Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band I
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Geschichte des dritten Bettlers.

»Ruhmvolle Herrin, meine Geschichte ist nicht wie die Geschichte der beiden andern; meine Geschichte ist noch wunderbarer, weil diese beiden das Schicksal und Verhängnis betroffen hat, die Ursache aber, um derentwillen ich mir den Bart geschoren und mein Auge eingebüßt habe, liegt darin, daß ich selber das Schicksal und den Kummer meinem Herzen zuzog, und zwar folgendermaßen:

Ich bin ein König und Sohn eines Königs. Nach dem Tode meines Vaters übernahm ich die Regierung und regierte meine Unterthanen in Gerechtigkeit und Güte. Ich hatte aber eine Vorliebe für Reisen zu Schiff, da meine Stadt an einem weiten Meere lag, in welchem rings um uns herum Inseln mit streitbaren Bewohnern verstreut waren. Um diese Inseln einmal zu meinem Vergnügen zu besuchen, zog ich mit zehn Schiffen und Proviant für einen vollen Monat aus und segelte zwanzig Tage lang, als eines Nachts Wechselwinde bliesen; doch legte sich der Wind bei Anbruch des Tages wieder, und die See beruhigte sich bis Sonnenaufgang. Da wir uns nun einer Insel näherten, stiegen wir daselbst ans Land, kochten uns etwas zum Essen und segelten nach einem Aufenthalt von zwei Tagen weiter. Als wir wieder zwanzig Tage unterwegs gewesen waren, kam uns das Wasser ganz ungewohnt vor, und der Kapitän hielt es für ein fremdes Meer. Infolgedessen befahlen wir dem Wächter auf den Mast zu steigen und das Meer genau zu beobachten. Nach einiger Zeit kam er wieder herunter und sagte zum Kapitän: »Kapitän, zu meiner Rechten habe ich Fische auf der Oberfläche des Meeres gesehen, mitten im Meere aber sah ich in der Ferne etwas bald schwarz bald weiß aufblitzen.«

Als der Kapitän diese Botschaft des Wächters vernahm, warf er seinen Turban auf den Boden, riß sich den Bart aus und sagte zu den Leuten: »Vernehmt die Kunde, daß wir alle umkommen müssen, und keiner mit dem Leben davonkommen wird.« Darauf fing er an zu weinen, und wir weinten alle mit über unsern Untergang. Dann aber sprach ich zu ihm: »Kapitän, erzähl' uns doch, was der Wächter gesehen hat.« Da antwortete er: »O Herr, wisse, von jener Nacht an, in welcher bis zum Morgen die Wechselwinde wehten, worauf wir zwei Tage auf der Insel verweilten, sind wir auf dem Meere umhergeirrt, und haben keinen Wind, der uns von unserm Schicksal, das uns morgen erwartet, zurücktreibt. Morgen nämlich kommen wir zu einem Berge aus schwarzem Gestein, das man den Magnetstein nennt. Die Strömung reißt uns mit Gewalt dorthin, die Schiffe werden in Stücke auseinanderfallen, und alle Nägel aus dem Schiffe heraus an den Berg fliegen und dort anhaften, weil Gott in den Magnetstein ein Geheimnis gelegt hat, das darin besteht, daß alles Eisen zu ihm hinstrebt. An jenem Berge befindet sich von allen den Schiffen, die seit alter Zeit zerbrochen sind, so viel Eisen, daß Gott, der Erhabene, es allein weiß.

Schroff über dem Meer aber ragt eine messingne, von zehn Säulen gestützte Kuppel, auf welcher ein Reiter auf kupfernem Pferde steht, der in der Hand eine kupferne Lanze hält, und vorn auf der Brust eine Tafel aus Blei trägt, auf welcher Namen und Talismane eingegraben sind. Durch die Kraft derselben, o König, zerbrechen, so lange der Reiter auf jenem Pferde sitzt, die vorüberfahrenden Schiffe, die Leute darauf kommen um, und alles Eisen der Schiffe haftet fest am Berge. Nicht eher giebt es ein Entkommen, als bis der Reiter vom Rosse gestürzt wird.«

Nachdem der Kapitän uns dies mitgeteilt hatte, meine Herrin, weinte er wieder bitterlich, und wir nahmen alle, unsers sichern Todes gewiß, von unsern Freunden Abschied.

Am andern Morgen waren wir nahe an den Berg herangekommen, und die Strömung trieb uns mit Gewalt zu ihm; plötzlich gegen Abend gingen die Schiffe auseinander, ihre Nägel und alles, was an ihnen aus Eisen war, flog an den Magnetstein, während wir rings herum schwammen. Der größte Teil von uns ertrank, und die am Leben blieben, wußten, von Wind und Wellen betäubt, nichts voneinander. Mich aber, meine Herrin, rettete Gott, der Erhabene, zu der Drangsal, Strafe und Prüfung, die er über mich verhängt hatte. Ich schwang mich auf eine der herumschwimmenden Planken, und Wind und Wellen warfen mich an den Berg an einer Stelle, wo ein nach Art von Stufen in den Felsen gehauener Weg auf seinen Gipfel führte.

Fünfzehnte Nacht.

Unter Anrufung Gottes, des Erhabenen, und Gebet, versuchte ich den Aufstieg, indem ich mich an den Aushöhlungen festklammerte, und Gott ließ zu derselben Stunde den Wind sich legen und half mir dabei, so daß ich wohlbehalten und in höchster Freude über meine Errettung oben auf dem Gipfel anlangte. Ohne Säumen schritt ich sofort unter die Kuppel und dankte Gott für meine Errettung in zweimaliger Gebetsniederwerfung, worauf ich in Schlaf sank. Da hörte ich, wie jemand zu mir sagte: »Sohn des Chassîb, wenn du aus deinem Schlaf erwachst, so grab' unter deinen Füßen; du wirst daselbst einen kupfernen Bogen finden und drei Pfeile aus Blei, in denen Talismane eingegraben sind. Nimm Bogen und Pfeile, schieß nach dem Reiter auf der Kuppel und befreie die Menschen von dieser schlimmen Plage. Sobald du den Reiter getroffen hast, wird er ins Meer stürzen; auch der Bogen wird aus deiner Hand niederfallen, nimm ihn und vergrab' ihn an seiner alten Stelle. Wenn du dies gethan hast, wird das Meer schnell anschwellen, bis es die Höhe des Gipfels erreicht hat, und es wird auf ihm ein Boot ankommen, in welchem ebenfalls ein eherner Mann, aber nicht derselbe, den du heruntergeschossen hast, sitzen wird. Er wird mit einem Ruder in der Hand zu dir kommen, fahre mit ihm, doch erwähne nicht den Namen Gottes, des Erhabenen. Zehn Tage lang wird er dich rudern, bis er dich zum Meer des Friedens gebracht hat. Dort wirst du jemand finden, der dich in deine Stadt zurückbringen wird, jedoch wird sich dir alles dies nur dann erfüllen, wenn du den Namen Gottes nicht aussprichst.«

