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Neuntes Kapitel.
Der gläserne Wald.

Auch am nächsten Morgen brachen wir noch nicht die Zelte ab. Der Gräberhütte widmete Dr. Stenger mehrere Vormittage. Wenn sie auch nicht entfernt so alt war wie jene, von der die alte Chronik des Schiffsfähnrichs zu erzählen wußte, so stand das eine fest, daß kein Guaquero und kein Europäer hier dem deutschen Sammler zuvorgekommen war.

Er fand Dinge, die manch einer als wertlosen Plunder beiseite geworfen hätte, verschiedene Nadeln aus Horn und Knochen, Henkel von glasierten Tontöpfen und Nüsse mit allerlei Arabesken. Gründlichkeit war ihm nicht abzusprechen, und wenn er gegen Mittag »mit Schätzen reich beladen« zur neuen Maloca zurückkehrte, konnte ihm der Professor das Zeugnis ausstellen, daß er mehr zutage gefördert hatte als ein blindwütiger, dilettantischer Sammler.

Das wertvollste Ergebnis der Nachforschungen waren ein paar menschliche Figuren aus hohlem Kupfer, die zweifellos Opfer- und Grabgaben darstellten und um deren Auffindung, wie Wagemann aufrichtig versicherte, unseren Expeditionsleiter mancher Kenner altindianischer Kunst beneiden würde.

Für seine beliebten Tauschsächelchen erstand er außerdem noch Stirnbänder und Schalen, Krüge mit langen Hälsen und spiralförmigen Ornamenten, Pfeile und Okarinas und eine leidlich erhaltene Gesichtsurne, deren Besitz ihn endgültig darüber tröstete, daß ihm die Durchstöberung der alten Kazikengräber versagt geblieben war.

Mit Koläko war der weitere Vorstoß ins Innere genau besprochen worden, und die allgemeine Richtung, in die er uns zu gehen riet, entsprach unserem vorgefaßten Plan. Und wenn wir auch für unsere Zwecke völlig ausgerüstet schienen – das geräumige Faltboot hatte seine Probefahrt glänzend überstanden! – so gab es angesichts des tiefen Urwaldgebietes mit feindseliger Bevölkerung noch manches zu überprüfen, auszubessern und umzupacken. Die Gerätschaften für botanische, entomologische und zoologische Zwecke mußten schnell handbereiten Waffen ihren Platz einräumen. Auch in der Kleidung, soweit sie sich in der Hitze nicht erprobt hatte, ließ sich noch mancherlei verbessern, und vollends mußten unsere Neuankömmlinge etwas »kriegsmäßiger« angesichts der bevorstehenden Strapazen eingekleidet werden. Das galt teilweise auch für Arrieros und Peonen, die glücklicherweise in diesen Rasttagen wieder mutiger geworden waren. Sie hatten Vertrauen zu unserer Führung gefaßt und erhoben keine Bedenken weiter, nachdem wir ihnen zugesagt hatten, daß sie die Heimreise auf dem Wasserwege machen würden.

Ganz besonders erfreulich war uns aber das Zutrauen, das Ernst und Julius, unsere Jüngsten, in kürzester Zeit zu uns gewonnen hatten. Ihre spanischen Namen waren bereits verschwunden, und selbst Koläko nannte sie jetzt so, wobei er sich gut erinnerte, daß auch die Misia sie dereinst so gerufen habe.

Die Zutunlichkeit von Yama-kos Leuten wuchs zusehends und war wohl nicht allein darauf zurückzuführen, daß »kleine Geschenke die Freundschaft erhalten«. In ihrem ruhigen Dasein zwischen Fischfang, Vogelstellen, Mattenwirken und Netzeflicken, die Feuerstätte hüten und Fische dörren war unser Besuch ein seltenes Ereignis, und als wir endlich mit dem Weckruf der Papageien in langem Zuge von ihnen Abschied nahmen, geleitete uns das ganze Völkchen, von denen wir nachgerade jedes Gesicht, so ähnlich eins dem anderen war, kannten, ein gutes Stück Wegs.

»Draußen wie daheim«, rief mir der Professor zu. »Genau so war es, als wir in meiner Einjährigenzeit aus einem Manöverquartier abrückten. Alle, jung und alt, gaben sie uns ein Stück das Geleite, und sie blieben dann auf einer Höhe stehen, um der Kompagnie, die sie liebgewonnen hatten, nachzuschauen, bis der letzte Mann ihren Blicken entschwand.«

»Und diese Leutchens,« setzte Mr. Harper hinzu, »werden stehen bleiben, wenn sie inne werden, daß sie sich zu weit in die Zone hinaus verirrt haben, wo der Jaguar wechselt. Sehen Sie wohl ... da stocken bereits die Schritte!«

Ja, sie blieben wirklich hinter uns. Ihre letzten Grüße verklangen im Schreien der Papageien ...

