Heinrich Heine
Lutetia
Heinrich Heine

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XVIII.

Paris, den 21. September 1840.

Ohne sonderliche Ausbeute bin ich dieser Tage von einem Streifzuge durch die Bretagne zurückgekehrt. Ein armselig ödes Land, und die Menschen dumm und schmutzig. Von den schönen Volksliedern, die ich dort zu sammeln gedachte, vernahm ich keinen Laut. Dergleichen existiert nur noch in alten Sangbüchern, deren ich einige aufkaufte; da sie jedoch in bretonischen Dialekten geschrieben sind, muß ich sie mir erst ins Französische übersetzen lassen, ehe ich etwas davon mitteilen kann. Das einzige Lied, was ich auf meiner Reise singen hörte, war ein deutsches; während ich mich in Rennes barbieren ließ, meckerte jemand auf der Straße den Jungfernkranz aus dem Freischütz in deutscher Sprache. Den Sänger selbst hab' ich nicht gesehen, aber seine veilchenblaue Seide klang mir tagelang noch im Gedächtnis. Es wimmelt jetzt in Frankreich von deutschen Bettlern, die sich mit Singen ernähren und den Ruhm der deutschen Tonkunst nicht sehr fördern.

Über die politische Stimmung der Bretagne kann ich nicht viel berichten, die Leute sprechen sich hier nicht so leicht aus wie in der Normandie; die Leidenschaften sind hier ebenso schweigsam wie tief, und der Freund wie der Feind der Tagesregierung brütet hier mit stummem Grimm. Wie im Beginn der Revolution, gibt es auch jetzt noch in der Bretagne die glühendsten Enthusiasten der Revolution, und ihr Eifer wird durch die Schrecknisse, womit die Gegenpartei sie bedroht, bis zur blutdürstigsten Wut gesteigert. Es ist ein Irrtum, wenn man glaubt, daß die Bauern in der Bretagne aus Liebe für die ehemalige Adelsherrschaft bei jedem legitimistischen Aufruf zu den Waffen griffen. Im Gegenteil, die Greuel des alten Regimes sind noch im farbigsten Andenken, und die edlen Herren haben in der Bretagne entsetzlich genug gewirtschaftet. Sie erinnern sich vielleicht der Stelle in den Briefen der Frau von Sevigné, wo sie erzählt, wie die unzufriedenen Vilains und Rotüriers dem Generalgouverneur die Fenster eingeschmissen und die Schuldigen aufs grausamste hingerichtet werden. Die Zahl derjenigen, die durchs Rad starben, muß sehr groß gewesen sein, denn da man später mit dem Strange verfuhr, bemerkte Frau von Sevigné ganz naiv, »nach dem vielen Rädern sei das Hängen für sie eine wahre Erfrischung.« Die mangelnde Liebe wird durch Versprechungen ersetzt, und ein armer Bretone, der bei jedem legitimistischen Schilderheben sich tätig gezeigt und nichts als Wunden und Elend dabei gewann, gestand mir, daß er diesmal seines Lohnes gewiß sei, da Heinrich V. bei seiner Rückkehr jedem, der für seine Sache gefochten, eine lebenslängliche Pension von fünfhundert Franc bezahlen werde.

Hegt aber das Volk in der Bretagne nur sehr laue und eigennützige Sympathien für die alte Noblesse, so folgt es desto unbedingter aller Inspirationen der Geistlichkeit, in deren geistiger und leiblicher Botmäßigkeit es geboren wird, lebt und stirbt. Wie dem Druiden in der alten Keltenzeit, gehorcht der Bretone jetzt seinem Pfarrer, und nur durch dessen Vermittlung dient er dem Edelmann. George Cadoudal war wahrlich kein serviler Lakai des Adels, ebenso wenig wie Charette, der sich über letztern mit der bittersten Geringschätzung aussprach und an Ludwig XVIII. unumwunden schrieb: »La lâcheté de vos gentilshommes a perdu votre cause;« aber vor ihren tonsurierten Oberhäuptern beugten diese Leute demütig das Knie. Selbst die bretonischen Jakobiner konnten sich nie ganz von ihren kirchlichen Velleitäten lossagen, und es blieb immer ein Zwiespalt in ihrem Gemüte, wenn die Freiheit in Konflikt geriet mit ihrem Glauben.

