Heinrich Heine
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Heinrich Heine

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Kapitel XI

Wer ist denn der Graf Platen, den wir im vorigen Kapitel als Dichter und warmen Freund kennenlernten? Ach, lieber Leser, diese Frage las ich schon lange auf deinem Gesichte, und nur zaudernd gehe ich an die Beantwortung. Das ist ja eben das Mißgeschick deutscher Schriftsteller, daß sie jeden guten oder bösen Narrn, den sie aufs Tapet bringen, erst durch trockne Charakterschilderung und Personalbeschreibung bekannt machen müssen, damit man erstens wisse daß er existiert, und zweitens den Ort kenne, wo die Geißel ihn trifft, ob unten oder oben, vorn oder hinten. Anders war es bei den Alten, anders ist es noch jetzt bei neueren Völkern, z. B. den Engländern und Franzosen, die ein Volksleben, und daher public characters haben. Wir Deutschen aber, wir haben zwar ein ganzes närrisches Volk, aber wenig ausgezeichnete Narren, die bekannt genug wären, um sie als allgemeinverständliche Charaktere in Prosa oder Versen gebrauchen zu können. Die wenigen Männer dieser Art, die wir besitzen, haben wirklich recht, wenn sie sich wichtig machen. Sie sind von unschätzbarem Werte und zu den höchsten Ansprüchen berechtigt. So z. B. der Herr Geheimrat Schmalz, Professor der Berliner Universität, ist ein Mann, der nicht mit Geld zu bezahlen ist; ein humoristischer Schriftsteller kann ihn nicht entbehren, und er selbst fühlt diese persönliche Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit in so hohem Grade, daß er jede Gelegenheit ergreift, um humoristischen Schriftstellern Stoff zur Satire zu geben, daß er Tag und Nacht grübelt, wie er sich als Staatsmann, Servilist, Dekan, Antihegelianer und Patriot lächerlich machen kann, und somit die Literatur, für die er sich gleichsam aufopfert, tatkräftig zu befördern. Den deutschen Universitäten muß man überhaupt nachrühmen, daß sie den deutschen Schriftsteller, mehr als jede andere Zunft, mit allerlei Narren versorgen, und besonders Göttingen habe ich immer in dieser Hinsicht zu schätzen gewußt. Dies ist auch der geheime Grund, weshalb ich mich für die Erhaltung der Universitäten erkläre, obgleich ich stets Gewerbefreiheit und Vernichtung des Zunftwesens gepredigt habe. Bei solchem fühlbaren Mangel an ausgezeichneten Narren, kann man mir nicht genug danken, wenn ich neue aufs Tapet bringe und allgemein brauchbar mache. Zum Besten der Literatur will ich daher jetzt vom Grafen August von Platen-Hallermünde etwas ausführlicher reden. Ich will dazu beitragen, daß er zweckmäßig bekannt, und gewissermaßen berühmt werde, ich will ihn literarisch gleichsam herausfüttern, wie die Irokesen tun mit den Gefangenen, die sie bei späteren Festmahlen verspeisen wollen. Ich werde ganz treu ehrlich verfahren und überaus höflich, wie es einem Bürgerlichen ziemt, ich werde das Materielle, das sogenannt Persönliche, nur insoweit berühren, als sich geistige Erscheinungen dadurch erklären lassen, und ich werde immer ganz genau den Standpunkt, von wo aus ich ihn sah, und sogar manchmal die Brille, wodurch ich ihn sah, angeben.

Der Standpunkt, von wo ich den Grafen Platen zuerst gewahrte, war München, der Schauplatz seiner Bestrebungen, wo er, bei allen die ihn kennen, sehr berühmt ist, und wo er gewiß, solange er lebt, unsterblich sein wird. Die Brille, wodurch ich ihn sah, gehörte einigen Insassen Münchens, die über seine äußere Erscheinung dann und wann, in heiteren Stunden, ein heiteres Wort hinwerfen. Ich habe ihn selbst nie gesehen, und wenn ich mir seine Person denken will, erinnere ich mich immer an die drollige Wut, womit einmal mein Freund der Doktor Lautenbacher über Poetennarrheit im allgemeinen loszog, und insbesondere eines Grafen Platen erwähnte, der mit einem Lorbeerkranze auf dem Kopfe, sich auf der öffentlichen Promenade zu Erlangen den Spaziergängern in den Weg stellte und, mit der bebrillten Nase gen Himmel starrend, in poetischer Begeisterung zu sein vorgab. Andere haben besser von dem armen Grafen gesprochen, und beklagten nur seine beschränkten Mittel, die ihn, bei seinem Ehrgeiz, sich wenigstens als ein Dichter auszuzeichnen, über die Gebühr zum Fleiße nötigten, und sie lobten besonders seine Zuvorkommenheit gegen Jüngere, bei denen er die Bescheidenheit selbst gewesen sei, indem er mit der liebreichsten Demut ihre Erlaubnis erbeten, dann und wann zu ihnen aufs Zimmer kommen zu dürfen, und sogar die Gutmütigkeit so weit getrieben habe, immer wieder zu kommen, selbst wenn man ihn die Lästigkeit seiner Visiten aufs deutlichste merken lassen. Dergleichen Erzählungen haben mich gewissermaßen gerührt, obgleich ich diesen Mangel an Personalbeifall sehr natürlich fand. Vergebens klagte oft der Graf:

