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Fünftes Kapitel.
Blutdürstige Bestien.

Die innere Erregung über das, was wir hatten entdecken müssen, bebte noch lange in uns nach, als wir unsere versteckten Plätze eingenommen hatten. Der Geruch aus der letzten Hütte verfolgte uns, doch es konnte Einbildung sein; denn unser Versteck lag außerhalb der Schlucht, und auch bis zu den toten Guaqueros war eine ganze Strecke.

Aber es war Mittag, und der Urwald gärte. Der Steinschutt und der Staub glühten, die Erde und der Moder rauchten, Ranken und Knollen und Blüten hingen schlaff und erschöpft, aber in schwerem Duften. Manchmal platzte es oben in den Zweigen – laut wie ein Schuß aus einem Kindergewehr – und dann polterte eine Frucht zu Boden, und die rotgeschnäbelten Tukane, die hier scheu waren, flogen zur Seite. Nur ein Geier ließ sich durch kein Geräusch stören. Er konnte warten und schien zu wissen, daß wir die Stille des Mittags mit gutem Grund nicht durch einen Flintenschuß zerreißen wollten.

Unerbittlich lastete die heißfeuchte Schwüle des Waldes auf uns. Bleischwer drückte die Müdigkeit auf unsere Lider. Der Gemütsmensch Bonaparte schlief; sein »gutes Gewissen« als Ruhekissen benützend. Der blonde Professor erzählte von indianischen Tempeln, um sich und uns munter zu erhalten. Allmählich wurde ein regelrechter Vortrag daraus.

»Mehr als anderswo in der Menschheitsgeschichte ist hier Seite um Seite mit Blut geschrieben. Mit den vererbten Instinkten des Raubtieres tritt der Mensch in den Kreislauf der Dinge, Tieren wie Artgenossen nachstellend. Mit dem Blut, das an den vorgeschichtlichen Steinwaffen klebte, die über die ganze Erde verstreut gefunden wurden, schrieb er die ersten Blätter. Was wir hier an alten Jagdgeräten und Knochen finden, rührt, wie ich schon sagte, von den alten Chibchas.«

»Hochinteressant!« Mr. Harper stopfte sich gähnend seine Shagpfeife.

Wagemann ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Er machte eine Kopfbewegung nach dem weißen Opferstock. »Wenn der alte Götze da drüben reden könnte! Erzählen aus den Tagen der mächtigen Kazikenreiche die unter den Chibchakönigen von Tunja, Guatabitá und Bogotá blühten! Mehr als ein Viertelhundert Quadratkilometer war ihr Staatsgebilde groß. Uneinnehmbare Festungen waren ihre Kaziken- und Fürstensitze. El valle de los alcázares ... das Tal der Burgen, nannten die Konquistadoren das schätzereiche Land. In den grellroten Eckpfosten der äußersten Einfriedigung befanden sich Gestelle, auf denen Bildsäulen hätten stehen können. Statt dessen zwang man hier lebende Sklaven hinein. Sie dienten als Zielscheibe für Wurfspieß und Pfeil, und ihr Blut fingen Priester auf und weihten es den Göttern. Ihre religiösen Prozessionen wateten im Blute. Goldene Trommeln, Flöten und riesige Muschelhörner übertönten die grausigen Verzweiflungsschreie Gemarterter ... Über lebendig begrabenen Sklaven wurden die Tempel des Sonnengottes, über den zermalmten Gliedern zarter Mädchen die Häuser der Kaziken errichtet. Kein Chibcha starb, ohne daß seine Lieblingsfrauen und erprobtesten Sklaven neben ihm lebendig eingescharrt wurden. Denn die Chibchas hofften auf ein ewiges Leben, sich dasselbe als verschönte Ausgabe des Irdischen ausmalend. Sie wünschten, es möglichst rasch wieder in der alten Umgebung aufnehmen zu können, und daher diese barbarischen Greuel.«

»Kannibalen!« knurrte Mr. Harper. »Haben Sie noch mehr solche hübschen Legenden?«

»Menschenfresser waren die Chibchas nicht. Wer den Priestern zum Opfer verfallen war, wurde lebendigen Leibes geschlachtet, damit Herz und Blut noch lebenswarm den Göttern, von denen Chiminugagua, der Weltenerschaffer, und Bochica, der Menschheitsberater, die angesehensten waren, dargebracht werden konnten. Oft genug mag dieser Wald vor Jahrhunderten vom Lärm ihrer orgiastischen Prozessionen oder vom Tubaton ihrer Muschelhörner widergehallt haben, wenn sie in den Krieg zogen.«

»Ihr Gedächtnis ist erstaunlich«, nickte der Amerikaner anerkennend. »Ich darf Ihnen das als Fachmann sagen. Sie müssen ja nicht schlecht in den alten Schmökern gewälzt haben. Sind das etwa die Aufzeichnungen des famosen Fähnrichs Bahadilla?«

»Nein, Mr. Harper. Es waren wilde Offiziere aus dem Konquistadorenheer, Augenzeugen also, die das alles ziemlich anschaulich beschrieben haben. Gonzalo de Quesada und Juan de Castellanos –«

»Himmel! Auch noch die Namen! Das nenne ich die vielgerühmte deutsche Gründlichkeit.«

» Muß sie nicht sein?« fragte der Professor. Mr. Harpers Antwort war nicht zu verstehen, denn dicht über unsere Köpfe strich laut schreiend und krächzend eine Gesellschaft von Haubenpapageien, die sich im Fluge auflöste und nach verschiedenen Richtungen zerstreute.

