allenthalben dieselben, ihr Zweck allenthalben nur einer. Auch der Wetteifer verschiedner Provinzen gegen einander kann nicht anders, als diesen Zweck befördern.

Ruhm und Dank verdient also ein Jeder, der die Gemeinschaft der Länder Deutschlands durch Schriften, Gewerbe und Anstalten zu befördern sucht; er erleichtert die Zusammenwirkung und Anerkennung mehrerer und der verschiedensten Kräfte; er bindet die Provinzen Deutschlands durch geistige und also die stärksten Bande.

Daß uns eine Hauptstadt fehle, thut zu unsrer Sache gewiß nichts. Der Ausbildung des Geschmacks mag ihr Mangel eine Hinderniß sein; und auch der Geschmack kann durch sie ebensowol verderbt und gefesselt werden, als sie ihm anfangs Politur und Flügel verleihen mochte. Einsichten aber, ruhige Ueberlegungen, thätige Versuche, Empfindungen und Aeußerungen dessen, was örtlich und allenthalben zu unserm Frieden dient, sie verschmähen die Mauern einer Hauptstadt und suchen das freie Land; ihre Werkstätte ist das gesammte Deutschland. Je mehrere und leichtere Boten allenthalben her, allenthalben hin gelangen, desto mehr wird die Mittheilung der Gedanken befördert; und kein Fürst, kein König wird diese zu hemmen suchen, der die unendlichen Vortheile der Geistesindustrie, der Geistescultur, der gegenseitigen Mittheilung von Erfindungen, Gedanken, Vorschlägen, selbst von begangenen Fehlern und Schwächen einsieht. Jedes dieser Stücke kommt der Menschennatur, mithin auch der Gesellschaft zu gut; der Fehler wird entdeckt, der Irrthum wird gebessert, Gedanke weckt Gedanken, Empfindungen und Entschlüsse regen und treiben. Denn das ist eben die große und gute Einrichtung der menschlichen Natur, daß in ihr, wenn ich so sagen darf, Alles im Keim da ist und nur auf seine Entwicklung wartet. Entschließt sich die Blüthe nicht heute, so wird sie sich morgen zeigen. Auch alle möglichen Antipathien sind in der menschlichen Natur da; jedem Gift ist nicht nur sein Gegengift gewachsen, sondern die ewige Tendenz der waltenden lebendigen Kraft geht dahin, aus dem schädlichsten Gift die kräftigste Arznei zu bereiten. Ach, die Extreme liegen in unsrer enge beschränkten Natur so nahe, so dicht bei einander, daß es oft nur auf einen geschickten Fingerdruck ankommt, aus dem Einfalls- den Absprungswinkel zu machen, da unabänderlichen Gesetzen nach beide in ihrem Verhältniß einander gleich sind. Gedanken zu hemmen, dies Kunststück hat noch keine irdische Politik erfunden; ihr selbst wäre es auch sehr unzuträglich. Aber Gedanken zu sammeln, zu ordnen, zu lenken, zu gebrauchen, dies ist ihr für alle Zeiten hinaus unabsehlicher großer Vortheil.

Doch die Seite des Verstandes ist's nicht allein, in Absicht welcher ich Deutschland einen gemeinsamen Zusammenhang wünschte; vielmehr ist's die Seite des Charakters, der Entschlüsse, der Unternehmung. Wir wissen Alle, daß die Deutschen von jeher mehr gethan als von sich reden gemacht haben; das thun sie auch noch. In jeder Provinz Deutschlands leben Männer, die ohne französische Eitelkeit, ohne englischen Glanz, gehorsam, oft leidend Dinge thun, deren Anblick Jedermann schönen und großen Muth einspräche, wenn sie bekannt wären. Denen vollends wünsche ich keinen Hof, keine Hauptstadt; einen Altar der Biedertreue wünsche ich ihnen, an dem sie sich mit Geist und Herzen versammeln. Er kann nur im Geist existiren, d. i. in Schriften; und, o daß ausgezeichnet vor allen eine solche Schrift da wäre! An ihr würden sich Seelen entflammen und Herzen stärken. Der deutsche Namen, den jetzt viele Nationen gering zu halten sich anmaßen, würde vielleicht als der erste Name Europa's erscheinen, ohne Geräusch, ohne Anmaßung, nur in sich selbst stark, fest und groß.


7.

Wir sind darüber einig, daß wenn ein großer Name auf Europa mächtig gewirkt hat, es Friedrich gewesen. Als er starb, schien ein hoher Genius die Erde verlassen zu haben; Freunde und Feinds seines Ruhms standen gerührt; es war, als ob er auch in seiner irdischen Hülle hätte unsterblich sein mögen.

Sie denken leicht, wie begierig ich auf seine »nachgelassenen Schriften« war.Oeuvres posthumes de Frédéric II. Berlin 1788. – H. Hier, sagte ich, lebt und spricht noch sein Geist nach dem Ableben seines alten vielgeübten Körpers. Briefe, Gespräche, ja Worte von ihm, die, so lang er König war, als Ehre gesucht, als Schätze umhergetragen wurden, sind jetzt ein gemeines Gut. Man kann sie unerschrocken prüfen, im Zusammenhange seines langen Lebens beherzigen; man darf ihnen widersprechen und sie mit seinen Thaten vergleichen.

Zuerst also griff ich nicht nach Werken, die er absichtlich für die Welt geschrieben hatte, sondern nach seinem Briefwechsel, und unter diesem nach dem längsten und interessantsten mit Voltaire. Er erstreckt sich von 1736 bis 1777, also über vierzig Jahre, und zeigt die Seele des großen Königes in den verschiedensten Situationen seines Lebens. Ich will einige Züge und Stellen auszeichnen.

Ein Prinz von dreiundzwanzig Jahren, der Erbe eines königlichen Thrones, sucht in weiter Entfernung den Mann auf, den er für den ersten Schriftsteller seiner Zeit hält, in dem er, wie er selbst sagt,Im ersten Briefe an Voltaire, vom 8. August 1736. – D. »nicht nur Schätze des Geistes, Stücke mit so viel Geschmack, Delicatesse und Kunst gearbeitet, daß ihre Schönheiten bei jedem neuen Lesen neu scheinen,« sondern auch jene Philosophie findet, die unser königlicher Jüngling insonderheit werth hält. Er übersendet ihm seinen Wolff, erbittet sich dagegen seine Schriften, seinen Unterricht in Briefen und wird ein Schüler des Philosophen, nicht aus Eitelkeit, sondern ernst und bescheiden. »Autoren,« sagt er,Im zweiten Briefe, vom 9. September 1736. – D. »sind die Gesetzgeber des menschlichen Geschlechts; ihre Schriften verbreiten sich in alle Theile der Welt; sie manifestiren Ideen, die Andre sich einprägen. Ist in ihnen Stärke des Gedankens mit Feuer des Ausdrucks vereinigt, so bezaubern sie und rühren. Bald athmet eine Menge Menschen die Liebe zum menschlichen Geschlecht, die sie ihr durch einen glücklichen Impuls einhauchten. Sie bilden gute Bürger, treue Freunde, Unterthanen, die Aufruhr und Tyrannei in gleichem Grade verabscheun, voll Eifer nur fürs allgemeine Beste. Ihnen, den Schriftstellern, ist man die Tugenden schuldig, die die Sicherheit und den Reiz des Lebens ausmachen; was ist man ihnen nicht schuldig?«

So sahe Friedrich die Wissenschaften an, und dies blieb sein Bekenntniß. Die Talente, die hiezu dienten, schätzte er an Voltaire, in seiner Jugend fast über die Maaße, in seinem höheren Alter mäßiger; doch blieb ihm stets die hohe Achtung für einige große Stücke seines Lehrers, die er von andern sehr unterschied und ihm darüber offen seine Meinung sagte. Unter Waffen und im höchsten Alter hielt er die Wissenschaften nicht nur für sein schönstes Vergnügen, sondern auch dem Staat und der menschlichen Gesellschaft unentbehrlich; ohne sie, meinte er, würden und blieben Fürsten, Stände und Völker Barbaren; Wissenschaften allein haben die Welt erleuchtet und einige auserwählte Seelen des Menschengeschlechts veredelt.

    »Blüht, Ihr freundlichen Künste,
Blüht! Die goldenen Fluthen
Des Paktolus benetzen
Euch in Zukunft die Wurzeln
Eures heiligen Hains.

    Euch gebühret, zu herrschen
Ueber schwächere Geister
Und vor Euren Altären
Alle Söhne des Irrthums
Feiernd opfern zu sehn.

    In der Mitternacht hör' ich
Oft den himmlischen Wohllaut
Eures Wettgesangs, höre
Polyhymniens Saiten
Und Uraniens Lied,

    Und zerfließe vor Wonne;
Denn Ihr singet die Thaten
Der unsterblichen Götter,
Unterrichtet die Weisen
Und Regenten der Welt.

    Angenehme Gefühle
Und mein Genius reißen
Allgewaltig mich zu Euch,
Ketten ewig an Euren
Siegeswagen mich an.«Ein von Götz übersetztes Gedicht Friedrich's. – H. [Es ist die Uebersetzung des Schlusses von Friedrich's Ode, »Le rétablissement de l'Académie« (vgl. Werke, III. 19 mit Anmerkung 1) unter der Aufschrift: Die schönen Wissenschaften. – D.]

Fast immer tönt diese Stimme um mein Ohr, wenn ich Friedrich's Schriften lese. Man wandelt in ihnen wie auf classischem Boden; ein Gefühl für die Würde, den Werth, die Schönheit der Wissenschaften ist in seine kleinsten und größten Aufsätze verbreitet.

Insonderheit lebt sein Geist in einer gewissen Reihe erwählter größerer Seelen, die er, meistens aus dem Alterthum, sich zu Lieblingsnamen seiner Phantasie, zu Vorbildern, an denen er gern verweilt, ausersehen hatte. In Handlungen des Krieges und des Friedens, in Geschäften der Regierung und in Beziehungen der Menschheit kommen sie ihm oft wieder als alte Lehrer und Freunde; so wie es denn bekannt ist, daß er nur wenige Schriftsteller, diese aber immer von Neuem las und in seine Gedanken prägte. Nach gewissen Jahren wollte ihm das Neue nicht mehr gnugthun; er fand eine Spitzfindigkeit oder einen mathematischen Calcül in Schriften, wohin dieser nicht gehörte. Die alten großen Formen weniger Hauptgedanken lagen in ihm, von denen er sich ungern trennen mochte. In Sachen des Vortrags sah er Voltaire als die letzte Stütze des Geschmacks an, der unter Ludwig XIV. gewesen war und unter Ludwig XV. und XVI. freilich nicht mehr sein konnte. Dagegen sieht er seine eignen Aufsätze in Versen blos als Reimereien zum Vergnügen, in Prose als Uebungen zu Entwicklung seiner Gedanken an und spricht von ihnen ohn' alle Anmaßung. Diese Bescheidenheit ist, wie man offenbar sieht, kalte Ueberzeugung; er fühlt, was ihm fehle, und warum er nicht sein könne, was z. B. Voltaire war. Er will's auch nicht sein; denn er fühlt seinen größern Beruf, ob er gleich den andern, ein großer Schriftsteller zu sein, als angenehmer erkennt und in Augenblicken des Enthusiasmus fast zu beneiden scheint. Bald aber setzt sein Geist sich ins Gleichgewicht; gesunder Verstand, meint er, ein edler Trieb zur Ehre und unausgesetzte Thätigkeit sei seine Gabe; die wolle und müsse er auf seiner Stelle ausbilden, anwenden und gebrauchen.

Fast unglaublich ist's auch, wieweit er in diesen Punkten nicht etwa nur Voltairen, sondern auch seinen sämmtlichen correspondirenden Freunden überlegen ist. Wenige, aber große Grundsätze liegen als unerschütterliche Fundamente in seiner Seele; wenige, aber feste Maximen sind seine treuen Gefährten, auf die er zuletzt, und als König oft mit sehr leichter Mühe, Alles zurückführt. Einige derselben wollten ihm im siebenjährigen Kriege zuweilen untreu werden; er nimmt aber seine große Seele zusammen und verbeißt die verachtende Bitterkeit, mit der er insonderheit die Regierungen der Welt, ihre Unterhändler und Werkzeuge, wol auch den größeren Theil des menschlichen Geschlechts ansieht. Ganz scheint er indessen von dieser zu langen und großen Ueberstrengung sich nie wieder erholt zu haben: sein Geist kehrte nach Endigung des siebenjährigen Krieges zu seinen früheren Vergnügen zwar zurück, war heiter, fest und wirksam; aber er blieb strenger und ernster. Mit Bewunderung habe ich, wenige Vorurtheile ausgenommen, die fast allgemeine Billigkeit, Mäßigung und Enthaltsamkeit des großen Königes in seinen Urtheilen von Sachen, Begebenheiten und Personen mir ausgezeichnet. Es war eine selbstständige, große Seele.