»- Deine blonde Jugend, süßer Knabe,
Verschmäht den melancholischen Genossen.
So will in Scherz ich mich ergehn, in Possen,
Anstatt ich jetzt mich bloß an Tränen labe,
Und um der Fröhlichkeit mir fremde Gabe,
Hab ich den Himmel anzuflehn beschlossen.«

Vergebens versicherte der arme Graf, daß er einst der berühmteste Dichter werde, daß schon der Schatten eines Lorbeerblattes auf seiner Stirne sichtbar sei, daß er seine süßen Knaben ebenfalls unsterblich machen könne, durch unvergängliche Gedichte. Ach! eben diese Zelebrität war keinem lieb, und in der Tat, sie war keine beneidenswerte. Ich erinnere mich noch, mit welchem unterdrückten Lächeln ein Kandidat solcher Zelebrität von einigen lustigen Freunden, unter den Arkaden zu München, betrachtet wurde. Ein scharfsichtiger Bösewicht meinte sogar, er sähe zwischen den Rockschößen desselben den Schatten eines Lorbeerblattes. Was mich betrifft, lieber Leser, so bin ich nicht so boshaft, wie du denkst, ich bemitleide den armen Grafen, wenn ihn andere verhöhnen, ich zweifle, daß er sich an der verhaßten »Sitte« tätlich gerächt habe, obgleich er in seinen Liedern schmachtet, sich solcher Rache hinzugeben; ich glaube vielmehr an die verletzenden Kränkungen, beleidigenden Zurücksetzungen und Abweisungen, wovon er selbst so rührend singt. Ich bin überzeugt, er betrug sich gegen die Sitten überhaupt weit löblicher, als ihm selber lieb war, und er kann vielleicht, wie General Tilly, von sich rühmen: »Ich war nie berauscht, ich habe nie ein Weib berührt und habe nie eine Schlacht verloren.« Deshalb gewiß sagt von ihm der Dichter:

»Du bist ein nüchterner, modester Junge.«

Der arme Junge, oder vielmehr der arme alte Junge – denn er hatte schon einige Lustren hinter sich – hockte damals, wenn ich nicht irre, auf der Universität in Erlangen, wo man ihm einige Beschäftigung angewiesen hatte; doch da diese seinem hochstrebenden Geiste nicht genügte, da mit den Lustren auch die Lüsternheit nach illüstrer Lust ihn mehr und mehr stachelte, und der Graf von seiner künftigen Herrlichkeit täglich mehr und mehr begeistert wurde, gab er jedes Geschäft auf, und beschloß, von der Schriftstellerei, von gelegentlichen Gaben von oben und einigen sonstigen Verdiensten zu leben. Die Grafschaft des Grafen liegt nämlich im Monde, von wo er, wegen der schlechten Kommunikation mit Bayern, nach Gruithuisens Berechnung, erst in 20000 Jahren, wenn der Mond dieser Erde näher kommt, seine ungeheuern Revenuen beziehen kann.