Der Urwald umdrängte uns wieder mit seinem Baumgewirr, mit seinem wilden, vielstimmigen Gebrüll, mit seiner feuchten Schwüle, mit Busch und Sumpf, Farnen und Kaktus und Orchideen, mit Vogelgezwitscher und Käfersurren, mit seinem zauberhaften Glänzen und seinem verdächtigen Rascheln, mit seinen Schlangen und seinen Schmetterlingen, mit seinem Blühen und Duften, seinem Welken und Vergehen.

Und wieder arbeiteten Handbeil und Haumesser ...

Und wieder nirgends vor uns die Spur eines Menschentrittes, kein Huf eines Maultiers: höchstens die Fährte eines Wildes! Und wieder Moosbündel, die dem Tritte nachgeben, um blitzschnell wieder aufzuschwellen und ihre trügerische Unterlage zu bergen.

Und höher und höher hoben sich die Bäume zum Himmel. Dichter und dichter spannten sie das Dach ihrer Kronen. Seltener und seltener wurden die Stellen im üppigen Unterholz, wo die goldene Sonne das Grün übergleißte. Sie fiel oft nur mit einem einzigen Strahl durch das grüne Gewölbe des Daches, der dann haarscharf niederblitzte, wie vom Brennglas eingefangen, und um den herum die Lust in allen Regenbogenfarben flimmerte. Aber dann verschwanden auch diese glitzernden Himmelsgrüße. Hier empfing uns der Wald, dessen schwere Decke kein Sonnenfunken mehr durchbricht, hier bekamen wir einen Vorgeschmack von den Wäldern, durch die unser Fuß noch lange Tage irren sollte, von den Wäldern, die in ewigem Dämmern liegen!

In solchen Wäldern haust das Grauen, brütet die Hitze des Treibhauses, flutet das Licht gedämpft wie in einer grünen, unter dem Meeresspiegel liegenden Grotte. Nur das Licht, nicht der Strahl, und nur ein helleres Licht gibt dem unter der undurchdringlichen Kuppel Eingekerkerten davon Kunde, daß hoch droben über den dunkelgrünen, schweren Laubkronen die Sonne im Mittag steht.

Und hat der goldene Zeiger im ewigen Azur den Zenit überschritten, sofort wird der grüne Schleier der Dämmerung dichter, eher wird es Nacht in diesem gläsernen Wald, später meldet sich der neue Tag. Er sieht wieder keine Sonne, wie die Nacht nicht Mond und Sterne sah. Gewaltig, uferlos in ihren Tiefen umströmen diese Urwaldnächte den einsamen Reisenden.

Wir waren ihrer viele, deren Augen sich an das ungewisse, traumhafte, seltsame Licht gewöhnen mußten, aber wir fühlten den Schauer des Geheimnisvollen. Erst allmählich vermochte das Auge die Dinge wieder deutlich zu unterscheiden, und nun wurden wir inne, daß das Antlitz des Urwaldes nur an seinem Saume von Sonnenglitzern übersät ist, daß dies aber des ewigen Waldes eigentliches Gesicht sein mußte. Und dieses kennen nicht die, die von rieselnden Bächen auf üppigen Sonnenwiesen, von luftigen Palmenhainen und den leuchtenden Farben seiner Blumen melden. Die Blumen dieser Dämmerungswälder funkeln nicht, magisch und märchenhaft ist ihr blässerer Glanz, drückender ihr Duften, und die Stämme der gefallenen Riesen phosphoreszieren.

Mancher ging Tage in solchem Walde in die Irre«, sagte der Professor, »und kannte wohl nur einen Wunsch: nur noch einen Blick in das endlose Blau des Himmel zu tun. Und die Sonne blieb ihm unsichtbar, und nie fand er den Ausweg aus der laubverhüllten Tiefe.«

»Wenn er sich nur auf den Stand der Sonne angewiesen wähnte, wohl«, erwiderte Mr. Harper, mit der Reitgerte eine Otter zur Seite wippend. »Aber dafür ist doch der Kompaß erfunden.«

»Ach, gehen Sie! Daß Sie auch immer mit einer kalten Dusche Prosa die schönste Poesie zerreißen müssen!«