Und daß sein Herz den Empfindungen der Humanität, der Freundschaft, der Bruder- und Schwesterliebe, dem Zuge zu allem Großen und Guten nicht verschlossen gewesen, zeigen hundert Stellen seiner Schriften, tausend Momente seines Lebens. In jüngern Jahren hatte er einen Brief über die Humanität geschrieben, von dem er viel zu halten scheint, den ich aber in seinen Schriften nicht finde;Erst neuerdings, nach dem Abschlusse der neuen großen Ausgabe seiner Werke, ist diese das Datum des 10. October 1738 tragende, am 9. November an Voltaire gesandte Abhandlung aufgefunden worden. – D. er sagt von ihm:Im Briefe an Voltaire vom 8. (nach den Oeuvres posthumes 10.) Januar 1739. – D.

»Es scheint, man stärke sich in einer Gesinnung, wenn man seinem Geist alle Gründe vorhält, die sie unterstützen. Und dies bestimmte mich, über die Humanität zu schreiben. Sie ist nach meiner Meinung die einzige Tugend und soll insonderheit Denen als Eigenthum zugehören, die ihr Stand in der Welt unterscheidet. Ein Landesherr, er sei groß oder klein, soll als ein Mensch angesehen werden, dessen Beruf es ist, menschlichem Elende abzuhelfen, so viel er kann; er ist ein Arzt, die mancherlei Unfälle seiner Unterthanen zu heilen. Die Stimme der Unglücklichen, das Seufzen der ElendenHier fehlt: »der Schrei der Unterdrückten«. – D. soll zu ihm gelangen. Sei es aus Mitleid mit ihnenWörtlich: »mit Andern«. – D. oder aus einer Rückkehr des Gedankens auf ihn selbst, so muß ihn die traurige Lage der Leidenden rühren, und wenn sein Herz irgend Empfindung hat, werden sie Hilfe bei ihm finden.

»Ein Fürst ist gegen sein Volk, was das Herz dem Körper ist. Dies empfängt das Blut aus allen Gliedern und stößt es mit Gewalt bis an ihre äußersten Enden zurück. Der Fürst empfängt die Treue und den Gehorsam seiner Unterthanen; er giebt ihnen Ueberfluß, Glückseligkeit, Ruhe, und was irgend zum Wachsthum und zum Wohl der Gesellschaft thun kann, wieder.

»Dies sind Maximen, die im Herzen jedes Menschen von selbst entspringen müssen; das Gefühl giebt sie, wenn man nur etwas nachdenkt; man hat keinen großen Cursus der Moral nöthig, um sie zu lernen.Hier ist die weitere Ausführung von Herder weggelassen. – D.

»Tyrannen betrachten die Sache anders. Sie sehen die Welt als für sie geschaffenFriedrich sagt: »nur in Bezug auf sich«. – D. an; und um über gewisse gewöhnliche Unglücksfälle erhoben zu sein, verhärten sie ihr Herz vor denselben. Wenn sie ihre Unterthanen unterdrücken, wenn sie hart, gewaltthätig und grausam sind, so kommt dies daher, daß sie das Böse nicht kennen, das sie verüben; sie haben es nie selbst gefühlt, darum gehen sie so leicht darüber. Sie sind nicht im Fall des Mucius Scävola gewesen, der vorm Porsenna die Hand ins Feuer steckte und dadurch die Wirkung des Feuers auf seine Hand wohl kennen lernte.

»Mit einem Wort. Die ganze Haushaltung des menschlichen Geschlechts ist eingerichtet, um Menschenliebe einzuflößen. Die Aehnlichkeit der Menschen unter einander, die Gleichheit ihres Looses und das unentbehrliche Bedürfniß, das Einer vom Andern hat, Unglücksfälle, die die Bande des Bedürfnisses noch stärker anziehen, die natürliche Neigung, die man zu Seinesgleichen hat, unsre Selbsterhaltung, die uns Humanität predigt: die ganze Natur scheint sich zu vereinigen, um uns eine Pflicht einzuprägen, die unser Glück macht und täglich neue Annehmlichkeiten auf unser Leben verbreitet.«

Wenn Friedrich immer so gefühlt und gethan hat, als er hier schreibt (und es war gewiß sein Ernst, da er es schrieb; auch wurden ihm in den unhumansten Situationen seines Lebens diese Gesinnungen nie ganz fremde), so wollen wir ihn als einen Heiligen anrufen, daß er uns seinesgleichen humane Denker, väterliche Regenten, Aerzte und Herzen des Volks erbitten helfe. Auch wollen wir wünschen, daß alle Fürsten und Prinzen die meisten seiner Werke (sie sind ja französisch geschrieben) lesen mögen, und zwar also, als ob sie den großen König selbst hörten.


8.

Wenn König Friederich's Lob auf die Humanität Ihnen gefällig gewesen, so lassen Sie Sich einige kürzere Gedanken und Maximen vortragen, die ich in diesen angenehmen Briefen bezeichnet.

*

»Traurige Folge der menschlichen Hinfälligkeit! der Mensch ist nicht alle Tage sich selbst gleich. Oft zerstören sich ihre Entschlüsse ebenso schnell, als sie sie faßten. Der Spanier sagt sehr vernünftig: »Dieser Mann ist brav gewesen«. Könnte man nicht ebensowol sagen, daß große Männer es nicht immer, nicht allezeit sind?«Im Briefe vom 9. September 1736. – D.

*

»Wenn ich etwas wünschte,Wörtlich: »lebhaft (avec ardeur) wünschte«. – D. so wäre es, gelehrte und gescheite Leute um mich zu haben; ich glaube nicht, daß eine Sorge um sie sich nicht sehr belohnte. Zuerst ist es eine Achtung, die man ihrem Verdienst schuldig ist, sodann ein Bekenntniß des Bedürfnisses, das man hat, von ihnen Licht zu bekommen. Ich komme kaum von Erstaunen zurück, wenn ich denke, daß eine cultivirte Nation, die, vom Genie unterstützt, im Besitz des guten Geschmacks ist, den Schatz nicht kennt, den sie in ihrem eignen Schooße trägt.«Die Stelle folgt unmittelbar auf die vorhergehende in demselben Briefe. – D.

*

»Meine jetzige Muße läßt mir Zeit, mich zu beschäftigen, wie ich will. Sie soll mir also nützlich und eine weise Muße werden, indem ich Philosophie und Geschichte studire und mich mit Poesie und Musik vergnüge. Ich lebe jetzt als Mensch und ziehe dies Leben der majestätischen Gravität und dem tyrannischen Zwange der Höfe unendlich vor. Ueberhaupt kann ich keine Lebensart nach der Elle abgemessen ausstehn; nur die Freiheit hat für mich Reize.«Im Briefe vom 6. März 1737. – D.

*

»Wenn Personen von einem gewissen Range die Hälfte ihrer Laufbahn erreichen, so urtheilt man ihnen den Preis zu, den Andre nur erhalten, wenn sie die ganze Laufbahn zurückgelegt haben. Woher dieses? Entweder wir sind weniger fähig, das recht zu machen, was wir thun sollen, oder es sind niedrige Schmeichler, die unsre kleinsten Handlungen geltend machen und zum Himmel erheben. Der verstorbne König»August« fügt Friedrich hinzu. – D. von Polen rechnete große Summen ziemlich leicht; alle Welt pries seine hohe Kenntniß der Mathematik, von der er doch kein Wort verstand. Mehrere Beispiele mag ich nicht anführen. In unsern Tagen hat es durchaus keinen großen Fürsten gegeben, der wirklich unterrichtet war, als Peter den Ersten.«In demselben Briefe bald darauf. – D. (Und auch bei diesem macht Friedrich in der Folge mit Recht große Ausnahmen.)Vgl. die Briefe vom 13. November 1737 und vom 4. Februar 1738. – D.

*

»Wie verschieden ist ein betrachtendes von einem handelnden Leben! Ein Mann, der sich nur mit Denken beschäftigt, kann gut denken und sich übel ausdrücken; ein handelnder Mann, wenn er sich auch mit aller ersinnlichen Grazie ausdrückte, darf nie schwach handeln; wie man z. B. dem Könige von England Jacob I.Bei Friedrich wird richtig Karl II. genannt, von dem Rochester dies erzählt. – D. vorwarf, daß er nie etwas Schlechtes gesagt, nie etwas Lobwürdiges gethan habe. Es fügt sich oft, daß Die, die gegen Handlungen Andrer am Meisten declamiren, es schlechter als sie machen, wenn sie sich in den nämlichen Umständen befinden. Daß es ja mir nicht also gehe!Wörtlich: »Ich habe Ursache, zu fürchten, daß dies mir einmal so geht«. – D. denn leichter ist's freilich, zu tadeln, als zu thun; leichter, Lehren zu geben, als sie auszuüben. Und dann lassen Menschen sich ja so leicht verführen, bald durch Anmaßung, bald durch den Glanz ihres Standes oder durch Hinterlist der Bösen, daß ihr Gewissen bestrickt wird, auch wenn sie die reinsten und besten Absichten von der Welt hätten.«Im Briefe vom 19. November 1737. – D.

*

»Ich habe wenig Verdienst und Gelehrsamkeit, aber viel guten Willen und eine unerschöpfliche Achtung und Freundschaft für Personen von entschiedenem Werth. Dabei bin ich alle der Beständigkeit fähig, die die wahre Freundschaft fordert.«Am 19. November 1737. – D.

*

»KönigeWörtlich: »Diese Könige, von denen Sie sprechen«. – D. ohne Freundschaft und ohne Erkenntlichkeit scheinen mir dem KönigeFriedrich sagt: »dem Klotze«. Vgl. unten S. 79. Z. 3 v. u., und Theil VIII. 114. – D. gleich zu sein, den Jupiter den Fröschen gab. Ich kenne die Undankbarkeit nur insofern, als ich selbst durch sie gelitten habe, und kann, ohne Affectation fremder, mir unnatürlicher Gesinnungen, behaupten, daß ich jeder Größe entsagen würde, wenn sie die Freundschaft ausschlösse.«Im Briefe vom 6. Juli 1737. – D.

*

»Ich verachte die Jesuiten zu sehr, als daß ich ihre Schriften lesen sollte; ein schlechtes Herz verdunkelt bei mir die Fähigkeiten des Geistes. Ueberdem leben wir nur so kurze Zeit, und unser Gedächtniß ist so schwindend, daß nur das Ausgesuchteste uns unterrichten sollte.«Am 6. Juli 1737. – D.

*

»Die deutschen Prinzen verachten gemeiniglich die Gelehrten. Die unmodische Kleidung,Wörtlich: »Die wenige Sorgfalt, die sie auf ihre Kleidung verwenden«. – D. der Bücherstaub, der diesen etwa anhangt, und das wenige Verhältniß, das zwischen einem kenntnißreichen Kopf und dem leeren Hirn dieser Herren stattfinden kann, macht, daß sie sich über ihr Aeußeres aufhalten und den großen Mann ohne Hofkleid ganz und gar nicht gewahr werden.Diese und einige andre Bemerkungen Friedrich's haben sich gottlob seitdem hie und da verändert. – H. [Die letztere Stelle lautet bei Friedrich: »und daß der große Mann ihnen entgeht«. – D.] Der Höfling hält das Urtheil des Fürsten zu hoch, als daß er anders als er zu denken sich getrauen sollte; sie affectiren also auch, Die zu verachten, die tausendmal mehr als sie selbst werth sind. O Zeiten! o Sitten!Bei Friedrich steht der Ciceronische Ausruf lateinisch. – D. Ich, der ich mich überhaupt nicht für das Zeitalter geschaffen fühle, in dem wir leben, mag dem Beispiele meiner Herren Mitbrüder nicht nachfolgen; ich predige ihnen unaufhörlich, daß der Gipfel der Unwissenheit Hochmuth sei, und glaube, daß ein großer Mann, der über mir ist, auch meine Achtung verdiene.«Am Schlusse des angeführten Briefes. – D.

*

»Das lebhafteste Vergnügen, das ein vernünftiger Mensch in der Welt haben kann, ist, neue Wahrheiten zu entdecken; das nächste nach diesem ist, alter Vorurtheile los zu werden.«Im Briefe vom 27. September 1737, wo aber der Schluß: »das nächste . . . werden«, nicht steht. – D.

