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Tausend und eine Nacht. Band XII
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Geschichte des Abdallāh bin Maamar el-Keisī

Ferner wird berichtet, daß Abdallāh bin Maamar el-Keisī erzählte: Eines Jahres hatte ich die Pilgerfahrt nach dem heiligen Gotteshaus gemacht und war dann zum Besuch des Grabes des Propheten – Gott segne ihn und spende ihm Heil! – umgekehrt. Als ich nun eines Nachts im Garten zwischen dem Grabe und der Kanzel saß, hörte ich eine sanfte Stimme leise seufzen und vernahm, als ich infolge dessen aufmerksam lauschte, die Verse:

Hat das Gegirr der Tauben im Lotosbaum dich bekümmert
Und dein Herz in Ängsten erregt?
Oder hat die Erinnerung an eine Schöne dich so verstört
Und trübe Gedanken in dir erweckt?
O Nacht, du währst lange für einen Siechen,
Den Sehnsucht verzehrt und Ungeduld.
Du hast mich schlaflos gemacht, der ich in Liebesglut stehe,
Wie eine Kohle, die lodernd brennt;
Und der Vollmond ist Zeuge, daß mich Liebe und Sehnsucht verzehrt
Nach einer vollmondgleichen Maid.
Nimmer glaubte ich verliebt zu sein,
Bis ich heimgesucht wurde, ohne es zu wissen.

Hierauf schwieg die Stimme, und ich saß verwirrt da, da ich nicht wußte, von wo sie kam. Mit einem Male aber seufzte sie von neuem und sang:

Hat dich Reijās Erscheinung besucht und geängstet
In dunkler, schwarzlockiger Nacht?
Und hat die Liebe deine Augen schlaflos gemacht
Und die Erscheinung dein Herz erregt?
Zu meiner Nacht klagte ich, die in ihrem Dunkel glich
Einer wellenbrandenden, hochgehenden See:
O Nacht, wie währst du so lang einem Liebenden,
Der nur den Morgen zum Helfer hat;
Und die Nacht gab mir Antwort: Beklag' nicht meine Länge,
Denn siehe, die Liebe allein verschuldet dein Leid. 6

Beim ersten dieser Verse sprang ich auf und schritt auf die Stimme zu, und, ehe sie noch den letzten gesungen hatte, da hatte ich den Sänger erreicht und gewahrte einen Jüngling von äußerster Anmut, dem noch nicht der Flaum gesproßt war, und dem die Thränen zwei Furchen in die Wangen gezogen hatten.

Sechshundertundeinundachtzigste Nacht.

Ich sagte zu ihm: »Was, ein schöner Jüngling!« Da fragte er mich: »Wer bist du?« Ich erwiderte: »Abdallāh bin Maamar el-Keisī Nun fragte er: »Hast du ein Anliegen?« Ich versetzte: »Ich saß im Garten, und nichts als deine Stimme hat mich heute Nacht erschreckt. Mit meinem Leben möchte ich dich loskaufen; was fehlt dir?« Da sprach er zu mir: »Setz dich;« und als ich mich gesetzt hatte, hob er an: »Ich bin Otbe bin el-Hubâb bin el-Munzir bin el-Dschamuh el-Ansârī. Ich ging in der Morgenfrühe zur Moschee El-Ahsâb und verrichtete dort die Gebetsverbeugungen und Prostrationen, worauf ich mich zur Andacht zurückziehen wollte, als mit einem Male eine Anzahl Frauen herangeschwebt kam, in deren Mitte sich ein Mädchen von wunderbarer Anmut und vollkommener Schönheit befand, das vor mir stehen blieb und zu mir sagte: »Otbe, was sagst du zu einem Stelldichein mit jemand, der danach Verlangen trägt?« Darauf verließ sie mich und ging fort, ohne daß ich hernach etwas von ihr hörte oder auf irgend eine Spur von ihr stieß. Und so suche ich [sie] nun ratlos an einem Ort nach dem andern auf.« Nach diesen Worten stieß er einen Schrei aus und stürzte ohnmächtig aufs Gesicht. Als er wieder zu sich kam, sah es aus, als wäre seiner Wangen Brokat mit Safran gefärbt, und er recitierte die Verse:

