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II.
Ereignisse in einem Wüstenhotel

1.

Zwischen einem Meer von Sand und einem Meer von Sonne liegt eine grüne Insel aus Palmen. Ringsherum dehnt sich eine unermeßliche Sandfläche, darüber flammt eine unbarmherzige Sonne, aber mitten aus dem Sande entspringt eine Quelle mit lebendem Wasser, und die Tyrannei der Sonne und des Sandes ist gebrochen.

An den Gestaden von hundert murmelnden Bächlein stehen Palmen zu Tausenden und Abertausenden. Ringsumher liegt die Wüste in allen Nuancen von Sand und Salz; darüber brennt der Himmel in allen Nuancen von Feuer und Flammen; aber zu Füßen der Palmen singt das Wasser, durch die Kronen der Palmen geht ein kühler Wind, und im Schatten der Palmen leuchten Blumen, Früchte und Vögel. Das Wasser schuf die Palme, und die Palme schuf die Oase. Ihre Datteln sind die Nahrung der Menschen; ihre Blätter geben Hüte, Fächer und Eseldecken; ihre lockeren Außenfibern geben Körbe, um die Datteln einzupacken; ihr Stamm gibt Bauholz und Feuerung. In einer Wiege von Palmenblättern schlummern die Kinder, im Schatten der Palmen wird die Arbeit der Männer verrichtet, und zwischen vier Palmenbrettern schlafen die Toten ihren langen Schlummer.

Aber die Besitzer und Züchter der Palmen wohnen nicht in ihrem Schatten, sie wohnen in Tozeur.

Wo die Wüste ihre Grenzlinie gegen die Oase zieht, liegt ein Haufen niedriger, fensterloser Häuser, aus wüstenfarbenen Ziegeln erbaut. Sie werden den lieben langen Tag von einer glühenden Sonne gebacken. Sie verschmelzen mit der Farbe des Wüstensandes, der bis zu ihren Türen hinaufgeht. Aus ihrem Inneren hört man das Meckern von Ziegen, das Schreien von Eseln, das Quäken von kleinen Kindern und das Geplapper der Frauen. Sie haben ein flaches Dach und einen Boden aus gestampftem Lehm; und hier wohnen die Besitzer der Oase mit Frauen, Kindern, Haustieren, hier lieben, leben und sterben sie im selben Raum. Draußen in den sandigen Straßen und auf dem großen Marktplatz, auf dem die Fliegen schwärmen, treiben sie ihren Handel. Da wird unter Mitwirkung der Fliegen Fleisch, Gemüse und Obst verkauft. Lebende Ziegen werden zum Verkauf gebracht, und das Oasenwasser in der Haut toter Ziegen hingeschafft; die schwarzen Zotteln sitzen noch an den Häuten, die, vom Wasser ausgespannt, trunkenen Satyrn auf dem Heimweg gleichen. Da sitzen die Männer tagaus, tagein in ernsten Gesprächen, da legen wandelnde Marabous den Koran aus und umherziehende Wahrsager mit bunten Teppichen sagen die Zukunft voraus. Wenn es sich gegen Abend abkühlt, kommen Sänger, die Gedichte von den Heldentaten vergangener Zeiten vortragen; sie begleiten sich auf einsaitigen Violinen und auf Tonkrügen, über deren Oeffnung man eine dünne Haut gespannt hat. Schlangenbeschwörer kommen; sie haben einen Sack voll Schlangen, die im Takt tanzen, wenn sie die Flöte spielen, und ihre weißblauen kalten Giftrachen zeigen, wenn die Schlangenbeschwörer sie vor der Menge emporheben.

Das ist die Wüstenstadt Tozeur.

Und ringsumher liegt die unermeßliche Wüste, in allen Schattierungen von Rost, Schwefel, Sand und Salz schillernd, bald dunkelbraun wie die Burnusse der armen Araber, bald gelb wie ein Löwenfell, bald weiß wie längst entblößte weiße Gebeine. Und an dem dunstblauen Himmel brennt die Sonne, verzehrend, allmächtig, unerschöpflich und unerbittlich wie die Wüstenkönige und Wüstengötter alter Zeiten, wie Assurbanipal und Sanherib, wie Baal und Moloch.