»Dichter und Denker!« antwortete der Amerikaner mit leisem Spott. »Wer träumen will, soll sich zu Hause oder in einem guten Hotel an den Kamin setzen oder meinetwegen an den Waldesrand. Aber, wenn er hier träumt, fressen ihn die Schlangen. Und da ich gerade vom Fressen rede – an unsere eigene Mittagsmahlzeit müssen wir rechtzeitig denken. Nach den Dörrfischen des hausbackenen Herrn Yama-ko würde uns heute Geflügel gut zu Gesichte stehen.«

»Huitaca wollte schon ein paar Drosseln herunterholen«, sagte Herbert. »Aber ich fiel ihm in den Arm.«

»Auch wieder ganz gefühlvoll, junger German!« lachte Mr. Harper. »Aber lassen wir ruhig heute noch die kleinen Urwaldsänger am Leben. Wenn sie in der Pfanne liegen und ausgesungen haben, sind sie gar zu winzig. Ich hatte mir das heutige Menü lieber mit ein paar Wildtauben garniert gedacht.«

»Da sah ich allerdings noch keine«, sagte Wagemann.

»Na, sie gurrten aber ganz ordentlich vorhin in Ihre Träumereien hinein. Und nicht minder schmackhaft sind die Hokkohühner.« Mr. Harper schnalzte mit der Zunge. »Wenn ich da noch ein paar Schrote drauf loswerden könnte!«

Als wir rasteten, war er richtig zu Schuß gekommen, aber auch die Guahibos hatten ihre Drosseln erlegt. Sie sagten, keiner könne sagen, ob uns morgen noch Vögel beschert seien.

Es war, als hätten sie es geahnt, daß wir schon am nächsten Tag durch weite Strecken des unermeßlichen Zwielichtwaldes streiften, in denen uns kein Vogel zu Gesicht kam. Es war eine merkwürdige Erscheinung. Wir hörten die Papageien lärmen, aber nicht einen sahen wir. Die ganze bunte Vogelschar schien sich in die höchsten Wipfel geschwungen zu haben. Und der Reichtum an Baumschlangen, die diese Gegend bevölkerten, meist geschickt im Gebüsch versteckt und nur dem scharfen Gesicht unserer Naturkinder wahrnehmbar, bot gewiß keinen vollen Ersatz.

Dafür wurde uns in diesem Eldorado der Baumschlangen recht deutlich vor Augen geführt, daß unsere beiden jüngsten Expeditionsteilnehmer mit ihrem Auge und Gehör nicht hinter den Eingeborenen zurückstanden, die wir schon so oft um ihren untrüglichen Spürsinn bewundert hatten. Was nicht einmal unsere Guahibos machten, das brachten sie fertig. Hatte ihr geübtes Auge den spähend aus dem Blättergrün vorgestreckten Kopf einer Schlange entdeckt, so packten sie sofort mit staunenswert geschicktem Griff das Reptil im Nacken und schleuderten es triumphierend an die nächste Felskante.

Koläko sah ihnen gleichmütig zu, wenn wir erschrocken um ihr Leben fürchteten. Sein Gesicht sagte: »Was ist dabei? Sie sind noch wilde Füllen ...«

Und wie wilde Füllen jagten sie auch ausgelassen dahin, ehe es einer von uns verhindern konnte.

Oft machte Dr. Stenger ein bedenkliches Gesicht. »Diese kleinen Mustangs werden noch gar manchesmal dem Zwang des Zügels spotten, ehe sie der Ernst des Lebens einfängt. Zu lange haben sie sich frei auf der Weide getummelt.«

»Am Ende kein Fehler«, sagte der Professor. »Dafür ist es frisches, kerngesundes, furchtloses Blut, das eines Tages von deutschen Lehrmeistern eingespannt werden wird. Immer mache ich mir Gedanken über ihre Zukunft.«

»Die ich mit Ihnen teile. Es ist eine Mission, die uns geworden ist. Wir haben uns nur zu fragen, was zu geschehen hat, um im Wunsch und Sinne der unglücklichen Eltern dieser Waisen ausgeführt zu werden.«

»Daß sie kraftvolle, furchtlose Männer werden sollen! Das könnten sie auch hier. Aber sie sollen vor allem deutsche Männer werden, sollen deutsch fühlen und denken lernen, sollen überall deutsch sein! Und darum, wenn es nach mir ginge, müßten sie in Deutschland erzogen werden.«

»Mir aus der Seele gesprochen!« Dr. Stenger nickte lebhaft. »Ich werde mit dem deutschen Konsul in Venezuela reden. Ich will keinen Weg scheuen.«