»Reich geschmückt,« fuhr der Professor fort, »zogen die Chibchas in ihre Kriege. Auf goldenem Stirnreif schwankten ihre Papageienfedern. Ein goldener Halbmond hing in die Stirn hinein, in der Nase hing eine breite goldene Platte. Gold war ihr Kriegsschmuck. Golden ihre Behänge, ihre Ohrringe, ihre Armbänder. Ja selbst Lippen und Wangen strotzten sozusagen von goldener Fülle, indem die Chibchahelden sich so viel goldene Röhrchen durch Lippe und Wange ziehen ließen, als sie Feinde erschlagen hatten.«

»Eine Ordensschnalle, die nicht allen Ansprüchen auf Bequemlichkeit genügt haben dürfte.«

»Andere Zeiten, andere Sitten, verehrter Harper! Bequem war das Kleid von Gold gewiß nicht. Die schweren Brustschilder, die stark vergoldet sein mußten, habe ich noch nicht einmal erwähnt. Sie hatten also den › el dorado‹, den vergoldeten Mann, wie er im Buche steht. Aber damit noch nicht genug, schleppten sie auch noch als Siegverbürger die in Gold und Smaragdenpracht strahlenden Mumien ihres Stammes mit ins Gefecht. Goldschmuck war wieder der Lohn ihrer Tapfersten.«

»Und am Golde gingen sie zu Grunde. Es ward ihr Verderben, indem es den Konquistadoren ins Auge stach. Sic transit gloria mundi

Der Professor nickte. »Meine Chronisten erzählen, daß Anno 1537 die Spanier ihr erstes Zusammentreffen mit den Chibchas hatten –«

»Was? Noch keine vier Jahrhunderte liegt das zurück?«

»Einhundertsechsundsechzig abgerissene und verhungerte Subjekte unter Gonzalo de Quesada erschienen auf den Höhen, wo jetzt Bogotá liegt, und 120 000 Chibchakrieger zerstoben vor ihnen ohne ernstliche Gegenwehr. Der Anblick der Pferde, mehr noch als die fremdartige Erscheinung der Weißen, die sie für Söhne der Sonne hielten, lähmte sie mit Entsetzen. Gonzalo besiegte sie, in Wahrheit aber besiegte sie ihr Aberglaube.«

»Und die Konquistadoren raubten das Gold?« fragte Herbert.

»Sie nahmen, was sie fanden. Sie hatten mehr erhofft. Die Chibchas besaßen keine Goldfelder und keine Goldminen. Sie hatten ihre Schätze selbst erst durch Mittelpersonen aus anderen Gegenden durch Tausch, vornehmlich gegen Salz, erhalten. Und den Ausbeutern des Landes brachten die erpreßten Schätze keinen Segen, sondern den Fluch, der nun einmal auf dem Golde lastet. Mit den Kolonien zugleich ist die Heimat der Konquistadoren verarmt und verkommen. Das soll uns nicht hindern, uns der kulturgeschichtlich so wertvollen und interessanten Hinterlassenschaft der Chibchas zu freuen. Ich bedaure, daß wir hier zu spät kamen.«

»Sagen Sie das nicht!« Mr. Harper schraubte an seinem Fernglas. »Wären wir gestern in die Versammlung der Verschwörer hineingeplatzt, so hätte uns leicht das Schicksal der Guaqueros blühen können. Und jetzt tun Sie mir einmal die Liebe und halten Sie Ihren Hund fest. Da hinten bewegt sich etwas!«

Vorsichtig richteten wir uns auf. Huitaca war dicht an meiner Seite. Was ich kaum mit dem Fernglas zu entdecken vermochte, hatte er bereits mit bloßem Auge erspäht –

»Es sind ihrer vier, Herr!«

Langsam, aber sicher kam etwas näher, sekundenlang im hohen Gras dem Blick verschwindend.

»Ihr Nigger hat recht«, sagte Mr. Harper leise. »Wir haben Glück! Es sind wirklich ihrer nur vier Mann. Meine größte Sorge war die, daß uns Arboleda mit seinen Reisigen zuerst auf den Hals kommen oder, daß er uns seinen Sprößling aus zweiter Ehe schicken würde, der hier die Erschossenen beerdigen lassen sollte. Wirklich, das Glück ist uns günstig. Der größte von den dunklen Köpfen ist der Transportführer. Er geht am Ende. Das erleichtert die Geschichte erfreulich.«

Mit ruhiger Überlegung wurden nochmals die Rollen verteilt. Dem kräftigsten unserer Arrieros war eine Hauptrolle zugedacht. Der Mann begriff seinen Auftrag schnell. Nur noch hundert Schritt trennten uns von den Herankommenden. Deutlicher unterschieden wir die vier Männer. Die ersten drei waren gefesselt, und die Fessel schien von einem zum anderen zu laufen. Der Mann dahinter, einer von Arboledas Negern, trug einen Spaten über der Schulter und ließ in der rechten Hand einen Ochsenziemer wippen. Er trieb die Gefangenen unsanft vorwärts. Zwei der Männer waren vollbärtig, alle drei schwarzbraun gebrannt bis auf den Hals. » Carajo, carnero ... adelante! – Vorwärts, vorwärts!« drängte der Neger.

