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Tausend und eine Nacht. Band I
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Fortsetzung der Geschichte des Königs Jûnân.

So auch du, o König! Wenn du diesem Hakîm Vertrauen schenkst, wird er dich auf das schändlichste umbringen; und wenn du ihm Huld erweisest und in deine nächste Umgebung ziehst, wird er nur dein Verderben planen. Siehst du denn nicht ein und glaubst du nicht, daß er, wenn er deinen Körper von außen gesund machte, indem er dich einen Gegenstand anfassen ließ, dich auf dieselbe Weise auch umbringen kann?«

Da sagte der König Jûnân: »Du hast recht, und es wird sicherlich so kommen, wie du es sagst, du wohlberatender Wesir. Vielleicht ist dieser Hakîm als Spion hierhergekommen, um mich zu verderben. Hat er mich durch etwas, das er mich anfassen ließ, geheilt, so kann er mich auch durch etwas, das er mir zu riechen giebt, umbringen.« Dann fragte er den Wesir: »Was mit ihm thun, Wesir?« Der Wesir antwortete: »Schicke sofort nach ihm, und ist er hier, so schlag' ihm den Kopf ab, dann hast du ihm seine Bosheit heimgezahlt und hast vor ihm Ruhe. Besser, daß du an ihm Treulosigkeit übst, bevor er es an dir thut.« Da sagte der König Jûnân: »Du hast recht, Wesir,« und ließ den Hakîm holen.

Als der Hakîm nun voll Fröhlichkeit und nichts ahnend von dem Geschick, das der Barmherzige über ihn verhängt hatte, eingetreten war, ähnlich wie es im Dichterwort heißt:

Der du bangst vor dem Geschick, sei unbesorgt
Und bau auf ihn, der die Erde gebreitet.
Was einmal verhängt ist, wird nimmer verlöscht,
Und was dir nicht bestimmt ist, davor bist du sicher, –

redete er den König mit den Worten des Dichters an:

»Vergäße ich je des Dankes, der dir gebührt,
So frag' mich, wem ich meine Poesie und Prosa gewidmet habe.
Du hast mich mit Geschenken über und über beladen,
Ungebeten, ohne Säumen und ohne Ausflüchte.
Was sollte ich da dein gebührendes Lob nicht verkünden,
Dich nicht preisen ob deines Edelsinns mit Herz und Mund?
Ja, danken will ich dir für deine Wohlthaten alle,
Die leicht auf meinen Lippen lasten, auch wenn sie den Rücken beschweren.«

Ferner sprach er noch die Verse:

»Wende dich ab von den Sorgen
Und überlaß alle Dinge dem Schicksal;
Freu' dich des Guten, das heute dir lacht,
Und vergiß darüber alles Vergangene.
Ist das Geschick auch oft voll Bitterkeit,
An seinem Ausgange findest du doch Wohlgefallen.
Gott thut, was er will, und du,
Du wolltest ihm in den Weg treten?«

Ferner:

»Befiehl deine Wege dem Weisen, dem Wissenden,
Und mach' deine Seele frei von aller Welt;
Denn, wisse, nicht nach deinem Willen laufen die Dinge,
Sondern wie Gott will, der oberste Lenker.«

Und zum Schluß noch den Spruch:

»Verzage nicht und vergiß der Sorgen alle,
Die Sorgen, sie rauben des Klügsten Verstand.
Einem unfähigen Sklaven frommt keine Überlegung,
Drum laß das Sinnen und Sorgen und leb in ewigem Glück.«

Der König redete jedoch den Hakîm Rûjân an: »Weißt du, weshalb ich dich habe kommen lassen?« Der Hakîm antwortete: »Gott nur, der Erhabene, kennt das Verborgene.« Darauf entgegnete der König: »Ich habe dich kommen lassen, um dir das Leben zu nehmen.« Der Hakîm, über diese Worte des Königs aufs äußerste bestürzt, fragte: »Weshalb, o König, willst du mich töten, und welche Schuld ist an mir offenbar geworden?« Der König antwortete ihm: »Man hat mir gesagt, du seiest ein Spion und wärest nur hierhergekommen, um mich umzubringen; darum werde ich dir zuvorkommen und dich hinrichten lassen.« Darauf rief der König den Scharfrichter und befahl ihm: »Schlag diesem Verräter den Kopf ab und befreie uns von seiner Tücke!« Nun bat der Hakîm: »Laß mich am Leben, so wird Gott dich am Leben lassen, töte mich nicht, daß Gott dich nicht tötet,« und flehte ihn mit diesen Worten wiederholt an, wie ich es auch that, o Ifrît, ohne daß du auf mich hörtest, sondern mitleidslos meinen Tod wolltest.« Der König Jûnân antwortete jedoch dem Hakîm Rûjân auf sein Flehen: »Ich bin nicht sicher vor dir, daß du mich nicht umbringst; denn hast du mich durch etwas geheilt, das ich in meine Hand nahm, so bin ich nicht sicher, daß du mich durch etwas, das ich rieche, oder dergleichen, umbringst.« Da sagte der Hakîm: »O König, ist das mein Lohn von dir? Du vergiltst Gutes mit Bösen;« der König erklärte jedoch: »Du mußt ohne Verzug sterben.«

Als nun der Hakîm sich davon überzeugt hatte, daß der König ihn ohne Erbarmen hinrichten lassen wollte, weinte er vor Betrübnis darüber, daß er einem Unwürdigen Gutes erwiesen hatte; der Scharfrichter aber trat heran, um ihm die Augen zu verbinden, und rief, nachdem er es gethan hatte: »Gebiete!« während der Hakîm den König unter Thränen bat: »Laß mich am Leben, so wird Gott dich auch am Leben lassen, töte mich nicht, daß Gott dich nicht tötet,« und das Wort des Dichters sprach:

»Mein guter Rat war mein Unglück, ihr Falsch ihr Segen;
Mein Rat stürzte mich ins Haus der Verachtung.
Bleib' ich am Leben, so schweig' ich hinfort; doch muß ich sterben,
So verkünde mir in allen Zungen den Tod aller späteren Berater!«

Dann wendete er sich wieder zum König und redete ihn an: »Ist das mein Lohn von dir? Du belohnst mich wie das Krokodil.« Da fragte ihn der König: »Wie ist die Geschichte vom Krokodil?« Der Hakîm erwiderte jedoch: »Ich bin nicht imstande es dir in dieser meiner Lage zu erzählen, aber, bei Gott, laß mich leben, so wird Gott dich auch leben lassen!« und weinte bitterlich. Nun erhob sich auch einer der Günstlinge des Königs und bat: »O König, schenke mir das Blut dieses Hakîms, wir haben nicht bemerkt, daß er irgend ein Vergehen gegen dich begangen hat, wir haben vielmehr nur gesehen, daß er dich von deiner Krankheit geheilt hat, an welcher sich die Ärzte und Gelehrten umsonst abmühten.« Der König entgegnete ihnen jedoch: »Ihr wißt nicht, weshalb ich diesen Hakîm umbringen lassen muß. Bleibt er am Leben, so komme ich zweifellos selber um, denn, wer mich von meiner Krankheit durch etwas, das ich anfassen mußte, heilte, kann mich ebensogut durch etwas, das er mir zu riechen giebt, umbringen. Ich fürchte, daß er mir nach dem Leben trachtet und dafür gedungen ist. Kann es nicht ein Spion sein, der nur hierhergekommen ist, um mir das Leben zu nehmen? Nicht eher als er tot ist, habe ich Sicherheit für mein Leben.« Nun flehte der Hakîm wieder: »Laß mich am Leben, so wird dich Gott auch am Leben lassen.« Als er sich jedoch, o Ifrît, davon überzeugt hatte, daß der König ihn ohne Gnade und Barmherzigkeit zum Tode verdammt hatte, sagte er: »Muß es denn also sein, o König, daß ich sterben muß, so gewähre mir eine Frist, daß ich mich nach Hause begebe, mich fertig mache, meiner Familie und meinen Nachbarn Verfügungen über mein Begräbnis erteile und meine medizinischen Bücher verschenke. Ich habe darunter ein ganz besonderes Buch, das ich dir zum Geschenk machen will; verwahre es wohl in deiner Schatzkammer.« Da fragte der König den Hakîm: »Was hat es mit diesem Buch auf sich?« Der Hakîm erwiderte: »Es enthält zahllose Dinge, und das geringste seiner Geheimnisse ist dieses, daß, wenn du mir den Kopf hast abschlagen lassen, und es dann öffnest und drei Blätter davon umgeschlagen hast und dann auf der linken Seite drei Zeilen liesest, mein Kopf mit dir sprechen und auf alle deine Fragen Antwort erteilen wird.« Der König verwunderte sich hierüber aufs höchste und fragte ihn, indem er sich vor Freude schüttelte: »Hakîm, wird dein Kopf wirklich sprechen, wenn ich ihn dir habe abschlagen lassen?« »Gewiß, o König,« antwortete er; »es ist eine wunderbare Sache.«

Hierauf entließ der König den Hakîm unter einer Wache nach Haus, wo er noch an demselben Tage seine Geschäfte erledigte. Am nächsten Tage begab er sich dann wieder in den Diwan, in dem sich die Emire, Wesire, die Kämmerlinge, Deputierten und Großen des Reiches in voller Anzahl bereits versammelt hatten, so daß der Diwan einem Blumengarten glich. Mit einem alten Buche und einem Büchschen Pulver trat er zum König heran, setzte sich nieder und rief: »Bringt mir ein Tablett!« Dann schüttete er das Pulver darauf, breitete es aus und sprach zum König: »Nimm dieses Buch aber halte es still, bis mir der Kopf abgeschlagen ist. Dann laß ihn auf das Tablett stellen und fest aufs Pulver drücken, bis das Blut zu fließen aufgehört hat, und öffne dann das Buch.«

Als der Scharfrichter nun den Kopf abgeschlagen hatte, und alles nach der Weisung des Hakîms besorgt war, öffnete der König das Buch, fand aber, daß die Blätter zusammenklebten. Infolgedessen führte er den Finger zum Mund und schlug, nachdem er ihn mit Speichel genetzt hatte, das erste, zweite und dritte Blatt auf, die sich alle nur mit Mühe voneinander lösen ließen. Als er nun in dieser Weise bis zum sechsten Blatt gekommen war und nichts darauf geschrieben fand, sagte er: »Hakîm, es steht nichts darin geschrieben.« Da antwortete der Kopf des Hakîms: »Schlag' weiter um!« Der König blätterte darauf weiter um, aber schon in kürzester Frist war das Gift, mit welchem es der Hakîm vergiftet hatte, in ihn eingedrungen, so daß der König plötzlich hin- und herwankte und rief: »Ich bin vergiftet.« Da sprach der Kopf des Hakîms Rûjân die Verse:

»Sie waren mit Macht begabt und walteten hart ihres Amtes,
Doch in Bälde schon war's, als ob ihre Macht nie gewesen.
Wären sie gerecht verfahren, wäre ihnen gerechter Lohn geworden,
Nun aber hat das Geschick sie ob ihrer Gewaltthaten vergewaltigt.
So redet ihr Los eine stumme Sprache zu ihnen:
Das ward euer Lohn, und der Zeiten Lauf ist ohne Tadel.«

Nach diesen Worten des Kopfes fiel der König entseelt zu Boden.

 


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