Schon früher hatte Don Platen de Collibrados Hallermünde, bei Brockhaus in Leipzig, eine Gedichtesammlung mit einer Vorrede, betitelt: »Lyrische Blätter Nummer I« herausgegeben, die freilich nicht bekannt wurde, obgleich, wie er uns versichert, die sieben Weisen dem Verfasser ihr Lob gespendet. Später gab er, nach Tieckschem Muster, einige dramatisierte Märchen und Erzählungen heraus, die ebenfalls das Glück hatten, daß sie der unweisen großen Menge unbekannt blieben, und nur von den sieben Weisen gelesen wurden. Indessen um, außer den sieben Weisen, noch einige Leser zu gewinnen, legte sich der Graf auf Polemik und schrieb eine Satire gegen berühmte Schriftsteller, vornehmlich gegen Müllner, der damals schon allgemein gehaßt und moralisch vernichtet war, so daß der Graf eben zur rechten Zeit kam, um dem toten Hofrat Örindur noch einen Hauptstich, nicht ins Haupt, sondern, nach Falstaffscher Weise, in die Wade zu versetzen. Der Widerwille gegen Müllner hatte jedes edle Herz erfüllt; der Mensch ist überhaupt schwach; die Polemik des Grafen mißfiel daher nicht, und »Die verhängnisvolle Gabel« fand hie und da eine bereitwillige Aufnahme, nicht beim großen Publikum, sondern bei Literatoren und bei den eigentlichen Schulleuten, bei letztern hauptsächlich weil jene Satire nicht mehr dem romantischen Tieck, sondern dem klassischen Aristophanes nachgeahmt war.

Ich glaube, es war um diese Zeit, daß der Herr Graf nach Italien reiste; er zweifelte nicht mehr, von seiner Poesie leben zu können, Cotta hatte die gewöhnliche prosaische Ehre, für Rechnung der Poesie das Geld herzugeben; denn die Poesie, die Himmelstochter, die Hochgeborene, hat selbst nie Geld und wendet sich, bei solchem Bedürfnis, immer an Cotta. Der Graf versifizierte jetzt Tag und Nacht, er blieb nicht bei dem Vorbilde Tiecks und des Aristophanes, sondern er ahmte auch den Goethe nach im Liede, dann den Horaz in der Ode, dann den Petrarca in Sonetten, dann den Dichter Hafis in persischen Gaselen – kurz er gab uns solchermaßen eine Blumenlese der besten Dichter und zugleich seine eigenen lyrischen Blätter unter dem Titel: »Gedichte des Grafen Platen etc.«

Niemand in Deutschland ist gegen poetische Erzeugnisse billiger als ich, und ich gönne einem armen Menschen, wie Platen, sein Stückchen Ruhm, das er im Schweiße seines Angesichts so sauer erwirbt, gewiß herzlich gern. Keiner ist mehr geneigt, als ich, seine Bestrebungen zu rühmen, seinen Fleiß und seine Belesenheit in der Poesie zu loben, und seine silbenmäßigen Verdienste anzuerkennen. Meine eignen Versuche befähigen mich, mehr als jeden andern, die metrischen Verdienste des Grafen zu würdigen. Die bittere Mühe, die unsägliche Beharrlichkeit, das winternächtliche Zähneklappern, die ingrimmigen Anstrengungen, womit er seine Verse ausgearbeitet, entdeckt unsereiner weit eher als der gewöhnliche Leser, der die Glätte, Zierlichkeit und Politur jener Verse des Grafen für etwas Leichtes hält, und sich an der glatten Wortspielerei gedankenlos ergötzt, wie man sich bei Kunstspringern, die auf dem Seile balancieren, über Eier tanzen und sich auf den Kopf stellen, ebenfalls einige Stunden amüsiert, ohne zu bedenken, daß jene armen Wesen, nur durch jahrelangen Zwang und grausames Hungerleiden, solche Gelenkigkeitskünste, solche Metrik des Leibes erlernt haben. Ich, der ich mich in der Dichtkunst nicht so sehr geplagt, und sie immer in Verbindung mit gutem Essen ausgeübt habe, ich will den Grafen Platen, dem es saurer und nüchterner dabei ergangen, um so mehr preisen, ich will von ihm rühmen daß kein Seiltänzer in Europa so gut wie er auf schlaffen Gaselen balanciert, daß keiner den Eiertanz über

usw.

