Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XII
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Der Beduine, Merwân bin el-Chakam und der Fürst der Gläubigen Moâwije.

Ferner erzählt man, daß der Fürst der Gläubigen Moâwije eines Tages in Damaskus in einem Zimmer saß, dessen Fenster auf allen vier Seiten geöffnet waren, damit von allen Seiten sanfte Lüftchen wehten. Es war nämlich ein sehr heißer windstiller Tag, und die Mittagsglut war auf ihrer Höhe angelangt. Hierbei traf es sich, daß Moâwije ausschaute und einen Mann durch den glühenden Sand barfuß und beim Gehen springend des Weges kommen sah. Da betrachtete er ihn und sprach zu seiner Umgebung: »Hat Gott wohl – Preis Ihm, dem Erhabenen! – einen elenderen Menschen erschaffen als den, der wie dieser hier zu dieser Zeit und in dieser Stunde sich rühren muß?« Einer von ihnen versetzte: »Vielleicht sucht er den Fürsten der Gläubigen.« Da sagte Moâwije: »Bei Gott, wenn er mich sucht, so will ich ihm seinen Wunsch gewähren, und wenn 40 ihm Unrecht geschehen ist, so will ich ihm helfen. Heda, Bursche. stell' dich an die Thür, und, wenn jener Beduine Eintritt zu mir verlangt, so wehre ihm nicht.« So ging denn der Bursche heraus, und, als nun der Beduine herankam, fragte er ihn: »Was wünschest du?« Er erwiderte: »Ich wünsche den Fürsten der Gläubigen zu sprechen.« Da sagte er: »Tritt ein.«

Sechshundertundzweiundneunzigste Nacht.

Als nun der Beduine eingetreten war und den Fürsten der Gläubigen begrüßt hatte, fragte ihn Moâwije: »Von welchem Stamm bist du?« Der Beduine antwortete: »Von den Banū Tamîm.« Da fragte Moâwije: »Und was hat dich zu dieser Zeit hierhergeführt?« Der Beduine versetzte: »Ich bin zu dir gekommen Klage zu führen und deinen Schutz zu suchen.« – »Vor wem?« fragte Moâwije. Der Beduine entgegnete: »Vor Merwân bin el-Chakam, deinem Gouverneur.« Hierauf sprach er die Verse:

»Moâwije, freigebiger, milder und trefflicher Herr,
Voll spendender Huld, voll Kenntnis und Rechtschaffenheit,
Zu dir komm ich, da mein Weg auf Erden eingeengt ist,
Hilf mir und laß mich nicht an deiner Gerechtigkeit verzweifeln.
Verschaffe mir in deiner Güte mein Recht an jenem Tyrannen,
Der mich eher hätte morden sollen als mir dieses Leid zufügen.
Er raubte mir Soâd und bewies sich als mein Feind,
Voll Ungerechtigkeit tyrannisierte er mich und nahm mir mein Weib;
Ja, er plante meinen Tod noch vor meinem bestimmten Tage
Und vor Erfüllung meines von Gott mir gewährten Termins.«