Als ich nun erwachte, erhob ich mich fröhlich, that, wie mir El-HâtifEin wohlmeinender Dämon, der den Wanderer zurechtweist. Eigentlich: der Rufer. geboten, und schoß auf den Reiter, der sogleich ins Meer stürzte. Der Bogen fiel mir aus der Hand, und ich nahm ihn und vergrub ihn; dann begann das Meer zu wogen und zu steigen, bis es den Gipfel des Berges, auf dem ich stand, erreicht hatte. Nachdem ich eine Stunde gewartet haben mochte, sah ich mitten auf dem Meere ein Boot, das gerade auf mich zukam, so daß ich Gott, den Erhabenen, pries. Als das Boot nahe herangekommen war, sah ich einen kupfernen Mann darin, auf dessen Brust eine Bleitafel mit Namen und Talismanen hing; schweigend, ohne ein Wort zu sprechen, stieg ich ins Boot, und der Mann ruderte mich einen Tag, und den zweiten und dritten, bis die zehn Tage um waren, und ich schon die Inseln des Friedens erblickte. Da faßte mich eine so mächtige Freude, daß ich im Übermaße derselben den Namen Gottes aussprach, indem ich jauchzend rief: »Es ist kein Gott außer Gott! Ja, Gott ist groß!« Kaum hatte ich es aber gethan, da stieß er mich aus dem Boot ins Meer und versank selber in der Tiefe.

Da ich zu schwimmen verstand, schwamm ich den Tag über bis zur Nacht, bis mir die Arme erlahmten und die Schultern ermatteten, und ich dem Versinken nahe war. Den sichern Tod vor Augen, legte ich in dem sturmerregten Meere das Bekenntnis ab, als mich plötzlich eine Woge, hoch wie eine Burg, aufhob und nach dem Willen Gottes ans Land warf. Ich stieg an den Strand hinauf, preßte meine Kleider und ließ sie über Nacht auf der Erde trocknen. Am nächsten Morgen legte ich sie wieder an und machte mich auf, um mich umzusehen, wohin ich gehen sollte. Ich fand ein üppig bewachsenes Gelände und gewahrte, als ich rings herum ging, daß ich mich auf einer kleinen Insel mitten im Meere befand. Da sprach ich bei mir: »Jedesmal, wenn ich aus einem Unglück errettet werde, stürze ich in ein neues und größeres.« Während ich noch den Gedanken über meine Lage nachhing und mir den Tod wünschte, sah ich plötzlich ein Schiff mit Menschen. Ich stieg nun auf einen Baum und sah, wie das Schiff anlegte, und zehn Sklaven mit Spaten ans Land stiegen und mitten auf die Insel kamen. Hier gruben sie in die Erde, bis sie eine Fallthüre aufgedeckt und geöffnet hatten, worauf sie wieder zum Schiff zurückgingen, Brot, Mehl, Butter, Honig und Schafe, kurz alles, was ein Bewohner braucht, herausschafften und nun zwischen dem Schiff und der Fallthür hin und her eilten, bis sie alles zur Fallthür hinuntergeschafft hatten. Dann stiegen sie wieder mit den schönsten Kleidern ans Land, und ein hochbetagter Greis, den die Zeit hinfällig gemacht hatte, befand sich in ihrer Mitte, dessen Hand in der Hand eines Jünglings von so vollendeter Anmut, Schönheit und Vollkommenheit ruhte, daß seine Schönheit als Sprichwort hätte dienen können. Er war wie ein frisches Reis, das alle Herzen mit seiner Anmut bezaubert und eines jeden Verstand mit seiner Vollkommenheit raubt.

[Alles folgende, in Klammern gesetzte, ist aus der Breslauer Ausgabe entlehnt, da die Bûlâker Ausgabe hier eine große Lücke aufweist.Nun stiegen alle in die Grube hinunter und verweilten dort zwei Stunden und länger. Dann kamen die Sklaven mit dem Greis, doch ohne den Jüngling, wieder heraus, und stiegen, nachdem sie die Erde wieder an ihre Stelle gelegt hatten, aufs Schiff. Als sie fortgefahren und meinen Augen ganz entschwunden waren, stieg ich vom Baum hinunter, ging zur Grube und wühlte und arbeitete in der Erde so lange, bis ich sie endlich ganz fortgeschafft hatte und die Fallthüre erblickte. Ich stieß sie auf und fand unter ihr eine Treppe; als ich auf derselben bis ganz nach unten hinabgestiegen war, kam ich in einen reinlichen Raum, in welchem allerlei Teppiche, Decken und Seidenstoffe ausgebreitet waren. Der Jüngling saß hier ganz allein auf einem hohen Teppichsitz an ein Kissen gelehnt und in der Hand einen Fächer haltend, während Früchte, Gemüse, würzige Blumen und Kräuter vor ihm lagen. Als er mich erblickte, wechselte er die Farbe und wurde gelb; ich aber begrüßte ihn und sagte: »Fürchte dich nicht und sei unbesorgt, mein Herr, ich bin ein Mensch wie du und gleich dir eines Königs Sohn; das Schicksal hat mich zu dir geführt, daß ich dir in deiner Einsamkeit Gesellschaft leiste. Doch, wie kommt's, daß du unter der Erde wohnst?«