»Ich schaue euch mit meinem Herzen aus fernem Land,
Ach, schautet ihr mich auch mit euerm Herzen von fern!
Mein Herz und mein Auge trauern um euch,
Bei euch ist meine Seele und nur an euch denke ich;
Ich habe am Leben keine Freude, ohne euch zu schauen,
Weilte ich selbst im Paradies oder im Garten der Ewigkeit.« 7

Da sagte ich zu ihm: »O Otbe, Sohn meines Bruders, bereue vor deinem Herrn und bitte um Vergebung für deine Sünde, denn vor dir ist der Schrecken des Gerichts.« Er versetzte jedoch: »Das sei ferne! Ich schlage mir die Liebe nicht eher aus dem Kopfe, als bis die beiden Akazienschotensammler heimkehren.«Eine sprichwörtliche Redensart gleich: niemals. Ich blieb bis zum Anbruch der Morgenröte bei ihm, worauf ich zu ihm sagte: »Komm zur Moschee.« Dann saßen wir in ihr, bis wir das Mittagsgebet verrichtet hatten, als mit einem Male wieder die Frauen, jedoch ohne das Mädchen, ankamen und sagten: »O Otbe, was denkst du von der, die ein Stelldichein mit dir verlangte?« Da fragte er: »Was ist's mit ihr?« Und sie versetzten: »Ihr Vater hat sie genommen und ist mit ihr nach Es-Samâwe abgereist.« Nun fragte ich sie nach dem Namen des Mädchens, worauf sie erwiderten: »Reijā, die Tochter des El-Ghitrîf es-Sulamî.« Da hob Otbe sein Haupt und sprach die beiden Verse:

»Ihr Freunde, Reijā hat sich in der Morgenfrühe aufgemacht
Und ist mit ihrer Karawane nach Es-Samâwe gezogen;
Ihr Freunde, ich habe nicht mehr die Kraft zu weinen,
Ist einer unter euch, der mir eine Thräne leihen kann?«