2.

An der Grenze zwischen Tozeur und der Oase liegt das Dattelpalmenhotel – ein niedriges einstöckiges Haus, aus wüstenfarbenen Ziegeln, um einen offenen bepflanzten Hof erbaut. Um den Hof geht ein gedeckter Säulengang – ein Patio – und aus diesem kommt man direkt in die Zimmer.

Im Patio des Hotel des Dattiers saßen an diesem funkelnden Wüstentag sechs Herren bei ihrem Kaffee. Sie saßen an zwei Tischen, die ziemlich weit voneinander entfernt standen. Aber das hinderte den Kellner nicht, seine Aufmerksamkeit zwischen den zwei Tischen gleich zu verteilen, denn Afrika ist das Land der Augenkrankheiten, und gleich dem ganzen Hotelpersonal schielte auch er auf das fürchterlichste. Im übrigen war er ein wolliges Halbblut, das danach aussah, erst ganz kürzlich aus den Palmen herabgestiegen zu sein und ein aufrechtgehendes Dasein begonnen zu haben.

Monsieur Lavertisse sagte:

»Was ist Ihr erster Eindruck von diesem sonderbaren Ort, Professor?«

»Ich habe mehr Esel, Fliegen und von Fliegen gestochene Esel gesehen, als sonst irgendwo in der Welt. Und mehr Palmen. Aber von einer Sache habe ich keinen Schimmer gesehen.«

»Und das wäre?«

»Von Menschen in Horizontblau mit einem Regenbogen auf der Brust. Mit anderen Worten: Militär. Die Oase untersteht offiziell Frankreich, und es geht eine Eisenbahn hin. Aber man findet hier kein Dutzend weiße Menschen, und nicht einer von ihnen ist Soldat. Bis mit dem Zuge, mit dem wir fuhren, Soldaten herkommen können, kann in Tozeur alles erdenkliche geschehen.«

»Meinen Sie Aufruhr?«

»Warum nicht? Aber weshalb gerade Aufruhr? Tozeur ist die reichste Oase in der Sahara, behauptet der Führer. Hier sind zweihunderttausend Palmen und weiß Gott wieviel Aprikosen- und Feigenbäume. Ein paar von den arabischen Plantagenbesitzern sind Millionäre. Früher einmal war die Oase ein ständiges Ziel für Räuberexpeditionen. Und wenn sie nicht von außen angegriffen wurden, so kämpfte man im Inneren. Sagen Sie mir, Lavertisse, was halten Sie von den drei Herren am anderen Tisch?«

Monsieur Lavertisse sah flüchtig zu dem anderen Tisch.

»Sie sehen ungleich aus,« sagte er lakonisch. »Wenn unser Freund, der Wahrsager in Ain Ghrasesia, hier wäre, könnte er uns sicherlich ausführliche Aufschlüsse über sie geben nom d'un petit chien! Ich muß gestehen, daß er mir imponiert hat.«

In diesem Augenblick trank Mr. Graham seine Kaffeetasse aus, wischte sich den Schweiß von der Stirn und sah mit starren Porzellanaugen die drei Herren an dem anderen Tisch im Säulengang an. Der eine von ihnen war klein, mit verschmitzten Augen, dunklem Bart und einer überlegenen Miene. Der nächste hatte ein glattrasiertes römisches Senatorengesicht mit leicht geröteter Nase und scharfen Falten um die Mundwinkel. Der dritte hatte ein Aussehen, wie man es bei Erfindern oder monomanen Personen antrifft: Klarer, wasserblauer, starrer Blick, rotblonder struppiger Schnurrbart, vorgebeugter Kopf und ein Anzug, bei dem die gebauschte Krawatte dominierte. Mr. Graham sah mit seinen Porzellanaugen diese drei Herren an und sagte mit einer Stimme, die selbst für eine Wüstensiesta zu verschlafen war:

»Der eine ist Franzose, der zweite ist ein Engländer und der dritte ein Deutscher.«

Monsieur Lavertisse lachte ein nicht sehr schmeichelhaftes Lachen.