Als ich den Jüngling mit solchen Worten nach seiner Geschichte fragte, und er sich überzeugte, daß ich ein Wesen seiner Art war, freute er sich so, daß ihm die Farbe wiederkehrte; indem er mich an seine Seite zog, sagte er: »O mein Bruder, meine Geschichte ist wunderbar und mein Schicksal seltsam. Mein Vater ist ein sehr reicher Kaufmann, ein Juwelenhändler; er hat Sklaven und Kaufleute unter sich, die zu Schiff ausfahren, betreibt mit Königen Geschäfte und hat weitausgedehnten Besitz; doch war ihm kein Sohn zu teil geworden. Da träumte er, daß ihm ein Sohn geschenkt werden würde, dessen Leben jedoch von kurzer Dauer sein sollte. Betrübt erwachte mein Vater am Morgen; in derselben Nacht aber hatte mich meine Mutter empfangen und gebar mich, als die Tage ihrer Schwangerschaft vollendet waren. Die Sternkundigen verzeichneten nun den Tag meiner Geburt und sprachen zu meinem Vater, der über meine Geburt hocherfreut war: »Dieser dein Sohn wird fünfzehn Jahre leben, hernach aber droht ihm eine Gefahr; wenn er derselben entgeht, ist er gerettet. Beweis hierfür ist, daß sich im Meere ein Berg befindet, den man den Magnetberg heißt. Auf demselben steht ein Reiter auf kupfernem Roß, an dessen Hals eine bleierne Tafel hängt. Wird dieser Reiter vom Roß gestürzt, so wird dein Sohn fünfzig Tage später das Leben verlieren und zwar durch denselben, der den Reiter vom Roß stürzt; er heißt Adschîb, Sohn des Königs Chassîb.«

Mein Vater ward dadurch aufs tiefste bekümmert, ließ mir jedoch die beste Erziehung zu teil werden. Als die Jahre verstrichen waren, und ich mein fünfzehntes Jahr erreicht hatte, erhielt mein Vater vor zehn Tagen die Kunde, daß der kupferne Reiter heruntergestürzt sei, und daß ihn Adschîb, Sohn des Königs Chassîb, heruntergeworfen habe. Bei dieser Nachricht weinte mein Vater bitterlich und wurde aus Schmerz über die Trennung von mir wie wahnsinnig. Dann kam er zu Schiff hierher, baute mir diese Wohnung unter der Erde und schaffte alle Dinge hinunter, die für die Zeit dieser Tage erforderlich sind. Von den fünfzig Tagen sind jetzt zehn verstrichen, so daß also noch vierzig Tage der Gefahr für mich übrig bleiben; dann kommt er wieder und holt mich. Alles dies aber that er aus Furcht vor dem Könige Adschîb, dem Sohne des Königs Chassîb, damit er mich nicht tötete. Das ist meine Geschichte und der Grund für meine Einsamkeit und Abgeschiedenheit.«

Als ich, meine Herrin, seine wunderbare Geschichte vernommen hatte, sprach ich bei mir: »Ich bin's, der den Reiter vom Rosse gestürzt hat, und bin Adschîb, Sohn des Königs Chassîb, aber, bei Gott, nimmermehr werde ich ihn ums Leben bringen.« Hierauf sagte ich zu ihm: »Möge der Tod und irgend ein Leid dir fern bleiben! So Gott will wird sich alles zum besten kehren; nimm es dir nicht zu Herzen, fürchte und besorge nichts, ich selber werde während dieser vierzig Tage bei dir bleiben, dich bedienen und dir Gesellschaft leisten. Alsdann ziehe ich mit dir in dein Land, und du beförderst mich in das meinige und verdienst dir Gottes Lohn dafür.« Als er meine Worte hörte, wurde er wieder froh, ich aber setzte mich, plauderte mit ihm und leistete ihm Gesellschaft. Dann zündete ich ihm ein Licht an, machte drei Laternen zurecht, holte eine Schachtel mit Süßigkeiten und verzehrte sie mit ihm, indem wir uns dabei wieder unterhielten, bis der größte Teil der Nacht verstrichen war. Als er sich dann zur Ruhe gelegt hatte, deckte ich ihn zu und legte mich ebenfalls nieder. Am andern Morgen stand ich auf und wärmte ihm etwas Wasser; dann weckte ich ihn sanft und brachte ihm das warme Wasser, damit er sich sein Gesicht wüsche. Er dankte mir dafür und sagte: »Bei Gott, junger Mann, ich werde es dir vergelten, wenn ich jenem Adschîb, Sohn des Königs Chassîb, wohlbehalten entkommen bin, und mich Gott aus seinen Händen errettet hat; mein Vater soll es dir, so reich er es kann, lohnen.« Ich antwortete darauf: »Möchte Gott das Übel, das dich treffen soll, mir einen Tag zuvor zufügen!« Hierauf räucherte ich, was ihm sehr angenehm war, und holte dann ein MankalespielEine Art Tricktrack. hervor, an dem wir uns eine Weile belustigten, indem wir einer den andern zu überlisten suchten; dabei aßen und tranken wir bis die Nacht kam, und ich die Lichter anzündete und Süßigkeiten und dergleichen zum Essen holte. Dann plauderten wir wieder, bis wir uns zur Ruhe legten, und verfuhren in dieser Weise, o Herrin, alle folgenden Tage und Nächte. Bald wurde ich so vertraut mit ihm, daß ich alle meine Sorge und, was mich bedrückte und mir widerfahren war, vergaß, und ihn so lieb gewann, daß ich bei mir sprach: »Die Sterndeuter haben sicherlich gelogen, die seinem Vater sagten: Dein Sohn wird durch einen Adschîb, Sohn des Königs Chassîb, ums Leben kommen. Jener Adschîb, bei Gott, bin ich, aber, bei Gott, ich sehe nicht ein, warum ich ihn töten sollte.«