so gut exekutiert wie er, daß keiner sich so gut wie er auf den Kopf stellt. Wenn ihm auch die Musen nicht hold sind, so hat er doch den Genius der Sprache in seiner Gewalt, oder vielmehr er weiß ihm Gewalt anzutun; – denn die freie Liebe dieses Genius fehlt ihm, er muß auch diesem Jungen beharrlich nachlaufen, und er weiß nur die äußeren Formen zu erfassen, die trotz ihrer schönen Ründung sich nie edel aussprechen. Nie sind tiefe Naturlaute, wie wir sie im Volksliede, bei Kindern und anderen Dichtern finden, aus der Seele eines Platen hervorgebrochen oder offenbarungsmäßig hervorgeblüht; den beängstigenden Zwang, den er sich antun muß, um etwas zu sagen, nennt er eine »große Tat in Worten« – so gänzlich unbekannt mit dem Wesen der Poesie, weiß er nicht einmal, daß das Wort nur bei dem Rhetor eine Tat ist, bei dem wahren Dichter aber ein Ereignis. Ungleich dem wahren Dichter, ist die Sprache nie Meister geworden in ihm, er ist dagegen Meister geworden in der Sprache oder vielmehr auf der Sprache, wie ein Virtuose auf einem Instrumente. Je weiter er es solcherart im Technischen brachte, desto größere Meinung bekam er von seiner Virtuosität; er wußte ja in allen Weisen zu spielen, er versifizierte ja die schwierigsten Passagen, er dichtete, sozusagen, manchmal nur auf der G-Saite, und ärgerte sich, wenn das Publikum nicht klatschte. Wie alle Virtuosen, die solch einseitiges Talent ausgebildet, strebte er nur nach Applaudissement, sah er mit Ingrimm auf den Ruhm anderer, beneidete er seine Kollegen um ihren Gewinst, wie z. B. den Clauren, schrieb er gleich fünfaktige Pasquille, wenn er nur eine einzige Xenie des Tadels auf sich beziehen konnte, kontrollierte er alle Rezensionen, worin andere gelobt wurden, und schrie er beständig: ich werde nicht genug gelobt, nicht genug belohnt, denn ich bin der Poet, der Poet der Poeten usw. So hungerig und lechzend nach Lob und Spenden zeigte sich nie ein wahrer Dichter, niemals Klopstock, niemals Goethe, zu deren Drittem der Graf Platen sich selbst ernennt, obgleich jeder einsieht, daß er nur mit Ramler und etwa A. W. v. Schlegel ein Triumvirat bildet. Der große Ramler, wie man ihn zu seiner Zeit hieß, als er, zwar ohne Lorbeerkranz auf dem Haupte, aber mit desto größerem Zopf und Haarbeutel, das Auge gen Himmel gehoben und den steifleinenen Regenschirm unterm Arm, im Berliner Tiergarten skandierend wandelte, hielt sich damals für den Repräsentanten der Poesie auf Erden. Seine Verse waren die vollendetesten in deutscher Sprache, und seine Verehrer, worunter sogar ein Lessing sich verirrte, meinten, weiter könne man es in der Poesie nicht bringen. Fast dasselbe war späterhin der Fall bei A. W. v. Schlegel, dessen poetische Unzulänglichkeit aber sichtbar wird, seitdem die Sprache weiter ausgebildet worden, so daß sogar diejenigen, die einst den Sänger des Arion für einen gleichfallsigen Arion gehalten, jetzt nur noch den verdienstlichen Schullehrer in ihm sehen. Ob aber der Graf Platen schon befugt ist, über den sonst rühmenswerten Schlegel zu lachen, wie dieser einst über Ramler lachte, das weiß ich nicht. Aber das weiß ich, in der Poesie sind alle drei sich gleich, und wenn der Graf Platen noch so hübsch in den Gaselen seine schaukelnden Balancierkünste treibt, wenn er in seinen Oden noch so vortrefflich den Eiertanz exekutiert, ja, wenn er, in seinen Lustspielen, sich auf den Kopf stellt – so ist er doch kein Dichter. Er ist kein Dichter, sagt sogar die undankbare männliche Jugend, die er so zärtlich besingt. Er ist kein Dichter, sagen die Frauen, die vielleicht – ich muß es zu seinem Besten andeuten – hier nicht ganz unparteiisch sind, und vielleicht wegen der Hingebung, die sie bei ihm entdecken, etwas Eifersucht empfinden, oder gar durch die Tendenz seiner Gedichte ihre bisherige vorteilhafte Stellung in der Gesellschaft gefährdet glauben. Strenge Kritiker, die mit scharfen Brillen versehen sind, stimmen ein in dieses Urteil, oder äußern sich noch lakonisch bedenklicher. »Was finden Sie in den Gedichten des Grafen von Platen-Hallermünde?« frug ich jüngst einen solchen Mann. »Sitzfleisch!« war die Antwort. »Sie meinen in Hinsicht der mühsamen, ausgearbeiteten Form?« entgegnete ich. »Nein«, erwiderte jener, »Sitzfleisch auch in betreff des Inhalts.«


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