*

»Die meisten Prinzen haben eine besondre Leidenschaft für die Stammbäume; eine Art Eigenliebe, die bis auf die entferntsten Vorfahren hinaufsteigt, ja, die sie nicht nur für Vorfahren in gerader, sondern auch in jeder Seitenlinie interessirt. Ihnen sagen, daß unter ihren Ahnen schlechte, mithin verächtliche Menschen gewesen, hieße ihnen ein Schimpf, den sie nie verzeihen; und wehe dem profanen Autor, der in das Heiligthum ihrer Geschichte verwegen dränge und die Schande ihres Hauses unter die Leute brächte! Wenn diese Delicatesse sich blos auf den guten Ruf ihrer Ahnen mütterlicherseits erstreckte, so wäre er noch zu entschuldigen; aber verlangen, daß funfzig, sechzig Vorfahren alle nach der Reihe die honnetsten Menschen von der Welt gewesen seien, das heißt die Tugend in eine Familie bannen und dem menschlichen Geschlecht Unrecht thun. Eines Tages hatte ich die Unbedachtsamkeit, in Gegenwart Jemandes zu behaupten, daß ein Herr von — so etwas gethan habe, das einem Cavalier nicht gezieme; unglücklicherweise war dieser Herr von — zweites Geschwisterkind mit Dem, in dessen Gegenwart ich dies sagte. Er formalisirte sich sehr darüber, und als ich ihn um die Ursache fragte, mußte ich erst durch einen langen Stammbaum passiren, um meine Beleidigung zu erfahren. Da war nun kein andrer Rath, als dem Unwillen meines Beleidigten alle meine Vorfahren preiszugeben, die etwa nicht verdient hätten, es zu sein. Man tadelte mich; ich rechtfertigte mich aber damit, daß jeder Mann von Ehre, jeder honnette Mann meines Stammes sei, und daß ich sonst Keinen dafür erkennte.«Am 19. Januar 1738. – D.

*

»Gern würde ich unter einem gemäßigten Klima leben, gern als Privatmann die Freundschaft und Achtung würdiger Menschen verdienen und dem entsagen, wornach die Meisten lüsten und streben; aber ich fühle zu sehr, daß, wenn ich nicht Prinz wäre, ich wenig sein würde. Euch reicht Euer Verdienst zu, geachtet, beneidet, bewundert zu werden; ich habe Ahnen, Wappen, Titel, Einkünfte nöthig, um die Augen der Menschen auf mich zu ziehen. Ein großer Fürst fiel einmal in die Hände seiner Feinde; er sahe seine Hofleute um sich her weinen, verzweifeln: »Ach,« sagte er, »an Euren Thränen merke ich, daß ich noch König bin!«In demselben Briefe. Bei dem »großen Fürsten« schwebt der von Alexander besiegte Darius vor, nach der Erzählung des Curtius, V. 8. – D. Wenige Worte, aber voll großen Sinnes!«

*

»Brüssel und fast das ganze Deutschland ist seiner alten Barbarei noch nicht los; die Künste werden in ihm wenig geachtet, also auch wenig cultivirt. Der Adel dient unter den Truppen, oder mit sehr leichten Studien tritt er in Collegia und spricht das Recht, daß es eine Lust ist. Edelleute mit Renten leben auf dem Lande oder vielmehr in den Wäldern, wo sie denn auch so wild werden als die Thiere, die sie jagen. Der Adel unsers Landes gleicht zwar im Ganzen dem andern deutschen Adel; doch hat er mehr Lust, sich zu unterrichten, mehr Lebhaftigkeit und, wenn ich sagen darf, mehr Genie als der größere Theil der Nation, insonderheit der westphälische, fränkische, schwäbische, österreichische Adel. Dies giebt Hoffnung, daß die Künste einst auch hier, aus der untern Classe gezogen, gute Häuser und Paläste bewohnen werden. Berlin hat (wenn ich mich so ausdrücken darf) Funken aller Künste in sich; man sieht das Genie von allen Seiten hervorglimmen, und es bedürfte nur eines glücklichen Hauchs, um das Leben den Wissenschaften wieder zu geben, die Athen und Rom einst berühmter machten als ihre Eroberungen im Kriege. – – Ich freue mich, diese glücklichen Productionen meines Vaterlandes zu sehen; sie sind Rosen, die unter Dornen und Disteln wachsen, Funken des Genies, die durch die Asche hervorblicken, mit denen sie unglücklicherweise bedeckt sind.« (Geschrieben im Jahr 1739.)Herder hat zwei Stellen aus den Briefen vom 7. Juli und vom 4. December verbunden. – D.

*

»Eben hatte ich einen Brief angefangen über die Mißbräuche der Mode und der Gewohnheit, als die Gewohnheit des Erstgeburtsrechts mich auf den Thron rief und mir meinen Brief wegzulegen befahl. Gern hätte ich ihn in eine Satire gegen diese Gewohnheit umgeändert, wenn nicht Satire aus dem Munde der Fürsten verbannt sein müßte.«Im Briefe vom 12. Juni 1740. – D.

*

»Gewöhnlicherweise macht man sich in der Welt von den großen Revolutionen der Reiche eine abergläubige Idee; wenn man in den Coulissen ist, sieht man, daß die größten Zauberscenen durch die gemeinsten Triebfedern, durch Taugenichte hervorgebracht werden, die, wenn sie sich öffentlich, wie sie sind, zeigten, nur den Unwillen des Publicum auf sich ziehen würden. Betrug, Hinterlist, Doppelsinn, Treulosigkeit sind unglücklicherweise der herrschende Charakter der meisten Menschen, die an der Spitze der Nationen stehen und ihnen Exempel sein sollten. In solchen Fällen ist's demüthigend, das menschliche Herz kennen zu lernen; tausendmal schon habe ich meine liebe Einsamkeit, meine Studien, meine Freunde, meine ehemalige Unabhängigkeit zurückwünschend bedauert.« (1742.)Im Briefe vom 3. Februar. – D.

*

»Meine Ode auf den Krieg enthält meine wahren Gedanken. Man unterscheide den Stand des Mannes von ihm selbst;Wörtlich: »Unterscheidet den Staatsmann vom Philosophen«. – D. man kann Krieg führen aus Gründen, ein Staatsmann sein aus Pflicht und ein Philosoph aus Neigung. Fast nie sind die Menschen an Plätzen, die sie sich selbst wählen würden; daher giebt's so viele schlechte Schuster, schlechte Priester, schlechte Minister und Fürsten.« (1749.)Den 3. Februar. – D.

*

»Hier ist eine ApologieDer Brief an Darget. – D. der armen Könige, über die Jedermann glossirt; und doch beneidet Jeder ihr vorgegebnes Glück hundertmal. Die Versification ist unvollkommen;Die Stelle ist verkürzt. – D. dies Studium erfordert einen Menschen ganz; mich ziehen tausend Pflichten, tausend Beschäftigungen aus einander. Ich bin ein angeketteter Galeerensclave auf dem Schiff des Staats, oder ein Pilot, der weder sein Steuer verlassen, noch einschlafen darf, ohne Furcht, das Schicksal des unglücklichen Palinur's zu haben. Die Musen fordern Stille und eine gänzliche Gleichheit der Seele; keine von beiden ist mein Theil. Es giebt auch gewisse privilegiirte Seelen, die im Tumult der Höfe sowol als im Gefängniß der Bastille oder auf dem Strohsack der Reise dichten können; die meinige ist nicht von dieser Zahl. Es ist eine Ananas, die nur im Treibhause fortkommt, an frischer Luft aber verdirbt.« (1749.)Den 5. März. – D.


Doch ich ermüde Sie mit Vorzeigung ausgerissener Blumen, die eigentlich nur auf der Stelle, da sie stehen, in der Situation, die sie hervorbrachte, den schönsten Reiz haben. Stünde mir die Versification eines JacobiDes Liederdichters G. Jacobi. – D. zu Gebot, und ich hätte Ihnen die eingestreuten Verse in der leichten Manier des Originals mitgeben können, freilich, da wäre es anders!


9.

Sie wollen also, daß ich meine Blumenlese auch in den reiferen, schwereren Jahren des Königs fortsetze; Ihr Wille geschehe! Fast mit jedem Jahre wächst meine stille Bewunderung des großen Mannes, und in den Zeiten des siebenjährigen Krieges steigt sie fast zum hohen tragischen Mitleid. Eine Seele, die zum Genuß, zur schönsten Wirksamkeit in Zeiten der Ruhe und des Friedens geschaffen war, die in jugendlichen Jahren ihren ersten und zweiten Ausflug nach dem Kranz kriegerischer Ehre gleichsam nur in der Begeisterung des Augenblicks, gelockt oder aufgefordert von Staatsgründen, von sogenannten Rechten und der damaligen Lage Europa's, rasch und glücklich gethan hatte, muß jetzt diesen leicht erworbenen Kranz schwer und theuer erkaufen. Alle Mächte Europa's vereinigen sich, den schwachgeglaubten, einzelnen Mann zu erdrücken, und seine unglaubliche Tapferkeit, sein unerschütterter Muth fordert, statt ihre Rache zu besänftigen, diese nur mehr auf. Er sieht die niedrigen Urheber und Werkzeuge seines fast schon unvermeidlichen Unglücks; mehr als ein Ungewitter zieht er mit künstlich kühner Hand auf seine Feinde selbst hernieder, und doch sammeln sich die Wolken immer furchtbarer über ihn zusammen. In diesen Augenblicken der Gefahr, des Sieges, der größeren Gefahr und des fast unvermeidlichen Untergangs sind tief aus der Seele des Helden geschriebene Briefe Dinge, die wir bei keiner andern Nation, weder bei Alten noch Neueren, finden. Aus Cato, Cäsar's, Brutus', Otho Seele haben wir nichts dergleichen; Keiner von ihnen hat auch die Gefahren bestanden, aus denen Friedrich sich, vielleicht in Jahrtausenden unerreichbar, herauszog. Da wird's merkwürdig, was dieser starke, friedliche Mann jetzt über Menschen, über das Schicksal der Welt dachte.

Sogleich der erste vortreffliche Brief (9. October 1757), der sich mit den Worten endigt:

»Pour moi, menacé du naufrage,
Je dois, en affrontant l'orage,
Penser, vivre et mourir en Roi!
«

und mehrmals übersetzt ist, enthüllt die Denkart des Königes.Schöne Parallelstellen dazu giebt die große Ausgabe der Werke, XXIII. 15. – D. In andern sind fürchterliche Ausrufe mit gefaßter Stärke: »Ich kann meinen Feinden sagen, wie Demosthenes den Atheniensern: »Wohl denn! wenn Philippus todt ist, was wäre es, Ihr Athenienser? Ihr würdet Euch bald einen andern Philippus machen.« O Oestreicher, Euer Hochmuth, Eure Sucht, Alles zu beherrschen, würden Euch bald andre Feinde machen; der Freiheit Deutschlands und Europa's wird es nie an Vertheidigern fehlen!«Im Briefe vom 16. Januar 1758. – D.

Indessen betrübt ihn der Tod seiner Schwester aufs Zarteste, »für die er sein Leben unter diesen Unglücksfällen gern würde hingegeben haben.«Diese Aeußerung über den am 14. October 1758 erfolgten Tod der Markgräfin von Baireuth steht im Briefe vom 6. November. Vgl. auch den Brief vom 23. Januar 1759. – D.

Er wird geschlagen und sagt, wie Franz:Franz I. von Frankreich. – D. »Alles ging verloren, nur nicht die Ehre.«

»Je älter man wird, je mehr überredet man sich, daß die heilige Majestät, der Zufall, drei Viertheile dieser elenden Welt regiert, und daß Die, die sich die Weisesten zu sein einbilden, die größten Narren der Gattung sind, die ohne Federn auf zwei Füßen geht, zu der wir zu gehören die Ehre haben.«Im Briefe vom 12. März 1759. – D.

*

»In den großen Bewegungen, denen ich entgegen gehe, habe ich nicht Zeit, zu wissen, ob Jemand Pasquille gegen mich schreibt in Europa; das weiß ich, und dessen bin ich Zeuge, daß meine Feinde, mich zu erdrücken, alle Kräfte aufbieten. Ich weiß nicht, ob es der Mühe lohnt.«Am 21. März 1759. – D.

*

»Es scheint, man vergißt in diesem Kriege, was Wohlstand sei. Die policirtesten Nationen kriegen wie wilde Thiere. Ich schäme mich der Menschheit; ich erröthe über das Jahrhundert. Laßt uns die Wahrheit gestehen: Philosophie und Künste verbreiten sich nur auf eine geringe Zahl Menschen. Die große Masse, das Volk und der gemeine Adel bleiben das, wozu sie die Natur gemacht hat, boshafte Thiere.«Im Briefe vom 11. April 1759. – D.