In dieser Weise diente ich ihm, leistete ihm Gesellschaft und aß und trank mit ihm neununddreißig Tage lang. Am vierzigsten Tage nun sagte der Knabe erfreut über seine Errettung zu mir: »Ach, mein Bruder, nun sind die vierzig Tage um; gelobt sei Gott, der mich vor dem Tode durch dein gesegnetes Erscheinen errettet hat! Bei Gott, mein Vater wird dir deine Güte, die du mir erwiesen hast, doppelt vergelten und dich wohlbehalten und reich beschenkt nach deinem Lande schicken. Doch, möchtest du nicht die Güte haben und mir etwas Wasser wärmen, daß ich mich wasche und andere Kleider anlege?« Ich antwortete: »Recht gern.« Darauf stand ich auf und ging mit dem Knaben, nachdem ich das Wasser gewärmt hatte, in seine Kammer, wo ich ihn gehörig wusch und ihm andere Kleidung anlegte. Alsdann machte ich ihm ein hohes Lager zurecht und spannte darüber ein Tuch aus, da der Knabe von dem warmen Bade müde geworden war. Indem er sich nun auf das Lager zurücklehnte, sagte er zu mir: »Ach, mein Bruder, zerschneid' uns doch eine Melone und thue etwas Kandiszucker dazu.« Ich stand auf und brachte eine prächtige Melone auf einer Platte; da ich aber kein Messer sah, fragte ich: »Mein Herr, wo ist das Messer?« Er antwortete: »Es liegt auf dem Gesims über meinem Kopf.« Schnell und geschickt langte ich es herunter, faßte es am Griff und zog es aus seiner Scheide, wie ich aber wieder zurücktreten wollte, glitt ich mit dem Fuß aus und fiel auf den Knaben, mit dem Messer in der Hand, daß es ihm das Herz durchbohrte und er sogleich tot war. Als er seine Seele ausgehaucht hatte, und ich sah, daß ich sein Mörder war, schrie ich laut auf, schlug mir das Gesicht und rief, indem ich mir die Kleider zerriß: »O ihr Geschöpfe Gottes allesamt, dieser Tag allein fehlte an den vierzig Tagen, und nun mußte er heute durch meine Hand umkommen! O Gott, ich nehme meine Zuflucht zu dir, wäre ich doch zuvor gestorben! Unglück über Unglück muß ich verschlucken; doch Gott mag thun, was geschehen soll!« Als nun kein Zweifel mehr daran war, daß er durch meine Hand umgekommen war, und daß dieses so geschrieben und vorausbestimmt war, stieg ich wieder die Treppe hinauf, legte die Fallthür an ihren Platz und bedeckte sie mit Erde. Als ich darauf meine Blicke nach dem Meere wendete, sah ich das Schiff in gerader Fahrt nach der Insel zu das Meer durchschneiden. Da sprach ich bei mir: »Jetzt werden sie auf die Insel kommen und werden mir, wenn sie sehen, daß der Knabe tot ist, zweifellos als seinem Mörder das Leben nehmen.« Ich stieg deshalb auf einen Baum, der dort stand, und hatte mich kaum in seinem Laube verborgen, als das Schiff auch schon anlegte, und der alte Scheich, der Vater des von mir getöteten Knaben, inmitten der Sklaven ans Land stieg und zur Höhle kam. Als sie beim Fortschaffen der Erde merkten, daß sie locker war, stiegen sie bestürzt hinunter und fanden den Knaben wie schlafend und in reinen Kleidern, mit einem Antlitz, das noch von dem Bade verklärt war; doch lag er tot da mit einem Messer im Herzen. Bei diesem Anblick schrieen sie laut, schlugen sich das Gesicht, weinten, jammerten, wehklagten und stießen die gräßlichsten Verwünschungen aus, während der Vater des Knaben in eine tiefe Ohnmacht sank, so daß ihn die Sklaven ebenfalls für tot hielten. Als er wieder zur Besinnung gekommen war, kamen die Sklaven, die den Knaben in seine Kleider eingewickelt hatten, mit ihm wieder aus der Grube heraus und schafften alles aus der unterirdischen Wohnung aufs Schiff. Als der Scheich aber seinen Sohn auf der Erde ausgestreckt liegen sah, streute er sich Erde aufs Haupt und sank von neuem in Ohnmacht. Nun holte einer der Sklaven ein seidenes Polster, und bettete ihn mit Hilfe der andern darauf, wo er bis zum Abend lag, während die Sklaven sich ihm zu Häupten niedergesetzt hatten, und ich alles das dicht unter mir vom Baume aus ansehen mußte. Wahrlich, meine Herrin, da ward mir von all der Sorge, der Trauer, dem Unglück und Mißgeschick das Herz vor meinem Haupte grau.

Am Tage ging ich nun auf der Insel umher und stieg zur Nacht in den unterirdischen Raum hinunter. In dieser Weise verbrachte ich einen Monat, und betrachtete zugleich die Gestade der Insel, wobei ich bemerkte, daß das Wasser auf der gegen Abend zu gelegenen Seite jeden Tag fast völlig austrocknete; und kaum war der Monat zu Ende, da kam das Land zum Vorschein. Erfreut und meiner Rettung gewiß leitete ich nun den letzten Rest des Wassers in Kanälen ab und ging aufs feste Land. Hier stieß ich auf Sand, so weit meine Augen reichten, doch durchwanderte ich beherzt den Sand, bis ich ein großes, brennendes Feuer in der Ferne erblickte. Auf das Feuer zuschreitend sprach ich bei mir: »Sicherlich hat doch jemand das Feuer angezündet; vielleicht finde ich dort Trost,« und sprach die Verse:

»Vielleicht, ach, wendet das Schicksal die Zügel nun
Und bringt mir Gutes im Neid der Zeit.
Vielleicht, ach, beglückt es mein Hoffen nun
Und erfüllt meines Herzens heißesten Wunsch.«

Als ich dem Feuer nahe gekommen war, sah ich jedoch, daß es ein mit Kupferplatten belegtes Schloß war, welches in den Strahlen der Sonne leuchtete und funkelte, so daß es aus der Ferne wie ein Feuer aussah. Erfreut über diese Wahrnehmung setzte ich mich, doch hatte ich mich kaum niedergelassen, als zehn Jünglinge in schmucker Kleidung in Begleitung eines alten Scheichs auf mich zukamen, denen allen, mit Ausnahme des Scheichs, das linke Auge ausgeschlagen war, so daß ich mich über dies eigentümliche Zusammentreffen so vieler Einäugiger verwunderte. Als sie mich erblickten, begrüßten sie mich erfreut und fragten mich nach meiner Geschichte. Voll Staunen hörten sie den Bericht aller meiner Unfälle an und nahmen mich mit sich ins Schloß. Dort sah ich im Umkreis zehn Bänke mit blauenBlau ist die Farbe der Trauer. Matratzen und blauen Decken stehen und inmitten derselben eine kleinere Bank, an der ebenfalls alles blau war. Nachdem sich ein jeder der Jünglinge auf eine Bank und der Scheich in ihre Mitte auf die kleine Bank gesetzt hatten, sagten sie: »Junger Mann, setz' dich auf den Boden, frag' aber nicht, weshalb wir das eine Auge verloren haben.« Darauf stand der Scheich auf und brachte jedem allein seine Speise; auch ich erhielt meine Speise besonders und speiste in ihrer Gesellschaft. Nachdem er uns dann noch, ebenfalls einem jeden besonders, Wein gebracht hatte, und wir getrunken hatten, unterhielten sie sich und fragten mich nach allen wunderbaren und merkwürdigen Erlebnissen, die mir zugestoßen waren, und ich erzählte ihnen alles, bis der größere Teil der Nacht verstrichen war. Darauf sagten die Jünglinge zum Scheich: »Scheich, bring' uns, was unser Brauch heischt, die Nacht ist hereingebrochen und die Schlafenszeit gekommen.«

Nach diesen Worten der Jünglinge stand der Greis auf und begab sich in eine Kammer; bald darauf kam er mit zehn Schüsseln auf dem Kopfe wieder, von denen jede mit einer blauen Decke verhüllt war, und setzte vor jeden Jüngling eine Schüssel. Nachdem er dann zehn Kerzen angezündet und auf jede Schüssel eine Kerze gesteckt hatte, nahm er die Decken ab, unter denen nun in den Schüsseln Asche, zerstampfte Kohle und Kesselruß zum Vorschein kam. Jetzt schürzten sich die Jünglinge auf und schwärzten ihr Gesicht mit dem Ruß und der Asche aus den Schüsseln; dann rissen sie ihre Kleider herunter, schlugen sich ins Gesicht und auf die Brust, weinten und riefen: »Es ging uns so wohl aber unser Übermut ließ uns keine Ruhe.« In dieser Weise fuhren sie bis zum Morgen fort, worauf sie sich in warmem Wasser, das der Scheich ihnen inzwischen gewärmt hatte, wuschen und andere Kleider anlegten.