»Und hegen Sie keine zu großen Erwartungen,« fuhr Professor Wagemann nach einer Weile fort, »daß Koläko ein Wundermann ist, der uns vorher noch greifbare Spuren zeigen kann, die das Dunkel, das über dem tragischen Schicksal der Familie Ramshorn noch teilweise lastet, erhellen. Wir haben eine wertvolle Hilfe in ihm – gewiß. Er kann sich besser durchfragen, so oft wir auf Indios stoßen. Das wird aber auch alles sein. Wir wollen ihn ein paar Tage gewähren lassen. Ein Zufall ist nie ausgeschlossen, der uns plötzlich an die Feuer jener mordgierigen Indios führt, die Friedrich Ramshorns Glück und Leben zerschlugen. Winkt uns dieser Zufall nicht, so wollen wir mit dem Erreichten zufrieden sein. Denken wir an den Spruch aus Properz: › In magnis voluisse sat est‹ – In großem Beginnen genügt schon, gewollt zu haben.«

»Auch hier sagen Sie nichts anderes, als was mir selbst im Kopfe herumgeht. Schließlich sehnen wir uns alle, möglichst bald aus diesem gläsernen Walde herauszukommen.«

Und doch sollten noch Tage vergehen, ehe wieder ein Stück blauen Himmels über uns lachte. Viele Abende brannten unsere Wachtfeuer in der unermeßlichen Wildnis, die einem uferlosen Meer glich. Überschritten wir Waldbäche, so drang selbst in ihr Bett kein Sonnenstrahl. Das grüne Laubgewölbe gab keine Lücke frei, und die Wellen sahen dunkel aus, wie sie denen schwarz erschienen waren, die so viele Urwaldflüsse Rio negro getauft hatten.

Einmal stießen wir auf Indios. Aber die Leute flohen vor uns mit unartikulierten Schreien. Es schienen nur Frauen zu sein. Die Hütten ihres Stammes bekamen wir nicht zu Gesicht.

Nachts hörten wir das Fauchen der wilden Katzen, und eines Morgens lag Professor Wagemanns Tyras, der uns so manchesmal betreut hatte, blutig zerfleischt wenige Schritte neben unseren Tragetieren. Keiner hatte ihn bellen hören. Ein schleichendes Raubtier hatte ihm die Zähne in die Gurgel geschlagen.

Und auch das Fieber schlich tückisch an unsere Reihen heran. Die ermatteten Tiere zwangen uns zu immer größeren Rasten. Wir schossen Tapire und weideten sie aus. Das Fleisch wurde über das Gepäck gelegt, um es zur nächsten Mahlzeit zu trocknen. Wenn wir es herunternahmen, war es über und über in Fäulnis übergegangen. Für unsere Träger kein Grund, es wegzuwerfen. Sie kochten es mit Yuca und Maniokwurzeln. Uns Europäer aber vertrieb schon der Geruch ...

Mr. Harper rauchte einen ganzen Tag lang nicht. Das war ein gefährliches Zeichen, bedenklicher als alles andere zuvor. In immer kürzeren Pausen zogen wir die Karten zu Rate und maßen und rechneten.

Einer ließ ein Wort fallen, das messerscharf klang: – »Umkehr!«

Aber keiner nahm es auf. Kreischend lärmten über uns die Brüllaffen. Die Papageien lachten. Jeder Laut begann, uns weh zu tun. Selbst der Morgengesang wunderbar gefärbter, fremder Vögel, die nicht einen Zoll zur Seite rückten, wenn wir ihnen nahekamen, brachte uns das Eigenartige unserer weltentrückten Lage nur stärker zum Bewußtsein.

Aber noch herrschte der Wille!

Er dämmerte durch die fieberschweren Gedanken. Er kämpfte gegen die dumpfe Betäubung. Er hieß: »Vorwärts!«

Julius und Ernst waren zu unserem Schrecken eines Morgens verschwunden. Ihre Mustangs mit ihnen. Gerade wollten wir abrücken. Unser erster Ruf galt Koläko. Der Alte zeigte sich nicht nur nicht erstaunt, sondern er lächelte sogar.

»Ich sah sie reiten. Es ist gut«, sagte er.

»Was soll das heißen?«

»Horcht!« gab er zur Antwort. Und nun hörten wir auch wirklich die Zweige knacken. Eine halbe Minute später tauchten ihre braunen Gesichter mit dem wehenden blonden Haar aus dem Dickicht auf. Sie lachten und riefen gleichzeitig: » Adelante! hace sol! el rivo! el rivo

»Ein Fluß? Und Sonne?«

Wie elektrisiert sprangen wir auf.