*

»Ihr habt der Sorbonne ein Grab gemacht; baut auch dem Parlement ein Grabmal! Es radotirt so stark, daß es mit ihm bald aus sein muß.«Am 18. Mai 1759. – D.

*

»Ihr wünschet Frieden; wendet Euch an Die, die ihn der Welt geben können! Das sind aber Leute, die ihren Kopf voll hochmüthiger Projecte haben; sie wollen eigenmächtige Schiedsrichter der Regenten sein, und das mögen Menschen, die wie ich denken, nicht leiden. Ich liebe den Frieden, aber keinen andern als einen guten, standhaften, ehrenvollen Frieden. Sokrates und Plato hätten wie ich gedacht, wenn sie auf dem verwünschten Punkt gestanden hätten, den ich in dieser Welt einnehme.

»Glaubt Ihr, daß es ein Vergnügen sei, dies alberne LebenWörtlich: »dieses Hundeleben« (cette chienne de vie). – D. fortzuführen? Menschen, die man nicht kennt, um sich sterben sehen und sie dem Tode selbst zu überliefern, Tag für Tag seine Bekannte und Freunde zu verlieren, seinen Ruf dem Eigensinn des Ungefährs unaufhörlich ausgesetzt zu sehen, das ganze Jahr durch in Unruhe und scheuer Erwartung zuzubringen, ohne End' und MaaßFriedrich schreibt blos: »sans fin«. – D. sein Leben und Glück aufs Spiel zu setzen?

»Gewiß, ich kenne den Werth der Ruhe, die Annehmlichkeiten der Gesellschaft und die Freuden des Lebens; auch ich wünsche glücklich zu sein, wie irgend Jemand. So sehr ich aber diese Güter begehre, so wenig mag ich sie durch Niederträchtigkeit und Ehrlosigkeit erkaufen. Die Philosophie lehrt uns unsre Pflicht thun, unserm Vaterlande selbst mit unserm Blut treu dienen, ihm unsre Ruhe, ja unser ganzes Dasein aufopfern.«Im Briefe vom 2. Juli 1759. Der Anfang ist verändert. – D.

*

»Trotz aller Schulen der Philosophie wird der Mensch immerhin das bösartigste Thier der Welt bleiben; Aberglaube, Eigennutz, Rache, Verrath, Undankbarkeit werden bis ans Ende der Zeiten blutige, traurige Scenen hervorbringen, weil Leidenschaften uns beherrschen, selten die Vernunft. Immer wird's Kriege, Processe, Verwüstungen, Pest, Erdbeben, Banqueroute geben; um solche Dinge drehen sich die Annalen der Welt. – Für Unglücksfälle ist die Aegide des Zeno gemacht; die Kränze aus dem Garten Epikur's sind für das Glück.«In demselben Briefe. – D.

*

»Ich stehe auf dem Punkt, mich mit den Russen zu setzen; es bleiben mir also nur die Königin von Ungarn, die Mandarinen des heiligen Reichs und die lappländischen Räuber fürs künftige Jahr übrig. Mein Herz hat mich diesen Gang thun heißen, ein Gefühl der Menschlichkeit, das gern die Ströme Bluts versiegen machen möchte, die beinah unsre ganze Sphäre überschwemmen, das gern den Mördereien, Barbareien, Mordbrennereien und allen den Abscheulichkeiten ein Ende machen möchte, die Menschen gegen einander ausüben, und durch die unglückliche Gewohnheit, sich im Blute zu baden, Tag für Tag wilder werden. Dauert dieser Krieg fort, so muß Europa in die Finsternis der Unwissenheit zurückfallen, und unsre Zeitgenossen werden wilde Thiere. Es ist Zeit, diesen Scheußlichkeiten ein Ende zu machen. Alle dies Unglück ist eine Folge der Ehrsucht Oesterreichs und Frankreichs. Laß sie ihren ungeheuren Projecten Grenze setzen; laß, wenn die Vernunft sie nicht weise machen kann, sie durch die Erschöpfung ihrer Finanzen, durch den übeln Zustand ihrer Sachen weise werden! Erröthen mögen sie, wenn sie hören, daß der Himmel, der die Schwachen gegen den Anfall der Starken unterstützt hat, den Ersten auch Mäßigung gnug verlieh, um von ihrem Glück keinen Mißbrauch zu machen und diesen den Frieden anzutragen. Das ist Alles, was ein armer, ermatteter, gereizter, gekratzter, gebissener, hinkender, geknickter Löwe Euch sagen kann.« (1759.)Am 19. November. – D.

*

»Schwert und Tod haben unter uns abscheulich gewüthet, und was das Traurigste ist, wir sind noch nicht am Ende der Tragödie. Ihr könnt leicht denken, was so grausame Stöße auf mich für Wirkung gehabt haben; ich hülle mich in meinen Stoicismus, so gut ich es kann. Fleisch und Blut empören sich oft gegen die tyrannische Herrschaft der Vernunft; sie müssen aber nachgeben. Wenn Ihr mich sehen solltet, würdet Ihr mich kaum wiedererkennen: ich bin alt, verfallen, greis, voll Runzeln; ich verliere Zähne und Lustigkeit. Wenn das fortwährt, wird an mir nichts überbleiben als die Tollheit, Verse zu machen, und eine unverletzbare Anhänglichkeit an meine Pflichten und an die wenigen tugendhaften Menschen, die ich kenne. Meine Laufbahn ist schwer, voll Dornen und Disteln. Ich habe allen Gram erprobt, der irgend die Menschheit kränken kann, und mir oft die schönen Verse wiederholt:

»Beglückt, wer in der Weisen Tempel« u. s. w.Im Briefe vom 24. Februar 1760. – D.

*

»Ihr eifert gegen Jesuiten und Aberglauben. Es ist gut, gegen den Irrthum zu streiten; glaubt aber nicht, daß die Welt sich je ändern werde! Der menschliche Geist ist schwach; mehr als drei Viertheile der Menschen sind zu Sclaven des ungereimtesten Fanatismus geboren. Die Furcht vor Hölle und Teufel benebelt ihnen die Augen; sie verabscheuen den Weisen, der ihnen Licht schaffen will. Der große Haufe unsers Geschlechts ist dumm und boshaft. Umsonst suche ich in ihm das Bild der Gottheit, das ihm, wie die Theologen sagen, aufgeprägt worden. Jeder Mensch hat ein wildes Thier in sich; Wenige wissen es zu bändigen, die Meisten lassen ihm den Zügel, wenn die Furcht der Gesetze sie nicht zurückhält.

»Vielleicht findet Ihr mich zu menschenfeindlich. Ich bin krank, ich leide, und habe mit einem Halbdutzend *** und ***Friedrich schrieb: »une demi-douzaine de coquins et de coquines«. – D. zu thun, die einen Sokrates und Antonin selbst außer Fassung bringen möchten. Ihr seid glücklich, dem Rath des Candide zu folgen und Euren Garten zu bauen;Im gleichnamigen Roman Voltaire's. – D. nicht Jedermann in der Welt kann es so gut haben. Der Ochs muß den Pflug ziehen, wie die Nachtigall singen, der Delphin schwimmen, und ich Krieg führen.«Am 31. October 1760. – D.

*

»Je mehr ich dies Handwerk treibe, desto mehr überrede ich mich, daß das Glück die größte Rolle dabei spiele. Ich glaube nicht, daß ich es lange treiben werde; meine Gesundheit nimmt zusehends ab, und es kann leicht sein, daß ich baldAusgelassen ist: »den Virgil über die Henriade unterhalte und«. – D. in das Land wandre, wo Gram und Schmerz, wo unsre Vergnügen und Hoffnungen uns nicht mehr folgen, wo man sich in dem Zustande findet, in dem man vor der Geburt war. Vielleicht belustigt Ihr Euch bald mit meiner GrabschriftHier ist ausgelassen: »Ihr werdet sagen, daß ich gute Verse liebte und schlechte machte, und daß ich nicht dumm genug war, Eure Talente zu schätzen«. – D. und gebt Rechenschaft von mir, wie BaboucIn Voltaire's Roman: »Le monde comme il va. Vision de Babouc«. – D. dem Engel Ithuriel von Paris gab.«Unmittelbar darauf in demselben Briefe. – D.


Gnug! Muß man nicht unwillig werden, wenn man sieht, wie ein blühender Baum, eine so große, schöne Seele, nicht vom Sturme des Schicksals, sondern von giftigen Winden und Stürmen einer herrschsüchtigen Politik weniger schlechter Menschen so gebeugt und zerknickt wird? Die feste Eiche dauerte aus, der schöne Palmbaum erhob sich; seine fröhliche, jugendliche Gestalt kam ihm aber nie ganz wieder. Friedrich that seinem Lande wohl, wie sein Geist im großen Ganzen es erforderlich und nöthig hielt; aber hart zu sein, hatte er wider Willen in einer schweren Schule gelernt. Er sahe die Gefahr seiner Länder, seiner Krone, der Fortdauer seiner Macht; denn er hatte sie gegen ganz Europa behaupten müssen. Wie anders, als daß er fortan ernst und strenge an die Zukunft dachte und der von ihm gegründeten Monarchie wenigstens das zum Schutz ließ, was er ihr lassen konnte, Gerechtigkeit, innere Ordnung, Kriegsheere und Geld? Man verzeihe ihm, wenn er für diese Dinge auch auf harten Wegen sorgte. Die böse Politik, die leider das Staatssystem Europa's ausmacht, zwang ihn dazu; und freilich gingen manche zartere Zweige der Humanität, die der an sich selbst fühlbare, fröhliche Charakter Friederich's gewiß würde angebaut haben, dabei verloren. Hat überhaupt die Menschheit in Europa einen größeren Feind als diese Politik der Höfe in jenem sogenannten großen Staatensystem nebst Allem, was dazu gehört?Die Folge des Briefwechsels enthält eine Fortsetzung dieses Auszuges. – H. [Vgl. unten Brief 21, S. 88. – D.]


10.

An den Kaiser.

Den Priester rufst Du wieder zur Jüngerschaft
Des großen Stifters, machest zum Unterthan
    Den jochbeladnen Landmann, machst den
        Juden zum Menschen. Wer hat geendet,

Wie Du beginnest? Wenn von des Ackerbaus
Schweiß nicht für ihn auch triefet des Bauern Stirn,
    Pflügt er nicht Eigenthum dem Säugling.
        Seufzet er mit, wenn von Erntelasten

Der Wagen seufzt. So bürdet Tyrannenrecht
Dem Unterdrückten Landeserhaltung auf,
    Dienst, den die blut'ge Faust des Stärkern
        Grub in die Tafel. Und die zerschlägst Du!

Wen faßt des Mitleids Schauer nicht, wenn er sieht,
Wie unser Pöbel Kanaan's Volk entmenscht!
    Und thut der's nicht, weil unsre Fürsten
        Sie in zu eiserne Fessel schmieden?

Du lösest ihnen, Retter, die rostige
Engangelegte Fessel vom wunden Arm:
    Sie fühlen's, glauben's kaum. So lange
        Hat's um die Elenden her geklirret!

Wir weinten Unmuth, daß uns der Römer Rom
Zwar nicht beherrschte, aber doch peinigte;
    Und blutig ist die andre Thräne,
        Daß uns der Römlinge Rom beherrschet!

Daß Deutschlands Kaiser Bügel des Zelters hielt!
Daß Deutschlands Kaiser nackt um die TeufelsburgIn den »Oden« steht dafür: »um des Buhlen Schloß«. – D.
    Herging, erfror, wenn nicht Mathildis –
        Aber Du kommst kaum und siehst, so siegst Du.

Nun mag der dreikrontragendeEbendaselbst: »kronentragende«. – D. Obermönch
Mit allen seinen purpurbemäntelten
    Mönchlein das Kanonsrecht, wie weit es
        Walte, beschielen; denn Du wirst sehen!Klopstock schrieb in den »Oden«: »Du hast gesehen!« – D.

So bewillkommte Klopstock den Kaiser Joseph auf seinem Kaiserthrone;Klopstock ließ die 1781 gedichtete Ode im Vossischen Musenalmanach auf das Jahr 1783 drucken, nachdem sie ohne sein Wissen in den »Greifswalder kritischen Nachrichten« erschienen war. – D. mit welcher sonderbaren Empfindung lasen wir die Ode, die ich vorher nicht gekannt hatte, eben jetzt nach seinem vernommenen Tode!Der am 20. Februar 1790 erfolgt war. – D. Es entspann sich darüber zwischen meinem Freunde und mir eine Art elegischen Gesprächs, das ich Ihnen hersetzen will, so weit ich mich dessen erinnere.