Als ich alles dies sah, o Herrin, und ich schaute, wie sie sich das Gesicht schwärzten, verlor ich fast den Verstand und wurde innerlich so erregt, daß ich alle meine Schicksale vergaß und nicht ferner zu schweigen imstande war. Ich fragte sie daher und sprach zu ihnen: »Was ist der Zweck von alledem, nachdem wir so froh gewesen sind und miteinander gescherzt haben? Ihr seid, Gott Lob, doch Leute mit gesunden fünf Sinnen, aber was ihr da gethan habt, thun doch nur Verrückte. Bei allem, was euch teuer ist, sagt mir, was mit euch vorgefallen ist, warum jeder von euch ein ausgeschlagenes Auge hat, und warum ihr eure Gesichter mit Asche und Ruß bestrichen habt?« Darauf wendeten sie sich jedoch zu mir und sagten: »Junger Mann, laß dich nicht durch deine Jugend verleiten noch einmal danach zu fragen.« Dann standen sie auf und holten uns etwas zum Essen; in meinem Herzen brannte jedoch ein unlöschbares Feuer und eine nicht zu dämpfende Flamme infolge meiner inneren Aufregung über ihr sonderbares Thun.

Nachdem ich nun gegessen und getrunken hatte, saßen wir wieder bis zum Abend und plauderten miteinander, worauf der Scheich uns Wein brachte, und wir bis Mitternacht tranken. Dann sagten die Jünglinge wieder zum Scheich: »Bring' uns, was unser Brauch heischt, die Schlafenszeit ist schon nahe,« worauf der Scheich aufstand und nach kurzer Abwesenheit wieder die Schüsseln brachte, und sie genau in derselben Weise, wie in der vergangenen Nacht, verfuhren, ohne etwas hinzuzusetzen oder fortzulassen. Kurz, o Herrin, einen Monat lang verweilte ich bei ihnen und sah sie jede Nacht dasselbe thun und sich darauf am Morgen waschen, und jede Nacht verwunderte ich mich hierüber, bis ich so mißmutig und ungeduldig ward, daß ich weder Speise noch Trank mehr zu mir nahm und zu ihnen sagte: »Ihr jungen Leute, wollt ihr nicht meiner Sorge ein Ende machen und mir mitteilen, warum ihr eure Gesichter schwärzt und sprecht: Es erging uns so wohl aber unser Übermut ließ uns keine Ruhe? Wollt ihr es mir jedoch nicht mitteilen, so laßt mich von euch zu meiner Familie ziehen, daß ich vor diesem Schauspiel Ruhe bekomme. Sagt doch das Sprichwort: Besser, daß ich von euch scheide, denn was das Auge nicht sieht, bekümmert das Herz nicht.«

Als sie meine Worte vernahmen, traten sie zu mir heran und sagten: »Junger Mann, wir haben es dir nur aus Besorgnis um dich verhehlt, daß du nicht gleich uns wirst, und dich nicht dasselbe Los betrifft.« Ich bestand aber darauf: »Ihr müßt es mir unbedingt mitteilen.« Noch einmal warnten sie mich: »Junger Mann, nimm unsern guten Rat an und frage nicht wieder, sonst verlierst du dein eines Auge wie wir,« ich aber blieb dabei: »Ich muß es wissen.« Darauf sagten sie: »Junger Mann, wenn dir dasselbe wie uns zustoßen sollte, so nehmen wir dich nicht wieder auf, und darfst du nicht mehr bei uns bleiben.« Darauf nahmen sie einen Widder und häuteten ihn ab; dann befahlen sie mir: »Nimm dies Messer und leg' dich in die Haut, wir werden dich darin einnähen und dich dann allein lassen; nicht lange, dann wird der Vogel Roch kommen, dich mit seinen Krallen aufheben und mit dir zum Himmel fliegen; nach einer Weile aber wirst du spüren, daß er dich auf einen Berg niedergelegt hat. Spürst du es, so zerschneide die Haut mit diesem Messer und krieche heraus; sobald dich dann der Vogel erblicken wird, wird er fortfliegen, du aber mach' dich sofort auf und wandere etwa einen halben Tag, bis du zu einem hoch in die Luft ragenden Schloß gelangst, das aus Sandel-, Aloe- und Teakholz erbaut, mit goldenen Platten belegt und mit allerlei Edelsteinen, als Smaragd und dergleichen besetzt ist. Wenn du dieses Schloß betrittst, so ist dein Wunsch erfüllt, denn nur deshalb, daß wir hineingingen, schwärzten wir unser Gesicht und verloren unser Auge. Zu einer weitern Auseinandersetzung fehlt uns die Zeit, da jeder sein rechtes Auge auf eine andere Weise verlor.«