Wagemann hatte das Amt, Bonaparte mit dem Revolver in Schach zu halten. Aber der Gemütsmensch dachte nicht daran, seinem Gefährten durch ein Signal zu Hilfe zu kommen, obwohl er längst gemerkt hatte, was unsere Absicht war. Er grinste schadenfroh oder vergnügt, daß er Aussicht hatte, einen Unglücksgenossen zu bekommen. Und das sollte tatsächlich nicht lange dauern.

» Carajo! Adelante!« kommandierte der Neger. »Wollt Ihr vorwärts, zum Teufel!« Er war jetzt mit uns in einer Höhe, und wir hörten, wie schwer der Atem der drei Männer ging, die er vor sich her trieb.

Da brach Mr. Harper aus dem Busch, wir anderen sperrten mit einem einzigen Sprung den Weg, und der Neger konnte nichts tun, als einen Schrei ausstoßen. Allerdings war er nicht so feige wie sein afrikanischer Landsmann: er machte einen raschen Versuch, sein langes Messer aus dem Gürtel zu reißen, und seine Augen mit den bläulich-weißen Augäpfeln rollten wütend. Aber er kam nicht über den Versuch hinaus, seine Arme sanken herab und begannen zu schlenkern, und nun sah ich, daß dem Mann auch nichts anderes übrig blieb, denn der von Mr. Harper bestimmte Arriero war blitzschnell dem Nigger von hinten zwischen die Beine gefahren und ließ ihn buchstäblich reiten!

Es war ein prächtiger Griff, mit dem ihn der Mann in die Höhe hob und noch dazu dabei in vollem Schwung weiterlief ... zehn Schritte oder mehr, bis er seinen unfreiwilligen Reiter kopfüber in die Büsche warf. Den Schwarzen fesseln, war das Werk weniger Sekunden. Er lag auf dem Bauche und zischte in ohnmächtiger Wut ein paar Verwünschungen durch die Zähne. Er war athletisch gebaut, und ein Ruck seiner muskulösen Schultern schien jede Fesselung sprengen zu können. Wir hatten diesem Umstand Rechnung getragen und die Stricke doppelt und dreifach geschlungen. Mit blutunterlaufenen, bösen Augen, sah er uns an, und keinen weniger freundlichen Blick von ihm bekam der Stammesbruder Bonaparte, der gemütlich grinsend sagte: » Buenos dias, amigo Francisco! Que sopresa! ... Welche Überraschung!«

Die drei Gefangenen konnten vor Freude lange kein zusammenhängendes Wort sprechen. Sie waren, nachdem sie Mr. Harpers Flaschenpost in Hoffnung gewiegt hatte, verzweifelt gewesen. Der Neger hatte sie gehörig mit Schlägen traktiert, wenn sie nicht weiter gelaufen waren. Auf dem Transport in der sengenden Sonnenglut war ihr letztes Hoffen, befreit zu werden, gestorben.

»Der Allmächtige lohne es Ihnen, wer Sie auch sein mögen!«

Sie bekamen zu trinken, und dann mußte an den schnellsten Aufbruch gedacht werden. Alle Fragen hatten später Zeit. Verweilten wir hier noch länger, so konnten wir mit Sicherheit darauf rechnen, daß andere Leute von Elisardo kamen. Und ein zweites Mal würde uns das Glück, alles nach Wunsch zu erreichen, nicht so hold sein.

Eine Viertelstunde später hatten wir unseren Laufsteg passiert und nichts Eiligeres zu tun, als diese Brücke hinter uns abzubrechen. Krachend und polternd sausten die beiden Baumstämme in die Tiefe, nachdem ich mit Huitaca als letzter das Hindernis genommen hatte.

Unser guter Dr. Stenger kam aus der Verwunderung nicht heraus, als er von Herbert in abgerissenen Sätzen unsere Entdeckungen berichtet bekam.

»Das ist ja furchtbar! Das ist nicht zu glauben, Herbert!« rief er einmal über das andere. »Bis jetzt wagte ich immer noch zu zweifeln ... also wirklich die Skelette von eingekerkerten Weißen? Ach, du liebe Güte! Wenn man in die abscheulichen Visagen dieser Neger sieht ... bei dem einen besonders, den Ihr so stark gefesselt habt ... da muß man euch ja glauben. Und Sie wollen uns«, fragte er mich, »doch nicht zumuten, daß wir die Schwefelbande mitschleppen?«

»Da wird uns zunächst nichts anderes übrig bleiben, lieber Doktor, wenn Sie nicht wünschen, daß uns die beiden eine ganze Meute von Feinden auf den Hals hetzen. Denn darüber, daß wir jetzt Arboleda zum Feinde haben, brauchen wir uns keiner Täuschung hinzugeben.«

»Wir fürchteten,« sagte der Professor, während wir uns in Marsch setzten, »Sie würden böse sein, daß wir Sie nicht holten. Ich erkläre das –«

»Später! Später, mein Bester! Ach, die Hauptsache ist doch, Sie sind alle heil wieder da. Ich habe keine ruhige Minute gehabt, das dürfen Sie mir glauben. Und Sie haben erreicht, was Sie wollten! Ohne Blutvergießen, was mich am meisten freut. Und die drei Venezolaner glücklich eingebracht! Nein, nein! Reden Sie jetzt bloß nicht von dem alten Heidenmal ... ich bin ja noch wie vor den Kopf geschlagen, wenn ich mir das alles überlege, was Sie da gesehen und geleistet haben. Nein, nichts jetzt von den Unglücksgräbern! Die Hauptsache ist, wie gesagt, daß keinem von uns ein Haar gekrümmt ist.«