»Ein Engländer, ein Franzose und ein Deutscher! Aeußerst wahrscheinlich. Engländer und Franzosen kommen schon seit dem Krieg recht schwer miteinander aus, aber Sie wollen ihnen noch obendrein einen Deutschen zur Gesellschaft geben! Und in Tunis! Sie vergessen, daß Tunis eine französische Kolonie ist, und daß in den nächsten zwanzig Jahren kein Boche in die Kolonien hineinkommt. Ich glaube, der prophetische Geist ist mit dem Teppich futsch, als er heute nacht verschwand.«

Mr. Graham setzte sich in dem Sessel auf.

»Sie hören, was ich sage!« sagte er mit unheilverkündendem Tonfall. »Der eine ist Franzose, der zweite ist Engländer und der dritte ist ein Deutscher. Wenn Sie das bezweifeln, oder wenn Sie noch ein Wort über meinen Teppich sprechen, den der schwarze Schurke mir gestohlen hat, müßte ich Sie bitten, mit mir vors Haus zu gehen und sich mit mir zu boxen. See?«

»Lieber Graham,« sagte Philipp Collin, »wollen Sie sich wirklich bei vierzig Grad im Schatten boxen? Und warum sagen Sie, daß der Marabou Ihren Teppich gestohlen hat?«

»Weil ich ihn gekauft habe, und weil er fort ist. Keinem anderen würde es einfallen, ihn zu nehmen.«

»Na na, Sie wissen, daß er Sie gewarnt hat, bevor Sie ihn kauften.«

»Er hat irgendwelche Dummheiten von einem Geist geschwätzt, um mich zu verblüffen.«

»Aber Sie glauben ja, daß ein Geist in dem Teppich ist – einer, der prophezeit. Und heute nacht sagten Sie, daß Sie den Teppich mit Ihren eigenen Augen zum Coupéfenster hinausschwimmen sahen. Ich gebe zu, daß dieser Palmenwein – –«

Mr. Graham bekam einen roten Kopf.

»Ich weiß, was ich sage, und ich weiß, wer ich bin. Ich bin ein freier englischer Bürger und lasse mir von keinem schwarzen Zauberer auf der Nase herumtanzen. Ehe ich glaube, daß ein Geist kommt und einen Teppich stiehlt, den ich gekauft habe, eher will ich meinen eigenen Kopf essen! See? Und wenn jemand noch von Teppichen und Palmenwein spricht, muß ich bitten, vors Haus zu gehen und mit mir zu box – –«

Er beendete seinen Satz nicht. Seine Stimme wurde breiiger und breiiger, und mitten im Worte Boxen schlief er ein. Philipp Collin beobachtete ihn mit einiger Unruhe.

»Was ist denn mit ihm?« fragte Lavertisse.

»Ich hoffe, es ist der Palmenwein,« sagte Philipp Collin. »Aber sagen Sie mir, erinnern Sie sich an einen großen blauen See, den wir heute früh vom Zuge aus sahen? Er lag einige Kilometer in der Wüste draußen.«

»Ja, ich sah ihn vom Coupéfenster aus.«

»Würden Sie glauben, daß sich früher einmal viele Räuberkarawanen zu Fuß durch diesen See retteten?«

»Nein,« sagte Lavertisse. »Und ich weigere mich ebenso energisch, das zu glauben, als Graham sich zu glauben weigert, daß ein Geist seinen Teppich gestohlen hat.«

»Aber es ist nichtsdestoweniger wahr,« sagte Philipp Collin. »Ich habe in dem sogenannten Lesesaal ein sonderbares altes Buch gefunden. Aus diesem habe ich viele Weisheit geschöpft. Der blaue See, den wir vom Zuge aus sahen, hat weder Wasser noch Wellen.«