Hierauf packten mich die Jünglinge in die Widderhaut, nähten mich darin ein und gingen ins Schloß. Nach einer Weile kam ein Vogel und flog mit mir, mich fest in seinen Fängen haltend, fort, bis er mich nach einiger Zeit auf jenen Berg niederlegte. Als ich es merkte, zerschnitt ich die Haut und kroch heraus, worauf der Vogel bei meinem Anblick fortflog. Sogleich machte ich mich nun auf und wanderte bis zu jenem Schlosse, das ich ganz so antraf, als es mir die Jünglinge beschrieben hatten. Da sein Thor offen stand, trat ich ein und fand, daß es hübsch und geräumig wie eine Rennbahn war. Rings im Umkreise gewahrte ich hundert Gemächer mit Thüren aus Sandelholz und Aloe, die mit Goldplatten belegt und mit silbernen Ringen versehen waren; gegenüber aber im Schlosse sah ich vierzig Mädchen gleich vierzig Monden, an denen man sich nicht satt schauen konnte, angethan mit den kostbarsten Kleidern und sommerlichen Gewändern, die alle zugleich bei meinem Anblick riefen: »Willkommen, mein Herr, schon Monate lang haben wir auf jemand gleich dir gewartet; gelobt sei Gott, der uns jemand gebracht hat, der ebenso unser würdig ist wie wir seiner.« Hierauf hüpften sie um die Wette mir entgegen, boten mir ein hohes Polster zum Niedersitzen an und sagten: »Heute bist du unser Herr und Gebieter und wir deine gehorsamen Sklavinnen, die deiner Befehle gewärtig sind.« Noch stand ich verwundert über ihr Verhalten gegen mich da, als auch schon die einen mir Speise zum Essen vorsetzten, die andern mir Wasser wärmten und mir damit Hände und Füße wuschen und andere Kleider anlegten, wieder andere mir Wein klärten und zum Trinken reichten, und alle dabei sich äußerst erfreut über mein Kommen zeigten. Hierauf setzten sich alle und unterhielten sich mit mir über meine Person und meine Schicksale bis die Nacht kam.

Nun setzten sie sich rings um mich, während fünf von ihnen das Tischtuch ausbreiteten, rings herum duftige Blumen und Kräuter, frisches und getrocknetes Obst in großen Mengen legten und Krüge mit Wein hinstellten. Indem wir nun tranken, sangen die einen von ihnen, die andern schlugen die Laute, Zither und andere Musikinstrumente, und die Becher und Schalen gingen unter uns im Kreise herum, so daß ich in meiner Seligkeit alle die Sorgen der Welt vergaß und dachte: Das ist das Leben, ach, wenn es doch nicht so vergänglich wäre! Nachdem wir in dieser Weise den größten Teil der Nacht verbracht hatten und trunken geworden waren, sagten sie zu mir: »Herr, nun wähle dir eine von uns aus, welche die Nacht bei dir zubringen soll, doch darf sie erst wieder nach vierzig Tagen bei dir ruhen.« Infolgedessen wählte ich eine von ihnen mit lieblichem Gesicht, schwarzen Augen, dunkelschwarzen Haaren, zusammengewachsenen Brauen und einer kleinen Zahnlücke aus, die einem Basilikumreis glich und mit ihren Reizen das Auge bezauberte und die Gedanken verwirrte, von der das Dichterwort galt:

Wie die Rute des BânDie ägyptische Weide. im Lenzwind wiegt sie den Leib
Und schreitet, Sehnsucht erweckend, voll Liebreiz einher.
Wenn sie lächelnd die Zähne entblößt, so meinen wir wohl,
Es wäre ein Blitz an den Sternen vorübergeflammt.
Von dem Scheitel fallen ihr schwarze Locken zur Stirn,
Die machen den Mittag zur schwärzesten Mitternacht.
Doch entschleiert sie uns im Dunkeln ihr Angesicht,
So erleuchtet sie uns vom Osten zum Westen das All.
Schlank ist wohl das Reis, doch schlanker ihr schmächtiger Wuchs,
Und schmuck die Gazelle, doch schmucker ihr Gang und ihr Bau.
Ihre weiten Augen entsenden den tödlichen Strahl,
Sie schlagen in Banden und quälen des Liebenden Herz.
Eine heidnische Liebe ergriff mich, da ich sie sah,
Doch wundert euch nicht, wenn ein Kranker sich völlig vergißt.

Nachdem ich mit ihr die schönste Nacht meines Lebens verbracht hatte, führten mich die Mädchen am andern Morgen in das im Schlosse befindliche Bad, wuschen mich dort und legten mir die prächtigsten Kleider an. Dann brachten sie uns wieder Speise und Trank und die Becher kreisten unter uns bis zur Nacht, worauf sie wieder sprachen: »Wähle dir eine von uns, mit der du die Nacht über ruhen willst; wir stehen zu deiner Verfügung.« Darauf wählte ich mir ein hübsches Mädchen mit sanften Körperlinien aus, von der das Dichterwort galt:

Zwei moschusversiegelte Schreine sah ich an ihrer Brust,
Die kein Verliebter berühren darf.
Mit den Pfeilen ihrer Blicke liegt sie auf der Hut
Und schnellt sie dem Angreifer ins Herz.

Nachdem ich wieder eine der schönsten Nächte zugebracht hatte, begab ich mich ins Bad und legte frische Kleider an; kurz, o Herrin, ich führte bei ihnen das angenehmste Leben, wählte mir jede Nacht eine andere von den vierzig Mädchen aus und aß und trank in guter Kameradschaft ein ganzes Jahr.

Zu Beginn des neuen Jahres aber fingen sie an zu weinen und schreien und nahmen, unter Thränen sich an mich hängend, Abschied. Bestürzt fragte ich sie: »Was ist mit euch vorgefallen? Ihr schneidet mir das Herz ab.« Da antworteten sie: »Ach, daß wir dich doch niemals kennen gelernt hätten! Wir haben schon viele bei uns gehabt aber keinen, der so gütig und liebevoll wie du war.« Wie sie nun wieder zu weinen anhuben, fragte ich sie: »Was soll euer Weinen? Um euretwillen ist mir die Galle schon ganz geplatzt.« Da sagten sie alle zugleich: »Du allein wirst unsere Trennung herbeiführen und sie verschulden; nur wenn du auf uns hörst, werden wir vereint bleiben, folgst du uns aber nicht, so müssen wir voneinander für immer getrennt werden; unser Herz sagt uns aber, daß du nicht auf uns hören wirst, und darum weinen wir.« Ich sagte darauf: »So erkläret mir doch die Sache näher.« Nun erwiderten sie: »Wisse, unser Herr und Gebieter, wir sind Königstöchter und schon manches Jahr hier beisammen. Bis auf vierzig Tage in jedem Jahr, die wir abwesend sind, verbringen wir hier die Zeit mit Essen, Trinken, Vergnügungen, Gesang und Musik. Wenn wir jetzt auf vierzig Tage fortgehen, werden wir dir alle Schlüssel des Schlosses anvertrauen, in dem sich hundert Kammern befinden. Iß, trink', öffne die Kammern und unterhalte dich in ihnen, eine jede wird dir für einen Tag genügend Unterhaltung gewähren. Eine Kammer darfst du aber nicht öffnen, ja, darfst dich ihr nicht einmal nähern; folgst du uns nicht, so müssen wir auf immer voneinander scheiden; du wirst uns aber nicht gehorchen. Neunundneunzig Kammern stehen dir zu Gebote, und darfst du alle öffnen und dich in ihnen vergnügen; öffnest du aber die hundertste Kammer mit der goldenen Thür, so müssen wir uns trennen.« Nachdem sie mir dann noch die dringlichsten Ermahnungen eingeschärft hatten, und mich bei Gott und ihrem Leben beschworen, die vierzig Tage auf sie zu warten und nicht die Trennung von ihnen zu verschulden, übergaben sie mir die Schlüssel, und eine von ihnen trat an mich heran, umarmte mich und sprach unter Thränen die Verse:

Als die Stunde der Trennung schlug und sie Abschied nahm,
Und ihr Herz in Liebe und Leid erbebte,
Weinte sie klare Perlen und ich Korallen,
Die flossen zu einem Geschmeide um ihren Hals zusammen.