Als Moâwije ihn mit feuersprühendem Munde die Verse sprechen hörte, rief er: »Willkommen, willkommen, Bruder Araber, erzähl' mir deine Geschichte und laß deinen Fall hören.« Der Beduine erwiderte: »O Fürst der Gläubigen, ich hatte ein Weib, das ich über die Maßen liebte; und ich war kühlen Auges und guten Mutes und besaß eine Anzahl Kamele, durch die ich meinen Unterhalt bestritt; da aber kam 41 ein Jahr, das Schuhe und HufeKamele und Pferde. fortraffte und mir nichts übrig ließ. Als ich nun nichts mehr in der Hand hatte, und, als all mein Geld hin und meine Lage sehr übel geworden war, da ward ich verächtlich und eine Last für die, die früher mich zu besuchen verlangten; und ihr Vater nahm sie mir fort, als er von meiner übeln Lage vernahm, mich verleugnend und rauh zurückstoßend. Da begab ich mich zu deinem Gouverneur Merwân bin el-Chakam, auf Hilfe hoffend. Als dieser nun aber ihren Vater kommen ließ und ihn zur Rede stellte, antwortete er: »Ich habe ihn nie zuvor gekannt.« Da sprach ich: »Gott fördere den Emir! Wenn es dem Emir gut dünkt, so lasse er die Frau kommen und stelle sie in betreff der Worte ihres Vaters zur Rede, damit die Wahrheit ans Tageslicht kommt.« Da ließ er sie vor sich bringen, doch verliebte er sich sofort in sie, als sie vor ihm stand, so daß er, nunmehr mein Gegner geworden, mich verleugnete und mich unter zur Schau getragenem Zorn ins Gefängnis warf, wo ich wie ein vom Himmel Gefallener und vom Wind an einen fernen Ort Verschlagener wurde. Dann fragte er ihren Vater: »Willst du mich mit ihr für tausend Dinare und zehntausend Dirhem verheiraten, wenn ich für ihre Befreiung von jenem Araber einstehe?« Ihr Vater willigte, von Gier nach dem reichen Geschenk gepackt, ein, und nun schleppten sie mich wieder vor ihn, worauf er, mich wie ein grimmer Löwe anblickend, zu mir sprach: »Araber, gieb Soâd frei.« Ich versetzte: »Nein.« Da ließ er eine Anzahl seiner Burschen auf mich los, die mich mit allerlei Foltern peinigten, bis ich kein anderes Mittel fand als in die Scheidung einzuwilligen. Nachdem ich dies gethan hatte, schickte er mich wieder ins Gefängnis zurück, in dem ich so lange blieb, bis die Zeit ihrer Unnahbarkeit verstrichen war, worauf er sie heiratete und mich freiließ. Und so komme ich nun zu dir, auf dich meine Hoffnung setzend, 42 dich um Schutz flehend und zu dir meine Zuflucht nehmend. Hierauf sprach er die Verse:

»In meiner Brust brennt ein Feuer,
Und das Feuer lodert immer wilder;
In meinem Leib sitzt eine Krankheit,
Die jeden Arzt zu schanden macht;
In meinem Herzen ist eine Kohle,
Und in der Kohle glüht ein Funken;
Mein Auge vergießt Thränen,
Und die Thränen nehmen kein Ende:
Nur bei meinem Herrn such' ich Hilfe
Und bei dem Fürsten der Gläubigen.«

Hierauf fing er an zu zittern, seine Zähne begannen zu klappern, und er sank in Ohnmacht, wobei er sich wie eine getötete Schlange zusammenkrümmte. Als aber Moâwije seine Erzählung und seine Verse vernommen hatte, sagte er: »Ibn el-Chakam hat die Gebote des Glaubens überschritten und einen moslemischen Harem vergewaltigt.«

Sechshundertunddreiundneunzigste Nacht.

Alsdann sprach er zum Beduinen: »Du hast mir eine Geschichte gebracht, wie ich dergleichen nie zuvor hörte,« und bestellte Tinte und Papier und schrieb an Merwân bin El-Chakam: »Mir ist zu Ohren gekommen, daß du deinen Unterthanen gegenüber die Gebote des Glaubens überschritten hast. Einem Wâlī aber geziemt es die Lust seiner Augen zu bezähmen und sein Fleisch von seinen Genüssen abzuhalten.« Nach diesen Worten schrieb er noch viele andere, die ich der Kürze halber übergehe, worauf er den Brief faltete, ihn mit seinem Siegelring siegelte und El-Kumeit und Nasr Zībân rief, deren er sich wegen ihrer Zuverlässigkeit zur Besorgung wichtiger Sachen zu bedienen pflegte. Beide nahmen den Brief und reisten nach Medina zu Merwân bin el-Chakam, dem sie nach dem Salâm den Brief übergaben und den Sachverhalt mitteilten. Als Merwân den Brief las, hob er an zu weinen, dann aber begab er sich zu Soâd, 43 teilte ihr die Sache mit und gab sie, da er Moâwije nicht zu widersprechen vermochte, in Gegenwart von El-Kumeit und Nasr bin Zībân frei. Dann rüstete er beide aus und gab ihnen Soâd zugleich mit einem Brief mit, in dem er folgende Verse schrieb:

Übereile dich nicht, o Fürst der Gläubigen,
Erfüllen will ich aufs beste dein Gelübde.
Ich war kein Verbrecher, als ich sie liebte,
Wie könnt' ich wohl des Treu- und Ehebruchs angeklagt werden?
Bald wird die Sonne zu dir kommen, o Chalife,
Die ihresgleichen nicht hat unter Menschen und Dschânn.