Da sagte ich zu ihm: »Otbe, ich bin mit reichem Gut hierhergekommen und will damit hochherzigen Leuten dienlich sein. Bei Gott, ich will es vor dir ausschütten, daß du deinen Wunsch erreichst, ja noch mehr. So komm mit mir zur Versammlung der Ansârīs.«Die Ansârīs, die Helfer, sind die Medinenser, die Mohammed im Kampf gegen Mekka unterstützten. Alsdann erhoben wir uns, und, als wir zu ihnen gelangten und uns gegenseitig den Salâm geboten hatten, sprach ich zu ihnen: »Ihr Gesellschaft, was sagt ihr zu Otbe und seinem Vater?« Sie versetzten: »Es sind Araberherren.« Da sagte ich: »Wisset, er ist vom Unheil der Liebe betroffen, und ich wünsche, daß ihr mich nach Es-Samâwe begleitet und mir helft.« Sie 8 versetzten: »Wir hören und gehorchen.« So setzten wir beide und die Ansârīs uns auf und machten uns auf den Weg, bis wir uns dem Platz der Banû Suleim näherten. Als El-Ghitrîf von unserer Ankunft vernahm, kam er uns eilends entgegen und sprach: »Langes Leben euch Edeln!« Wir erwiderten: »Langes Leben auch dir! Wir sind deine Gäste.« Da sagte er: »Ihr seid bei dem gastlichsten geräumigen Haus eingekehrt.« Dann stieg er ab und rief: »Ihr Sklaven allzumal, kommt herunter.« Als nun die Sklaven herunterkamen und die Leder und die Kissen hinlegten und Vieh und Schafe schlachteten, sagten wir: »Wir kosten nicht eher von deinen Speisen als bis du unser Anliegen erfüllt hast.« Da fragte er: »Was ist euer Anliegen?« Und wir versetzten: »Wir bewerben uns um deine edle Tochter für Otbe bin el-Hubâb bin el-Munzir, den hochberühmten, edelgeborenen.« Er erwiderte: »Meine Brüder, sie, um die ihr euch bewerbt, ist ihre eigene Herrin; ich werde hineingehen und es ihr sagen.« Alsdann sprang er zornig auf und ging zu Reijā hinein, die ihn fragte: »Mein Vater, was schaue ich dich mit zorniger Miene?« Er versetzte: »Es sind da Ansârīs zu mir gekommen, die bei mir um deine Hand anhalten.« Sie erwiderte: »Das sind edle Herren, für die der Prophet, – der reichste Segen und das höchste Heil auf ihn! – bei Gott um Verzeihung bittet. Und für wen unter ihnen bewerben sie sich?« Er entgegnete: »Für einen Junker, bekannt als Otbe, der Sohn des El-Hubâb.« Sie versetzte: »Ich habe von Otbe vernommen, daß er sein Versprechen hält und, was er begehrt, erreicht.« Ihr Vater erwiderte jedoch: »Ich schwöre es, daß ich dich nimmermehr mit ihm verheiraten will, denn es ist mir etwas von deinem Gespräch mit ihm hinterbracht worden.« Sie entgegnete hierauf: »Was war das? Jedoch schwöre ich, daß die Ansârīs nicht in schimpflicher Weise abgewiesen werden sollen; schlag' es ihnen daher in höflicher Form ab.« Da fragte er: »In welcher Weise?« Und sie versetzte: »Leg ihnen einen 9 schweren Brautpreis auf, dann werden sie abstehen.« Er erwiderte: »Das ist sehr gut gesprochen,« und, zu ihnen hinauseilend, sprach er: »Das Stammesfräulein willigt ein, jedoch verlangen wir für sie einen ihrem Werte entsprechenden Brautpreis. Wer tritt für ihn ein?« Ich sagte: »Ich.« Da versetzte er: »Ich verlange für sie tausend Armspangen von rotem Gold, fünftausend Dirhem aus der Münze von Hadschar, hundert Stück Plaids und gestreifte jemenische Tücher und fünf Ambrablasen.« Ich sagte: »Du sollst es haben; willigst du ein?« Er versetzte: »Ich willige ein.« Hierauf entsandte ich einen Trupp Ansârīs nach der erleuchteten Stadt,Medina. welche alles, wofür ich mich verbürgt hatte, brachten. Alsdann wurden Rinder und Schafe geschlachtet, und die Leute kamen zum Mahl zusammen. Nachdem wir in dieser Weise vierzig Tage verbracht hatten, sprach er zu uns: »Nehmt nun euer Fräulein.« Da setzten wir sie in eine Kamelsänfte, und er stattete sie mit dreißig Kamellasten Kostbarkeiten aus; nachdem wir von ihm Abschied genommen hatten, brachen wir auf, und nur noch eine Station lag zwischen uns und der erleuchteten Stadt, als uns ein Reitertrupp überfiel, um uns auszuplündern; mir aber schien es, daß sie zu den Banû Suleim gehörten. Otbe bin el-Hubâb griff sie an und erschlug eine Anzahl von ihnen, bis er, von einem Lanzenstoß verwundet, zurückwich und auf die Erde fiel. Dann kamen uns die Bewohner jener Gegend zu Hilfe und vertrieben die Reiter, Otbe hatte jedoch bereits seinen Geist aufgegeben. Da klagten wir: »Ach Otbe!« und das Mädchen, das unsere Klage vernahm, stürzte sich vom Kamel herunter und, sich auf ihn werfend, jammerte sie laut und sprach die Verse:

»Ich stellte mich standhaft, doch ohne standhaft zu sein,
Ich lenkte meine Gedanken nur ab, bis ich dich fände.
Hätt' meine Seele gerecht gehandelt, sie wäre im Tode dir
Eher als alle Welt vorangegangen. 10
Und so wird nach dir und mir keiner getreu sein,
Weder ein Freund dem Freund noch eine Seele der andern.«

Hierauf röchelte sie einmal auf und gab ihren Geist auf. Wir gruben beiden ein Grab, und, nachdem wir sie in den Staub gebettet hatten, kehrte ich zu den Wohnungen meines Volkes zurück. Nach sieben Jahren begab ich mich wieder nach dem Hidschâs und betrat die erleuchtete Stadt zum Besuch des Grabes des Propheten, wobei ich bei mir sprach: »Bei Gott, ich will auch wieder einmal zu Otbes Grab gehen.« Als ich bei ihm anlangte, sah ich einen hohen Baum auf ihm stehen, der mit roten, gelben und grünen Binden behangen war, und die Leute jenes Platzes gaben mir auf meine Frage, wie der Baum geheißen sei, die Antwort: »Der Baum des Brautpaars.« Ich verbrachte bei dem Grabe einen Tag und eine Nacht, worauf ich wieder fortging. Dies ist alles, was ich von Otbe weiß, und Gott, der Erhabene, hab' ihn selig!«

 


 


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