Von ihr Abschied nehmend, versicherte ich: »Bei Gott, ich werde die Kammer sicherlich nicht öffnen!« Sie aber winkten mir noch im Fortgehen mit der Hand warnend zu.

Als ich nun allein im Schloß zurückgeblieben war, machte ich mich auf, indem ich bei mir sprach: »Bei Gott, ich werde die Thür nicht öffnen und Veranlassung zu unserer Trennung geben,« und öffnete die erste Kammer. Da sah ich vor mir einen Garten wie das Paradies mit allerlei Fruchtbäumen und verschlungenem Gezweig, mit singenden Vögeln und plätschernden Gewässern, Sträuchen und Flüssen. Vor Lust aufatmend wandelte ich zwischen den Bäumen einher, atmete den Duft der Blumen, lauschte dem Gesang der Vögel, welche die Einheit und Allmacht Gottes priesen, und bewunderte die Äpfel, von denen der Dichter sagt:

Der Apfel gleicht mit seiner roten und weißen Backe
Einem Liebespaar, das auf einem Polster ruht;
Wird es plötzlich in seiner Umarmung gestört,
So errötet sie vor Scham und er erblaßt vor Furcht.

Weiter sah ich dann Birnen, deren Geschmack dem Geschmack von JulepRosenwasser. und Zucker und deren Aroma den Duft von Moschus und Ambra übertrifft, und Quitten von denen der Dichter singt:

In der Quitte findest du alle Genüsse der Welt,
Die allen Früchten deshalb vorgezogen wird;
Ihr Geschmack gleicht dem Wein und dem Moschus ihr Duft,
Golden ist ihre Farbe und wie der Vollmond die Form.

Nachdem ich schließlich auch noch an Aprikosen meine Blicke geweidet hatte, die dem Auge so gefallen wie Rubin, verließ ich den Garten und verschloß die Thür.

Am nächsten Tage öffnete ich eine andere Thür und trat auf einen großen Platz, um den rings herum ein Bach floß, an dessen Rand duftige Blumen gepflanzt waren, wie Rosen, Jasmin, Henna, Jerichorosen, Narzissen, Veilchen, Kamillen, Levkojen und Lilien, und der Wind strich über die Blumen dahin, daß der ganze Platz von ihren Düften erfüllt war. Fröhlich erging ich mich hier und mein Kummer ließ etwas nach; dann verschloß ich wieder die Thür und öffnete eine dritte, hinter welcher ich einen großen Saal fand, der mit Marmormosaik, Edelmetallen und kostbarem Gestein ausgelegt war. Dort zwitscherten, girrten und pfiffen in Käfigen von Sandelholz und Aloe Nachtigallen, Ringeltauben und Holztauben, Amseln und Turteltauben, kurz alle bekannten Vögel, daß mein Herz froh ward und meine Sorgen sich entschleierten.