»Da muß ich widersprechen,« sagte der Professor. »Die Hauptsache ist jetzt, daß wir die Beine unter den Arm nehmen und vor Abend noch ein gut Stück Wegs zwischen uns und die Pferdebeine unserer voraussichtlich nicht lange fackelnden Verfolger legen. Uebermäßig lange wird sich ein mit allen Wassern gewaschener Kämpe wie Arboleda nicht darüber im Zweifel bleiben, wer ihm ins Gehege gekommen ist. Wir dürfen doch nicht vergessen, daß es beinahe die einzig geregelte Tätigkeit dieses Mannes ist, sich vor Spionen zu schützen, und daß er fraglos System in seinen Überwachungsdienst gebracht hat.«

»Und vergessen wir auch seine Spürhunde nicht!« fügte Mr. Harper hinzu und trieb die Guahibos zur Eile an. »Seine vierfüßigen nämlich. Auf seine afrikanischen Nigger gebe ich nicht viel. Sie sind schlechtere Fährtensucher als die Indios. Aber Arboleda hat Bestien im Stall, wie sie gestern den Kollegen unsrer Venezolaner gestellt haben. Unsere Schützlinge erholen sich übrigens zusehends. Der eine, namens Juarez, arbeitet, wie ich inzwischen erfahren habe, auf der »Policia« in Ciudad Bolívar und stellt so etwas wie einen Detektiv vor. Die beiden anderen geben an, Rancheros aus der Nähe von Bolívar zu sein, die sich der »guten Sache« zur Verfügung gestellt haben. Und wie kleine Ranchobesitzer sehen sie ja auch aus und verraten eine leidliche Bildung. Der eine, Barrada, ist ein korsischer Einwanderer. Na, das werden uns die drei heute abend ausführlich erzählen. Jetzt habe ich nur den Wunsch, daß wir bald auf einen Wasserlauf stoßen.«

»Sehr richtig!« nickte Dr. Stenger. »Ein Waldquell käme wie gerufen. Ich kann wieder einmal konstatieren, daß die Hitze immer noch durch Steigerungen überrascht. Finden Sie nicht, daß sich hier die Temperatur so anläßt, als ob fünfzig Schritte vor uns ein Präriebrand wütete?«

»Mit einem Waldquell, wäre mir nicht gedient.«

»Sagen Sie das nicht! Wenn er ordentlich sprudelt ...«

Mr. Harper schüttelte energisch den Kopf. »Ein Fluß, lieber Doktor. Es muß ein Fluß sein.«

»Sie scheinen heute noch ärgeren Durst zu haben wie ich. Ich fühle mit Ihnen.«

»Ich habe aber weder Durst, noch wünsche ich, den Fluß, den ich suche, auszuschöpfen. Im Gegenteil, ich wünsche, daß er so viel Wasser nach dem Rio Meta wirft, wie möglich und daß er es behält, wenn Arboleda mit seinen Spürhunden hinter uns her sein sollte.«

Der dicke Stenger machte ein verdutztes Gesicht. Dann lächelte er. »Endlich kapiere ich! Das kommt davon, wenn die Hitze das Hirn zäh wie Leder macht. Ein schönes Mißverständnis! Und zunächst fürchte ich, werden wir beide nicht auf unsere Rechnung kommen. Hier ist die Strauchvegetation höllisch versengt. Ich beneide immer wieder unsere Guahibos, deren Tracht sich in einem Lendentuch oder allenfalls in einem Kollier von Jaguarklauen erschöpft.«

»Das würde Ihnen auch wieder nicht zusagen wegen der Stacheln und Dornen.«

»Auch wieder richtig! Die Kakteen nicht zu vergessen, die nur Ihr Amerika kennt. Geradezu das Kennzeichen für diese Wälder sind sie, oder um im Bilde der wissenschaftlichen Abhandlung zu bleiben, die mir vorschwebt, der hervorstechendste Zug im Antlitz des südamerikanischen Urwaldes. Alles ist stachlig und drahtig –«

»Wie wir Amerikaner alle! Und was die Kakteen anlangt, so werden Sie die noch liebgewinnen. Es ist Ihnen wohl noch nicht einmal bekannt, daß die saftreichen Stämme vieler Kaktusarten in wasserarmen Landstrichen als ewigfließender Quell der Erfrischung geschätzt werden?«

»Doch, doch! Ich besinne mich dunkel. Probiert habe ich's freilich noch nicht.«

»Dann nehmen Sie mal Ihr Messer und rücken Sie dem Kugelungetüm da rechts hinter dem Ingastrauch zu Leibe. Das ist wahrhaftig der Wolf in der Fabel! Ein Melonenkaktus, wie Sie sich ihn nicht besser wünschen können.«

Huitaca brachte dem Kaktus einen wohlgezielten Hieb mit dem Machete bei, und Dr. Stenger ließ sich die fleischige Pflanze aufs Pferd reichen. Nach der sofort angestellten Kostprobe erklärte er, das übersteige allerdings seine Erwartungen.