Gespräch

nach dem Tode des Kaiser Joseph's II.

A. Ein sonderbares Ding ist der Tod eines Monarchen. Wir sahen ihn bei Joseph vorher, wir wußten, daß der Kranke sich ihm nahte; und jetzt, da über ihm die Todtenglocken tönen, welch eine andre Empfindung! Ohne ihn gekannt und von ihm eine Wohlthat genossen zu haben, hätte ich weinen mögen, da ich die letzten Umstände seines Lebens las. Vor neun Jahren, da er auf den Thron stieg, ward er als ein Hilfsgott angebetet und von ihm das Größte, Rühmlichste, fast das Unmögliche erwartet; jetzt trägt man ihn als ein Söhnopfer der Zeit zu Grabe. Hat je ein Kaiser, hat je ein Sterblicher, möchte ich sagen, mehr gewollt, sich mehr bemüht, mehr angestrebt, rastloser gewirkt als er? Und welch ein Schicksal, vorm Angesichte des Todes in den besten Lebensjahren die Erreichung seiner Absichten nicht nur aufgeben, sondern die ganze Mühe und Arbeit seines Lebens förmlich widerrufen, feierlich ausstreichen zu müssen, und so zu sterben! Mir ist kein Beispiel in der Geschichte bekannt, daß es einem Monarchen so hart gegangen wäre.

B. Das war das Schicksal des Monarchen; setzen Sie noch das Verhängniß hinzu, das ihn als Menschen traf. Das Einzige, was er in seinem Hause mit Zärtlichkeit liebt, der letzte Gegenstand seiner Familienhoffnung wird ihm genommen; und damit der Schmerz so empfindlicher sei, eben nach dem Aufblick der Freude, unerwartet genommen! Sein Liebling muß so dicht vor ihm das Opfer des Grabes werden, daß seine Leiche die ihrige aus dem Kaiserhause gleichsam wegdrängt und sein Leben sich nur so lange zu fristen scheint, damit vor seinen Augen noch dessen letzte Freude zerknickt werde! »Begrabt sie,« sprach er, »damit für meine Leiche Platz werde!« Ein einziges Schicksal!

A. Der Unglückliche konnte zuletzt nicht sagen: »Ich kam, ich sah, ich siegte!« kaum: »Ich kam, ich sah, ich wollte!«

B. Beruhigen Sie Sich! Auch darin schon liegt viel, wie er sagen zu können: »Ich sah und wollte!« Er hat viel, sehr viel, und Weniges müssig gesehen. Allenthalben, wo es in andern Ländern besser war oder ihm besser zu sein schien, sammelte er mit rastloser Thätigkeit Gedanken, Entwürfe in seine Seele –

A. Die der Tod ihm jetzt alle raubt! – Ja, ja! er hat Vieles, fast zu Vieles gesehen. Nicht nur die Länder Europa's, die er bereiste, nicht nur das Innere seiner Länder, die er als Erbe und Mitregent früh und lange genug bis zum kleinsten Detail kennen lernte, nicht dies nur! er sah eben damit auch Gruben des Schlammes, die ihn erbitterten, Pfützen und Moräste von Untreue, Schwelgerei, Ueppigkeit, Trägheit, Unordnung, die er mit Gewalt ausfüllen und zum gesunden Garten machen wollte, und in deren Abgrunde er erliegt. Der Unrath schlägt über ihm zusammen, und vielleicht kommt die ganze alte Verfassung wieder.

B. Das wollen wir nicht glauben. Er bekommt einen Nachfolger,Leopold II. – D. der ein geprüfter Haushälter, ein versuchter Regent ist, von dem Joseph selbst zum Theil gelernt und geborgt hatte –

A. Und doch wollte er, fast ohne Ausnahme, der letzten Absicht nach lauter Billiges, Nützliches, Gutes! Oft war, was er wollte, nur erste Pflicht der Vernunft, der Humanität, der gesellschaftlichen Rechte; an etwas Außerordentliches und Ueberfeines war während seiner Regierung lange noch nicht zu denken. Dennoch erregt er in allen Provinzen und Ländern, auch bei Ständen, denen er am Meisten helfen wollte, murrende Unzufriedenheit; er stirbt beim Ausbruch eines allgemeinen Ungewitters, des Aufruhrs in seinem weiten Reiche.

B. Wollen wir nicht, mein Freund, diesen Ort verlassen, wo die Todtenglocken uns übertäuben? Was hilft über einen Unglücksfall das bloße Staunen? Wir wollen freie Luft suchen und uns darüber frei unterreden.


Wir gingen auf eine angenehme Höhe, auf der die zahlreichen Dörfer der ringsum liegenden Ebene ein angenehmer Anblick waren. Die Todtenglocken, die von den Landkirchthürmen in der Entfernung tönten, machten eine sanftere Harmonie, und unser Gespräch knüpfte sich bald von Neuem an.


B. Woher glauben Sie denn, daß das ungewöhnliche Schicksal Joseph's gekommen sei? Alle Dinge in der Welt haben ihre Ursache.

A. Wie mich dünkt, stand er dem großen Friedrich zu nahe; und es war Natur der Sache –

B. Wieso zu nahe? Friedrich hat ihm doch nicht geschadet. Er hat ihm zu einem größern Schlesien, den Königreichen Galizien und Ludomirien geholfen; aus dem bairischen Successionskriege gegen Friedrich kam Joseph auch mit fast unerwarteter Ehre. Ueberdem hat Friedrich von ihm meistens sehr günstig geurtheilt, und der alte König glaubte wol nicht, daß Joseph ihm so bald nachfolgen würde.

A. So meine ich's nicht. Denken Sie Sich die Lebensgeschichte des Kaisers. Mit ihm als einem Säuglinge mußte seine Mutter nach Ungarn flüchten und ihn als einen Gegenstand des Mitleidens den Ständen zeigen: vor wem flüchtete sie? gegen wen erbat sie sich Mitleid und Beistand? Was war also natürlicher, als daß der Name Friedrich's dem Kinde und Jünglinge oft genannt werden mußte; denn eben auch die Jahre, in denen der Geist des Menschen aufwacht, fielen bei Joseph in die Zeit des siebenjährigen Krieges –

B. Dem er dazu nicht beiwohnen durfte!

A. Nothwendig ward Friedrich ihm als Nachbar, als Feind seines Hauses, noch mehr aber als der König und Kriegsmann, für den er damals mit einem ganz einzelnen Glück und Ruhm galt –

B. Und immer gelten wird!

A. Ein Gegenstand der dringendsten Nacheiferung.

B. Und worin eiferte er ihm zuerst nach?

A. In Allem. Er wollte selbst regieren, wie Friederich.

B. Das Selbstregieren ist ein erhabener Gedanke; wäre es aber vom Alleinbefehlen nicht sehr unterschieden? Friedrich theilte die Geschäfte, die auszuführen waren, mit großem Bedacht nicht nur ein, sondern auch aus. Er verrichtete, was für ihn gehörte, mit Leichtigkeit und überließ Andern, was sie thun sollten.

A. Das that Joseph auch. Haben Sie das Reglement nicht gelesen, das er bei seiner zweiten Reise nach Italien den Chefs aller seiner Departements nachließ? Er wollte nur befohlen haben, und sie sollten ausführen; sie sollten seine Befehle selbst nach Ort und Stelle modificiren.

B. Das ist mehr, als ein Gesetzgeber sonst zu verstatten pflegt. Aber auf die Geschäfte und die Geschäftigkeit des Monarchen selbst wieder zu kommen: Friedrich sah nicht nur, sondern er übersah auch Vieles, sobald er nur seinen Hauptzweck erreichte.

A. Ob dieses ein uneingeschränktes Lob wäre?

B. Dafür gebe ich es auch nicht; gnug, als ein einzelner Mensch erreichte er damit seinen Endzweck. Er blickte in das Detail der Dinge nicht zu tief, damit er sich nicht verwirrte.

A. Die Ersparung würde Joseph mit der Zeit auch gelernt haben.

B. Friedrich fing nicht zu viel, nicht Alles auf einmal an.

A. Joseph that's, weil für ihn so viel, ja Alles zu thun war. Vielleicht ahnte er, daß er nicht lange leben würde; zudem verwickelte ihn Eins ins Andre; er glaubte, Nichts könnte ganz geschehen, wenn nicht Alles begonnen würde. Hatte er darin so ganz Unrecht?

B. Nicht Unrecht; aber es ging über Menschenkräfte. Ueberdem zerstreute Friedrich sich nicht, er reiste nicht –

A. Dem Kaiser waren diese Zerstreuungen Belehrung; sie waren ihm das einzige Vergnügen, seiner Gesundheit selbst unentbehrlich.

B. Friedrich, der in jüngern Jahren zu reisen außerordentliche Lust hatte, entsagte, sobald er Regent war, allen Reisen in fremde Länder; er betrachtete sich als Steuermann auf dem Schiff seiner Staaten. So angenehm er in Gesellschaften hätte werden können, so begnügte er sich dennoch an einer Gesellschaft weniger erlesenen Freunde und wählte sich eine andre noch einsamere Ergetzung, die er unausgesetzt, obwol sehr regelmäßig trieb, ja, die ihm bald so unentbehrlich ward als den Morgenländern das Opium –

A. Sie meinen die Lectüre?

B. Die Lectüre und Schriftstellern, das Lesen und Schreiben; beide sind von einander auch vielleicht unzertrennlich. Durchs Schreiben lernt man lesen und hören; durchs Hören lernt man schreiben und wird dazu getrieben, begeistert.

A. Ob das aber einen Regenten nicht zu sehr zerstreuen möchte? Kaiser und Autor!

B. Autor muß ein Kaiser und jeder Regent unausbleiblich werden, indem er Gesetze, Verordnungen bekannt macht. Soll er also nur vor fremde Werke seinen Namen schreiben, so schreibt er sie meistens nur vor Werke, deren er sich selbst schämt.

A. Das war Joseph's Fall nicht. Er schrieb selbst Gesetze.

B. Und großenteils vortreffliche. Glauben Sie aber, daß das ewige Gesetzschreiben einem Regenten gnug ist zur geistigen Erheiterung, zur Verjüngung seiner Seele? Friedrich las und schrieb blos und allein zu Bildung seines Geistes, zur Erfrischung und Ordnung seiner Gedanken; dann vergaß er Politik und Staatssorgen. Er lebte unter den Alten, dachte mit ihnen, mit großen Männern einer edlern Zeit. Er stärkte sich damit in jener hohen Einfalt fester Grundsätze und der Erfüllung seiner Pflichten; er ward selbst ein Alter –

A. Welches Alles freilich dem immer thätigen Joseph entgehen mußte!

B. Ihn, scheint es, hatte die Muse, als er geboren ward, mit ihrem himmlischen Auge nicht gesegnet.Anspielung auf Horaz' Oden, IV. 3. – D. Jesuiten hatten ihn nicht gelehrt, was Friedrich in der schweren Schule seiner Jugend durch eignen Aufschwung seines Geistes sich selbst lehrte.

A. Von Schriftstellern soll er überhaupt nicht groß gedacht haben.

B. So wenig groß, daß er den ganzen Bücherhandel für einen Käsehandel ansah. Ihm war also die Hauptquelle der innern höheren Freude und Ermunterung versagt, aus welcher Friedrich schöpfte. Er wußte nur in unsrer Zeit zu leben; daher auch sein Zeitalter unclassisch geblieben.

A. Es hat indessen doch vortreffliche Schriftsteller in Wien, in Böhmen, selbst in Ungarn unter ihm gegeben.

B. Unter ihm, aber nicht durch ihn.

A. Bei Friedrich mochte das derselbe Fall sein.

B. Friedrich fand die Literatur seiner Länder auf einem Fuß, daß sie sich selbst forthelfen konnte. Sie war sogar gegen die Barbarei seines Vorgängers bestanden; mithin, sobald er nur die Freiheit, zu denken, nachließ und selbst einen großen, edlen Geschmack zeigte, so eiferte man nach, ja, man flog voran.

A. Auch Joseph verstattete die Freiheit, zu denken.

B. Vortrefflich! und noch edler, daß er sie nie zurückrief, wenn die Freiheit gleich Frechheit ward und ihn selbst antastete. Möge dieser große Geist sich auf seine Nachkommen fortbreiten! Damit aber erfüllte Joseph die Hoffnungen lange nicht, die man fast unglaublich von ihm hatte.

A. Ueberspannte Hoffnungen!

B. Nicht überspannte, weil Alles für ihn bereit stand und nur auf seinen Wink wartete. Welch ein Zeitalter hätte Joseph erwecken können, für sich und für Andre! Bei dem unendlich Vielen, was er sah, übersah er dieses.