»So? Ich habe aber mit meinen eigenen Augen Wasser und Wellen gesehen.«

»So wie Graham seinen Teppich zum Fenster hinausschwimmen sah! Nein, Ihr See hat kein Wasser und keine Wellen, aber glauben Sie nicht, daß er eine Luftspiegelung ist, er ist so wirklich, als er nur sein kann. Er bedeckt Hunderte von Quadratkilometern der Wüste. Er ist in seiner Art der größte See in Afrika. Er besteht aus Sand, Salz und Moor. Wenn die Sonne darauf scheint, bekommt er das Aussehen eines wirklichen Sees, aber die einzige Aehnlichkeit, die er mit einem wirklichen See hat, ist, daß man darin ertrinken kann.«

»Ist das wahr? Aber Sie sagten doch, daß sich die Karawanen zu Fuß quer durch ihn zu retten pflegten!«

»Ja, aber auf Pfaden, so schmal wie die Schwertklinge, über die die Mohammedaner am Jüngsten Tag wandern sollen. Ein Schritt zur Seite und man versinkt rettungslos!«

»Ist das möglich?« fragte Lavertisse mit aufgerissenen Augen.

»Hören Sie, was mein Buch aus den klassischen Schriftstellern zitiert: Es gibt einen See, genannt der Teufelssee, sagt Abu Salem el Ajachi, durch ihn gehen Wege, schmal wie Haaresbreite, und ein Schritt vom Wege bringt ebenso sicheres Verderben, wie ein Schritt vom Koran, unserer einzigen Richtschnur. In der Provinz El Djerid, sagt Abu Obejd el Bekri, befindet sich ein verfluchter See, genannt El Takerma, durch den Stege gehen, die nur dem Stamm Beni Maulit bekannt sind. Wenn man einen Schritt von diesen Pfaden abweicht, versinkt man in eine Erde, weich wie Seife, und verschwindet. Zahllose Karawanen mit Beute und allem sind hier verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Sollte ich alles erzählen, was ich in diesem Sebkha (Salzsee) der Verdammnis erlebt habe, sagt Moulai Ahmed, ich würde nie zu Ende kommen. Er ist sicherlich der Aufenthaltsort böser Geister. Die Nacht ist sternenlos, von zwei Seiten gleichzeitig weht ein betäubender Wind und schleudert Sand in die Augen. Weiche einen Schritt vom Wege ab, und die Erde öffnet sich unter dir.«

Monsieur Lavertisse unterbrach seinen Freund.

»Ist an all dem ein wahres Wort, Professor?«

»Was ist Wahrheit? Faktum ist, daß der Salzsee existiert. Faktum ist, daß er mehrere hundert Quadratkilometer bedeckt! Faktum ist, daß man in ihm versinkt, wenn man sich verirrt. Das einzige, worüber die Gelehrten streiten, ist, wie tief man versinkt. Die alten Araber behaupten, daß ein Kamel ganz und gar verschlungen wurde. Moderne Reisende behaupten, daß das Kamel höchstens bis zum Halse einsinkt.«

»Wenn man bedenkt, was für einen langen Hals diese Tiere haben,« sagte Lavertisse, »so ist das für andere ein magerer Trost. Aber entschuldigen Sie, was ist das für eine sonderbare Konversation, die die drei anderen Herren führen!«

»Meinen Sie, daß Sie bis hier hören können, was sie sagen? Verzeihen Sie mir. Ich vergaß, daß es eine Zeit gab, wo die Kombinationsschlösser Europas vor Ihren feinen Ohren zitterten. Wovon sprechen sie denn?«

Monsieur Lavertisse ließ sich in seinen Korbsessel gleiten, bis er das erwähnte Ohr in einen bestimmten Winkel gebracht hatte, und zog dann den Hut über die Augen. Von dem Tisch der drei anderen Hotelgäste, der zehn Meter weit weg stand, drang ein verworrenes Stimmengemurmel herüber. Für Philipp Collin hatte es nicht mehr Sinn als die fremden Stimmen, die man durch ein abgekoppeltes Telephon hört. Aber Lavertisse sprach unter der Hutkrempe:

»Jetzt spricht der Mann, der einen Schnurrbart hat, der wie die Fühler einer gekochten Krabbe aussieht – der mit den blauen Augen. Er sagt, Deutschland ist Rom, aber Deutschland ist auch Athen. Deutschland hat Roms Kraft und Athens Genie geerbt. England ist Karthago, Frankreich ist Sybaris. Bedenken Sie Karthagos und Sybaris' Schicksal, so begreifen Sie das Schicksal, das London und Paris erwartet. Jetzt spricht der nächste, der einem versoffenen Senator ähnlich sieht. Er sagt: London ist Rom, Paris ist Athen, Berlin ist Karthago, England, das ist Roms Kraft, Frankreich, das ist Athens Genie und Deutschland ist Karthagos Handelsenergie. Wie es Athen und Karthago erging, so wird es Paris und Berlin ergehen. Es ist keine Kunst, die Zukunft vorauszusagen. Jetzt spricht der letzte, der mit dem schwarzen Bart. Er sagt: Gestatten Sie mir, die Achseln zu zucken, meine Herren! London sollte Rom sein! Berlin Athen und Rom sein! Haha! Frankreich ist der direkte Erbe der Antike! Paris ist sowohl Athen wie Rom. London ist Karthago, und Berlin – was ist Berlin? Berlin ist Abdera! – Haben Sie je so etwas von Konversation gehört, Professor?«

Philipp Collin sah Mr. Graham an, der auf seinem Sessel geräuschvoll träumte.

»Wir haben jedenfalls Graham als Propheten unterschätzt,« sagte er. »Es ist kein Zweifel, daß dort drüben ein Deutscher, ein Engländer und ein Franzose miteinander sitzen. Es klingt unglaublich, aber ihr Gespräch läßt keinen Zweifel möglich.«

»Wenn ich verstehen könnte, was die hier miteinander machen!« sagte Lavertisse.

»Ich kann es Ihnen nicht sagen. Man sieht es ihnen an, daß sie sich sowohl persönlich, wie aus nationalem Gesichtspunkt verabscheuen. Warum sie miteinander in die Wüste gefahren sind? Es ist unbegreiflich.«

In diesem Augenblick erwachte Mr. Graham auf seinem Sessel und sah mit schlaftrunkenen Augen seine zwei Freunde an.

»Sie sind hier, um einen Schatz zu holen,« sagte er. »Jawohl. Um einen Schatz zu holen. Gold und Juwelen.« Er gähnte und schien in somnolenten Zustand zurücksinken zu wollen. Lavertisse packte ihn am Arm.

»Haben Sie denn gehört, wovon wir sprachen? Ich habe geglaubt, Sie schlafen.«

»Wovon sprachen Sie denn?« murmelte Graham abwesend.

»Von den Menschen dort drüben. Es ist ein Deutscher, ein Engländer und ein Franzose, ganz wie Sie vorhin sagten. Woher wußten Sie es? Und wieso wissen Sie, daß sie hier sind, um einen Schatz zu holen?«

»Sind sie das?« murmelte Mr. Graham undeutlich.

»Ja, gewiß, sie sind hier, um einen großen Schatz zu holen. Ich fühle mich so eigentümlich. Was, glauben Sie, bekommen wir heute zum Mittagessen, Lavertisse?«

Er wartete nicht ab, daß Lavertisse seine Frage beantwortete. Er antwortete sich selbst mit einer breiigen Stimme:

» Consommé princesse – geräucherter Lachs – Lammskoteletten – Salat – Obst. Kein schlechtes Mittagessen. Aber es wird auch mein erstes und letztes Mittagessen hier sein. Ich esse es lieber, als ich meinen eigenen Kopf esse.«

Er versank wieder in einen Schlummer. Lavertisse sah Philipp Collin an.

»Was in aller Welt hat er nur? Kann das ein Klimafieber sein?«

Philipp Collin winkte, ohne zu antworten, dem schielenden Kellner, der seine Blicke noch andauernd unparteiisch zwischen den zwei Tischen im Säulengang verteilte. Der Kellner stürzte herbei.