»Auch die meinigen,« lautete Mr. Harpers Antwort. »Ich sehe da eine gelbe Orchideenart, die ich bisher nirgends anders als in der Nähe eines Wassers gefunden habe. Heute klappt wirklich alles nach Strich und Faden.«

Huitaca blieb lauschend stehen. Sein geschärftes Ohr hatte etwas vernommen, was uns anderen nicht aufgefallen war. Erst wähnten wir, es drohe uns eine schlimme Überraschung, und dann war es die angenehmste, die wir an diesem Nachmittag erleben sollten: Mr. Harper hatte wieder einmal richtig prophezeit ... auf einmal hörten wir es alle. Aus der dunklen, laubverhüllten Wildnis vor uns klang ein Gemurmel herauf ... ein gleichmäßiges Rauschen und Plätschern, und nach wenigen Schritten schimmerte es licht durch die Sträucher ... der ersehnte Flußlauf war da, war Wirklichkeit!

Er war nicht übermäßig breit und nicht tief, auf unseren Karten glänzte er natürlich durch Abwesenheit, um so freundlicher aber glänzte uns sein grünes, flinkes Wasser entgegen. Wir befanden uns in einer sogenannten Capoeira, einer Lichtung, die vermutlich durch Waldbrand geschaffen, später aber von niederem Buschwerk bedeckt worden war. Erst weiter nördlich trat unser Flüßchen wieder in geschlossenen Wald. Zierliche, schön gefärbte Schwalben flogen über dem Wasserspiegel umher, und ein paar Geckos, sonst nicht scheu, da sie sich im Vertrauen auf ihre Schutzfärbung sicher fühlen, stürzten sich mit der diesen Echsen eigenen Geschwindigkeit mit einem mächtigen Satz in die Fluten. Lange, flaschenförmige Nester, in denen Japús brüten mochten, hingen von den Ästen der Sträucher herab, deren Gewirr unsere Peonen mit geschicktem Messerhieb zerrissen.

Vorsichtig setzten unsere Tiere den Fuß in das blinkende Naß, das wir nicht überschreiten, sondern in dessen Flußbett wir eine Strecke südlich hinaufwandern wollten.

Professor Wagemann hielt sich in meiner Nähe. Die grünen, über moosumkrustete Steine plätschernden Wellen umspülten unsere Knöchel. In langen Zügen schlürften unsere durstigen Tragetiere: immer und immer wieder bückten wir uns, um mit der hohlen Hand das Labsal an die Lippen zu führen.

»Ein guter Gedanke von unserem Allerweltsamerikaner«, sagte Wagemann. »Gegen Spürhunde ist kein besseres Kraut gewachsen als Wasser. Und dieses hier tut uns außerdem den Gefallen und verwischt unsere Fußspuren.«

»Mir ist es zur Vervollständigung der Karte willkommen«, gab ich zur Antwort. »Es ist natürlich eine unbekannte Größe, die auch auf den besten Karten nie einen Namen führen wird, ein Tropfen im heißen Stein ...«

»Und dennoch stattlicher als tausend und abertausend Dorfbäche in unserer geliebten Heimat.«

Auf meinem Kroki prangte alsbald ein »y«. »Die Namensgebung ist kurz«, sagte ich.

»Das ist indianisch,« nickte der Professor Herbert zu. »Da hast du wieder etwas gelernt. Die Silbe hy oder y heißt nichts anderes als Wasser oder Fluß. In Zusammensetzungen hat sie den Ton. So heißt der Quellfluß des mächtigen La Plata Para-cua-hy, was so viel sagen will wie ›Quelle des Meeres‹, und Uru-cua-by, ›Wasser des bunten Vogels‹. Die alten Indios waren geborene Dichter.«

»Und die heutigen haben die blumige Sprache behalten.«

»Ein Erbteil – gewiß, aber welch armes! Die einst die unbestrittenen Herrscher der unermeßlichen Wälder waren, erreichen jetzt an Zahl kaum die Einwohnerschaft einer mittleren deutschen Stadt. Es ist ein Kapitel voll Trauer und Wehmut, das von den roten Söhnen der Wildnis erzählt. Noch spalten sie sich in hundert Stämme, aber sie schmelzen dahin wie das Eis in der deutschen Märzsonne. Von großen Indiosvölkern leben hier nur noch wenig Familien. Mit den Enkeln verlöscht ihr Stamm vielleicht für immer. Des Urwalds Losung, rastloser Kampf auf Leben und Tod, ist ihnen als Erbteil geworden.«

»Eine ernste Mahnung für die Vergänglichkeit alles Irdischen«, sagte Herbert, den des Professors Worte traurig stimmten. »Gibt es einen grausameren Gedanken, als daß einst Leere herrschen soll, wo große, regsame und glückliche Völkerschaften gelebt haben?«

»Wir wandern schon durch diese Leere,« ging Wagemann auf den Zwischenruf ein. »Hier ist die Leere an Stelle der Indianerstämme getreten. Die glühende Sonne, die Mutter von allem, hat ihre eigenen Kinder verschlungen.«

»Nun ist's aber wirklich genug. Auch die Vorsicht hat ihre Grenzen.« Mr. Lear Harpers Stimme riß uns in die Wirklichkeit zurück. »Ich glaube, Sie haben gar nicht bemerkt, daß wir schon seit fünf Minuten trockenen Fußes dahinschlendern? Haben Sie wieder Ihre old Chibchas mit Gold und Smaragden beladen?« Er hatte seinen leise spöttischen Zug um die Mundwinkel. »Und Sie taten gut daran, daß Sie an den Stand der Sonne erinnerten. Wir werden bald an Rast und Abendbrot denken können.«

Dr. Stenger hatte sich mit den Venezolanern unterhalten. Sie hatten sich von ihrem Schrecken und der unsanften Behandlung zusehends erholt. Jetzt waren sie die Eifrigsten, die zu flottem Weitermarsch trieben. Der Gebrannte fürchtet das Feuer.