Nachdem er den Brief gesiegelt und den Gesandten denselben übergeben hatte, kehrten sie zu Moâwije zurück und übergaben ihm den Brief, der, nachdem er ihn gelesen hatte, sagte: »Fürwahr, er hat schönen Gehorsam gezeigt, doch rühmt er das Mädchen zu sehr.« Hierauf befahl er sie vor ihn zu führen, und, als er nun sah, daß sie in ihrer Schönheit und Anmut und ihrem Wuchs und Ebenmaß unvergleichlich war, redete er sie an und fand, daß sie ebenfalls eine beredte Zunge und schönen klaren Ausdruck besaß. Da rief er: »Her mit dem Beduinen!« Als sie nun den Beduinen, der von den Schicksalswechseln schwer mitgenommen war, vor ihn geführt hatten, sagte er zu ihm: »Beduine, wenn du sie dir aus dem Sinn schlagen willst, so gebe ich dir an ihrer Stelle drei hochbusige, jungfräuliche Sklavinnen gleich Monden und zugleich mit jeder tausend Dinare; außerdem aber will ich dir aus dem Schatzhaus eine jährliche Summe anweisen, die dich zufriedenstellen und reich machen soll.« Als der Beduine Moâwijes Worte vernahm, seufzte er so tief auf, daß Moâwije schon glaubte, er wäre gestorben, und ihn, als er wieder zu sich gekommen war, fragte: »Was fehlt dir?« Der Beduine versetzte: »Mit schwerem Herzen und in schlimmer Not habe ich vor der Tyrannei Ibn El-Chakams bei dir Schutz gesucht, zu wem aber werde ich vor deiner Tyrannei meine Zuflucht nehmen? Bei Gott, o 44 Fürst der Gläubigen, wolltest du mir auch dein ganzes Chalifat schenken, ich würde es nicht ohne Soâd nehmen.« Moâwije versetzte: »Du bekennst, daß du sie freigegeben hast und Merwân bekennt gleichfalls, daß er sich von ihr geschieden hat; wir wollen sie daher wählen lassen; wenn sie einen andern als dich erwählt, so vermählen wir sie mit ihm, wenn sie dich jedoch erwählt, so wollen wir sie dir übergeben.« Der Beduine entgegnete: »Thu's.« Da fragte Moâwije sie: »Soâd, wer ist dir der liebste: der Fürst der Gläubigen mit seinem Adel, seinem Ruhm, seinen Palästen, seiner Macht, seinem Besitz und allem, was du bei ihm erschaust, oder Merwân bin El-Chakam mit seiner Gewaltthätigkeit und Tyrannei oder dieser Beduine mit seinem Hunger und seiner Armut?« Da sprach sie die beiden Verse:

»Auch wenn er Hunger leidet und schwere Not,
So ist er mir teurer als Sippe und Nachbar,
Teurer als das gekrönte Haupt oder Merwân sein Gouverneur,
Teurer als jeder Herr von Dinaren und Dirhem.«

Dann sagte sie: »Bei Gott, o Fürst der Gläubigen, ich will ihn nicht wegen der Wechsel der Zeit und der Treulosigkeit der Tage im Stich lassen, da zwischen uns alte unvergeßliche Gemeinschaft und unvergängliche Liebe besteht. Und es ist nur gerecht, daß ich mit ihm im Unglück aushalte, wo ich mit ihm auch das Glück genoß.« Moâwije, der sich über ihren Verstand, ihre Liebe und Treue verwunderte, wies ihr zehntausend Dirhem an und übergab sie dem Beduinen, der dann mit ihr abzog.

 


 


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