Am nächsten Tage öffnete ich eine vierte Thür und fand hinter ihr ein großes Haus mit vierzig Schatzkammern, die rings um das Haus gelegen waren und offen standen. Ich ging von Schatzkammer zu Schatzkammer und fand darin Perlen, Smaragde, Rubine, Karfunkel und andere Edelsteine, Gold- und Silbererze, daß mir von all der Herrlichkeit der Kopf schwindelte und ich bei mir sprach: »Solche Schätze können nur großen Königen gehören; ich glaube aber, alle Könige der Welt zusammen besitzen nicht solchen Reichtum.« Nun wurde ich ganz froh, all mein Kummer schwand und ich sprach: »Ich bin der König meiner Zeit und habe allein über alle diese Reichtümer und die Mädchen außerdem zu gebieten.« In dieser Weise, meine Herrin, verbrachte ich fröhlich die Zeit, bis neununddreißig Tage verstrichen waren, und nur noch ein Tag und eine Nacht übrig blieb. Alle hundert Thüren aber hatte ich bereits geöffnet mit Ausnahme der einen, welche mir die Mädchen zu öffnen verboten hatten. Da ließ mir mein Herz keine Ruhe, bis der Satan mich ganz in seine Gewalt bekam, um mich zu verderben, und ich die goldene Thür öffnen mußte, trotzdem nur noch eine Nacht auszuharren gewesen wäre, nach welcher die Mädchen wiedergekommen wären und von neuem ein ganzes Jahr mit mir zusammen verbracht hätten. Kaum aber hatte ich die Thür geöffnet und war hineingetreten, als mir ein so wohliger Geruch entgegenströmte, daß er mir die Sinne benahm und ich der Länge nach hinstürzte. Nach einer Weile faßte ich wieder Mut und schritt beherzt tiefer in die Kammer hinein, deren Boden mit Safran bestreut war, während rings wohlriechende Wachskerzen, die mit Ambra- und Aloestückchen besteckt waren, und mit kostbaren Ölen gefüllte Lampen brannten. Außerdem sah ich zwei Räuchergefäße, die so groß wie Becken waren, in denen glühende Kohlen Düfte von Ambra, Aloe, Räucherholz, Safran und Moschus aufwirbeln ließen, und ein Pferd, o Herrin, schwarz wie die schwärzeste Nacht, mit Zaumzeug und goldenem Sattel, vor dem in weißer Krystallkrippe geschrotener Sesam lag und in einer andern Rosenwasser mit Moschus zum Saufen ausgegossen war. Als ich dieses Pferd erblickte, verwunderte ich mich über die Maßen und sprach bei mir: »Mit diesem Pferde muß es eine ganz außerordentliche Bewandtnis haben;« und der Satan bemächtigte sich meiner, daß ich es aus seinem Raum vor das Schloß führte und es bestieg. Da es sich jedoch nicht von der Stelle rühren wollte, spornte ich es mit den Füßen, und da auch dies nichts half, griff ich zornig zur Peitsche und versetzte ihm einen Hieb. Kaum aber hatte es den Hieb verspürt, als es unter donnerartigem Gewieher zwei Schwingen ausbreitete, mit mir von dem Schlosse fortflog und so hoch in den Himmel stieg, daß es den Blicken entschwand. Nach einiger Zeit ließ es sich mit mir auf das Dach eines andern Schlosses nieder und versetzte mir, mich von seinem Rücken abschüttelnd, mit seinem Schweif einen schmerzhaften Schlag ins Gesicht, der mich so heftig ins Auge traf, daß es auf die Backe auslief, und ich einäugig wurde. Ich rief: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen; so lange mußte ich die Jünglinge plagen, bis ich wie sie mein eines Auge verlor!« Als ich dann vom Dache des Schlosses herunterstieg, fand ich die zehn Bänke mit den blauen Polstern wieder und erkannte, daß ich mich wieder in dem Schlosse der zehn einäugigen Jünglinge befand, deren wohlgemeinten Rat ich nicht befolgt hatte. Wie ich mich nun eben auf einer der Bänke niedergelassen hatte, sah ich auch schon die zehn Jünglinge mit dem alten Scheich in der Mitte auf mich zukommen, die bei meinem Anblick mir entgegenriefen: »Keinen Willkomm und Gruß dem Ankömmling! Bei Gott, wir nehmen dich nicht wieder auf, da auch du nicht wohlbehalten zurückgekommen bist.« Ich antwortete ihnen: »Ich hatte nicht eher Ruhe, als bis ich euch fragte, warum ihr euer Gesicht schwärztet.« Darauf entgegneten sie mir: »Jeder von uns hat dasselbe Mißgeschick wie du erfahren und lebte im herrlichsten Leben und im schönsten Glück; doch keiner konnte sich vierzig Tage gedulden, um ein ganzes Jahr lang zu essen und zu trinken, sich zu belustigen und auf brokatenem Lager zu schlafen, den Wein aus krystallenen Gläsern zu schlürfen und an holder Brust auszuruhen, der Übermut ließ uns nicht eher Ruhe, als bis uns ein Auge ausgeschlagen war und wir, wie du es sahst, das Geschehene beweinen.« Als ich nun sagte: »Nichts für ungut, jetzt bin ich wie ihr geworden und möchte mir auch aus den zehn Schüsseln mit Ruß mein Gesicht schwärzen,« und dabei bitterlich weinte, riefen sie: »Bei Gott, wir beherbergen dich nicht mehr, du darfst nicht mehr bei uns bleiben; geh' fort von hier und nimm deinen Weg nach Bagdad, vielleicht findest du dort jemand, der dir in deinem Unglück hilft.« In dieser Weise von ihnen verstoßen, und bekümmert und nachdenklich über alles, was auf meine Stirnlocke herabgekommen war, von dem Tode des Knaben an bis zu diesen letzten Schrecken und Kümmernissen, sprach ich bei mir: »Es ist wahr, mir erging es so wohl, aber der Übermut ließ mir keine Ruhe,« und ward so verzweifelt, daß ich mir Bart und Augenbrauen schor und, mit der Welt abschließend, als einäugiger Bettler nach dem Lande Gottes pilgerte. Gott aber hatte meine Errettung verzeichnet, so daß ich heute Abend in Bagdad anlangte.] Hier fand ich diese beiden Einäugigen und sagte zu ihnen, nachdem ich sie begrüßt hatte: »Ich bin ein Fremdling.« Darauf antworteten sie mir: »Wir sind hier ebenfalls fremd.«

Das ist der Grund, weswegen ich mein eines Auge verlor und mir den Bart schor.«

Als der Bettler seine Geschichte beendet hatte, sagte die Hausherrin zu ihm: »Streich' mit der Hand über den Kopf und geh' deines Weges.« Er entgegnete jedoch: »Bei Gott, ich gehe nicht eher, als ich die Geschichte dieser Kaufleute auch noch gehört habe.«

Nun wendete sich das Mädchen an den Chalifen, Dschaafar und Mesrûr und forderte sie auf: »Erzählet mir eure Geschichte.« Dschaafar erhob sich darauf und erzählte ihr dieselbe Geschichte, welche er bereits vor ihrem Eintritt ins Haus der Pförtnerin erzählt hatte. Als sie sie vernommen hatte, sagte sie zu ihnen: »Ich schenke euch einander.«

Als sie nun alle auf die Straße hinausgetreten waren, fragte der Chalife die Bettler: »Ihr, Gesellschaft, wohin geht ihr?« Sie entgegneten darauf: »Wir wissen nicht, wohin wir gehen sollen.« Infolgedessen forderte der Chalife sie auf, mit ihm zu kommen und bei ihm zu übernachten, und sagte zu Dschaafar: »Nimm sie mit dir und führe sie mir morgen vor, damit wir sehen, was sich thun läßt.« Nachdem Dschaafar den Befehl vollzogen hatte, begab sich der Chalife ins Schloß, doch vermochte er die Nacht über keinen Schlaf zu finden. Als er dann am andern Morgen den Thron des Reiches bestiegen und die Großen des Reiches empfangen hatte, wendete er sich, nachdem die Großen wieder entlassen waren, an Dschaafar und befahl ihm die drei Mädchen, die beiden Hündinnen und die Bettler vorzuführen. Dschaafar erhob sich sogleich und führte sie herein, doch stellte er die Mädchen hinter die Vorhänge und sprach zu ihnen: »Wir vergeben euch um der Freundlichkeit willen, die ihr uns zuvor erwiesen habt, ohne uns zu kennen. Jetzt aber thue ich es euch kund, daß ihr vor dem fünften der AbbassidenEl-Abbâs, Sohn des Abd el-Mottalib, Oheim Mohammeds, wurde nach anfänglicher Gegnerschaft, kurz bevor Mohammed Mekka eroberte, einer seiner eifrigsten Anhänger. Seine Nachkommen, die Abbassiden, erhoben sich 749 gegen die Omajjaden und hoben die Macht des Chalifats zur höchsten Blüte. Ihre Residenz befand sich seit 763 zu Bagdad. steht, vor Hārûn er-Raschîd; sprecht daher die lauterste Wahrheit.«

Als die Mädchen Dschaafar also an Stelle des Chalifen reden hörten, trat die älteste vor und sprach: »O Fürst der Gläubigen, meine Geschichte ist wunderbar; würde sie mit Nadeln in die Augenwinkel geschrieben, sie würde für alle, die sich belehren lassen, eine Lehre sein.

 


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