Und unser Marsch, sich nun wieder scharf ostwärts haltend, wie es in unserem Reiseplan von Anbeginn vorgesehen war, ging noch über eine geographische Meile ohne nennenswerte Schwierigkeiten vor sich. Was uns schon am Flußbett aufgefallen war, erhielt seine Bestätigung: ein ausgedehnter Waldbrand, vielleicht durch einen Blitzstrahl hervorgerufen, hatte eine langgestreckte Capoeira bloßgelegt, und die Dornen und Disteln – um mit Dr. Stenger zu reden, das hervorstechendste Merkmal des südamerikanischen Waldes – waren hinter uns geblieben. Wir waren überrascht, als uns der langgezogene, flötende Ruf eines Inambús daran gemahnte, daß die Dämmerung bald einsetzen würde. Wir hatten den Vogel noch nie zu Gesicht bekommen, aber jeder wußte, daß auf ihn Verlaß war. Nicht umsonst führt er wegen seiner Pünktlichkeit, mit der sein Flöten den Beginn der Dämmerung ansagt, den Namen Inambu relogio ... Uhren-Inambú!

Nun hieß es allerdings, mit den Arbeiten fürs Biwak keine Minute mehr verlieren, aber wir hatten darin ja schon einige Übung und waren durch Erfahrung gewitzigt. Schon machte sich ein zartes, silberiges Dämmerlicht bemerkbar, als wir die Pflöcke für unsere Toldos einschlugen. Ein großes Rundfeuer anzuzünden, verbot uns die Vorsicht. Wir wollten uns mit Windlichtern und Azetylen-Laternen begnügen und die Spirituskocher in ihre Rechte treten lassen. Heute durfte mit den kostbaren Konservenbüchsen nicht gegeizt werden, die eigentlich späteren Tagen vorbehalten bleiben sollten, und Peonen und Arrieros fügten sich, ohne zu murren. Nur, daß sie bei ihrem, heute doppelt reichlich zugemessenen Guarápo auf den Genuß der Musik verzichten mußten, schien ihnen leid zu tun. Der Spaßmacher der Gesellschaft drehte wehleidig sein Chucho in den Händen.

Schließlich war aber für alle der Tagesbedarf an Anstrengungen, an denen ein Eingeborener mehr wie anspruchslos ist, gedeckt, und es dauerte nicht lange, bis das braune und rotbraune Völklein seine Chinchorros aufsuchte. Den Bedarf an musikalischen Darbietungen übernahmen bereitwillig die Monstrekapellen von Sechsfüßlern, Zikaden und Heupferden, die hier mit besonders kräftigen Stimmbändern und Streichinstrumenten ausgestattet zu sein schienen.

Wir anderen hatten uns um die beiden Windlichter gruppiert und versuchten, uns der ungebetenen, durch die Flamme angelockten Moskitos durch ausgiebiges Rauchen einigermaßen zu erwehren. Wir hatten aber nicht eine Minute vergessen, ein besonders achtsames Auge auf unsere beiden unfreiwilligen Gäste zu haben. Bonaparte und Francisco waren, so dunkelhäutige Artgenossen sie sonst darstellten, an Gemütsverfassung verschieden wie Tag und Nacht. Während Bonaparte die Welt mit den Augen des Sanguinikers ansah, der die Dinge und Ereignisse mehr von ihrer angenehmen als ihrer trüben Seite zu nehmen gewohnt ist, rollte der cholerische Francisco noch immer wütend die Augen. Entschieden war er mehr Held. Bisher hatte er standhaft jede Nahrungszufuhr verweigert, und es war unschwer zu erraten, wohin seine Gedanken kreisten.

Antonio konnte es nicht verstehen, daß wir die schwarzen Bestien, wie er – selbst reichlich schwarz – die beiden nannte, hatten am Leben lassen können. Und selbst die drei Venezolaner an kurzen Prozeß gewöhnt, wenn es sich um derlei Subjekte handelte, sprachen von falscher Großherzigkeit, die uns zwar Ehre mache, aber unter der heißen Sonne ihres Landes wenig Anhänger habe.

»Ich gebe zu,« antwortete der blonde Professor ihnen, »daß wir Europäer in dieser Hinsicht etwas zurück sind. Ich habe aber erst vor ein paar Stunden daran erinnert, daß in diesen Zonen gerade genug Menschenblut vergossen wurde. Götter und Menschen waren gleichermaßen blutdürstig. Wir werden bestimmt nichts tun, die Zahl der Opfer zu vermehren. Eine andere Frage ist dagegen die, wie lange wir uns mit den beiden Kerls, die gewissermaßen ein Danaergeschenk sind, herumschleppen wollen.«

»Das ist eine Sorge, fürchte ich, der uns das nobile par fratrum bei der ersten sich bietenden Gelegenheit überheben wird. Es wird lediglich unseres Amtes sein, dafür zu sorgen, daß diese Gelegenheit nicht zu zeitig eintritt.«

»Nicht heute und morgen«, nickte Mr. Harper. »Dann sind die Burschen ungefährlich.«

Er brach ab und horchte. »Hörten Sie das Knacken in den Zweigen?«

»Ich hörte nichts,« sagte ich, »aber sehen Sie den Hund unseres Professors an! Er retiriert unter den Tisch.«

Wagemann war schon aufgestanden. Er hob den Karabiner in Anschlag. Mr. Harper wollte ihm in den Arm fallen, aber schon krachte der Schuß. Im Nu fuhr alles in die Höhe.