Jetzt hat sich auch in dieser Beziehung manches geändert. Lamennais selber ist ein Bretone, und seine Lehre ist vielleicht mit ein Erzeugnis des Bodens. Die Geistlichkeit mußte sich versöhnen mit der neuen Gedanken-Dynastie, als sie die Hoffnung aufgab, die Dynastie der alten Gedanken wieder herzustellen. Laßt uns ihnen nicht Unrecht tun; um die Menschen zu beglücken, muß man sie lenken können, und die Mittel zu diesem ernsten Zweck erlangt man nur durch Verbündung mit den herrschenden Gewalten. Die Lehre Lamennais' ist aber nicht bloß für Frankreich, sondern für ganz Europa von der furchtbarsten Bedeutung; besonders im Fall eines Krieges gegen die Quadrupel-Allianze würde sie eine Rolle spielen. Ich habe sie längst darauf aufmerksam gemacht, daß das französische Ministerium mit jener Partei allerlei im Sinne führt und sie nicht bloß schont, sondern ihr auch mitunter schmeichelt. Was man auch sage, Herr Thiers ist ein großer Staatsmann, und bei seiner religiösen Indifferenz mag es ihm leicht einfallen, auch die Religion, die Heilsbotschaft des Friedens, als Zerstörungsmittel zu benutzen. Überhaupt dürften im Falle eines Krieges allerlei Erscheinungen emportauchen, wovon man jetzt noch keine Ahnung hat, und schauerlich ist der gegenwärtige Moment, wo von den kleinsten Mißgriffen der Friede der Welt abhängig ist. –

Wird es aber zum Krieg kommen? Jetzt nicht; doch der böse Dämon ist wieder entfesselt und spukt in den Gemütern. Wer hat diesen Dämon geweckt? Ich glaube, die Selbstsucht der Engländer ist ebenso schuldig wie der Leichtsinn der Franzosen. In der Tat, einer der bedeutendsten Staatsmänner versicherte mich vor etwa sechs Wochen, der schlaue Brunnow habe dadurch die Engländer geködert, daß er ihnen in der Perspektive den Untergang der französischen Marine zeigte, als ein natürliches Resultat der eintretenden Verwicklungen und Kollisionen. Und, sonderbar! in der ganzen Normandie, wie ich Ihnen bereits aus Granville schrieb, und auch in der Bretagne fand ich, wie eine Volkssage, überall die Meinung verbreitet, als habe England sich mit den russischen Interessen verbündet, aus perfider Eifersucht wegen der blühenden Entwicklung der französischen Marine. Was die feinste diplomatische Nase gerochen, durchschaut das Volk mit seiner wunderbaren Klarsicht.

Das französische Ministerium handelte aber sehr unbesonnen, als es gleich mit vollen Backen in die Kriegstrompete stieß und ganz Europa auftrommelte. Wie die Fischer in dem arabischen Märchen hat Thiers die Flasche geöffnet, woraus der schreckliche Dämon emporstieg . . . er erschrak nicht wenig über dessen kolossale Gestalt und möchte ihn jetzt zurückbannen mit schlauen Worten. »Bist du wirklich aus einer so kleinen Bouteille hervorgestiegen?« sprach der Fischer zu dem Riesen, und zum Beweise verlangte er, daß er wieder in dieselbe Flasche hineinkrieche; und als der große Narr es tat, verschloß der Fischer die Flasche mit einem guten Stöpsel . . . Die Post geht ab, und wie die Sultanin Scheherezade, unterbrechen wir unsre Erzählung, vertröstend auf morgen, wo wir aber ebenfalls, wegen der vielen eingeschobenen Episoden, keinen Schluß liefern.


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