»Ober, tun Sie mir einen Gefallen. Gehen Sie zum Küchenchef, gratulieren Sie ihm zu dem Frühstück und fragen Sie ihn nach dem Menü des Mittagessens.«

Fünf Minuten später kehrte der Kellner zurück, richtete ein Auge gen Zenit, ein anderes gen Nadir und sagte:

»Das Menü für das Mittagessen ist: Consommé princesse – geräucherter Lachs – Lammskoteletten – Salat – Obst. Wünschen Monsieur eine Abänderung?«

Auf seinem Sessel schlief Mr. Graham weiter, mit schweren Atemzügen. Die französisch-deutsch-englische Gesellschaft stand von ihrem Tische auf und schritt dem Ausgang zu. Philipp Collin sah stumm Lavertisse an, der seinerseits mit scheuer Ehrfurcht Grahams üppige Gestalt betrachtete. Philipp Collin zuckte die Achsel und sagte zu dem Kellner:

»Sind die drei Herren schon lange hier?«

»Drei Wochen.«

»Was sind sie für Landsleute?«

»Der eine ist Franzose, der andere ein Engländer und der dritte sagt, er ist ein Schweizer.«

»Und was machen diese drei Herren in Tozeur?«

»Sie reiten fast jeden Morgen aus und kommen erst spät am Abend zurück. Sie haben sich für längere Zeit Kamele gemietet und reiten ohne Führer.«

»Haben sie irgendein bestimmtes Ziel? Wissen Sie, wohin sie reiten?«

»Ja,« sagte der Kellner zögernd. »Einer der Jungen – er pflegt ihnen nachzulaufen, um Geld zu kriegen – der behauptet, daß sie jedesmal zu demselben Punkt reiten. Und einem sonderbaren Punkt, Monsieur. Er behauptet, sie reiten zum –«

»Salzsee, nicht wahr?«

»Ja, Monsieur, gerade zum Salzsee. Wie konnten Sie das wissen, Monsieur?«

»Ich wußte gar nichts,« sagte Herr Collin und sah den recht geräuschvoll träumenden Mr. Graham an. »Aber der Salzsee scheint ja, nach allem, was ich gehört habe, ein recht angenehmer Ausflugsort zu sein.«

Der Kellner ging. Herr Collin sah gedankenvoll seinen Freund Graham an, dessen Schnarchen von allen Wölbungen des Säulenganges widerhallte.

»Wenn ich Graham so schlafen sehe,« sagte er, »und an alles denke, was er durchgemacht hat, dann hätte ich Lust, eine alte Redensart zu variieren und zu sagen: Per aspera ad asthma. Aber jetzt muß er geweckt werden und sich die Oase ansehen.«

3.

Philipp Collin, Lavertisse und Graham verbrachten den Nachmittag damit, die Oase zu Fuß zu durchstreifen. Pfad auf Pfad ab, an palmenumhegten Gärten entlang, an rasch rieselnden Bächlein, unter sanft rauschenden Palmen sahen sie das bunte Leben der Oase sich abrollen. Garten lag an Garten, von Bewässerungskanälen durchschnitten, drei Reihen von Grün zum Himmel erhebend. Zu unterst Rosen- und Granatbüsche, darüber Feigen- und Aprikosenbäume, darüber Palmenkronen. Esel, mit Futter und Gemüse beladen, trippelten vorbei. Ihre Wimpern waren sittsam gesenkt, und Prügelschläge regneten bei jedem Schritt, den sie machten, auf sie herab. In den Palmenwipfeln saßen braune Männer und nahmen die künstliche Befruchtung der weiblichen Palmen vor. Büschel von männlichen Blüten mit Blütenstaub wurden in die Blütenbüschel der weiblichen Palmen gesteckt, worauf sie zugebunden wurden und die Natur ihren Lauf nahm. Braune Mädchen mit Silberringen um die Knöchel wuschen Linnen in den Bächen. Vögel mit leuchtendem Gefieder flogen ab und zu; und aus den Büschen ließen die Araberknaben Lockschreie ertönen, um sie in ihren Fallen zu fangen. Die Luft war unbeschreiblich kühl und frisch. Der glühende Atemhauch der Wüste hatte nicht die Macht, hier einzudringen.