»Um Himmelswillen! Wollen Sie Arboleda alarmieren?«

Der Professor senkte die Waffe. »Ganz und gar nicht. Aber ich hatte nicht Lust, plötzlich den ungebetensten Eindringling, den wir uns denken können, an unserem Tische auftauchen zu sehen. Ich beobachtete Tyras und wußte, daß er nicht grundlos zurückwich. Zwei grüne Augen leuchteten, gerade von unserem Lichtschein getroffen, aus dem Dunkel. Ich zweifle nicht, daß es ein Jaguar oder ein Puma war.«

»Den Sie gefehlt haben. Wenigstens hörten Sie wohl eben das Brechen der Zweige noch deutlicher. Aber Sie haben gute Augen gehabt: es scheint in der Tat eine große Katze zu sein, die da unter Rumor abgeht.«

»Ich muß getroffen haben ...«

»Das wird sich morgen früh zeigen. Nicht eher. Wollen wir hoffen, daß der Schuß keine Folgen für uns weckt, die uns teuer zu stehen kommen.«

»Und wenn die Bestie uns angesprungen hätte?«

»Sie würde sich gehütet haben. Ich kenne diese feigen Katzenseelen. Auf Hunde sind zwar beide erpicht, Jaguar sowohl als auch Puma, und das hat Ihr Köter offenbar begriffen. Im übrigen waren wir dem Raubtier hier viel zu viel wachsame Leute. Und dasselbe gilt von der Stallgasse. Die Arrieros und Peonen, soweit sie gerade aufpassen, hätten ihm einen üblen Empfang bereitet.«

Antonio bestätigte das. Seine Leute hätten schon gestern die Nähe der großen Katzen gewittert und das Blasrohr bereit gehalten.

»Mit dem Blasrohr – das läßt sich hören. Aber Schüsse, wie gesagt, könnten uns ein Räuberkorps auf den Hals hetzen, mit dem ich es noch weniger gern zu tun habe als mit Jaguar und Puma. Wenn es tagt, werden wir sehen, ob das Tier wenigstens geschweißt hat. Glauben Sie, es wirklich angeschossen zu haben?«

Der Professor nickte. »Ich hielt direkt zwischen die grünschillernden Lichter. Die Entfernung – das will ich zugeben – mag mich getäuscht haben. Abgekommen bin ich jedenfalls gut.«

Er machte auch, trotz der Warnungen von allen Seiten, den Versuch, in das Dunkel des Laubwirrsals vorzudringen, gab aber nach kurzer Zeit das Beginnen auf. In dieser augenlosen Urwaldsnacht war es wirklich aussichtslos und gefährlich, sich auch nur einen Schritt von unserem Biwak zu entfernen.

»Zweierlei Gutes hat Ihr schnelles Handeln jedenfalls, lieber Wagemann«, meinte Dr. Stenger, dem Freunde auf die Schulter klopfend. »Erstens: der Jaguar kommt heute nacht nicht wieder. Zweitens wird es ein Schreckschuß für die beiden Schwarzen gewesen sein, die sich wohlweislich hüten werden, in eine Finsternis waffenlos hinauszulaufen, wo große Katzen lauern. Ich habe den Eindruck, als ob der Master Francisco plötzlich etwas zahmer geworden ist.«

Es lag auf der Hand, daß unsere Unterhaltung nicht von dem unheimlichen Besucher abkommen wollte. Mr. Harper wollte wetten, daß es kein Jaguar, der sich ausschließlich in nächster Nähe der großen Ströme aufhalte, gewesen sei, sondern höchstens ein Puma, der noch ein Teil feiger sei als der Jaguar. Er behauptete, das Pumaweibchen lasse sogar seine Jungen im Stich, wenn ein Mensch sich nähere, und zur Wehr setze sich das Tier überhaupt nur, wenn ihm die Flucht abgeschnitten werde.

»Das heißt, sich um den Braten streiten, ehe man ihn gesehen hat, und außerdem die Jägerehre unseres lieben Wagemann schmälern wollen.«

»Und der Puma ist entschieden mordgieriger«, sagte der Venezolaner Juarez. »Ich sprach mit Vacqueiros und Gauchos, die einen Puma zur Strecke brachten, der in einer einzigen Nacht vierzig Schafe gewürgt hatte. Er hatte nicht ein einziges gefressen oder in Stücke gerissen, nur ihr frisches Blut hatte er gesaugt. Bei uns sind sich alle einig, daß er an Mordlust den Jaguar noch übertrifft.«

»Und daß man auf solche Bestien schießen muß, ohne lange zu untersuchen, ob ein Jaguar oder ein Puma im Gebüsch herumkraucht, ist doch geradezu ein Gebot der Selbsterhaltung.«

»Und war das mit dem Blasrohr ein besserer Witz, Mr. Harper?« fragte Herbert, den sein Oheim nur mit Mühe hatte abhalten können, daß er sich ins Dickicht aufmachte, um die vermutlich erlegte Katze zu suchen.