A. Der deutschen Sprache und Schaubühne indeß hat er doch genutzt.

B. Ich glaube es. Und wie viel Andern hätte er mit der leichtesten Mühe nutzen können, wenn ihm von Kindheit auf der Geschmack daran beigebracht wäre! Unglücklich ist ein künftiger Regent, dem in seiner Jugend der Quell verschlossen oder trübe gemacht wird, der ihm in seiner künftigen, ewig zerstreuenden und ermüdenden Laufbahn doch allein die schönste Erquickung geben kann und muß. Nur durch die Wissenschaften gewinnt ein Regent das Maaß seiner selbst, eine Sammlung seiner Gedanken, ein geistiges Organ, die Dinge anzusehen und zu genießen. Ohne Liebe zur Wissenschaft bleibt er ein sinnlicher Mensch, dem bei aller seiner Thätigkeit von außen in entscheidenden Fällen dennoch das innere Auge, das innerste Herz zu fehlen scheint.


Hier verbreitete sich unser Gespräch auf einzelne verdiente Männer in den österreichischen Staaten, auf die reiche Ernte, die in diesem weiten Felde für die künftige Zeit zu erwarten steht; endlich beschieden wir uns auf den morgenden Tag zu dieser Stunde wieder auf diesen angenehmen Hügel. Und wir setzten das Gespräch fort.


B. Mich dünkt, aus unserm gestrigen Gespräch erhellte, daß Joseph dem alten Könige nicht in Allem, nicht im Vornehmsten nachgeeifert habe; wissen Sie etwas Anderes, worin Dieser ihm schädlich gewesen?

A. In dem Kriegs-, in dem Eroberungsgeist, den er ihm wider Willen einflößte.

B. Friedrich ihm? So viel ich weiß, war seit dem siebenjährigen Kriege dem großen Könige die Lust zu kriegen ganz vergangen; er suchte und predigte Frieden. Zur Theilung Polens that nicht er den Vorschlag; und als er ihn annahm, begnügte er sich mit dem kleinsten Theil des Erwerbes. Seinetwegen hätte Joseph immer in Ruhe regieren und seine Staaten ordnen können; ja, als er nach Baiern griff, setzte eben Friedrich sich seinem Ländererwerb blos in der Absicht entgegen, daß künftig ein so böser Zunder zu Kriegen, der Ländererwerb, in Deutschland nicht mehr statthaben sollte. Mich dünkt, dieser Habgeist durfte Joseph nicht eben anderswo herkommen; leider war er ja die ererbte Politik des Habsburgischen Hauses. Joseph dachte, wie bekannt ist, an die Länder, die Oestreich hatte aufopfern müssen, und vergaß, wie es zu manchen Ländern gekommen sei. Offenbar war auch, wenigstens im damaligen Moment, der Zeitgeist für dergleichen Erwerbe nicht gestimmt. Mit seinen Ansprüchen auf Baiern und die Schelde verlor der Kaiser das Zutrauen Europa's; mit Anmaßungen in Deutschland verlor er das Zutrauen des Reichs, vielleicht mehr, als er's verdiente. Mit dem traurigen Türkenkriege endlich –

A. Denken Sie nicht an diesen Krieg! Feldherrn, Freunde, Gesundheit, Ruhe und Leben opferte der zu freigebige Bundsgenoß einem Feldzuge auf, der ihm vielleicht hätte fremde sein mögen.

B. Und fremde sein müssen, da die innere Einrichtung seines Reichs, sein männlich großes Werk, alle seine Kräfte forderte. Jetzt, indem er die Krim durchwanderte, wohin nie ein römischer Kaiser gekommen war und nie einer zu einem solchen Zweck hätte kommen mögen, fingen die Niederlande an zu glühen.

A. Und im unglücklichen Türkenkriege loderten fast alle Provinzen in hellen Flammen auf. Verwünscht seien überhaupt alle Eroberungskriege! Aus dem civilisirten Europa wenigstens sollten sie durch einen allgemeinen Fürstenbund alle verbannt sein. König Friedrich mit seinem eroberten Schlesien, das er durch seinen siebenjährigen Krieg schwer gnug vertheidigt hat, möge die Reihe der Eroberer, als beinah unübertrefflich, schließen!

B. So werden auch in Friedenszeiten die deshalb gemachten drückenden Anstalten aufhören. Glauben Sie, mein Freund, reine Bemühungen zum Besten der Menschheit können in einem Staat schwerlich gedeihen, so lange der Eroberungsgeist die Fahne schwingt und die erste Staatslivrei trägt. Wir sind sodann und bleiben, was wir bereits zu Tacitus' Zeit waren, »auch im Frieden zum Kriege gewaffnete Barbaren«.Germ., 31 ? – D.

A. Das Lob des Kriegshelden gebe ich gern auf und beklage vielmehr, daß Joseph diesen Dienst auch persönlich sich so sauer werden ließ, als selten ein gemeiner Soldat thun würde.

B. Friedrich war nie Soldat; er war Feldherr.

A. So wollen wir denn lieber von Joseph's Feldzügen gegen den Aberglauben, gegen die Intoleranz und Pfäfferei reden. Hier ist doch sein Verdienst unstreitig.

B. Unstreitig; ich hoffe, auch unsterblich.

A. Es ward ihm auch sauer gnug. Die Hyder gewann immer neue Köpfe. Und doch war im Meisten seine Absicht ebenso unverkennbar als gerecht, nützlich, unentbehrlich. Was war z. B. rechtmäßiger, als daß er die Geistlichkeit seines Landes fremder Gerichtsbarkeit, die Sünden seines Landes fremder Dispensation entnahm?

B. Oder billiger als die Freiheit, die er der Büchercensur gab?

A. Oder pflichtmäßiger, als daß er die Klöster verminderte und den Unterricht des Volks vermehrte?

B. Oder rühmlicher, als daß er alle Religionsparteien vor Bedrückungen schützte? Aber, mein Freund, wer hätte ihm bei diesem Allen die Hände binden können?

A. Sie kennen die Hyder nicht!

B. Wenn der Kaiser es unverrückt gewollt, wenn er bei jedem Schritt, den er thun wollte, die Folgen überdacht, die Auskunft gegen sie zum Voraus bestimmt, so viel möglich alle Aergernisse vermieden, sodann aber auch ruhig den Bann oder das Interdict erwartet hätte.

A. Dazu wäre es wol nie gekommen; die innern Verdrießlichkeiten und Unordnungen aber waren desto größer.

B. Lassen Sie es uns gestehen: an denen der Kaiser zum Theil selbst Schuld war. Durch Nachgeben, durch Aergernisse, durch unvorgesehene Folgen u. s. w. Ueberhaupt scheint es, daß er bei der Religionsänderung auf keinen festen Grund gebaut habe: Alles blieb schwankend, und die harte Behandlung der Deisten in Böhmen –

A. Diese war eine Uebereilung!

B. Nein! es war eine Folge des Unwillens, daß sich diese Leute von ihm selbst nicht bekehren lassen wollten. Ein andrer Regent hätte sich gefreut, ein Völkchen solcher Art zu finden; und wenn er's mit seinem Schutze beehrt hätte, würde er hie und da vielleicht nicht unverwerfliche Funken erweckt haben. Jetzt ward der Name, den Jeder hochschätzen muß, er sei Christ, Jude, Türk', Heide, der Name Deist, vom toleranten Joseph gemißhandelt; das thut mir weh, für ihn selbst und zum Besten der Menschheit.


Hier verbreitete sich das Gespräch abermals auf mehrere Anstalten des Kaisers, auf die Beschaffenheit und die Vertheidiger seines Kirchenrechts u. s. w. Am folgenden Tage endlich kamen wir zu den Hauptmerkwürdigkeiten seiner Regierung.


A. Daß Joseph sich des unterdrückten Landmanns annahm, wird also wol sein größter Ruhm bleiben.

B. Sein größter, und wahrlich ein humaner Ruhm. Golden sind die Grundsätze, die er in mehreren Befehlen äußert: »Ist es nicht Unsinn, zu glauben,« sagt er,An die Chefs seiner Collegien. Vgl. unten S. 56. – D. »daß die Obrigkeiten das Land besessen, bevor noch Unterthanen waren, und daß sie das Ihrige unter gewissen Bedingungen an die Letztern abgetreten haben? Müßten sie nicht auf der Stelle vor Hunger davonlaufen, wenn Niemand den Grund bearbeitete? Ebenso absurd wäre es, wenn sich ein Landesfürst einbildete, das Land gehöre ihm und nicht er dem Lande zu, Millionen Menschen seien für ihn und nicht er für sie gemacht, um ihnen zu dienen.«

A. Aehnliche Stellen sind in allen seinen Befehlen. Er kannte den Quell des Verderbens und nahm sich seiner bis auf den Grund an. Jede Saite des menschlichen Elends hat er berührt.

B. Daß Joseph dies that, bleibt sein ewiger Ruhm, wenn er gleich nicht allenthalben durchdrang. Seine Verordnungen gegen die Leibeigenschaft, über Majorate, Steuern u. s. w. enthalten so viel Merkwürdiges, daß eine spätere Zeit gewiß besser und sichrer verfolgen wird, was er hie und da übereilt angab. Vielleicht traute er gelesenen Theorien zu sehr, that große Schritte und lebte nicht lange genug, seine Schritte zu behaupten.

A. Welchen Widerstand hat er auch hierin erfahren!

B. Einen größeren, als ihm selbst die Pfaffen in ihrem Kreise entgegensetzen konnten. Der Widerstand wird immer wiederkommen, sobald ein Regent sich des Landmanns annimmt, zumal in denen von slavischen Nationen bewohnten Ländern. Hier gilt's aber, was Kaiser Siegmund sagte: »Wer über ein Ding nicht springen kann, muß drunter wegkriechen.«

A. Das dünkte Joseph nicht der königliche Weg.

B. Drum ist er auch dem Sprunge erlegen. Alles, mein Freund, läßt sich in der Welt nicht auf einmal, nicht mit Gewalt ausführen, dazu ohne Gehilfen, ohne Werkzeuge, woran es dem Kaiser so sehr fehlte.

A. Das wundert mich indeß, daher auch das Volk nicht mehr gewann, gegen welches er doch so populär war. Er suchte das Beste desselben so entschieden!

B. Stieß aber dabei auch das Volk in Manchem so vor die Stirn, beleidigte unschuldige, ja angenehme Vorurtheile desselben so sehr, daß der arme Haufe von Pfaffen und Andern sich gegen seinen eignen Wohlthäter selbst ins Netz jagen ließ.

A. Welche unschuldige Vorurtheile des Volks hat er beleidigt?

B. Aus vielen führe ich nur wenige an: zuerst das Vorurtheil der Sprache. Hat wol ein Volk, zumal ein uncultivirtes Volk, etwas Lieberes als die Sprache seiner Väter? In ihr wohnt sein ganzer Gedankenreichthum an Tradition, Geschichte, Religion und Grundsätzen des Lebens, alle sein Herz und Seele. Einem solchen Volk seine Sprache nehmen oder herabwürdigen, heißt ihm sein einziges unsterbliches Eigenthum nehmen, das von Eltern auf Kinder fortgeht.

A. Und doch kannte Joseph mehrere dieser Völker persönlich und sehr genau.

B. Um so mehr ist's zu verwundern, daß er den Eingriff nicht wahrnahm, den er sich damit in ihre beliebtesten Rechte erlaubte. »Wer mir meine Sprache verdrängt,« glaubt der Idiot nicht ungründlich, »will mir auch meine Vernunft und Lebensweise, die Ehre und Rechte meines Volks rauben.« Wahrlich, wie Gott alle Sprachen der Welt duldet, so sollte auch ein Regent die verschiednen Sprachen seiner Völker nicht nur dulden, sondern auch ehren.

A. Er wollte aber eine schnellere Betreibung der Geschäfte, eine schnellere Cultur bewirken.

B. Die beste Cultur eines Volks ist nicht schnell; sie läßt sich durch eine fremde Sprache nicht erzwingen; am Schönsten, und ich möchte sagen, einzig gedeiht sie auf dem eignen Boden der Nation, in ihrer ererbten und sich forterbenden Mundart. Mit der Sprache erbeutet man das Herz des Volks, und ist's nicht ein großer Gedanke, unter so vielen Völkern, Ungarn, Slaven, Wlachen u. s. w., Keime des Wohlseins auf die fernste Zukunft hin ganz in ihrer Denkart, auf die ihnen eigenste und beliebteste Weise zu pflanzen?