»Warum wohnt niemand hier?« fragte Lavertisse. »Warum wohnen sie draußen in der Hitze? Sie müssen wahnsinnig sein.«

Graham, der in Gedanken versunken wanderte und kaum etwas von dem Ganzen zu sehen schien, mischte sich plötzlich in das Gespräch.

»Da wohnt jemand,« sagte er und deutete. »Da wohnt Er

Drinnen in einem Garten, der eine wahre Orgie der Fruchtbarkeit war, schimmerte zwischen Palmenstämmen, Orangenbäumen und blutrot blühenden Granatbüschen ein Haus. Es war durch die Vegetation so verborgen, daß man nicht einmal seinen Baustil sah. Aber das Material waren nicht die gewöhnlichen wüstengelben Ziegel Tozeurs, es war Marmor.

»Lieber Graham, Sie sagten, da wohnt Er. Was meinen Sie damit? Wer ist Er

Mr. Graham sah verständnislos aus.

»Habe ich das gesagt?«

»Allerdings.«

»Dann meine ich es auch,« sagte Mr. Graham heftig. »Ich meine immer, was ich sage.«

»Das ist schon möglich. Aber es ist nicht immer so leicht zu verstehen, was Sie sagen. Einer hat die Gabe des Zungenredens; ein anderer die Deutung des Zungenredens, steht geschrieben. Und was Sie meinen, wenn Sie sagen: Da wohnt Er –«

Mr. Graham fuhr sich durch das Haar und sah Herrn Collin an.

»Habe ich gesagt: Da wohnt Er

»Ja. Von dem Hause, das drinnen im Park liegt.«

Mr. Graham blinzelte verständnislos mit den Augen, wie ein Mensch, der sich zu ermuntern sucht.

»Wenn es nicht eine physische Undenkbarkeit wäre, würde ich glauben, daß Sie noch immer den Palmenwein im Leibe haben,« sagte Philipp Collin. »Es ist sicher am besten, wenn Sie nach Hause gehen und sich mit dem Mittagessen restaurieren, das Sie gleich nach dem Lunch prophetisch voraussagten.«

»Habe ich ein Mittagessen prophezeit?«

»Ja. Ihre Prophezeiung lautete: Consommé princesse – geräucherter Lachs – Lammskoteletten – Salat – Obst. Und der Kellner erklärte, daß es auf das Itüpfelchen stimmt.«

Mr. Graham schnalzte wollüstig mit den Lippen. »Habe ich ein solches Mittagessen vorausgesagt, so habe ich jedenfalls etwas Gutes getan.«

»Das haben Sie. Außerdem sagten Sie voraus, daß es Ihr erstes und letztes Mittagessen im Hotel sein werde, was hoffentlich nicht eintreffen wird.«

4.

Unmittelbar nach dem prophetisch vorausgesagten Mittagessen erhob sich Mr. Graham, murmelte seinen beiden Freunden etwas zu und verschwand. Dies war gleich nach Sonnenuntergang. Draußen lag alles schon in samtbrauner Dunkelheit da. Die Palmblätter schnitten Zacken in den gestirnten Himmel, die französisch-englisch-deutsche Gesellschaft sah Mr. Graham neugierig nach. Philipp Collin und Lavertisse gleichfalls. Er hatte sie das ganze Mittagessen dadurch verblüfft, mit dem arabischen Kellner Arabisch zu sprechen – kein gutes Arabisch, aber doch gut genug, um verstanden zu werden. Er weigerte sich zu sagen, wo und wie er insgeheim diese Fertigkeit erworben hatte.

Als er eine Weile weg gewesen war, suchten sie ihn auf seinem Zimmer, aber fanden ihn nicht. Als er zwei Stunden weg gewesen war, begannen sie ihn in der Umgebung und oben auf dem Marktplatz zu suchen, wo sich in der Dunkelheit ein buntes Volksleben entwickelte. Aber sie fanden ihn nicht dort, und ebensowenig fanden sie ihn, als sie um Mitternacht in das Hotel zurückkamen.

Der nächste Morgen graute über derselben Situation. Mr. Graham war und blieb verschwunden.


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