»Insofern, als ich das indianische Instrument bestimmt nicht hätte blasen können«, antwortete statt des Amerikaners der Professor.

»Und doch ist die älteste Jagdart noch immer die sicherste, wenn auch nicht gerade bei Nacht. Die Einräumung will ich machen,« sagte der Mister. »Die Indios, die aus ihrem Bambusrohr kleine vergiftete Pfeile blasen, sind auf ihr Schießen nicht wenig stolz.«

»Das sieht man, da sie die Klauen als Trophäe am Lendenschurz tragen.«

»Die Wunde ist natürlich so winzig, daß sie der Jaguar gar nicht zu beachten pflegt, und doch stirbt er nach wenigen Minuten an den furchtbaren Wirkungen des Giftes.«

»Und das Gift? Wo bekommen es die Rothäute her?« fragte Herbert.

»Aus der Apotheke!« gab Mr. Harper schnippisch zur Antwort.

»Wenigstens aus der großen Apotheke der Natur«, ergänzte der Professor. »Auf engstem Raum, in traulicher Nachbarschaft wachsen in diesen vielseitigen Dickichten gute Säfte und böse, heilende neben todbringenden. Und meine alten Indianer galten schon für gute Trankbereiter, deren pharmazeutische Talente erstaunlich waren. Heute nachmittag hörten wir mit lautem Knall eine Frucht zerplatzen. Es war Balsam, der sich aus ihr ergoß. Die Rinde der Rutacee schenkt uns die Basis des bekannten Angosturabittern. Aus der Rinde des Cusparebaums, deren wir schon so viele im prächtigsten Blütenschmuck sahen, gewannen die Indianer von alters her einen Extrakt gegen das Fieber, den sogar der große Humboldt mit gutem Erfolg am eigenen Leibe ausprobierte. Und kein geringerer als Kaiser Karl V. kurierte seine Gicht mit der schweißtreibenden Sarsaparilla, die noch heutigentags nur gegen das Sumpffieber gefeite Indios zu beschaffen vermögen, da die Liane, aus der sie gewonnen wird, nur an den feuchtesten Stellen des Urwalds am venezolanischen Rio Guaniamo wächst. Und aus den Stengeln des Brechnußbaumes, die wie harmlose Gentianen die Stämme emporklettern, wird das furchtbare Pfeilgift Curare gewonnen – gleich entsetzlich wirkend wie das berüchtigte Upas, das die Malaien und Javanesen aus dem Milchsaft des Antscharbaums zusammenbrauen. Ja, das Indianergift ist noch schlimmer, denn die Malaien ließen sich nach langen Jahren das bis dahin streng bewahrte Geheimnis eines Gegengiftes abtrotzen, während die Wissenschaft kein Gegengift gegen das indianische Pfeilgift kennt. Denn leider sind es ja nicht nur Cuguar und Jaguar, die an das Gift glauben müssen. Doch genug nun von diesem Hexenkessel! Sie werden wohl schon wieder nervös, Mr. Harper?«

Der Amerikaner stampfte mit dem Fuß. » Goddam!« fluchte er, »da soll einer nicht fuchsteufelswild werden! Ich habe Ihnen zugehört, und mir ist die Pfeife dabei ausgegangen.«

»Nichts weiter?«

»Und da machen Sie solch ein Gesicht?«

» Well!« gab der Mister, jetzt schon ruhiger, zur Antwort und zog seinen Tabaksbeutel hervor, um sich die Pfeife zu stopfen. »Wenn nur meine Pfeife ausgegangen wäre, möchte es noch gehen. Aber es ist noch jemand anders ausgegangen. Während ich meine Pfeife ausgehen ließ, ist die schwarze Kanaille Francisco auf Reisen gegangen!«

Wir fuhren hoch. »Und das sagen Sie so ruhig? Ist das Ihr Ernst?«

Er wies nur nach dem Platz, wo die beiden Neger gelegen hatten. Franciscos Platz war leer. Bonaparte saß mäuschenstill und tat so, als ob er schliefe, mitunter aber blinzelte er durch die Lider. Er mochte denken, daß er sich lediglich durch Vortäuschen völliger Ahnungslosigkeit vor unserem Zorn retten könne. Als ich ihn rüttelte, rieb sich der alte Heuchler umständlich die Augen, dann tastete er neben sich, wo vorher der Entfesselungskünstler gelegen hatte und rief: » Adelante, Francisco! Steh auf! Gute Señores wollen uns sprechen!«

»Quatschkopp!« verwies ihn Wagemann zur Ruhe. Und dann überlegte er, ob er seinen Tyras loslassen solle.

»Lieber nicht!« riet Mr. Harper. »Wenn Sie den Puma nicht richtig getroffen haben, können Sie ihn loswerden, und der schwarze Hund ist inzwischen –«

Aber weiter kam Mr. Harper nicht. Ein markerschütternder Schrei gellte aus dem Dickicht ... ein einziger, aber so furchtbar, daß er jedem Menschen durch und durch gehen mußte.

Entsetzt und sprachlos sahen wir einander an, atemlos in die undurchdringliche Finsternis hinaushorchend.

Doch nichts regte und rührte sich. Kein zweiter Schrei folgte.

»Was – war das?«

»Ich fürchte,« antwortete der Professor, der beim Schein des Windlichtes blaß aussah, nicht eben laut, »der Urwald hat grausam ein Opfer gefordert!«


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