»Auf! Die Sonne lacht, und wir haben einen breiten Fluß!«

Von Stunde an kam in unsere Reihen neues Leben. Unverzüglich folgten wir unseren jungen Pfadfindern.

»Sie haben den Fluß gewittert«, sagte Koläko. »Ich wußte es.«

Und wahrhaftig! Das lang entbehrte Frührot leuchtete durch die Bäume! Über den Waldspitzen strahlte die sehnlich herbeigewünschte Himmelsbläue, und nach wenigen Schritten, denen keine Axt den Weg zu bahnen brauchte, schimmerte zu unseren Füßen die weiße Flut eines Flüßchens, den nicht mehr das undurchdringliche Blätternetz überspannt hielt!

Es war der Wasserweg, der uns Rettung bringen sollte. Wie sich später ergab, hatten wir einen Nebenfluß des Rio Vichada erreicht, und schon nach wenigen Stunden trat Dr. Stengers Faltboot in seine Rechte. Für unser Gepäck, das etwas zusammengeschmolzen war, fand sich bald eine Stelle, wo wir es zunächst niederlegen konnten, um es nachzuholen, wenn uns das Finderglück des Tages weiter hold blieb.

Und dieses Entdeckerglück, das uns auf unserer Urwaldsfahrt schon so viele verläßliche Adjutantendienste geleistet hatte, bescherte uns, ehe die weiße Sonne im Mittag stand, die weitere Überraschung, daß wir auf ein Indiodorf mit mehreren Hütten stießen. Zahlreiche Kanus tummelten sich vor uns auf der sonnenüberfunkelten Fläche.

Was die rotbraunen Gesellen in den Kanus anlangte, so ergriffen die allerdings eilends die Flucht. Die Männer am Ufer aber, bei denen federgeschmückter Kopfputz, wie der dicke Yama-ko einen getragen hatte, vorwog, rotteten sich in nicht mißzuverstehender Weise zusammen. Daß uns kein Pfeil entgegenschwirrte, war nur den Winkerzeichen Koläkos und unserer Guahibos zu danken, und Koläko und Huitaca erboten sich auch, als Parlamentäre an Land zu gehen.

Aber auch sie schienen dem Landfrieden nicht recht zu trauen, sondern klommen fürs erste in einen der am Ufer liegenden Einbäume, weislich bereit, schleunigst wieder zu unserem Boot zu stoßen, wenn die Lage bedrohlich werden sollte.

Lange sahen wir sie gestikulieren und radebrechen, was nicht ohne Geschrei auf beiden Seiten abging. Dann aber, als sie wieder zu unserem Boot heranruderten, machten beide ein zufriedenes Gesicht. Ins Hochdeutsche übertragen ließ sich der uns erstattete Bericht ungefähr dahin kurz zusammenfassen, daß der Indiostamm der »Churruyes« oder Steppenbrenner an sich nicht kriegerisch und fremdenfeindlich, gegenwärtig aber mit einem Nachbarvolk, das weiter flußabwärts hause, in Kriegshändel verstrickt sei. Das wollten schon die vielen Kopfbedeckungen aus Palmenfiedern und Vogelfedern andeuten. Sie seien entschlossen, uns die Weiterfahrt und das Landen zu verbieten, wenn wir mit ihren Feinden, dem Stamm der »Andogues« gemeinsame Sache machten.

»Und was habt Ihr geantwortet?«

Koläko schnitt eine Grimasse. »Ich habe gesagt, daß wir die alten Götter der Berge seit drei Tagen um nichts anderes angefleht hätten, als darum, daß sie den Ando-gues einen Regen von Felsblöcken schicken und daß wir von heute an zu den Göttern der Churruyes beten und ihnen opfern wollen, daß sie jeden Helden der Churruyes gegen jedes Pfeilgift unverletzlich machen sollen.«

»Und sind sie auf den frommen Schwindel hineingefallen?«

»Nicht gleich. Ich habe, Eure Genehmigung vorwegnehmend, dem Tucháua, wie sie ihren Häuptling nennen, versprechen müssen, daß wir ihnen mit unseren Feuerwaffen beistehen.«

»Wenn es Ernst wird!«

Koläko zuckte die Schultern. »Es ist ihnen ernst. Aber es ist ihnen auch ernst damit, daß wir bei ihnen nunmehr landen dürfen.«

»Höchst gnädig!« knurrte Mr. Harper. Er rauchte wieder. »Landen wir also! Es konnte schlimmer kommen.«


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