A. Was brauchte Joseph dazu für Hände! Ihm schien es ein größerer Gedanke, alle seine Staaten und Provinzen wo möglich zu einem Codex der Gesetze, zu einem Erziehungssystem, zu einer Monarchie zu verschmelzen.

B. Ein Lieblingsgedanke unsers Jahrhunderts! Ist er aber ausführbar? ist er billig und nützlich? Brabanter und Böhmen, Siebenbürgen und Lombarden, stehen sie auf einer Stufe der Cultur? gehören sie also in ein Institut der Erziehung? in einen Codex der Gesetze und Strafen? Gott selbst hat sich eine solche Zusammenschmelzung nicht erlaubt; daher er jedes Volk nach seiner Weise unterrichtet.

A. Leider war der ganze Normalzuschnitt der Collegien und Schulen ein exjesuitischer, armer Begriff!

B. Der indessen ganze Völker aufbrachte. Ueber Armseligkeiten solcher Art empörte sich die Universität Löwen, die Niederlande machten dem erregten Feuer gerne Platz; so griff es weiter!

A. Und doch meinte es auch hierin Joseph gut mit den Völkern. Was er ihnen gab, war freilich nicht das Beste, aber doch ein Besseres, als sie besaßen. Er war selbst nicht besser erzogen worden.

B. Und seine Gesetzbücher?

A. Mit denen ging er freilich etwas schnell zu Werk.

B. In einer nothdringenden Sache mußte die Bahn gebrochen werden. Was ich dabei am Meisten bedaure, ist, daß Joseph durch manche Gesetze seinen eignen Absichten völlig entgegenzuarbeiten schien.

A. Zum Beispiel?

B. Z. B. in seinem Criminalcodex die Häufung der Verbrechen gegen den Staat.

A. Dagegen er ja aber die Verbrechen der beleidigten Majestät aufhob.

B. Geringe Aufopferung gegen ein viel größeres Unheil, dem Platz gemacht wurde. Zum Verbrechen gegen den Staat kann Alles, auch das kleinste Vergehen gegen die Polizei gemacht werden. Denn was wäre nicht gegen den Staat, sobald man statt der sichtbaren, doch nur leibhaften Majestät dies willkürliche, unbestimmte Phantom auf den Thron erhöbe?

A. Freilich, auch die mitleidswerthesten Krankheiten der Natur können sodann zu Rebellen gegen den Staat gemacht werden, z. B. der unglückliche Selbstmord. Der Aermste der Menschen hat sich dem Staat entzogen; mithin müssen alle körperliche Beschimpfungen, die niedrigsten Schläge sein Loos sein. Was die gütige Natur selbst nicht verhindern konnte, will der Monarch im Namen des Staats durch knechtische Beschimpfungen nicht verhindern, sondern rächen und strafen.

B. Schweigen Sie, Freund! Die Vernachlässigung, ja, ich möchte sagen, die Vernichtung des Gefühls für Ehre und Schande hat mich in Joseph's Gesetzgebung ganz irre gemacht. Vernichte das Gefühl der Ehre, den Namen der Familie und Verwandten, die den Todten gebührende Achtung u. s. w.: womit willst Du es ersetzen? Die Natur selbst sträubt sich gegen solche Einrichtungen, die Joseph daher bald selbst einschränken, einstellen mußte, oder auch bald unglücklicherweise nicht einstellte. In wenigen Jahren hätte er auf Straßen und Gassen zwischen lauter Verbrechern gegen den Staat wandeln müssen – ein fürs Volk, für den Regenten und für Alles, was Mensch oder Halbmensch ist, abscheulicher Anblick!

A. Ich weiß selbst nicht, wie Joseph bei seinem übrigens guten Herzen zu diesem Mangel an Mitempfindung und Delicatesse kam.

B. Ein Wort würde Ihnen dies erklären. Können Sie es leugnen, daß bei Joseph der Schein der Selbstherrschaft das Meiste, ja Alles verderbte?

A. Kaum wage ich's zu leugnen. Er wollte das Beste, aber er wollte es als Despot. Selbst in dem schönen, ich möchte sagen väterlichen Aufsatze, den er an die Chefs seiner Collegien schrieb, von dem wir gesprochen haben, sind davon Spuren.

B. Und die willkürliche Verkürzung zugesicherter Gehalte? könnte manche derselben auch die äußerste Noth entschuldigen?

A. Kaum.

B. Und die Benutzung der Waisengelder für den Staat? Und die Art der Klosteraufhebung und der Veräußerung geistlicher Güter? Und die Verwaltung der Religionskassen? Und die Conduitenlisten? Und die Verfügungen auf dieselben? Warum ließ er sich in Ungarn nicht krönen? warum entzog er den Ungarn ihre Krone? Ich könnte noch lange so fragen.

A. Und doch war er in seinem mühseligen Leben nichts weniger als ein Sardanapal. Er diente dem Staat als Taglöhner, als unablässiger Werkmann.

B. Wie gefährlich ist's, auf der oder jener Stelle, aus der oder jener Fürstengattung zum Thron, zu Thronen geboren zu sein! Eine unglückliche Fee bringt an der Wiege des Prinzen einen unauslöschlichen Querstrich in die Seele des Kindes und giebt ihm die schreckliche Verwünschung mit, daß nach Verhältnis der besten Bemühungen des unglücklichen Halbgotts der Querstrich für ihn selbst und Andre unzerstörlich wachse.

A. Unglücklich!

B. Wem unterlag also Joseph? Nicht der Schwachheit der menschlichen Natur, sondern der geglaubten und von Kindheit auf genährten Allgewalt des Selbstbeherrschers. Nicht das Schicksal, die Natur der Dinge, der Wille seiner Unterthanen hat ihn gebeugt.


Natürlicherweise ging das Gespräch hier auf eine Menge einzelner Umstände seines Lebens und Todes über, die mein Freund wußte; es erhob sich endlich wieder.


A. Seine Fehler hat Joseph schwer gebüßt –

B. Und in sein Grab genommen; das Gute, das er gewollt und anfangs weise bewirkt hat, wird, obwol einestheils in zerfallenden Resten, bleiben und dereinst glücklicher an den Tag treten; denn es ist dem größten Theile nach ein reines Gute zum Ertrage der Menschheit. Er hat es seinen Nachfolgern schwer gemacht.

A. Ich dächte, leicht gemacht; sie dürfen nur seiner Bahn folgen.

B. Vor der Hand schwer gemacht. Er hat an allen Säulen gerüttelt und den Staat bewegt. Wer künftighin eine Säule nur angreift, wird die Aufmerksamkeit Aller auf sich ziehen, und man wird ihn durch Liebkosungen und Schreckbilder von dem Werk abzuziehen suchen, das Joseph begann und unmöglich endigen konnte. Er hat die Bedürfnisse seiner Staaten tiefer gekannt als vielleicht kein Regent unsrer Zeiten.

A. Und emsiger besorgt als vielleicht kein Regent unsrer Zeiten.

B. Oft ist der Wille größer als die That, das Unternehmen edler als die Ausführung. Ich weiß nicht, ob Viele nach seinem Tode viel zu seinem Lobe schreiben werden; aber was man dazu aus Ansicht der Dinge schreibt, wird die billigere Nachwelt gutheißen; seinen Schatten ehren und nicht mehr mit Bedauern, sondern mit frohem Erstaunen einst sagen: »Auch er schon sah dies und wollte!«

A. Kennen Sie seinen Brief, den er im Jahr 1784 an die Stadt Ofen schrieb, als sie ihm eine Ehrensäule setzen wollte? Hier ist er:

»Wenn die Vorurtheile werden ausgewurzelt und wahre Vaterlandsliebe und Begriffe für das allgemeine Beste werden beigebracht sein; wenn Jedermann in einem gleichem Maaße das Seinige mit Freude zu den Bedürfnissen des Staats, zu dessen Sicherheit und Aufnahme beitragen wird; wenn Aufklärung durch verbesserte Studien, Vereinfachung in der Belehrung der Geistlichkeit und Verbindung der wahren Religionsbegriffe mit den bürgerlichen Gesetzen; wenn eine bündigere Justiz, Reichthum durch vermehrte Population und verbesserten Ackerbau; wenn Erkenntniß des wahren Interesse des Herrn gegen seine Unterthanen und dieser gegen ihren Herrn; wenn Industrie, Manufacturen und deren Vertrieb, die Circulation aller Producte in der ganzen Monarchie unter sich werden eingeführt sein, wie ich es sicher hoffe: alsdann verdiene ich eine Ehrensäule, nicht aber jetzt.«

B. Wenn dies Alles geschehen ist, bedarf der große Wollende keiner Ehrensäule mehr; sein Unternehmen, sein schwerer Anfang ist ihm allein schon ein Koloß für die Nachwelt.


So endete unser Gespräch, und die Glocken verhallten. Wünschen Sie nicht auch mit mir ein Leben Joseph's zur Lehre für die Nachwelt?

11.

Wie kommt es, mein Freund, daß unsre Poesie, verglichen mit der Poesie älterer Zeiten, an öffentlichen Sachen so wenig Theil nimmt? Die Poesie der Ebräer in den heiligen Büchern ist ganz patriotisch; die Poesie der Griechen nach ihren Hauptarten nahm in den besten Zeiten sehr vielen, die Poesie der Römer einen bei Weitem schon geringeren Antheil an öffentlichen Begebenheiten und Geschäften. Seitdem endlich die Barden und Leyermänner ziehender Heere Trompetern und Paukern ihre Stellen überließen, seitdem –

Doch sofern beantworte ich mir die Frage selbst, auf die ohnedem Andre bereits geantwortet haben. Wie kommt's aber, daß, auch seitdem die Dichterei gedruckte Kunst ist, ihr Antheil an der gemeinen Sache zu verschiednen Zeiten so ungleich gewesen und jetzt sogar gering zu sein scheint? Mehrere tapfere Gedichte auch aus unserm Vaterlande von Luther, Opitz, Logau, und nach einem großen Sprunge der Zeiten von Kleist, Gleim, Uz, Klopstock, Stolberg, Bürger u. A. sind uns in Herz und Seele geschrieben; ist diese Muse anjetzt entschlafen? oder hat sie, wie Baal, etwas Anderes zu schaffen, daß sie, vom Geiste der Zeit nicht erweckt, das Geräusch um sich her nicht hört?

Mich dünkt, so ist es; sie hat etwas Anderes zu schaffen. Schlagen Sie darüber die neueren Dichter nach. Und doch erwarten wir, wenn wir von einem neuen Dichter hören, zuerst und vor Allem ein Wort des Herzens zum Herzen, einen Laut der allgemeinen Stimme, des Wunsches und Strebens der Nationen, den Hauch und Nachklang des mächtigen Zeitgeistes.

Der göttliche Mund der Muse ist in aller Welt gepriesen. Sie darf Dinge sagen, die die Prose nicht zusagen wagt, und flößt sie unvermerkt in Herz und Seele. Gab sie der Fabel einst jenen lieblichen Ton, jene Süßigkeit, nach welcher wir auch nach Jahrtausenden noch wie nach einer Erquickung lechzen: wie? und sie sollte der auf uns dringenden Wahrheit wenigstens einen gefälligen Anzug, eine einladende Gestalt nicht zu geben vermögen?

Oft beunruhigen mich in meiner Einsamkeit die Schatten jener alten mächtigen Dichter und Weisen. Jesaias, Pindar, Alcäus, Aeschylus stehen als gewaffnete Männer vor mir und fragen: »Was würden wir in Euren Zeiten gedacht, gesagt, gethan haben?« Luther's edler Schatte schließt sich an sie an, und wenn die Erscheinung vorüber ist, finde ich um mich Oede.

Gewiß, meine Freunde, wir wollen auf Alles merken, was uns der göttliche Bote, die Zeit, darbeut; keiner ihrer edlen Laute soll uns entschlüpfen. Glauben Sie nicht, daß ich damit die armselige Zunft jener Tyrannenbändiger und Regentenwürger zurückwünsche, die vor einigen Jahren ihre Wuth ausließ. Es war Geschrei; darum ist's verhallt, ein Nachklang ohne Kraft und Wesen. Die wahre Muse ist sittsam; »lene consilium et dat et dato gaudet almaNach Horaz' Oden, III. 4. 41 f. – D. diesen sanften Rathschluß empfing sie vom Himmel und haucht ihn dem Geiste der Zeit ein,

»Finire quaerentem labores
  Aonio recreat antro
Nach Horaz, daselbst 39 f. – D.

