Heinrich Heine
Lutetia
Heinrich Heine

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIII.

Paris, den 4. November 1840.

Marschall Soult, der Mann des Schwertes, sorgt für die innere Ruhe Frankreichs, und dieses ist seine ausschließliche Aufgabe. Für die äußere Ruhe bürgt unterdessen Ludwig Philipp, der König der Klugheit, der mit geduldigen Händen, nicht mit dem Schwerte, die Wirrnisse der Diplomatie, den gordischen Knäuel, zu lösen sucht. Wird's ihm gelingen? Wir wünschen es, und zwar im Interesse der Fürsten wie der Völker Europa's. Letztere können durch einen Krieg nur Tod und Elend gewinnen. Erstere, die Fürsten, würden selbst im günstigsten Falle durch einen Sieg über Frankreich die Gefahren verwirklichen, die vielleicht jetzt nur in der Imagination einiger Staatsleute als besorgliche Gedanken existieren. Die große Umwälzung, welche seit fünfzig Jahren in Frankreich stattfand, ist, wo nicht beendigt, doch gewiß gehemmt, wenn nicht von außen das entsetzliche Rad wieder in Bewegung gesetzt wird. Durch die Bedrohnisse eines Krieges mit der neuen Koalition wird nicht bloß der Thron des Königs, sondern auch die Herrschaft jener Bourgeoisie gefährdet, die Ludwig Philipp rechtmäßig, jedenfalls tatsächlich repräsentiert. Die Bourgeoisie, nicht das Volk, hat die Revolution von 1789 begonnen und 1830 vollendet, sie ist es, welche jetzt regiert, obgleich viele ihrer Mandatarien von vornehmem Geblüte sind, und sie ist es, welche das andringende Volk, das nicht bloß Gleichheit der Gesetze, sondern auch Gleichheit der Genüsse verlangt, bis jetzt im Zaum hielt. Die Bourgeoisie, welche ihr mühsames Werk, die neue Staatsbegründung, gegen den Andrang des Volkes, das eine radikale Umgestaltung der Gesellschaft begehrt, zu verteidigen hat, ist gewiß zu schwach, wenn auch das Ausland sie mit vierfach stärkeren Kräften anfiele, und noch ehe es zur Invasion käme, würde die Bourgeoisie abdanken, die unteren Klassen würden wieder an ihre Stelle treten, wie in den schrecklichen neunziger Jahren, aber besser organisiert, mit klarerem Bewußtsein, mit neuen Doktrinen, mit neuen Göttern, mit neuen Erd- und Himmelskräften; statt mit einer politischen, müßte das Ausland mit einer sozialen Revolution in den Kampf treten. Die Klugheit dürfte daher den alliierten Mächten raten, das jetzige Regiment in Frankreich zu unterstützen, damit nicht weit gefährlichere und kontagiösere Elemente entzügelt werden und sich geltend machen. Die Gottheit selbst gibt ja ihren Stellvertretern ein so belehrendes Beispiel; der jüngste Mordversuch zeigt, wie die Vorsehung dem Haupte Ludwig Philipp's einen ganz besonderen Schutz angedeihen läßt . . . sie schützt den großen Spritzenmeister, der die Flamme dämpft und einen allgemeinen Weltbrand verhütet.

Ich zweifle nicht, daß es dem Marschall Soult gelingen wird, die innere Ruhe zu sichern. Durch seine Kriegsrüstungen hat ihm Thiers genug Soldaten hinterlassen, die freilich ob der veränderten Bestimmung sehr mißmutig sind. Wird er auf letztere zählen können, wenn das Volk mit bewaffnetem Ungestüm den Krieg begehrt? Werden die Soldaten dem Kriegsgelüste des eigenen Herzens widerstehen können und sich lieber mit ihren Brüdern als mit den Fremden schlagen? Werden sie den Vorwurf der Feigheit ruhig anhören können? Werden sie nicht ganz den Kopf verlieren, wenn plötzlich der tote Feldherr von Sankt Helena anlangt? Ich wollte, der Mann läge schon ruhig unter der Kuppel des Invalidendoms, und wir hätten die Leichenfeier glücklich überstanden! –

Das Verhältnis Guizot's zu den beiden obengenannten Trägern des Staates werde ich späterhin besprechen. Auch läßt sich noch nicht bestimmen, inwieweit er beide durch die Ägide seines Wortes zu schirmen denkt. Sein Rednertalent dürfte in einigen Wochen stark genug in Anspruch genommen werden, und wenn die Kammer, wie es heißt, über den casus belli ein Prinzip aufstellen wird, kann der gelehrte Mann seine Kenntnisse aufs glänzendste entwickeln. Die Kammer wird nämlich die Erklärung der lokalisierten Mächte, daß sie bei der Pazifikation des Orients keine Territorialvergrößerungen und sonstige Privatvorteile beabsichtigen, in besondere Erwägung ziehen und jeden faktischen Widerspruch mit jener Erklärung als einen casus belli feststellen. Solche Erklärungen sind immer trügerisch, und die Habsucht läuft immer der Ehrlichkeit den Rang ab, wo es eine gute Beute zu teilen gilt. Das wird auch der Fall sein bei dem Sturz des osmanischen Reiches, dessen langsamer Todeskampf ein erschreckliches Ding ist. Die gekrönten Geier umflattern den Sterbenden, um sich später die Fetzen des Leichnams streitig zu machen. Wem wird der fetteste Bissen zufallen? Rußland, England oder Österreich? Frankreich wird für sein Teil nur den Ekel an diesem Schauspiel haben. Man nennt das die orientalische Frage.

Über die Rolle, die Thiers bei dieser Gelegenheit spielen wird, und ob er dem alten Nebenbuhler Guizot wieder mit all seiner Sprachgewalt entgegenzutreten gedenkt, kann ich ihnen ebenfalls erst später berichten.

Guizot hat einen schweren Stand, und ich habe ihnen schon oft gesagt, daß ich großes Mitleid für ihn empfinde. Er ist ein wackerer, festgesinnter Mann, und Calamatta hat in einem vortrefflichen Porträt sein edles Äußere sehr getreu abkonterfeit. Ein starker puritanischer Kopf, angelehnt an eine steinerne Wand – bei einer hastigen Bewegung des Kopfes nach hinten könnte er sich sehr beschädigen.In der Augsburger Allgemeinen Zeitung lautet der Schluß dieses Absatzes, wie folgt: »Ich kann dieses Porträt nicht genug loben; es erscheint vor einiger Zeit bei Rittner, dem deutschen Kunsthändler auf dem Boulevard Montmartre, bei welchem jetzt eine Menge schöner Sachen herauskommen, z. B. die Fischer von Ludwig Robert. Als Herr Rittner mich jüngst dieses Meisterwerk des Grabstiches, das fast ganz vollendet ist, mit freundlicher Güte sehen ließ und auf die Porträte von Thiers die Rede kam, bemerkte er, daß seine Kunden in der Provinz und im Auslande von dem Porträt des Herr Thiers fünfzehn Exemplare verlangen, während ihnen von jedem Porträt der übrigen großen Männer ein einziges Exemplar genügt.« – Der Herausgeber. Das Porträt ist an den Fenstern von Goupil und Rittner ausgestellt. Es wird viel betrachtet, und Guizot muß schon in effigie viel ausstehen von den malitiösen Zungen.


 << zurück weiter >>