Hold und schön klingen mir hierüber die Töne der Alten, und ich wünschte, daß wie einst dem Horaz, so auch mir die Muse des Simonides, Alcäus, Stesichorus noch ertönte.Anspielung auf Horaz' Oden, IV. 9. 5–8:
        »Non si priores Maeonius tenet
    Sedes Homerus, Pindaricae latent
      Ceaeque et Alcaei minaces
        Stesichorique graves Camenae
.« – H.
Aber sie liegt im Staube, und wir müssen uns nur an dem, was der Vergessenheit entrann, den Geist erheben und das Herz stärken. Mit unbeschreiblicher Freude habe ich in diesen Tagen jenes feine Echo der Griechen, den Horaz, gelesen und wiedergelesen. Er lebte in einer kritischern Zeit, als wir leben, war mit Glück und Person an August und Mäcen gefesselt; und wie edel, wie stolz und unterrichtend ist seine Muse! Sie bricht die Blüthe der Zeit und schwebt auf den Fittigen ihres reinsten Lufthauches.


12.

Mich dünkt, Ihre Fragen über den geringen Antheil, den die heutige Dichtkunst an den Händeln der Zeit nimmt, haben Sie Sich selbst beantworten können; denn der Stoff dazu liegt völlig in Ihrem Briefe.

Schaffen Sie uns den Zustand der Griechen wieder, und Alcäus, Pindar, Aeschylus sind mit ihnen auch da. In vielerlei Rücksicht aber würden wir diese Zeiten nicht wünschen und uns dagegen an unsrer dichterischen Untheilnehmung begnügen. So wäre es auch in Ansehung der Zeiten Horaz' oder gar der Kreuzzieher und Harfner. Opitz und Logau fühlten die Drangsale des dreißigjährigen Krieges; wider ihren Willen mußten sie an dem Elende, das er verbreitete, Theil nehmen; der Widerschein seiner Flammen glänzt in ihren Gedichten. Kleist, Uz und Gleim trafen auf die Zeiten der preußisch-österreich'schen Kriege; alle Drei fanden darin unverwelkliche Lorbeern, der Erste aber auch bei vieler Noth, die er als Krieger mit bedrücktem Herzen sah, seinen blutigen Tod. Was diese Dichter uns aus theurer Erfahrung sangen, warum müßte es uns, durch neue Erfahrung theuer erkauft, wieder gesungen werden? Tönt uns Kleist's Stimme nicht noch?Die folgenden Verse sind aus Kleist's erster eigner Ausgabe des »Frühlings« genommen; wer will, vergleiche sie mit der jetzt gangbaren Ausgabe. –  H.

»Ihr, denen zwanglose Völker der Herrschaft Steuer vertrauten,
Führt Ihr durch Flammen und Blut sie zur Glückseligkeit Hafen?
Was wünscht Ihr, Väter der Menschen, noch mehrere Kinder? Ist's wenig,
Viel Millionen beglücken? erfordert's wenige Mühe?
O, mehrt Derjenigen Heil, die Eure Fittige suchen,
Deckt sie gleich brütenden Adlern. Verwandelt die Schwerter in Sicheln,
Erhebt die Weisheit im Kittel und trocknet die Zähren der Tugend!«

Die rührende Stimme seines »Grab- und Geburtsliedes«, seine »Sehnsucht nach Ruhe«, sein »Abschied« hinter »Cissides und Paches« tönt noch jedem Leser ins Herz, nachdem der Dichter die Gesinnungen seiner Seele mit Leben und Blut versiegelt. So ist's mit den patriotischen Oden Uz', Klopstock's; und der preußische Kriegssänger ist ebensowol Volks-, Friedens-, Staatssänger geworden, hat bis auf die neuesten Zeiten fast an jeder großen Angelegenheit Antheil genommen, die seinem Gesichtskreise irgend nur nahe lag.Seitdem sind Gleim's »Zeitgedichte« in einer Sammlung erschienen (1792), die Keinem, der am Geiste der Zeit Antheil nimmt, uninteressant sein kann. –  H.

Aber, mein Freund, nach unsrer Lage der Dinge halte ich das zu nahe, zu starke Theilnehmen der Dichter an politischen Angelegenheiten beinahe für schädlich. Zu bald nimmt der Dichter einseitige Partei und thut der besten Sache, geschweige einer schwachen, wankenden, mit dem besten Willen Schaden. Dadurch schwächt er die gute Wirkung seiner Gedichte selbst; denn in Kurzem ist die Situation der Zeit vorüber; man sieht die Dinge anders an; man behandelt ihn als einen abgekommenen Barden. Also bleibe die Poesie in ihrem reinen Aether, der Sphäre der Menschheit,

»Coetusque vulgares et udam
  Spernat humum fugiente penna!
«Nach Horaz' Oden, III. 2. 23 f. – D.

In diesem höheren, freieren Raume begegnen sich alle politische Meinungen als Freundinnen und Schwestern; denn im Elysium wohnt keine Feindschaft.

Sehr gut also, daß unsre Musenalmanache äußerst wenige politische Oden mit sich führen. Bald würden Zwei gegen einander im Streit liegen; und überhaupt ist's doch nur Spiel, wenn Genien mit Waffen der großen Götter spielen.

Das aber glauben Sie, daß die Poesie als eine Stimme der Zeit unwandelbar dem Geiste der Zeit folge; ja, oft ist sie eine helle Weissagung zukünftiger Zeiten. Lesen Sie in Stolberg's »Jamben«, 1784 gedruckt, den »Rath« (S. 66) und mehrere Gedichte; lesen Sie mehrere, frühere und spätere Oden Klopstock's, und leugnen noch, daß auch auf deutschen Höhen oder in ihren Thälern ein prophetischer Geist der Zeiten wehe! Schade nur, daß er nicht vernommen wird; denn um aller deutschen Redlichkeit willen, welcher Mann von Geschäften läse ein Gedicht, um in ihm die Stimme der Zeit zu hören!

Wir, meine Freunde, wollen den Garten der Grazien und Musen in der Stille bauen. Verständiger Homer, edler Pindar, und Ihr sanften Weisen, Pythagoras, Sokrates, Plato, Aristoteles, Epikur, Zeno, Marc-Antonin, Erasmus, Sarpi, Grotius, Fénélon, St. Pierre, Penn, Franklin, sollt die heiligen Mitwohner unsrer friedlichen Gärten werden. Das aufschießende Korn bedarf mancherlei Witterung; die Saat in der Erde will Ruhe und milden, erquickenden Regen.

13.

Milden erquickenden Regen wünscht die keimende Saat der Humanität in Europa, keine Stürme. Die Musen wohnen friedlich auf ihren heiligen Bergen, und wenn sie ins Schlachtfeld, wenn sie in die Rathskammern der Großen treten, entbieten sie Frieden. Eine edle, würdige That zu loben, ist ihnen ein süßeres Geschäft, als alle Flüche Alcäus' oder Archilochus' auf taube Unmenschen herabzudonnern.

Wenn es z. B. in unsern Zeiten einen Regenten gäbe, der an seinem Theil dem barbarischen Menschenerkauf im andern Welttheil entsagte und damit andern Staaten zu ihrem Erröthen ein Beispiel gab; wenn er nach Jahrhunderten der Erste wäre, der die Sclaverei willkürlicher Frohnen und andre erdrückende Lasten seinem Volk entnahm und ein andres seiner Völker von ebenso drückenden Einschränkungen im Handel befreiete; wenn dieser Regent ein hoffnungsvoller königlicher Jüngling, und Einrichtungen dieser Art nur das Vorspiel seiner Regierung wären: Heil dem Dichter, der solche Thaten ohne alle Schmeichelei würdig und schön darstellte! Heil jedem Leser und Hörer, der diesem Sänger einer reinen Humanität mit reinem Herzen zujauchzte! Dänemark ist das friedliche, glückliche Land, dem dieser Stern aufgeht; sein Kronprinz ist der königliche Jüngling, der seine Laufbahn also beginnt, und F. L. Stolberg der Dichter, der ihm hierüber würdig dankt.Die folgende, 1792 gedichtete Ode lag damals in einem Einzeldruck vor. – D.


      An den Kronprinzen von Dänemark.

Noch nie erscholl ein Name der Mächtigen
Zu meiner Leyer, Jüngling! ich weihte sie
    Den Freunden nur und Gott und süßem
        Häuslichen Glück und der Liebe Thränen,

Und Dir, Natur, im Hain und am Meergestad',
Und Dir, o Freiheit! Freiheit, Du Hochgefühl
    Der reinen Seelen! Deinen Becher
        Kränzt' ich mit Blumen des kühnen Liedes.

Und werd' ihn kränzen, weil eine Nerve mir
Noch zucket! werd' ihn kosten mit zitternder
    Und blauer Lippe, wenn des Todes
        Hand mir ihn reichet in hehrer Stunde.

Nun wind' ich junge Blumen im Kranze Dir,
O Jüngling, weil Du früh es nicht achtetest,
    Zu herrschen über Sclaven, weil Du
        Forschetest, hörtest, beschlossest, thatest!

Das Joch des Landmanns drückte Jahrhunderte;
Du brachst es! Hör es, heiliger Schatte Du
    Von meinem Vater, der das Beispiel
        Diesseit der Eider und dann am Sund gab!Des Dichters Vater war der Erste in Holstein, der den Bauern seines Guts Freiheit und Eigenthum gab. Die Königin Sophia Magdalena aus dem Hause Brandenburg, Großmutter des jetzigen Königs von Dänemark, gab den Bauern des Amts Hirschholm auf seinen Rath und nach der Einrichtung, die er trotz aller in den Weg gelegten Schwierigkeiten mit Muth durchsetzte, Freiheit und Eigenthum. – Stolberg.

Du brachst es, Jüngling! wandtest erröthend Dich
Vom Dank des Landes, sahst auf dem Ocean
    Der Handlung Bande, die des Neides
        Hand und der Habsucht im Finstern knüpfte,

Zerrissest leicht wie Spinnengewebe sie,
Daß nicht die stolze Fichte des Normanns mehr
    Dem Bruderhafen huldigt, eh sie
        Schwellende Segel dem Ostwind öffne.Den Norwegern ist die Ueberfahrt nach Westindien leichter als den Dänen, deren Schiffe der Kattegat oft aufhält. Jene dieses Vortheils zu berauben, verpflichtete man die Schiffer, vor der Fahrt nach Westindien erst in Kopenhagen einzulaufen. Man nannte das: sich präsentiren. – Stolberg.

Nicht gleiche Gaben spendet des Vaters Hand
Den Völkern. Eisen starret im Schachte dort,
    Hier wanken Aehren, unsers Tisches
        Freude gedeihet auf fernen Bergen.

Zum freien Tausche ladet der Vater ein;
Doch schmiedet hart und klügelnd der blinde Mensch
    Dem Tausche Zwang; der biedre Normann
        Kaufte sein Brod auf verengtem Markte.

Nun reifen fremde Saaten für ihn, wenn früh
Erwacht der Winter auf dem Gebirge sich
    Ausstrecket und von starrer Schulter
        Glänzende Flocken in Thäler schüttelt.

Ich sah Dich handeln, Jüngling, und freute mich,
Doch nur mit halber Freude. Lud Danien
    Nicht häufend noch auf seine Schulter
        Fluch des zertretnen, zerrissnen Volkes,

Uneingedenk der heiligen Lehren, und
Für jene Ader fühllos, die Gottes Hand
    Im Herzen spannte, daß sie klopfend
        Unrecht und Recht und Erbarmen lehre?

Von Menschen kaufte Menschen der Mensch und ward
Ein Teufel! Wer vermag den getrübten Blick
    Zu heften auf des armen Mohren
        Elend und Schmach und gezuckte Geißel?

Aufs schwangre Weib, das jammernd die Hände ringt
Am krummen Ufer? Thränenlos starret sie
    Dem fernen Segel nach; noch schallt ihr
        Dumpf in den Ohren das Hohngelächter

Des Treibers, noch der klirrenden Kette Klang
Und ihres Mannes Klage, das Angstgeschrei
    Der jüngsten Tochter, die der Wüthrich
        Ihr aus umschlingenden Armen losriß.

Du setzest Ziel dem Gräuel, ein nahes Ziel!
Erröthend staun' und ahme dem Beispiel nach
    Der Brite, will er werth der Freiheit
        Sein, die auf Weisheit und Recht sich gründet!

Gott setze Deinen Tagen ein fernes Ziel,
O Jüngling! keins dem Segen, der Dein einst harrt.
    Sei Deinen Tausenden noch lange
        Bruder! Nur Einer ist Aller Vater.

                                            F. L. Graf zu Stolberg

Wenn mehrere solcher Gesänge über Anlässe solcher Art uns zukommen, meine Brüder, so wollen wir einander unsre Freude ja mittheilen; denn besangen Horaz und Pindar je ein edleres Thema edler?

 


 


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